Kitabı oku: «Schnee von gestern», sayfa 3
Hermann Maier statt Wolfgang Schüssel
Wie man Ski fährt, ist eine Stilfrage, somit geschmacksabhängig. Wobei – eigentlich nicht so ganz. Der Westösterreicher erkannte den Ostösterreicher auf den ersten Blick, speziell den Wintersportler aus Wien: an seinem verkrampften Bemühen, die Beine zusammenzuhalten. Der Parallelschwung war das Maß aller Dinge, aber nicht alle beherrschten ihn. Dieses Kurzschwingen um jeden Preis, egal wie Gelände und Schnee auch beschaffen waren, galt dem Pistenkönig aus dem Osten als Ausweis seiner Meisterschaft, für die Einheimischen war es ein Grund zum Lachen. Genauso wie eine Plakette vom bevorzugten Skiurlaubsort am Autoheck. Die Ost-Wedler wedelten in erster Linie mit den Schultern und dem Hintern, an den Skiern konnte man kaum mehr eine Richtungsänderung wahrnehmen. Aber auch sie lernten dazu. Nach der Jahrtausendwende haben wir diese Form des Skifahrens schließlich noch einmal gesehen, als der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel seine Wedelkünste vor der Kamera an die Wähler bringen wollte.
Auch hier müssen wir neidlos zugestehen, dass Carvingskier die Wende zum Besseren brachten und dem guten alten Riesentorlaufschwung, der immer schon der König der Schwünge war, zum Durchbruch verhalfen. Hermann Maier gilt bis heute noch als Vorbild für die Frage, wie das gute Skifahren auszusehen hat. Der Richtungsstreit wurde zugunsten von breitbeinig entschieden. Nur ein paar Verklemmte klemmen immer noch die Beine zusammen.
Unser Feind, der Snowboarder
Zum Skifahren gab es damals grundsätzlich nicht so viele Alternativen. Im Sommer ging man Rad fahren und schwimmen, im Winter rodeln und Ski fahren. Langlaufen war für uns Spazierengehen mit Skiern an den Füßen. Und mit Spazierengehen konnte man uns jagen. Sonst spielten weder die Verlockungen von Computerkonsolen noch die Alternativen von Winterurlaub in warmen Gegenden eine ernsthafte Rolle. Doch wurde uns auch auf der Piste eine wichtige Entscheidung abgenommen. Es gab nur Skier, keine Snowboards. Wo heute Kinder und Jugendliche hin- und hergerissen sind, weil sie sich nicht zwischen Skiern und Snowboards entscheiden können – und oft am Ende beides nicht ordentlich erlernen –, gab es früher keine Alternative. Die größten Exoten waren Skibob- und Telemark-Skifahrer. Aber dass wir unsere Pisten einmal mit einer völlig anderen Spezies würden teilen müssen, war für uns völlig unvorstellbar.
Als die ersten Monoskier auftauchten, amüsierten uns die ungelenken Versuche Einzelner, eine Piste zu bezwingen, ohne die Beine bewegen zu können. Noch waren wir unbesiegbar, wir ahnten nicht, dass die Snowboarder unsere Welt aus den Angeln heben würden. Alles, was wir Skifahrer an Disziplin und Ehrenkodex erlernt hatten, zogen Snowboarder mit provokanter Lässigkeit ins Lächerliche. Uns war etwa eingeimpft worden, wenn dann nur am Pistenrand zu pausieren – im Idealfall fuhr man, ohne anzuhalten, bis zum nächsten Lift – und sich niemals hinter einer Kuppe zu versammeln. Dort war nun ohnehin kein Platz mehr. Wenn den Snowboardern nach Pause war, ließen sie sich wie fette Schmeißfliegen im Schwarm bevorzugt hinter einer Kante mitten auf der Piste nieder und hatten alle Zeit der Welt.
