Kitabı oku: «Muster für morgen», sayfa 4
Nicht erklärt war damit meine selbstständige Rückkehr in die alte Realität. Ich selbst hatte einmal zaghaft die Vermutung geäußert, dass es sich hier gar nicht um meine Ursprungsrealität handelte, sondern um eine geringfügig neue. Sucherin war davon nicht überzeugt, weil ein Wechsel in eine dritte Realität noch schwieriger zu erklären war. Sie meinte, dass ich durch meine Rückkehr das ohnehin angeknackste Ebenen-Gefüge weiter in Unordnung gebracht hätte und dadurch diese Doppelpersonen heraufbeschworen hätte. (Wie dabei eine so ähnliche Flie und gleichzeitig eine so unähnliche Winnie entstehen konnten, wusste sie allerdings auch nicht).
Auf jeden Fall waren für sie diese Vorgänge beunruhigend, wenn nicht sogar gefährlich, und sie wollte sie auch deshalb im Auge behalten. Ich konnte ihr nicht helfen, weitere Vorfälle dieser Art zu verhindern, da ich diese Realitätsversetzung nicht bewusst steuern konnte. Ich rechnete aber nicht damit, dass es mir noch einmal passierte.
Schon als ich in die Nähe der Straße kam, in der Flie gewohnt hatte, wurde mir klar, dass ich hier weder sie noch irgendwelche Nachmieter finden würde. Das ganze Viertel war saniert worden, d.h. die alten Häuser abgerissen und durch teure neue Wohnblocks ersetzt worden.
Mir blieb nur eins übrig: die Firma aufzusuchen, für die sie gearbeitet hatte. Zum Glück fiel mir der Name wieder ein und ich fragte einen Robot-Kommunikator nach der Adresse und machte mich auf den Weg. Die Firma existierte also noch.
Ich ging eine ganze Strecke zu Fuß Richtung City, um noch mehr von der Umgebung mitzukriegen. Einmal blieb ich stehen, um die Mittagsnachrichten, die aus einem Elektronik-Geschäft auf die Straße übertragen wurden, mit anzuhören. Ich war erleichtert: über uns und unsere Flucht wurde noch nichts durchgegeben. Wahrscheinlich waren sich die Regs noch nicht einig, was sie genau veröffentlicht haben wollten. Wenn sie die allgemeine Jagd auf uns freigaben, konnte es gut passieren, dass voreilige Cops oder Roboter uns töteten. Und daran schienen sie ja nicht unbedingt interessiert zu sein. Sie wollten ja irgendwelche Informationen von uns. Ich musste etwas lachen. Da schonten sie uns wegen dieser merkwürdigen Barriere, von der wir selbst nicht wussten, was das sein sollte.
Durch die Nachrichten bekam ich immerhin einigermaßen etwas mit von der politischen Weltlage – natürlich aus offizieller Sicht. Doch selbst diese Berichte klangen ziemlich düster: es gab wohl mit Hilfe der Renen-Technik errichtete Stützpunkte auf dem Mars und Mond, die für Nachschub an Idustrie-Rohstoffen sorgen sollten. Aber das war wohl ein sehr kostspieliges Unternehmen, und es klappte hinten und vorne nicht. Die Preise waren enorm gestiegen und einige Gebrauchsgüter wurden zumindest auf den Inseln knapp, so dass es dort schon zu kleineren Aufständen und Streiks gekommen war.
Auch in Neu-Ing schien die Lage brisant zu sein, weil das Kapital die Krise brutal gegen die Bevölkerung einsetzte, und es war häufig von Straßenschlachten und Demonstrationen die Rede. Natürlich sendeten sie zum Schluss eine Portion Optimismus, um wenigstens einige Leute bei der Stange zu halten. Die Privilegierten wurden zur Ruhe und Wachsamkeit gegenüber den inneren Feinden aufgerufen und eine große wirtschaftliche Wende für das nächste Jahr wurde prognostiziert. Da wurde gelabert über Raumflüge außerhalb des Sonnensystems und der Urbarmachung von Gebieten, die wegen der radioaktiven Verseuchung jetzt noch unzugänglich waren. Das waren natürlich alles nur schöne Worte. So wie ich die Lage mit meinen zugegeben wenigen Informationen einschätzte, würde es eher noch schlimmer werden. Auf jeden Fall für diejenigen, die für die kleine Oberschicht die Arbeit machen mussten, für die, die von der Hand in den Mund lebten, und für die, die Tag für Tag auf der Straße verhungerten.
