Kitabı oku: «Mama, wir sind dann mal Gott suchen!», sayfa 2
Mein Sohn, der Atheist!
Mitten in dieser Phase passierte eine total verrückte Geschichte. Wir wurden als Familie eingeladen, in einem christlichen Camp Englisch zu unterrichten und Musik zu machen.
Lukas hatte die Chance, parallel auf dem Gelände bei einer Cowboy- und Indianer-Freizeit mitzumachen. Wir wohnten in Bad Segeberg, dem Zentrum der Karl-May-Festspiele, haben Freunde in Kanada, die Indianer sind. Warum also nicht?!
An einem Abend, als ich auf der Bühne stand und mit all diesen christlichen Teenagern Lobpreis machte, war ich mal wieder total frustriert. Worship kann manchmal so unglaublich unecht sein. Wir singen Texte von totaler Hingabe, die wir eigentlich gar nicht meinen. Wir singen, als ob wir ganz genau wüssten, dass Gott immer da ist, immer hilft, immer unser Steuermann und Lebenslenker und natürlich unser bester Freund ist; und wenn wir dann zurück im wahren Leben sind, leben wir ganz anders; so häufig jedenfalls, wie ich Jesus ignoriere, ist der Satz vom „besten Freund“ oft nur ein leeres Versprechen.
Und dann erzählte ich von meinem Sohn, dem kleinen Atheisten, der sich nicht zufriedengeben will mit oberflächlichen Wahrheiten, der kritisch ist und sich auf die Suche macht, bis er Gott wirklich begegnet. Von dem ich so viel lerne.
Meine Frau sagt mir immer, ich denke zu viel und soll einfach singen, aber ich kann so was nicht, war wieder frustriert und hielt eine brennende Rede: „Warum schluckt ihr all diese platten christlichen Wahrheiten? Genügt euch das? Hat hier keiner Zweifel, dass all das, was wir hier besingen und erzählen, wirklich wahr ist?“ Und dann erzählte ich die Story von meinem Sohn, dem kleinen Atheisten, der sich nicht zufriedengeben will mit oberflächlichen Wahrheiten, der kritisch ist und sich auf die Suche macht, bis er Gott wirklich begegnet. Von dem ich so viel lerne. Und wie man in so einer Phase des Unglaubens fast mehr lernt über Gott als in Zeiten, wo man alles ohne Vorbehalte für voll nehmen kann.
Ich dachte anschließend eigentlich, ich hätte mein Anliegen ganz gut erklärt, aber dann kam der letzte Tag. Wir waren gerade beim Packen und wollten Lukas von den Cowboys und Indianern befreien, als zwei Bibelschüler – der eine trug sein Cowboykostüm sogar noch – mich sprechen wollten.
Ich kann den Bekehrungseifer der beiden Cowboys ja verstehen. Ich war früher selbst jemand, der solche „Skalps“ gesammelt hat.
„Hallo, wir haben gerade das Cowboycamp geleitet!“ Echt? Ich hatte schon befürchtet, ihr jungen Leute lauft jetzt alle so rum! „Bist du der Vater von Lukas, der denkt, dass sein Sohn ein Atheist wäre?“ Wie antwortet man jetzt auf so eine Frage? „Ja, ich bin Lukas‘ Vater, und prinzipiell habe ich das gesagt, obwohl es so formuliert jetzt etwas platt rüberkommt … “ „Aha!“, sagte der Cowboy und grinste dabei stolz. „Wir wollten dir nämlich erzählen, dass dein Sohn kein Atheist mehr ist. Wir haben ihm gestern Abend den Weg der Erlösung erklärt, und Lukas hat mit uns gebetet und den Herrn Jesus in sein Herz aufgenommen!“ Na, was sagst du jetzt?, schienen die Gesichter der beiden zu sagen. „Wir dachten nur, es wäre wichtig, dass wir dir das persönlich sagen, dass Lukas jetzt ein Gläubiger ist!“
Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Muss ich jetzt „Danke“ sagen? Viel lieber wollte ich den beiden grinsenden Gesichtern eine reinhauen. Aber ich hab mich dann doch höflich bedankt. Ich kann den Bekehrungseifer der beiden Cowboys ja verstehen. Ich war früher selbst jemand, der solche „Skalps“ gesammelt hat.
