Kitabı oku: «Julius Payer. Die unerforschte Welt der Berge und des Eises»
Frank Berger
JULIUS PAYER
DIE UNERFORSCHTE WELT DER BERGE UND DES EISES
INHALT
Kapitel 1
FAMILIE UND MILITÄRLAUFBAHN
Kapitel 2
ALPINISTISCHE ANFÄNGE: DAS GLOCKNERGEBIET
Kapitel 3
ADAMELLO UND PRESANELLA (1864 UND 1868)
Kapitel 4
PAYERS ZWEITE HEIMAT: DER ORTLER
Kapitel 5
DIE ZWEITE DEUTSCHE POLARFAHRT (1869–1870)
Kapitel 6
DIE „ISBJÖRN“ – EXPEDITION IN DIE SPITZBERGENSEE (1871)
Kapitel 7
VOR DER GROSSEN REISE (1872)
Kapitel 8
DIE ENTDECKUNG VON FRANZ-JOSEF-LAND (1872–1874)
Kapitel 9
RÜCKKEHR IM JUBEL (1874)
Kapitel 10
ORDEN UND EHREN (1874–1876)
Kapitel 11
DIE ERGEBNISSE DER POLAREXPEDITION
Kapitel 12
FANNY KANN, DIE LIEBE AUS FRANKFURT
Kapitel 13
MALER IN FRANKFURT UND MÜNCHEN (1876–1882)
Kapitel 14
ERFOLG ALS KÜNSTLER: DIE BAI DES TODES (1883)
Kapitel 15
PARIS. GROSSE BILDER MIT EINEM AUGE (1884–1887)
Kapitel 16
STREIT UND TRENNUNG (1888/1889)
Kapitel 17
EIN MALLEHRER MIT POLARPLÄNEN
Kapitel 18
DIE PAYERSCHLANGE
Kapitel 19
TOD UND NACHLEBEN
Kapitel 20
QUELLEN UND HINWEISE
KAPITEL 1
FAMILIE UND MILITÄRLAUFBAHN
HERKUNFT UND FAMILIE
Julius Johannes Ludovicus Payer wurde am 1. September 1841 im nordböhmischen Kurort Teplitz-Schönau (Teplice-Šanov) als Sohn von Franz und Blandine Payer geboren. Die Taufe fand in der Pfarre St. Elisabeth statt. Als Geburtsdatum findet sich in der Geburtsmatrikel des Pfarramtes der 2. September, aber Payers eigener Aussage zufolge hatte er am 1. September Geburtstag. Er hatte zwei Brüder, den 1836 geborenen Richard, der als Amazonasreisender bekannt wurde und den 1844 geborenen Hugo, der zwanzigjährig starb.
Julius Payer wird heute in der Werbung als der berühmteste Sohn der Stadt Teplice bezeichnet. Der Ort Teplitz war im Jahre 1841 dank seiner Heilquellen und des reichen kulturellen und gesellschaftlichen Lebens der „Salon Europas“ und ein „Klein-Paris“. Die Heilkraft der Thermen und der Kurbetrieb zogen Zaren, Kaiser, Könige, Adel, Diplomaten, Geschäftsleute, Dichter und Gelehrte des ganzen Kontinents an. Beethoven, Goethe und Humboldt badeten in diesen Quellen. König Friedrich Wilhelm III. von Preußen war 1841 das 25. Mal in ununterbrochener Reihenfolge in Teplitz. Dank unzähliger Ortsund Bäderführer sind Sehenswürdigkeiten und Alltag dieses Ortes heute noch präsent. Teplitz bestand aus drei Teilen, der Stadt selbst, dem Schlossbezirk und der Judenstadt. Wenige Minuten östlich lag, verbunden durch die Lindenstraße, das Dorf Schönau.