Denn das war das eigentlich neue: Elendsviertel und Armut in diesem Ausmaß hatte es in Neu-Ing früher nicht gegeben. Neu-Ing hatte immer das Ansehen eines Wohlfahrtstaates gehabt, wo niemand Not zu leiden brauchte. Natürlich war das schon immer Augenwischerei gewesen, aber der neue Aufschwung und die Krise hatten hier hauptsächlich Verelendung gebracht. Diesen Leuten nützten die Raumfahrt und andere spektakuläre technische Neuerungen nichts. Das waren Spielereien für die Reichen, die Bürokraten und Knopfdruckspezialisten, die Überwachungs- und Computertechniker.
Aber ich konnte eben auch raushören, dass sich Widerstand regte, dass diesmal nicht Apathie und Resignation Einzug hielten. Und auch der Ruf nach einem starken Mann oder dem Militär, also ein Rechtsruck, schien nicht auf der Tagesordnung zu stehen.
Ob die Leute wirklich begriffen hatten, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen mussten und das nur ging über den Sturz jeglichen Herrschaftssystems?
Hier stoppten meine Gedanken, da ich mich einfach nicht länger konzentrieren konnte. Ich war in ein Geschäftsviertel vorgedrungen und dauernd dröhnten Werbespots auf mich ein und die Leuchtreklame flirrte schon am Tag über den Straßen. Ich hatte den Eindruck, es wurden selbst irgendwelche chemischen Anregungsmittel versprüht. Es stank jedenfalls überall penetrant und ich musste mich anstrengen, nicht in einer Art Trance weiterzugehen.
Schließlich stand ich vor dem gewaltigen Betonklotz der Handelsfirma, für die Flie tätig gewesen war. Nun meldete sich aber doch wieder meine Vorsicht und ich wollte erst mal anrufen, bevor ich mich persönlich dort sehen ließ. Zum Glück passten auch fürs Visifon alte Münzen und ich ließ mich mit der Firma verbinden.
Auf dem kleinen Bildschirm vor mir erschien das puppenhafte Gesicht einer Repräsentierfrau – oder vielleicht war es auch ein Robot – und sie fragte nach meinen Wünschen. Ich erkundigte mich nach Flie und erfuhr, dass unter ihrem Namen dort niemand arbeitete.
Resigniert schaltete ich aus und trat wieder auf die Straße.
Wie hatte ich auch annehmen können, dass jemand wie Flie so einen Job über Jahre ausübte? Sie hatte mir doch schon damals auf den Inseln erzählt, wie beschissen sie diese Rolle fand. Sie hatte sie ja auch nur angenommen, um als Spionin arbeiten zu können und außerdem eine Menge rumzukommen, wobei sie Kontakt zu einzelnen Widerstandsgruppen halten konnte.
Jetzt konnte ich natürlich von einer Adresse zur nächsten flitzen, aber das erschien mir ebenso hoffnungslos, denn ich hatte kaum Leute gekannt, die länger als ein paar Jahre am gleichen Ort wohnten. Da war es wohl doch besser, bis zum Abend zu warten und dann die einschlägigen Kneipen abzuklappern. Das versprach wesentlich mehr Aussicht auf Erfolg,
Außerdem durfte ich nicht zu lange wegbleiben, sonst befürchtete Sucherin bestimmt, dass mir etwas zugestoßen war. Langsam misstraute ich auch meinem Glück, noch keiner Cop-Kontrolle über den Weg gelaufen zu sein. Eine Ausweisüberprüfung würde mir gar nicht gut bekommen.
Ich suchte also den nächsten Alles-Kauf auf und besorgte die Teile, die auf meiner Liste standen. Ich bekam zwar alles anstandslos – Verkaufsautomaten stellen keine Fragen – aber manches klang so merkwürdig, dass ich mich fragte, ob solche außergewöhnlichen Wünsche nicht irgendwo registriert wurden.
Hastig klaubte ich noch einige Lebensmittel zusammen, die zwar auch nicht natürlich waren, aber immerhin besser als die eklige Konzentratnahrung. Damit war mein Vorrat an Geld, das noch was wert war, auch erschöpft.