Waren wir ausdrücklich angehalten worden, im unberührten Tiefschnee Spuren dicht an dicht zu setzen, damit auch für andere noch genug unverspurter Hang übrig blieb, pflügten die Snowboarder mit großzügigen Schwüngen quer über den Berg. Um ihn zu markieren, meinten wir und hassten die demonstrative Individualität, die sie unserer Angepasstheit entgegensetzten. Mit den Snowboardern hielt eine Rücksichtslosigkeit, aber auch Unbeschwertheit auf den Bergen Einzug, die beide für uns dort nichts zu suchen hatten. Dennoch beneideten wir sie insgeheim, den Berg so unbekümmert für sich allein zu beanspruchen. Und besser angezogen waren sie obendrein.
Völkl fährt man nicht
So wie ein Franzose heute noch Erklärungsbedarf hat, wenn er ein Auto aus nicht französischer Produktion fährt, mussten es für uns natürlich österreichische Skier sein. Die Devise: Einen Völkl fährt man nicht. Niemals. Den fuhren deutsche Touristen, die sich schlecht benahmen und noch schlechter Ski fuhren. Auch ein Rossignol-Ski war völlig ausgeschlossen. Doch auch heimische Fabrikate signalisierten strenge Fraktionszugehörigkeit. Ein Kästle war ein Skilehrerski (den konnte man nur fahren, wenn man gut genug war), Fischer, Blizzard und Atomic so unterschiedlich wie die Weltreligionen. Und Kneissl blieb immer abgeschlagen. Nur als Franz Klammer mit Kneissl Rennen gewann, kam so manches Weltbild ins Wanken.
Das Material war wichtig. Und es musste uns gehören. Dass ein Leihski auch Vorteile mit sich bringen könnte, hatte sich noch nicht herumgesprochen. Skiausleihen war etwas für Gelegenheitssportler. Wir wünschten uns eine neue Ausrüstung zu Weihnachten und hatten ganz genaue Vorstellungen, welches Produkt es zu sein hatte. Ein Ski musste grundsätzlich möglichst hart und lang sein. Je besser der Fahrer, desto größer die Differenz zwischen Körper- und Skilänge. Jeder Schwung wollte erkämpft sein. Noch immer fühlen wir uns ein bisschen lächerlich, wenn ein Carvingski fünf Zentimeter unter unserem Kinn endet.
Auch die Wahl der Bindung war ein Offenbarungseid. Es gab zwei gängige Modelle: Salomon oder Tyrolia. Während man in die Salomonbindung einfach hineinsteigen konnte, musste man die Tyroliabindung, bevor man mit dem Skischuh hineinsteigen konnte, noch einmal fixieren, dabei gab es eine Variante für den wahren Kenner: die Markerbindung. Unsere Bindung an die Lieblingsmarke hält bis heute an.
Aus der Jethose ins Schneehemd
Das Outfit auf der Piste war natürlich wichtig. Grundsätzlich gab es zwei Skimoden-Philosophien. Die eine war eher am Rennsport orientiert. Man trug eine Jethose, eng anliegend, oft mit gepolsterten Knien und straffen Hosenträgern, die gar nicht notwendig gewesen wären, weil ohnehin nichts mehr rutschen konnte. Oben herum kombinierte man dazu in kalten Monaten einen Anorak, den Osterskilauf bestritt man in Pullover und Jethose, was als besonders schick galt. Zur Jethose passten gut Rennhandschuhe, die ein bisschen höher hinaufreichten als bis zum Handgelenk. Sie waren gepolstert, um sich nicht an den Stangen zu verletzen – obwohl wir natürlich nicht zwischen Stangen fuhren. Zum Rennoutfit gehörten eine Zeit lang auch gebogene Stöcke, die man in der Hocke besonders aerodynamisch unter die Arme klemmen konnte. Zum normalen Skifahren bewährten sie sich allerdings kaum.