Im Jahre 1841 hatte die Stadt Teplitz 422 Häuser sowie 3000 Einwohner, Schönau besaß 85 Häuser und 650 Einwohner. Sämtliche Bürger sprachen deutsch. Der Haupterwerb der Bevölkerung bestand in der Bedienung der Kurgäste, so verwundert es nicht, dass es allein 63 Schankwirtschaften gab. In der Töpferschänke war 1810 der Dichter Johann Gottfried Seume gestorben. Die Kurfrequenz weist aus, dass sich 1841 knapp 4000 „Parteien“ dem Kurbetrieb widmeten und 1861 etwa 6500 Personen bzw. Paare und Gruppen. Schutzherrn des Kurortes waren die Grafen Clary-Aldringen. Im Schloss residierte seit 1831 Fürst Eduard Moritz, ein eifriger Förderer des Bäderwesens und der örtlichen Infrastruktur.
Teplitz-Schönau, Foto um 1860 (Postkarte)
Die Eltern Julius Payers besaßen das Haus „Morgenstern“ an der Schlangenbadstraße in Schönau. Das Geburtshaus kann heute jederzeit aufgesucht werden, denn es beherbergt das 4-Sterne-Hotel „Payer“. Die heutige Anschrift lautet: „U Hadích Lázní 1153/44“. Zwei Tafeln neben dem Eingang erinnern an den berühmten Alpinisten. Vom Haus aus schweift der Blick auf das Steinbad, das heutige „Kaiserin-Elisabeth-Bad“, und den Schönauer Kurpark. Hinter dem Haus liegt die Stefanshöhe, heute „Janáckovy Sady“. Sie erhebt sich direkt am Hinterhof des Hauses mit einem 15 m hohen steilen Felsen, der heute mit einem Gitter gesichert ist. Hier dürfte der kleine Julius seine ersten Kletterübungen vollzogen haben.
Die Familie Payer stammte seit vielen Generationen aus dem Ort Kriegern (heute: Kryry) bei Podborany (Krutský 1993, S. 52). Payers Vater, Franz Anton Rudolf, wurde am 7.4.1791 in Kriegern geboren. 1807 trat er als privater Kadett in ein Infanterieregiment ein. 1813 wurde er Leutnant. Ab 1815 diente er im Ulanenregiment Nr. 4, in dem er 1821 zum Oberleutnant und 1830 zum Rittmeister befördert wurde. Anfang 1832 wurde Franz Payer zum Infanterieregiment Nr. 26 „Herzog von Nassau“ versetzt und im gleichen Jahr im Rang eines Hauptmanns in den Ruhestand verabschiedet. Im Rahmen seines Militärdienstes war Franz Payer als Kartograf und Zeichner tätig, Fähigkeiten, die er seinem Sohn Julius weitervermittelte. Als Ruhesitz wählte der Pensionär Franz Payer den Kurort Teplitz-Schönau. Hier lernte er seine Frau Blandina Franziska John kennen, mit der er drei Söhne haben sollte. Das Paar heiratete erst nach der Geburt des zweiten Sohnes Julius. Anschließend zogen die Eltern vom „Morgenstern“ in das Haus „An der Weinlese“ in Teplitz, Grüne Straße (heute: Zelená) Nr. 24 um. Hier starb Franz Anton Rudolf Payer 1855 im Alter von 65 Jahren an einer Lebererkrankung.
Mütterlicherseits entstammt Julius Payer der Familie John, die nach dem 30-jährigen Krieg von Seestadl (Ervenice) nach Teplitz zog (Krutský 1993, S. 53–55). Payers Großvater war Dr. Ludwig Alois John (1760–1834), Jurist, Schriftsteller und Chronist von Teplitz. Nach dem Studium der Rechte in Prag und Dresden wurde er Stadtsyndikus, Advokat und Rechtsvertreter der Fürsten Clary. Neben seinen juristischen Aufgaben entfaltete er eine reiche Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wohltätigkeit und Heimatforschung. Er publizierte tschechische Legenden mit Bezug zu Teplitz. Die Prager Universität verlieh ihm 1805 das Ehrendoktorat der Philosophie. Ludwig Alois John heiratete 1790 Philippina Rauscher, die Tochter des Teplitzer k. k. Postmeisters Franz Rauscher. Von den acht Kindern dieser Ehe erreichten nur der Sohn Eduard und die Tochter Blandina das Erwachsenenalter.
