Kitabı oku: «Disziplinierung durch Medizin», sayfa 2
1.2 Methode
Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde eine quellenkritische Analyse von schriftlichen und fotografischen Quellen durchgeführt, die uns von den Patientinnen zur Verfügung gestellt wurden (Briefe, Fotos). Diese nichtamtlichen Quellen wurden mit amtlichen Quellen, überwiegend aus dem Stadtarchiv Halle (Saale) (Akten des Gesundheitsamts, des Jugend- und Fürsorgeamtes, Bauakten sowie Akten des Stadtarchitekten), dem Evangelischen Diakoniewerk Halle (Saale) (Akten zur Hautklinik), dem Bundesarchiv Berlin (Bestand DQ1: Gesundheitsministerium der DDR), der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (LStU) Sachsen-Anhalt und der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (WASt) (Personalbogen) verglichen und hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit geprüft.28 Anschließend wurden die verschiedenen Quellen historisch-kritisch analysiert und für die Rekonstruktion der Ereignisse auf der geschlossenen Venerologischen Station in der Poliklinik Mitte zugrunde gelegt.
Darüber hinaus wurden – mithilfe der etablierten Methode der Oral History – narrative Interviews erstellt und qualitativ ausgewertet.29 Narrative Interviews können einen direkten Zugang zu individuellen Erfahrungen vermitteln, wie beispielsweise Babett Bauer in ihrer Arbeit zur individuellen Erfahrung in der DDR30 oder Kornelia Beer und Georg Weißflog in ihrem Beitrag über gesundheitliche Folgen nach politischer Haft in der DDR31 gezeigt haben. Die Interviews wurden mit Patientinnen, Ärzten (Famulanten und Praktikanten), Pflegepersonal (Krankenschwestern) und Verwaltungsangestellten (Buchhaltung und Sachbearbeitung) der geschlossenen Venerologischen Station bzw. der Poliklinik Mitte sowie mit Transportpolizisten und Zeitzeugen aus Halle (Saale) durchgeführt. Schließlich wurden halbstrukturierte Fragebögen an Patientinnen, Pflegepersonal (Krankenschwestern) sowie Ärzte (Famulanten und Praktikanten) der geschlossenen Venerologischen Station bzw. der Poliklinik Mitte verschickt, die nicht mehr in Halle (Saale) wohnen. Die anonymisierten Interviews und Fragebögen wurden transkribiert und anschließend qualitativ anhand der oben aufgeworfenen Fragen ausgewertet.
Schließlich wurde eine Analyse der Quellen einerseits und der narrativen Interviews andererseits durchgeführt, um die Ereignisse auf der geschlossenen Venerologischen Station in Halle (Saale) zu rekonstruieren. Dabei ermöglichte die kritische Analyse der Quellen die notwendige Kontextualisierung der geäußerten narrativen Erfahrungen in den Interviews. Gleichzeitig bilden die Aussagen aus den Interviews ein Korrektiv zu den schriftlichen Quellen. Die Synthese der beiden qualitativen Analysen ermöglichte die Rekonstruktion der Ereignisse auf der geschlossenen Venerologischen Station in Halle (Saale) in einer bisher noch nicht erfolgten Weise und lässt eine weitere Annäherung an die Geschichte der Medizin in der DDR zu. Alle Namen der Patientinnen, des medizinisch-pflegerischen Personals und der Zeitzeugen wurden anonymisiert und abgekürzt.
