Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 348»
Frank Moorfield
Goldrausch
Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-745-7
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
1.
Langsam begann sich die zerlumpte Gestalt zu bewegen. Ein schwaches Zittern lief durch den hageren Körper, dann schlug der Mann verwirrt die Augen auf.
Aus seiner Kehle drang ein qualvolles Stöhnen, seine aufgesprungenen, blutigen Lippen verzogen sich in jähem Schmerz. Unter seiner Schädeldecke klopfte und hämmerte es, zeitweise schienen sich tausend glühende Nadeln durch seine Kopfhaut zu bohren. Die zerschundenen Gliedmaßen brannten wie Feuer, die Knochen schmerzten. Pas hagere, etwas hohlwangige Gesicht des Mannes war angeschwollen und blutverschmiert. Das dunkelbraune Haar hing ihm wirr in die Stirn. Er bot in der Tat einen erbarmungswürdigen Anblick.
Als seine Gedanken allmählich in die Wirklichkeit zurückfanden, starrte er mit weit aufgerissenen Augen in den düsteren Raum.
„Hölle und Verdammnis!“ Seine Stimme klang heiser. Über sein Gesicht huschte ein Ausdruck des Erschreckens – jenes nackten Grauens, das alle diejenigen mit scharfen Krallen packt, die sich der Ausweglosigkeit ihrer Lage bewußt werden. „Diese Teufel! Diese verfluchten, erbarmungslosen Teufel!“ stieß er hervor. Sein entsetzter Blick flog über die nähere Umgebung, doch er konnte kaum etwas erkennen.
Er erinnerte sich jedoch daran, daß man ihn in das Kabelgatt der Karavelle gesperrt hatte, in jenen Stauraum tief unter Deck, in dem das nichtbenutzte Tauwerk untergebracht war. Man hatte ihn gefesselt und zusätzlich an zwei verrostete Eisenhaken gebunden, die aus den Planken ragten. Zuvor aber hatte man ihn mißhandelt und brutal zusammengeschlagen.
Auch der heftige Sturm, der über dem Golf von Mexiko getobt hatte, drang in sein Bewußtsein zurück. Einer der Decksleute war über Bord gegangen, dann hatte der Kapitän plötzlich alle verfügbaren Männer an die Pumpen gejagt.
Mit lautem Gebrüll hatten die Kerle damit begonnen, das eindringende Wasser aus den unteren Schiffsräumen zu lenzen, doch eine Pumpe nach der anderen war ausgefallen.
Als er mit lauten Rufen danach verlangt hatte, von seinen Fesseln befreit zu werden, war einer der Piraten in das Kabelgatt gestürmt und hatte ihm wutschnaubend einen harten Gegenstand auf den Kopf geschmettert – als sei er für das Toben der Naturgewalten verantwortlich. Von da an hatte sein Bewußtsein ausgesetzt. Seine Gefühle, sein Denkvermögen und damit all seine Ängste waren in dem endlosen schwarzen Loch der Besinnungslosigkeit verschwunden.
Jetzt, als er wieder bei Bewußtsein war, lauschte der hagere Mann angestrengt in die Dunkelheit. Was war mit dem Zweimaster geschehen? Warum herrschte plötzlich eine so merkwürdige und gespenstische Stille an Bord? Kein Brüllen, kein Fluchen und keine Kommandos waren zu hören. Auch nicht mehr das dumpfe Geräusch nackter Fußsohlen auf den Decksplanken.
Wo waren die Kerle?
So sehr er sich auch anstrengte, es war kein menschlicher Laut zu hören. Dafür aber drang ein leises Plätschern, Gurgeln und Rauschen an seine Ohren. Wasser! Jäh schoß ihm dieser Gedanke durch den Kopf. Natürlich, deshalb hatten sich die Piraten ja fast die Seelen aus dem Leib gelenzt. Und verdammt – auch die Kälte, die seit seinem Aufwachen an ihm hochkroch, war auf das steigende Wasser zurückzuführen. Seine Beine waren bereits naß bis zu den Knien.
Jetzt wurde er von Panik gepackt.
