Kitabı oku: «Erhoffte Hoffnungslosigkeit», sayfa 2
Dann ist das hier kein Schreiben, sondern Denken. Es kann nichts vorgeben und weiß nichts zu imitieren – selbst dort, wo es natürlich dennoch vorgibt und selbstverständlich auch imitiert.
13.12.2018
Warum halte ich jetzt bereits den dritten Tag an einer Erfahrung fest, die doch von außen betrachtet so unbedeutend erscheint, so banal, dass ich sie genauso gut auch hätte übergehen oder schlicht und einfach vergessen können? Nur weil ich für einen Moment meinte, verrückt zu werden oder verrückt geworden zu sein? Und ist nicht vielleicht dieses Meinen das »Verrückte«?
Ist es nicht eigenartig, dass ich nichts von meinen Gefühlen schreibe, sondern unmittelbar eine relativ sachliche Beschreibung meiner Wahrnehmung beginne und mich in ihr und ihrer Einordnung verliere, und dass ich bereits jetzt, zwei Tage später, nicht mehr sagen könnte, was genau ich gefühlt habe, obwohl es doch das Gefühl war, verrückt zu werden, das mich überhaupt dazu brachte, meinen Zustand zu beschreiben, mich mit den Formen der Wahrnehmungen zu beschäftigen?
War es vielleicht so, dass genau dieses entsprechende Gefühl (etwa der Panik, des inneren Aufruhrs etc.) fehlte, dass es die völlige Ruhe war, mit der ich die Feststellung, verrückt zu werden, traf, die diesem Erlebnis seine Bedeutung verlieh? War aber diese Feststellung unter Umständen nichts weiter als eine Interpretation, obwohl ich doch lediglich »Eigenartig!« hätte sagen und aufstehen können? Kann man einem Wahnsinn entkommen, indem man ihn übergeht? Ist das vielleicht das Kennzeichen des »normalen« und »gesunden« Menschen, dass er in der Lage ist, Dinge zu übergehen, zu übersehen, zu überhören? Und bewahren diese Begriffe nicht das Übergangene in sich, das, was über sie hinausgeht?
Ich habe mich mehr oder minder bewusst in eine analytische Sachlichkeit geflüchtet, um dem Wahnsinn zu entkommen, und stoße genau in dieser Sachlichkeit auf den eigentlichen Wahnsinn. Oder anders: Es ist das beständig Ungesagte, Ungefühlte, das ich mit einem Mal als tatsächlich unsagbar und unfühlbar empfinde. Meine Illusion, von der ich bislang nichts wusste, das Ungesagte einmal zu sagen, das Ungefühlte einmal zu fühlen, hatte sich aufgelöst, beinahe wie nebenbei, unauffällig, sodass ich diese Auflösung auch hätte verpassen können. Ist es also gar kein Versagen, dass ich die Banalität der Situation nicht habe übergehen können, vielmehr eine Fähigkeit? Es sind vor allem die Zweifel, die dieses Erlebnis hinterlässt, Zweifel von einer ganz anderen Natur, als ich sie bislang kannte. Viel grundsätzlicher, ohne dass ich diese Grundsätze benennen könnte. Es ist eben nicht die große Erschütterung, das Infragestellen von allem Bisherigen, sondern genau das Gegenteil, das Fehlen all dessen. Es geht quasi um die »feinen« Unterschiede. Es geht um das Kaum-Wahrnehmbare. Und der Zweifel, der sich hier auftut, ist deshalb so groß, weil er aus so Geringem entsteht.
Die Gnade des Versäumens.