2 Organisatorischer, institutioneller und rechtlicher Hintergrund der geschlossenen Venerologischen Station in Halle (Saale)
2.1 Die Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Halle (Saale)
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden von verschiedenen Ämtern der Stadt Halle (Saale) zwei Probleme bei der Verwaltung von Geschlechtskranken beschrieben: Zum einen die Betreuung und Unterbringung geschlechtskranker Personen und zum anderen der rasante Anstieg der Geschlechtskrankheiten im Allgemeinen. Vor allem die Kriminalpolizei thematisierte die Frage der Betreuung und Notwendigkeit der Unterbringung, wie unter anderem aus einer Anfrage vom 15. Oktober 1945 an den Oberbürgermeister bzw. das Jugend- und Fürsorge-Amt Halle (Saale) hervorgeht: „Es ist in letzter Zeit wiederholt vorgekommen, daß die von der Polizei erfaßten weiblichen minderjährigen Herumtreiber nach Entlassung aus dem Gefängnis, dem Gesundheitsamt überstellt, beim Vorliegen einer Geschlechtskrankheit dem Polizeigefängnis von dem Verw. Sekretär U. M. (Abk., d. A.) wieder zugeführt wurden mit der Begründung, daß keine Möglichkeit einer stationären Behandlung in einem Krankenhaus gegeben sei. Ich bitte für die Unterbringungsmöglichkeit Sorge zu tragen, da die rechtlichen Voraussetzungen für eine Wiedereinweisung ins Polizeigefängnis in den erwähnten Fällen nicht gegeben sind.“32
Das zweite Problem, der generelle Anstieg der geschlechtskranken Personen in Halle (Saale), wurde unter anderem vom Jugend- und Fürsorgeamt Halle (Saale) thematisiert. So heißt es in einem Vermerk vom 9. Februar 1946, dass sich die Folgen der letzten Kriegsjahre stark auf dem Gebiet der Gefährdeten-Fürsorge auswirken würden. „Die Statistik der Monate Juni – Nov. 1945 65 Fälle, im Vergleich zu den Zahlen vom 1. 12. 45 – 1. 2. 46 133 Fälle, entrollt ein trauriges Bild.“33 Besondere Aufmerksamkeit von Seiten des Jugend- und Fürsorgeamts galt jenen Frauen, bei denen der „Verdacht wechselnden Männerverkehrs und der Geschlechtskrankheit besteht (…). Nur diese schweren Fälle der Gefährdeten-Fürsorge werden statistisch erfasst“.34 Aus der Statistik geht eine Verdoppelung, in einigen Altersgruppen sogar eine Verdreifachung, der mit Geschlechtskrankheiten registrierten Personen hervor:35
1.6. – 30. 11. 1945 | 1. 12. 1945 – 31. 1. 1946 | |
unter 16 Jahre | 7 | 20 |
16 – 18 Jahre | 17 | 32 |
19 – 21 Jahre | 35 | 60 |
über 21 Jahre | 6 | 21 |
Gesamt | 65 | 133 |
Tab. 1 Registrierte Personen mit Geschlechtskrankheiten nach Alter
Von den 133 geschlechtskranken Personen waren 61 aus Halle (Saale) und 72 Personen von auswärts. Damit wurde ein weiteres Problem für die Verwaltung von Halle (Saale) sichtbar: die Flüchtlinge. „Der Flüchtlingsstrom, der sich auch über unsere Stadt ergossen hat, ließ viele alleinstehende Frauen und Jugendliche zurück, die oft obdachlos umherirren und damit der Verwahrlosung preisgegeben sind. Beängstigend ist die Zahl der Geschlechtskrankheiten, darunter leider auch der Jugendlichen. Es sind verschiedentlich Kranke von 13 und 14 Jahren dabei“,36 so der Vermerk des Jugend- und Fürsorgeamts vom 9. Februar 1946.
Für die Betreuung und medizinische Versorgung der geschlechtskranken Mädchen und Frauen gab es im Februar 1946 mehrere Einrichtungen. Zum einen war bereits Ende November 1945 eine Station für geschlechtskranke Frauen in der Christian-Thomasius-Schule in Halle (Saale) eingerichtet worden.37 Hier waren im Februar 1946 über 100 Kranke aufgenommen worden. Zum anderen „waren die geschlechtskranken Frauen in den Borsdofer Anstalten bei Leipzig untergebracht“.38 Daneben wurde die „Betreuung gefährdeter Mädchen (…), sofern es sich um ortsansässige handelt, von den Familienfürsorgerinnen mit durchgeführt. Im Übrigen von der Spezialabteilung für pflegeamtliche Arbeit, die zugleich auch die im Krankenhaus befindlichen geschlechtskranken Mädchen befürsorgt“.39 Schließlich konnten geschlechtskranke Frauen und Kinder in der „Hautklinik betreut“40 werden. Dennoch reichten die existierenden Betreuungs- und Versorgungsstrukturen nicht aus, um die rasant steigende Anzahl von Geschlechtskranken zu behandeln. Die Kapazitäten in der Christian-Thomasius-Schule waren fast vollständig ausgeschöpft. Gleichzeitig musste das Jugend- und Fürsorgeamt feststellten, dass durch „die Reiseschwierigkeiten und die starke Zunahme der Geschlechtskrankheiten (…) die Borsdorfer Anstalten nicht weiter belegt werden“41 konnten.
