Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 266»
Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-662-7
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
1.
Ja, sie bot tatsächlich einen „göttlichen“ Anblick – die französische Handelsgaleone „Mercure“, deren Name soviel wie „Götterbote“ bedeutete. Stolz wie ein Schwan durchpflügte der dreimastige Segler das Wasser des Mittelmeeres zwischen der Insel Malta und dem Kap Passero, das die Südspitze Siziliens bildet.
Der Wind wehte an jenem sonnigen Tag, dem 14. Juni im Jahre des Herrn 1592, aus Nordosten und ließ die „Mercure“, die auf Westkurs lag, gute Fahrt laufen.
Dem Vorhaben der Schiffsführung, die Sizilische Straße anzuliegen, stand nichts im Wege. Kein Schatten trübte die Kimm. Die Sonne strebte, wie unter dem Zwang einer uralten Gewohnheit, ihrem höchsten Stand entgegen. Die endlose Wasserfläche glänzte silbrig und bot ein friedliches, beschauliches Bild.
Die Stimmung an Bord des Handelsfahrers war ausgesprochen gut. Kapitän Pierre Delamotte, ein kleiner, drahtiger Mann mit grauen Haaren und wasserhellen Augen, stand an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und ließ seine Blicke zufrieden über die Decks wandern. Ja, er hatte auch allen Grund dazu, mit den acht rauhen Burschen, die im ägyptischen Hafen Damiette bei ihm angeheuert hatten, zufrieden zu sein.
Die Männer waren in jeder Hinsicht brauchbar. Man konnte sie einsetzen, wo man wollte – überall packten sie zu und stellten unter Beweis, daß sie echte, kampf- und sturmerprobte Seeleute waren. Besonders dieser rothaarige Riese namens Ferris Tucker, dessen Kreuz so breit wie ein Rahsegel war, und der bullige Edwin Carberry mit seinem gewaltigen Rammkinn und dem zernarbten Gesicht, das waren Kerle, mit denen man notfalls die Hölle durchsegeln konnte.
Auch Jack Finnegan und Paddy Rogers, die beiden Engländer, die man von der Marsplattform der gesunkenen „Zeland“ geborgen hatte, waren nicht aus Zucker, und sie schienen sich mit ihren Landsleuten recht gut zu verstehen.
Nein, Kapitän Delamotte hatte ganz gewiß nichts dagegen, daß seine Crew um zehn brauchbare Männer angewachsen war. Und auch seinem Schiff hatte die frische Brise bis jetzt sichtlich gutgetan.
Doch nicht nur Pierre Delamotte war guter Laune, auch die Stimmung unter den Seewölfen war ausgezeichnet. Nicht zuletzt hatte dazu die Begegnung mit Ben Brighton und seiner Gruppe beigetragen, die vor wenigen Tagen mit ihrer Sambuke in eine nahezu ausweglose Situation geraten waren. Jeder an Bord der „Mercure“ hatte tatkräftig dabei mitgeholfen, Ben Brighton und seine Männer herauszupauken.
Auch sonst hatte sich die kleine Gruppe um Ferris Tucker, zu der Edwin Carberry, Stenmark, Blacky, Jeff Bowie sowie der Kutscher, Bill und Luke Morgan gehörten, gut auf der französischen Galeone eingelebt. Jeder von ihnen würde, in seinem eigenen Interesse, alles, was in seinen Kräften lag, tun, damit der Handelsfahrer seinen Zielhafen, die Stadt Brest, erreichen würde. Von dort aus würde es nicht mehr allzu schwer sein, ins heimatliche England zu gelangen, wo man sich mit den beiden anderen Seewölfe-Gruppen entweder in der „Bloody Mary“, der Kneipe des dicken Plymson, oder aber bei Doc Freemont in Plymouth treffen wollte.
Die Seewölfe registrierten mit Genugtuung, daß es ihnen gelungen war, das uneingeschränkte Vertrauen des Kapitäns der „Mercure“ zu erlangen. Auch die Kontakte zu den meisten Männern der französischen Crew hatten sich recht gut gestaltet, nachdem die Seewölfe den Franzmännern in einer handfesten Bolzerei gezeigt hatten, daß sie sich nicht auf die Füße treten ließen.
