Kitabı oku: «Eisernes Verderben», sayfa 2

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„Sie gefällt einfach jedem“, hatte Hohmeister gesagt. Hatte er mich damit prüfen wollen? Das wäre typisch für ihn, war er doch stets ein gerissener Hund gewesen. Ein Spiel ließ ich jedoch nicht mit mir spielen. Ich war froh, das Thema, das mich über so viele Jahre beschäftigt hatte, nun endlich begraben zu haben.

4

Sie lag auf der Couch, sprach aber kaum. Schräg hinter ihr auf einem Sessel sitzend hatte ich längst die Hoffnung aufgegeben, ihr helfen zu können. Sie war paranoid und litt unter massivem Verfolgungswahn. Woher diese Krankheit rührte, konnte ich bestenfalls mutmaßen. Nie kam sie zum Kern der Unterhaltung. Sie war eine hagere, in sich zusammengesunkene Person Mitte vierzig mit einem scharfkantigen Gesicht, in dem sich verbitterte Züge und tiefe Falten angesiedelt hatten. Wie es aussah, war ich nicht in der Lage, ihr die Ängste zu nehmen. Stattdessen registrierte ich ihre unruhigen Blicke und überlegte, an welchen Kollegen ich sie verweisen konnte, denn wir kamen keinen Schritt weiter. Andererseits wünschte ich mir von Herzen, ihr helfen zu können, sah ich doch, wie sehr sie unter ihrer Unruhe litt.

„So antworten Sie doch, Doktor Falkenberg, ich habe Sie das jetzt zum dritten Mal gefragt!“

Nur sehr langsam kehrte ich in die Gegenwart zurück. Ich hatte völlig abgeschaltet.

„Bitte entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht verstanden.“

„Ich fragte, ob auch Sie ein Mann sind, vor dem ich mich ängstigen muss, so wie ich vor allen Männern Angst habe. Und ich frage mich, ob auch Sie mir wehtun könnten. Sie haben manchmal so einen sonderbaren Blick, ähm, verzeihen Sie bitte, aber das verunsichert mich.“ Sie hob entschuldigend die Arme. „Sie sagten doch, ich dürfe alles sagen, was ich denke.“

„Aber natürlich dürfen Sie das. Ich möchte Sie gewiss nicht einengen, Frau Melchior. Da befinden wir uns bereits am entscheidenden Punkt. Ich möchte, dass Sie sich öffnen. Dazu gehört, dass ich Ihnen zuhöre. Es steht mir nicht zu, Gefühle zu zeigen oder zu äußern. Aber lassen Sie ruhig Ihre Ängste heraus. Um auf Ihre Frage zu antworten: Natürlich könnte ich Ihnen wehtun, so wie jeder Mensch anderen Menschen wehtun kann, nur mit dem Unterschied, dass ich es gar nicht will und es natürlich auch nicht tun werde. Was hätte ich denn davon? Ich bin Ihr Therapeut und möchte Ihnen helfen. Dafür bezahlen Sie mich ja schließlich. Sie müssen mir vertrauen, andernfalls kann ich wenig für Sie tun, und ich würde Sie dann zu Ihrem eigenen Besten an einen anderen Therapeuten verweisen.“

„Gut. Ich denke, ich habe das missverständlich ausgedrückt.“ Sie entspannte sich ein wenig. „Es ist ja nur, man liest und hört immer so viel. Wissen Sie, man wird ja erst hellhörig, wenn ein Verbrechen in der Stadt geschieht, in der man selber wohnt. Da gab es doch in diesem Frühjahr einen unaufgeklärten Mord in den Niddawiesen. Und na ja, wenn man nun einmal nicht genau weiß, mit welchem oder mit wie vielen Tätern man es zu tun hat, dann kann man es schon mit der Angst zu tun bekommen, denn es könnte ja schließlich jeder sein.“ Sie lachte verlegen. „Mag sein, dass ich zu viele Krimis lese. Man sagt doch, dass es meistens die Menschen sind, denen man es am wenigsten zutrauen würde, und dann, ja dann …“, sie machte eine bedächtige Pause. „Dann, Doktor Falkenberg, kämen selbst Sie infrage.“

Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. „In den meisten Fällen sorge ich ja wohl dafür, dass meine Patienten lernen, sich in ihrer Haut wieder wohlzufühlen und das Leben als lebenswert zu erachten. Aber natürlich haben Sie recht. Den meisten Verbrechern sieht man es gewiss nicht an der Nasenspitze an. Einem Verbrechen zum Opfer zu fallen, ist allerdings nicht gerade sehr wahrscheinlich, Frau Melchior, und wenn man nicht im entsprechenden Milieu verkehrt, nahezu ausgeschlossen. Da werden Sie eher Opfer eines Verkehrsunfalls oder Sie brechen sich beim Treppensturz das Genick – was Gott verhindern möge.“

„Ich frage mich oft, ob ich wohl schon mal einem Verbrecher begegnet bin, Herr Doktor. Ja, darüber denke ich wirklich sehr oft nach, und wenn ich ehrlich bin, frage ich mich nicht, ob, sondern eher wie vielen. Womöglich auf dem Anlagenring, da treibt sich ja allerhand dubioses Volk herum.“ Sie wandte den Kopf in meine Richtung, ohne mich anzusehen, und sprach sehr leise. „Ich bin mir sogar sicher, dass schon mal einer hinter mir her war, Herr Doktor.“ Ihr Blick blieb an dem Fenster an der gegenüberliegenden Wand haften. „Es war dieser … dieser schreckliche Geruch, ein schmuddeliger Mann, er lief eine ganze Weile hinter mir her, er roch nach Schweiß und Zigaretten, derselbe Geruch wie damals.“ Sie schwieg eine Weile, bevor sie fortfuhr. „Die Angst kroch eiskalt an meinen Beinen hoch und ich fürchtete, nicht weiterlaufen zu können. Meine Beine waren auf einmal schwer wie Blei. Doch dann kam uns zum Glück ein Fahrradfahrer entgegen und ich nahm mir ein Herz, hielt ihn an und fragte ihn nach dem Weg. Mein Verfolger ging weiter und verschwand aus meinem Blickfeld.“

Ich war hellhörig geworden – „damals“, das war das erste Mal, dass sie ansetzte, um von ihrer Vergangenheit zu sprechen. Da musste ich nachhaken. „Frau Melchior, Sie sagten, ‚derselbe Geruch wie damals‘, was meinten Sie damit?“

Sie begann zu zittern. „Darf ich, ich meine, wäre es möglich, dass Sie mir einen Schluck Wasser bringen?“ Ihre Stimme klang belegt, als sie sich aufrichtete.

„Aber natürlich, sofort.“ Ich holte ein Glas und eine Flasche Wasser aus der Teeküche, schenkte ein und reichte ihr das Glas. „Immer mit der Ruhe, Frau Melchior, lassen Sie sich Zeit, entspannen Sie sich. Hier wird Ihnen nichts geschehen. Für Sie wird es befreiend sein, über Dinge zu sprechen, die Sie verletzt haben, Sie werden sehen.“

Sie trank in hastigen Zügen, stellte das leere Glas auf den flachen Tisch vor der Couch und wischte ihre feuchten Hände an ihrer Hose ab. Dabei blieb sie aufrecht sitzen. Unruhig sah sie sich im Raum um, als suche sie einen geeigneten Punkt, auf dem sie ihren Blick ruhen lassen konnte. Schließlich sagte sie: „Als ich klein war, wohnte ich mit meinen Eltern in der Rhönstraße, also im Ostend. Ich durfte von dort aus allein zum Spielplatz in der Nähe laufen. Nachmittags holte mich mein Vater immer ab, wenn er von der Baustelle kam. Er war Kranfahrer. Ich schämte mich dafür, denn er roch stark nach Schweiß und nach Zigaretten, er war Kettenraucher. Nie hatte er ein nettes Wort für die anderen Kinder übrig und erst recht nicht für mich. Ja, ich schämte mich so sehr. Jedes Mal ging es ihm nicht schnell genug, dass ich mit ihm kam. Ich hatte solche Angst vor diesem Moment. Regelmäßig bestand er auf einem Umweg über den Röderbergweg. Ich musste vor ihm herlaufen, trotzdem konnte ich ihn riechen, und das machte mir entsetzliche Angst. Weiter unten am Röderbergweg, da gab es dichte Hecken und Gebüsche. Er sagte dann, dass ich mich dort erleichtern sollte, ich dürfe nie einhalten, davon werde ich krank. Er sah mir jedes Mal dabei zu, es war furchtbar.“ Sie fing an zu weinen.

