Kitabı oku: «Die Wiederaufnahme in Strafsachen», sayfa 8
(bbb) Hinreichende Erfolgsaussicht
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Für die erstrebte Änderung des angefochtenen Urteils ist letztlich maßgebend, dass der neue Sachvortrag sich als richtig bzw. als beweiskräftig erweist: Soweit neue entlastende Haupttatsachen behauptet werden, muss ihre Richtigkeit festgestellt werden; soweit neue Hilfstatsachen oder Beweismittel vorgebracht werden, ist erforderlich, dass sie tatsächlich vorliegen und zum Beweis der entlastenden Haupttatsache ausreichen, auf die sie sich beziehen. Über Richtigkeit und Beweiskraft des neuen Vorbringens wird endgültig erst in der neuen Hauptverhandlung befunden. Im Wiederaufnahmeverfahren kann nur eine Prognoseentscheidung darüber gefällt werden, ob der neue Vortrag eine Aussicht auf die erstrebte Entscheidung begründet. Eine solche Erfolgsaussicht ist demnach ein notwendiger Bestandteil der Prüfung, ob das neue Vorbringen geeignet ist. Das Wiederaufnahmebegehren soll vorbereitend im Hinblick auf eine mögliche neue Hauptverhandlung bewertet werden. Dabei soll neues Vorbringen ausgeschieden werden, das zwar erheblich ist, aber keine Erfolgsaussicht bietet.
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Ein eindeutiger Fall mangelnder Erfolgsaussicht ist z.B. bei denkgesetzlicher Unmöglichkeit eines an sich erheblichen Vorbringens gegeben.[360] Denkgesetzliche Unmöglichkeit darf freilich nicht mit hoher Unwahrscheinlichkeit gleichgesetzt werden. Echte denkgesetzliche Unmöglichkeit wird ebenso wie bei der tatrichterlichen Beweiswürdigung[361] kaum einmal vorkommen. Andererseits wird ein Fall denkgesetzlicher Unmöglichkeit stets auf der Hand liegen, so etwa wenn der Verurteilte gegenüber der Urteilsfeststellung, er sei mit seinem LKW über eine Strecke von neun Kilometern und einer Geschwindigkeit von 50 km/h in einem Abstand von 20 cm hinter dem LKW des Zeugen A hergefahren, einwendet, er sei zwar genauso schnell gefahren wie der Zeuge A, der Abstand zwischen beiden Fahrzeugen sei jedoch ständig größer geworden.[362]
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Im Grundsätzlichen besteht Einigkeit über das Merkmal der Erfolgsaussicht. Umstritten ist jedoch, welcher Maßstab der Prognoseentscheidung zugrunde zu legen und von welchem Standpunkt aus die Prognose zu treffen ist.
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• Prognosemaßstab
Eine erste Orientierungshilfe bietet eine Analogie zum Erkenntnisverfahren.[363] Nach der Anordnung der Wiederaufnahme befindet sich das Verfahren in einem ähnlichen Zustand wie nach der Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO.[364] Vergleichbar sind dementsprechend auch die Entscheidungssituationen: Wie das erkennende Gericht bei der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens muss das Wiederaufnahmegericht im Aditions- und Probationsverfahren darüber befinden, ob ausreichende Gründe dafür vorhanden sind, den Verfahrensgegenstand in einer Hauptverhandlung (erneut) zu überprüfen. Jeweils sind Prognoseentscheidungen im Hinblick auf ein gleichartiges Verfahrensziel zu treffen. Daher ist es angezeigt, entsprechend dem für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderlichen hinreichenden Tatverdacht (§ 203 StPO) für die Anordnung der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten eine hinreichende Erfolgsaussicht vorauszusetzen. So wie hinreichender Tatverdacht zu bejahen ist, wenn bei vorläufiger Tatbewertung eine spätere Verurteilung wahrscheinlich ist,[365] besteht eine hinreichende Erfolgsaussicht, wenn bei vorläufiger Beurteilung des Antragsvorbringens die angestrebte Entscheidung wahrscheinlich ist.[366]
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Dieser Prognosemaßstab gilt gleichermaßen für die Entscheidungen über die Zulässigkeit und die Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags.[367] Denn hinsichtlich des Maßstabes ergeben sich aus den §§ 368 und 370 StPO keine Unterschiede. Differenzen bestehen nur hinsichtlich der jeweiligen Beurteilungsgrundlage. Während die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags lediglich auf Grund des angefochtenen Urteils, des sonstigen Akteninhalts[368] und der Antragsbegründung ergeht, liegt der Entscheidung über die Begründetheit zusätzlich das Ergebnis der Beweiserhebung nach § 369 StPO zugrunde.