Kapitän Delamotte und sein Steuermann, Alain Duval, hatten beide Augen zugedrückt und damit ihre Parteilosigkeit bekundet, als die Seewölfe damit beschäftigt waren, sich mit ihren Fäusten die nötige Achtung und den erforderlichen Respekt zu verschaffen. Inzwischen hatte wohl jeder an Bord begriffen, daß die Engländer erstklassige Seeleute waien, die keiner Arbeit aus dem Weg gingen.
Daß der Kutscher als der ehemalige Koch und Feldscher der „Isabella“ die Kombüse der „Mercure“ auf Vordermann gebracht hatte, war von den Franzosen längst wohlwollend zur Kenntnis genommen worden.
Sir John, der karmesinrote Aracanga-Papagei, der mit den Seewölfen an Bord gekommen war, hockte hoch oben auf der Vormarsrah und döste in der Mittagssonne vor sich hin. Nur manchmal, wenn er es für nötig hielt, ließ er einen der Flüche vom Stapel, die er von Edwin Carberry gelernt hatte. Dabei kannte der bunte Vogel keinerlei Unterschiede, und selbst Pierre Delamotte war bereits von ihm als „lausige Wanderhure“ bezeichnet worden.
Edwin Carberry, der ehemalige Profos und Zuchtmeister der „Isabella“, verbrachte seine Freiwache auf der Back. Stenmark, der Schwede, hockte neben ihm. Schon mehrfach waren den beiden Männern die Augen zugefallen und die Köpfe auf die Brust gesunken. Kein Wunder – die Sonne schläferte ein. Erst ein kurzer Pfiff ließ beide hochfahren.
Edwin Carberry rieb sich verdutzt die Augen.
„Welches Rübenschwein hat da eben gepfiffen?“ fragte er.
In diesem Moment fiel sein Blick auf Luke Morgan, einen dunkelblonden Burschen mit einer Messernarbe über der Stirn. Der enterte gerade zur Back hoch.
„Warst du das, Mister Morgan?“ erweiterte der Profos seine Frage. Im selben Atemzug fuhr er fort: „Klar, du mußt es gewesen sein. Es ist ja sonst niemand in der Nähe. Laß dir mal was gesagt sein, du Nachkomme eines Herings und einer wiehernden Bergziege …“
„Du meinst sicher eine meckernde Bergziege, Mister Carberry, Sir!“ unterbrach ihn Luke Morgan. „Ich habe jedenfalls noch keine Ziege wiehern hören.“
„Jetzt fang nur nicht mit Ablenkungsmanövern an!“ Carberrys Gesicht verfinsterte sich. „Wiehern und meckern kannst du hier, soviel du willst, aber wenn du noch mal deine zarten Lippen spitzt, um wie ein Vögelchen zu pfeifen, dann ziehe ich dir höchstpersönlich die Haut in Streifen von deinem karierten Affenarsch!“
„Warum denn das?“ fragte Luke Morgan verwundert. „Man wird doch mal einen überraschten Pfiff ausstoßen dürfen, wenn man einen stinkfaulen Burschen plötzlich wie einen Galeerensklaven schuften sieht! Aber ich kann noch viel schöner pfeifen, Mister Carberry, und wenn’s genehm ist, kann ich dir mal das Liedchen von der rothaarigen Lily vorpfeifen.“
„Das wirst du bleibenlassen“, sagte Carberry grollend. „Oder willst du Unglück über uns bringen? Als Seemann müßtest du allmählich wissen, daß Pfeifen an Bord eines Schiffes Unglück und Sturm herbeiruft.“
Luke Morgan stand der Mund offen.
„Ach nein“, sagte er, und sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. „So kenne ich dich noch gar nicht, Mister Carberry. Seit wann bist du denn so abergläubisch? Hat dich vielleicht unser guter alter Donegal Daniel O’Flynn angesteckt?“
Ed Carberry stieß ein gefährlich klingendes Knurren aus. „Niemand hat mich angesteckt, und abergläubisch bin ich auch nicht, damit das klar ist! Oder meinst du plattfüßiger Rochen etwa, daß ich wie Donegal die Windsbräute und Wassermänner raunen und wispern höre, was, wie?“
Luke Morgan war ein gewitzter Bursche, der so leicht keinem Wortgefecht aus dem Weg ging. Wozu auch! Eine hitzige Debatte wirkte auf die Eintönigkeit des Bordalltags oft wie das Salz in der Suppe. Auch jetzt gab er sich noch lange nicht geschlagen, obwohl er genau wußte, daß man Ed, unter dessen rauher Schale sich ein weicher Kern verbarg, durch ständigen Widerspruch in einen reißenden Löwen verwandeln konnte. Luke Morgan zuckte überlegen mit den Achseln.