Ich war natürlich gespannt auf das, was Lukas mir darüber erzählen würde. Er meinte dann nur, dass er seine Bekehrung schon irgendwie so gemeint hätte, aber vor allem hätte er seine Campbetreuer nicht enttäuschen wollen. Sicher wäre er sich wegen der Gottsache jedenfalls immer noch nicht, und wir sollten unbedingt weiter anklopfen.
Also würde sie weitergehen, unsere Suche nach einem Gott, den man erleben kann, der mehr ist als ein paar geistliche Glaubenssätze in einem Bekehrungsgebet, die man einmal im Leben nachgesprochen haben sollte.
Die Idee
Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan! (Matthäus 25,40)
Als ich diesen Vers in meiner Bibel sah, kam mir eine Idee, die selbst Lukas‘ Mama umwerfend fand – nur leider nicht im positiven Sinne. Am Abend erzählte ich Lukas, dass Jesus mal gesagt hat, man findet ihn immer da, wo Schwache sind. Wenn man also einem ganz armen Menschen, der keine Rechte hat und sich nicht wehren kann, die Hand schüttelt, dann würde man Jesus die Hand schütteln. Wenn man sich um jemanden kümmert, der schwächer ist, dann wäre das, als ob man sich um Jesus kümmere. Wenn man jemandem etwas zu essen gibt, der Hunger hat, dann ist das, als hätte man Jesus geholfen!
„Und weißt du, wo es viele Menschen gibt, denen es nicht so gutgeht, die wenig zu essen haben?“
„Afrika?“
„Richtig! Also: Auf nach Afrika!“
So verkündeten wir an diesem Abend unseren Plan, nach Afrika zu fliegen, um dort Jesus zu finden.
Nebenbemerkung: Diese Idee ist grundsätzlich durchaus nachahmenswert, aber auch mit Vorsicht zu genießen. Meine Frau fand den Gedanken, ihren achtjährigen Sohn den Gefahren des afrikanischen Dschungels auszusetzen, eher gewöhnungsbedürftig!
Kleiner Tipp: Solche Ideen immer ZUERST mit deiner Frau teilen!
Aber wir beiden Männer fanden diese Idee von Tag zu Tag besser. Ein Freund von mir fliegt jedes Jahr mit einem kleinen Team nach Kampala, wo er eine Schule aufbaut und Teammitgliedern die Chance bietet, Uganda und seine Menschen zu erleben. Die Schule, die er quasi adoptiert hat, für die er Geld sammelt und regelmäßig mit Freiwilligen besucht, um selbst Hand anzulegen, ist ein Projekt des Kinderhilfswerks Global Care und wurde nach seiner verstorbenen kleinen Tochter, Naomi Froese, benannt.
Siegfried hatte noch Platz in seinem Team und wollte uns mitnehmen. Unser Plan wurde immer konkreter … bis Lukas die Riesenspritzen sah, mit denen man sich gegen alles Mögliche impfen sollte. „Daddy, am besten, du fliegst erst einmal alleine, fragst, ob Gott da ist, und ich flieg dann ein bisschen später hinterher!“
Teil 2 Meine eigene Entdeckungsreise
„Hat hier einer Gott gesehen?
Wir haben ihn verloren!“
Also habe ich mich alleine impfen lassen und saß im März 2008 mit 20 anderen Deutschen und ganz viel Gepäck im Flieger nach Uganda. Was wollte ich dort eigentlich?
1. Nicht immer nur über soziale Gerechtigkeit reden, sondern endlich was tun!
Wobei ich zugeben muss, dass ich mir in diesem Moment in der Rolle des guten Menschen mit einem ausgeprägten sozialen Gewissen sehr gefiel. Was tut man nicht alles, damit Leute einen gut finden! Was würde ich für coole Geschichten erzählen können, wenn ich wieder zurück wäre …
2. Ich wünsche mir eine Möglichkeit, eine Partnerschaft für unsere Gemeinde (ein Dorf, eine Schule, eine Kirche) zu beginnen, durch die wir zusammen aktiv mithelfen können, damit ein Ort mehr und mehr Gottes neue Welt erlebt!
Das war mir jetzt wirklich ein Anliegen, ganz einfach deswegen, weil es die praktische Hilfe von Mitchristen gewesen war, die in der Zeit des Burnouts meinen Glauben hatte überleben lassen!
3. Und natürlich wollte ich hier nachfragen, ob jemand Gott gesehen hat, damit ich Lukas davon erzählen kann!
Stimmt das tatsächlich, dass man Gott trifft, wenn man einem Schwachen die Hand schüttelt? Das man sich mit Gott anfreundet, wenn man Freund von jemandem wird, der nichts zu essen hat? Läuft Gott tatsächlich in Uganda rum? Werde ich ihn tatsächlich selbst erleben?
