Kitabı oku: «Превращение / Die Verwandlung. Уровень 3», sayfa 2
VI
Aber der Prokurist hatte sich abgewendet, und nur sah er mit aufgeworfenen Lippen nach Gregor zurück. Während Gregors Rede stand er keinen Augenblick still, sondern verzog sich, gegen die Tür, aber ganz allmählich. Schon war er im Vorzimmer. Dann zog er den Fuß aus dem Wohnzimmer. Im Vorzimmer aber streckte er die rechte Hand weit von sich zur Treppe hin.
Gregor dachte, dass er den Prokuristen in dieser Stimmung auf keinen Fall weggehen lassen kann. Seine Stellung im Geschäft war wackelig. Die Eltern verstanden das alles nicht so gut. Sie denken, dass Gregor in diesem Geschäft für sein Leben versorgt ist. Sie hatten außerdem jetzt mit den augenblicklichen Sorgen so viel zu tun. Sie haben keine Voraussicht. Aber Gregor hatte diese Voraussicht. Er muss den Prokurist halten. Der Prokurist muss beruhigt, überzeugt und schließlich sein. Die Zukunft Gregors und seiner Familie hing doch davon ab49! Aber wo ist die Schwester? Sie war klug. Sie hatte schon geweint, als Gregor noch ruhig auf dem Rücken lag. Und gewiss wird der Prokurist, dieser Damenfreund50, mit her sprechen. Sie wird die Wohnungstür zugemacht und ihm im Vorzimmer den Schrecken ausreden. Aber die Schwester war eben nicht da. Gregor selbst musste handeln.
Und ohne daran zu denken, dass seine Rede nicht klar war, verließ er den Türflügel. Er schob sich durch die Öffnung. Er wollte zum Prokuristen hingehen, der sich schon am Geländer des Vorplatzes mit beiden Händen festhielt. Er fiel aber sofort, mit einem kleinen Schrei auf seine vielen Beinchen nieder. Kaum war das geschehen, fühlte er zum ersten Mal an diesem Morgen ein körperliches Wohlbehagen51. Die Beinchen hatten festen Boden unter sich. Sie gehorchten vollkommen, wie er zu seiner Freude merkte. Sie werden ihn fortzutragen, wohin er wollte! Schon glaubte er, die endgültige Besserung alles Leidens stehe unmittelbar bevor. Aber im gleichen Augenblick, als er nicht weit von seiner Mutter auf dem Boden lag, sprang sie und rief:
«Hilfe, um Gottes willen Hilfe!«
Sie hielt den Kopf geneigt. Sie wollte Gregor besser sehen. Dann lief sie sinnlos zurück. Aber hatte sie vergessen, dass hinter ihr der gedeckte Tisch stand. Sie setzte sich, als sie bei ihm angekommen war, eilig auf ihn. Sie wollte nichts merken. Und aus der umgeworfenen großen Kanne, neben ihr, ergoss sich der Kaffee in vollem Strome auf den Teppich.
«Mutter, Mutter«, sagte Gregor leise, und sah zu ihr hinauf.
Der Prokurist war ihm ganz aus dem Sinn gekommen. Gregor wollte mit den Kiefern ins Leere schnappen. Darüber schrie die Mutter auf. Sie flüchtete vom Tisch und fiel dem Vater in die Arme. Aber Gregor hatte jetzt keine Zeit für seine Eltern. Der Prokurist war schon auf der Treppe. Sein Kinn war auf dem Geländer. Er sah noch zum letzten Male zurück. Gregor nahm einen Anlauf, um ihn sicher einzuholen. Der Prokurist sah alles. Er machte einen Sprung über mehrere Stufen und verschwand.
«Huh!«aber schrie er noch.
Es klang durchs ganze Treppenhaus. Leider verwirrte diese Flucht des Prokuristen den Vater. Statt selbst dem Prokuristen nachzulaufen, packte der Vater den Stock des Prokuristen, den dieser mit Hut und Überzieher auf einem Sessel zurückgelassen hatte. Er holte auch eine große Zeitung vom Tisch und machte sich unter Füßestampfen52 daran, Gregor in sein Zimmer zurückzutreiben. Kein Bitten Gregors half, kein Bitten wurde auch verstanden. Er konnte den Kopf demütig drehen, aber stampfte der Vater nur stärker mit den Füßen.