„Ob deine rahgetakelten Ohren etwas wispern und säuseln hören, das weiß ich nicht“, erklärte er. „Meinen kurzen Pfiff jedenfalls hast du gehört. Und jetzt verklar mit doch einer, warum dieser mickrige kleine Piepser Unglück oder gar einen Sturm herbeirufen soll! Ich hab dem Teufel schon ein Ohr weggepfiffen, und wie du siehst, habe ich bis jetzt trotzdem jeden Sturm ganz gut überstanden. Und wenn ich dir erst das Liedchen von der rothaarigen …“
„Donner und Wolkenbruch!“ fauchte der Profos. „Wenn du auch nur noch einen Pfiff von dir gibst, werde ich dir die Futterluke mit Pech und Schwefel abdichten. Dann kannst du dir mal überlegen, aus welchen Löchern du sonst noch pfeifen willst, du spitzmäuliger Pfifferling!“
Der Profos der ehemaligen „Isabella VIII.“, die im alten Kanal der Pharaonen unter Sandbergen begraben lag, erhob sich. Drohend reckte er sein gewaltiges Rammkinn vor und stützte die mächtigen Pranken auf die Hüften.
Auch Stenmark wischte sich mit einer raschen Bewegung die Müdigkeit aus den Augen.
„Jetzt hört doch endlich auf zu streiten“, brummte er ärgerlich. „Oder wollt ihr euch vor den Franzmännern lächerlich machen, he?“
„Was verstehst du grüner Hering schon vom Pfeifen?“ erboste sich Ed.
Aber auch der Schwede war nicht auf den Mund gefallen.
„Eigentlich verstehe ich eine ganze Menge davon“, gab er zurück, „und auf Wunsch kann ich dir alle Tonlagen anbieten – hoch und tief, vorwärts und rückwärts. Wenn es sein muß, kann ich sogar so schrill pfeifen, daß es dir glatt die Stiefel ausziehen würde.“
„Wehe, du gibst eine Kostprobe von dir!“ Ed dachte nicht daran, seine Meinung über das Pfeifen zu ändern.
„Keine Angst“, fuhr Stenmark fort. „Ich selber bin zwar nicht abergläubisch, aber ich habe mir angewöhnt, auf jene Rücksicht zu nehmen, die es sind. Und wenn Mister Morgan diese christliche Tugend von mir übernimmt, wird hier nicht mehr gepfiffen. Niemand braucht dann mehr Angst vor einem Sturm zu haben.“
Ed Carberry starrte ihn entgeistert an.
„Soll das vielleicht heißen, daß ich jemals Angst vor einem Sturm gehabt hätte, was, wie?“ Sehr zur Freude Luke Morgans wandte er seinen ganzen Groll Stenmark zu.
„Natürlich nicht“, beeilte sich dieser zu sagen. „Niemand würde einen solchen Blödsinn behaupten. Schließlich kennen wir dich ja schon lange genug. Aber trotzdem befürchtest du doch zumindest, daß das Pfeifen einen Sturm herbeilocken könnte.“
„Und das funktioniert auch, darauf kannst du dich verlassen“, sagte der Profos. „Das Pfeifen klingt wie das Heulen des Windes bei einem Sturm. Wind braucht zwar jeder Segler, aber er soll aus einer ganz bestimmten Richtung und in einer ganz bestimmten Stärke wehen. Und wenn dann irgend so ein plattnasiges Rübenschwein zu pusten anfängt, kann das den Wind aus einer ganz anderen Richtung herbeiholen. Das dürftet ihr triefäugigen Kanalratten langsam wissen! Wie lange fahrt ihr eigentlich schon zur See, was, wie?“
„Mir ist das nichts Neues“, erwiderte Stenmark. „Und ich hab’s auch schon erlebt, daß bei Windstille selbst alte Seeleute in den Großmars aufgeentert sind, um in eine ganz bestimmte Richtung zu pfeifen, aus der dann der Wind wehen sollte …“
„Na und? Was ist dann geschehen?“ unterbrach ihn Ed. Sein finsterer Blick schien langsam einer zufriedeneren Miene zu weichen.