„Hat er …“

Sie hob die Hand. „Ich möchte nicht mehr darüber reden, ich schaffe das einfach nicht.“

Ich reichte ihr ein Taschentuch und wartete, bis sie sich einigermaßen gefasst hatte. „Es ist, wie gesagt, gut und wichtig, dass Sie aussprechen, was Sie bewegt. Darf ich fragen, ob Ihr Vater noch lebt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Er starb vor ein paar Jahren an Lungenkrebs.“

„Er wird Ihnen also nie wieder etwas zuleide tun, Frau Melchior, nie! Er hat seine Strafe bekommen, auch wenn mir nicht zusteht, das zu sagen, denn ich weiß nicht, was er noch getan hat. Ich kann jedoch verstehen, was das mit Ihnen gemacht hat. Sie müssen nun lernen, sich Ihren Ängsten zu stellen, Sie sind eine erwachsene Frau: Richten Sie sich körperlich auf, laufen Sie selbstbewusst durchs Leben, Sie sind viel stärker, als Sie glauben, vertrauen Sie mir.“ Endlich hatte ich einen Ansatzpunkt. Endlich konnte ich ihr helfen. Ich streckte mich. „Allein anhand der Körperhaltung kann man einen Menschen einschätzen. Wenn Sie sich klein machen, gar ängstliche Blicke um sich werfen, dann bringen Sie die Menschen erst auf dumme Gedanken. Verhalten Sie sich jedoch selbstbewusst und wirken Sie stark, wird man Sie nicht belästigen. Glauben Sie mir, Körpersprache macht eine Menge aus. Deswegen sind besonders junge Mädchen leider oftmals Opfer. Oft sind sie noch nicht ausreichend gefestigt. Frau Melchior, es ist momentan doch schon recht lange hell. Ich würde Ihnen gerne etwas verordnen, nämlich dass Sie nachmittags, wann immer Sie Zeit haben, über den Anlagenring laufen, oder von mir aus gehen Sie zum Hauptbahnhof, jedenfalls an irgendeinen Ort, der Ihnen nicht recht geheuer ist. Um diese Tageszeit sind dort so viele Menschen unterwegs, dass Ihnen nichts passieren kann. Setzen Sie sich gegen Ihre Ängste durch, damit diese in Ihrem Leben nicht zunehmend mehr Raum einnehmen. Sie werden sehen, bis zu unserem nächsten Treffen …“ Ich stand auf, lief zu meinem Schreibtisch und schaute auf meinen Kalender. „Also, unser nächstes Treffen ist am kommenden Mittwoch – nämlich morgen in einer Woche. Bis zu unserem nächsten Treffen werden Sie deutlich weniger Angst davor haben, über den Anlagenring zu laufen oder am Hauptbahnhof zu parken oder wo immer Sie sich sonst aufhalten wollen. Kein Mensch wird Ihnen ein Haar krümmen. Gehen Sie zielstrebig und verbieten Sie sich, sich ängstlich umzusehen. Wir werden dann über all Ihre Gefühle sprechen. Tun Sie mir einen Gefallen: Haben Sie keine Angst, Sie brauchen sich nicht umzudrehen. Nicht an diesen belebten Orten.“

