Kitabı oku: «Zauberer Magnus»
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Zweites Abenteuer
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Drittes Abenteuer
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Impressum neobooks
Alle Rechte an der Geschichte liegen beim Autor.
1. Auflage 2021
Copyright © 2021 Florian Rattinger
Cover Gestaltung » Dahlia Mouton
www.instagram.com/dahliamouton/
Illustrationen » Ana Povedano
Verlag (Self-Publishing) » Florian Rattinger
c/o Block Services
Stuttgarter Str. 106
70736 Fellbach
Lektorat » Magdalena Rattinger
Vertrieb » epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Sämtliche Privatpersonen und Handlungen sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Buchbeschreibung:
Zauberer Magnus: Im Kampf gegen die Purpurraben vereint die ersten drei Abenteuer des jungen Zauberers und seiner Freunde zu einem Band. Magnus, Gino und Sheri legen sich mit einer kriminellen Organisation von Magiern an, die ihre Schule unterwandert zu haben scheint. Magnus muss gelingen, woran sein verschollener Vater vor fünf Jahren gescheitert ist: Purpura Effodiant Corvi endlich das Handwerk zu legen!
Über den Autor:
Florian Rattinger kam 1989 im schönen Deggendorf, am Rande des Bayerischen Walds, zur Welt. Seit er schreiben kann, werkelt er an Geschichten. Bevor er sich daran machte, Kinder- und Jugendbücher zu verfassen, studierte er das Lehramt für Grundschule an der Universität Passau. Er war Lehrer im Landkreis Landshut und in München. Seit fünf Jahren lebt und arbeitet der Autor mit seiner Familie im beschaulichen Ostalbkreis. Florian Rattinger ist verheiratet und Vater einer Tochter.
Florian Rattinger
Zauberer Magnus
Im Kampf gegen die Purpurraben
Roman
Für Helena – ohne die es diese Geschichten nicht geben würde.
Erstes Abenteuer
1
„WENN ICH DICH IN DIE FINGER BEKOMME!“, dröhnt eine garstige Stimme durch die Gänge der Schule.
„Was hat er jetzt schon wieder angestellt?“, fragt sich Sheri und seufzt. Sheri ist 13 Jahre alt und ihr herausstechendes Merkmal ist ihr purpurviolett leuchtendes Haar. Sie ist auf dem Weg zu ihrem nächsten Kurs. Im Zentrum des Innenhofs bleibt sie stehen.
Zuerst erscheint Frau Demir-Magislav auf der Bildfläche. Die Indogermanisch-Lehrerin, die an der ganzen Schule für ihre unerbittliche Strenge bekannt ist. Sie versteckt sich hinter einer der großen Flügeltüren. Nur ihr Kopf lugt hervor. Frau Demir-Magislav tobt.
Aus der Tür stürmt Magnus. Sheris Freund. Ein Spargeltarzan im selben Alter wie sie. Magnus rennt um sein Leben. Mit der einen Hand hält er seinen Zylinder fest, mit der anderen schubst er Schüler aus dem Weg.
„Bitte mal durchlassen! Vielen Dank! Aufpassen! DANKE!“
Magnus rempelt Tim de Baal an, den Sportstar der Schule, und stößt ihn zu Boden. Der Schönling packt Magnus am Bein und ruft: „Hey, Möchtegern-Zauberer, das zahl‘ ich dir heim!“, doch Magnus befreit sich mit einem schnellen Schüttler aus dem Griff des Sport-Asses. Er sieht seine Freundin.
„Oh, hey, Sheri! Könntest du mir vielleicht kurz aushelfen?“, fragt Magnus und setzt ein charmantes Lächeln auf. Er keucht.
Sheri ist nicht begeistert.
„Was hast du verbrochen?“
„Ich? Wieso? Äh… Hm…? Also…“
„Raus mit der Sprache“, nötigt ihn Sheri.
„Ich habe aus Versehen Frau Demir-Magislavs Rock weggezaubert.“
Eine von Sheris Augenbrauen schießt nach oben.
