Kitabı oku: «Fjodor Dostojewski: Hauptwerke», sayfa 91

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II

Ich wohnte in der Nähe der Wosnessenskij-Brücke in einem Mietshaus von gewaltiger Größe in einer Hofwohnung. Als ich gerade ins Tor treten wollte, stieß ich mit Wersilow zusammen, der von meiner Wohnung kam.

»Nach meiner Gewohnheit«, sagte er, »bin ich auf dem Spaziergang nach deiner Wohnung gegangen und habe sogar bei Pjotr Ippolitowitsch eine Weile auf dich gewartet, aber es wurde mir zu langweilig. Die Leute zanken sich da fortwährend, und heute hat die Frau sich sogar ins Bett gelegt und weint. Ich habe es eine Zeitlang mit angesehen und bin dann weggegangen.«

Ich wurde aus irgendeinem Grund ärgerlich.

»Ich bin offenbar der einzige Mensch, zu dem Sie hingehen, und außer mir und Pjotr Ippolitowitsch scheinen Sie in ganz Petersburg niemanden zu kennen?«

»Mein Freund ... das ist ja ganz gleichgültig.«

»Wohin wollen Sie denn jetzt?«

»Zu dir möchte ich nicht noch einmal umkehren. Wenn du magst – laß uns zusammen spazierengehen; es ist ein herrlicher Abend.«

»Wenn Sie, statt mir abstrakte Erörterungen vorzutragen, menschlich mit mir gesprochen hätten und mir zum Beispiel nur wegen dieses verdammten Spielens eine kleine Warnung hätten zukommen lassen, hätte ich mich vielleicht nicht wie ein Narr da hineinziehen lassen«, sagte ich plötzlich.

»Du bereust es? Das ist gut«, erwiderte er langsam, den Mund kaum öffnend. »Ich habe mir immer schon gedacht, daß das Spiel bei dir nicht die Hauptsache, sondern nur so eine zeit–wei–lige Verirrung ist ... Du hast recht, mein Freund: das Spiel ist eine Schweinerei, und außerdem kann man sich da zugrunde richten.«

»Und fremdes Geld verspielen.«

»Hast du denn auch fremdes Geld verspielt?«

»Ihr Geld habe ich verspielt. Ich ließ mir von dem Fürsten Geld auf Ihr Konto geben. Allerdings war es eine schreckliche Absurdität und Dummheit von meiner Seite.... Ihr Geld für das meinige zu halten, aber ich beabsichtigte, es alles wiederzugewinnen.«

»Ich möchte dir noch einmal bemerken, mein Lieber, daß mir da kein Geld gehört. Ich weiß, daß sich dieser junge Mensch selbst in der Klemme befindet, und ich rechne trotz seiner Versprechungen nicht darauf, etwas von ihm zu erhalten.«

»Wenn es sich so verhält, befinde ich mich in doppelt schlimmer Lage... in einer lächerlichen Lage. Welchen Anlaß hat er unter solchen Umständen, mir Geld zu geben, und ich, es von ihm anzunehmen?«

»Das ist nun deine eigene Sache ... Aber hast du wirklich auch nicht den allergeringsten Anlaß, Geld von ihm zu nehmen, wie?«

»Außer unserer Freundschaft....«

»Ja, außer eurer Freundschaft? Gibt es nicht irgendeine Tatsache, auf Grund derer es dir möglich erscheinen kann, von ihm Geld anzunehmen, wie? Etwa infolge irgendwelcher Erwägungen?«

»Infolge von was für Erwägungen? Ich verstehe Sie nicht.«

»Um so besser, wenn du mich nicht verstehst, und ich muß gestehen, mein Freund, ich war davon überzeugt. Brisons là, mon cher, und gib dir Mühe, das Spielen aufzugeben!«

»Wenn Sie mir das doch früher gesagt hätten! Und auch jetzt sagen Sie es nur so lässig und obenhin.«

»Wenn ich es dir früher gesagt hätte, so hätten wir uns nur miteinander überworfen, und du hättest mich nicht so gern abends zu dir kommen lassen. Und du mußt wissen, mein Lieber, daß all solche frühzeitigen Ratschläge zur Rettung weiter nichts sind als ein Eindringen in ein fremdes Gewissen auf fremde Kosten. Ich habe mich oft genug in das Gewissen anderer Leute eingedrängt, und das Ende vom Lied war immer, daß ich Nasenstüber und Spott und Hohn erntete. Auf die Nasenstüber und den Spott und Hohn allerdings pfeife ich, aber die Hauptsache ist, daß man durch derartige Manöver absolut nichts erreicht: niemand hört auf einen, und wenn man noch so eindringlich redet... und alle können einen bald nicht mehr leiden.«