„Und da heißt es heutzutage, man solle achtsam sein, besonders an belebten Plätzen, schon wegen der Terrorgefahr, und das noch dazu in einer Stadt wie Frankfurt. Und Sie sagen, dass ich mich nicht umdrehen soll? Na, ich weiß nicht so recht.“

„Liebe Frau Melchior, das soll ja auch nicht bedeuten, dass Sie leichtsinnig durchs Leben laufen. Allerdings dürfen wir uns wegen etwaiger krimineller Handlungen oder der Gefahr eines Anschlags auch nicht alle einschließen. Sie wissen, damit spielen wir den Terroristen nur in die Hände. Was ich meine, ist Folgendes: Gehen Sie mit offenen Augen durchs Leben, versuchen Sie stark und selbstbewusst zu sein und glauben Sie an sich. Tun Sie Dinge, die Ihnen Spaß machen, die Sie gut können, von denen Sie wissen, dass sie Ihnen leichtfallen, denn das stärkt ungemein. Glauben Sie mir bitte.“

Eine Weile sagte sie nichts. Schließlich nickte sie beinahe unmerklich. „Ich werde Ihren Rat beherzigen, Doktor Falkenberg. Und ich verspreche, dass ich mir alle Mühe geben werde.“

„Wenn Sie gesund werden wollen, dann wäre das ein guter Anfang. Zeigen Sie, was in Ihnen steckt. Sie schaffen das!“ Den letzten Satz betonte ich.

Eine ganze Weile sah sie zu Boden. Dabei rieb sie sich die Hände und wischte sie erneut an ihren Hosenbeinen ab, bis ihr Entschluss feststand: „Ich werde es versuchen, bereits ab morgen. Ich möchte ja, dass es mir bald wieder besser geht.“ Sie blickte mich schüchtern an. „Sonst wäre ich nicht zu Ihnen gekommen. Ich weiß ja, von nichts kommt nichts.“

Zufrieden stand ich auf. „Bravo! So soll es sein. Führen Sie Tagebuch, wenn Sie das möchten. Schreiben Sie jedes Mal auf, was Sie empfunden haben, das wird Ihnen helfen. Und wenn Sie wollen, bringen Sie Ihr Tagebuch hierher mit und lesen mir daraus vor.“ Ich kritzelte meine Handynummer auf ein Stück Papier und hielt es ihr hin. „Hier, damit Sie wissen, dass Sie im Notfall mit mir sprechen können. Und besorgen Sie sich Pfefferspray – nur für ein sicheres Gefühl, nicht um es zu benutzen.“

Lächelnd nahm sie den Zettel entgegen und steckte ihn in ihre Handtasche, die auf dem Boden stand. „Danke, Herr Doktor, das werde ich auf jeden Fall tun.“

Ich saß zu Hause vor meinem Laptop, dachte an mein Gespräch mit Hohmeister und googelte den Ironman. Ein Mausklick und die gewünschte Webseite öffnete sich. Wer weiß, vielleicht würde ich mich doch gerne noch einmal mit Hohmeister treffen und mir anhören, wie er das umzusetzen gedachte und wie viel Zeit er in dieses Projekt stecken wollte. Wenngleich mir nicht klar war, ob ich das nicht vorschob. Wahrscheinlich war ich in erster Linie neugierig darauf, was er von mir wollte. Immerhin hatte auch er Psychologie studiert und verstand es womöglich, mich zu täuschen. Wollte er alte Erinnerungen auffrischen? Oder versuchte er, mir doch noch etwas anzuhängen? Um ehrlich zu sein, interessierte es mich auch, wen er da geheiratet hatte. Unattraktiv schien seine Frau nicht zu sein, Lena war es ja auch nicht gewesen, ganz und gar nicht.

Es war Sonntag und das Wetter spielte mit, ein herrlicher, sehr warmer Sommertag, kein Gewitter in Sicht. Ein Tag wie geschaffen, um ihn an der frischen Luft zu verbringen. Ich war guter Dinge, voller Elan und plante, einen Ausflug mit dem Rennrad zum Langener Waldsee zu unternehmen. Wenn ich mich am Ironman beteiligen wollte, dann sollte ich das Gebiet und den See zumindest einschätzen können.