Drüben hatte die Mutter trotz des kühlen Wetters ein Fenster aufgerissen. Sie drückte ihr Gesicht weit außerhalb des Fensters in ihre Hände. Zwischen Gasse und Treppenhaus entstand eine starke Zugluft. Die Fenstervorhänge flogen auf. Die Zeitungen rauschten auf dem Tische. Einzelne Blätter wehten über den Boden hin. Unerbittlich drängte der Vater und stieß Zischlaute aus, wie ein Wilder. Nun hatte aber Gregor noch gar keine Übung im Rückwärtsgehen. Es ging wirklich sehr langsam. Gregor wollte umdrehen, aber er fürchtete sich, den Vater ungeduldig zu machen. Jeden Augenblick drohte ihm doch von dem Stock in des Vaters Hand der tödliche Schlag auf den Rücken oder auf den Kopf. Endlich merkte Gregor mit Entsetzen, dass er im Rückwärtsgehen nicht einmal die Richtung einzuhalten verstand. So begann er sich sehr langsam umzudrehen. Vielleicht merkte das der Vater, denn er störte ihn hierbei nicht, sondern dirigierte von der Ferne53 mit der Spitze seines Stockes.
VII
Ach, dieses unerträgliche Zischen des Vaters! Gregor verlor darüber ganz den Kopf. Er war schon fast ganz umgedreht, als er sich sogar irrte und sich wieder ein Stück zurückdrehte. Als er aber endlich glücklich mit dem Kopf vor der Türöffnung war, zeigte es sich, dass sein Körper zu breit war, um durchzukommen. Der Vater konnte natürlich den anderen Türflügel nicht öffnen, um für Gregor einen genügenden Durchgang zu schaffen. Seine fixe Idee54 war bloß, dass Gregor so rasch als möglich in sein Zimmer muss. Aber Gregor brauchte, um sich aufzurichten und vielleicht auf diese Weise55 durch die Tür zu kommen.
Vielmehr trieb er Gregor jetzt unter besonderem Lärm vorwärts. Es klang schon hinter Gregor gar nicht mehr wie die Stimme bloß eines einzigen Vaters. Nun gab es wirklich keinen Spaß mehr. Gregor drängte sich in die Tür. Die eine Seite seines Körpers hob sich. Er lag schief in der Türöffnung. Seine Flanke war ganz wundgerieben56. An der weißen Tür blieben hässliche Flecken. Bald steckte er fest und könnte nicht mehr rühren. Die Beinchen auf der einen Seite hingen zitternd oben in der Luft. Die Beinchen auf der anderen Seite waren schmerzhaft zu Boden gedrückt. Da gab ihm der Vater von hinten einen starken Stoß. Gregor flog weit in sein Zimmer hinein. Die Tür wurde noch mit dem Stock zugeschlagen. Dann war es endlich still.
Erst in der Abenddämmerung erwachte Gregor aus seinem schweren Schlaf. Er fühlte sich genügend ausgeruht und ausgeschlafen. Aber hat ihn ein flüchtiger Schritt geweckt. Der Schein der elektrischen Straßenlampen lag bleich hier und da auf der Zimmerdecke und auf den höheren Teilen der Möbel. Aber unten bei Gregor war es finster. Langsam schob er sich zur Türe hin, um nachzusehen, was dort geschehen war. Seine linke Seite war eine einzige lange spannende Narbe. Er musste auf seinen zwei Beinreihen regelrecht hinken. Ein Beinchen war schwer verletzt. Es war fast ein Wunder, dass nur eines!
Erst bei der Tür merkte er, was ihn dorthin gelockt hatte. Es war der Geruch von etwas Essbarem. Denn dort stand ein Napf mit süßer Milch gefüllt, in der kleine Schnitten von Weißbrot schwammen. Er hat vor Freude gelacht. Er hat noch größeren Hunger, als am Morgen. Gleich tauchte er seinen Kopf fast bis über die Augen in die Milch hinein. Aber bald zog er ihn enttäuscht wieder zurück. Das Essen machte Schwierigkeiten wegen seiner heiklen linken Seit. Und er konnte nur essen, wenn der ganze Körper schnaufend mitarbeitete. So schmeckte ihm überdies die Milch, die sonst sein Lieblingsgetränk war, gar nicht, ja er wandte sich fast mit Widerwillen von dem Napf ab. Dann kroch er in die Zimmermitte zurück.
Im Wohnzimmer war das Gas angezündet, aber hörte man jetzt keinen Laut. Auch ringsherum war es sehr still, trotzdem doch gewiss die Wohnung nicht leer war.