»Ich freue mich, daß Sie endlich einmal mit mir von etwas anderem reden als von abstrakten Dingen. Da ist noch etwas, wonach ich Sie fragen möchte; ich wollte es schon lange, habe es aber, wenn ich mit Ihnen zusammen war, nie fertiggebracht. Gut, daß wir auf der Straße sind. Erinnern Sie sich noch, wie wir an jenem Abend, an dem letzten Abend, vor zwei Monaten, in Ihrer Wohnung in meinem ›Sarg‹ beide zusammensaßen und ich Sie nach Mama und Makar Iwanowitsch befragte – erinnern Sie sich noch, wie ungeniert ich damals mit Ihnen redete? Wie konnten Sie es dulden, daß so ein Grünschnabel von Sohn in solchen Ausdrücken von seiner Mutter sprach? Und was taten Sie? Sie äußerten mit keinem Wort Ihre Mißbilligung, sondern redeten vielmehr selbst sehr zwanglos und veranlaßten mich dadurch zu noch ungenierterer Ausdrucksweise.«

»Mein Freund, es ist mir sehr angenehm, dich solche Gefühle aussprechen zu hören... Ja, ich erinnere mich sehr wohl daran, ich wartete damals tatsächlich auf ein Erröten in deinem Gesicht, und wenn ich selbst dich in deinem Ton noch bestärkte, so hatte ich dabei vielleicht gerade die Absicht, dich bis an die Grenze zu führen....«

»Und Sie haben mich nur noch mehr in die Irre geführt und den reinen Quell in meiner Seele noch mehr getrübt! Ja, ich bin von einer kläglichen Unreife und weiß manchmal selbst nicht, was schlecht und was gut ist. Hätten Sie mir damals auch nur ein ganz kleines Stückchen des richtigen Weges gezeigt, dann hätte ich das übrige schon erraten und wäre sogleich wieder auf die richtige Bahn gekommen. Aber Sie haben mich damals nur ärgerlich gemacht.«

»Cher enfant, ich habe immer geahnt, daß du und ich uns auf die eine oder andere Weise einmal in unseren Anschauungen zusammenfinden würden: diese Röte ist dir doch jetzt ganz von selbst, ohne irgendwelche Belehrung von meiner Seite, ins Gesicht gestiegen, und ich kann dir versichern, das ist für dich selbst das beste ... Ich habe wahrgenommen, mein Lieber, daß du in der letzten Zeit sehr gewonnen hast ... ob das wirklich von dem Umgang mit diesem kleinen Fürsten herkommt?«

»Loben Sie mich nicht, ich kann das nicht leiden. Lassen Sie mich nicht im Herzen den peinlichen Verdacht hegen, daß Sie mich zum Schaden der Wahrheit aus Jesuitismus loben, um sich meine Zuneigung zu erhalten. Aber in der letzten Zeit ... sehen Sie ... habe ich mit Damen verkehrt. Ich bin sehr gut aufgenommen worden, zum Beispiel von Anna Andrejewna, wissen Sie das?«

»Ich habe es von ihr selbst gehört, mein Freund. Ja, sie ist ein sehr liebes, kluges Mädchen. Mais brisons là, mon cher. Ich fühle mich heute ganz merkwürdig schlecht – ob es Hypochondrie ist? Ich führe es auf die Hämorrhoiden zurück. Wie steht es denn zu Hause? So einigermaßen? Du hast dich mit ihnen natürlich ausgesöhnt, und ihr habt euch umarmt? Cela va sans dire. Ich werde manchmal geradezu traurig, wenn ich zu ihnen zurückkehre, selbst wenn der Spaziergang unerfreulich gewesen ist. Wahrhaftig, mitunter mache ich im Regen einen unnötigen Umweg, um nur möglichst spät in dieses Heim zurückzukommen ... Und langweilig ist es da, langweilig, o Gott!«

»Mama ...«

»Deine Mutter ist das vortrefflichste, beste Wesen von der Welt, mais ... Kurz, ich bin ihrer und Lisas wohl nicht wert. Übrigens, was ist denn heute eigentlich bei ihnen los? In den letzten Tagen sind die Frauenspersonen da alle so eigentümlich gewesen ... Weißt du, ich gebe mir immer Mühe, dergleichen zu ignorieren, aber heute muß da bei ihnen doch etwas passiert sein ... Du hast nichts bemerkt?«