„Du hast was?“
„Ja, also, ich bin in ihrem Zusatzkurs eingeschlafen. Er war halt so langweilig. Sie hat mich geweckt, indem sie ihr Indogermanisch-Buch auf meinen Tisch geknallt hat. Dann hat sie mich zum Übersetzen von fünf Texten verdonnert. Nach der Stunde wollte ich nochmal mit ihr reden. Sie bitten, ob sie mir die Strafe nicht erlässt.“ Magnus blitzt Sheri an. „Ich wollte ihr versprechen, dass ich mich in der nächsten Stunde besonders anstrenge.“
„Und weiter?“
„Ich hab‘ sie vor einem Elterngespräch erwischt. Sie ist vor dem Spiegel gestanden, hat sich die Haare gemacht und Lippenstift aufgelegt.“ Magnus schüttelt sich. „Ich hab‘ sie nur gefragt, für wen sie sich so aufbrezelt und daraufhin ist sie komplett ausgerastet. Sie hat mich angeschrien und mit den Füßen gestampft.“
„Hast du denn angeklopft, bevor du reingekommen bist?“, will Sheri wissen.
„Nein, hätte ich das tun sollen?“
Sheri ächzt. „Hast du wieder überreagiert?“
„Nein, ich war das nicht. Ehrlich! Mein Zauberstab hat sich selbstständig gemacht. Blöd nur, dass im selben Moment der Vater, auf den sie gewartet hat, in der Tür gestanden ist. Herr Wendigo. Du weißt schon, der Papa der Drillinge.“
Sheri patscht sich an die Stirn.
„Herrn Wendigo wären beim Anblick von Frau Demir-Magislavs gelber Sternchen-Unterwäsche beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen. Sie hat ihm mit dem Indogermanisch-Buch eins übergezogen und seitdem jagt sie mich.“
„MAAAAAAAGNUS!“, brüllt Frau Demir-Magislav. Sie kommt zuerst zögerlich, dann stampfend wie ein Tyrannosaurus rex auf den Innenhof. In einer Hand hält sie den abgebrochenen Rest ihres blauen Lippenstifts. In der anderen eine Heftmappe, mit der sie versucht, ihren Po zu bedecken. Einige Kinder kichern und deuten mit dem Finger auf sie. Tim de Baal meint sogar: „Hübsche Unterwäsche haben Sie da, Frau DM!“
Frau Demir-Magislav kocht vor Wut. Sie malt Tim de Baal ein dickes, blaues X auf die Stirn, packt sich Paul Pech, den Streber der Schule, und schüttelt ihn. „WO IST ER?“, kreischt sie ihn an.
„I…Ich w-weiß e-es nicht!“, stammelt der Junge. Ihm rutscht die Brille mit den Gläsern dick wie Flaschenböden von der Nase. Sie fällt auf das Pflaster und bricht in der Mitte auseinander. Nichts Neues für Paul Pech. Genau für diese Fälle hat er eine Auswahl extrastarker Klebebänder im Schulranzen.
„DU NICHTSNUTZ!“, schnaubt Frau Demir-Magislav und lässt ihn los. Dabei verrutscht ihre Heftmappe. Paul Pech bekommt beim Anblick, der sich ihm bietet, knallrote Ohren.
„Biiiiiiitte, Sheri, hilf mir aus der Patsche!“, fleht Magnus an.
„Gibt es keinen Zauber, mit dem du dich weghexen kannst?“
„Du weißt, dass ich meine Zauber nicht auf mich selbst anwenden kann.“
„Ach ja, das hab‘ ich vergessen“, sagt Sheri und lächelt rechthaberisch. „Na gut, ich will ja nicht so sein. Halt still!“
Sheri kramt in ihrer Tasche. Sie ist vollgestopft mit technischen Geräten. Überall hängen Kabel heraus, funkeln Transistoren wie Juwelen, klappert Metall und Plastik. Sheri findet, wonach sie sucht. Eine kleine schwarze Dose mit weißem Kreppband beklebt. »Invisi-MAX«, steht auf dem Band, darunter in winzigen Buchstaben: »Prototyp«.