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Die bloße Möglichkeit der Zielerreichung eignet sich nicht als Prognosemaßstab.[369] Die Begründung mit dem Grundsatz „in dubio pro reo“ geht fehl. Es handelt sich um eine Beweisregel, die als Entscheidungsmaxime nur verwendbar ist, wenn sichere Tatsachenfeststellungen gefordert sind.[370] – Lediglich eine mittelbare Berücksichtigung kommt in Betracht.[371] Ist wahrscheinlich, dass der Grundsatz „in dubio pro reo“ in der neuen Hauptverhandlung entsprechend dem Wiederaufnahmeziel zum Zuge kommt, dann ist das Wiederaufnahmevorbringen als geeignet anzusehen. Diese Wahrscheinlichkeit muss aber für das Wiederaufnahmegericht zweifelsfrei gegeben sein.[372] – Auch mit historischen Argumenten lässt sich nicht überzeugend begründen, dass ein Erfolg nur möglich sein muss. Vereinzelte Andeutungen in den Motiven[373] reichen nicht aus, um annehmen zu können, dass der Gesetzgeber gegenüber den sehr restriktiven Wiederaufnahmeregelungen des Partikularrechts eine grundlegende Wende vollziehen wollte.[374] Schließlich trifft auch nicht das Argument zu, dass allein der Möglichkeitsmaßstab praktikabel sei, während eine Wahrscheinlichkeitsprognose das Gericht überfordere.[375] Das Gericht muss hier nicht mehr leisten als bei sonstigen am Maßstab der Wahrscheinlichkeit ausgerichteten Vorausbeurteilungen, etwa bei der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens oder bei Haftentscheidungen.[376]
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Die Analogie zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens hat aber Grenzen. Vergleichbar sind die Entscheidungssituationen nur in ihrer Struktur. Inhaltlich bestehen gewichtige Unterschiede, die bei der Handhabung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes im Wiederaufnahmeverfahren zu berücksichtigen sind. Für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens lässt sich mit guten Gründen die Ansicht vertreten, dass ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit gegeben sein muss, weil allein schon die Durchführung der Hauptverhandlung den Angeklagten belastet.[377] Dieser Gesichtspunkt hat im Fall der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten keine Bedeutung, weil dessen Situation durch die Durchführung der Hauptverhandlung verbessert wird. Schon das spricht dafür, die Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit niedriger anzusetzen. Ein weiterer Grund ist gesetzessystematischer Art. Würde schon für die Zulassung der Wiederaufnahme ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad vorausgesetzt, so wäre eine Steigerung der Anforderungen im Hinblick auf Vollstreckungsentscheidungen gemäß § 360 Abs. 2 StPO nicht mehr möglich, obwohl sie nach der Gesetzessystematik notwendig ist.
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Daraus folgt: Der vom Antragsteller erstrebte Erfolg muss wahrscheinlich sein, mehr aber auch nicht. Dass der Erfolg sicher oder nahezu sicher eintreten wird, kann nicht gefordert werden. Dementsprechend braucht die Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils nicht bereits festzustehen. Wahrscheinlich ist die Erreichung des Wiederaufnahmeziels schon dann, wenn ernste Gründe für eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung sprechen.[378] Im Hinblick auf das ergangene Urteil kann man auch sagen: Es genügt, dass das neue Vorbringen in Verbindung mit den Feststellungen des angefochtenen Urteils ernsthafte Zweifel an dessen Richtigkeit begründet. Der Sache nach bedeutet das nichts anderes.[379]
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Das Hauptproblem der Wiederaufnahmepraxis besteht in einer bedenklichen Handhabung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes.[380] Die Wiederaufnahmegerichte neigen dazu, Wiederaufnahmeanträge möglichst schon im Aditionsverfahren scheitern zu lassen und nur solche Anträge für zulässig zu erklären, die einen Erfolg nahezu sicher erwarten lassen.[381] Die vielfach, z.T. auch von der Richterschaft selbst[382] geäußerte Kritik würde hinfällig, wenn der oben dargelegte Maßstab praktiziert würde.