„Hilfe!“ schrie er. „So helft mir doch und laßt mich nicht wie einen Hund ersaufen!“
Reflexartig versuchte er, sich aufzurichten, aber das gelang ihm nicht. Weiter als eine Handbreit konnte er den Kopf nicht anheben, denn die Taue, die an den Eisenhaken befestigt waren, rissen ihn erbarmungslos zurück. So sehr er sich auch auf den Planken wand – er hatte keine Chance. Die straff sitzenden Fesseln schnitten ihm nur tiefer und schmerzhafter ins Fleisch.
Von Todesangst getrieben, schrie der Mann abermals um Hilfe. Aber ohne Erfolg. War die Karavelle tatsächlich von Mann und Maus verlassen worden? Er konnte und wollte es nicht glauben. Der Sturm war bereits abgeflaut, das war den Bewegungen des Schiffskörpers deutlich anzumerken. Dennoch war die Karavelle am Sinken, daran gab es keinen Zweifel. Das Wasser, das bereits seine Beine umspülte, würde unaufhaltsam steigen, bis er elend ertrinken würde. Verzweifelt zerrte er an seinen Fesseln, die Angst jagte ihm eiskalte Schauer über den Rücken.
Wieder fing er an zu schreien. Bittend, flehend, tobend und fluchend. Aber niemand gab ihm eine Antwort, nicht einmal der Wind, der während des Sturms heulend und jaulend durch das Rigg gefegt war.
„Ich habe euch doch alles gesagt!“ rief er mit sich überschlagender Stimme. „Alles, was ihr wissen wolltet! So schneidet mir doch wenigstens die Fesseln durch!“
Tödliche Stille.
Irgendwann – jegliches Zeitgefühl hatte er längst verloren – begriff er schließlich, daß sich außer ihm niemand mehr an Bord der Karavelle befand. Obwohl er das bereits geahnt hatte, traf ihn diese Erkenntnis wie ein Hammerschlag, und er fühlte sich plötzlich als der einsamste und bedauernswerteste Mensch auf der Welt – hilflos, verlassen und ohne Hoffnung. Auch wenn er sich die Kehle heiser schrie und sich verzweifelt auf den Planken hin und her wälzte – wenn nicht ein Wunder geschah, gab es keine Rettung für ihn.
Plötzlich erinnerte er sich an die Gebete, die er einst in seiner Kindheit gelernt hatte. O ja, sein Vater und seine Mutter waren fromme und rechtschaffene Leute gewesen, und sie hatten streng darauf geachtet, daß er sich möglichst viele christliche Tugenden aneignete. Was lag da näher, als sich in seiner hoffnungslosen Situation jener unsichtbaren Macht hoch oben im Himmel zuzuwenden?
„Hab Erbarmen mit mir, o Gott!“ flehte er. Doch das Wasser stieg weiter – unaufhaltsam, gnadenlos und todbringend …
2.
Die Galeone der Seewölfe befand sich an diesem Septembertag des Jahres 1593 bereits um viele Meilen südlich der Mündung des Mississippi. Das Ziel, das Philip Hasard Killigrew und seine Mannen zu erreichen gedachten, war die Schlangen-Insel in der Karibik.
An Bord der „Isabella“ verlief alles nach der gewohnten Routine. Ein Großteil der Mannschaft ging seiner Arbeit nach, während diejenigen, die Freiwache hatten, entweder ihre Kojen abhorchten oder aber beisammenhockten, um über Gott und die Welt zu debattieren.
Old Donegal Daniel O’Flynn hatte seinen mitteilsamen Tag. Er lehnte am Schanzkleid der Back und spann wieder einmal tüchtig Seemannsgarn. Daß Geister und Dämonen, Wassermänner und Windsbräute dabei die Hauptrolle spielten, verstand sich von selbst. An Zuhörern fehlte es nicht, zumal Philip und Hasard, die Zwillingssöhne des Seewolfs, sowie Paddy Rogers hingerissen seinen Erzählungen lauschten.