„Halt dir die Nase zu“, sagt Sheri zu Magnus. „Das Zeug kitzelt ganz schön.“
„Danke, Sheri, du bist die Beste!“, sagt Magnus und drückt seine Freundin, bevor er sich mit Daumen und Zeigefinger die Nase zuhält.
Sheri sprüht ihren Freund großzügig mit dem »Invisi-MAX« ein. Zuerst ist das Spray ein Nebel aus tausenden glitzernder Partikel. Dann legt es sich auf Magnus‘ Haut und Kleidung und macht ihn unsichtbar.
„Hat es funktioniert?“, fragt Magnus Sheri.
„Ja“, antwortet sie. „Und jetzt halt die Klappe!“
Frau Demir-Magislav kommt herangetrampelt. Sie baut sich wie ein Turm vor Sheri auf und schenkt ihr einen misstrauischen Blick.
„Sheri Dorli!“
„Frau Demir-Magislav?“, antwortet Sheri und gibt sich Mühe, Frau DMs Sternchen-Schlüpfer keine Beachtung zu schenken.
„Hast du deinen dämlichen Freund Magnus gesehen?“
„Nein, tut mir leid. Am Freitag haben wir leider nur eine Stunde gemeinsam. Astrochemie bei Professor Samson. Heute habe ich ihn noch nicht gesehen.“
„Aha?“
„Außerdem ist Magnus nicht dämlich. Genauso wenig wie ich – oder Sie. Sonst wären wir nicht auf dieser Schule, habe ich Recht?“
Magnus kichert. Frau Demir-Magislav scheint das glücklicherweise nicht zu hören.
„Ja, ich muss dann auch weiter. Auf Wiedersehen, Frau Demir-Magislav!“
Beinahe hätte ihr Trick funktioniert. Doch um Frau Demir-Magislav ihre Bemerkung über Magnus heimzuzahlen, gibt sich Sheri übertrieben angeberisch. Sie wirft ihre Haare hoch und streift dabei Magnus‘ Nase.
„HAAAATSCHI!“
Glitter verteilt sich über Frau Demir-Magislavs Bluse und macht sie pünktchenweise unsichtbar. Gleichzeitig erscheint Magnus‘ Nase wie aus dem Nichts.
„Mann, verflucht!“, sagt Sheri.
Frau Demir-Magislav holt ein Taschentuch aus der Brusttasche ihres Jacketts und putzt Magnus Sheris Unsichtbarkeitsspray aus dem Gesicht.
„Hallo, Frau Demir-Magislav“, sagt Magnus, nachdem das Taschentuch vollständig verschwunden ist. Sein Kopf schwebt scheinbar körperlos in der Luft.
Frau Demir-Magislavs Blick springt zwischen Magnus’ Kopf und Sheri hin und her. Ihre Augen blitzen gefährlich. Sie lässt die Heftmappe fallen und stupst erst Magnus dann Sheri mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze.
Dass die übrigen Kinder auf dem Innenhof vor Lachen brüllen, macht Frau Demir-Magislav nichts aus.
„Du und dein dämlicher Freund habt jetzt erst mal eine Verabredung mit dem Direktor.“
2
Magnus und Sheri sitzen duckmäuserisch auf zwei Stühlen vor dem Tisch des Rektors – Professor Dr. Dr. Roland Feynmann.
„Opal, ich weiß, dass ich dir und Melefer versprochen habe, mich um Magnus zu kümmern, aber das ist bereits der dreizehnte Vorfall dieses Schuljahr.“ Der alte Herr mit den zu Zöpfen geflochtenem goldenen Vollbart spricht in die Lautsprechanlage seines Telefons. Um sein Argument zu bekräftigen, hat Professor Feynmann Magnus‘ Akte aus dem Schrank geholt. Daneben liegt Sheris. Während sich Sheris Schülerakte eher wie die Speisekarte eines Restaurants liest, gleicht Magnus‘ einem Roman.