Stimmt das tatsächlich, dass man Gott trifft, wenn man einem Schwachen die Hand schüttelt?
Auf jeden Fall schrieb ich zum ersten Mal in meinem Leben Tagebuch. Falls Er tatsächlich auftauchen würde, wollte ich das nicht verpassen! Los geht´s!
Samstag, 8. März
50 Koffer nach Uganda
Nach fast genau 24 Stunden Bahnfahrt, Flugzeug und Busreise haben wir unser Ziel Kampala erreicht. Allerdings geht’s erst mal nicht ins Hotelzimmer – also keine Dusche, kein Bett, obwohl es jetzt genau das wäre, was ich unbedingt bräuchte. Auf dem Programm steht aber zunächst eine Jubiläumsparty in der Naomi-Froese-Schule, um die es bei unserem Einsatz hier hauptsächlich gehen wird. Die Schule ist gerade zehn Jahre alt geworden, und wir sind natürlich die Ehrengäste, wie fast überall, wo wir ab jetzt hinkommen. Was mir zuerst auff ällt: Sobald wir aus den alten Bussen steigen, sind wir von Kindern umringt. Ein paar ganz Mutige sind anscheinend von den anderen „bestochen“ worden und trauen sich, unsere weiße Haut anzufassen.
Irgendwann sitzen wir auf weißen Plastikstühlen – wie sooft in der nächsten Zeit –, um das Jubiläumsprogramm zu genießen. Wir werden in den nächsten Wochen ständig bei irgendwelchen Programmen dabei sein und meistens den Anfang und das Ende verpassen, weil noch andere Termine hinzukommen. Die Afrikaner haben einfach ein ganz anderes Zeitgefühl, und nie scheint jemand noch andere Termine zu haben oder nach Hause zu müssen, um sich auszuruhen. Jetzt sitzen wir also hier und genießen unsere ersten Eindrücke. Es werden viele Lieder gespielt, und die Gerüchte stimmen: Hier kann absolut jeder tanzen. Mir fällt auf, dass fast alle Kids die Mikrofone wie amerikanische Rapper halten. Die westliche Welt hat hier natürlich auch schon Einzug gehalten.
Das Essen ist auch eine spannende Angelegenheit: Erst werden uns mit Wasser in großen Kanistern die Hände gewaschen, dann werden wir von lächelnden, vor uns knienden Damen abgetrocknet. Das ist schon ein komisches Gefühl! Es folgen gekochte Bananen, Obst (das angeblich gefährlich ist, weil es andere Keime hat als die zu Hause), Hühnchen (ich passe, weil meine Schwester Sonja mich gewarnt hat), Reis und immer so weiter. Wir bekommen Gabeln, alle anderen essen mit der Hand. Das Händewaschen hatte also nicht nur metaphysisch-symbolische Bedeutung.
Nach dem Essen kommen ganz viele Reden. Die Afrikaner sind dankbar für die Naomi-Froese-Schule. Bildung ist hier absolut nichts Selbstverständliches. Ich erinnere mich an den Abend, als ich meine Tochter Jubilee mal ins Kino eingeladen habe, um zusammen „Die Päpstin“ zu sehen. Natürlich mit dem Hintergedanken, dass sie bestaunt, wie sehr Mädchen damals kämpfen mussten, um eine Schule besuchen zu dürfen. Ich weiß nicht, ob der Film meine Tochter tatsächlich dankbarer für ihre Hausaufgaben gemacht hat, aber ich weiß, dass sie zumindest von den negativen Umständen, den wenigen Bildungsangeboten, die es im Mittelalter für Frauen gab, beeindruckt war.
Hier in Afrika ist es auch nur für Kinder mit verhältnismäßig wohlhabenden Eltern möglich, eine Schule zu besuchen, und diese Freude, diesen Stolz, dazuzugehören, kannst du wirklich bei allen – Eltern, Lehrern, Schülern – spüren.
Fast jeder der locker 500 Leute, die hier rumsitzen, wird dann auch einzeln vorgestellt. Ein besonderer Höhepunkt ist erreicht, als wir der Schule ein Keyboard und ein paar der Gitarren übergeben, die meine Konfis gespendet haben, ebenso wie einen Haufen Fußbälle; jetzt kommt Stimmung auf.