„Nun ja“, sagte Old Donegal und sein verwittertes Gesicht wirkte äußerst konzentriert. „Mit den Luft- und Wassergeistern war das schon immer etwas schwierig. Solange beide Arten ihren Aufgaben treu bleiben, läuft alles wie geschmiert. Sobald sie aber aneinandergeraten, potzblitz, da gibt es gewaltigen Stunk. Meist ziehen dann die schlimmsten Stürme herauf.“
Philip junior hing wie gebannt an den Lippen des grauhaarigen Alten.
„War das auch bei dem Sturm der Fall, den wir zuletzt abgewettert haben?“
„Natürlich“, erklärte Old O’Flynn ohne Umschweife. „Wenn sich die Luft- und Wassergeister nicht ständig in den Haaren liegen würden, gäbe es gar keine Stürme. Jeder Sturm ist ja nichts anderes als eine handfeste Auseinandersetzung zwischen Wind und Wasser. Bei dem Wetter, das hinter uns liegt, kann der Streit allerdings nicht sehr groß gewesen sein. Das liegt wahrscheinlich daran, daß nicht gerade die stärksten Geister mitgemischt haben. Ich tippe eher auf einige mickrige Untergeister, die noch nicht so viel Wirbel veranstalten können.“
Paddy Rogers, der im Denken nicht besonders schnell war, rieb sich nachdenklich die prächtige Knollennase.
„Wer hat denn den Kampf gewonnen? Die Luft- oder die Wassergeister?“
Damit war Old Donegal trotz seines genialen Wissens fast überfragt.
„Ähm“, äußerte er sich, „so genau kann man das nie sagen. Vielleicht hat überhaupt niemand die Keilerei gewonnen …“
„Wie das?“ unterbrach Hasard junior. „Der Sturm hat doch plötzlich aufgehört, da muß doch einer klein beigegeben haben.“
„Sei nicht so vorlaut, du Hüpfer!“ fuhr der alte O’Flynn fort. „Wenn man das unbedingt wissen will, muß man eben höllisch aufpassen, dann merkt man es.“ Und er fügte seiner Antwort einen tadelnden Blick hinzu.
„Wie kann man das merken?“ fragte Paddy neugierig.
Der alte Haudegen räusperte sich mit Nachdruck und fuhr sich mit der Hand durch die Bartstoppeln.
„Im Prinzip ist das eigentlich ganz einfach“, sagte er. „Wenn der Wind zuerst nachläßt und sich dann die Wogen beruhigen, haben die Luftgeister den Hintern zugekni… ich meine natürlich, klein beigegeben. Ist es umgekehrt, dann waren es die Wassergeister.“
Jetzt wurde Philip junior stutzig.
„Ha!“ rief er. „Du willst uns einen Bären aufbinden. Umgekehrt geht’s nämlich gar nicht. Ich jedenfalls habe noch nicht erlebt, daß sich, solange der Sturmwind noch am Toben ist, die Wellen beruhigen und die See spiegelglatt wird.“
Paddy Rogers, der für sein Leben gern Geistergeschichten hörte und wie viele Zeitgenossen auch an sie glaubte, nickte zustimmend.
„Recht hast du, Philip“, sagte er und warf Old Donegal einen wütenden Blick zu. „Du verscheißerst uns, Mister O’Flynn!“
Der rauhbeinige Alte winkte entrüstet ab und setzte dann ein überlegenes Gesicht auf.
„Papperlapapp! Niemand verscheißert euch. Oft ist es nämlich so, daß die Wind- und Wasserbewegungen gleichzeitig aufhören – oder wenigstens so in etwa. Und das beweist, daß es meist gar keinen echten Sieger gibt. In Geisterkreisen einigt man sich eben und beendet seine Streitigkeiten mit einem Unentschieden. Da euch der Unverstand aus den Klüsen schaut, will ich euch das anhand eines Beispiels verklaren: Stellt euch vor, eine Windsbraut und ein Wassermann haben – äh – ein kleines Techtelmechtel und wollen schließlich Hochzeit halten. Nun gibt es aber großen Stunk, weil die Mitgift der Windsbraut zu klein ausgefallen ist. Im Handumdrehen zieht ein gewaltiger Sturm herauf, der Wind fegt mit einer Menge Wut im Bauch über die See, weil er ein alter Geizkragen ist. Andererseits rollen sofort riesige Brecher heran, weil ein Wassermann sich nicht gern übers Ohr hauen läßt. Und was geschieht jetzt?“
„Es stürmt“, erwiderte Paddy wenig geistreich.