«Was für ein stilles Leben die Familie doch führte«, sagte sich Gregor.
Er fühlte einen großen Stolz darüber, dass er seinen Eltern und seiner Schwester ein solches Leben in einer so schönen Wohnung verschaffen kann. Wie aber, wenn jetzt alle Ruhe, aller Wohlstand, alle Zufriedenheit ein Ende mit Schrecken nehmen sollte? So setzte sich Gregor in Bewegung und kroch im Zimmer auf und ab.
Einmal während des langen Abends wurde die eine Seitentüre und einmal die andere Seitentüre bis zu einer kleinen Spalte geöffnet und rasch wieder geschlossen. Jemand wollte hereinzukommen, aber auch wieder zu viele Bedenken. Gregor machte nun unmittelbar bei der Wohnzimmertür halt. Er wollte den zögernden Besucher doch hereinzubringen oder doch wenigstens zu erfahren, wer es ist. Aber nun wurde die Tür nicht mehr geöffnet und Gregor wartete vergebens. Früh, als die Türen versperrt waren, wollten alle zu ihm hereinkommen. Jetzt, da er die Tür geöffnet hat, kam keiner mehr.
Spät erst in der Nacht wurde das Licht im Wohnzimmer ausgelöscht. Die Eltern und die Schwester waren so lange wachgeblieben. Man konnte genau hören, entfernten sich jetzt alle drei auf den Fußspitzen. Nun kam gewiss bis zum Morgen niemand mehr zu Gregor herein. Er hatte eine lange Zeit, zu überlegen, wie er sein Leben jetzt neu ordnen sollte. Aber das hohe freie Zimmer, in dem er gezwungen war, flach auf dem Boden zu liegen, ängstigte ihn. Er ohne konnte die Ursache nicht herausfinden. Es war ja sein Zimmer! Nicht ohne eine leichte Scham eilte er unter das Kanapee. Dort fühlte er sehr behaglich. Nur bedauerte er, dass sein Körper zu breit war.
VIII
Dort blieb er die ganze Nacht, die er zum Teil im Halbschlaf verbrachte, zum Teil aber in Sorgen und undeutlichen Hoffnungen.
«Ich muss mich ruhig verhalten und durch Geduld und größte Rücksichtnahme der Familie die Unannehmlichkeiten erträglich machen«, sagte sich Gregor.
Schon am frühen Morgen, es war fast noch Nacht, hatte Gregor Gelegenheit, die Kraft seiner Entschlüsse zu prüfen. Vom Vorzimmer her öffnete die Schwester die Tür. Sie sah mit Spannung herein. Sie fand ihn nicht gleich, aber als sie ihn unter dem Kanapee bemerkte, erschrak sie so sehr, dass sie die Tür von außen wieder zuschlug. Aber öffnete sie die Tür sofort wieder und trat auf den Fußspitzen57 herein. Gregor hatte den Kopf bis knapp zum Rande des Kanapees vorgeschoben und beobachtete sie. Wird sie bemerken, dass er die Milch stehen gelassen hatte? Wird sie eine andere Speise hereinbringen, die ihm besser entsprach? Er wollte unterm Kanapee vorzuschießen, sich der Schwester zu Füßen zu werfen und sie um irgendetwas Gutes zum Essen zu bitten. Aber die Schwester bemerkte sofort mit Verwunderung den Napf, aus dem nur ein wenig Milch ringsherum verschüttet war. Sie hob ihn gleich auf, zwar nicht mit den Händen, sondern mit einem Fetzen, und trug ihn hinaus.
Gregor war neugierig, was sie zum Ersatz bringen kann. Er machte sich die verschiedensten Gedanken darüber. Niemals aber könnte er erraten, was die Schwester in ihrer Güte58 wirklich tat. Sie brachte ihm, um seinen Geschmack zu prüfen, eine ganze Auswahl, alles auf einer alten Zeitung ausgebreitet. Da war altes halbverfaultes Gemüse; Knochen vom Nachtmahl her, die von weißer Sauce umgeben waren; ein paar Rosinen und Mandeln; ein Käse; ein trockenes Brot, ein mit Butter beschmiertes und gesalzenes Brot. Außerdem stellte sie den Napf, in den sie Wasser gegossen hatte. Und aus Zartgefühl, entfernte sich eiligst und drehte sogar den Schlüssel um. Gregors Beinchen schwirrten, als es jetzt zum Essen ging. Seine Wunden waren schon geheilt. Er fühlte keine Behinderung mehr.
