Kitabı oku: «Moritz und das geheimnisvolle Topasia», sayfa 2
»Dann soll es nun soweit sein«, rief die riesenhafte, weibliche Gestalt mit widerhallendem Echo. »Lass mich mit Hilfe dieses Jungen zurückkehren und meine Aufgabe zu Ende bringen.«
Kaum hatte sie diese Worte fertig gesprochen, stieß sie den völlig überraschten Moritz so heftig mit ihrem Stock, dass er nach hinten aus dem Fenster fiel. Und obwohl er aus der zweiten Etage fiel, war es, als würde Moritz in einen schier endlosen, lichtlosen Abgrund stürzen, der ihm jede Besinnung raubte.
3. Der Auftrag
Ein Rascheln weckte Moritz. Er lag auf einer Wiese und blinzelte in einen azurblauen Himmel. Wo war er hier?
Hinter ihm ragte eine Bergkette steil auf. Die Berge waren so hoch, dass sie irgendwann weiß wurden und Wolken ihre Spitzen verdeckten.
Ganz in seiner Nähe befand sich ein Stein, ein Findling.
Unterhalb der Wiese gab es einen Wald, dessen Bäume eine üppig gewachsene Krone besaßen, durch die das Sonnenlicht kaum durchdringen konnte.
Moritz runzelte die Stirn. Alles, an was er sich erinnern konnte, war dieser Sturz aus dem Fenster … Plötzlich wurde das Rascheln neben ihm immer lauter. Irgendetwas um ihn herum ging vor sich, von dem er nicht wusste, was es war. Ehe er sich den Geräuschen zuwenden konnte, spürte er etwas an seinem Ohrläppchen kitzeln und im nächsten Moment machte es auch schon Zwick. »Autsch!«, zuckte Moritz seinen Kopf zur Seite, aber das Zwicken wollte nicht nachlassen. Er fühlte eine Pflanze, zog an ihr, doch so einfach mochte sie nicht klein beigeben. »Lass los, du blödes Mistding«, knurrte er. »Ich habe keine Lust auf Löcher im Ohr, bloß weil du mich mit deinem Essen verwechselst. Such dir gefälligst was anderes!« Er presste die Lippen aufeinander und zerrte die Pflanze schließlich ab, hielt das etwa zehn Zentimeter große Gewächs hoch und sah es an. Vom Stängel bis zum Kopf war es ganz grün und sah ein klein wenig aus wie eine Hagebutte. Oben an der Spitze konnte er eine Öffnung erkennen, die reflexartig auf- und zuschnappte.
Kleine, spitze Zähne lauerten dort ringsherum auf fleischhaltige Opfer. Aber nicht mit mir, dachte Moritz und stand auf.
Nachdem er sich die Pflanze noch etwas angeschaut hatte, holte er aus und schmiss sie in die grüne … Jetzt erst erkannte er, in was er da eigentlich stand – eine Wiese mit jeder Menge kleiner, gefräßiger Pflanzenmonster.
»In was bin ich da bloß reingeraten?«, zupfte sich Moritz nervös am Ohr.
»Wenn du willst, helfe ich dir auf die Sprünge«, hörte er eine Stimme antworten.
»Hä? Wer ist da?« Überrascht blickte sich Moritz um, konnte jedoch nirgends einen erkennen. »Was soll denn das Ganze?«
»Mein Name ist Kriemhild von den Kupferhöhlen oder für dich, Frau Müller.«
»Frau Müller? Wo sind Sie?«
»Immer noch in deiner Welt. Aber nicht mehr lange. Mit deiner Hilfe werde ich zurückkehren können.«
»Was soll das heißen?«
»Was das heißen soll? Dass du etwas für mich tun sollst!«
»Und warum machen Sie das nicht selbst?«
»Oh, gehst du mir auf die Nerven. Das ist ja schlimmer wie Spinnenkraut.«
»Ist mir egal. Ich werde einer ollen Hexe wie Ihnen nicht helfen. Sie können mich jetzt wieder zurückholen und sich einen anderen suchen, der was auch immer für Sie erledigen soll.«
»Geht nicht.«
»Wie, geht nicht? Ich will wieder nach Hause!« Moritz fühlte sich schrecklich, so ganz allein in dieser fremden Welt. Das durfte einfach nicht wahr sein! Er war kurz davor, einen Wutanfall zu bekommen.