„Das ist wohl klar, du Rochen“, fuhr Old Donegal Daniel O’Flynn fort. „Ich meine aber, welche Möglichkeiten haben die Luft- und Wassergeister, ihre Keilerei zu beenden? Ich will es euch sagen, ihr Klugscheißer: Da Geister in der Regel viel vernünftiger sind als Menschen, legt der Vater der Windsbraut noch ein paar Golddublönchen hinzu und die Sache ist gelaufen. Der Sturm hört auf, Wind und Wasser beruhigen sich. Niemand hat den Kampf gewonnen. Habt ihr das endlich kapiert?“
Irgendwie klang das alles ein bißchen logisch, dennoch behielten die Zwillinge und Paddy Rogers ihren mißtrauischen Gesichtsausdruck bei.
„Umgekehrt geht’s trotzdem nicht“, beharrte Jung-Philip, der beträchtliche Zweifel an den haarsträubenden Geschichten hatte.
Old Donegal fand inzwischen selbst, daß er den Bogen wieder einmal gewaltig überspannt hatte und es angebracht war, schleunigst das Thema zu wechseln. Aber das sollte nicht mehr nötig sein, weil plötzlich laute Rufe zu hören waren.
„Was gibt es?“ rief Paddy und beugte sich über die Querbalustrade der Back.
Luke Morgan, der nach oben blickte, zuckte mit den Schultern.
„Weiß nicht“, sagte er. „Irgend etwas scheint mit Plymmie zu sein. Mac ist jedenfalls ganz aufgeregt.“
„Mit Plymmie?“ Die Zwillinge zuckten heftig zusammen, wirbelten herum und rasten Sekunden später über die Kuhl.
Plymmie, die junge Wolfshündin, bot einen herzzerreißenden Anblick. Sie lag zusammengekrümmt neben dem Backbordniedergang, der von der Kuhl zum Quarterdeck führte, und hob mühsam den Kopf, als sie die Zwillinge herbeistürzen sah.
Zu ihnen fühlte sich Plymmie besonders hingezogen, denn sie hatten die halbverhungerte und von einer Horde jugendlicher Taugenichtse gejagte Hündin einst in Finnland an Bord geholt und aufgepäppelt. Inzwischen hatte sie sich zu einem ausgezeichneten Wachhund entwickelt, der bei der Crew mindestens genauso beliebt war wie der Schimpanse Arwenack und Sir John, der karmesinrote Aracangapapagei.
Kein Wunder, daß sich der Kreis derer, die Plymmie mitleidsvoll anstarrten, ständig vergrößerte.
Die Hündin atmete schwer und zeigte sich an allen Zurufen und gutgemeintem Streicheln völlig uninteressiert. Aus dem leicht geöffneten Maul troff Speichel.
Philip und Hasard, die ihr gut zuredeten und das Fell kraulten, bedachte sie mit einem gequälten Blick.
„Was hast du nur, Plymmie?“ fragte Jung-Hasard. In seinen Augen schimmerte es plötzlich feucht. „Weißt du es denn nicht, Mister Pellew?“ Er warf dem zweiten Koch und Feldscher der „Isabella“ einen hilfesuchenden Blick zu.
Doch Mac Pellew, dessen Gesicht noch sauertöpfischer wirkte als sonst, zuckte nur bedauernd mit den Schultern.
„Frag mich was anderes“, erwiderte er. „Ich zerbreche mir schon die ganze Zeit den Kopf. Es passierte ganz plötzlich, beim letzten Glasen war das Vieh noch putzmunter.“
Auch Edwin Carberry, der bullige Profos, stapfte heran. Die letzten Worte Macs schnappte er noch auf.