Was mit den Geschlechtskranken aus Halle (Saale) und den geschlechtskranken Flüchtlingen geschehen sollte und wie sie künftig untergebracht bzw. medizinisch versorgt werden sollten, diskutierten unter anderem das Kriminalamt, das Gesundheitsamt und das Jugend- und Fürsorgeamt. Das Kriminalamt von Halle (Saale) schlug am 6. Mai 1947 die „Einrichtung von Arbeitslagern für Verbreiter von Geschlechtskrankheiten“ vor.42 Dazu sollten „zahlenmässige Meldungen über Personen, welche häufig wechselnden Geschlechtsverkehr haben bezw. Verbreiter von Geschlechtskrankheiten oder Herumtreiber sind“43 an das Kriminalamt gemeldet werden. Und weiter heißt es: „Zunächst sollen nur Fälle gemeldet werden, die eine Unterbringung in ein Lager rechtfertigen. Also solche Personen, die in sittlicher Hinsicht übelbeleumdet, unverbesserlich oder mehrfach geschlechtskrank waren.“ Ziel sei „eine Ausmerzung der Elemente, welche eine grosse Gefahr für unsere Volksgesundheit bedeuten, planmässig“44 durchzuführen. Hierzu seien künftig umfangreiche Absprachen mit den Gesundheitsämtern, Straßenbeauftragten und den Frauenausschüssen notwendig.
Das Gesundheitsamt von Halle (Saale) plädierte für eine intensive Zusammenarbeit mit der Polizei von Halle (Saale) bei der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten. Geschlechtskranke sollten durch die Polizei den Fachkrankenhäusern und gesonderten Beobachtungsstellen in Halle (Saale) zugeführt und medizinisch versorgt werden. In einem Vortrag zum Thema „Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“45 führte der Medizinalrat Dr. L. am 26. Mai 1948 im Polizeipräsidium von Halle (Saale) aus, dass die „Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ unter „Zuhilfenahme der Polizeiorgane“46 durchgeführt werden müsse.
„Ein Hand in Hand arbeiten mit Gesundheitsamt“ so Medizinalrat L. weiter „wäre ein zu erstrebender Zustand. In Halle wäre dieser Zustand fast erreicht. Bei Razzien und Polizeistreifen in Halle wäre Vorbildliches geleistet. (…) Durch Polizeistreifen werden besonders auswärtige Personen dem Gesundheitsamt zugeführt. (…) Eine Beobachtungsstation im Fachkrankenhaus II ist zur Unterstützung der Ambulatorien eingerichtet.“47 In die entsprechenden Ambulatorien48 würden alle durch Polizeistreife Aufgegriffenen eingeliefert und nach der Untersuchung unter anderem an Beobachtungsstationen, Heime oder Lager weitergeleitet.
Das Jugend- und Fürsorgeamt von Halle (Saale) betonte den Aspekt der Erziehung bzw. der Erziehungsarbeit, der im Zusammenhang mit der Betreuung geschlechtskranker Mädchen und Frauen notwendig sei. Bereits 1946 hatte das Jugend- und Fürsorgeamt auf die Borsdorfer Anstalten bei Leipzig und die dort praktizierte erzieherische Betreuung der Geschlechtskranken hingewiesen. In den Borsdorfer Anstalten „waren sie unter Aufsicht in Erziehungsarbeit geschulter Schwestern und konnten, soweit es die ärztliche Behandlung erlaubte, in den Arbeitsprozess der Anstalt eingegliedert werden“.49 Diese Kombination aus Erziehung und Arbeit sollte vor allem dem Zweck dienen, die Mädchen und Frauen zu beschäftigen, denn das „tatenlose herumsitzen der Jugendlichen gibt viele Gelegenheit zu schädlichen Anknüpfungen. Die schlechten Elemente gewinnen damit leicht Einfluß auf die Neulinge“.50 Um negative Einflüsse besser einschränken zu können, sollten Beschäftigungsstunden stattfinden, die ehrenamtliche Kräfte leiteten.