»Was glauben Sie eigentlich, wie lange es dauert, bis meine Mutter mich vermisst?«
»Das wird sie gar nicht merken. Es ist die Zeitspanne der Sonnenfinsternis, die es mir möglich macht, dich hierher zu schicken. Bevor sie vorbei ist, bist du wieder zurück. Aber nur, wenn du mir was Schönes mitbringst.«
»Was wollen Sie denn haben? Vielleicht noch ein Ei? Allerdings kann ich hier nichts entdecken, wo man so etwas kaufen kann. Dann könnte ich Ihnen ein paar von diesen wunderschönen Blumen pflücken.« Moritz bückte sich und riss wahllos eine der Pflanzen heraus, ehe sie nach ihm schnappen konnte.
»Brrr«, hörte er es in der Luft rasseln. »Nimm gefälligst deine Finger aus meiner Wiese, oder … «
»Oder was? Ist außerdem gerade passiert. Und dass das Ihre Wiese ist, wundert mich gar nicht. Was ist das überhaupt für eine schräge Gegend hier?«
»Das ist Grünholm, mein Zuhause.«
Moritz sah sich um, ließ die Pflanze wieder fallen und blieb wie gebannt bei dem Wald hängen. »Und der Wald da unten?«
»Das ist der Kürbiswald.«
»Der was?«
Er bekam keine weitere Auskunft, Kriemhild hüllte sich für einen Moment lang in Schweigen. Als sie fortfuhr, sagte sie: »Ich denke, dass du dir inzwischen über deine Lage im Klaren bist, den Auftrag annimmst und erledigst. Immerhin bleibt dir nicht viel Zeit dafür. Also solltest du dich ranhalten.«
»Was soll das eigentlich für ein Auftrag sein?«
»Du sollst mir Anika bringen, die Tochter des Burgherrn zu Bogenwall. Sie wohnt in der Burg Drachenzahn.«
»Wieso das denn?«
»Das brauch dich nicht zu interessieren. Finde sie einfach und erfülle deinen Teil des Auftrags.«
»… Was, wenn sie nicht will? Wenn sie keine Lust hat, mit mir mitzukommen?«
»Dann bist du auf ewig in dieser Welt gefangen. Wirst sie eben dazu bringen müssen, mit dir zu gehen. Streng deinen Kopf an – lass dir was einfallen.«
Moritz überlegte, fand aber keine Möglichkeit, wie er sich aus dem ganzen Schlamassel befreien konnte. Ob er wollte oder nicht, und er wollte ganz bestimmt nicht, musste er versuchen, die Burg Drachenzahn und damit Anika zu finden.
»Gut, und wie komme ich dahin?«
»Du musst durch den Kürbiswald.«
Moritz riss die Augen auf. »Ich muss durch diesen Wald?«
»Ganz genau. Es ist der kürzeste Weg zur Burg. Aber nimm dich vor ihm in Acht. Halte dich eng an den Bäumen, dann kann dir so gut wie nichts passieren.«
»So gut wie nichts?« Das war eindeutig genug. »Das können Sie vergessen – auf keinen Fall gehe ich da durch!« Bockig trat Moritz gegen eine Pflanze und wieder war in der Luft ein Rasseln zu hören.
»Mach nicht so ein Theater! Lauf los, pass auf und denk an die Zeit.
In spätestens drei Tagen musst du zurück sein. Und nur, wenn die Sonne am höchsten Punkt steht, kannst du wieder zurück, natürlich nur sofern du das Mädchen dabei hast.«
Moritz lief ein Schauder über den Rücken. Wie sollte er das anstellen, ein Mädchen in einer völlig fremden Welt zu finden, und das auch noch in einer vorgegebenen Zeit? Da hatte er sich ja ganz schön was eingebrockt.
Enttäuscht vergrub Moritz die Hände in den Hosentaschen. Was sollte er nur tun? Schließlich machte er einen ersten Schritt auf den Wald der Kürbisse zu. Es blieb ihm nichts anderes übrig.
4. Die Schildigel
Je näher er kam, umso höher ragte der Wald in den Himmel. Die knorrigen Baumriesen, die sich nahezu gradlinig in die Höhe streckten, saßen auf Wurzeln, die wie die Tentakel eines Kraken aus der Erde ragten, und sich an anderer Stelle wieder tief in den Boden bohrten.
An den kräftigen ausladenden Ästen hingen Blätter und Kürbisse.
Moritz überlegte – das, was er da vor sich sah, kam ihm irgendwie bekannt vor. Bloß woher?