Mein persönliches Highlight sind die vielen Kinder. Total lebendig, fröhlich und gleichzeitig absolut diszipliniert. Einfach schön! Irgendwann verlassen wir die Party, was der Stimmung aber keinen Abbruch zu tun scheint. Nach einem letzten spontanen Abendbrot im Hause der Missionare, in dem wir die kommende Zeit hier untergebracht sein werden, dem Aufhängen der Moskitonetze und Ohrstöpsel-Ausprobieren – falls einer meiner fünf Zimmerkollegen schnarcht – falle ich knappe 35 Stunden nach dem Aufstehen ins Koma!
Fazit des 1. Tages: Keine Ahnung, ob ich hier tatsächlich Gott finden werde. Keine Ahnung, ob ich hier irgendetwas Wertvolles, Gutes zurücklassen werde, obwohl ich das wirklich möchte. Aber schon nach den ersten Eindrücken ist mir klar, dass ich hier viel Gutes lernen werde.
Sonntag, 9. März
Wie ich mit einer schwarzen Gemeinde Polonaise tanze und als Jesus in eine Hochzeit platze
Der Tag beginnt mit einem kanadischen Frühstück, Pfannkuchen und Ahornsirup. Unsere Gastgeber, die Stevensons, sind Kanadier, und das spielt mir natürlich in die Karten. Essen wie zu Hause mit der Familie. Als wir anschließend mit einer kleinen Gruppe durch die Slums von Motunga zu einem Einzimmergebäude mit dem obligatorischen Blechdach fahren, um einen Gottesdienst zu feiern, werden wir, auch schon obligatorisch, von einer Horde Kinder begrüßt. Wieder dieses Ritual im Gottesdienst: Alle Gäste werden einzeln vorgestellt und gebeten, ihre Geschichte zu erzählen. Mein Kommentar: „Ich bin hier, weil mein Sohn nicht mehr an Gott glauben kann, obwohl er ihn gerne treffen würde, und ich soll hier in Uganda nach ihm suchen!“ Das Statement wird interessiert, aber mit Unverständnis aufgenommen: „Wieso sollte jemand nicht an Gott glauben können? Der ist doch einfach überall!“
Ich lasse den Blick über die hier versammelten Menschen streifen. Sofort fallen mir die angelesenen Infos ein, die ich mir vor der Reise reingezogen habe: Überall in diesem eigentlich so wunderschönen Land herrscht Aids. Auch hier gibt es kaum eine Familie, die nicht betroffen ist. Was mich an diesem Morgen total berührt: Fast jede Familie in dieser kleinen Kirche hat Aidswaisen als Kinder angenommen!
Durch die schreckliche Krankheit fehlt fast eine ganze Generation.
Durch die schreckliche Krankheit fehlt fast eine ganze Generation,,aber hier sitzen (bzw. tanzen) Omas, Opas, Onkel und Tanten und ihre neuen Kinder – und feiern einen Gott, der so unglaublich gut zu ihnen ist.
Im Gottesdienst wird dann einer meiner Träume wahr: Ich darf mit einer afrikanischen Gemeinde und ganz vielen Kindern „When I think about his goodness“ („Wenn ich an Seine Güte denke“) singen. Mein Lieblings-Kinderaktions-Lied! Dabei wird natürlich eine verrückte afrikanische Polonaise getanzt. Irre! So ganz anders als die norddeutsche Variante, für die ich jetzt wohl für immer verloren sein werde.
Nach dem Gottesdienst geht es gleich weiter zu einer Verlobungsfeier. Wir kennen eigentlich niemanden dort, aber der Bräutigam gehört zu einer der Kirchen, die durch die Arbeit unserer Missionare gegründet worden ist. Und wenn die Missionare eingeladen sind, dann natürlich auch deren Gäste aus Deutschland.
Colleen hat extra verschiedene Sets von Kleidern für die Brautjungfern gesammelt und zusammengestellt. Für uns Männer befiehlt die Sitte bei so einer Feier, dass wir ein weißes Kleid unter einer Anzugsjacke tragen. Wir wechseln also an einer Tankstelle die Klamotten, was ungefähr zwei Stunden dauert. Da meine Anzugsjacke den Gepäcktransport nicht überlebt hat, sehe ich nur mit meinen langen Haaren und meinem Kleid von hinten aus wie eine deutsche Braut. Auf die Frage, wie viel Zeit wir denn für die Verlobung einplanen sollten, bekomme ich einen Vortrag gehalten, dass Zeit hier keine Rolle spiele. „Steck deine Uhr die nächsten drei Wochen am besten einfach weg!“ Meine Frau würde es hier lieben.