Diese drei Strategien wurden von den genannten Ämtern diskutiert und teilweise von den einzelnen Ämtern in Halle (Saale) praktiziert. So kooperierten das Kriminal- und das Gesundheitsamt miteinander. Die Polizeistreifen lieferten alle Aufgegriffenen in die Ambulatorien ein.51 Nach der Untersuchung wurden die Mädchen und Frauen unter anderem in das Arbeitslager Schönebeck52 weitergeleitet, wie es aus einem Schreiben des Oberregierungsrats vom 27. November 1947 hervorgeht. Das Gesundheitsamt von Halle (Saale) soll „angeregt werden, nicht nur solche Mädchen nach Schönebeck zu überweisen, die bereits zum 4. male im Fachkrankenhaus zur Ausheilung untergebracht sind, sondern das die Unterbringung in Schönebeck auch bei anderen Momenten der Verwahrlosung in Betracht gezogen wird“.53
Unterstützung erhielten das Kriminal- und das Gesundheitsamt von der Fürsorgeerziehungsbehörde der Landesregierung Sachsen-Anhalt. In einem Schreiben vom 17. September 1947 an den Rat der Stadt Halle (Saale) geht es um „Geschlechtskranke weibliche Pflegezöglinge“.54 Darin heißt es: „Seit einem Jahr wird hier die Beobachtung gemacht, daß verschiedene Jugendämter geschlechtskranke Mädchen, die fast 18 Jahre sind, zur Fürsorgeerziehung überweisen. In der Regel ist das Vorleben dieser Jugendlichen einer Prostituierten gleich zu betrachten. Daß damit das Erziehungsniveau in unseren Erziehungsheimen auf keinen beachtlichen Stand gebracht und gehalten werden kann, liegt klar auf der Hand. Die Zunahme der Prostitution und in Verbindung damit der Geschlechtskrankheiten wird hervorgerufen durch den infolge der Verschiebung der moralischen Begriffe leichtfertigeren Lebenswandel der Jugend, bei dem es sich nach den hiesigen Beobachtungen um entgeltliche Prostitution und um häufig wechselnden Geschlechtsverkehr handelt. Da aber in den Erziehungsheimen im Vordergrund die pädagogische Aufgabe steht und, in Anbetracht der charakterlichen Entwicklung dieser Jugendlichen kein erzieherischer Einfluß mehr verzeichnet werden kann, muß die Frage der Unterbringung in andere Wege geleistet werden.“55 Noch deutlicher wurde Oberregierungsrat R. von der Landesregierung in einem Vortrag zum Thema „Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“, den er am 27. Mai 1948 im Polizeipräsidium von Halle (Saale) hielt.56 In seinem Vortrag sprach er sich für die weitere Unterbringung von Geschlechtskranken im „Arbeitslager in Schönebeck“57 aus. Das Lager werde „von Frauen und Mädchen beschickt, die bestimmte Voraussetzungen (mehrmalige Erkrankung an Lues und Go und unsoliden Lebenswandel) mitbringen. (…) Bei Neueinweisungen bleiben die Frauen und Mädchen 6 Monate im Lager. Bei Wiedereinweisungen auf unbestimmte Zeit. Beschäftigungsmäßig werden sie mit Garten- und Landarbeit, Küchendienst, Hausarbeit und Beschäftigung in der Weberei und Schneidereiwerkstatt eingesetzt, die gleichzeitig als Umschulung oder Anlernung gewertet wird“.58
Im Gegensatz dazu entschied das Jugend- und Fürsorgeamt Halle (Saale) über die Mädchen, welche „von der weiblichen Polizei aufgegriffenen“ und „dem Jugendamt zur Verfügung gestellt“ wurden, „von Fall zu Fall“.59 War eine Unterbringung in einem Heim notwendig, „so würden die abends Aufgegriffenen in der Regel dem Frauen- und Mädchenzufluchtheim, Weidenplan 5, zugewiesen, Jugendliche in einer kleinen Abteilung des Jugend- und Fürsorgeamtes, sofern sie nicht völlig verwahrlost seien, aufgenommen“.60 Gleichzeitig versuchte das Jugend- und Fürsorgeamt weitere Möglichkeiten für die Unterbringung und Betreuung von geschlechtskranken Mädchen zu organisieren. So geht aus einem Vermerk vom 19. März 1947 hervor, dass es im stärkeren