Entsprechend waren meine Träume in den letzten Nächten. Es passierte nichts weiter in ihnen, außer – und erst jetzt fällt mir auf, dass sie mir diese Möglichkeit des Nacherlebens gaben – diesen feinen Unterschied in der Wahrnehmung noch einmal zu spüren. Ich stand zum Beispiel an einem Sommertag in einem Hof und schaute an den Hauswänden hoch zum blauen Himmel. Das war alles – zumindest erinnere ich es so. Und doch war etwas anders. Es wäre übertrieben, würde ich sagen, dass ich diese Szene, vor allen Dingen die Fassaden der Häuser, gleichzeitig aus einer anderen Perspektive sah, und dass sie in dieser Perspektive eigenartig flach und eindimensional wirkten. Die Unterschiede in der Wahrnehmung waren feiner, unbedeutender, und genau das gab ihnen ihre Bedeutung. Ich ging den Hof entlang, und aus einem Ladengeschäft kam ein Mann mit einem Teller, auf dem ein Plunderstückchen lag. Und auch hier wäre es übertrieben, maßlos übertrieben, würde ich sagen, dass ich im selben Moment, eigentlich noch bevor ich das Stückchen auf dem Teller sah, es bereits schmecken konnte. Dennoch ging meine Wahrnehmung in diese Richtung, ich konnte quasi auf Entfernung schmecken, so wie man etwas auf Entfernung sieht oder hört. Aber auch das ist eigentlich banal, jeder, der hungrig in einem Laden steht, meint die Dinge zu schmecken, die er sich gleich kaufen wird. Und dennoch war es so und war es so gleichzeitig nicht. Vielleicht war es überhaupt diese Gleichzeitigkeit unterschiedlicher, leicht gegeneinander verschobener Wahrnehmungen, die das Eigenartige dieses Moments ausmachte. Vielleicht ist es gerade diese erstaunliche »Sachlichkeit«, das Fehlen von Gefühlen, überhaupt das Fehlen von allem, was ich gemeinhin mit dem Wahnsinn in Verbindung bringen würde. Vielleicht ist es die Erkenntnis, tatsächlich nichts wirklich von meinen Erfahrungen, besser meinen Erfahrungsmöglichkeiten, zu wissen. Selbst die Vorstellung, alles nur wie hinter einem Schleier wahrzunehmen, speist sich aus dieser falschen Vorstellung. Jede Idee von einer Erkenntnis beruht auf völlig verkehrten Prämissen. Alles, was es bedurfte, war diese leichte, diese beinahe unmerkliche Verschiebung. Eine kaum wahrnehmbare Erschütterung.
Ist es eigentlich Vernunft oder Wahnsinn, wenn man ganz sachlich bei allem, was man wahrnimmt, gleichzeitig wahrnimmt, dass es auch anders wahrgenommen werden könnte? Ist es vielleicht wirklich nur diese Möglichkeit einer anderen Wahrnehmung, die hier auftaucht, kaum merklich zwar, jedoch beständig da und alles begleitend?
Es stimmt natürlich nicht, dass diese Möglichkeit beständig da ist, ganz im Gegenteil, sie war lediglich für einen Moment da, ein Moment, der mir mittlerweile so kurz und unbedeutend erscheint, dass ich auch meinen könnte, ihn mir eingebildet zu haben. Genau das aber zeichnet diesen Moment aus, verleiht ihm seine Kraft: Diese Verschiebung ist so unmerklich, dass ich nicht einmal weiß, ob sie nun da ist oder nicht. Sie hat einen nachhaltigen Zweifel gesät. Dieser Zweifel bleibt bestehen, weil ich ihn nicht beschreiben, ihn nicht kategorisieren, nicht einordnen kann. Je mehr ich es versuche, beinahe notwendigerweise versuche, um ihn abzuschütteln, ihn loszuwerden, desto weiter breitet er sich aus, befällt alles, was ich versuche, ihm als Erklärung entgegenzustellen.
Alles hat sich verändert, weil sich dort nichts verändert hat, wo sich doch alles hätte verändern müssen. Genau aber in solchen Formulierungen zeigt sich das Problem: Dem Bewusstsein geht es um die großen Kategorien, um Entweder-Oder, Alles oder Nichts usw. Alles andere sind Unterkategorien, die zur Stärkung der großen Dichotomien beitragen, hinter denen sich lediglich die eine Grund-Dichotomie von Ich und Nicht-Ich versteckt. Es geht darum, auf dem Kategorielosen, dem Nicht-Einordbaren, auf den minimalen Unterschieden zu beharren.
Und auf gar keinen Fall ist die Sprache das Haus des Seins. Bestenfalls ist die Sprache das Gefängnis des Seins. Barthes hat die Sprache völlig zu Recht faschistisch genannt, weil sie zum Sprechen zwinge. Es gilt, gegen die Sprache »an zu sein«. Sprachlosigkeit als Waffe.