»Ich weiß absolut von nichts, und ich hätte überhaupt nichts bemerkt, wenn nicht diese verdammte Tatjana Pawlowna dazugekommen wäre, die sich immer mit mir herumbeißen muß. Aber Sie haben recht: da muß etwas passiert sein. Ich habe Lisa vorhin bei Anna Andrejewna getroffen; sie war auch dort schon so seltsam ... ich war ganz erstaunt über sie. Sie wissen wohl, daß sie mit Anna Andrejewna verkehrt?«

»Ja, ich weiß es, mein Freund. Aber ... wann bist du denn heute bei Anna Andrejewna gewesen, ich meine um welche Stunde? Ich muß das wegen einer Feststellung wissen.«

»Von zwei bis drei. Und denken Sie sich, als ich wegging, kam der Fürst ...«

Und nun schilderte ich ihm meinen Besuch mit der größten Ausführlichkeit. Er hörte alles schweigend an; über die Möglichkeit einer Bewerbung des Fürsten um Anna Andrejewnas Hand äußerte er kein Wort; auf meine begeisterten Lobreden über Anna Andrejewna murmelte er wieder, sie sei ein liebes Mädchen.

»Ich habe sie heute in großes Erstaunen versetzt durch die Mitteilung einer ganz frisch gebackenen Neuigkeit, die in der vornehmen Welt zirkuliert: daß Katerina Nikolajewna Achmakowa den Baron Bjoring heiraten wird«, sagte ich plötzlich, als wäre in meinem Innern auf einmal eine Schleuse aufgegangen.

»Ja? Kannst du dir das vorstellen, sie hat mir diese selbe ›Neuigkeit‹ heute schon erzählt, vor zwölf Uhr, also erheblich früher, als du sie damit in Erstaunen versetzt hast.«

»Was Sie sagen!« rief ich und blieb verwundert stehen. »Aber woher konnte sie es erfahren haben? Doch, was rede ich? Selbstverständlich konnte sie es früher erfahren haben als ich, aber denken Sie nur: sie hörte es von mir an, als sei es ihr eine vollständige Neuigkeit! Indessen ... was will ich denn? Es lebe die Toleranz! Man muß in toleranter Weise alle Charaktere gelten lassen, nicht wahr? Ich zum Beispiel hätte alles gleich weitererzählt; sie aber verwahrt es wie in einer Schnupftabaksdose ... Aber wenn auch, wenn auch, sie ist dennoch ein allerliebstes Wesen und ein vortrefflicher Charakter!«

»Oh, ohne Zweifel, ein jeder in seiner Art! Und was das Originellste ist, diese vortrefflichen Charaktere verstehen es manchmal, einen ganz außerordentlich zu befremden; stell dir das vor: Anna Andrejewna verblüffte mich heute mit der Frage, ob ich Katerina Nikolajewna Achmakowa liebe oder nicht.«

»Was für eine wunderliche, unglaubliche Frage!« rief ich, wieder wie vor den Kopf geschlagen. Es wurde mir sogar dunkel vor Augen. Noch niemals hatte ich mit ihm von diesem Thema zu reden angefangen, und nun – tat er es von selbst ...

»Welchen Grund gab sie denn für ihre Frage an?«

»Gar keinen, mein Freund, absolut gar keinen; die Schnupftabaksdose wurde sogleich wieder geschlossen, noch dichter als vorher, und vor allem ist folgendes bemerkenswert: ein solches Gespräch mit mir habe ich immer für völlig ausgeschlossen angesehen, und sie ebenfalls ... Übrigens sagst du ja selbst, daß du sie kennst, und kannst daher beurteilen, wie ihr eine derartige Frage zu Gesicht steht ... Oder weißt du etwas darüber?«

»Ich bin darüber ebenso verblüfft wie Sie. Es war wohl eine wunderliche Neugier, vielleicht ein Scherz?«

»Oh, im Gegenteil, es war die ernsthafteste Frage, die man sich nur denken kann, und eigentlich nicht eine Frage, sondern beinahe sozusagen ein Verhör, und augenscheinlich aus ganz besonderen, bestimmten Ursachen. Besuchst du sie bald wieder? Könntest du nicht etwas darüber in Erfahrung bringen? Ich möchte dich sogar darum bitten, siehst du ...«

»Aber vor allen Dingen: wie kann sie es überhaupt für möglich halten, daß Sie Katerina Nikolajewna lieben! Verzeihen Sie, ich bin immer noch ganz starr vor Staunen. Nie, nie habe ich es mir erlaubt, mit Ihnen über dieses oder ein ähnliches Thema zu reden ...«