Stenmark grinste hinterhältig.
„Natürlich ist der Wind irgendwann wiedergekommen“, sagte er. „Aber manchmal hat er trotz allen Gepfeifes verdammt lange auf sich warten lassen.“
„Na, hoffentlich gibt das jetzt keinen Ärger“, meinte Luke Morgan. „Ich habe zwar über die Richtung nicht weiter nachgedacht, aber mein Pfiff war, wenn ich mich recht erinnere, nach unten, zur Kuhl gerichtet. Von dorther kann ja wohl kein Sturm aufziehen, es sei denn, einer der Burschen hat so wie Henri zu viele Zwiebeln im Bauch, dann können natürlich einige Winde …“
Ed Carberry unterbrach ihn. „Willst du wohl dein loses Maul halten, he? Und schreib dir eins hinter die Ohren, Freundchen: Ein Carberry ist weder abergläubisch, noch läßt er sich von einer schwindsüchtigen Maus, wie du sie bist, schräg anpiepsen. Solltest du das noch einmal versuchen, werde ich dir ganz langsam und mit viel Gefühl die …“
„Ich weiß – ich weiß, Mister Carberry, Sir!“ rief Luke Morgan. „Es wird aber besser sein, wenn wir die Haut vorerst noch an meinem Achtersteven dran lassen, denn meine Freiwache ist gleich vorbei und Monsieur Duval hat mich als Rudergänger eingeteilt.“
Der drahtige Mann mit der Messernarbe über der Stirn, der einst aus der englischen Armee desertiert war, stieg über den Niedergang zur Kuhl hinunter. Es war schon eine Seltenheit, daß der gute Edwin Carberry sich so abergläubisch gebärdete, denn normalerweise würde er nicht einmal davor zurückschrecken, des Teufels Großmutter in die Suppe zu spucken. Aber irgendwo, so stellte er gleich Stenmark mit Genugtuung fest, hat eben jeder Mensch seinen kleinen Vogel – auch wenn er nur so groß ist wie ein winziger Kolibri.
Die Mittagssonne stach grell vom Himmel und hüllte die Decks der „Mercure“ in einen flimmernden Hitzeschleier. Der Großteil der Besatzung war froh darüber, daß es nicht viel zu tun gab. Die Segel standen bestens und mußten nicht einmal nachgetrimmt werden. Die dreimastige „Mercure“, deren Besanmast ein Trapezsegel an einer langen Rahrute führte, rauschte nach wie vor zielstrebig ihrem Heimathafen entgegen.
Henri, ein hagerer Mann, den der Kutscher in der Kombüse abgelöst hatte, balancierte einen irdenen Teller mit dampfendem Inhalt zur Vorpiek. Dabei wurde er von Marchais, einem kleinen, dunkelhaarigen Kerl, der eine Pistole in der Rechten hielt, begleitet.
Wer Henri von früher her kannte, mußte ihm zugestehen, daß er sich sehr zu seinem Vorteil verändert hatte, seit ihn die Crew – was bitter nötig gewesen war – kräftig abgeschrubbt hatte. Vorher war Henri mit der Sauberkeit ständig auf Kriegsfuß gewesen und zudem oft von heftigen Blähungen gequält worden, weil er täglich Unmengen von Zwiebeln in sich hineingestopft hatte. Bis vor kurzem noch hatte ihn die Crew deshalb Pet genannt, was schlicht und einfach „Furz“ bedeutete.
Doch ungeachtet dieses wenig schmeichelhaften Spitznamens zogen zur Zeit die herrlichsten Gerüche aus dem Kombüsenschott. Man mußte es dem Kutscher, einem dunkelblonden und etwas schmalbrüstigen Mann, der früher als Kutscher für Doc Freemont in Plymouth gearbeitet hatte, schon lassen – vom Kochen verstand er eine ganze Menge. An Bord der ehemaligen „Isabella“ hatte er die Mägen der Seewölfe täglich aufs neue verwöhnt. Und jetzt, an Bord der „Mercure“, kam es seinen Kochkünsten sehr entgegen, daß die Galeone eine Unmenge von Gewürzen in ihren Laderäumen transportierte.
Henri und Marchais waren nur noch wenige Schritte von der Vorpiek entfernt, als sie ein kräftiges Pochen vernahmen. Das Geklopfe gegen das verriegelte Schott wurde von lauten spanischen Flüchen begleitet.