Mühsam versuchte er seine Gedanken zu ordnen. Kannte er das aus einem Traum, den er vergessen hatte, und der sich ihm wieder ins Gedächtnis rief? Da fiel es ihm ein, dass es nichts mit einem Traum zu tun hatte. Es war diese Frau Müller gewesen, als sie ihm zu Hause die Hand auf den Kopf legte.
Und da meldete sie sich bei ihm.
»Moritz?«
»Ja?«
»Sobald du den Wald betrittst, wird es mir nicht mehr möglich sein, mit dir zu sprechen. Von da an bist du auf dich allein gestellt. Den Weg zur Burg hast du in deinem Kopf, falls du das noch nicht gemerkt hast. Und wenn du mit Anika zurückkommst, dann geht ihr zu dem großen Stein auf der Wiese und wir können wieder in Kontakt treten. Und jetzt spute dich, erfülle den Auftrag!«
»Nur nicht hetzen, ich gehe gleich los«, sagte Moritz mit einem gewissen Unmut in der Stimme. »Das gefällt mir ganz und gar nicht«, raunte er, betrat den Wald und … »Igitt, was ist das denn?« Angewidert zog er seinen Fuß aus einem Matschloch und wagte sich vorsichtig weiter in den Wald hinein.
Es roch nach Erde, Schlamm und feuchten Wurzeln.
Nur Dämmerlicht drang in die bizarre Baumlandschaft und ließ den Wald unheimlich erscheinen.
Dicht über dem Boden waberten Nebelschwaden, unter denen eine mattschwarze Brühe blubberte. Sumpf. Moritz runzelte die Stirn und sah sich um. Nirgends konnte er auf dem Waldboden Laub oder Reste von Früchten entdecken. Was war das bloß für ein eigenartiger Ort?
Nachdem sich Moritz von den ersten Eindrücken gelöst hatte, lief er zu dem Baum, der ihm am nächsten stand und versuchte einen Plan zu fassen, wie er den seltsamen Wald am schnellsten hinter sich lassen könnte.
Einfach losrennen, dachte er. Im nächsten Augenblick stieß er sich von dem Baum ab, peilte einen zweiten weiter vorn an und lief auf ihn zu. Eine Wurzel wuchs quer über seinen Weg und er musste sich drunter hindurchzwängen.
Als Moritz den Baum erreichte, hielt er inne, um kurz zu verschnaufen. Wie weit würde es noch sein, bis er … Da bemerkte er, wie sich etwas rührte, blickte zur Seite und … die Wurzel bewegte sich!
Moritz wollte gar nicht wissen, warum sich die Wurzel bewegte und rannte schnell weiter. Von Baum zu Baum hetzte er durch den Wald und der Matsch des Waldbodens haftete an seinen Schuhen, die immer schwerer wurden.
Er lief und lief und der Wald wurde immer unruhiger. Moritz aber achtete nicht darauf, rannte, kletterte was er konnte, als er mit einem Mal ausrutschte und mit beiden Beinen in ein Sumpfloch einsackte. Ein kurzer, greller Schrei hallte daraufhin durch den Wald. Panisch suchte Moritz nach etwas, um sich festzuhalten und fand eine verkrümmte Wurzel, die neben dem Loch aus dem Waldboden ragte. Er griff nach ihr, biss die Zähne zusammen und zog sich Stück für Stück aus dem Sumpfloch heraus. Nun entdeckte er, dass sogar einzelne Bäume anfingen zu schwanken.
Moritz ging an einem noch ruhig stehenden Baum in Deckung.
Ganz in seiner Nähe stemmte sich einer der Wurzelstränge aus dem Boden, gab dabei ein Knarren und Knacken von sich, dass es durch den Wald hallte und sich ein langer Riss im Erdreich auftat. Mit einem letzten Ruck hatte sich der Strang herausgerissen, schnellte wie eine Peitsche durch die Luft und schlug mit einer enormen Wucht auf, die alles ringsherum zum Beben brachte. Erde flog wie bei einer Explosion durch die Luft und spritzte mitten in Moritz’ Gesicht. Angewidert wischte er sich mit dem Arm über die Augen und blickte nach oben. Der Baum über ihm fing nun auch an zu schwanken und schüttelte ein paar Blätter aus der Krone. Grüne, ovale Blätter, die an ihrer Unterseite silbern glänzende Stacheln besaßen. Moritz schätzte sie auf eine Länge von gut zwanzig Zentimetern.