Als wir ankommen, wird erst mal um den Preis der Braut gefeilscht. Diesmal ist sie zwei Kühe wert. Eine Sitte, die viele ugandische Kirchen bekämpfen, um das Statement zu setzen, dass Frauen kein Besitz sind. Viele Familien stürzen sich deswegen nämlich in unglaubliche Schulden, um die Familie der Braut mit Geschenken zu beeindrucken.
„Steck deine Uhr die nächsten drei Wochen einfach weg!“
Es gibt Geschichten von Großeltern, die mit Mitte 70 endlich genug Geld zusammenhaben, um zu heiraten. Oder Pärchen, die sich nur heimlich treffen, weil eine Hochzeit finanziell außer Reichweite ist, bis das Mädchen schließlich an einen Reicheren verheiratet wird. Oder eben Heiratswillige, die nie heiraten.
Der Umgang mit den vielen unverheiratet zusammenlebenden Paaren ist manchmal ein Problem für die Missionare. Die sind schließlich davon überzeugt, dass es eine Sünde ist, unverheiratet zusammenzuleben. Aber was sollen sie einem Paar raten, das sich eine Hochzeit schlichtweg nicht leisten kann und auch in absehbarer Zukunft nicht können wird?
Als Deutscher, der eine Kanadierin geheiratet und selbst 17 Jahre im Ausland gewohnt hat, versuche ich, andere Sitten und Bräuche nicht mehr mit „Bei uns ist es aber besser!“ zu kommentieren (dazu hat auch der ständige Widerspruch meiner Frau einen guten Teil beigetragen). Manche Traditionen und Gebräuche sind einfach über Jahrhunderte entstanden, und es ist unglaublich schwer, sie wieder loszuwerden.
Irgendwann gibt es dann eine Prozession, bei der die Gäste des Bräutigams – zu denen auch wir gehören – zu den Trucks gehen, um die dort gelagerten Brautgeschenke reinzutragen. Unter dem Jubel der Gäste marschieren wir also in Reih und Glied mit unseren Päckchen vor den Vater der Braut, um die Sachen vor ihm aufzubauen. Ich habe mir einen 50 Pfund schweren Sack Mehl geschnappt und über die Schulter geschmissen – schließlich muss man mit langen Haaren und weißem Kleid hart arbeiten, wenn man trotzdem männlich rüberkommen will. Als ich meinen Mehlsack gekonnt durch die Stuhlreihen schleppe, fangen die Afrikaner plötzlich an zu kichern, was man in dieser Kultur vor allem dann macht, wenn man peinlich berührt ist. Als ich später die Missionare frage, was denn der Grund für die Heiterkeit gewesen sei, fingen sie an zu lachen: Auch in Afrika kennt man das alte Jesusbild vom langhaarigen, weißgekleideten Hippie mit dem langen Gewand. Ich muss die Gruppe in meinem Outfit daran erinnert haben, und später kursierte tatsächlich das Gerücht, Jesus selbst wäre auf dieser Verlobungsfeier erschienen. Ich war eigentlich hier, ihn zu finden, jetzt werde ich mit ihm verwechselt. Wenn die nur wüssten!
Der Rest der Feier besteht aus Stand-up-Comedy, Modeschauen und Geschenken. Die Frauen müssen ständig knien, während wir Männer essen. Das Ganze dauert ungefähr sechs Stunden. Glaube ich zumindest, ich habe ja jetzt keine Uhr mehr um. Irgendwann verlassen wir die Party, was eigentlich unhöflich ist, aber was soll man machen? Wenn man hier jede Party zu Ende feiern würde … wir sind nun mal Deutsche und schließlich zum Arbeiten hier. Zeit ist für uns eben anders. Also gibt es eine große Abschiedsszene, und wir fahren nach Hause.
Fazit des 2. Tages: Wir dürfen die Zeit kontrollieren, sie ist ein Geschenk! Andersrum ist doof!
Montag, 10. März
Andere Sitten
Heute gab es endlich die Einführung in die ugandische Kultur, die uns helfen soll, uns hier nicht komplett danebenzubenehmen und zu verstehen, was um uns herum passiert. Hier ein paar der Regeln, die ich in den nächsten drei Wochen ausleben darf:
Regel Nummer 1: Zeit ist uninteressant!