Umfang als bisher notwendig sei, weitere Einrichtungen verfügbar zu halten.61 Das bereits erwähnte Frauen- und Mädchenzufluchtsheim am Weidenplan 5 war in der Trägerschaft der Evangelischen Stadtmission. Hier hatte die Stadt Halle (Saale) selbst die „Abteilung für leicht gefährdete jugendliche Mädchen“62 geschaffen. Diesen Kontakt versuchte das Jugend- und Fürsorgeamt nun auszubauen. In einem Vermerk dazu heißt es: „Der Leiter der Stadtmission hat sich bereit erklärt, ein Heim mit 20 Plätzen für das Jugend- und Fürsorgeamt bereitzuhalten. Für dieses Heim ist eine in der Gefährdetenfürsorge erfahrene Leiterin zu berufen und die Betreuung nach den Weisungen des Jugend- und Fürsorgeamtes zu übernehmen, unter der Voraussetzung, daß die Belegung der 20 Plätze vom Jugend- und Fürsorgeamt garantiert wird.“63 Die Stadtmission sei jedoch nicht bereit, „das Heim als geschlossenes Heim zu halten, d. h. keinen Ausgang zu gewähren“.64 Alle weiteren Aufgaben, beispielsweise die Zuführung der Mädchen an das Arbeitsamt oder zum Amtsarzt, die Aufsicht über die zugeführten Mädchen sowie das Hindern der Mädchen an einer Flucht aus dem Heim, könnten von der Evangelischen Stadtmission übernommen werden.65 Der Plan zum Ausbau der Kooperation zwischen der Stadt Halle (Saale) und der Evangelischen Stadtmission wurde im Mai 1947 umgesetzt: „Unter Bezugnahme auf die bisherigen Besprechungen mit Herrn Pastor F. (Abk., d. A.) und auf dessen Teilnahme an der Sitzung des Ausschusses für das öffentliche Fürsorgewesen am 23. 3. 1947 teilen wir ihnen mit, daß inzwischen der Rat der Stadt Halle dem auf Anregung des Jugend- und Fürsorgeamtes gemachten Angebot der Stadtmission auf Einrichtung eines Übergangsheimes für gefährdete Frauen und Mädchen mit insgesamt 20 Plätzen zugestimmt hat.“66 Mit der Einrichtung dieses Übergangsheims für gefährdete Frauen und Mädchen durch das Jugend- und Fürsorgeamt konnte Ende der 1940er Jahre eine weitere Alternative zum Arbeitslager in Schönebeck geschaffen werden.
Eine Verwaltungsvorschrift mit Kriterien für die Einweisung in ein Übergangsheim oder in das Arbeitslager ist nicht bekannt. Vermutlich entschieden die verschiedenen Ämter bzw. Personen auf Grundlage der individuellen Krankengeschichte eines als gefährdet eingestuften Mädchens, bzw. einer als gefährdet eingestuften Frau. Sehr wahrscheinlich wurde diejenige, die sich zum ersten Mal mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt hatte, nach der medizinischen Versorgung in den Ambulatorien in ein Übergangsheim eingewiesen. Diejenige hingegen, die mehrmals nacheinander mit einer Geschlechtskrankheit registriert wurde, kam wahrscheinlich in das Arbeitslager in Schönebeck.67
2.2 Lokalrazzien, Erziehung der „Asozialen“ und die Einrichtung einer Beobachtungs- und Fürsorgestelle für Geschlechtskrankheiten in der Kleinen Klausstraße 16
Anfang der 1950er Jahre wurden einige Änderungen im Umgang mit Geschlechtskranken in Halle (Saale) diskutiert und schließlich umgesetzt. Zu diesen Veränderungen gehörte einerseits, dass die „durchgeführten Grossrazzien auf Geschlechtskranke (…) aufgehoben und durch gezielte Lokalkontrollen ersetzt“68 wurden. Andererseits setzte sich eine neue Auffassung über Geschlechtskranke durch: Diese seien keine Prostituierten, sondern „Asoziale“, die erzogen werden müssten. Unterstrichen wurde hierbei die Auffassung, „daß unser fortschrittlich demokratischer Staat verpflichtet ist, alle Menschen zu erziehen, zum Schutze der gesunden Gemeinschaft besondere Fürsorge für die Gefährdeten zuwenden muß“.69 Darüber hinaus wurde mit dem Bauantrag (1949) und dem Bauschein (1950) für eine Beobachtungs- und Fürsorgestelle für