Plakette am Geburtshaus Payers (F. Berger)
Blandinas Großonkel Dr. Johann Dionysus John (1764–1814) war Arzt, anerkannter Autor von ärztlichen Publikationen und erster Professor für Gerichtsmedizin an der Universität Prag. Aus Liebe zu seiner Heimatstadt gab er 1796 seine Professur auf und gründete in der Lindenstraße in Teplitz das John`sche Spital für arme fremde Kurbedürftige. 1814 wurde er ein Opfer seines Berufes. Nachdem er 289 Personen in Teplitz von Typhus geheilt hatte, starb er selbst daran. Dr. Johann John hatte zwei Töchter. Die Tochter Maria heiratete den späteren Bankoberkontrolleur Anton Pechwill. Dieser Ehe entsprangen vier Kinder, zwei Töchter und zwei Söhne namens Julius und Gustav.
Gustav Pechwill (1819–1905), der Cousin zweiten Grades, war zeitlebens der engste familiäre Vertraute Julius Payers. Pechwill brachte es zum Hofrat im Wiener Finanzministerium. Der hochgebildete Jurist stand in brieflichem Kontakt mit Adalbert Stifter. Gustav Pechwill war mit Eugenie, geborene Knörlein aus Linz († 1936), verheiratet. Die Ehe blieb kinderlos. Eugenie Pechwill war Frauenrechtlerin. Sie gehörte seit 1906 dem Vorstand des Wiener Frauenerwerbsvereins an. Julius Payer betrachtete Gustav und Eugenie Pechwill als seine Familie. Dazu gehörte auch noch ein Neffe der Eugenie Pechwill, Rudolf von Gallois (geb. Linz 1862 – gest. Wien 1926). Die Korrespondenz von Julius Payer mit Cousin Pechwill, erhalten in der Österreichischen Nationalbibliothek, datiert von 1872 bis 1895. Dieses Konvolut von ca. 160 Briefen ist die wichtigste Quelle für mehr als zwei Lebensjahrzehnte Julius Payers.
Die Familie der Blandina Franziska John gehörte zur Spitze der Teplitzer Gesellschaft. Payers Mutter wurde am 27.11.1803 im väterlichen Haus „Goldenes Kreuz“ am Schlossplatz von Teplitz geboren. Im fortgeschrittenen Alter galt Blandina John als geistesgestört. Sie wurde ab 1874 von der Familie Faber in Jannegg gepflegt, starb 1882 an Altersschwäche und wurde auf dem Friedhof von Jannegg (heute: Jeníkov) begraben. Ihr Bruder Eduard John, Julius Payers Onkel, wurde 1851 Bürgermeister von Teplitz. Er erwarb sich Verdienste um die Gründung der Sparkasse, um die Errichtung einer Schule in Teplitz und um den Bau der Eisenbahnstrecke Teplitz – Aussig. 1905 wurde eine Straße der Stadt nach ihm benannt.
Zwei der drei Söhne von Franz und Blandina Payer, Julius und Hugo, zog es zum Militär, dem väterlichen Vorbild folgend. Der älteste hingegen, Richard Payer, war ein unsteter Geist. Er besuchte die technische Hochschule in Prag, hörte Vorträge über Boden- und Verwaltungskunde und wurde Leiter der Domäne Arnau am Riesengebirge. 1870 ging er nach Russland, um Güter an den Wäldern des Waldai zu verwalten. In der Folgezeit bereiste er St. Petersburg und Russisch-Polen, Ungarn, Slawonien, die Schweiz, Frankreich, Italien und Portugal. Die Bekanntschaft mit einem brasilianischen Politiker ermöglichte ihm am 1. Januar 1876 den Antritt einer Fahrt auf dem Dampfer „Amazonas“ von Lissabon nach Manaos. Dort erforschte Richard Payer von 1876 bis 1887 das weitere Becken des Amazonas. In den 1890er-Jahren lebte er zwischenzeitlich in Teplitz, Dammstraße 4 (heute: Na Hrázil), wo er als Kaufmann geführt wurde. Im Jahr 1904 unternahm er seine 16. Überfahrt von Amerika nach Europa und landete in Genua. Der unruhige Mann durchwanderte von 1905 bis 1910 die Zillertaler Alpen, die Steiermark und die Donaugegend, um sich dann in der Umgebung von Melk niederzulassen. Größeren Kontakt mit seinem Bruder Julius hatte er nicht mehr. Das letzte Lebenszeichen Richard Payers ist eine Kurznotiz im Neuen Wiener Tageblatt vom 9. September 1912. Er hatte eine Tochter namens Paula Payer, die 1915 als Sängerin in Bamberg wohnte.