Nachdem die Stachelblätter gelandet waren, steckten sie pfeilgerade im Boden. Und jetzt sah Moritz auch, warum es überall so sauber war. Denn die Blätter verschwanden in der Erde und erzeugten dabei ein Knistern, wie wenn man ein trockenes Blatt in der Hand zusammendrückt.
Moritz juckte die Nase und er entschied weiterzugehen, als sich in das Knacken der Wurzeln ein Grollen mischte. Es drang durch das Unterholz, kam von der Seite, näherte sich, flog vorbei, und ließ Wortfetzen zurück. Moritz blickte in die Luft, als ob er sie dort lesen könnte: gehörst … nicht hin! Verlass … Wald!
»Das will ich ja!«, rief er beinahe verzweifelt in die Luft hinein. »Nur dazu musst du mich gehen lassen.«
Der Wald antwortete mit einem Pfeifen. Moritz schaute nach oben und drückte sich ängstlich noch enger an den Baum. Über ihm war ein Kürbis im Anflug. Mit einem patschenden Geräusch landete er und platzte auf. Kaum eine Sekunde später quoll ein eklig fauliger Gestank aus seinen Ritzen und hüllte ihn damit ein. Moritz wurde übel. Er wollte flüchten, irgendwohin, aber nirgends war er hier sicher.
Inzwischen hatte es massenweise Stachelblätter zu regnen begonnen. Auch die Kürbisse fielen jetzt in immer kürzeren Abständen. Der Wald spielte total verrückt, was für Moritz nur eines bedeuten konnte: Raus hier!
Ohne sich eine genaue Route auszudenken, lief er los. Das T-Shirt, die Hose und die Schuhe, an denen immer mehr der Schlamm klebte, ließen ihn zwar spürbar langsamer vorwärts kommen aber er lief und sehnte sich danach, bald das Ende des Waldes zu erreichen. Dabei achtete er auf Blätter und Kürbisse, die auf dem Boden ein heilloses Durcheinander anrichteten, der sie gar nicht so schnell verschwinden lassen konnte, wie sie auf ihn landeten. Zusehends verwandelte sich der Boden in eine rötlich-grüne Masse.
Während Moritz über eine weitere Wurzel kletterte, hielt er plötzlich inne. In einiger Entfernung erkannte er ein Licht, das dicht neben einem Baum auftauchte. Was war das für ein Licht? Zu wem gehörte es? War er hier nicht allein? Er blieb auf der Wurzel und wollte sich des Lichts vollkommen sicher sein, als dicht neben ihm ein Kürbis auf den Boden klatschte. Moritz verlor den Halt, stürzte von dem Strang und geriet in ein weiteres Sumpfloch, das noch viel größer war als das vorherige. Er suchte wieder nach einer Wurzel, an der er sich festklammern konnte, doch seine Hände fanden nichts als haltlosen Matsch. Diesmal schien er dem Sumpf nicht entkommen zu können.
In Moritz stieg Panik auf. Vor Anstrengung stöhnte er. Da kehrte in den Wald wieder Ruhe ein. Die Wurzeln vergruben sich in der Erde, die Bäume hörten zu Schwanken auf. Hier und da fielen noch Früchte und Blätter zu Boden, aber auch das ließ bald nach.
Moritz in dem Loch sank unaufhörlich tiefer ein. Kläglich begann er nach Hilfe zu rufen doch es kam niemand. Von nun an konnte er an nichts mehr denken, er konnte nur noch eines tun, die Luft anhalten, ehe er vollständig im Sumpf verschwinden würde. Im allerletzten Moment, sein Kopf war schon zur Hälfte eingetaucht, berührten seine Hände etwas, was sie nicht mehr loslassen wollten.
Gedanken schossen ihm wie Blitze durch den Kopf. War das seine Rettung? Hatte man ihn entdeckt und kam ihm zur Hilfe geeilt? Hatte es vielleicht mit dem Licht zu tun, das er gesehen hatte?
Mit einem energischen ›Zieht‹, gelangte Moritz ruckweise aus dem Sumpfloch und blieb schließlich gerettet völlig erschöpft und zitternd liegen.