Über Henris hageres Gesicht zog ein Grinsen.
„Der Kerl kann’s wohl wieder nicht abwarten“, sagte er zu Marchais.
Auch der kleine, nur fünf Fuß große Bursche verzog das Gesicht zu einer schadenfrohen Grimasse.
„So hat man’s gern“, stieß er hervor. „Der Don braucht da drinnen den ganzen Tag lang nichts zu arbeiten, aber wenn es ums Abfüttern geht, veranstaltet er einen Radau, als sei er zum Hungertod verurteilt worden. Aber vielleicht gefällt es dem feinen Herrn auch nicht in unserer Vorpiek. Er ist sicher eine vornehmere Umgebung gewohnt.“ Marchais lachte meckernd.
Doch der Krach, den der Gefangene schlug, hatte ganz andere Gründe, wie die beiden Franzosen gleich erfahren sollten.
Juan de Faleiro, dem Kommandanten der Kriegs- und Handelsgaleasse „San Antonio“, stand der Sinn nach ganz anderen Dingen als nach der Mahlzeit, die der Kutscher zubereitet hatte.
De Faleiro hatte sich, nachdem er von den Franzosen und den Seewölfen in die Vorpiek gesperrt worden war, noch lange nicht mit seinem Schicksal abgefunden, o nein. Die Gedanken, die sich hinter seiner Stirn jagten und seine dunklen, stechenden Augen zum Funkeln brachten, waren von Haß und Rachegefühlen erfüllt. Er hatte mit seiner Galeasse die Verfolgung der „Mercure“ aufgenommen, um die verhaßten Seewölfe zur Strecke zu bringen.
Schließlich hatte er noch nicht vergessen, was sich damals im Jahre des Herrn 1577 an Bord der von ihm befehligten Galeere „Tortuga“ abgespielt hatte. Aber statt die Kerle endlich in den Griff zu kriegen, saß er jetzt in der Vorpiek einer französischen Handelsgaleone – als Gefangener, der einem ungewissen Schicksal entgegenging. Es war schon zum Verrücktwerden! Irgendwo auf dem Mittelmeer kreuzte seine Galeasse und konnte nichts unternehmen, weil man ihn kurzerhand als Geisel genommen hatte. Und, verdammt noch mal, er hatte sogar das Gefühl, daß ihn seine Offiziere gar nicht so ungern zurückgelassen hatten. Aber das würden die Burschen noch bereuen. Er würde ihnen alles doppelt und dreifach zurückzahlen, darauf konnten sie sich verlassen. Er würde sie als Ruderknechte auf der Galeasse schuften lassen, bis ihnen die Haut von den Knochen hing.
Marchais, der Henri auf seinen Wegen zur Vorpiek stets mit einer Pistole begleiten mußte, schob den Riegel zurück und öffnete das Schott.
„Ihr Menü, Señor“, sagte er gehässig. „Greifen Sie zu, bevor Sie verhungern. Den Rotwein haben wir leider vergessen, er wird später serviert.“ Irgendwie tat es dem kleinen, hinterhältigen Kerl gut, einmal so mit einem Kapitän reden zu können.
Doch Juan de Faleiro, ein Mann mit Geiergesicht und Perücke, schenkte ihm wenig Beachtung. Er vollführte eine herrische Geste, mit der er Henri beinahe den Teller aus der Hand gefegt hätte.
„Zum Teufel mit diesem Fraß!“ sagte er wütend. „Von mir aus könnt ihr die Ratten damit füttern. Sagt eurem Kapitän, daß ich ihn unbedingt zu sprechen wünsche. Es sei sehr wichtig. Los, geht schon!“
Für einen Moment waren die beiden Franzosen völlig perplex. Doch dann zuckten sie mit den Achseln, schoben den schweren Riegel wieder vor und verließen die Vorpiek. Während Henri den Teller mit dem Essen in die Kombüse zurückbrachte, erstattete Marchais Meldung.
Doch Pierre Delamotte, der Kapitän der „Mercure“, hatte es nicht sonderlich eilig, den Wunsch des Spaniers zu befolgen. Zumindest würde der Kerl noch warten müssen, bis er seine Mahlzeit beendet hatte. Ein so exzellentes Mahl, wie es der Engländer, der sich Kutscher nannte, zubereitet hatte, ließ man nicht wegen eines solchen Kerls erkalten.