Das Gegenstück zur Jethosen-Fraktion waren diejenigen, die auf den Overall schworen. Der Einteiler hatte gegenüber der Hosen-Anorak-Kombination einen beträchtlichen Vorteil: Stürzte man, war kein Spalt zwischen Jacke und Hose, durch den der kalte Schnee an die Haut gelangen konnte, wo er dann langsam schmolz. Auch dem Wind am Sessellift hielt der Overall besser stand. Es gab aber auch einen nicht zu unterschätzenden Nachteil: Auf der Toilette blieb der Einteiler eine Herausforderung.
Ein Kleidungsstück schlug zu unserer Zeit aber alles andere: ein roter Schilehrer-Anorak mit dem entsprechenden Skischulabzeichen. Und noch eine Sache einte fast alle: untendrunter, aber noch über der Skiunterwäsche trug man ein Mäserleiberl. Das „M“ am umgeklappten Stehkragen mit kleinem Zippverschluss passte immer, egal welcher Outfitgruppe man sich letztlich zugehörig fühlte.
Ausschließlich Skilehrer trugen Rucksäcke, für Gummibärli, Schnaps und die obligate Schaufel. Notwendige Utensilien – Sonnencreme, Schokolade, Geld – wurden im sogenannten „Wimmerl“ untergebracht, einer Bauchtasche, die immer idiotisch aussah, egal ob man sie hinten oder vorne trug. Diese unentbehrliche Tasche wurde auch „Banane“ genannt. Erstaunlicherweise sind Bauchtaschen, die auch bei Interrailreisen mitdurften, heute wieder im Trend.
Noch vor der Erfindung der Snowboards begann sich der starre Dresscode zu lockern. Plötzlich war es schick, in Jeans die Pisten hinunterzufahren, ein Trend, der ein paar Jahre zuvor noch undenkbar gewesen war. Wer einmal stürzte, fror sich zu Tode. Jeans zu tragen hieß also, ein garantiert sturzfreier Fahrer zu sein. Dieser Größenwahn rächte sich von allein.
Auch dünne Nylonoveralls und Schneehemden der Marke „Champion“ in Neonfarben (Gelb, Grün, Pink), die man einfach über die Zivilkleidung streifte, waren eine fast unerhörte Neuerung. Heute schauen wir immer noch ein bisschen neidisch und ungläubig auf die Snowboard-Outfits. Vor allem für diese Schuhe hätten wir getötet.
Vorfahren, Frieren, Flaschendrehen
Einer der Fixpunkte im Schulkalender der 1980er-Jahre war der Schulskikurs. Von Vorarlberg bis Wien obligatorisch, von vielen herbeigesehnt, von manchen auch ein bisschen gefürchtet. Der Skiausflug mit der Schulklasse war nämlich nichts für verweichlichte Naturen. Zum einen wegen des Reisezeitpunktes. Weil Skifahren immer schon teuer war, sucht man möglichst eine Woche in der Nebensaison, vorzugsweise im saukalten Jänner oder Februar in einem abgelegenen Skigebiet, das idealerweise noch als Schneeloch verschrien war. Und während man in den Skiferien mit den Eltern bei Schlechtwetter zumindest partiell auf Gnade hoffen konnte – „Gut, heute hören wir schon zu Mittag auf und gehen noch ins Hallenbad“ –, war das Nine-to-four beim Schulskikurs nicht verhandelbar.
Egal ob es schneite, nebelig war, minus 20 Grad hatte oder alles zusammen, die Gruppe brach im Morgengrauen auf. Wobei das natürlich schon auch stark vom Lehrer abhängig war, der eine Gruppe leitete. Da konnte man dem gefürchteten Sportprofessor zugeteilt werden, der allein nach 16 Uhr die Tourenski anschnallte, um sich noch ein bisserl an der frischen Luft zu bewegen (den gab es wirklich, Name den Autoren bekannt), für den jede Minute länger in der Hütte eine persönliche Niederlage war. Oder eben jene Geschichtelehrerin, die prinzipiell eher eine Anhängerin des Sonnenskilaufes war und auch der Geschichte der Hüttenkultur durchaus etwas abgewinnen konnte.