„Was heißt hier putzmunter, was, wie?“ fragte er. „Nennst du das vielleicht putzmunter, wie die arme Kreatur hier auf den Planken kauert?“
„Hör nächstens genauer hin, Mister Carberry“, erklärte Mac Pellew bissig, „dann weißt du, was ich wirklich gesagt habe.“
Der Profos schob sein klotziges Rammkinn vor, legte die zernarbte Stirn in Falten und beugte sich über Plymmie. Er tätschelte ihr mit seinen gewaltigen Pranken das Fell, schnalzte mit der Zunge, stieß undefinierbare Lockrufe aus und versuchte, die Hündin mit allen nur möglichen Raffinessen aufzumuntern. Die Arwenacks erkannten ihren bärbeißigen Profos nicht wieder.
Ed mußte die erstaunten Blicke bemerkt haben, denn er richtete sich plötzlich wieder auf.
„Bildet euch bloß nicht ein, daß ich in Tränen ausbreche“, knurrte er. „Aber das Vieh muß wieder auf die Beine, wir brauchen schließlich einen guten Wachhund. Oder etwa nicht?“
Die Männer grinsten, denn sie wußten nur zu gut, was sich hinter dieser Bemerkung verbarg. Unter der rauhen und ruppigen Schale war Edwin Carberry nämlich so weich wie Butter. Nur wollte er das um keinen Preis zugeben.
Aber auch er hatte es nicht geschafft, Plymmie aufzumuntern.
„Wenn ein Hund krank ist, liegt das nur am Fressen“, sagte er jetzt sachkundig. „Mac, du karierter Affenarsch, hast du den Köter etwa vergiftet, was, wie?“
Mac Pellew fuhr wie von einer Tarantel gestochen hoch.
„Spinnst du, Mister Carberry?“ rief er wütend. „Meinst du vielleicht, ich hätte nichts anderes zu tun, als Plymmie zu vergiften? Bei uns an Bord gibt es überhaupt kein Gift, damit du das weißt! Und wenn du mich noch mal als Giftmischer bezeichnest, dann springe ich dir mitten ins Gesicht, jawohl, und wenn es sein muß, mit dem nackten Hintern!“
„Blas dich nicht so auf, du Seegurke“, sagte der Profos. „Sonst setze ich dir die Faust aufs Hirn, daß dein Kopf glatt ein Stockwerk tieferrutscht. Danach kannst du durch deine eigenen Rippen gucken!“
Mac bebte vor Zorn.
„Eine Gemeinheit ist das!“ schrie er. „Ich, der ich ein durch und durch tierliebender Mensch bin, soll ausgerechnet Plymmie vergiftet haben! Du hast wohl einen Sprung in der Schüssel, wie? Einem Ochsen wie dir sollte man tatsächlich eine Brise Gift unter die nächste Erbsensuppe rühren, jawohl!“
„Hä?“ brüllte Ed. „Ich denke, du hast gar kein Gift, was, wie?“
„Hab’ ich auch nicht!“ schrie Mac. „Aber beim nächsten Landgang werde ich mir einige Fliegenpilze besorgen, und die brate ich dir zum Frühstück!“
Wie es schien, bahnte sich ein handfester Streit an, doch am jämmerlichen Zustand der Hündin änderte sich nichts.
Schließlich tauchte der Kutscher auf, der bis jetzt noch in der Kombüse zu tun hatte.
„Was ist denn hier los?“ fragte er und besah sich Plymmie. „Hast du schon was unternommen, Mac?“ wandte er sich dann an seinen Kollegen.
„Wie sollte ich?“ fauchte dieser. „Unser ehrenwerter Mister Carberry hat mich die ganze Zeit daran gehindert. Er behauptet sogar, ich habe Plymmie vergiftet.“
„Quatsch!“ sagte der Kutscher, während er Plymmie untersuchte.
„Habt ihr das gehört?“ rief Edwin Carberry mit Donnerstimme. „Die Kombüsenhengste halten zusammen wie Pech und Schwefel!“
Der Kutscher ging nicht darauf ein.
„Was hat Plymmie gefressen?“ fragte er.