14.12.2018
Vielleicht liegt im Verrücktwerden auch die Weigerung, sich zu verändern, in eine andere Logik einzutreten. Obwohl man es muss, weigert man sich – und wird verrückt.
Gibt es ein Äquivalent des Verrücktseins für den Körper? Was würde Verrücktsein in Bezug auf den Körper bedeuten? Ist das Verrücktsein des Körpers lediglich eine Unfolgsamkeit dem Willen gegenüber? Und doch käme man nie darauf zu sagen: »Mein Arm ist verrückt geworden«, sobald er eine unwillkürliche Bewegung ausführt oder nicht mehr gehorcht. Der Körper ist also doch lediglich ein Instrument, dessen ich mich bediene, er ist an sich, während der Geist weder Hand noch Fuß hat, weder etwas berühren noch zu etwas hingehen oder vor etwas fliehen kann, weshalb er sich, es ist seine einzige Chance, als unverrückbares Zentrum ansieht, um das der Körper, und um diesen wiederum die Welt, kreist. Jede Bedrohung dieses Zentrums, jede Möglichkeit, aus diesem statischen Zentrum verrückt zu werden, wertet er zwangsweise als Verrücktheit.
Es zeigt sich ein Problem darin, den Geist – noch nicht einmal ihn direkt, sondern allein seine Form der Wahrnehmung – mit dem Ich gleichzusetzen. Immer ist es gleich das Ich, das verrückt wird. Genauso wenig, wie ich von meinem Körper oder Teilen meines Körpers sage, dass sie verrückt werden oder verrückt geworden sind, sollte ich es von meinem Geist oder von meinem Ich sagen. Ich sollte die Sprache des Körpers auf den Geist selbst anwenden: »Heute Morgen beim Aufwachen habe ich mir irgendwie den Geist geprellt.« Oder: »Ich hab mir neulich die Wahrnehmung verknackst und kann alles um mich herum immer noch nicht richtig einordnen.« Wäre das nicht sinnvoller, als immer sofort das große Geschütz des Ich, mit seiner ohnehin fragilen bis fragwürdigen Identität aufzufahren? Natürlich wäre es erst einmal eine Kränkung für das Ich, aber da müsste es halt durch.
Man spricht doch von den drei Kränkungen des Menschen, erst die durch Kopernikus, nicht mehr auf einem Planeten zu leben, der sich im Mittelpunkt des Universums befindet, dann die durch eine verzerrte Darwin-Rezeption, keine eigene Spezies und schon gar nicht die Krone der Schöpfung zu sein, und schließlich die durch Freud, nicht Herr des eigenen Bewusstseins zu sein. Aber sind und waren das tatsächlich Kränkungen? »Ob die Erde sich um die Sonne dreht, oder die Sonne um die Erde – das ist im Grunde gleichgültig«, sagt Camus zu Recht. Und ebenso gleichgültig ist es, ob ich vom Affen abstamme oder nicht, ob ein smart design oder ein weniger smartes Design in der Evolution am Wirken ist. Und auch die Erkenntnis Freuds hat das Ich keineswegs geschwächt, sondern im Gegenteil gestärkt, weil es sich über sich selbst erhoben und eine Theorie seiner selbst entworfen hat, in der es sich selbst in einer Geste des uneingeschränkten Herrschers nach außen hin relativiert, um sich nach innen hin zu verabsolutieren. Es ist nicht das naive Kind, ohne Vorbildung, das auf die Nacktheit des Kaisers hinweist, nein, der Kaiser selbst stellt seine eigene Nacktheit in einem mehrbändigen Werk und einer umfassenden Theorie aus und kleidet sich zugleich damit an. Das Ich arbeitet immer nur an seinem Erhalt, selbst wenn diese Arbeit nach außen hin die Form einer Dekonstruktion anzunehmen scheint. Es wähnt sich so umfassend, dass alles in ihm Platz findet, selbst die Kritik, selbst die Selbstkritik, selbst seine Entthronung.