»Daran hast du sehr klug getan, mein Lieber.«

»Ihre früheren Intrigen und Ihre früheren Beziehungen sind natürlich zwischen uns kein angemessenes Gesprächsthema, und es wäre meinerseits sogar dumm, wenn ich davon anfinge; aber gerade in der letzten Zeit, in den letzten Tagen, habe ich mehrmals im stillen für mich ausgerufen: wie hätten sich die Dinge gestaltet, wenn Sie diese Frau jemals geliebt hätten, auch nur einen Augenblick lang? Oh, dann hätten Sie nie in bezug auf sie, in Ihrem Urteil über sie den schrecklichen Irrtum begangen, den Sie nachher wirklich begangen haben! Was das Resultat dieses Irrtums gewesen ist, das weiß ich: ich weiß von Ihrer beiderseitigen Feindschaft und von Ihrem sozusagen beiderseitigen Abscheu gegeneinander; davon habe ich gehört, sehr viel gehört, schon in Moskau, aber dabei springt einem doch vor allem gerade die Tatsache der heftigen Abneigung, der erbitterten Feindschaft, also des geraden Gegenteils von Liebe in die Augen, und nun richtet Anna Andrejewna auf einmal an Sie die Frage: ›Lieben Sie sie?‹ Ist sie wirklich so schlecht unterrichtet? Ganz seltsam! Sie hat einen Scherz gemacht, ich versichere es Ihnen, sie hat einen Scherz gemacht!«

»Aber ich finde, mein Lieber«, erwiderte Wersilow, und in seiner Stimme wurde ein gefühlvoller, warmer, zu Herzen gehender Klang vernehmbar, was bei ihm nur sehr selten vorkam, »ich finde, daß auch du selbst bei diesem Gegenstand sehr lebhaft wirst. Du sagtest soeben, daß du mit Damen verkehrst ... es ist mir natürlich peinlich, dich über dieses Thema, wie du dich ausdrücktest, irgendwie auszufragen ... Aber steht vielleicht auch ›diese Frau‹ auf der Liste deiner neuen Freundinnen?«

»Diese Frau ...«, die Stimme fing mir plötzlich an zu zittern, »hören Sie, Andrej Petrowitsch, hören Sie: diese Frau ist das, was Sie heute beim Fürsten vom lebendigen Leben sagten – erinnern Sie sich? Sie sagten, dieses lebendige Leben sei etwas so Schlichtes und Einfaches und sehe einen so gerade und offen an, daß man eben wegen dieser Geradheit und Offenheit gar nicht glauben könne, daß es eben jener Schatz sei, den wir unser ganzes Leben lang mit solcher Mühe suchen ... Und nun sehen Sie: Sie, der Sie eine solche Anschauung haben, sind einer idealen Frauengestalt begegnet und haben in diesem Ideal von Vollkommenheit – ›alle möglichen Laster‹ zu finden geglaubt! Unerhört!«

Der Leser kann daraus ersehen, in welcher Ekstase ich mich befand.

»›Alle möglichen Laster!‹ Holla, diesen Ausdruck kenne ich!« rief Wersilow. »Und wenn es schon so weit gekommen ist, daß man dir von diesem Ausdruck Mitteilung gemacht hat, kann man dir dann nicht schon zu etwas gratulieren? Das bekundet eine solche Intimität zwischen euch, daß man dich vielleicht sogar wegen einer Diskretion und Verschwiegenheit loben muß, deren nur wenige Männer fähig sind ...«

Seine Stimme hatte einen so liebenswürdigen, herzlichen, lachenden Klang ... auch in seinen Worten lag etwas freundlich Aufmunterndes und ebenso in seinem hellen Gesicht, soweit ich das in der Dunkelheit erkennen konnte. Er war erstaunlich lebhaft geworden. Unwillkürlich begann ich vor Freude zu strahlen.