„Die Reste von unserem Mittagsmahl“, erwiderte Mac. „Und ein Stück Speck hat sie auch gekriegt, jawohl. Und bevor ich den Abfalleimer an Lee über Bord kippte, hat sie sich fix noch einen Knochen gemopst und ihn zerbissen.“
„Da haben wir’s“, sagte der Kutscher. „Ich habe so was schon mal bei einem Hund erlebt. Daß Plymmie speichelt, beweist, daß ihr etwas im Hals steckt. Höchstwahrscheinlich handelt es sich dabei um ein Knochenstück. Der arme Hund kann nicht mehr schlucken und ist in Atemnot geraten, deshalb ist er so apathisch.“
Der Kutscher schritt sofort zur Tat, stellte Plymmie auf die Beine und klopfte ihr mit der flachen Hand heftig auf den Rücken.
Sofort begann die Hündin zu husten, aber an ihrem Verhalten änderte sich zunächst nichts. Nach wie vor tropfte ihr der Speichel von den Lefzen.
Der Feldscher jedoch gab nicht auf und verstärkte seine Maßnahmen. Er klopfte, daß es regelrecht dröhnte.
„Willst du den armen Hund etwa totschlagen, was, wie?“ ließ sich Ed vernehmen. „Geht’s ihm nicht schon dreckig genug?“
„Half du dich da raus, Ed“, sagte der Kutscher und klopfte weiter.
Plymmie ging zeitweilig in die Knie, aber sie ließ sich die rauhe Heilmethode des Feldschers gefallen. Wieder begann sie anhaltend zu husten und zu würgen.
Endlich geschah es.
Ein kleines Knochenstück flog auf die Planken. Plymmie hörte auf zu würgen, schloß das Maul und speichelte nicht mehr. Schließlich leckte sie sich die Lefzen und begann sogar mit dem Schwanz zu wedeln. Mit treuen Hundeaugen sah sie den Kutscher an, als wolle sie ihm ihren Dank abstatten. Es ging ihr sichtlich besser.
„Na also“, sagte der Kutscher. „In wenigen Minuten ist sie wieder mopsfidel. Künftig müssen wir wegen der Knochen etwas aufpassen.“
Carberry war sprachlos, was bei ihm selten geschah. Daß der Kutscher es geschafft hatte, Plymmie im Handumdrehen wieder „flottzukriegen“, wie er das nannte, rang ihm doch einigen Respekt ab. Auch die übrigen Männer, die dabeistanden, atmeten auf – Smoky, Roger Brighton, Ferris Tucker, Jack Finnegan, Sam Roskill, Bob Grey und Will Thorne. Von den Zwillingen ganz zu schweigen.
„Toll hast du das hingekriegt, Kutscher!“ rief Philip junior und drückte Plymmie an sich.
Edwin Carberry kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
„Ja, wirklich“, sagte er dann, „das hast du gut hingekriegt. Und endlich mal ohne deine stinkende schwarze Salbe!“ Mit sichtlich zufriedenem Gesicht stapfte er davon.
Doch so einfach sollte der Profos nicht davonkommen.
„He, Mister Carberry!“ rief Mac Pellew. „Warum so eilig mit dem Verholen? Hast du wenigstens gesehen, was die Ursache für Plymmies Krankheit war?“
„Ich hab’ doch keine Tomaten auf den Klüsen“, erwiderte Ed brummend.
„Und was war es? Na los, sag es schon! War es Gift? Oder war es ein Stück Knochen?“
„Ach, rutsch mir doch den Buckel runter!“ knurrte Ed. „Vielleicht war es ein Stück von einem Giftknochen.“ Er ließ den sprachlosen Mac Pellew stehen und scheuchte dann wie üblich die Mannen lauthals und unter Androhung der übelsten Strafen an die Brassen und Fallen.
Sir John, sein spezieller Liebling, unterstützte ihn dabei nach Kräften.
„Was – wie – was – wie!“ krächzte der Papagei von der Vormarsrah nach unten. „Klar zur Wende!“
Mac Pellew brauchte einige Augenblicke, bis er Eds Antwort verdaut hatte.
„Du rahgetakelter Hornochse!“ rief er dann. „Du hättest dich wenigstens entschuldigen können, wie das unter Gentlemen üblich ist!“ Er murmelte noch etwas Unverständliches hinterher und verholte sich dann mit griesgrämigem Gesicht in Richtung Kombüse.
Plymmie fühlte sich wieder wohl, die Menge zerstreute sich.