Deshalb ist der Wahnsinn die einzige wirkliche Bedrohung des Ich, weshalb es wie besessen daran arbeitet, auch ihn einzuordnen und für sich nutzbar zu machen. Das Ich ist der geborene Kapitalist. Es ist die Logik des Ichs, die sich im Kapitalismus zeigt. Weder bestimmt das Sein das Bewusstsein noch das Bewusstsein das Sein, sondern dieser absolutistische Knotenpunkt, an dem Sein und Bewusstsein scheinbar zusammenlaufen und eins werden: das Ich.
Das kapitalistische Ich mit seiner faschistischen Sprache.
Nein, die Freud’schen Topologien waren keine Kränkungen für das Ich, vielmehr wurde es endlich in seiner göttlichen Dreifaltigkeit erkannt.
Das Verrücktwerden ist ein Zustand des Verlierens (ich verliere den Verstand), und dieser Zustand ängstigt deshalb so, weil ich den Moment des Verlierens sonst nicht erlebe, denn entweder ich habe etwas verloren oder es ist vorhanden. Wenn ich merke, dass ich etwas verliere, kann ich das Verlieren aufhalten und den Verlust verhindern. Beim Verrücktwerden erlebe ich das Verlieren, ohne etwas dagegen tun zu können.
Im Wahnsinn verliere ich gerade nicht das Bewusstsein, sondern ich werde mir meines Bewusstseins bewusst. Das Bewusstwerden des Bewusstseins fühlt sich an, als würde ich das Bewusstsein verlieren.
Ich durchschaue die Konstruktion des Bewusstseins, indem ich sie nicht durchschaue. Ich komme zu keiner Lösung, komme zu keinem Ergebnis. Genau damit hebele ich das Bewusstsein aus, das sich sonst jede Einordnung, jede Kategorisierung wieder selbst gutschreiben würde.
Die wirkliche Kränkung: zu erkennen, dass ich keinen Einfluss auf mein Sprechen habe, dass die Sprache, die ich benutze, nicht meine Sprache ist und ich mir diese fremde Sprache niemals, selbst mit größter Mühe nicht, aneignen kann, um endlich das auszudrücken, was ich wahrnehme, sie vielmehr immer etwas anderes ausdrückt und damit meine eigene Wahrnehmung im Ausdruck verfälscht, mehr noch: vernichtet, denn die Sprache ist ja nicht nur ein Mittel, um mit anderen zu kommunizieren, sondern das Mittel, mit dem ich mich selbst in der Welt befinde. Wenn ich mich aus der Vereinbarung zu lösen versuche, in der die Sprache mir vorgibt, was ich wahrnehme, scheine ich verrückt zu werden, während ich lediglich auf meiner Wahrnehmung beharre.
Der Verrückte meint, es gäbe eine Wahrnehmung, die der Sprache vorausgeht. So hingeschrieben scheint diese Meinung relativ verständlich, tatsächlich aber, wenn man sie mit allen Konsequenzen in Bezug auf die Sprache überdenkt, ist sie, wenn nicht verrückt, so doch vermessen. Mehr noch, sie kommt einer Lästerung der Naturgesetze gleich, einer Gotteslästerung, und hier findet sich ein Indiz für die Entstehung des Glaubens, dass nämlich die Sprache in ihrem Entstehen Gott schuf und sich unauflösbar mit ihm verband – wie man selbst und gerade in der negativen Theologie erkennen kann –, einerseits, um von sich als der wahren Herrscherin abzulenken, andererseits, um sich immer wieder selbst zu erneuern. Was ist an dem Satz »Im Anfang war das Wort« eigentlich nicht zu verstehen?
Der Verrückte meint, es gäbe eine Wahrnehmung, die der Sprache vorausgeht. Das ist der Grund, weshalb er entweder katatonisch und aphatisch wird oder manisch versucht, seine eigene Sprache zu entwickeln. Und weshalb er von Gott spricht und »Stimmen« hört. Vielleicht sind diese »Stimmen« das Andere Gottes, Hinweise auf eine Wahrnehmung ohne ihn, das heißt ohne Sprache.
Deshalb auch sollen wir beten, um immer wieder sprachlich Gott zu erschaffen. Wir beten nicht zu Gott, wir beten ihn.