Regel Nummer 2: Es wird erwartet, dass du deine Geschichte erzählst! Dafür ist immer Zeit da!
Regel Nummer 3: Männer, die lange Händchen halten, sind nett, nicht schwul!
Regel Nummer 4: Männer, die ihre Beine übereinanderschlagen, sind unhöflich; in der Nase popeln ist aber okay!
Regel Nummer 5: Eine schöne Oberweite ist uninteressant, ein dicker Hintern dafür sexy!
Regel Nummer 6: Knien ist höflich!
Regel Nummer 7: Lehne niemals etwas zu essen ab!
Regel Nummer 8: Auch wenn es heiß ist, ist es schön, so eng wie möglich zusammenzusitzen!
Regel Nummer 9: Beziehungen sind wichtiger, als die Arbeit fertigzukriegen!
Regel Nummer 4: Männer, die ihre Beine übereinanderschlagen, sind unhöflich; in der Nase popeln ist aber okay!
Regel Nummer 10: Man darf zu Bitten „nein“ sagen! Aber wenn du nickst, hast du ein Versprechen gemacht, und Versprechen werden nicht gebrochen!
Regel Nummer 11: Sei vorsichtig, wenn jemand deine Telefonnummer will! Das ganze Dorf wird dich anrufen!
Und noch ein paar Fakten über Uganda:
1. 60 % der Bevölkerung sind unter 16! Kaum etwas ist wichtiger als eine gute Schulbildung!
2. Aids ist überall! Fast jede Familie in Uganda ist davon betroffen, über 50 % der medizinischen Ressourcen werden hierfür verbraucht!
3. Keiner weiß so richtig, wie viele Menschen es in Uganda gibt. Von der Regierung werden die Zahlen eher kleingeredet, um den Bedarf einer besseren Infrastruktur zu vertuschen.
Gegen Mittag sind wir wieder zur Schule gefahren, in der wir von jetzt an viel Zeit verbringen werden. Ich bin zusammen mit Teammitglied Claudia der Einladung gefolgt, anstelle von Steineschleppen (unsere eigentliche Aufgabe an diesem Tag) zwei Stunden lang Musikunterricht zu geben. Man darf hier manchmal Sachen machen, die man sich nie zu träumen gewagt hätte. In den Pausen kann ich dann immer wieder mit Kindern spielen, die sich inzwischen alle trauen, mich anzufassen und mit meinen komisch glatten Haaren zu spielen. Die anfängliche Schüchternheit ist schnell verflogen, und mit den ganz Kleinen kann man herrlich durch Tiergeräusche in Kontakt kommen.
Dann erlebe ich meine erste ganz besondere Begegnung. Ich bin gerade dabei, einem Jungen ein paar Gitarrengriffe beizubringen, als mir Joseph vorgestellt wird. Meine Schwester Sonja (die so einen Einsatz auch schon mal mitgemacht hat) hatte ihn vor zwei Jahren vier Tage lang unterrichtet und ihm sogar ihr Instrument geschenkt; Joseph ist seitdem der Gitarrenlehrer von Kampala. Als der junge Lehrer erfährt, dass ich Sonjas Bruder bin, wird es sehr emotional: Es gibt Umarmungen, Tränen, und Bilder werden gezeigt. Spontan bildet sich jetzt ein Afrikanischer Chor, und erst bringe ich ihnen ein neues Lied bei, dann wieder Joseph, dann wieder ich und immer so weiter. Alle Lieder von Joseph, die er selbst komponiert hat, werden übrigens in der gleichen Akkordfolge gespielt: G - C - D - C - G. Also im Prinzip wie unsere westliche Worship-Musik, nur dass hier Moll-Akkorde unbekannt sind. Mein absolutes Highlight: „Jesus, you are the hope of Africa“. Man kann kaum beschreiben, was da gefühlsmäßig abgeht, wenn die fünfjährigen Kinder und ich als reicher Europäer das zusammen brüllen.
Irgendwann muss ich leider los, weil der Bus längst auf mich wartet. Ich bin eigentlich kein Nachtschwärmer, aber wenn du zwei Jahre später dort weitermachen kannst, wo deine Schwester etwas Wunderschönes angefangen hat, ist das wirklich was Besonderes! Ich wäre am liebsten die ganze Nacht dortgeblieben!
Fazit des 3. Tages: Jesus is the hope for Africa! Für einen Moment kann ich das heute glauben!
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