Vom Nordend aus waren es circa sechzehn Kilometer bis zum See, wie ich dem Routenplaner und den Informationen im Internet entnommen hatte – wenn man über Sachsenhausen fuhr und von dort aus den Weg durch den Stadtwald wählte. Die ebene Strecke führte über die Isenburger Schneise. Da ich es nicht eilig hatte und es bereits nach elf war, machte ich einen kurzen Umweg über die Oberschweinstiege, ein beliebtes Ausflugslokal, das, wie ich wusste, um elf Uhr öffnete und mitten im Wald lag. Seit das Lokal vor ein paar Jahren umgebaut worden war, saß ich dort besonders gern bei einem leckeren Essen mit Blick auf den kleinen idyllischen Waldsee, im Volksmund „Vierwaldstättersee“ genannt, um meine Seele baumeln zu lassen und das Treiben der Menschen zu beobachten. Ich blieb an diesem Tag jedoch nur für einen schnellen Kaffee, um dann zu meinem eigentlichen Zielort weiterzufahren. Ich fuhr Richtung Neu-Isenburg, durchquerte den Ort auf der Hauptstraße und fuhr weiter über Dreieich in Richtung Darmstadt. Unterwegs gab ich ordentlich Gas und brauchte nicht einmal eine Stunde, abgesehen von der Pause, die ich mir gegönnt hatte, und fühlte mich noch immer fit, wie ich zu meiner Genugtuung feststellte.

Gegen den Langener Waldsee wirkte der „Vierwaldstättersee“ wie eine Pfütze. Ich war überrascht, als ich den Austragungsort des Ironmans erreichte – ein wirklich bezauberndes Ausflugsziel, beinahe wie ein Ort, an dem man gern Urlaub machte. Der Wald reichte an verschiedenen Stellen direkt bis ans Ufer des riesigen Baggersees, während an der gegenüberliegenden Seite ein felsiges Hanggelände lag. Ein riesiger Sandstrand erinnerte an einen Urlaubsort irgendwo im Süden. Für die Daheimgebliebenen durchaus ein kleines Paradies. Ich stellte mein Fahrrad am Eingang in einen Ständer, schulterte den Rucksack, den ich zuvor auf den Gepäckträger geschnallt hatte, erstand eine Eintrittskarte und sah auf die Uhr. Es war halb eins.

Nicht wenige Sonnenanbeter okkupierten bereits den Strand. Ich warf den Rucksack auf einen freien Platz im Sand in direkter Ufernähe. Da ich die Badehose bereits trug, musste ich nur noch meine Trainingshose und das T-Shirt loswerden, um schließlich mit Anlauf einen Sprung ins kühle Wasser zu machen. Ich schwamm mit kräftigen Zügen. Auch wenn Schwimmen nicht zu meinen Leidenschaften gehörte, kraulte ich recht schnell und gut, fragte mich jedoch, ob ich es mit Hohmeister aufnehmen konnte. Immerhin trainierte er bereits seit mehreren Wochen. Mit Erstaunen stellte ich fest, dass mir das Schwimmen Freude bereitete. Vielleicht sollte ich mit Hohmeister gemeinsam trainieren. Ich nahm mir vor, ihn später anzurufen.

Ich schwamm noch zwei Runden, dann legte ich mich zum Trocknen in die Sonne. Nicht weit von mir entfernt hatten es sich zwei junge Blondinen auf Handtüchern bequem gemacht. Ich war Ziel ihrer neugierigen Blicke, aber das kannte ich ja schon. Irgendwie kam mir die eine bekannt vor. Sie hatte dunkelblondes Haar und ihre Haare zu einem strammen Pferdeschwanz gebunden. Ihr Gesicht verbarg sie hinter einer großen Sonnenbrille. Wo hatte ich sie nur schon mal gesehen? Ich kam nicht darauf, und wahrscheinlich täuschte ich mich. Später fiel mir ein, dass Lena gerne große Sonnenbrillen getragen hatte – damals. Offenbar hatte mich die Vergangenheit wieder eingeholt.