„Was war denn da los?“ fragte wenig später der Seewolf, als Ferris Tucker zusammen mit Old O’Flynn zum Achterdeck auf enterte.
Der rothaarige Schiffszimmermann berichtete ihm kurz, was vorgefallen war.
Philip Hasard Killigrew lächelte.
„Zum Glück hat es Plymmie überlebt“, sagte er. „Es ist schon ein verdammt mulmiges Gefühl, wenn man sieht, daß Hilfe dringend verlangt wird, aber niemand weiß, wie man helfen kann. Mir gehen in diesem Zusammenhang auch die Indianer an Bord der ‚San Donato‘ nicht aus dem Kopf. Hoffentlich schafft es Buddy Bolden wirklich, den armen Kerlen zu helfen.“
Der Seewolf spielte damit auf die dramatischen Ereignisse um die Timucua-Indianer an, die in den Sümpfen Floridas vom Sumpffieber heimgesucht worden waren.
Die „San Donato“, mit der die Timucuas auf das in der Nähe der Schlangen-Insel gelegene Coral Island übersiedeln sollten, und die „Isabella“ waren im Lake Pontchartrain auf das Hausboot Buddy Boldens und seiner illustren „Familie“ gestoßen. Der baumlange Neger hatte rasch das Vertrauen und die Freundschaft der Seewölfe gewonnen. Außerdem kannte er sich mit dem tückischen Fieber recht gut aus und hatte sogar behauptet, selber immun dagegen zu sein.
Nach seiner Meinung brauchten die Kranken zunächst einmal absolute Ruhe, und da diese im Lake Pontchartrain nicht gewährleistet war, hatte Buddy Bolden die „San Donato“ sowie die „Isabella“, die sein Hausboot im Schlepp hatte; zu einem „stillen Plätzchen“ dirigiert, an dem er die Epidemie in den Griff zu kriegen hoffte.
So war man schließlich am Nordufer des Lake Salvadore vor Anker gegangen. Hier sollten die Timucuas zunächst einmal gesund gepflegt werden, während die Seewölfe Kurs auf die Schlangen-Insel nahmen. Ihr Ziel war es, dort die Schätze aus St. Augustine und von Pirates Cove abzuladen und dann mit Verstärkung zum Mississippi zurückzukehren, um die „San Donato“ ins Geleit zu nehmen.
Nach Meinung des Seewolfs war das der einzig vernünftige Weg für eine erfolgreiche Übersiedlung des Timucua-Stammes auf die Plantageninsel, und verständlicherweise waren die Indianer immer wieder Gegenstand der Gespräche an Bord der „Isabella“.
„Eigentlich bin ich recht zuversichtlich“, sagte Ben Brighton, der Erste Offizier der ranken Dreimastgaleone. „Buddy scheint tatsächlich einige Mittel gegen dieses verdammte Fieber zu kennen. Ich bin davon überzeugt, daß er alles nur Mögliche für die armen Teufel tun wird.“
Hasard nickte, bückte sich und rollte die Seekarte zusammen, die er auf den Planken des Achterdecks ausgebreitet und an den vier Ecken mit Steinen beschwert hatte.
In diesem Augenblick tönte die Stimme Bills aus dem Großmars.
„Deck!“ brüllte er. „Zweimaster an Steuerbord!“
Der Seewolf richtete sich auf und zeigte „Verstanden“. Er und Ben Brighton hoben fast gleichzeitig die Spektive an die Augen.
„Scheint eine treibende Karavelle zu sein“, sagte Hasard. „Wenn mich nicht alles täuscht, ist sie hecklastig. Und was da an den Gaffelruten flattert, ist bestenfalls der traurige Rest einstiger Lateinersegel.“
„Da hast du recht“, meinte Ben. „Es sieht so aus, als sei das Schiff am Sinken. Wahrscheinlich hat es im Sturm was abgekriegt.“
Auch Ferris Tucker und Old O’Flynn blickten nach Steuerbord. Das zerfurchte Gesicht Old Donegals verdüsterte sich dabei zusehends.
„Wie weit ist dieser Kahn von uns entfernt?“ wollte er wissen.