«Sollte ich jetzt weniger Feingefühl haben?«dachte er.
Er saugte schon gierig an dem Käse, zu dem er sofort kam. Mit Befriedigung verzehrte er den Käse, das Gemüse und die Sauce. Die frischen Speisen schmeckten ihm nicht. Er konnte nicht einmal ihren Geruch vertragen. Er schleppte sogar die Sachen, die er essen wollte, weiter weg. Er war mit allem fertig und lag nun faul auf der gleichen Stelle, als die Schwester langsam den Schlüssel umdrehte. Das schreckte ihn sofort auf, trotzdem er schon fast schlummerte. Er eilte wieder unter das Kanapee. Aber es kostete ihn große Selbstüberwindung59. Von dem reichlichen Essen hatte sich sein Leib ein wenig gerundet. Er konnte dort in der Enge kaum atmen. Unter kleinen Erstickungsanfällen sah er mit etwas hervorgequollenen Augen zu, wie die Schwester mit einem Besen zusammenkehrte. Dann schüttete sie alles hastig in einen Kübel, den sie mit einem Holzdeckel schloss, worauf sie alles hinaustrug. Kaum hatte sie sich umgedreht, zog sich schon Gregor unter dem Kanapee hervor. Er streckte und blähte sich.
Auf diese Weise bekam nun Gregor täglich sein Essen, einmal am Morgen, wenn die Eltern und das Dienstmädchen noch schliefen, das zweitemal nach dem allgemeinen Mittagessen, denn dann schliefen die Eltern gleichfalls noch ein Weilchen. Gewiss wollten sie nicht, dass Gregor verhungere. Tatsächlich litten sie ja gerade genug.
Mit Ausreden man an jenem ersten Vormittag den Arzt und den Schlosser wieder aus der Wohnung geschafft hatte, konnte Gregor gar nicht erfahren. Sie haben Gregor nicht verstanden und sie dachten nicht, dass er die anderen verstehen kann. Wenn die Schwester in seinem Zimmer war, hörte er ihre Seufzer und Anrufe der Heiligen. Erst später erhaschte Gregor manchmal eine Bemerkung, die freundlich war:
«Heute hat es ihm aber geschmeckt«, sagte sie.
Oder:
«Nun ist wieder alles stehen geblieben.«
IX
Während aber Gregor keine Neuigkeit erfahren konnte, horchte er manches aus den Nebenzimmern. Wo er nur einmal Stimmen hörte, lief er gleich zu der betreffenden Tür und drückte sich mit ganzem Leib an sie. Besonders in der ersten Zeit gab es kein Gespräch, das nicht irgendwie von ihm handelte.
Zwei Tage lang waren bei allen Mahlzeiten Beratungen darüber zu hören, wie man sich jetzt verhalten soll. Aber auch zwischen den Mahlzeiten sprach man über das gleiche Thema, denn immer waren zwei Familienmitglieder zu Hause. Niemand wollte allein zu Hause bleiben. Aber konnte man die Wohnung doch auf keinen Fall verlassen.
Auch hatte das Dienstmädchen gleich am ersten Tag kniefällig die Mutter gebeten, sie sofort zu entlassen. Als sie sich eine Viertelstunde danach verabschiedete, dankte sie für die Entlassung, wie für die größte Wohltat. Sie gab einen fürchterlichen Schwur ab, niemandem auch nur das Geringste zu verraten.
Nun musste die Schwester im Verein mit der Mutter auch kochen. Allerdings machte das nicht viel Mühe, denn man aß fast nichts. Immer wieder hörte Gregor, wie der eine den anderen vergebens zum Essen aufforderte60 und keine andere Antwort bekam, als:
«Danke, ich habe genug«, oder etwas Ähnliches.
Öfters fragte die Schwester den Vater, ob er Bier will, und herzlich erbot sie sich, es selbst zu holen. Als der Vater schwieg, sagte sie, sie kann auch die Hausmeisterin darum schicken. Aber dann sagte der Vater schließlich ein großes» Nein«.