Geschlechtskranke in der Kleinen Klausstraße 16 die Grundlage für die geschlossene Venerologische Station in Halle (Saale) gelegt. Die neuen Lokalkontrollen, welche die bisher üblichen Großrazzien ablösten, wurden durch Mitarbeiter der Kreisgeschlechtskranken-Aufsicht in Begleitung von Volkspolizisten durchgeführt.70 Für diese mehrfach wöchentlich stattfindenden „nächtlichen Kontrollen“71 erhielten die Mitarbeiter eine Aufwandsentschädigung. Dieses System der nächtlichen Lokalkontrollen wurde in den folgenden Jahren ausgebaut. So findet sich ein Schreiben vom 26. Februar 1953, in dem die gezielten Kontrollen dargestellt werden. Zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten seien laufend nächtliche Lokalkontrollen und -streifen im Stadtgebiet erforderlich, um die „HwG.-treibenden Personen zu erfassen und der entsprechenden Untersuchung zuzuführen. (…) Sie werden von den Gesundheitsaufsehern der Dienststelle zum Teil mit Amtshilfe der Kripo, Abt. KC 4, durchgeführt“.72 Nach der Registrierung wurden die aufgegriffenen Personen den medizinischen Versorgungseinrichtungen übergeben.
Abb. 1 Geschlechtskrankheiten drohen! Kennt ihr euch überhaupt? (Plakat um 1947)
Parallel zur Umstellung von Groß- auf Lokalrazzien änderte sich auch die Vorstellung von geschlechtskranken Mädchen und Frauen in der Verwaltung von Halle (Saale); von der Prostituierten zur „Asozialen“. Mit diesem Wandel deutete sich eine Umstellung im Umgang mit Geschlechtskranken an. Bis Ende der 1940er Jahre wurden geschlechtskranke Frauen mehr oder weniger als Prostituierte betrachtet, die sich aus der wirtschaftlichen Not heraus und infolge des Zweiten Weltkriegs prostituierten: „Wir wissen, daß in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch große wirtschaftliche Maß- und Notstände überwunden werden mußten. Die Not in der Ernährungslage bestimmte haltschwache und triebhafte Frauen, sich durch hemmungsloses Ausleben wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen.“73 So heißt es in einer Vorlage für die Stadtverwaltung von Halle (Saale). Diese Frauen galt es zu registrieren, medizinisch zu versorgen und teilweise zu internieren.
Diese Perspektive, geschlechtskranke Frauen als Prostituierte zu betrachten, war in den verschiedenen Ämtern der Stadtverwaltung Halle (Saale) traditionell verankert. Bis Ende der 1940er Jahre existierte in der Kleinen Nikolaistraße ein bekanntes Rotlichtviertel, wie sich ein Zeitzeuge aus Halle (Saale) erinnert: Zu der damaligen Zeit war es dort „recht anrüchig, also alleine ging man da nicht rein. Ich musste einmal da rein. Jetzt lachen Sie nicht. Ich habe Zimmermann gelernt und eines Tages sagt der Geselle zu mir, so 1948, war im zweiten Lehrjahr, pack mal das Werkzeug ein, das und das, wir müssen morgen früh gleich in die Kleine Nikolaistraße, dort ist irgendwie, in Garagen ist eingebrochen worden, wir müssen das wieder dicht machen. Naja, da komme ich als 16-Jähriger nun da lang, naja man musste ja, durchgezogen sind wir ja schon mal als junge Kerle, aber in der Gruppe, es war ja ein bisschen gefährlich. So, naja, da hingen so ein paar Damen aus dem Fenster und das war so kurz vor 7 (…) und denn war da auch ein Gemüsegroßhändler und da kauften die Damen ein und naja, ich habe geguckt, die waren ja wirklich leicht angezogen“.74 Eine Anspielung auf diese Geschichte rund um die Kleine Nikolaistraße findet sich in der Oleariusstraße, Ecke Große Klausstraße in Halle (Saale) in einem Wandbild von Hans-Joachim Triebsch (* 1955). Es wurde 1988 gemalt und 2002 überarbeitet bzw. erneuert und zeigt unter anderem Szenen, die auf die Straßenprostitution in Halle (Saale) anspielen (Abb. 2).