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• Prognosestandpunkt
Theoretisch sind drei Standpunkte einnehmbar:[383] der Standpunkt des in der früheren Hauptverhandlung erkennenden Gerichts, der Standpunkt des in einer künftigen Hauptverhandlung erkennenden Gerichts und der Standpunkt des Wiederaufnahmegerichts selbst. Praktisch kommt nur der zuletzt genannte Standpunkt in Betracht.[384] Andernfalls würde psychologisch Unmögliches gefordert.[385] Die Komplexität einer Hauptverhandlung ist weder nachvollziehbar noch prognostizierbar. Was als Standpunktproblem diskutiert wird[386], reduziert sich damit auf die Frage, ob und inwieweit das Wiederaufnahmegericht bei seiner Entscheidung über die Geeignetheit des Wiederaufnahmevorbringens den Standpunkt des erkennenden Gerichts, wie er in den Urteilsgründen zum Ausdruck gekommen ist, und den Standpunkt des in einer künftigen Hauptverhandlung entscheidenden Gerichts, soweit er prognostizierbar ist, zu berücksichtigen hat.
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Gegen die Ansicht der Rechtsprechung[387] und einer Literaturmeinung,[388] dass die Geeignetheit vom Standpunkt des erkennenden Gerichts aus zu prüfen sei, spricht Weiteres. Es fehlt eine positive Begründung. Auch ist man inkonsequent. Die Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts wird nicht unbesehen übernommen; sie soll außer Betracht bleiben, wenn sie schlechthin fehlerhaft und unter keinem Gesichtspunkt tragfähig ist.[389] Zudem wird es für unzulässig gehalten, die damaligen Richter zu hören.[390] Schließlich ist dieser Standpunkt nicht mit den gesetzgeberischen Maßnahmen vereinbar, die darauf abzielen, die Beteiligung eines früher erkennenden Richters an der Wiederaufnahmeentscheidung auszuschließen.[391]
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Klärend ist auch insoweit der oben[392] bereits angestellte Vergleich mit der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens gemäß § 203 StPO. Gleichermaßen muss durch einen Vorgriff auf die Entscheidung in einer künftigen Hauptverhandlung über die Erreichbarkeit des Antragsziels befunden werden. Unterschiedlich sind allerdings die strukturellen Voraussetzungen für die Erreichung des Ziels. Da sich das Verfahren im Zwischenverfahren noch in der Aufbauphase befindet, ist dort eine rein zukunftsorientierte Entscheidung zu treffen. Im Wiederaufnahmeverfahren muss hingegen der Weg zur angestrebten Entscheidung erst noch durch eine Beseitigung der vorhandenen rechtskräftigen Entscheidung freigemacht werden. Im Rahmen der Prognose ist also danach zu fragen, ob die Feststellungen der rechtskräftigen Entscheidung durch das Wiederaufnahmevorbringen erschüttert werden. Die Geeignetheit hat das Wiederaufnahmegericht somit von seinem Standpunkt aus[393] nach einem Maßstab zu beurteilen, der prospektive und retrospektive Elemente verbindet. Es muss sowohl die Perspektive des zu einer Entscheidung in einer künftigen Hauptverhandlung berufenen Gerichts als auch diejenige des früher erkennenden Gerichts einbeziehen, ohne für die Entscheidung deren Standpunkt einzunehmen.