Hier im Supermarkt wurde ich auch endlich von meinen letzten Zweifeln erlöst, dass vielleicht doch so etwas wie ein Markensystem à la Südliche Inseln eingerichtet worden war: die Kreditkarten, mit denen die Leute hier bezahlten, hatten keinerlei Ähnlichkeit mit den Marken, wie ich sie von den Inseln kannte.
Verkäufer/innen oder Kassierer/innen gab es natürlich nicht, nur ein paar Auffüllroboter schwirrten herum. Wenn man etwas nicht gleich fand, konnte man sich an eine der Auskunftssäulen wenden, die überall aufgebaut waren.
Ich machte mich so schnell es ging auf den Rückweg mit dem festen Vorsatz, heute Abend einen Kneipenbummel zu unternehmen. Ich fühlte mich jetzt viel sicherer und traute mir zu, Gefahren erkennen und aus dem Weg gehen zu können.
Schließlich hatten wir auch keine Wahl. Wenn wir uns freier bewegen wollten, mussten wir Antworten auf eine Menge Fragen bekommen und Leute finden, die uns weiterhalfen.
I was there when they landed on the moon
In a studio in Kentucky in June
I’ve got Kennedy’s brain in a jar
If you knew what I knew
You wouldn’t laugh so hard.
Everything you know is wrong
Chumbawamba - »Everything You Know is Wrong«
6.
DIE UNHEIMLICHE GEFAHR
Die schnell zusammengezimmerten Baracken aus Plastik-Fertigteilen lagen jetzt im prallen Sonnenschein. Die paar Palmen am Strand gaben keinen Schatten mehr. Es schien so, als wäre selbst das Meeresrauschen leiser geworden und die Vögel hätten aufgehört zu krächzen.
Siesta, dachte Major Thosenikos und döste weiter vor sich hin. Was sollte er auch anderes tun? Die Arbeit machte weniger Fortschritte denn je und es brachte ihm auch keine Befriedigung mehr, seine Soldaten in Alarmübungen zum Schwitzen zu bringen.
Heute Morgen war die Patrouille zurückgekehrt – oder besser das, was von ihr übrig geblieben war – die er vor drei Tagen ausgeschickt hatte. Sieben Männer hatten sich in einem Jeep gequetscht und sahen aus, als wären sie vom Teufel gejagt worden. Ihre schwarze Haut hatte eine graue Färbung angenommen. Von dem Stolz auf seine Eliteeinheit der Armee der Südlichen Inseln war nicht viel geblieben.
Den Berichten der Überlebenden war nicht viel zu entnehmen.
Von Überfällen war die Rede, von monströsen Wesen und einer wild gewordenen Natur. Der Rest war unverständliches Gestammel, die Leute waren psychisch aus dem Gleichgewicht gebracht, etwas, das der Major bei diesen Männern nie für möglich gehalten hätte. Er musste sie mit dem nächsten Schiff nach Hause schicken.
Die Lichtung, auf der das Lager errichtet war, hatte sich in letzter Zeit eher verkleinert als vergrößert.
Trotz des massiven Einsatzes von Flammenwerfern und Unkrautvernichtungsmitteln war es nicht gelungen, hinter dem Strand einen nennenswerten Streifen des Dschungels zu roden. Es gab einfach keine Erklärung für das Wuchern der Natur, und der Major hatte seine letzte Hoffnung in die Patrouille gesetzt, etwas Licht in diese mysteriöse Angelegenheit zu bringen.
Doch auch der Tagebuch-Speicher, der gerettet werden konnte, gab nicht viel her. Mit vier Jeeps, einer Menge schwerer Waffen und technischer Gerätschaften waren sie aufgebrochen. Nacheinander ging alles kaputt: die Jeeps blieben im Sumpf stecken oder brachen einfach auseinander, die Waffen versagten auf unerklärliche Weise und die anderen Expeditionsmaterialien verschwanden in der Nacht oder lösten sich vor den Augen der Soldaten auf.
»Greuelmärchen«, schimpfte Major Thosenikos vor sich hin, obwohl er die Tatsachen, die im Tagebuch verzeichnet waren, im Grunde nicht anzweifelte.