Nicht nur die Witterung, auch das Quartier war häufig nichts für schwache Nerven: Spartanische Jugendherbergen mit Sechs- bis Achtbettzimmern samt fragwürdigsten Sanitäreinrichtungen am Gang und wirklich grenzwertiger Verpflegung. Vom hygienischen Aspekt her war es immerhin ein Riesenvorteil, dass sich jenseits der Baumgrenze und bei zweistelligen Minusgraden auch das Ungeziefer schwertat zu überleben.
Neben diesen allgemeinen Umständen, die einen Schulskikurs zur Bewährungsprobe machen konnten, kamen auch noch zwei höchstpersönliche Schicksalsentscheidungen dazu: Welcher Gruppe wirst du zugeteilt? Und in welches Zimmer kommst du? Die Zimmerbesetzung wurde schon Wochen vor dem Skikurs heftig diskutiert. Gehörte man nicht zu jenen in der Klasse, die den Ton angaben, musste man taktisch sehr genau überlegen, auf welches Zimmer man setzte. Ging man auf Nummer sicher und entschied sich für ein faderes Zimmer, das man aber dafür fix hatte? Oder ging man aufs Ganze, bewarb sich um einen Platz in einem Zimmer mit einer begehrten Partie, mit der Gefahr, plötzlich ins schlechteste Zimmer zu müssen, wenn das Topzimmer ein Sechs- statt ein Achtbettzimmer zugewiesen bekam. Von solchen Zufälligkeiten hing der Erfolg oder Misserfolg bei einem Skikurs ganz wesentlich ab.
Vor allem aber auch von der Gruppenzugehörigkeit. Doch die wurde nicht durch wochenlanges Mauscheln samt Bestechungsversuchen im Dunkeln entschieden, sondern beim sogenannten Vorfahren am helllichten Tag. Dazu musste man nach einer langen Anreise mit einem Bus gleich nach der Ankunft in voller Skimontur antreten. Da die Liftkarten aber erst ab dem nächsten Tag gültig waren, fand das Vorfahren meist auf dem Schlusshang der Talabfahrt statt, den wir zu Fuß hinaufgehen mussten. Nachdem der Lift schon abgedreht worden war, steckte dort am steilsten Stück des Hanges einer der Turnlehrer ein paar Tore aus, und wir mussten vor den Augen der Schulskikursbetreuer, aber vor allem auch vor den Augen aller Parallelklassen, die mit auf Skikurs waren, vorfahren. Und diese vier Schwünge entschieden über Leben und Tod. Denn speziell in Westösterreich war die Zugehörigkeit zur „Ersten Gruppe“ schon ziemlich wichtig für den Rang in der Hackordnung der Klasse. Hier und bei der Zimmereinteilung konnte sich also schon am ersten Tag entscheiden, ob die Skiwoche ein Flop oder ein Highlight wurde.
Dass der Skikurs nichts für Weicheier war, bewahrheitete sich meist schon am zweiten oder dritten Tag. Denn es galt, vor allem auch für weniger sportliche Mitschüler, mit den Kräften hauszuhalten. Denn in der Nacht spielte es sich in den und zwischen den Mehrbettzimmern ziemlich ab. Die Höhenluft und das straffe Tagesprogramm sorgten dafür, dass die Aufsichtspersonen fest schliefen – übrigens auch nicht immer in den eigenen Betten, was wir allerdings erst viel später erfuhren. Was uns erhebliche Freiheiten gab: Da machte mehr als eine heimlich beim ADEG gekaufte Flasche Lambrusco die Runde. Flaschendrehen gehörte danach ohnehin zum Pflichtprogramm. Und ein gängiges Burschenritual war, das Waschbecken (gerne auch vor Publikum) als Toilette zu nützen. Wie gut, dass es noch keine Smartphones gab.