Als ich gegen sechzehn Uhr heimgekehrt war und ausgiebig geduscht hatte, beschloss ich, Hohmeister anzurufen. Seine Nummer hatte ich längst gespeichert.

Er nahm beinahe sofort ab. „Harald, das ist ja super, dass du dich meldest!“, rief er geradezu ausgelassen in den Hörer. „Ich habe mit meiner Frau gewettet. Sie meinte nämlich, du würdest höchstwahrscheinlich nicht anrufen, hättest sicher Besseres zu tun. Verena!“, hörte ich ihn rufen. „Ich habe gewonnen! Harald ist am Apparat, du bist mir ein Glas Wein schuldig! Kommst du mal bitte? Warte einen Moment, Harald, ich gebe sie dir.“

„Moment, ich … hallo? Ich wollte doch nur …“, protestierte ich, doch ich vernahm zunächst nur ein leises Rascheln und ein Knacken, dem eine angenehme weibliche Stimme folgte.

„Hallo Harald. Entschuldigen Sie, dass ich Sie beim Vornamen nenne, aber Jan hat mir bereits von Ihnen erzählt, und nun bin ich neugierig. Ich bin Verena.“

„Hallo Verena“, begrüßte ich sie. „Eigentlich wollte ich Sie gar nicht stören, ich wollte doch nur … Ach, egal. Schön, so eine sympathische Stimme zu hören. Ich hoffe, er hat nichts allzu Schlechtes über mich gesagt – Ihr Mann, meine ich.“ Ich lachte.

Auch Verena lachte. „Aber nein, ganz im Gegenteil. Harald, ich habe da eine spontane Idee. Wissen Sie, Jan und ich gehen heute Abend zum Essen ins Größenwahn, da wäre es doch nett, wenn Sie dazustoßen würden. Wissen Sie, was Jan gerade macht? Er hebt den Daumen. Hätten Sie Lust?“

Mein Gott, diese Stimme, so ungewöhnlich melodisch! Vor meinem geistigen Auge sah ich eine bezaubernde Frau. „Das ist wirklich eine nette Idee, Verena. Ich wollte Ihren Mann sowieso treffen, und zwar wegen des Projektes Ironman, von dem er mir erzählte. Also zu Ihrer Frage: Ja, wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann geselle ich mich heute Abend gerne zu Ihnen. An welche Uhrzeit dachten Sie denn?“

„Schatz!“, rief sie. „Wäre dir neunzehn Uhr recht? Okay, ihm ist es recht“, sagte sie zu mir. „Passt Ihnen das?“

„Ich bin einverstanden.“

„Prima, ich reserviere einen Tisch. Bis heute Abend also.“ Sie legte auf, bevor ich mich verabschieden konnte.

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Mein Blick ging ins Leere. Was für eine Frau mochte zu einer solch melodischen Stimme gehören? Aufgrund meines Berufes interessierten mich Stimmen ebenso sehr wie deren Besitzer. Ich malte mir eine Blondine mit langen, seidigen Haaren aus. Bestimmt war sie sehr weiblich. Dieser Mann hatte offensichtlich, was Frauen betraf, ein glückliches Händchen. Für einen winzigen Moment bereute ich es, Single zu sein. Wieder dachte ich an Lena. Ich hatte sie sehr geliebt und tat es womöglich noch immer. Manchmal ertappte ich mich dabei, auch weiterhin davon überzeugt zu sein, dass sie eines Tages vor meiner Tür stand. Was würde sie wohl sagen? „Hallo Schatz, hat etwas länger gedauert, aber da bin ich wieder“? Nein, nach all den Jahren würde sie sich gewiss nicht mehr bei mir melden.