Schon legte der Vater die ganzen Vermögensverhältnisse und Aussichten sowohl der Mutter, als auch der Schwester dar. Er stand er vom Tische auf und holte aus seiner kleinen Wertheimkassa irgendeinen Beleg oder irgendein Vormerkbuch. Man hörte, wie er das komplizierte Schloss aufsperrte und dann es wieder verschloss. Diese Erklärungen des Vaters waren das erste Erfreuliche, was Gregor seit seiner Gefangenschaft hörte. Er dachte, dass dem Vater von jenem Geschäft her nicht das Geringste übriggeblieben war. Der Vater hatte ihm nichts gesagt, und Gregor hatte ihn auch nicht darum gefragt.
Damals war Gregors Sorge, alles daranzusetzen, um die Familie das Unglück möglichst rasch vergessen zu lassen. Und so arbeitete er damals mit ganz besonderem Feuer. Er war fast über Nacht aus einem kleinen Kommis61 ein Reisender geworden. Er hatte natürlich ganz andere Möglichkeiten des Geldverdienens. Seine Arbeitserfolge verwandelten sich sofort in Form der Provision zu Bargeld. Er konnte das der erstaunten und beglückten Familie zu Hause auf den Tisch legen. Es waren schöne Zeiten. Niemals nachher hatten sie sich wiederholt, trotzdem Gregor später so viel Geld verdiente, dass er den Aufwand der ganzen Familie zu tragen imstande war und auch trug. Man hatte sich eben daran gewöhnt62, sowohl die Familie, als auch Gregor. Man nahm das Geld dankbar an, er lieferte es gern ab. Aber eine besondere Wärme wollte sich nicht mehr ergeben.
Nur die Schwester war Gregor doch noch nahe geblieben. Es war sein geheimer Plan: sie, die Musik sehr liebte und rührend Violine spielte, nächstes Jahr auf das Konservatorium zu schicken. Öfters während der kurzen Aufenthalte Gregors in der Stadt wurde in den Gesprächen mit der Schwester das Konservatorium erwähnt, aber immer nur als schöner Traum, an dessen Verwirklichung nicht zu denken war. Die Eltern hörten nicht einmal diese Erwähnungen gern. Aber Gregor dachte sehr bestimmt daran. Er beabsichtigte, es am Weihnachtsabend feierlich zu erklären.
Solche ganz nutzlosen Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während er an der Türe klebte und horchte. Manchmal konnte er vor allgemeiner Müdigkeit gar nicht mehr zuhören und ließ den Kopf nachlässig gegen die Tür schlagen. Aber hielt er ihn aber sofort wieder fest, denn das kleine Geräusch war nebenan gehört worden und hatte alle verstummen lassen.
«Was er nur wieder treibt«, sagte der Vater nach einer Weile.
Dann wurde das Gespräch allmählich wieder aufgenommen.
Gregor erfuhr nun genug. Der Vater wiederholte sich in seinen Erklärungen. Und die Mutter verstand nicht alles gleich beim ersten Mal. Trotz allen Unglücks war ein ganz kleines Vermögen aus der alten Zeit noch vorhanden. Außerdem aber war das Geld, das Gregor allmonatlich nach Hause gebracht hatte, nicht vollständig aufgebraucht. Es hatte sich zu einem kleinen Kapital angesammelt. Gregor, hinter seiner Türe, nickte eifrig, erfreut über diese unerwartete Vorsicht und Sparsamkeit. Eigentlich wird er ja mit diesen überschüssigen Geldern die Schuld des Vaters gegenüber dem Chef weiter abgetragen.
X
Nun genügte dieses Geld aber ganz und gar nicht, um die Familie etwa von den Zinsen leben zu lassen. Es genügte vielleicht, um die Familie ein, höchstens zwei Jahre zu erhalten. Es war also bloß eine Summe, die man eigentlich nicht angreifen durfte, und die für den Notfall zurückgelegt war. Das Geld zum Leben aber musste man verdienen.
Nun war aber der Vater ein zwar gesunder, aber alter Mann, der schon fünf Jahre nichts gearbeitet hatte. In diesen fünf Jahren hatte er viel Fett angesetzt. Er war dadurch recht schwerfällig. Und die alte Mutter sollte nun vielleicht Geld verdienen, die an Asthma litt. Sie verbrachte jeden zweiten Tag in Atembeschwerden auf dem Sofa beim offenen Fenster. Und die Schwester sollte Geld verdienen, die noch ein Kind war mit ihren siebzehn Jahren. Was ist ihre Lebensweise? Sich nett zu kleiden, lange zu schlafen, in der Wirtschaft mitzuhelfen, an bescheidenen Vergnügungen sich zu beteiligen und Violine zu spielen. Wenn die Rede auf das Geld kam, ließ zuerst immer Gregor die Türe los und warf sich auf das kühle Ledersofa, denn ihm war ganz heiß vor Beschämung und Trauer.