Aber wie war so etwas möglich? Die Gegend war vorher gründlich überprüft worden. Die Ergebnisse der Untersuchungen besagten eindeutig, dass sie erstens frei war von Radioaktivität und es zweitens kein menschliches Leben gab. Schon damals hatten sich die Experten den Kopf darüber zerbrochen, wieso hier jegliche Form radioaktiver Strahlung verschwunden war, denn noch vor ein paar Jahren waren hier hohe Werte angemessen worden. Und die Vorfälle hier im Camp waren, wenn überhaupt, nur durch menschliche Einwirkung zu erklären.
Der Major schüttelte den Kopf. Er war doch nicht hier, um Rätsel zu lösen, sondern um ein Gebiet urbar zu machen, das dann als Ausgangspunkt für weitere Unternehmungen dienen konnte.
Vielleicht war es besser, wenn sich die Politiker diese Zone aus dem Kopf schlagen würden, grübelte er weiter. So werden wir mit den Problemen nicht fertig. Wir können hier schließlich kein Napalm abwerfen, wenn hier Menschen wohnen und Industrieansiedlungen entstehen sollen. Ob sie seine Funkberichte einfach ignorierten? Sonst hätten sie doch irgendwie reagieren müssen. Sie brauchten vor allem mehr und besseres Gerät, um in der Umgebung erst mal alles dem Erdboden gleich machen zu können und zu verhindern, dass dort gleich wieder etwas nachwuchs. Dann hätten sie wenigstens Platz. So wurden sie ja Schritt für Schritt ins Meer gedrängt!
Schwitzend stand er auf und ging zum Getränkeautomaten. Die Kühlaggregate summten unregelmäßig, die rote Uniform klebte ihm am Körper und er verwünschte den Tag, an dem ihm dieses Kommando überstellt worden war.
»Major Thosenikos!« hörte er draußen eine Stimme rufen. »Major Thosenikos!«
»Ja, was ist los?« brüllte er zurück und stellte den Becher auf dem Tisch ab.
Ein stämmiger Leutnant stürzte in seine Bude und wedelte mit einem Stück Papier, »Nachricht vom Hauptquartier«, keuchte er. »Sie schicken uns sofort das ganze angeforderte Material. Sogar noch mehr, als Sie bestellt haben.«
Der Major richtete sich sofort kerzengerade auf. Alle Müdigkeit war von ihm abgefallen.
»Darauf habe ich gewartet. Jetzt werden wir zeigen, wer hier Herr im Haus ist.«
Lately I’ve been searching, searching for answers
I walk around the boulevards, looking for magicians
With a cold feet, black coat full of arms
Outstretched and a leading voice
And I can’t help but shout at the top of my lungs
Who is next in line to get hurt?
Who is next in line to get speared?
Benjamin Clementine - »Then I Heard a Bachelor’s Cry«
7.
GESTRANDET
Lucky, Sonnenfeuer und Kortanor gingen erst mal in Deckung, als die ungezielten Schüsse durch den Raum pfiffen. Aus irgendeinem Teil seiner Montur, die ihnen nach der Desinfizierung übergeben worden war, zog Kortanor eine kleine Strahlwaffe und erwiderte das Feuer. Unglaublich, dachte Lucky, wo er die wieder hergezaubert hatte.
Hitze und Rauch stiegen auf. Der Teil der Einrichtung, der nicht aus feuerfestem Material war, stand bereits in Flammen.
»Lasst euch was einfallen!« rief Kortanor den anderen zu. »Lange kann ich sie damit nicht aufhalten.«
Hilflos starrte Lucky den Tromaden an. Er hatte auch den Eindruck, dass die Soldaten noch immer darauf aus waren, ihr Leben möglichst zu schonen. Sonst wären sie wahrscheinlich schon getötet worden.
Plötzlich hörten die Schüsse auf und es wurde seltsam hell.
Ein rötliches Licht geisterte durch den Raum. Lucky vermutete augenblicklich, dass das Sonnenfeuers Werk war.
»Wir können jetzt gehen,« sagte sie.
In diesem Moment war ihr keine Anstrengung anzumerken.
Das ist jetzt das zweite Mal, dass sie uns hier das Leben rettet. Wie verschieden sie doch von uns ist, schoss es Lucky durch den Kopf. Wie konnte Kortanor nur eine so enge Beziehung zu ihr aufrecht erhalten?
Der Tromade stand auf und schlenkerte mit seinen langen Armen.