»Diskretion, Verschwiegenheit! O nein, nein!« rief ich errötend und drückte gleichzeitig seine Hand, die ich, ohne mir dessen bewußt zu werden, ergriffen hatte und ebenso unbewußt in der meinigen behielt. »Nein, davon ist nicht die Rede! ... Kurz, mir ist zu nichts zu gratulieren, und es kann da auch niemals, niemals etwas geschehen«, sagte ich, mühsam Atem holend, und ich flog empor, und es verlangte mich so zu fliegen, und es war mir so wohl. »Wissen Sie ... na, mag es denn einmal sein, nur dieses eine kleine Mal! Sehen Sie, mein lieber, prächtiger Papa – Sie erlauben doch, daß ich Sie Papa nenne –, über seine Beziehungen zu einer Frau, auch wenn sie von reinster Art sind, kann ein Sohn nicht mit seinem Vater, ja überhaupt niemand mit einem Dritten sprechen! Die Pflicht zu schweigen ist sogar um so heiliger, je reiner diese Beziehungen sind! Eine Verletzung dieser Pflicht wäre eine Schändlichkeit, eine Gemeinheit; kurz, ein Vertrauter ist da unmöglich! Aber wenn überhaupt nichts vorliegt, absolut nichts, dann darf man doch davon reden, nicht wahr?«

»Soviel das Herz will.«

»Eine unbescheidene, sehr unbescheidene Frage: Sie haben ja doch in Ihrem Leben Frauen kennengelernt und Verhältnisse mit ihnen gehabt? ... Ich rede nur im allgemeinen, ganz im allgemeinen, nicht von irgendeinem besonderen Fall!« sagte ich errötend; ich konnte vor Entzücken kaum die Worte deutlich aussprechen.

»Nehmen wir an, daß solche Sünden vorgekommen sind.«

»Nun, dann hören Sie sich einmal folgenden Fall an, und erklären Sie ihn mir auf Grund Ihrer größeren Erfahrung. Eine Dame sagt zu Ihnen beim Abschied, so ganz von ungefähr, und indem sie zur Seite blickt: ›Morgen um drei Uhr werde ich da und da sein‹ ... na, meinetwegen bei Tatjana Pawlowna«, entfuhr es mir, und ich flog nun endgültig in die Luft empor. Das Herz klopfte mir heftig und wollte stehenbleiben; ich machte sogar im Reden eine Pause, ich konnte nicht weiterreden. Er hörte gespannt zu.

»Nun also, am nächsten Tag begebe ich mich zu Tatjana Pawlowna und überlege beim Eintreten in das Haus: wenn mir die Köchin aufmacht – Sie kennen doch ihre Köchin? –, dann werde ich sofort fragen, ob Tatjana Pawlowna zu Hause ist. Und wenn die Köchin antwortet, Tatjana Pawlowna sei nicht zu Hause und es sitze schon eine Dame drinnen und warte auf sie – was muß ich dann daraus schließen, sagen Sie mir das, wenn Sie ... kurz, wenn Sie ...«

»Ganz einfach, daß man dich zu einem Rendezvous bestellt hat. Aber hat es denn stattgefunden? Heute stattgefunden? Ja?«

»O nein, nein, nein, es war nichts, nichts! Es hat stattgefunden, aber es war ganz anders; ein Rendezvous, aber nicht zu solchem Zweck, und das sage ich gleich im voraus, um nicht ein Schuft zu sein: es hat stattgefunden, aber ...«

»Mein Freund, das alles beginnt so interessant zu werden, daß ich vorschlagen möchte ...«

»Ich habe selbst früher jedem Bittenden einen Zehner oder Fünfundzwanziger gegeben! Für ein Schnäpschen! Geben Sie mir nur ein paar Kopeken; ein Leutnant bittet inständig, ein Leutnant außer Dienst!« Mit diesen Worten trat uns plötzlich die große Gestalt eines Bettlers, vielleicht wirklich eines früheren Leutnants, in den Weg. Das merkwürdigste war, daß er für sein Gewerbe recht gut gekleidet war und doch die Hand hinhielt.

III

Dieses wertlose Geschichtchen von dem unbedeutenden Leutnant will ich absichtlich nicht übergehen, da ich mir den ganzen Wersilow jetzt nicht anders ins Gedächtnis zurückrufen kann als mitsamt allen, auch den geringfügigsten Einzelheiten jener für ihn so verhängnisvollen Stunde. Ja, es war eine verhängnisvolle Stunde, aber ich wußte es nicht!

»Wenn Sie nicht machen, daß Sie fortkommen, mein Herr, werde ich sofort die Polizei rufen«, sagte Wersilow auffallend laut, indem er vor dem Leutnant stehenblieb. Ich hätte nie gedacht, daß ein solcher Philosoph so zornig werden könne, und noch dazu aus einem so unwichtigen Anlaß. Und dabei ist noch zu beachten, daß wir unser Gespräch gerade an der für ihn interessantesten Stelle – wie er selbst erklärt hatte – unterbrachen.