„LASSEN SIE MEINEN VATER AUS DEM SPIEL! ER HAT NICHTS DAMIT ZU TUN!“, zischt Magnus. Professor Feynmann ignoriert Magnus‘ Ausbruch und spricht weiter mit seiner Mutter. „Wenn sich sein Verhalten nicht bessert – fürchte ich – muss ich ihn der Schule verweisen.“
„Es tut mir leid, Roland“, entschuldigt sich eine Frauenstimme am Telefon. „Auch bei Ihnen möchte ich mich für das Verhalten meines Sohnes entschuldigen, Frau Demir-Magislav! Wenn Sie ihn deswegem der Schule verweisen wollen, dann ist das so. Wir haben zuhause schon oft genug über diese Vorfälle gesprochen, oder Magnus?“
Magnus antwortet mit einem leisen „Ja“. Er guckt in den Boden.
„Trotzdem bitte ich dich, Roland. Gib‘ Magnus noch eine Chance! Versprichst du dich denn zu bessern, Sohnemann?“
Nach einer kurzen Weile nickt Magnus. Es wirkt, als könne Opal das hören.
„Und entschuldigst du dich auch bei Frau Demir-Magislav?“
Magnus wirft seiner Indogermanisch-Lehrerin einen Seitenblick zu (sie trägt nun eine schwarze Jogging-Hose) und schmollt.
„Ja“, entkommt seinen Lippen.
„Gut, dann reden wir zuhause weiter. Natürlich unter der Bedingung, dass du alle Strafen akzeptierst, die Professor Feynmann und Frau Demir-Magislav dir auferlegen.“
„Wenn es sein muss…“
„Danke für den Anruf, Roland. Ich sehe zu, dass ich so bald wie möglich zu dir in die Sprechstunde komme. Bis dann.“
„Bis dann, Opal“, sagt Professor Feynmann und legt den Hörer auf die Gabel.
Nach einer Minute des Schweigens, die Magnus wie eine Ewigkeit vorkommt, sagt er zu Frau Demir-Magislav: „Es tut mir leid, dass ich Ihnen den Rock weggezaubert habe. Das war nicht in Ordnung von mir.“
Frau Demir-Magislav lächelt süffisant, bis Magnus ergänzt: „Aber die vielen Indogermanisch-Strafarbeiten waren total übertrieben!“
„DU!!!“, knurrt Frau Demir-Magislav. Professor Feynmann springt in die Bresche.
„Priscilla, beruhigen Sie sich. Magnus hat sich entschuldigt und das rechne ich ihm hoch an.“ Professor Feynmanns ist milde gestimmt. „Und jetzt kommen wir zu Sheri!“
Professor Feynmann richtet seine Aufmerksamkeit auf ein kleines metallisches Kästchen auf seinem Tisch. Es ist ein mobiles Bildtelefon. Eine von Sheris Erfindungen. Auf der Mattscheibe ist ein kugeliger Mann mit feisten Backen und blau leuchtendem Haar zu sehen: Sheris Vater Sherwin. Die ganze Familie hat diese glühenden Haare. Sheris Mutter Regula hat ein spezielles Färbemittel erfunden, das die Haare im Dunkeln leuchten lässt. Sheris sind purpurn, Sherwins sind blau und die ihrer Mutter strahlend gelb.
„Da sich Sheri bisher noch nie etwas zu Schulden hat kommen lassen, lasse ich bei ihr Nachsicht walten“, meint Professor Feynmann zum Mann im Metallkästchen. „Vorausgesetzt, auch Sie entschuldigt sich bei Frau Demir-Magislav.“
„Entschuldigung, Frau Demir-Magislav! Ich hätte Sie nicht anlügen dürfen. Das weiß ich jetzt.“, rattert es aus Sheri. Ihr ist die ganze Situation unangenehm. Nicht, weil sie es bereut, ihrem Freund geholfen zu haben, sondern wegen ihres Vaters.
„Das ging schnell“, stutzt selbst Professor Feynmann. „Aber gut! Nehmen Sie die Entschuldigung an, Frau Demir-Magislav?“
„Natürlich“, antwortet sie, mit eben demselben selbstgefälligen Grinsen.