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Aus der Strukturüberlegung ist noch ableitbar, dass das Wiederaufnahmegericht bei der Berücksichtigung der Auffassungen des früher erkennenden Gerichts teilweise an diese gebunden ist. Die Bindung betrifft die nicht angreifbaren und die nicht angegriffenen Teile der rechtskräftigen Entscheidung. Nicht angreifbar im Wege der Wiederaufnahme ist die rechtliche Würdigung.[394] Somit ist das Wiederaufnahmegericht an die Rechtsauffassungen gebunden, die dafür maßgeblich waren.[395] Deren Unhaltbarkeit vermag daran nichts zu ändern;[396] das Wiederaufnahmeverfahren hat nicht die Aufgabe, Fehler in der Rechtsanwendung zu korrigieren. Auch die Beweiswürdigung als solche ist dem Wiederaufnahmeangriff entzogen.[397] Dieser kann sich nur gegen die tatsächlichen Grundlagen richten. Werden lediglich Teile der Tatsachenbasis angegriffen, so muss das Wiederaufnahmegericht die davon nicht betroffenen Teile für seine Entscheidung übernehmen. Gebunden ist es auch an deren Verwertung im Rahmen der Beweiswürdigung, sofern das Wiederaufnahmevorbringen sich darauf nicht auswirken kann.[398]
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• Konkretisierungen
Die allgemeinen Leitlinien für die Prüfung, ob auf Grund des neuen Sachvortrags im Einzelfall eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, lassen sich nur sehr begrenzt näher bestimmen.
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– Mittelbare Anwendbarkeit von § 244 Abs. 3 bis 5 StPO
Konkretisierungsmöglichkeiten bietet, soweit der Antragsteller neue Beweismittel beibringt, § 244 Abs. 3 bis 5 StPO. § 244 StPO ist allerdings im Wiederaufnahmeverfahren nicht unmittelbar anwendbar, auch nicht im Wege einer Analogie.[399] Dem steht die besondere Struktur des Wiederaufnahmeverfahrens entgegen, die von derjenigen des Erkenntnisverfahrens grundlegend abweicht.[400] § 244 StPO kann aber ähnlich wie der Grundsatz „in dubio pro reo“[401] mittelbar herangezogen werden, denn in der vom Antragsteller erstrebten neuen Hauptverhandlung gilt die Bestimmung ohne weiteres. Im Wiederaufnahmeverfahren besitzt sie bei mittelbarer Anwendung reine Ausschlussfunktion: Der auf ein neues Beweismittel gestützte Wiederaufnahmeantrag hat keine Aussicht auf Erfolg, wenn die Beweiserhebung in der neuen Hauptverhandlung wahrscheinlich aus einem in § 244 Abs. 3 bis 5 StPO genannten Grund abgelehnt werden würde. Dagegen kann nicht ohne weiteres auf eine hinreichende Erfolgsaussicht des neuen Vorbringens geschlossen werden, falls die Ablehnungsgründe wahrscheinlich nicht eingreifen.
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Hinreichende Erfolgsaussicht ist demnach beispielsweise nicht gegeben bei unzulässiger Beweiserhebung, insbesondere wenn der Wiederaufnahmeantrag sich auf ein Beweismittel gründet, das einem nicht zu beseitigenden Verwertungsverbot unterliegt.[402] Gleiches gilt etwa bei neu benannten Zeugen, die wahrscheinlich nicht erreichbar sein werden.[403]
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Auch bei nur mittelbarer Berücksichtigung ist allerdings stets zu beachten, dass die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 bis 5 StPO zu Recht sehr restriktiv gehandhabt werden. Daher dürfen neue Beweismittel nicht vorschnell als „völlig ungeeignet“ im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO angesehen werden, um damit ohne nähere Erörterung des Antragsvorbringens einen missbräuchlich erscheinenden Wiederaufnahmeantrag abzulehnen.[404] „Völlig ungeeignet“ ist ein Beweismittel nur, wenn seine Verwendung zur Sachaufklärung nichts beitragen kann, die Beweiserhebung somit ausschließlich das Verfahren verzögern würde.[405] Die Vorschrift soll Fälle erfassen, in denen der Misserfolg der Beweiserhebung eindeutig vorhersehbar ist, etwa wenn ein tauber Zeuge für etwas benannt wird, was er gehört haben soll.[406] Soll ein Zeuge über etwas berichten, was bereits sehr lange Zeit zurückliegt, so lässt sich damit allein eine völlige Ungeeignetheit nicht begründen, denn Zeugen sind gelegentlich zu ganz ungewöhnlichen Gedächtnisleistungen fähig. Sie kann allenfalls angenommen werden, wenn bei äußerst sorgfältiger Prüfung aller Besonderheiten des Einzelfalls nach allgemeiner Lebenserfahrung auszuschließen ist, dass der Zeuge noch etwas Sachdienliches aussagen kann.[407]