»Wir sollten uns beeilen! Bis sie merken, was gespielt wird, müssen wir die Oberfläche erreicht haben. Und zwar möglichst in Raumanzügen.«
»Und was ist mit den anderen?« rief Lucky vorwurfsvoll. »Wo sind sie überhaupt? Ist das auch ein Trick von dir?«
Die Zauberin schüttelte den Kopf. Eine Geste, die sie sich von Lucky und Speedy abgeguckt hatte.
»Speedy, Sucherin, das Rene und die beiden Helfer sind vorläufig in Sicherheit. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
Erst jetzt bemerkte Lucky, dass sein Helfer fort war. Was hatte das alles zu bedeuten? Aber er hatte keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Die anderen waren schon vorausgegangen.
Die irdischen Soldaten standen wie hypnotisiert auf ihren Plätzen, als ob sie unter einem Bann standen. Vielleicht stimmte diese Vermutung sogar.
Sonnenfeuer ging voraus und Lucky hatte den Eindruck, als wüsste sie den Weg genau. Das rötliche Leuchten folgte ihnen überallhin und alle Soldaten, denen sie begegneten, erlagen dem hypnotischen Einfluss. Zweimal mussten sie sich den Attacken von Kampfrobotern erwehren, aber die Angriffe erfolgten unkoordiniert und selbst die Maschinen schienen irritiert.
In der Steuerzentrale musste ein schönes Chaos herrschen. Junge, Junge, dachte Lucky, das ist ein Abenteuer. Wie im Horrorfilm. Plötzlich fiel ihm etwas ein.
»Bleibt mal stehen!« rief er den anderen zu. »Hier war doch...«
Ah ja, da war die Tür, die auf dem Hinweg offen gestanden hatte. Er öffnete sie und klatschte in die Hände. Er hatte Recht gehabt: in der dahinter liegenden Kammer hingen Raumanzüge in allen Größen.
»Endlich leiste ich auch einen Beitrag zu dem ganzen Unternehmen«, äußerte er befriedigt. »Bedient euch.«
Hastig zogen sie sich die Anzüge über. Kortanor musste Sonnenfeuer etwas behilflich sein, weil sie aufgrund ihrer Statur die Verschlüsse nicht allein zukriegte.
»Gut«, nickte sie schließlich. »Dann können wir eine Abkürzung nehmen. Ich befürchtete schon, wir müssten dorthin zurück, wo unsere Anzüge lagern.«
Sie führte die beiden zu einem Drucklift und rasend schnell ging es der Oberfläche der Raumstation entgegen. Bevor sie durch die Schleuse gingen, ergriff die Zauberin nochmal das Wort.
»Wahrscheinlich wird dort oben mein Einfluss auf die Stationsbesatzung nachlassen. Ich habe mich noch immer nicht an die veränderten Bedingungen gewöhnt, und weiß auch nicht, ob ich das jemals werde. Auf jeden Fall behindern sie mich ungemein, und meine Kräfte sind nahezu erschöpft. Deshalb müssen wir sehr schnell sein.«
»Wir nehmen das am nächsten gelegene Raumfahrzeug,« meinte Kortanor und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Streng dich nicht zu sehr an. Wir schaffen es schon.«
Sie sah ihn merkwürdig an und er zog die Hand zurück. Hatte er was Falsches gesagt? fragte sich Lucky. Prüfend wog er die Pistole in der Hand, die er einem der Soldaten abgenommen hatte. Scheiß-Spiel, dachte er. Hörte das Töten nie auf?
Als sie dann nach »draußen« traten, brauchten sie einige Zeit, um sich an die geisterhafte Umgebung zu gewöhnen. Wie eine Insel aus Licht schwebte die Raumstation im All. Hin- und herhuschende Scheinwerferstrahlen und blinkende Kontrolltürme und Raumfahrzeuge bestimmten die Szenerie. Das von Sonnenfeuer ausgegangene rote Leuchten war verschwunden.
»Bis zur CHANGE schaffen wir es nicht«, knurrte Kortanor über das Helmmikro. »Nehmen wir stattdessen dies.«
Er zeigte auf ein kleines, torpedoförmiges Raumboot in der Nähe. Vorerst waren keine Soldaten zu sehen.
»Achtet auf die geringe Schwerkraft!« warnte er die anderen, bevor sie losrannten.