„Ich möchte Sheri gerne heute eine Stunde zum Nachsitzen dabehalten, damit sie darüber nachdenken kann, wie man sich einer Lehrperson gegenüber respektvoll verhält.“
„Schicken Sie mir das Protokoll des Gesprächs einfach per Mail. Sheri kann Ihnen die Adresse geben. Ich versuche, es dann auch zeitnah zu lesen. Wie hart sie Sheri bestrafen wollen, überlasse ich ganz Ihnen. Ich stimme jeglichen Maßnahmen zu, die Sie für angemessen halten“, meint Sheris Vater. „Ich habe nun leider einen wichtigen Termin. Auf Wiedersehen!“
Damit endet die Video-Übertragung und der Bildschirm wird schwarz.
„Blöder Hornochse“, haucht Sheri, doch bis auf Magnus hört sie niemand.
„Gut, dann sieht die Sache nun folgendermaßen aus“, fasst Professor Feynmann zusammen. „Sheri sitzt nach Unterrichtsende noch eine Stunde nach. Damit ist ihre Strafe abgegolten. Magnus, ich habe vorher mit deiner Mutter ausgehandelt, dass du heute und die ganze nächste Woche nachsitzt. Am Montag wirst du Hausmeister Gold bei seiner Arbeit unterstützen. Er hat angekündigt, dass er Hilfe bei der Reperatur des alten Warmwasserboilers benötigt. Dabei wirst du ihm zu Hand gehen.“
Magnus stöhnt, Sheri erträgt ihre Strafe mit Würde.
„Irgendwelche Einwände?“
„Nein, Professor Feynmann!“, bellen die beiden Freunde unisono.
„Gut, damit seid ihr entlassen. Sheri, bist du so lieb und schreibst mir die Mail-Adresse deines Vaters auf? Über die Einzelheiten des heutigen Nachsitzens wird euch Frau Demir-Magislav informieren.“
Sheri kritzelt etwas Unleserliches auf einen Notizzettel. Währenddessen nimmt Frau Demir-Magislav einen ganzen Stapel Indogermanisch-Bücher vom Tisch des Direktors.
„Nächste Woche wirst du viel Zeit haben, dich intensiv mit indogermanischen Texten auseinanderzusetzen“, sagt sie und lacht triumphal.
Magnus schreit nach Hilfe, aber nur innerlich, wo ihn niemand hört.
3
„Entschuldigen Sie bitte, dass wir zu spät sind!“, sagt Sheri.
Magnus und sie stehen gemeinsam in der Tür zum Observatorium. Über ihren Köpfen leuchten hunderte funkelnde hyperreal wirkender Sterne. Eine Handvoll Himmelskörper strahlt besonders hell.
„Wir hatten ein Gespräch mit Professor Feynmann“, fährt Magnus fort. Das ist nur die halbe Wahrheit. Auf dem Weg zur Sternwarte haben Magnus und Sheri Dampf abgelassen und sich lauthals über die unfaire Behandlung und das Nachsitzen beschwert.
„Davon habe ich gehört“, sagt der Astrochemie-Lehrer Herr Samson. „Setzt euch. In der letzten Reihe sind noch zwei Plätze frei.“
Herr Samson ist erst seit diesem Jahr Lehrer an der Schule für Kinder mit besonderen Begabungen. Neben Astrochemie unterrichtet er außerdem orientalische Geschichte. Viele mutmaßen, dass er aus der Vorliebe für sein Nebenfach ständig eine rote Schakalmaske trägt. Noch nie hat ihn ein Schüler ohne gesehen. Das sorgt für Gerüchte. Eines besagt, er sei unsagbar hässlich, ein anderes, dass er in Wirklichkeit eine Berühmtheit oder ein Supergenie sei. Ein paar Spinner an der Schule glauben, er sei ein international gesuchter Verbrecher.
Niemand kennt die Wahrheit.
Abgesehen von der Maske ist Herr Samson ein anständiger und geduldiger Lehrer. Das denkt auch Magnus.
Die übrigen Kinder kichern oder tuscheln, während Sheri und Magnus auf ihre Plätze in der letzten Reihe schleichen. Magnus heimst die Blicke seiner Mitschüler ein. Die Nachricht über seinen neusten Streich hat schon längst die Runde gemacht.