Der jüngere Bruder Hugo Payer (1844–1864) wechselte 1859 von der Kadettenschule in Marburg an die Militärakademie in Wiener Neustadt, gerade als sein älterer Bruder Julius diese verließ (Krutský 1993, S. 56). 1863 wurde er Leutnant Zweiter Klasse im Militärregiment Nr. 26. Nur zwanzigjährig starb er am 10. Juni 1864 an Tuberkulose im Militärsspital in Josefstadt, tief betrauert von seinem Bruder Julius, der ihn als seinen talentierteren Bruder betrachtete.
SCHULISCH-MILITÄRISCHE LAUFBAHN
Die erste höhere Lehranstalt Julius Payers war die Unterrealschule Hainburg. Im elften Lebensjahr wurde Julius Payer 1853 als Zögling in das Kadetteninstitut Lobzow bei Krakau gegeben (Katalog 1993, S. 99). In Österreich gab es vier Kadetteninstitute mit je 200 Schülern, aufgeteilt in vier Jahrgänge. Es war ihr Zweck, den Zöglingen einerseits einen guten Stand der allgemeinen Bildung zu vermitteln, andererseits ihnen diejenigen theoretischen Kenntnisse beizubringen, die ein späterer Offizier für seinen Beruf benötigte. Die Aufnahme erfolgte im vollendeten 11. Lebensjahr. Bedingung war der vorherige Besuch von vier Jahren einer Normalschule. Beim Schulgeld wurden Söhne von Offizieren und Militärbeamten bevorzugt. Es betrug im Falle Payers 12 Gulden jährlich. Der Lehrplan der allgemein bildenden Fächer umfasste unter anderem Französisch, Geografie, Geschichte und Freihandzeichnen. Dienstsprache des Heeres war die deutsche Sprache, in der auch die theoretische Prüfung abgehalten wurde. Nach erfolgreichem Abschluss des vierten Jahrgangs wechselte der Schüler in der Regel an eine von drei Militärakademien: Wiener Neustadt (Theresianische Militärakademie), Mährisch Weißkirchen (Artillerie-Akademie) oder Klosterbruck (Genie-Akademie).
Als Absolvent der Kadettenschule in Lobzow bekam der 16-jährige Junge von seinem Klassenvorstand als Schulprämie ein Buch überreicht. Es war von Karl Brandes: „Sir John Franklin. Die Unternehmungen für seine Rettung und die nordwestliche Durchfahrt, Berlin 1854“. Dieses Geschenk sollte weitreichende Folgen haben. John Franklin – das ist mit großem Abstand der berühmteste Name, der mit den arktischen Expeditionen verbunden ist, nicht erst seit Sten Nadolnys „Die Entdeckung der Langsamkeit“. Das Verschwinden der Schiffe „Erebus“ und „Terror“ mit 128 Mann Besatzung bewegt bis heute die Gemüter (Bucher 2013, 83). Das Buch darüber, eines von Hunderten, die zu diesem Thema erschienen, entzündete in dem jungen Mann die Begeisterung für Schnee, Eis und Entdeckungen. Als Schulpreis an der Wiener Neustädter Militärakademie bekam Julius später eine weitere Expeditionsbeschreibung Franklins, welche die Fahrt von der Hudsonbay bis zur Mündung des Kupferminenflusses in den Jahren 1819–1822 schildert (Katalog 2012, S. 60). John Franklin und sein Schicksal gruben sich nachhaltig in die Vorstellungswelt des jungen Julius Payer ein.