Doch schon nach den ersten Schritten wurden sie entdeckt. Auf einmal war der Teufel los. Aus allen möglichen Ecken sprangen Soldaten hervor, aber da es keine Atmosphäre gab, war kein Laut zu hören. Zum Glück waren die einzelnen Trupps ziemlich weit entfernt und ihre Schüsse verpufften wirkungslos.
Die drei rannten um ihr Leben, und sie hätten das Boot ohne weitere Zwischenfälle erreicht, wenn nicht aus einer verborgenen Schleuse in der Nähe ein Pulk Soldaten aufgetaucht wäre. Die Männer in den roten Uniformen und Raumanzügen versuchten ihnen den Weg abzuschneiden. Als ihre Gestalten vom Scheinwerferlicht erfasst wurden, erkannte Lucky hinter dem Sichtglas ihrer Helme schwarze Gesichter und er wurde von Grauen geschüttelt, so stark hämmerte die Erinnerung an seine Gefangenschaft in Bergotos auf ihn ein.
Kortanor schoss geistesgegenwärtig auf einen Treibstofftank, der den Soldaten im Weg lag. Die lautlose Explosion erschütterte den Boden unter ihren Füßen.
Lucky wurde wieder einmal bewusst, dass der Mann vom Öko-Planeten kein irdisches Lebewesen war. Kein Mensch hätte so schnell reagieren können.
Dann hatten sie das Boot erreicht. Die hinter ihnen anstürmenden Soldaten bedeuteten keine Gefahr mehr.
»Lasst die Helme geschlossen«, ermahnte sie Kortanor, als sie im Inneren waren. »Falls das Boot ein Leck bekommt, sind sie unsere Lebensversicherung.«
Sie hatten eine private Sprechfrequenz ausgemacht, damit sie sich ungestört von dem chaotischen Funkwirrwarr unterhalten konnten. Trotzdem sprachen sie so wenig wie möglich, da sie die Abhörmöglichkeiten der Gegenseite nicht kannten.
Das Boot bestand eigentlich nur aus drei Sitzen hintereinander und dem Triebwerk. Es war wohl als eine Art Rettungsboot gedacht, da keinerlei Waffen an Bord waren. Und genau diesen Zweck sollte es ja auch erfüllen. Die Technik unterschied sich kaum von der aus Sucherins Kleinraumer und so kam Kortanor gut damit zurecht.
Er baute den Abwehrschirm auf, kurzer Check, die Triebwerke wurden gezündet und Sekunden später kippte die Raumstation unter ihnen weg. Dafür kam der weißblaue Ball der nahen Erde ins Blickfeld.
Erleichtert atmete Lucky auf.
»Bis die ihre Schiffe gestartet haben, sind wir schon auf der Erde.«
»Du vergisst, dass sie dort wahrscheinlich auch über Raumschiffe verfügen«, widersprach Kortanor. »Die werden uns nicht so einfach landen lassen. Über Funk haben sie sicher schon Verbindung aufgenommen.«
Lucky antwortete nicht, denn ihm war schlecht geworden. Der halsbrecherische Flug ließ seinen Magen revoltieren. Langsam begann sich alles um ihn herum zu drehen. Bevor er sich übergeben musste, schloss er die Augen. Hoffentlich ist das bald vorbei, flehte er. Es war ein Alptraum. Diese ganze Rückkehr zur Erde war ein einziger schlechter Traum.
Schließlich merkte er, wie sich die Geschwindigkeit verlangsamte. Kortanor bremste das Rettungsboot ab und änderte ein wenig die Richtung.
»Da unten warten sie auf uns.«
Lucky sah auf dem Ortungsschirm, was er meinte. Die Erdkugel wurde immer größer und um bestimmte Gebiete herum schwebten kleine Punkte. Was für ein Empfang, dachte er. Die werden keine Rücksicht mehr auf unser Leben nehmen.
Je näher sie kamen, desto deutlicher wurde, dass sich die irdischen Abfangjäger auf zwei Gebiete konzentrierten: Neu-Ing und die Südlichen Inseln.