Im August 1951 schien dieser Teil der Geschichte für einige Mitarbeiter der Stadtverwaltung Halle (Saale) überwunden. So heißt es in der Vorlage für die Stadtverwaltung: Heute spielten die „wirtschaftlichen Sorgen (…) keine entscheidende Rolle mehr und trotzdem hat das Problem zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheit zum Schutze der gesunden Volksgemeinschaft noch keine befriedigende Lösung gefunden“.75 Weil es bisher zu keiner entscheidenden Wende bei der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten gekommen sei, dachte man über neue Ansätze zur Verbesserung der Situation nach. In diesem Zusammenhang wurde einerseits vorgeschlagen, neue gesetzliche Bestimmungen zu erlassen. Andererseits ging es um eine besondere Fürsorge für die Gefährdeten, die Erziehung. So heißt es in der Vorlage für die Stadtverwaltung beispielsweise, dass die Wiedereingliederung der Gefährdeten „in das gesellschaftliche Leben (…) nur bei intensiver, geduldiger Beeinflussung durch geschulte moderne Pädagogen in geschlossenen Anstalten versucht werden (kann). Bestimmung des Menschen ist, nützliche Arbeit zu leisten. Dieser Urinstinkt ist bei den gefährdeten Menschen durch das maßlose Trieblieben überwuchert. Er muß freigelegt, gestärkt oder überhaupt erst einmal geweckt werden. Darum muß die nützliche Arbeit besonders im Mittelpunkt der Heimerziehung Gefährdeter stehen“.76
Abb. 2 Wandbild von Hans-Joachim Triebsch (* 1955) von 1988/2002 (Ausschnitt aus Wandbild, 2014)
Infolge dieses Wandels wird es nicht mehr um Prostituierte gehen, die sich aus wirtschaftlicher Not prostituierten, sondern um die sogenannten „Asozialen“77: „Es ist in Zahlen nachweisbar, daß ein bestimmter Teil von Frauen und Mädchen in den letzten 2 Jahren bis zu 10mal lang- und kurzfristiger stationärer Behandlung benötigten. Dabei sei aufgezeigt, in welchem Maße die Volksgemeinschaft durch das ungezügelte Triebleben asozialer Elemente gefährdet und belastet ist. Sie entziehen nicht nur dem Aufbau ihre Kräfte, sondern verursachen hohe Kosten, finanzielle Mittel, die wiederum dem Aufbau der Wirtschaft entzogen werden.“78 Für diese „triebhaften“, „asozialen“ und geschlechtskranken Mädchen und Frauen galt es, so sieht es das Diskussionspapier für die Stadtverwaltung vor, geschlossene Einrichtungen zu schaffen, in denen ihnen der Willen zu nützlicher Arbeit anerzogen werden sollte. Als pädagogische Grundlage für die Erziehung der gefährdeten Mädchen und Frauen sollten die Schriften des sowjetischen Schriftstellers Anton Semjonowitsch Makarenko (1888 – 1939) dienen.79 Im Diskussionspapier heißt es: „In seinem ‚Pädagogischen Poem. Der Weg ins Leben‘ schildert er (Makarenko, d. A.) die Erfolge seiner Erziehungsarbeit bei Jugendlichen, die verwahrlost sind. Unsere Zeit sieht den Sinn des Lebens im Einsatz für eine allgemeine, gleichmäßige Höherentwicklung der Gesellschaft und könnte auf dieser Grundlage das Problem der Gefährdetenbetreuung und im Großen gesehen das der Bekämpfung der Geschlechtskrankheit lösen.“80 Dieses Diskussionspapier beschreibt den grundsätzlichen Wandel im künftigen Umgang mit Geschlechtskranken in Halle (Saale): Nicht Arbeitslager, sondern geschlossene Einrichtungen für Gefährdete und deren pädagogische Unterweisungen stellten nunmehr das Maß der Dinge dar.