»Also haben Sie wirklich nicht einmal einen Fünfer?« schrie der Leutnant frech und schwenkte dabei den Arm. »Keine Kanaille hat ja heutzutage mehr einen Fünfer! Schurken! Halunken! Geht im Biberpelz, aber aus einem Fünfer macht er eine Staatsfrage!«

»Schutzmann!« rief Wersilow.

Aber er hätte gar nicht zu schreien brauchen; ein Schutzmann stand gerade an der Ecke und hörte selbst, wie der Leutnant schimpfte.

»Ich ersuche Sie, mein Zeuge für die mir angetane Beleidigung zu sein, und Sie ersuche ich, sich mit auf die Wache zu bemühen«, sagte Wersilow.

»Ach was, mir ganz egal, beweisen können Sie gar nichts! Und besonders keinen Verstand!«

»Lassen Sie ihn nicht weg, Schutzmann, und kommen Sie mit uns mit!« sagte Wersilow in energischem Ton.

»Wollen wir denn wirklich auf die Wache gehen? Hol den Kerl der Teufel!« flüsterte ich ihm zu.

»Unbedingt wollen wir hingehen, mein Lieber. Diese Unverschämtheit auf unseren Straßen wird einem schließlich denn doch zu bunt, und wenn jeder seine Pflicht täte, so wäre das für alle ein Segen. C'est comique, mais c'est ce que nous ferons.«

Während der ersten hundert Schritte benahm sich der Leutnant sehr aufgeregt, spielte den Mutigen und renommierte; er behauptete, das sei unzulässig, wegen eines Fünfers und so weiter und so weiter. Aber schließlich fing er an, dem Schutzmann etwas zuzuflüstern. Der Schutzmann, ein vernünftiger Mensch und offenbar ein Feind von Straßenszenen, schien auf seiner Seite zu sein, aber doch nur in gewissem Sinne. Auf seine Fragen antwortete er ihm halblaut, jetzt ginge es nicht mehr, jetzt sei die Sache anhängig gemacht; »wenn Sie aber vielleicht um Entschuldigung bitten wollten und der Herr sich bereit fände, die Entschuldigung anzunehmen, dann könnte man wohl ...«

»Na, hö–ören Sie mal, verehrter Herr, wo gehen wir denn hin? Ich frage Sie: wohin begeben wir uns, und was ist für ein Witz dabei?« schrie der Leutnant laut. »Wenn ein unglücklicher Mensch in seinem Mißgeschick bereit ist, um Entschuldigung zu bitten ... wenn Sie schließlich verlangen, daß er sich demütigt ... Hol's der Teufel, wir sind hier doch in keinem Salon, sondern auf der Straße! Für die Straße ist diese Entschuldigung ausreichend! ...«

Wersilow blieb stehen und brach plötzlich in ein Gelächter aus; ich dachte schon beinahe, er hätte diese ganze Geschichte nur spaßeshalber in Szene gesetzt, aber dem war nicht so.

»Ich nehme Ihre Bitte um Entschuldigung an, Herr Offizier, und bestätige Ihnen, daß Sie ein Mann mit Fähigkeiten sind. Handeln Sie so nur auch im Salon – bald wird ein solches Verhalten ja auch für den Salon vollkommen genügen –, einstweilen aber nehmen Sie hier diese beiden Zwanziger, trinken Sie dafür einen Schnaps und essen Sie etwas dazu! Entschuldigen Sie die Belästigung, Schutzmann; ich würde mich gern auch Ihnen für Ihre Mühe erkenntlich zeigen, aber die Schutzleute haben jetzt ein so vornehmes Wesen ... Mein Lieber«, wandte er sich an mich, »hier ist eine kleine Kneipe, in Wirklichkeit eine fürchterliche Kloake, aber man kann dort Tee trinken, und ich möchte dir den Vorschlag machen ... da ist sie schon gleich, komm nur!«

Ich wiederhole: ich hatte ihn noch nie in solcher Erregung gesehen, obwohl sein Gesicht heiter aussah und geradezu strahlte; aber ich bemerkte, daß, als er die beiden Zwanziger aus dem Portemonnaie herausnehmen wollte, um sie dem Offizier zu geben, ihm die Hände zitterten und die Finger ihm absolut nicht gehorchen wollten, so daß er schließlich mich bat, das Geld herauszunehmen und dem Leutnant zu geben; ich kann das nicht vergessen.

Er führte mich in ein kleines Kellerlokal am Kanal. Gäste waren nur wenige da. Ein verstimmtes, heiseres kleines Orchestrion spielte, es roch nach fettigen Servietten; wir setzten uns in eine Ecke.