Erst nachdem er wieder Kräfte verspürte, setzte er sich ganz langsam auf und wischte mit dem Handrücken die Augen frei. Mit verschwommenem Blick sah er sich suchend um. Ein Licht konnte er nicht mehr entdecken, dafür etwa ein dutzend Augenpaare, die ihn neugierig anstarrten. Kleine schwarze Kulleraugen, die zu ebenso kleinen Wesen gehörten, die kaum mehr als einen Schritt Körpergröße maßen. Irgendwie erinnerten sie Moritz an Igel. Und wie sich dann eines nach einem anderen umdrehte, fiel ihm auf, dass ihnen alle Stacheln fehlten. Über dem Rücken trugen sie einen Panzer, wie ihn sonst nur Schildkröten besitzen, wenn auch nicht so rund. Sie standen auf zwei Beinen, hatten eine kurze blattgrüne Hose an und auf dem Kopf trugen einige von ihnen einen kleinen Hut, der aus Kürbisschalen gefertigt war. In den Händen hielten sie einen langen Wurzelstrang. Sie hatten ihn befreit, wurde Moritz klar. Aber anstatt sich bei ihnen zu bedanken, hatte er nur Fragen für sie übrig.
»Wer seid ihr? Und wo ist das Licht, das ich gesehen habe?«
Ein aufgeregtes Raunen ging daraufhin durch die Reihen der Wesen, aber keines wollte Moritz direkt antworten.
Es dauerte eine Weile, bis eines von ihnen beschloss das Reden zu übernehmen. Um den Körper herum trug das männliche und zugleich größte Wesen unter ihnen ein Geflecht aus dünnen Wurzelsträngen und ging jetzt langsam auf Moritz zu.
»Du hast ein Licht gesehen?«, erwiderte das Wesen in einer Art Singsang, der zu Anfang leise dann laut und zum Ende wieder leise wurde.
Auch wenn sich Moritz darüber wunderte, warum es ganz offenbar seine Sprache verstand und selbst sprechen konnte, wunderte er sich noch mehr darüber, wie es sprach und wie sich sein Körper dabei veränderte. Denn während er redete oder eben sang, leuchtete er vom Bauch bis hinauf zum Hals schwach orangefarben. Nur hatte das mit dem Licht, was er glaubte gesehen zu haben, so ganz und gar nichts zu tun.
Moritz wusste, dass ihn seine Verwunderung nicht weiter brachte und so nickte er ungeduldig auf die Antwort wartend.
Wider Erwarten schüttelte das Wesen den Kopf. »Es gibt hier kein Licht. Was du gesehen hast, muss eine Einbildung gewesen sein, die dir in deiner Not erschienen ist.«
Moritz runzelte die Stirn. Das Licht – eine Einbildung? Er zuckte die Schultern und dachte über die Aussage des Großen nach. Vielleicht hatte er ja recht, immerhin schien das ihr Wald zu sein und somit kannten sie sich weit besser aus als er. Vorerst verwarf er die Gedanken an das Licht.
Aber was war mit seiner ersten Frage? Solche Mischwesen aus Igel und Schildkröte hatte er bisher noch nie gesehen. So wiederholte er seine erste Frage: »Wer seid ihr?«
»Bevor wir dir darauf antworten, wüssten wir gern, was ein Mensch wie du hier zu suchen hat?«, entgegnete der Große und sein Körper leuchtete erneut wie eine batterieschwache Taschenlampe.
»Ich muss so schnell wie möglich zur Burg Drachenzahn«, keuchte Moritz noch hörbar geschwächt. Dann erzählte er in knappen Sätzen, dass Kriemhild ihn hierher geschickt hatte.
»Kriemhild?«, ging der Große erstaunt dazwischen. »Etwa die Kriemhild von den Kupferhöhlen?«
Moritz nickte und erneut ging ein Raunen durch die Reihen der kleinen Wesen.
»Wenn dem so ist«, setzte der Große mit einer Spur voller Verachtung in der Stimme an, »hätten wir dich der Macht des Waldes überlassen sollen. Niemand der vernünftig genug ist, lässt sich mit dieser Hexe ein. Wer mit ihr Geschäfte macht, ist nicht besser wie sie selbst und damit unser Feind.«
»Ich habe keine andere Wahl. Ich muss dieses Mädchen, Anika, finden«, bemühte sich Moritz zu erklären. »Ohne sie kann ich nicht in meine Welt zurück.«
»In was für eine Welt denn?«
»Ich würde es Euch gerne erklären wollen, aber ich glaube ihr werdet mich für verrückt halten. Ehrlich gesagt, es ist auch ziemlich verrückt. Jedenfalls bin ich jetzt hier und habe drei Tage Zeit, um sie zu finden.«
»Weißt du denn überhaupt, wo diese Burg steht?«
»Ich glaube schon«, sagte Moritz.