Eine solche Einrichtung war die geschlossene Venerologische Station der Poliklinik Mitte in Halle (Saale). Bevor diese geschlossene Station im Jahr 1961 eröffnete wurde, sollte an gleicher Stelle, in der Kleinen Klausstraße 16, eine Beobachtungs- und Fürsorgestelle für geschlechtskranke Mädchen und Frauen eingerichtet werden. Die Institution der Beobachtungsstation für geschlechtskranke Mädchen und Frauen war in Halle (Saale) nicht neu. Eine Beobachtungsstation war bereits 1947 zur Unterstützung der Ambulatorien eingerichtet worden. Dorthin wurden viele durch die Polizeistreifen aufgegriffenen Mädchen und Frauen zur Untersuchung eingeliefert, wie Medizinalrat L. in seinem Vortrag im Polizeipräsidium von Halle (Saale) ausführte.81 Im Herbst 1949 liefen die Planungen für eine weitere Beobachtungsstelle für geschlechtskranke Mädchen und Frauen.
Die Aufgaben dieser Beobachtungs- und Fürsorgestelle wurden in einer Sitzung des Ausschusses für das Sozialwesen am 24. August 1951 wie folgt umrissen: „In der Beobachtungsstation werden die Frauen und Mädchen beraten, die nach Entlassung aus stationärer Behandlung keinen festen Wohnsitz haben, in das Zufluchtsheim gegeben, bis sie durch Aufnahme von Arbeit in gesicherte Verhältnisse kommen. Das Zufluchtsheim ist heute noch das einzige Heim, das für diesen Notstand im Stadtgebiet Halle vorhanden ist.“82 Besonders Jugendliche waren zeitweise unter Aufsicht der Beoachtungsstation und hatten dort extra eingerichtete Räume für die Zeit ihres Aufenthalts: „Werden dort Jugendliche, also unter 18-jährige behandelt oder bekannt, muss von den genannten Abteilungen festgestellt werden, ob eine Aufnahme der Jugendlichen nach Entlassung aus der B-Station im elterlichen Haushalt möglich oder wünschenswert ist.“83 Andernfalls konnten die Jugendlichen in Durchgangsheimen untergebracht werden, bevor sie anderen erzieherischen Einrichtungen, beispielsweise Erziehungsheimen, zugeführt wurden. Um entscheiden zu können, wohin der Facharzt der Beobachtungsstation die Jugendlichen entließ, hatte er ein „Interesse daran, über die Lebensverhältnisse der Behandelten und über ihren Ruf näheres zu erfahren“.84 Teilweise wünschten auch die Patienten eine Rücksprache, um die Betreuung ihrer Kinder während ihres Krankenhausaufenthaltes zu regeln. In solchen Fällen wurde über die Abteilung eine Heimerziehung und/oder Heimunterbringung veranlasst.
Von der Beobachtungsstation für geschlechtskranke Mädchen und Frauen in der Kleinen Klausstraße 16 existiert ein Bauplan vom 7. Juli 1949. Dieser war dem eingangs erwähnten Bauantrag85 des Rats der Stadt Halle (Saale) vom 14. August 1949 an die Landesregierung Sachsen-Anhalt beigelegt.86 Aus dem Bauplan geht hervor, dass ein „Fachkrankenhaus“ und „eine Beobachtungsstelle im Mittelflügel an der Gr.-Nikolai-Str.“ errichtet werden sollten. Außerdem geht aus dem Bauplan hervor, dass beide Einrichtungen räumlich miteinander verbunden werden sollten ((Abb. 3).
Im linken Seitenflügel waren eine Schwesternwohnung, eine Wäschekammer, ein Röntgen- und ein Umspann-Raum einerseits sowie ein Schlafraum für Jugendliche, ein Schlafraum für Patienten, eine Teeküche, ein Waschraum und eine Toilette für die Schwestern bzw. ein Waschraum und Toiletten für die Patienten vorgesehen. Im rechten Seitenflügel waren ein Zimmer, ein Wohnraum und eine Küche geplant. Der Mittelflügel an der Großen Nikolaistraße war von links nach rechts wie folgt aufgebaut: Einem großen Schlaf-Saal mit vier Fenstern zur Großen Nikolaistraße und einem Fenster zum Innenhof folgte ein etwas kleinerer Tagesraum mit drei Fenstern zur Großen Nikolaistraße und drei Fenstern zum Innenhof. Der anschließende Behandlungsraum, das folgende Arztzimmer und das Aufnahmebüro hatten jeweils ein Fenster zum Innenhof. Diese drei Räume waren durch einen Flur miteinander verbunden, der vom Tagesraum (links) bis zum Pförtner im Treppenhaus (rechts) reichte.87