Am nächsten Tag mussten wir trotz aller nächtlichen Aktivitäten pünktlich um neun Uhr auf der Piste sein. Die Müdigkeit ließ die Kälte noch kälter erscheinen.
Höhepunkt jedes Schulskikurses war der letzte Abend vor der Heimreise, der sogenannte „Bunte Abend“. Da spielte jedes Zimmer einen Sketch vor, in dem sich meist über Anwesende lustig gemacht wurde. Die Lehrer wirkten zu diesem Zeitpunkt meist schon etwas geschlaucht. Danach gab es „Disco“, und wer noch nicht verknallt war, war es spätestens nach dem obligaten Lied aus „La Boum“. Wir dachten wirklich, es sei der schönste Abend unseres Lebens.
Single am Dreiersessellift
Skifahren im Teenageralter war das Fischen in einem Pool ungeahnter Möglichkeiten. Es war bereits ein Erfolg, es auf eine Liftfahrt mit einem unbekannten gut aussehenden Wesen zu bringen. Selbstverständlich ohne ein Wort zu wechseln.
Schon der Doppelsessellift war eine Revolution für zwischenmenschliche Kontakte, den Durchbruch aber brachte der Dreiersessellift, der Gruppen zwang, sich aufzuteilen. Darauf achtete schon der Liftwart, der herrisch und in meist unverständlichen, aber stets unfreundlichen Worten für Ordnung sorgte. So lernte man einander also kennen. Durch geschicktes Anstellen konnte man dem Schicksal durchaus nachhelfen: Das Warten wurde zu einer einzigen strategischen Annäherung an ansehnliche Objekte. Wobei schon beim Anstellen klar war, wer „lässig“ war, wie das damals hieß, und wer nicht. Den coolen Skifahrer erkannte man an seiner Haltung. Es war der, der die Stöcke vorne in die Bindung steckte (zwischen Schuh und Vorderbacken) und sich unbeeindruckt vom Gedränge um ihn herum auf die unter die Achseln geklemmten Griffe lehnte. Gegen diesen Typ hatten es alle schwer, die schon bei leichtem Gefälle ins Rutschen kamen und verzweifelt mit vielen Entschuldigungen anderen über die Skier fuhren, um sich am Ende ziemlich unwürdig an irgendeinem Pfosten festzuklammern.
Anstehende Mädchen zu taxieren war für aufs Aussehen fixierte Burschen gar nicht so einfach. Denn unter einer Anorakwolke, die fast bis zu den Knien reichte, war die Figur darunter nur schwer auszumachen. Und nicht einmal, ob das Gesicht den Schönheitsanforderungen entsprach, ließ sich wegen monströser Hauben und unförmiger Skibrillen verlässlich sagen. So haben wir unsere blauen Wunder erlebt: Da schälten sich aus entstellenden Daunenhaufen zarte Schönheiten heraus, umgekehrt waren gute Skifahrerinnen, die uns auf der Piste begehrenswert erschienen waren, in Zivilkleidung plötzlich völlig entzaubert.
Wenn man sich schon kannte, begann das Was-sich-liebt-das-neckt-sich-Spiel am Skilift. Man zog sich an den Hauben, rutschte einander näher: Natürlich ging es vor allem um das Herstellen von Körperkontakt. Schaffte man es am Sessellift zwar nicht neben die Richtige, aber zumindest auf den Sessel davor, konnte man sich während der ganzen Fahrt umdrehen, nach hinten schauen und rufen. Die Objekte der Begierde waren so für zumindest die Dauer der Fahrt rettungslos ausgeliefert.
Der Schlepplift bot ganz andere Möglichkeiten. Ein besonders perfider Streich war Burschen vorbehalten: Man öffnete unbemerkt das Schnapperl der Tyrolia-Bindung, kurz bevor das Opfer den Schlepplift bestieg. Ging dann der Bügel auf Zug, öffnete sich die Bindung und der Betreffende wurde aus der Spur katapultiert. Danach musste meist der Lift kurz abgeschaltet werden, da das Opfer mitten im Einstiegsbereich zu liegen kam. Es wurde viel gelacht und viel geschimpft. Der Liftwart drohte, uns den Skipass abzunehmen.