Das Faszinosum Franklin lebt fort. Eine entscheidende Antwort auf die Frage nach dem Schicksal John Franklins und seiner Männer erhält unsere Gegenwart. Der kanadische Ministerpräsident Stephen Harper trat am 9. September 2014 mit einer Sensationsmeldung vor die Weltpresse. Seine Behörden betrieben seit 2008 die systematische Suche nach den beiden verschollenen Schiffen „HMS Erebus“ und „HMS Terror“. Zwei Tage zuvor identifizierte ein kanadisches U-Boot in der Victoria Strait eines dieser beiden Schiffe Franklins. Es handelt sich um die „Erebus“, ein Dreimastsegelschiff von 32 m Länge und 372 Tonnen Verdrängung. Das in geringer Tiefe liegende Wrack ist in einem vergleichsweise gutem Zustand. Taucher entdeckten am 6. November sogar die Schiffsglocke. Ein Jahrhunderträtsel, das Payer lebenslang beschäftigte, ist damit gelöst.
Julius Payer als Leutnant, 1866 (Frontispiz aus Luciano Viazzo, Caro Ortles, Julius Payer, Cremona 1997; Katalog 2012)
Von 1857 bis 1859 besuchte Julius Payer die berühmte Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt. Nach dreijähriger Ausbildungszeit wurde er im Jahr 1859 als Unterleutnant Zweiter Klasse zum 36. Böhmischen Infanterie-Regiment ausgemustert. Er war in der Bundesfestung Mainz stationiert, lernte aber nur wenige Monate Garnisonsleben kennen, bevor im April 1859 der Krieg zwischen Österreich und Piemont-Sardinien ausbrach. In der Doppelschlacht von Solferino und San Martino am 24.6.1859 kämpfte der 18-Jährige mit seinem Regiment derart tapfer, dass er das Verdienstkreuz mit Kriegsdekoration erhielt (Müller 1956, S. 2). Die Schlacht ging dennoch für Österreich verloren, da es die Lombardei mit Mailand an das neu gegründete Königreich Italien abtreten musste. Venetien bis zum Po mit Verona und der Grenzfestung Mantua blieben weiterhin Teil Österreichs. Mit einer Monatsgage von 36 Gulden wurde Julius Payer nach der Schlacht zum Leutnant befördert.
Payers Liebe zu den Bergen erwachte, wie er selbst schrieb, in Verona, wo er ab 1860 stationiert war. Vom Exerzierplatz aus sah er mit Sehnsucht auf den Monte Baldo. Es begeisterte ihn, wie die eisbedeckten Spitzen der Alpen aus der blühenden Landschaft ragten. In diesen Momenten entschloss er sich, seine gesamte freie Zeit, alle seine Kräfte und sein weniges Geld der Eroberung dieser unerforschten Schönheiten zu weihen. Er stellte dabei fest, dass die bestehenden Karten unzulänglich und mangelhaft waren. Daher setzte sich Payer, nun 21-jährig, das Ziel, die Erforschung und Kartierung unbekannter Alpenregionen durchzuführen. Die Mittel für die notwendige Ausrüstung ersparte er sich aus seiner geringen Gage. 1862 bestieg er seinen ersten Berg. Es folgte eine Versetzung nach Venedig. 1864 wurde er Kommandant eines Forts am Canale Lombardo bei Chioggia und zugleich zum Leutnant Erster Klasse befördert. Für den Sommer des Jahres hatte er 100 Gulden gespart und konnte jetzt mit seinen topografischen Aufzeichnungen beginnen. Diese führten ihn im September 1864 in das Adamello- und Presanellagebiet. Das folgende Jahr war er am Ortler im Gebiet von Sulden tätig.