»Dort kommen wir auf keinen Fall durch«, machte Kortanor alle Hoffnungen zunichte. »Wo können wir sonst landen?«
Lucky zuckte die Schultern; »Keine Ahnung. Es ist wohl mehr oder weniger alles verseuchtes Gebiet. Deshalb können sie auch einfach abwarten und brauchen uns nicht entgegenzukommen.«
Plötzlich mischte sich Sonnenfeuer ein: »Versuchen wir’s doch damit!«
Sie zeigte auf eine Stelle nahe dem Äquator, aber auf der anderen Seite der Erde von Neu-Ing und den Inseln aus gesehen.
»Wieso? Das geht doch nicht!« protestierte Lucky. »Da ist alles verstrahlt!«
Die Zauberin stöhnte leise und hielt sich den Kopf. Wahrscheinlich hatte sie wieder Schmerzen. Der Stress machte sich jetzt bemerkbar.
»Es ist so gut wie jeder andere Vorschlag«, beendete Kortanor die Diskussion.
Sie hatten die Erde inzwischen bereits zweimal umkreist und kamen gerade wieder über das Gebiet von Neu-Ing. Ein Schwarm glitzernder Punkte brach aus der Abfangflotte aus und folgte ihrem Kurs.
»Das reicht. Wir müssen landen«, sagte Kortanor fest.
Er beschleunigte das Boot erneut und es drang flach in die Erdatmosphäre ein. Schlagartig wurde es heiß im Inneren und in den Raumanzügen. Aber Schnelligkeit war ihre einzige Chance, auch wenn dabei die Gefahr bestand, durch die Reibungshitze zu verglühen.
Plötzlich tauchten zwei Punkte auf dem Frontbildschirm auf. Sie entpuppten sich als irdische Kampfjäger. Lucky schrie auf und im gleichen Moment zog Kortanor das Boot wieder hoch. Die beiden Jäger rasten unter ihnen hinweg. Ihre Schüsse trafen nicht. Bevor sie wenden konnten, war das Boot aus ihrem Ortungsbereich verschwunden.
Kortanor ließ es jetzt wie einen Stein absacken. Sie wurden wieder langsamer und durchstießen die Wolkendecke.
»Entsetzlich«, stöhnte Lucky und würgte erneut.
»Da unten ist es!«
Der Tromade zeigte auf einen Landstrich voll üppig wuchernder Vegetation.
Obwohl Lucky halb weggetreten war, staunte er. Das war keine Einöde, keine radioaktiv strahlende Wüste voller Steine und Asche. War ihnen das immer verheimlicht worden oder hatte es sich erst während ihrer Abwesenheit entwickelt?
»Weiter rechts!« rief Sonnenfeuer. »Weiter rechts!«
Kortanor zog das Boot herum und dann war alles voller Feuer und Rauch.
Sie haben uns doch noch erwischt, dachte Lucky. Sie müssen hinter uns gewesen sein. In einer Reflexbewegung betätigte er den Schleudersitz, dann wurde er bewusstlos.
Doch nur für kurze Zeit. Als er wieder zu sich kam, riss der Wind an seinem Raumanzug. Der Fallschirm hatte sich automatisch geöffnet. Verwundert registrierte Lucky die Anzeige auf dem Armband-Vielzweckgerät. Keine Radioaktivität weit und breit!
Mit Mühe öffnete er den Raumhelm und schlug die Kapuze zurück. Die Luft schnitt ihm in die Lungen, nahm ihm den Atem. Er keuchte und ruderte mit den Armen. Dann ließ die Panik nach. Er fing sich wieder und schwebte jetzt relativ ruhig der Erdoberfläche entgegen. Erleichtert erblickte er die beiden anderen weißen Punkte: Kortanor und Sonnenfeuer hatten es ebenfalls überlebt.
Er legte den Kopf in den Nacken. Der Jäger, der sie abgeschossen hatte, verschwand gerade am Horizont. Wahrscheinlich war er für so tiefe Flüge gar nicht geeignet, dachte Lucky, dann konzentrierte er sich auf die Landung.
Unter ihm breitete sich ein regelrechter Urwald aus. Er konnte riesige, meterdicke Bäume erkennen, wuchernde Schlingpflanzen, ein weites buntes Blütenmeer. An den meisten Stellen konnte er nicht bis auf den Boden sehen, so dicht wuchs alles. Nie hätte er einen solchen Anblick auf der Erde erwartet.
Er versuchte, seinen Fallschirm so zu steuern, dass er nicht von den dicken, spitzen Ästen und Zweigen aufgespießt wurde. Aber er hatte keine Erfahrung darin und die Fallgeschwindigkeit schien ihm noch immer viel zu schnell. Das grüne Meer kam dichter und dichter, und dann war er mitten drin.