Delamotte griff nach der Karaffe und füllte sein Glas erneut mit dem süffigen Rotwein. Erst nach dem nächsten Glasen der Schiffsglocke verließ er seine Kapitänskammer im Achterkastell und begab sich auf den Weg zur Vorpiek.
Noch ahnte er zu diesem Zeitpunkt nicht, daß das bevorstehende Gespräch eine Reihe von Ereignissen einleiten würde, die ihm und seiner Crew noch einiges abverlangen sollten.
2.
„So, nun schießen Sie los, Monsieur. Was gibt es?“ Pierre Delamotte faßte sich kurz. Und da Juan de Faleiro ihn unbedingt unter vier Augen sprechen wollte, also ohne Beisein eines Wachtpostens, hatte er ihm kurzerhand Fesseln anlegen lassen, damit er von vornherein nicht auf dumme Gedanken verfiel.
Die dunklen Augen des Spaniers blitzten tückisch.
„Ich habe in den vergangenen Stunden darüber nachgedacht“, so begann er, „auf welche Weise man diese unhaltbare Situation für beide Seiten zu einem guten Abschluß bringen könnte.“
Delamottes Ledergesicht blieb ausdruckslos.
„Unhaltbar ist die Situation höchstens für Sie, aber nicht für mich“, sagte er ruhig. „Und es dürfte Ihnen auch bekannt sein, warum Sie sich in dieser Lage befinden.“
„Da gibt es viele Mißverständnisse“, fuhr Juan de Faleiro fort. „Mißverständnisse, die bereinigt werden sollten. Und ich wüßte auch schon, wie. Darf ich Ihnen meine Vorschläge unterbreiten, Capitán?“
Obwohl sich de Faleiro recht selbstbewußt gab, konnte er doch eine gewisse Erregung nicht verbergen. Es schien sehr viel für ihn von diesem Gespräch abzuhängen. Die Perücke, die seinen Glatzkopf bedeckte, war etwas schief gerutscht, aber er bemerkte es in diesem Augenblick nicht.
Pierre Delamotte zuckte gleichgültig mit den Achseln.
„Reden Sie!“ sagte er. „Aber nehmen Sie meine Zeit nicht über Gebühr in Anspruch.“ Einerseits hatte er nicht das geringste Bedürfnis, sich mit diesem Gauner zu unterhalten, andererseits wollte er doch gern erfahren, was dieser Menschenschinder in der Abgeschiedenheit der Piek ausgeheckt hatte. Etwas Gutes konnte es nicht sein, davon war er jetzt schon überzeugt.
„Ich danke Ihnen, Capitán“, sagte de Faleiro. „Ich habe Sie von Anfang an als einen vernünftigen Mann eingeschätzt, der mit beiden Beinen in dieser Welt steht, als einen Mann mit scharfem Verstand und einer …“
Delamotte winkte ab. „Sparen Sie sich das, Monsieur, und kommen Sie endlich zur Sache!“
Juan de Faleiro, der auf einmal bemerkenswert höflich war, deutete mit einem Kopfnicken eine dienernde Verbeugung an.
„Sie werden von meinem Vorschlag sicherlich etwas überrascht sein“, begann er, „aber wenn Sie darüber nachdenken, werden Sie zu dem Schluß gelangen, daß die Sache gut durchdacht ist und gewaltige Vorteile für Sie mit sich bringt.“
„Sie haben doch hoffentlich nicht Ihre eigenen Vorteile Vergessen, Monsieur?“
„Aber natürlich nicht, Capitán.“ Juan de Faleiro zwang ein bescheidenes Lächeln in sein Geiergesicht, bevor er fortfuhr: „Die Sache ist im Grunde genommen recht einfach. Sie können ein reicher Mann werden, der für den Rest seines Lebens ausgesorgt hat, wenn Sie die zehn Engländer an Bord Ihres Schiffes gefangensetzen und sie gewissermaßen mir ausliefern.“
Für einen Augenblick war Pierre Delamotte tatsächlich überrascht. Seine Mundwinkel zuckten, und hinter seiner Stirn arbeitete es. Er ahnte jetzt zwar, was da noch an Vorschlägen folgen würde, trotzdem beschloß er, sich zunächst ein bißchen dumm zu stellen.