Beim Schleppliftfahren gab es eine Reihe von Methoden, den Mädchen zu imponieren. Wir verließen die Spur, um uns durch den Tiefschnee schleppen zu lassen, öffneten einander die Bindung oder zogen freiwillig einen Ski aus, um uns danach publikumswirksam gegen das Hinausfallen zu wehren. Es gab auch eine Brachialmethode, um Kontakt zu knüpfen. Man ließ sich absichtlich fallen, wartete neben der Spur und versuchte, als Dritter an einem „Mädchenbügel“ mitzufahren. Was fast immer mit dem Ausfall von allen dreien endete. Diese Methode führte aber eher nicht zu irgendeinem nennenswerten Ergebnis.
Für das Ausgehen am Abend waren wir noch zu jung. Es wurden Nummern ausgetauscht – natürlich Festnetz, oft stimmten sie nicht. Nur in den seltensten Fällen traf man sich in Zivilkleidung im Zivilleben wieder. Die Erinnerung an kalte Küsse hoch oben auf dem Sessellift schien dann wie aus einer anderen Welt. Das Fördervolumen der Lifte ist im Lauf der Jahre immer größer geworden. Am Sechsersessellift will sich niemand mehr küssen. Und beim Anstellen haben alle ihre Handys in der Hand. Und keine Augen für die anderen.
Skifahren, das war auch ein Fernsehsport
In der Welt, von der wir erzählen, gab es noch strenge Tabus. Damit sind nicht nur die moralisch-sexuellen gemeint. Tabus lauerten noch hinter jeder Ecke. Ein großes Tabu war das Fernsehen untertags. Nur im Krankheitsfall durfte der Fernsehapparat schon am Vormittag eingeschaltet werden. Da gab es die mittlerweile zum Kult gewordenen Sprachkurse, und die Physiognomie der Russischlehrerin prägte eine ganze Bubengeneration. Danach kam der klassische Vormittagsfilm. Er brachte uns Kindern neben dem Nuscheln von Hans Moser auch Wesentliches bei. Etwa dass Heimatliebe viel mit Singen und noch viel mehr mit blühenden Bäumen und großen Dekolletés zu tun hatte. Oder dass es keinen stärkeren Mann als Bud Spencer gab. Nur bei ihm klatschten Ohrfeigen richtig laut und brachen Sessel krachend auseinander. Wir versuchten, ebenso schallende Watschen zu verteilen, bevorzugt an jüngere Geschwister, scheiterten aber trotz vieler Versuche am gewünschten Sound. Heute bringen Toneffekte keine Kinder mehr aus dem Häuschen.
Dank der Elvis-Presley-Filme lernten wir eine Sehnsucht kennen, die wir später als Fernweh benennen konnten. Und Sissi war für die Mädchen unter uns die Prinzessin, die man selbst so gerne gewesen wäre. Der Vormittagsfilm half angeblich beim Gesundwerden, aber auch der Mutter beim Durchschnaufen. Damals wurde streng darauf geachtet, dass die fieberfreien Tage (mindestens zwei) eingehalten wurden, bevor wir wieder in die Schule durften. Unseren Kindern gönnen wir das heute nicht mehr.
Im Normalfall durfte der Fernsehapparat frühestens um 17 Uhr eingeschaltet werden. Was prinzipiell auch nicht so schwierig war, da es ohnehin nur zwei Sender gab. Welche Auswahl uns später zur Verfügung stehen und dass es einmal eine Fernbedienung geben würde, konnten wir noch nicht ahnen. Es wurde manuell umgeschaltet, wobei diese bedeutsame Handlung nicht von allen Familienmitgliedern gleichberechtigt gesetzt werden durfte.