Und auch deshalb soll ich meine Sünden bekennen, werden sie mir durch das Bekenntnis vergeben, weil ich in der sprachlichen Formulierung meiner Sünden die einzig wirkliche »Sünde«, das einzig wirkliche Vergehen gegen Gott-Sprache nicht begehe: zu schweigen.
Nicht der Satan, oft noch beredter als Gott, ist Gottes Gegenspieler, sondern die Aphasie.
Wir müssen von der apophatischen Theologie zur aphatischen Theologie gelangen.
Und deshalb bestand mein Verrücktsein gerade darin, nichts Außergewöhnliches wahrzunehmen, aber eben auch gleichzeitig nichts Gewöhnliches, und genau das nicht ausdrücken zu können. Und weil ich es nicht ausdrücken konnte, scheint zwischen Gewöhnlichem und Außergewöhnlichem nichts Drittes zu existieren. Der Wahnsinn dringt zwischen die Dichotomien und entdeckt dort, wo gemäß unserem Menschenverstand nichts sein darf, eine dritte Welt. Der Leitsatz des Wahns lautet: Tertium datur.
15.12.2018
Unica Zürn: »Für das erste Anagramm, das sie in diesem Sommer macht, nimmt sie als Ausgangs-Satz: Der eingebildete Wahnsinn. (…) Dieses Ergebnis ist arm und unvollkommen. Das Gesetz für das Anagramm heißt: Alle Buchstaben, die der Ausgangssatz enthält, müssen auch in seinem Anagramm verwendet werden. Hier aber sind Buchstaben übrig geblieben, und das ist verboten. Am nächsten Tag liest sie in der Zeitung, daß man den Körper Nehrus auf Sandelholz und Rosenblättern verbrannt hat. Der Ausgangssatz für ihr zweites Anagramm heißt also: Auf Sandelholz und Rosenblättern.«
Diese Stelle, auf die ich mehr oder minder zufällig gestoßen bin, auch wenn ich das Buch natürlich bewusst herausgeholt hatte, erschreckt mich unwillkürlich. Es erschreckt mich, dass selbst Unica Zürn von einem »eingebildeten« Wahnsinn spricht. Aber vielleicht kann man vom Wahnsinn immer nur als »eingebildet« sprechen. Schließlich ist er auch eingebildet. Weshalb es ein Irrtum ist, zu glauben, ich sei nicht wahnsinnig, nur weil ich mir meinen Wahnsinn einbilde.
Was bedeutet es, dass Unica Zürn den Mann im Jasmin in der dritten Person verfasst? Lässt sich anhand der verwendeten Person der Grad an Wahnsinn ausmachen? Tatsächlich habe ich das Gefühl, würde ich das alles hier in der dritten Person verfassen, »wirklich« und nicht nur »eingebildet« verrückt zu sein. Doch weshalb, wenn ich doch durch die Verwendung der dritten Person eine größere Distanz herstelle? Gerade deshalb. Ich objektiviere etwas, das nicht zu objektivieren ist. Ich versuche auf Distanz zu gehen, steigere mich aber in Wirklichkeit nur stärker in das hinein, was ich zu verlassen suche. Ich ahme mich in der dritten Person mimetisch nach. (Natürlich greifen diese Gedanken nicht wirklich, denn ich könnte mich natürlich auch in der ersten Person nachahmen, oder ist die erste Person von sich aus schon immer nachgeahmt? Höchstwahrscheinlich.)
Vielleicht kann man nur in der Rede der dritten Person etwas erfahren, und vielleicht möchte ich gerade gar nichts »erfahren«, weil ich ohnehin beständig viel zu viel erfahre, sondern möchte, statt zu erfahren, einfach nur sein.