Bevor Payer 1866 die nächsten Besteigungen in Angriff nehmen konnte, brach der deutsche Bruderkrieg aus. Kurz zuvor war er zum Oberleutnant befördert worden. Das mit Preußen verbündete Italien versuchte, Venetien zu erobern. Bei Custozza, einem kleinen Dorf südwestlich von Verona, stießen am 24. Juni 1866 ein österreichisches Heer mit 73.000 Soldaten unter Erzherzog Albrecht von Österreich-Teschen und ein italienisches Heer mit 65.000 Soldaten unter General Alfonso La Marmora zusammen. Österreich ging siegreich aus der blutigen Schlacht hervor, beide Parteien verloren etwa 8000 Mann.
In der Schlacht von Custozza gehörte Payers Regiment Nr. 36 zur Infanterie-Reserve-Division unter Generalmajor Heinrich Rupprecht von Virtsolog. Payer focht im Infanterie-Regiment Graf Degenfeld Nr. 36, kommandiert von Oberst Carl Ritter von Bienerth (1825–1882). Nach der Schlacht von Custozza wurde Payer erneut dekoriert, da er an der Eroberung zweier feindlicher Kanonen beteiligt gewesen war. Trotz der siegreichen Schlacht musste Österreich Venetien an Italien abtreten, weil Preußen nach seinem Sieg bei Königgrätz die Friedensbedingungen diktieren konnte. Von Ende 1866 und bis Frühjahr 1868 war Payer im schlesischen Jägerndorf stationiert. Seine Urlaube im Spätsommer 1866 und im Sommer 1867 widmete er der Erschließung des westlichen und des südlichen Teils der Ortlergruppe.
Zwei Offiziere sollten Payers Leben und Wirken auf unterschiedliche Weise, doch jeder für sich sehr nachhaltig, beeinflussen: der Maler Moritz Menzinger, von Payer ausdrücklich als sein „bester Freund“ tituliert (ÖNB 373/3 Beilage 5), und der k. u. k. Kriegsminister Baron Franz von Kuhn.
MENZINGER, DER BESTE FREUND
Der Offizier und liechtensteinische Maler Moritz Menzinger wurde 1832 im ungarischen Karansebes geboren. Sein Vater Michael Menzinger (1792–1877) ging 1833 nach Vaduz und leitete die Landvogtei, womit der Sohn liechtensteinischer Bürger wurde. Nach Schulbesuch in Vaduz, Feldkirch und Hall in Tirol trat er 1848 als Kadett in das liechtensteinische Militärkontingent ein und wurde nach wenigen Monaten zum Leutnant befördert. Nach dem Militärdienst war er Kanzleigehilfe seines Vaters und führte Landvermessungsarbeiten durch. Dabei entwickelte er eine Vorliebe für das Zeichnen von Landschaften. 1854 begab sich Menzinger in österreichische Heeresdienste. Nach einer ersten Stationierung in Ungarn wurde er nach Mainz versetzt und von 1857 bis 1861 nach Frankfurt am Main. Dort war er Bataillons-Adjutant bei der Kommandantur und beim Präsidenten der Bundeskommission. In Frankfurt machte Menzinger die Bekanntschaft des Malers Carl Theodor Reiffenstein (1820–1893). Bei ihm erweiterte er sein zeichnerisches Können und verbesserte seine Technik des Aquarellierens. 1861 bis 1867 war er in Verona stationiert und erlebte die Schlacht von Custozza als Kompaniechef. Nach dem Krieg wurde er Zeichenlehrer an der Kadettenschule in Olmütz. 1871 erfolgten Moritz Menzingers Beförderung zum Hauptmann und die Anstellung am „Militärgeographischen Institut“ in Wien. Als Oberstleutnant und Bataillonskommandeur ging er 1889 in den Ruhestand. Seitdem lebte Menzinger, der nie heiratete, in Überlingen am Bodensee und widmete sich der Malerei. Er starb 1914, ein Jahr vor Julius Payer.