Oft lag er dort die ganzen langen Nächte über, schlief keinen Augenblick und scharrte nur stundenlang auf dem Leder. Oder er scheute nicht die große Mühe, einen Sessel zum Fenster zu schieben, dann die Fensterbrüstung hinaufzukriechen und sich ans Fenster zu lehnen. Er wollte aus dem Fenster schauen. Denn tatsächlich sah er von Tag zu Tag die Dinge immer undeutlicher. Das gegenüberliegende Krankenhaus bekam er überhaupt nicht mehr zu Gesicht. Schaute er aus seinem Fenster in eine Einöde, in welcher der graue Himmel und die graue Erde ununterscheidbar sich vereinigten? Nur zweimal sah die aufmerksame Schwester, dass der Sessel beim Fenster stand. Dann jedes Mal, nachdem sie das Zimmer aufgeräumt hatte, hinschob sie den Sessel wieder genau zum Fenster.
Gregor wollte mit der Schwester sprechen und ihr für alles danken, was sie für ihn machen kann. Er litt darunter. Die Schwester suchte freilich die Peinlichkeit des Ganzen möglichst zu verwischen. Je längere Zeit verging, desto besser gelang es ihr natürlich auch. Aber sah Gregor alles. Schon ihr Eintritt war für ihn schrecklich. Kaum war sie eingetreten, lief sie, ohne sich Zeit zu nehmen, die Türe zu schließen, geradewegs zum Fenster und riss es mit hastigen Händen auf. Dann blieb sie ein Weilchen beim Fenster und atmete tief. Mit diesem Laufen und Lärmen erschreckte sie Gregor täglich zweimal. Die ganze Zeit über zitterte er unter dem Kanapee.
Einmal, es war wohl schon ein Monat seit Gregors Verwandlung vergangen, und es war doch schon für die Schwester kein besonderer Grund mehr, über Gregors Aussehen in Erstaunen zu geraten, kam sie ein wenig früher als sonst und traf Gregor noch an, wie er aus dem Fenster schaute.
Sie trat nicht nur nicht ein, sie fuhr sogar zurück und schloss die Tür. Gregor versteckte sich natürlich sofort unter dem Kanapee. Aber er musste bis zum Mittag warten, ehe die Schwester wiederkam. Sie schien viel unruhiger als sonst. Er erkannte daraus, dass ihr sein Anblick noch immer unerträglich war. Um ihr auch diesen Anblick zu ersparen, trug er eines Tages auf seinem Rücken – er brauchte zu dieser Arbeit vier Stunden – das Leintuch auf das Kanapee. Er ordnete es in einer solchen Weise an, dass er nun gänzlich verdeckt war. Die Schwester wird ihn nicht sehen. Sie ließ das Leintuch, so wie es war. Gregor sah sogar einen dankbaren Blick, als er einmal mit dem Kopf vorsichtig das Leintuch ein wenig lüftete, um nachzusehen, wie die Schwester die neue Einrichtung aufnahm.
In den ersten vierzehn Tagen konnten es die Eltern nicht über sich bringen, zu ihm hereinzukommen. Er hörte oft, wie sie die jetzige Arbeit der Schwester völlig erkannten. Nun warteten oft beide, der Vater und die Mutter, vor Gregors Zimmer, während die Schwester dort aufräumte. Kaum war sie herausgekommen, musste sie ganz genau erzählen, wie es in dem Zimmer aussah, was Gregor gegessen hatte, wie er sich diesmal benommen hatte63. Vielleicht war eine kleine Besserung? Die Mutter übrigens wollte Gregor besuchen, aber der Vater und die Schwester hielten sie zurück. Gregor hörte das sehr aufmerksam zu.
Später aber musste man sie mit Gewalt zurückhalten, und wenn sie dann rief:
«Laßt mich doch zu Gregor! Er ist ja mein unglücklicher Sohn! Begreift ihr es denn nicht, dass ich zu ihm muß?«
Dann dachte Gregor, dass es vielleicht doch gut ist, wenn die Mutter hereinkommt. Nicht jeden Tag natürlich, aber vielleicht einmal in der Woche. Sie verstand doch alles viel besser als die Schwester, die doch nur ein Kind war.
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