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Hilfreich ist die mittelbare Anwendung des § 244 StPO am ehesten, wenn ein neues Sachverständigengutachten vorgebracht oder erstrebt wird in Fällen, in denen bereits ein Gutachten erstattet worden ist, weil Abs. 4 ein sehr differenziertes Entscheidungsmuster enthält. Ein neues Gutachten begründet danach keine hinreichende Erfolgsaussicht, wenn lediglich geltend gemacht wird, der neue Sachverständige werde auf Grund derselben Tatsachen und Erfahrungssätze, auf denen auch das erste Gutachten beruht, zu abweichenden Schlussfolgerungen gelangen.[408] Anders ist es, wenn Mängel des ersten Gutachtens behauptet werden. So kann mit hinreichender Erfolgsaussicht vorgetragen werden, das erste Gutachten beruhe auf unzutreffenden oder unzureichenden tatsächlichen Voraussetzungen,[409] frühere Anknüpfungstatsachen seien entfallen oder neue hinzugekommen.[410] Ebenso verhält es sich, wenn neue Umstände vorgebracht werden, die die Begutachtung durch einen Spezialisten erforderlich erscheinen lassen.[411]
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Fällt die zu begutachtende Frage in den Grenzbereich zweier Fachrichtungen, etwa der Psychologie und der Psychiatrie, und ist im bisherigen Verfahren nur ein Vertreter einer dieser Fachrichtungen gutachterlich tätig gewesen, so kann es durchaus erforderlich sein, die Frage auch noch aus der Sicht der anderen Fachrichtung untersuchen zu lassen. Ob das bisherige Gutachten ausreicht, ist sorgfältig unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zu prüfen.[412]
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Schließlich kann mit hinreichender Erfolgsaussicht die Qualität des Erstgutachtens angegriffen werden, wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen des früheren überlegen sind, weil er größeres Erfahrungswissen hat,[413] weil sich zwischenzeitlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse erweitert haben[414] oder weil seine Sachkunde aus sonstigen Gründen größer ist.[415]
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– Zur Beweiskraft verbleibender belastender Hilfstatsachen
Besondere Beurteilungsschwierigkeiten entstehen, wenn das neue Tatsachenvorbringen sich nicht direkt oder nur teilweise gegen Hilfstatsachen wendet, auf die das Urteil sich maßgeblich stützt. Der neue Sachvortrag begründet in diesem Fall nur dann eine hinreichende Erfolgsaussicht, wenn die Beweiskraft der verbleibenden belastenden Hilfstatsachen wahrscheinlich nicht erneut zur Verurteilung ausreichen. So verhält es sich beim Wegfall einer von mehreren dem Schuldspruch zugrunde liegenden Hilfstatsachen allerdings bereits dann, wenn die Hilfstatsachen untereinander nicht gewichtet und dementsprechend als gleichwertig anzusehen sind.[416] Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Beweiskraft der verbleibenden belastenden Hilfstatsachen durch den Wegfall einzelner Hilfstatsachen oder durch neue entlastende Hilfstatsachen eingeschränkt sein kann.[417] Im Rahmen der Gegenüberstellung der das Urteil tragenden Hilfstatsachen und des neuen Vorbringens ist zu prüfen, ob und inwieweit den früher belastend wirkenden Umständen im Hinblick auf die dem Wiederaufnahmeantrag zugrunde liegende Prämisse auch eine Entlastungsfunktion oder zumindest eine neutrale Funktion beigelegt werden kann.