„Sirius ist der hellste Stern am Firmament“, fährt Herr Samson seine Vorlesung fort. „Er ist von überall auf der Welt am Himmel zu sehen. Sein lateinischer Name lautet »Canis Major«, was zu Deutsch »Großer Hund« bedeutet. Sirius besteht neben Wasserstoff und Helium zu großen Teilen aus schwereren Elementen, beispielsweise Eisen. Er ist doppelt so hell wie der zweithellste Stern, Canopus…“
Magnus und Sheri packen ihre Schulsachen aus. Seinen Zauberstab behält Magnus sicherheitshalber in seiner Hosentasche. Für einen Tag hat er damit schon genug Unheil angerichtet.
„Hey, psht, Magnus! Sheri!“, dröhnt es aus einer der vorderen Reihen. Es ist Gino, der die beiden ruft. Das fehlende dritte Mitglied von Magnus‘ Clique. Er ist ein Klotz mit breiten Schultern und einer ordentlichen Wampe. Er hat einen blau gefärbten Irokesen und gehört zu einer Familie der besten Tierbändiger der Welt. Aufgrund seiner Talente ist Gino vor zwei Jahren an die Schule für Kinder mit besonderen Begabungen gekommen. Seit dem ersten Tag kennt er Magnus und Sheri. „Was war los im Büro vom Direx?“
„Das erzähl‘ ich dir später“, formt Magnus mit seinen Lippen.
„Ich will es jetzt wissen“, flüstert Gino.
Gino dreht sich zu Herrn Samson um. Er ist dabei, der Klasse die elementare Zusammensetzung präsolarer Materie zu erklären. „Präsolare Minerale sind das älteste Gestein in unserem Sonnensystem und stammen höchstwahrscheinlich von Roten Riesen oder sind Überreste von Supernova-Explosionen. Während ein Teil der präsolaren Materie auch ganz normal als herkömmliche Mineralien in der Erdkruste vorkommen – zum Beispiel Korund, Diamant oder Rutil – kommen Silicium- oder Titancarbid für gewöhnlich nur im Weltall vor.“
Gino holt etwas aus seiner extrabreiten Gürteltasche: eine Handvoll karamellisierter Insekten – größtenteils Grillen und Kakerlaken. Als Nächstes öffnet er das kreisrunde Fach an der Vorderseite seines waschmaschinengroßen Rucksacks und wirft die Süßigkeiten hinein.
Der Rucksack klimpert, er faucht und dann ist Stille. Ein Reptil hüpft aus dem runden Loch und landet auf Ginos Arm. Es sieht sich die Sterne an der Decke mit zwei großen unabhängig voneinander bewegbaren Augen an.
Das Reptil ist ein gestreiftes papageigrünes Chamäleon. Gino tätschelt es und flüstert ihm etwas in das Ohrloch. Danach setzt er das Chamäleon auf seinen Tisch und dreht sich zu Magnus um.
„Hex‘ mich klein!“, wispert Gino in die letzte Reihe.
„Nein, mach ich nicht!“, formt Magnus mit den Lippen.
„Jetzt komm‘ schon!“
Magnus wägt seine Optionen ab und gibt schließlich nach. Er holt seinen Zauberstab aus der Hosentasche und spricht hinter vorgehaltener Hand einen kurzen Zauberspruch.
„YES!“, sagt Gino und ballt die Fäuste. Ein kleiner kupferspangrüner Blitz schießt aus der Spitze des Zauberstabs und saust zu Magnus‘ Freund. Der Blitz verkleinert Gino auf die Größe einer Springmaus. Er landet wie eine Katze auf allen vieren. Gleichzeitig verwandelt sich das Chamäleon in ein makelloses Abbild seines Besitzers. Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Wenn man von der langen rosa und ultraklebrigen Zunge absieht.
Gino rast durch eine Reihe Stuhlbeine zu Magnus. Magnus lässt Gino auf seine Hand hüpfen, holt ihn zu sich hoch und versteckt ihn hinter seinem Mäppchen.