„Wie sollte ich Ihnen die Männer ausliefern?“ fragte er. „Schließlich sind Sie selbst ein Gefangener.“
Der Spanier lächelte hinterhältig.
„Nun ja“, fuhr er fort, „das würde natürlich einschließen, daß Sie mir die Freiheit schenken. Aber – was sage ich da! Sagte ich schenken? Natürlich sollen Sie mir nichts schenken, denn Sie werden fürstlich belohnt werden, ja, wie ich schon sagte, Sie werden ein reicher Mann werden, Capitán.“
„So einfach ist es also, reich zu werden.“ In Delamottes Stimme lag eine beträchtliche Portion Sarkasmus. „Ich brauche also nur die zehn Engländer gegen Sie auszutauschen. Sie verlassen die Piek, und die Engländer nehmen Ihren Platz ein. Wirklich ganz einfach. Und wie stellt sich dann der plötzliche Reichtum ein, wenn man ganz bescheiden fragen darf?“
„Er wird unausbleiblich sein, Capitán. Natürlich müßten Sie mit Ihrem Schiff den Hafen von Barcelona anlaufen, der ja sowieso auf dem Weg liegt. Dort kann ich die Gefangenen den spanischen Behörden übergeben, und damit ist der Fall für Sie schon abgeschlossen. Sie brauchen nur noch die riesige Belohnung in Empfang zu nehmen, die die spanische Krone zur Ergreifung dieser sogenannten Seewölfe ausgesetzt hat. Diese gefährlichen Piraten haben Spanien schon sehr viel Schaden zugefügt. Wenn Sie dazu beitragen, daß sie endlich ihrer gerechten Strafe zugeführt werden, wird man Ihnen, Capitán, zu ewigem Dank verpflichtet sein. Sie werden mit Sicherheit geadelt werden und einen respektablen Landsitz erhalten, daran gibt es nicht den geringsten Zweifel. Ich bitte Sie, Capitán Delamotte, greifen Sie zu. Ein so gutes Geschäft wird Ihnen nie wieder vorgeschlagen werden. Zögern Sie nicht, es ist Ihr Vorteil!“
Pierre Delamotte hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Ein paar Sekunden starrte er den Spanier aus zusammengekniffenen Augen an. Er spürte, wie der Zorn in ihm hochstieg. Am liebsten hätte er diesem miesen Gauner, der ihm da mit aller Selbstverständlichkeit einen plumpen Bestechungsversuch antrug, die Faust auf seine Geiernase gesetzt, denn er sah in diesem Kerl wieder einmal seine nicht gerade hohe Meinung von den Dons bestätigt.
Er mochte sie ganz allgemein nicht, außerdem war er stinksauer, weil sie bereits mehrmals Ladungen, die er vom Orient nach Brest hatte bringen wollen, beschlagnahmt hatten. Mit den Engländern dagegen hatte er noch niemals Scherereien gehabt. Deshalb sah er nicht die geringste Veranlassung, das schmutzige Angebot de Faleiros anzunehmen – ganz davon abgesehen, daß der Kerl seiner Meinung nach ohnehin nur Luftschlösser versprach.
Dennoch beschloß Monsieur le capitaine, den Don noch ein wenig zappeln zu lassen.
„Warum nur wollen Sie diese Männer, die sich als ausgezeichnete Seeleute erwiesen haben, den Behörden ausliefern? Mir ist nicht bekannt, daß sie irgendwie schuldig sind. Das sind doch keine Verbrecher!“
Juan de Faleiro holte tief Luft, und im Handumdrehen war er in seinem Element.
„Es handelt sich bei diesen Burschen um die übelsten Räuber, Schnapphähne und Piraten, die je die Weltmeere befahren haben, Capitán!“ sagte er mit sichtlich erregter Stimme. „Sie alle gehören zur berüchtigten Crew des Piraten Killigrew. Die spanischen Schiffe, die sie überfallen und ausgeplündert haben, sind nicht mehr zu zählen. Ich schwöre Ihnen, Capitán, diese Seewölfe sind zum Schrecken aller christlichen Seefahrer geworden. Sie sind die schändlichsten Halsabschneider und verabscheuungswürdigsten Verbrecher, die Ihnen je begegnet sind. Bei der heiligen Madonna, sie schrecken vor nichts, aber auch gar nichts zurück. Eine Untat folgt der anderen, Morde und Vergewaltigungen sind bei diesen üblen Kerlen an der Tagesordnung. Ja, ich beschwöre Sie, Capitán Delamotte, gehorchen Sie Ihrer Christenpflicht, und tragen Sie dazu bei, daß dieses Ungeziefer endlich ausgerottet wird.“
Pierre Delamotte räusperte sich.