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Fallbeispiel:[418]
Der Antragsteller ist wegen Mordes verurteilt worden. Das erkennende Gericht hatte als erwiesen angesehen, dass er seine Ehefrau veranlasst hatte, in ein Togalfläschchen abgefülltes Gift (E 605) arglos als Medizin einzunehmen. Diese Haupttatsache hatte das Gericht auf Grund verschiedener belastender Hilfstatsachen festgestellt. Der Verurteilte, der die Tat in der Hauptverhandlung bestritten hatte, hatte im Ermittlungsverfahren wiederholt ein Geständnis abgelegt. Er hatte sich das Gift in einer Apotheke besorgt und zunächst im Garten versteckt. Vorbereitungen zur Behandlung von Pflanzen mit dem Gift hatte er nicht getroffen. Stattdessen holte er es am Tag vor dem Tod seiner Ehefrau ins Haus, füllte es in das Togalfläschchen ab und stellte das Fläschchen zu der übrigen Medizin seiner Frau in den Küchenschrank. Nach dem Tod seiner Ehefrau brachte er die Flasche E 605 in die Apotheke zurück und vernichtete sie dort unter Zeugen. Dabei gab er wahrheitswidrig an, die Flasche sei noch original verschlossen. Das Togalfläschchen, aus dem seine Frau das Gift genommen hatte, warf er weg. Die Existenz dieses Fläschchens verschwieg er sowohl dem Arzt als auch zunächst den Ermittlungspersonen. – Zur Begründung seines Wiederaufnahmeantrags trug der Verurteilte eine neue entlastende Hilfstatsache vor: Seine Ehefrau habe noch am Abend vor ihrem Tod einer Zeugin erzählt, sie werde sich das Leben nehmen, und auch nach einer längeren Unterredung mit der Zeugin an ihrem Entschluss festgehalten. – Das Wiederaufnahmegericht ging davon aus, dass die Richtigkeit und der Beweiswert der dem Urteil zugrunde liegenden belastenden Hilfstatsachen durch den neuen Vortrag nicht in Frage gestellt würden. Von dieser Prämisse ausgehend[419] erscheint die Annahme des Wiederaufnahmegerichts, dass eine Freisprechung des Verurteilten nicht wahrscheinlich sei, zutreffend.
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Zu beachten ist freilich, dass sich die Eignungsprüfung darin erschöpft, das Wiederaufnahmevorbringen in Beziehung zu den Urteilsfeststellungen zu setzen. Falls das Wiederaufnahmevorbringen den Urteilsfeststellungen die Grundlage entzieht, ist es deshalb unzulässig, im Wege der Eignungsprüfung Beweise zu würdigen und neue Feststellungen zu treffen, die das angefochtene Urteil wiederum tragen und durch das Wiederaufnahmevorbringen nicht in Frage gestellt werden. Neue Feststellungen zu treffen, die das angefochtene Urteil tragen, ist stets der neuen Hauptverhandlung vorbehalten.[420]
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Beispielsweise darf nicht auf Grund einer im Wege der Eignungsprüfung vorgenommenen Beweiswürdigung angenommen werden, dass das Wiederaufnahmevorbringen ungeeignet sei, weil der Verurteilte, der die Urteilsfeststellungen unter Berufung auf ein Alibi angreift, die ihm zur Last gelegte Straftat entgegen den Urteilsfeststellungen an einem anderen Tag begangen habe.[421]
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– Einschränkung des Beweiswerts bei verfahrensinterner Widersprüchlichkeit
Besonderheiten ergeben sich ferner in dem Fall, dass das Wiederaufnahmevorbringen auf Hilfstatsachen oder Beweismittel zurückgreift, die bereits vom erkennenden Gericht berücksichtigt wurden. Es muss eine von der früheren Verwertung abweichende Beweisrichtung behauptet werden, weil das Vorbringen ansonsten schon mangels Neuheit unzulässig wäre. Da die ursprüngliche Verwertung bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht aber mit zu berücksichtigen ist, kann der bloße Vortrag einer alternativen Verwertungsmöglichkeit nicht ausreichen. Neue Hilfstatsachen oder Beweismittel, die bereits mit abweichender Beweisrichtung Gegenstand des Verfahrens waren, verfügen lediglich über einen eingeschränkten Beweiswert. Eine hinreichende Erfolgsaussicht lässt sich nur unter der Voraussetzung bejahen, dass weitere Hilfstatsachen (sog. Hilfstatsachen des Beweises)[422] vorgebracht worden sind, welche die aus der früheren Verwertung resultierenden Bedenken ausräumen.