Der Aufprall nahm ihm erneut den Atem. Zweige und Ranken schlugen gegen seinen Körper und sein Gesicht (er hätte den Helm doch lieber geschlossen lassen sollen), es knackte und rauschte um ihn herum, irgendwelche Tiere kreischten erbost über die Störung und dann wurde der Fall plötzlich abgebremst.
Sein Fallschirm hatte sich in einer Baumkrone verfangen und er pendelte in der Luft hin und her. Nach einer Weile zog er sich an einem dicken Ast hoch und setzte sich auf ihn. Die feuchtheiße Luft machte ihm zu schaffen, er schwitzte und keuchte vor Anstrengung. Dann machte er sich daran, den Fallschirm von seiner Montur zu lösen. Sein Körper schmerzte bei jedem Handgriff.
Plötzlich hörte er seinen Namen rufen. Er schrie zurück so laut er konnte und spähte nach unten. Lange Zeit konnte er nichts erkennen, aber er rief immer weiter, so dass Kortanor – denn er war der Rufer – seinen Standort ermitteln konnte.
Gerade als er es geschafft hatte, den Fallschirm loszuwerden, tauchte die Gestalt des Tromaden unter ihm auf.
»Warte, ich komme runter!« rief Lucky ihm zu und machte sich an den Abstieg.
Obwohl es relativ einfach war, weil überall Äste und Vorsprünge herausragten, dauerte es bestimmt eine halbe Stunde, bis er den Erdboden erreichte. Erschöpft sank er Kortanor in die Arme, der anscheinend nicht so viele Schwierigkeiten gehabt hatte.
»Junge, was für eine Hitze!« seufzte Lucky. »Wie im Treibhaus.«
»Stimmt«, bestätigte Kortanor, »aber ich glaube, wir behalten die Raumanzüge besser an. Sie schützen ganz gut und wer weiß, was es hier an gefährlichen Tieren oder Pflanzen gibt.«
In diesem Moment näherte sich eine weitere unförmige Gestalt und sie erkannten voller Erleichterung Sonnenfeuer. Die Zauberin fluchte derart vor sich hin, dass Kortanor und Lucky lachen mussten.
»Wo bin ich da nur reingeraten?« regte sie sich auf. »Nichts gegen ein bisschen Unbequemlichkeit, aber diese Art Leben bin ich nun doch nicht gewohnt und das scheint zu einer Dauereinrichtung zu werden. Dieser Planet ist durch und durch kaputt! Ich werde enorme Schwierigkeiten haben, uns hier rauszuhelfen. Es existiert zwar noch der Kern eines magischen Feldes, aber es ist durchlöchert und nahezu unwirksam. Ich muss verrückt gewesen sein, euch zu begleiten.«
»Ach, komm«, versuchte Lucky sie zu besänftigen. »Uns geht es doch auch nicht besser. Was machen wir jetzt?«
»Wir werden sicher keine Schwierigkeiten haben zu überleben«, meinte Kortanor. »Es muss eine Menge essbares Zeug hier geben. Das können wir mit unseren Geräten austesten. Am besten, wir schlagen uns zur Küste durch und sehen dann weiter. Das Meer kann nicht allzu weit weg sein.«
Sonnenfeuer zeigte über ihre Schulter.
»Wenn wir in diese Richtung gehen, werden wir auf Menschen stoßen. Aber ich kann nicht sagen, ob uns das weiterhilft oder nicht. Außerdem empfange ich eine Menge anderer, merkwürdiger Impulse. Wahrscheinlich stammen sie von den Tieren und Pflanzen hier, aber ich bin mir nicht sicher...«
»Gehen wir doch erst mal dorthin«, schlug Lucky vor. »Wenn ich mich recht erinnere, müsste das auch der Weg zur Küste sein. Wir müssen natürlich vorsichtig sein, aber es reizt mich doch zu erfahren, wie überhaupt so eine Gegend existieren kann.«
Alle waren einverstanden und so marschierten sie los. Der Marsch war beschwerlich, weil nirgends ein Weg oder Pfad zu erkennen war. Außerdem waren sie ständig angespannt, weil sie sich dauernd ängstlich nach möglichen Gefahren umsahen.