Es ist etwas anderes, das mich an diesem Buch ganz unwillkürlich und unerwartet befremdet. Nachdem ich eine Weile darin gelesen habe und auf der Suche nach dem Inhaltsverzeichnis ganz nach hinten blättere, stoße ich auf eine Anzeige für andere Bücher des Ullstein Verlags, genauer seiner Reihe »Die Frau in der Literatur«. Die dort aufgeführten Titel erzeugen für mich eine starke, kaum zu überwindende kognitive Dissonanz, weil sie den Text Unica Zürns zwischen Paveses Die einsamen Frauen, Marie de Lafayettes Die Prinzessin von Cleve, Urys Nesthäkchen und ihre Küken, Henry James’ Bildnis einer Dame und anderen einordnen. Eingeordnet aber zerfällt ein Text, besonders ein Text wie der Unica Zürns, hier noch verstärkt durch die Tatsache, dass diese »Frau in der Literatur« wahllos mal Subjekt, mal Objekt ist, das heißt generell Objekt (weil sie zum Subjekt »gemacht« wird), gleichgültig ob sie schreibt oder ob über sie geschrieben wird.
Meine Ausgabe des Buches stammt aus dem Jahr 1985. Ich war damals, so vermute ich zumindest, auf Unica Zürn gekommen, weil ich für einige Wochen in einem Appartement gewohnt hatte, das schräg gegenüber dem Haus lag, aus dem sie sich 1970 gestürzt hatte. Obwohl ich bestimmt jeden Tag mehrmals auf die Straße und auf dieses Haus gesehen habe, will sich kein Bild, keine Erinnerung, keine Verbindung, noch nicht einmal ein Gefühl einstellen. Auch das scheint immer noch eine Nachwirkung dieser eigenartigen Wahrnehmung, die meinen nostalgischen Erinnerungsapparat zeitweilig außer Kraft gesetzt hat. Alles erscheint mir in einer kalten, winterlichen Klarheit, wie hinter einer Glasscheibe. Jede Erinnerung wie nicht wirklich von mir erlebt in einem Diorama aufgebaut und weggesperrt.
16.12.2018
Noch einmal: Ich kann nur deshalb allein um Glauben beten und nicht um Wissen, weil die Prämisse des Betens dem Wissen bereits widerspricht. Wissen baut auf Erfahrung, auf geistige Durchdringung, auf Ordnung und Systematik auf, auf der Arbeit am Begriff, kurz, auf einer Herrschaft der Sprache. Genau diesen Bereich verlasse ich im Vorgang des Betens, durch den ich das Andere des Wissens, Gott, mithilfe scheinbar sinnloser, sprachlicher Äußerungen erschaffe. Gerade weil das Beten in früheren Zeiten vielleicht einmal eine List des Verstandes war, ihn heute aber nur noch demütigt, weshalb er sich nach außen hin längst säkularisiert hat, obwohl er schon immer nur einen Gott kannte, nämlich sich selbst in seiner sprachlichen Darstellung, sollte ich das Gebet wieder nutzen, wie man überhaupt alles nutzen sollte, was das Ich demütigt und verunsichert.
Es wird gemeinhin als Erfolg angesehen, wenn »die Wissenschaft« (der Singular, mit dem sie sich oft selbst schmückt, weist sie bereits als unwissenschaftliche Scharlatanerie aus) mit einem Mal »objektiv feststellt«, dass Rituale, Meditation, Beten, etc. etwas »bewirken«, sei es eine Veränderung der Hirntätigkeit oder des Metabolismus o. ä., eben das, was man bislang so messen kann. Wird daran nicht deutlich, dass »die Wissenschaft« wie ein Moloch ist, der alles verschlingen, alles vereinnahmen will, weil er kein Außerhalb seiner selbst zulassen, nichts »Anderes« anerkennen, keinen Gott neben sich dulden kann, weil allein die Existenz des Anderen die Wissenschaften narzisstisch und bis ins Mark kränkt? Ist es dabei nicht ungemein naiv und hochgradig peinlich, dass die Wissenschaften jetzt erst feststellen, dass etwas »wirkt«, was außerhalb von ihnen bereits seit vielen Jahrhunderten bekannt ist? Schon daran kann man erkennen, dass der Wissenschaftsdiskurs ein Machtdiskurs ist. Erst wenn die Wissenschaft es auch begriffen und mit ihrem Gütesiegel versehen hat, ist es »gültig«.
Letztlich ist die Wissenschaft natürlich auch ideologisiert, sind ihre »Erkenntnisse«, spätestens, wenn sie als solche präsentiert werden, Kampfbegriffe. Das Haus ihres Seins ist die Sprachkaserne.