„Das war eine feurige Rede, lieber Freund“, sagte er. „Dennoch konnte ich bisher nicht feststellen, daß diese Seewölfe an Bord meines Schiffes Morde oder andere Untaten verübt haben. Im Gegenteil, es scheinen recht vernünftige Männer zu sein, die sich zwar von niemandem auf den Kopf spucken lassen, aber trotzdem fair und kameradschaftlich sind. Ich gestehe Ihnen, daß ich nicht weiß, was ich von Ihren haarsträubenden Anschuldigungen halten soll.“
In Wirklichkeit wußte der Kapitän der „Mercure“ sehr wohl, welcher Wahrheitsgehalt den Worten des Spaniers beizumessen war, denn Ferris Tucker hatte ihm längst davon berichtet, aus welchen Gründen de Faleiro die Engländer, speziell aber die Seewölfe, so glühend haßte. Er wußte, was für ein übler Menschenschinder dieser perückentragende Kerl war. Die tüchtigen Männer, die bei ihm angeheuert hatten, waren beinahe dem Sadismus dieses Mannes zum Opfer gefallen.
Das Ganze lag zwar schon Jahre zurück, aber es war offensichtlich auf beiden Seiten nicht in Vergessenheit geraten. Juan de Faleiro war damals, im Jahre 1577, Kapitän der Galeere „Tortuga“ gewesen, und die Seewölfe hatten als Galeerensklaven für ihn schuften müssen, bis sie von ihrem Kapitän und seinem Bootsmann befreit werden konnten.
Vorher aber war es einem dieser Männer, einem gewissen Dan O’Flynn, gelungen, eine Muskete an sich zu reißen, den Capitán niederzuschießen und von Bord zu springen. Doch nicht nur deshalb haßte de Faleiro die Seewölfe. Es kamen noch andere Gründe hinzu.
Zum Beispiel war er damals von der spanischen Marinebehörde zum Sündenbock gestempelt worden, weil es drei lumpigen Engländern – Philip Hasard Killigrew, Ben Brighton und Dan O’Flynn – gelungen war, die „Tortuga“ zu entern, mit ihr dann die Silbergaleone „San Mateo“ zu kapern und mit dieser nach England zu verschwinden.
Durch diesen Streich war Juan de Faleiros Laufbahn als Seeoffizier vermasselt gewesen. Der Traum, Kommandant einer großen Kriegsgaleone Seiner Allerkatholischsten Majestät, König Philipps II., zu werden, war damit ausgeträumt. Er hatte Galeerekapitän bleiben müssen und war ins Mittelmeer abgeschoben worden.
Das alles war Grund genug für diesen ehrgeizigen Mann, der nun schon über fünfzig Jahre alt war, die Engländer aus tiefster Seele zu hassen. Er war niemals auf die Idee verfallen, die Schuld bei sich selber zu suchen.
Juan de Faleiro, der aus der ausdruckslosen Miene Delamottes noch immer nicht recht schlau wurde, ließ nicht locker. Er wertete die Antwort des Franzosen als Zeichen der Unschlüssigkeit. Deshalb setzte er alles daran, der bevorstehenden Entscheidung, so gut es nur ging, nachzuhelfen.
„Das ganze Verhalten dieser Männer an Bord Ihres Schiffes ist nur ein Täuschungsmanöver“, fuhr er fort. „Glauben Sie mir, ich kenne diese Schnapphähne. Sie werden die ‚Mercure‘ ins Unglück stürzen. Außerdem, Capitán, denken Sie an die Belohnung, die die spanische Krone ausgesetzt hat!“
Pierre Delamotte, ein kleiner, vitaler Mann, wiegte den Kopf abschätzend hin und her.
„Welche Garantie erhalte ich, daß Sie Ihre Versprechungen auch erfüllen?“ fragte er unvermittelt.
In den dunklen Augen de Faleiros blitzte es erwartungsvoll auf. Hatte der Franzose etwa angebissen? Warum sonst stellte er diese Frage? Die Entscheidung war fällig, das spürte er deutlich.
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