Der Große begann über irgendetwas nachzudenken, lächelte dann, als wäre er gerade von einem Geistesblitz getroffen. Er sagte feierlich: »Heute ist dein und unser Glückstag.«
Fragend sah Moritz ihn an.
»Wir haben dich aus dem Sumpfloch gerettet und nun kannst du uns einen Gefallen tun.«
Verwundert legte Moritz den Kopf schief. »Was für einen Gefallen denn?«
»Sei unser Gast. Du hast uns eine gute Ernte beschert und wir möchten dir mit einem Fest danken. Du kannst dich bei uns stärken und anschließend weiterziehen.«
»Aber ich muss sofort zu dieser Burg«, drängte Moritz.
Eindringlich und mit ernstem Blick sah der Große ihn an. Er hatte nicht erwartet, dass der Junge sich stur zeigen würde.
»Du wirst meine Einladung doch nicht etwa ausschlagen wollen?«
Moritz schürzte die Lippen. Er versuchte abzuwägen. Konnte er es sich leisten, die Einladung anzunehmen? Wie weit die Burg entfernt war, wusste er nicht. Er hatte allerhöchstens drei Tage. Und wie er in der Zeit an Essen kommen würde, wusste er auch nicht. Da kam ihm das Angebot durchaus gelegen. Also nahm Moritz an.
5. Das Kürbisfest
Der kleine Tross setzte sogleich zum Rückweg an. Moritz folgte ihm und beobachtete nervös den Wald.
Am Ende der Gruppe liefen zwei, die auf irgendetwas stolz waren.
Als sie bemerkten, wie Moritz sie ansah, schenkte ihm zumindest der Größere und Dünnere ein breites Grinsen.
»Wir haben dich gefunden«, sagte er schließlich mit einer piepsigen Stimme, die sich ebenfalls hob und senkte.
»Danke«, kam es spärlich aus Moritz heraus.
»Wenn wir nicht gewesen wären«, erklärte das andere Wesen, das demnach kleiner und dicker war, »dann hätte dich der Sumpf mit Haut und Haar verschlungen. Heute muss dein Glückstag sein, wenn Oktavo dich obendrein zu unserem Kürbisfest eingeladen hat.«
Seine Stimme war um einiges ernster und tiefer, kam aber auch in Wellen aus ihm heraus.
Moritz nickte dankend. Dieser Oktavo dachte er, war ganz bestimmt ihr Anführer.
Während sie liefen, erklärte ihm der Kleinere und Dickere, warum der Wald auf einmal so derartig wild wurde.
»Der Kürbiswald mag keine Menschen.« Er machte eine kleine gedankliche Pause, ehe er noch hinzufügte: »Und wir mögen auch keine Menschen.« Bei diesem Satz leuchtete sein Bauch besonders hell auf.
Moritz sah ihn verwirrt an, wollte dennoch nicht nach dem warum fragen.
»Allerdings«, schloss das andere Wesen an, »haben wir bis heute keinen einzigen von ihnen gesehen. Du bist der Erste.«
Moritz blieb stehen und schien nachzudenken. Warum luden sie ihn dann ein, wenn sie die Menschen nicht mochten? Misstrauen machte sich in ihm breit und er wollte ganz besonders vorsichtig sein.
An der Spitze des Trupps blieb Oktavo stehen, wandte sich den beiden Wesen zu und beauftragte sie, Moritz zu einem Wasserlauf zu führen, wo er sich den Schlamm, der an ihm haftete, abwaschen konnte.
Sogleich verließen sie den eingeschlagenen Weg und nahmen Moritz mit zu der Stelle im Wald.
Nur zögernd folgte er den beiden, achtete dabei auf alles, was ihn umgab. Er blies die Wangen auf, was den kleineren der beiden auf ihn aufmerksam werden ließ. Er versuchte Moritz’ Regung zu deuten, konnte sich jedoch keinen Reim darauf machen und so fragte er:
»Was ist los mir dir?«
»Ach, nichts«, winkte Moritz ab und schüttelte den Kopf.
Der Kleinere schüttelte ebenfalls den Kopf und ging weiter voran.
Kurze Zeit später waren sie da. An einem kleinen Bach, der in einem Graben lag und klares Wasser mit sich führte.
Am Rand des Grabens blieben sie stehen und blickten sich um.
»Du kannst dich jetzt sauber machen«, sagte der Kleinere zu Moritz.