Wann lernten sich Julius Payer und Moritz Menzinger kennen? Es trennten sie immerhin neun Lebensjahre und entsprechende Rangunterschiede. 1859 waren Unterleutnant Payer und Bataillonsadjutant Menzinger kurz in Mainz stationiert. Gemeinsam waren sie auch von 1861 bis 1863 in Verona in Garnison. Gewiss waren es die gemeinsamen Vorlieben, die Menzinger und Payer zusammenführten: die Freude am Zeichnen und an der Malerei, der Sinn für Topografie und die Fähigkeiten der Vermessung sowie die Leidenschaft für alpine Bergwelten. Verona wurde der Ausgangspunkt für gemeinsame Erlebnisse und Unternehmungen. Seitdem verloren sich die Freunde lebenslang nicht mehr aus den Augen.
Moritz Menzinger, Offizier und Maler, Payers bester Freund (R. Rheinberger/ N. Hasler, Moritz Menzinger 1832–1914, Konstanz 1986)
Ein gut dokumentiertes Zeugnis freundschaftlicher Zusammenarbeit findet sich in vier der fünf alpinistischen Hefte Payers. Nach dessen zeichnerischem Entwurf führte Menzinger die Titelbilder aus. Es handelt sich um das Frontispizbild „Ansicht aus der Adamello Gruppe“ (1865), die „Ansicht der Königspitze von Osten (dem Eisseepass) aus“ (1867), Menzingers Gemälde „Der Ortler 12356’ von der Schwarzen Wand aus“ (1868) und das Gemälde „Der Monte Saline vom Cerno Vios aus“ (1869). Auf dem letzten Bild sehen wir vor einer großartigen Bergkulisse rechts eine Gruppe von drei Männern. Während die beiden Führer sich gerade bei einer Flasche Wein ausruhen, steht Payer hinter dem Messtisch und notiert seine Beobachtungen. Ebenfalls 1869 erschien ein Titelbild Menzingers „Die Marmolata aus dem Fassathale“ zu Payers Aufsatz „Die Bocca di Brenta“ im Jahrbuch des Österreichischen Alpenvereins (5/1869). Die Frontispizabbildung des 1872 erschienenen Heftes fertigte nicht Moritz Menzinger an, sondern der britische Holzschneider und Alpinist Edward Whymper.
Die Jahre von 1869 bis 1872 waren Menzinger und Payer zeitweilig am Wiener Militärgeographischen Institut tätig, unterbrochen von zwei Polarreisen Payers. Als Payer im Frühjahr 1872 beabsichtigte, noch kurz vor der dritten Expedition seine Verlobte Marie Trousil zu heiraten, erstellte er eine lange Liste der zur Vermählung einzuladenden Personen. Ganz oben auf der Liste stand bekanntlich „Menzinger, mein allerbester alter Freund“. Die Hochzeit wurde jedoch verschoben. Vor der Abreise Richtung Nordpol im Mai 1872 bat Payer den Freund, der Verlobten in allen Dingen hilfreich zu sein. Noch aus Bremerhafen schrieb er ihm einen herzlichen Abschiedsbrief und instruierte ihn nochmals, sich im Sinne des Freundes um Marie Trousil zu kümmern.
Nach der Rückkehr von der abenteuerlichen Polarreise im September 1874 stand Menzinger wieder an seiner Seite. Payers polare Abenteuer wurden zum Bestandteil seines eigenen Schaffens. Nach Payers Vorlagen und Motiven malte er Bilder in Farbkreide und Pastell wie etwa das Bild „Polarnacht“ mit der „Tegetthoff“ im Eis (Städtisches Museum Überlingen, LLM A 26). Über Briefe blieben die Freunde weiterhin in ständigem Kontakt. Nach der Trennung von Frau und Kindern war Menzinger der erste, den Payer im Sommer 1890 in Überlingen für vier Tage besuchte.
General Franz von Kuhn (Mazzoli 2003)