Kinderprogramm lief nur am sogenannten Vorabend. Die schlimmste vorstellbare Form des verbotenen Tagsüber-Fernsehens war das Fernsehen während des Essens. Ein sogenannter „Fernsehfraß“ war schon abends eine riesengroße Ausnahme. Und wurde vor allem dann praktiziert, wenn der Herr des Hauses – auch so etwas war noch gang und gäbe –, dieses verlassen hatte. Zum Beispiel für einen Abendtermin oder eine Dienstreise. Dann erlaubten es die Mütter, ganz ausnahmsweise das Abendessen vor den Fernsehapparat zu verlegen. „Wickie und die starken Männer“, „Biene Maja“ und „Heidi“ liefen da zum Beispiel oder „Mein Onkel vom Mars“ und „Mondbasis Alpha 1“, wenn wir am niedrigen Tisch vor der Sitzgruppe unser Abendessen einnehmen durften. Auch wenn sich Fernsehen seit damals revolutioniert hat: Das meiste, was wir damals sahen, läuft heute immer noch. Auch unsere Kinder lieben Maja. Und hassen das Fräulein Rottenmeier.
Doch wurde ein Skirennen im Fernsehen übertragen, war auf einmal alles anders. Plötzlich war es der ganzen Familie erlaubt, beim Mittagessen – die Skiübertragungen liefen meistens zu Mittag – vom Esstisch aus zum Fernseher zu schauen. Denn das Skifahren war auch als Fernsehsport ein Volkssport. Die Kommentatoren des öffentlich-rechtlichen Fernsehens waren Teil der Familie. Über Jahrzehnte hinweg wurden die Rennen von denselben Reportern begleitet, die regelmäßig die Fassung verloren. Entweder wegen eines überraschenden Erfolges oder einer schmerzhaften Niederlage. Journalistische Ansprüche gab es keine. Nationalismus und Emotionen beherrschten die Skiübertragungen.
So wie die Deutschen damals für uns in allen anderen Bereichen der (kaum bezwingbare) Konkurrent waren, stellten im Skisport die Schweizer den Gegenpol dar. Eine Niederlage war dann nur halb so wild, wenn auch kein Eidgenosse auf dem Stockerl stand. Und ein Sieg war doppelt so schön, wenn kein Schweizer unter den besten Zehn platziert war. Das absolut Schrecklichste war ein Schweizer Abfahrtssieg auf der Streif in Kitzbühel. Oder – Gott bewahre – ein Schweizer Abfahrtsolympiasieger.
Die Abfahrtsrennen der Herren (überdrehte Disziplinen wie Super-G oder Super-Kombi gab es selbstverständlich noch nicht) auf den klassischen Abfahrtsstrecken warfen schon Tage vorher mit diversen Trainingsläufen ihre Schatten voraus. Wenn dann unsere Skihelden im Starthaus standen, um sich über die Kamelbuckel in Gröden zu schmeißen, im Ziel-S in Wengen noch einmal alles zu geben, obwohl die Oberschenkel sicher schon blau waren, oder – am Höhepunkt der Saison – die Streif zu bezwingen, durfte der Fernseher auch am helllichten Tag laufen. Einige Zeitungen hatten Startlisten abgedruckt, in die man die Zeiten eintragen konnte.
Vor allem das Rennwochenende von Kitzbühel, wenn zwischen Mausefalle, Ausfahrt Steilhang, Haneggschuss, Hausbergkante und Zielschuss für ein weiteres Jahr über das Selbstbewusstsein einer ganzen Nation entschieden wurde, war ein Pflichttermin. Da saßen wir alle um den Mittagstisch und starrten gebannt auf die Bilder, wir hielten unseren Atem an, wenn einer unsere Favoriten mit Verspätung bei der Zwischenzeit auftauchte, und rissen mit den Zuschauern im Ziel und mit der überschlagenden Stimme des Kommentators im Ohr die Arme in die Höhe, wenn neben der Schlusszeit ein Einser auftauchte. Schließlich ging es um alles.
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