»Ich gehe ein Stück und sammle für das Fest Blätter ein. Bin gleich zurück.«
Moritz stieg zu dem Wasser hinab, begann sich Gesicht und Arme zu waschen, während sich der Größere auf einer Wurzel gemütlich hinsetzte und ihm interessiert zusah. Er merkte, wie Moritz immer wieder nach dem anderen schielte.
»Das ist Flavo, mein Bruder«, zeigte er mit dem Kinn in seine Richtung. »Er ist etwas ruhig, aber sonst ganz in Ordnung. Er passt auf mich auf, dass mir nichts passiert. Ich heiße übrigens Floggi.«
»Und … was seid ihr für welche? Ich meine, gibt es einen Namen für eure Art?«, fragte Moritz verhalten.
»Wir sind Schildigel«, antwortete ihm Floggi mit seiner piepsigen Stimme. »Früher waren wir ganz normale Igel. Allerdings hat die Zeit uns verändert, seit wir in dem Wald leben müssen. Wir haben die sichtbaren Stacheln abgelegt und sie gegen einen biegsamen Panzer getauscht, um uns unter der Erde besser bewegen zu können.«
»Und wie alt seid ihr?«, wollte Moritz wissen.
Floggi blickte wieder zu Flavo, der eifrig ein Blatt nach dem anderen auflas, die der Wald bei der Masse nicht mehr verschlucken konnte.
»Flavo ist bald seinen achtundsiebzigsten Sommer alt. Ich dagegen habe erst meinen dreiundfünfzigsten Sommer vor mir.«
Moritz überlegte. Das hieße ja, dass Flavo achtundsiebzig und Floggi dreiundfünfzig Jahre alt sein mussten, wenn er seine eigene Zeitrechnung zum Vergleich nahm. Aber diese zwei wirkten beileibe nicht so, wie zum Beispiel Menschen in diesem Alter. Also musste es für dieses hohe Alter eine andere Erklärung geben.
Floggi bemerkte die Unsicherheit im Blick des Jungen.
»Was ist?«, fragte Floggi und lächelte.
»Wie alt könnt ihr Schildigel denn werden?«, fragte Moritz.
»Die meisten von uns können bis zu Zweihundertachtzig Sommer alt werden«, antwortete Floggi und blickte Moritz an, als sei das nicht wirklich besonders. »Dabei machen wir aller siebzig Sommer eine Entwicklungsstufe durch«, setzte er wieder an. »Kindheit, Jugend, dann das Erwachsenenalter und das Greisenalter. Bei Flavo ist gerade die Jugend angebrochen, was du sicher an seiner Stimmungsschwankung hören konntest.«
Moritz nickte. Dann fragte er Floggi, was ihn schon die ganze Zeit auf den Nägeln brannte.
»Warum redet ihr eigentlich so komisch? Ich meine dieses Heben und Senken eurer Stimme und dann dieser eigenartige Klang, als wenn ihr dabei singen würdet.«
Floggi zuckte nur die Schultern.
»So ist das eben bei uns Schildigeln«, gesellte sich Flavo wieder zu ihnen. »Unsere Stimmbänder sind nun mal nicht für die menschliche Stimme gemacht, daher ist es uns nie ganz gelungen, so wie sie zu sprechen. Es ist gut, wenn wir uns auch darin von ihnen unterscheiden. Außerdem denke ich, es reicht jetzt. Mehr brauchst du nicht von uns erfahren.«
Dann sah Flavo Floggi mit ernster Miene an. In den Armen hielt er eine Menge eingerollte Blätter. Die Stachel hatte er entfernt und in den Taschen seiner Hose verstaut.
»Warum hast du ihm das alles erzählt? Das nützt ihm sowieso nichts!«
Floggi zog eine beleidigte Schnute und blickte zu Boden.
»Und was unsere Stacheln angeht«, wandte sich Flavo wieder an Moritz, »so besitzen wir immer noch welche und sind bereit, sie einzusetzen, wenn es nötig ist.« Flavo schaute über die Schulter zu seinem Panzer und auf ein Mal schossen dort unzählige, silbern glänzende Stachel heraus.
Vor Staunen blieb Moritz der Mund offen.