„Hast du Frau DM tatsächlich den Rock weggehext?“, fragt Gino mit einer Fistelstimme. Sheri stupst Magnus mit dem Ellbogen an und deutet auf Herrn Samson. Sie legt den Zeigefinger auf ihre Lippen und macht „Pscht!“.
„Sheri, ist alles gut“, meint Magnus, dann sagt er zu Gino: „Ja, leider. Aus Versehen. Ich schwör’s!“
„Wie hat Feynmann reagiert?“
„Ich muss die ganze nächste Woche nachsitzen und Hausmeister Gold dabei helfen, den Warmwasserboiler zu reparieren.“
Plötzlich trifft Magnus etwas an der Stirn. Als er sich an den Kopf fasst, hat er auf einmal weiße Farbe an den Fingern, die sich leicht zerreiben lässt. Kreide.
„Kannst du mir die elementare Zusammensetzung des Minerals Nierit nennen, Magnus? Tipp: Es wird auf der Erde ausschließlich in Meteoriten gefunden“, fragt Herr Samson.
Magnus sucht Hilfe bei Sheri, die zuckt aber nur die Schultern und sagt: „Ich hab‘ dich gewarnt.“
Durch Kopfschütteln gibt Gino Magnus zu verstehen, dass er die Antwort ebenfalls nicht kennt.
„Äh, hm, also…“, stammelt Magnus.
„Mann, es ist Siliciumnitrid!“, stöhnt eine Schülerin in der ersten Reihe. Es ist ein Mädchen mit gemeinen Augen, Sommersprossen und einem roten Pagenschnitt. Cosima. Eines der Drillingsmädchen. Ihre schwarzhaarige Schwester Stella auf dem Platz daneben kichert. Die blonde Schwester Astra am Rand guckt peinlich berührt in den Boden.
„Du Versager. Kein Wunder, dass dein Vater deine Familie verlassen hat. Bei so einem Nichtsnutz als Sohn.“
„Sagt die, deren Vater feuerrote Ohren bekommen hat, als er Frau Demir-Magislavs Po gesehen hat. Ihm wären fast die Augen aus dem Kopf gefallen!“
Eine ganze Menge „Uh!“- und „Oh!“-Rufe raunen durch das Klassenzimmer. „Das reicht“, sagt Herr Samson. Die Klasse schweigt. Herr Samson steht neben Ginos Tisch und tätschelt ihm liebevoll über den Kopf. Ginos Chamäleon leckt ihm mit seiner langen Zunge den Arm. Herr Samsons Reaktion darauf ist durch die Maske verschleiert.
„Scheibenkleister!“, meint Gino, der hinter Magnus‘ Mäppchen hervorlugt.
„Cosima, das ist richtig“, sagt Herr Samson. „Aber weißt du auch, wozu es verwendet wird?“
„Als Projektionskristall“, antwortet Sheri wie aus der Pistole geschossen. „Aus Siliciumnitrid lässt sich Elektronik bauen, die in der Lage ist, vierdimensionale Gittermatrizen zu erzeugen.“
„Das ist richtig“, antwortet Herr Samson. „Das größte Stück Siliciumnitrid, das auf der Erde gefunden worden ist, wurde im alten Ägypten zu einem Edelstein mit dem Namen „Stern des Osiris“ verarbeitet. Ein schwarzes Juwel mit der Leuchtkraft eines Regenbogens. Ich hätte gedacht, du würdest das wissen, Magnus. Glaubt man den Geschichten, ist dein Vater aktuell im Besitz dieses Juwels.“
Magnus weiß nicht, was er sagen soll. Herr Samson geht zurück zu seinem Pult. Er stützt beide Arme auf den Tisch. „Wie dem auch sei: Magnus, Gino und Cosima. Ich möchte euch Drei gerne nach dem Unterricht sprechen.“
Danach fährt Herr Samson mit seinem Vortrag über präsolare Mineralien fort. Gino flitzt zurück zu seinem Platz und Magnus hext ihn auf normale Größe.
Der Rest der Stunde verläuft störungsfrei. Unter anderem liegt das daran, dass Magnus interessiert zuhört.