»Du weißt es vielleicht nicht? Aus Langeweile... aus schrecklicher seelischer Langeweile ... gehe ich manchmal gern in allerlei solche Kloaken. Diese ganze Einrichtung, diese holprige Arie aus der »Lucia«, diese Kellner in ihren unanständig unsauberen russischen Kostümen, dieser Tabaksqualm, dieses aus dem Billardzimmer hereintönende Geschrei, alles das ist so gemein und prosaisch, daß es nahezu ans Phantastische grenzt. Na also, wie steht es, mein Lieber? Dieser Marsjünger hat uns ja wohl gerade an der interessantesten Stelle unseres Gesprächs unterbrochen ... Aber da ist auch der Tee; ich liebe den Tee hier ... Denk dir nur, Pjotr Ippolitowitsch behauptete vorhin seinem andern, pockennarbigen Mieter gegenüber, es sei im vorigen Jahrhundert im englischen Parlament eigens eine Kommission von Juristen eingesetzt worden, um den ganzen Prozeß Christi vor dem Hohenpriester und Pilatus zu revidieren, einzig und allein, um festzustellen, wie die Sache nach unseren Gesetzen abgelaufen wäre, und alles sei in feierlichster Form, mit Advokaten, Staatsanwälten und so weiter, durchgeführt worden ... na, und die Geschworenen hätten sich genötigt gesehen, ein verurteilendes Verdikt zu fällen ... Eine wunderliche Geschichte! Der dumme Kerl, der Mieter, betritt die Sache, erboste sich, überwarf sich mit seinem Wirt und erklärte, er werde morgen ausziehen ... Die Wirtin fing an zu weinen, weil sie dadurch ihre Einnahme verliert ... Mais passons! In diesen kleinen Kneipen werden manchmal Nachtigallen gehalten. Kennst du die alte Moskauer Anekdote à la Pjotr Ippolitowitsch? In einer Moskauer Kneipe singt eine Nachtigall; es kommt ein Kaufmann herein, so einer mit dem Grundsatz: ›Was mir Spaß macht, darf mir niemand verwehren.‹ Er fragt: ›Was kostet die Nachtigall?‹ – ›Hundert Rubel.‹ – ›Braten und auftragen!‹ Sie wurde gebraten und aufgetragen. ›Schneide mir für zehn Kopeken ab!‹ Ich habe diese Geschichte einmal Pjotr Ippolitowitsch erzählt; aber er glaubte sie nicht und war sogar entrüstet darüber ...«

Er erzählte noch vieles. Ich führe diese Bruchstücke nur als Proben an. Er unterbrach mich fortwährend, sowie ich nur den Mund öffnete, um meine Erzählung zu beginnen, und fing irgendwelches wunderliches, gar nicht dahingehöriges Zeug zu reden an; er redete lebhaft und vergnügt, lachte Gott weiß worüber und kicherte sogar, was ich bei ihm noch nie erlebt hatte. Er trank ein Glas Tee in einem Zuge aus und goß sich ein neues ein. Jetzt ist mir das verständlich: er glich damals einem Menschen, der einen wertvollen, interessanten, lange erwarteten Brief erhalten hat und nun vor sich hinlegt und absichtlich nicht öffnet, sondern vielmehr lange in den Händen hin und her dreht, das Kuvert und das Siegel betrachtet, ins Nebenzimmer geht, um etwas zu besorgen, kurz, den interessanten Augenblick hinausschiebt, weil er weiß, daß er ihm nicht mehr entgehen kann, und alles das, um den Genuß noch zu steigern.