Floggi wollte dem in nichts nachstehen und seine Stacheln nun auch präsentieren. So sehr er es auch versuchte, ein angestrengtes Gesicht machte, kein einziger Stachel wollte sich zeigen. Enttäuscht ließ der Schildigel den Kopf hängen. Da trat Flavo näher an ihn heran und wisperte ihm aufmunternd zu: »Versuch es weiter, kleiner Bruder. Los, du schaffst das!« Floggi sah ihn an und begann wieder zu pressen, bis es schließlich Klack machte. In der Mitte seines Panzers kam erst ein, dann ein zweiter Stachel zum Vorschein. Auch wenn sie nicht mehr wurden und nur langsam hervortraten, war Floggi mächtig stolz auf die zwei. Sein Lächeln kehrte zurück und in seinen schwarzen Kulleraugen war ein Leuchten, das in Moritz ebenfalls ein Lächeln entzündete.
»Das war prima, Floggi«, schlug Flavo ihn freundschaftlich auf die Schulter. »Und jetzt, fahr sie ein.«
Floggi holte Luft und erneut war ein Klacken zu hören. Gleich beim ersten Versuch hatte es geklappt, die Stacheln waren verschwunden.
Dann zog auch Flavo seine ein und drängte zur Eile. Man würde sicher bereits auf sie warten.
Moritz wollte sich noch etwas den Schlamm von der Hose und dem T-Shirt wischen, aber alles war noch zu feucht und schmierte nur breit. Er ließ davon ab, spülte seine Hände noch einmal im Wasser und ging anschließend zu Flavo und Floggi rauf. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg.
Die Gänge unter dem Kürbiswald glichen einem Labyrinth aus unzähligen, miteinander verbundenen Röhren, in denen es furchtbar nach faulen Kürbissen stank.
Nachdem sich der Wald ausgetobt hatte, herrschte überall in den Gängen munteres Treiben. Schildigel wuselten herum, zumeist in Zweiergruppen, und waren damit beschäftigt, die Ernte einzuholen. Den durch die Decke tropfenden Saft der Früchte fingen sie in Behältern auf oder zogen die Blätter an ihren Stacheln durch das Erdreich. Dabei stellten sie sich nicht immer besonders geschickt an, passierte es hin und wieder, dass sie sich in ihrem Eifer mit dem Saft der Früchte übergossen oder sich die Stacheln in die Zehen rammten. In so manchem Gang konnte man sie fluchen hören.
Moritz betrat das Röhrensystem, das durch Wurzelstränge stabil gehalten wurde, und in regelmäßigen Abständen waren Stöcke in den Boden gesteckt und hielten obendrauf eine wabernde Masse, die die Gänge letztlich mit ausreichend orangefarbenem Licht versorgte.
Moritz konnte beinahe aufrecht stehen und blickte sich um. Zwei Schatten eilten voraus und zogen sich länger und länger. Schließlich kamen die Wesen hinterher und hatten Handwagen bei sich, in denen sie entweder den Kürbissaft oder die Blätter und Stacheln transportierten. Sie waren so in ihre Arbeit und Gespräche vertieft, dass sie den Gast überhaupt nicht beachteten.
»Du siehst aus, als hättest du in Kürbissaft gebadet«, sagte das eine scherzhaft zu dem anderen. Auf dem kahlen Kopf trug es einen Blätterhut, den über Kreuz eingesteckte Holzstücke zusammenhielten.
»Was du nicht sagst«, entgegnete das andere säuerlich. »Bloß weil du mir unbedingt helfen wolltest. Da kam gleich der ganze Kürbis hinterher. Das hab ich nun von deiner Hilfe. Das stinkt noch mindestens eine Woche lang!« Das zweite Wesen hatte auch einen Hut, der aber hing ihm klitschnass ins Gesicht. Seine Miene verriet mehr, als es Worte hätten tun können.
Der trockene Schildigel konnte nun nicht mehr bei sich halten und prustete lauthals los. Sein ansteckendes Lachen zeigte schon bald seine Wirkung. Obwohl noch immer sauer auf die ungewollte Kürbisdusche, hielt es der andere nicht länger aus. Von Lachkrämpfen geschüttelt liefen die beiden an Moritz, Flavo und Floggi vorbei ohne wirklich von ihnen Notiz zu nehmen.
»Das sind Gusto und Renag, zwei beste Freunde, die haben immer viel Spaß«, sagte Floggi und musste sich anstrengen, nicht in das Gelächter mit einzufallen.
Da ging neben ihnen eine aus Baumrinde gebaute Schwenktür auf und Oktavo trat, begleitet von zwei Wachen, auf Moritz zu. Er machte eine einladende Geste. »Die Vorbereitungen für das Fest sind fast abgeschlossen«, sagte er und seine Wachen sahen sich an und nickten zustimmend.
Nur Flavo und Floggi hatten noch etwas zu erledigen.
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