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Rechtsprechung und Lehre kennzeichnen das Problem mit dem Begriff der erweiterten Darlegungslast des Antragstellers.[423] Er ist unzweckmäßig. Die Erweiterung der Darlegungslast ist lediglich eine Folge der Konkretisierung des Beurteilungsmaßstabes in den Fällen der Wiederverwendung von Hilfstatsachen und Beweismitteln. Das Sachproblem besteht in der aus der Struktur des Wiederaufnahmeverfahrens sich ergebenden Einschränkung des Beweiswerts bei verfahrensinterner Widersprüchlichkeit.[424]
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Folgende Fallgruppen lassen sich unterscheiden:
Dem Geständniswiderruf, mit dem eine neue Hilfstatsache vorgetragen wird, kommt nur ein eingeschränkter Beweiswert zu, denn er ist lediglich die Kehrseite einer alten Hilfstatsache, nämlich des Geständnisses. Nur eine zusätzlich vorliegende einleuchtende Erklärung für das widersprüchliche Aussageverhalten kann eine hinreichende Erfolgsaussicht des gesamten Vorbringens begründen.[425] Das gilt auch dann, wenn das Geständnis im Rahmen einer Absprache abgelegt worden ist.[426] Gerade in solchen Fällen wird es dem Verurteilten freilich in der Regel verhältnismäßig leicht möglich sein, sein Prozessverhalten einleuchtend zu erklären. Beruht das Urteil, was häufig der Fall ist, allein darauf, dass der Antragsteller den Tatvorwurf pauschal eingeräumt hat und von anderweitigen Beweiserhebungen abgesehen worden ist, so wird die Urteilsgrundlage durch jeden substantiierten Widerruf und den Hinweis darauf erschüttert, dass die Verweigerung der Absprache mit dem Risiko einer erheblich höheren Bestrafung verbunden gewesen wäre.[427] Der im Abspracheverfahren entstehende Druck auf den Angeklagten macht das Urteil somit anfällig für Angriffe im Wege der Wiederaufnahme.[428]
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Gleichermaßen beschränkt ist der Beweiswert in Fällen abweichender oder erweiterter Einlassung des Verurteilten. Hat er im Widerspruch zu seinem jetzigen Vorbringen die Tat in der Hauptverhandlung substantiiert bestritten, sie anders dargestellt oder sich auf eine Erinnerungslücke berufen, so muss das Vorbringen zusätzlich plausible Gründe für die Änderung der Einlassung enthalten, wenn es dem Maßstab hinreichender Erfolgsaussicht genügen soll.[429]
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Gleiches gilt bei einer erstmaligen Einlassung des Verurteilten, wenn also der Verurteilte in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat und sich mit seinem Wiederaufnahmevorbringen erstmals zur Sache äußert. Zu diesem Fall wird unter Hinweis auf die in § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO normierte Aussagefreiheit des Angeklagten die Ansicht vertreten, dass dem Antragsteller eine „erweiterte Darlegungslast“ nicht aufgebürdet werden dürfe: Da der Angeklagte in der Hauptverhandlung die Einlassung verweigern dürfe, ohne Rechtsnachteile befürchten zu müssen, dürften ihm im Wiederaufnahmeverfahren keine Auskünfte abverlangt werden, zu denen er dem Tatrichter gegenüber nicht verpflichtet gewesen sei.[430] Diese Auffassung verkennt die grundlegenden strukturellen Unterschiede zwischen Erkenntnis- und Wiederaufnahmeverfahren.[431] Aus ihnen ergibt sich, dass das Schweigerecht des Angeklagten gemäß § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO zwar im Erkenntnisverfahren sowie – nach erfolgreicher Wiederaufnahme – im Rahmen einer erneuten Hauptverhandlung Bedeutung hat, nicht aber im Wiederaufnahmeverfahren selbst. Im Erkenntnisverfahren und in der erneuten Hauptverhandlung soll der Angeklagte vor Nachteilen bewahrt bleiben, die einen Äußerungszwang bewirken können. Im Wiederaufnahmeverfahren muss er sich als Antragsteller äußern. Ihm obliegt es, durch sein Vorbringen ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Urteilsfeststellungen hervorzurufen, was in Fällen verfahrensinterner Widersprüchlichkeit auch Darlegungen zum Beweiswert des neuen Sachvortrags erfordert. Ein Fall