Ich erzählte ihm natürlich alles, alles von Anfang an, und erzählte vielleicht eine Stunde lang. Und wie hätte es auch anders sein können; ich hatte schon vorher von Begierde zu reden gebrannt. Ich begann mit unserer allerersten Begegnung, damals beim alten Fürsten nach ihrer Ankunft aus Moskau; dann erzählte ich, wie das alles Schritt für Schritt weitergegangen war. Ich ließ nichts weg und konnte auch nichts weglassen; er selbst führte mich auf vieles hin, erriet vieles und sprang mit ein. Manchmal schien es mir, als gehe etwas Phantastisches vor, als habe er jedesmal während dieser ganzen zwei Monate dort irgendwo hinter der Tür gesessen oder gestanden: er wußte jede meiner Gebärden, jedes meiner Gefühle im voraus. Ich empfand einen unbeschreiblichen Genuß bei dieser Beichte, die ich ihm ablegte, denn ich gewahrte bei ihm eine so herzliche Milde, ein so feines psychologisches Verständnis, eine so erstaunliche Fähigkeit, aus einem Viertelwort alles zu erraten. Er hörte mit zarter Teilnahme zu wie eine Frau. Vor allen Dingen verstand er es so einzurichten, daß ich mich über nichts schämte; manchmal hielt er mich bei irgendeiner Einzelheit fest, oft unterbrach er mich und wiederholte nervös: »Vergiß die Einzelheiten nicht, vor allen Dingen vergiß nicht die Einzelheiten: je kleiner ein Nebenumstand ist, um so wichtiger ist er mitunter.« In dieser Weise unterbrach er mich mehrere Male: Oh, selbstverständlich redete ich anfänglich sehr von oben herab, als stünde ich hoch über ihr, aber bald wurde meine Darstellung wahrheitsgemäß. Ich erzählte ihm aufrichtig, daß ich nahe daran gewesen war, mich hinzuwerfen und die Stelle des Fußbodens zu küssen, wo ihr Fuß gestanden hatte. Das Schönste, Prächtigste war, daß er vollkommenes Verständnis dafür aufbrachte, daß sie unter der Angst wegen jenes Schriftstückes leiden und gleichzeitig doch das sittlich reine, untadelige Wesen bleiben konnte, als das sie sich mir heute gezeigt hatte. Ebenso hatte er vollkommenes Verständnis für den Ausdruck »Student«. Aber als ich schon ziemlich an das Ende meines Berichts gelangt war, bemerkte ich, daß durch sein gutherziges Lächeln von Zeit zu Zeit eine starke Ungeduld, eine gewisse Zerstreutheit und Nervosität in seinem Blick durchschimmerte. Als ich bei dem Schriftstück angelangt war, überlegte ich mir im stillen, ob ich ihm die ganze Wahrheit sagen sollte oder nicht, und ich sagte sie ihm nicht, trotz all meiner Begeisterung. Das notiere ich hier zur Erinnerung für mein ganzes Leben. Ich setzte ihm die Sache ebenso auseinander wie ihr, das heißt, indem ich von Krafft erzählte. Seine Augen begannen zu glühen; eine sonderbare Falte bildete sich vorübergehend auf seiner Stirn, eine sehr finstere Falte.

»Was diesen Brief betrifft, erinnerst du dich auch ganz genau, mein Lieber, daß Krafft ihn an der Kerze verbrannt hat? Irrst du dich da nicht?«

»Nein, ich irre mich nicht«, versicherte ich.

»Die Sache ist die, daß dieses Schriftstück für sie von größter Wichtigkeit ist, und wenn du es heute in Händen hättest, so könntest du heute ...« (Aber was ich »könnte«, das sagte er nicht mehr.) »Also wie ist's? Hast du es jetzt nicht in Händen?«

Innerlich fuhr ich heftig zusammen, aber äußerlich nicht. Äußerlich verriet ich mich durch nichts und zuckte nicht einmal mit den Wimpern; aber ich wollte immer noch nicht glauben, daß die Frage ernst gemeint sei.

»Wie meinen Sie das: ›in Händen haben‹? Jetzt soll ich es in Händen haben? Aber wenn es doch Krafft damals verbrannt hat?«

Jetzt

»Hat er das getan?« fragte er, indem er einen brennenden, starren Blick auf mich richtete, der mir unvergeßlich ist. Übrigens lächelte er wieder, aber sein ganzer bisheriger gutmütiger, frauenhafter Gesichtsausdruck war plötzlich verschwunden. Seine Miene zeigte eine gewisse Unsicherheit und Verwirrung; seine Zerstreutheit nahm immer mehr zu. Hätte er sich damals mehr in der Gewalt gehabt, nämlich in dem Maße, wie es bis zu diesem Augenblick der Fall gewesen war, so würde er die Frage wegen jenes Schriftstücks nicht an mich gerichtet haben; wenn er es doch tat, so geschah das sicherlich, weil er selbst die ruhige Überlegung verloren hatte. Übrigens rede ich so erst jetzt; damals aber verstand ich die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, nicht so schnell; ich flog immer noch durch die Luft, und in meiner Seele klang immer noch dieselbe Musik. Aber meine Erzählung war beendet; ich sah ihn an.

»Aber eines ist doch wunderlich«, sagte er auf einmal, als ich schon alles bis auf das letzte Tüpfelchen erzählt hatte, »eines ist doch sehr sonderbar, mein Freund: du sagst, daß du von drei bis vier dort gewesen bist und Tatjana Pawlowna nicht zu Hause war?«

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