„Schätzungsweise sieben bis acht Meilen“, erwiderte Hasard.
„Aha“, sagte der Alte mit dem Holzbein. „Und was gedenkst du zu tun?“
Der Seewolf setzte den Kieker für einen Augenblick ab und warf seinem Schwiegervater einen prüfenden Blick zu.
„Was kann man in einer solchen Situation schon tun?“ fragte er. „Vielleicht befinden sich Menschen an Bord, die unsere Hilfe brauchen. Meiner Meinung nach sollten wir Kurs auf die Karavelle nehmen, bevor sie vor unseren Augen absäuft.“
Das Gesicht des alten O’Flynn wurde eisig.
„Das habe ich mir gedacht“, sagte er. „Und woher willst du wissen, daß nicht ein Trick hinter dieser Sache steckt? Es wäre nicht das erste Mal, daß uns Piraten in eine Falle locken wollen.“
Auch der ruhige und besonnene Ben Brighton zog ein nachdenkliches Gesicht.
„Donegal hat mit dieser Befürchtung gar nicht so unrecht“, sagte er. „Wir müssen verdammt vorsichtig sein, sonst haben wir gleich wieder Ärger am Hals.“
Die eisblauen Augen des Seewolfs blitzten, über sein markantes, braungebranntes Gesicht huschte ein Grinsen.
„Habe ich vielleicht gesagt, daß wir unvorsichtig sein werden?“
„Nein, das hast du nicht“, sagte Ben und begann ebenfalls zu grinsen.
„Dann sind wir uns ja einig“, fuhr Hasard fort. „Ich gedenke vorerst nicht mehr zu tun, als auf Rufweite an die Karavelle heranzusegeln. Sollte sich das Schiff wirklich in Seenot befinden und jemand unsere Hilfe brauchen, dann wissen wir, was wir zu tun haben. Ich werde jedenfalls niemandem meine Hilfe versagen. Oder willst du das vielleicht, Mister O’Flynn?“ Er sah Old Donegal durchdringend an.
„Natürlich nicht“, erwiderte der Alte. „Ich habe nur so ein merkwürdiges Gefühl in meinem Holzbein. Und ich denke daran, mit welchen Mitteln man uns bisher schon aufs Kreuz zu legen versuchte. Außerdem …“
„Außerdem?“ fragte Hasard. „Sprich dich nur aus, Mister O’Flynn.“
„Nun ja, hm, außerdem könnte es sich bei diesem Schiff ja auch um ein – ich wollte sagen, es könnte auch ein Geisterschiff sein, das schon seit hundert Jahren über die Meere treibt, eines jener unheimlichen und …“
„Schon gut, Mister O’Flynn“, unterbrach ihn der Seewolf. „Ich habe bereits mitgekriegt, daß du heute wieder sämtliche Gespenster aus dem Sack läßt. Doch diese Karavelle da drüben wird bestimmt nicht von Geistern gesegelt, und seit hundert Jahren schon gar nicht. So hecklastig wie der Kahn aussieht, geht er innerhalb der nächsten Stunden auf Tiefe. Vielleicht sogar noch früher. Und das alles ist verdammt realistisch.“
„Es war ja auch nur eine Vermutung von mir“, brummelte Old Donegal. Daß er nach wie vor von seiner Meinung überzeugt war, konnte man ihm regelrecht an der Nasenspitze ansehen.
Der Seewolf gab den Befehl, Kurs auf das treibende Schiff zu nehmen.
Während Edwin Carberry die Segel der von Hesekiel Ramsgate in Plymouth erbauten Galeone nachtrimmen ließ, glitt im Ruderhaus das große Handrad durch die Fäuste Pete Ballies. Die „Isabella“ fiel hart nach Steuerbord ab und begann dann gegen den Südwestwind zu kreuzen.
Al Conroy, der Stückmeister, gab auf Befehl des Seewolfs Musketen aus und ließ die vier Drehbassen feuerbereit machen. Auf das Ausrennen der insgesamt sechsundzwanzig schweren Kanonen wurde verzichtet. Vorsicht war zwar angebracht, aber man wollte nicht, wie Carberry das ausdrückte, mit Kanonen auf Spatzen schießen.
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