verfahrensinterner Widersprüchlichkeit ist auch dann gegeben, wenn der Verurteilte, der bislang von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hatte, sich zur Begründung seines Wiederaufnahmeantrags erstmals zur Sache einlässt. Denn er setzt sich dadurch in Widerspruch zu seinem bisherigen Aussageverhalten. Auch wenn seine Aussageverweigerung vom erkennenden Gericht nicht zu seinem Nachteil verwendet werden durfte, so ändert das nichts daran, dass sie als auf den Antragsteller bezogene alte Tatsache nun einmal vorliegt und dass die behauptete neue Hilfstatsache (die nunmehrige Einlassung) mit ihr nicht ohne weiteres vereinbar ist. Deshalb ist es erforderlich, dass der Antragsteller sein bisheriges Aussageverhalten plausibel erklärt, wenn sein Antragsvorbringen uneingeschränkten Beweiswert haben soll.[432]
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Freilich dürfen keine überhöhten Darlegungsanforderungen gestellt werden. So lässt sich die bisherige Wahrnehmung des Schweigerechts unter Umständen schon dadurch einleuchtend erklären, dass der Verteidiger aufgrund seiner Einschätzung der Beweissituation dem Angeklagten geraten hatte, keine Angaben zur Sache zu machen.
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Auch die Behauptung, ein Zeuge werde jetzt anders als im früheren Verfahren aussagen, entfaltet für sich allein keine ausreichende Beweiskraft. Der Wandel vom Belastungs- zum Entlastungszeugen verlangt nach Erklärungen: Warum hat der Zeuge früher falsche Angaben gemacht? Weshalb und unter welchen Umständen hat er sich von seiner Aussage distanziert? Nur wenn das Wiederaufnahmevorbringen diese Fragen einleuchtend beantwortet, besteht eine hinreichende Erfolgsaussicht.[433] Die sich daraus ergebenden Anforderungen an den Antragsteller dürfen allerdings nicht überspannt werden.[434] Ihm darf nicht mehr abverlangt werden als das, was ihm nach seinem eigenen Sachvortrag überhaupt möglich ist. Bringt er etwa vor, der Belastungszeuge A habe gegenüber Dritten gesprächsweise erklärt, die Belastung sei zu Unrecht erfolgt, so kann nicht erwartet werden, dass er auch die Gründe mitteilt, die den A zu dieser Erklärung bewogen haben.
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Entsprechendes gilt, falls der Zeuge bislang von einem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat. Seine frühere Aussageverweigerung steht mit seiner jetzigen Aussagebereitschaft in Widerspruch und bedarf einleuchtender Erklärungen, damit der Wiederaufnahmeantrag hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Wie bei einer erstmaligen Einlassung des Verurteilten[435] ist es entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht[436] wiederaufnahmerechtlich ohne Bedeutung, dass aus der Aussageverweigerung im Erkenntnisverfahren keine Schlüsse zum Nachteil des Angeklagten gezogen werden durften.
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Zu nennen ist weiter der Fall, dass ein früherer Mitangeklagter belastende Angaben widerruft, die er in der Hauptverhandlung gemacht hat. Hinreichende Erfolgsaussicht setzt hier regelmäßig voraus, dass zugleich dargelegt ist, woraus sich die Unrichtigkeit der früheren Angaben des Mitangeklagten ergibt und weshalb und unter welchen Umständen dieser von seinen bisherigen Erklärungen abgerückt ist.[437]
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Auch der reduzierte Beweiswert einer entlastenden Zeugenaussage eines früher schweigenden Mitangeklagten bedarf der Kompensation durch eine einleuchtende Begründung für die Änderung des Aussageverhaltens.[438]
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Schließlich ist der Beweiswert eines Beweismittels beschränkt, falls der Antragsteller in der Hauptverhandlung auf die Erhebung dieses Beweises verzichtet oder davon abgesehen hatte, das Beweismittel zu benennen. Nur wenn zugleich einleuchtend erklärt worden ist, weshalb das Beweismittel den Antragsteller nunmehr entlasten können soll, lässt sich eine hinreichende Erfolgsaussicht bejahen.[439]