5

Es war zwar erst halb sieben, doch ich saß bereits im Café Größenwahn. Hohmeisters Frau hatte ganz hinten einen Tisch für uns bestellt, wie mir die Bedienung sagte. In dieser Ecke hatte ich selbst schon etliche Male gesessen, weil man von hier aus alles, was im Lokal vor sich ging, ungestört verfolgen konnte. Eine wirklich gute Wahl. Ich schätzte passende Details. Obwohl es ein herrlich warmer Sommertag war, wäre es störend gewesen, draußen zu sitzen, wenn man sich in Ruhe unterhalten wollte. Ich nahm mit dem Rücken zur Wand an dem reservierten Tisch Platz und wartete zugegebenermaßen ein wenig nervös auf die beiden. Ich bestellte mir ein Glas Weißwein und studierte die Karte. Lange dachte ich über den Grund für meine Unruhe nach. War es die Stimme dieser Frau, die mich verunsicherte? Ich konnte einfach nicht aufhören, mir vorzustellen, wer sie war. Oder war es die Frage nach Hohmeisters Absichten? Was wollte er nach all den Jahren von mir? War es wirklich Zufall gewesen, dass er mich hier aufgegabelt hatte, oder hatte er mich bereits des Öfteren im Café Größenwahn sitzen sehen? Nicht ganz abwegig, der Gedanke, schließlich wohnte er in unmittelbarer Nähe. Ich hing noch eine Weile meinen Gedanken nach, da ging die Tür auf und Hohmeister trat ein – allein.

Ich hob die Hand und er schien sichtlich erfreut, mich zu sehen. Eilenden Schrittes kam er auf mich zu und reichte mir die Hand. „Tut mir leid, wenn ich zu spät bin.“ Er sah auf die Uhr. „Ich wollte eigentlich auf Verena warten, sie ist nämlich noch eine Runde joggen gegangen und sollte längst zurück sein. Na ja, sie weiß ja, wo sie uns findet.“ Er setzte sich mir gegenüber.

„Wahrscheinlich ist sie genauso sportlich wie du, deine Frau, nehme ich an.“

„Na klar, sie hat schon zwei Marathonläufe hinter sich. Bei diesem Wetter läuft sie jeden Tag durch den Günthersburgpark. Ist ja lange hell und sehr belebt um diese Zeit. Da braucht man sich keine Sorgen zu machen.“ Dennoch sah er zum wiederholten Mal auf seine Armbanduhr.

„Willst du sie nicht einfach anrufen?“

„Hat keinen Zweck“, antwortete Hohmeister, „sie lässt ihr Handy beim Joggen immer zu Hause.“

„Das ist aber ein Fehler. Gerade für solche Zwecke sollte man es bei sich tragen.“

„Wem sagst du das, ein ewiger Streitpunkt zwischen uns. Was trinkst du da für einen Wein, Harald?“

„Chardonnay.“

„Sehr gute Wahl, nehme ich auch.“ Er winkte der Bedienung.

Schließlich lehnte er sich lässig im Stuhl zurück und schnitt ohne Umschweife das leidige Thema an. „Weißt du, ich hatte Lena damals für eine starke Frau gehalten. Ich habe nie begriffen, warum sie auf Nimmerwiedersehen gegangen ist.“

Ich holte tief Luft, wollte antworten, doch in dem Moment kam die Bedienung und brachte Hohmeister den Wein. Er erhob sein Glas und prostete mir zu. „Auf unsere Freundschaft.“

Auch ich hob mein Glas in die Höhe. „Zum Wohl.“

Hohmeister setzte sein Glas ab. „Wo waren wir gleich stehen geblieben? Ach ja. Keine Sorge, Harald, ich will nicht wieder mit den alten Kamellen anfangen. Ich möchte dir nur erklären, wieso der Sport für mich damals so immens wichtig wurde.“

„Du erwähntest es neulich bereits.“

„Schon, aber nicht detailliert. Ich brauchte es irgendwie zum Ausgleich, um nicht verrückt zu werden, verstehst du? Erst verließ mich Lena, um zu meinem besten Freund zu gehen.“ Er sah mich mit ausdrucksloser Miene an. „Na, damals warst du so etwas wie ein bester Freund für mich. Aber weiter: Dann jedenfalls verließ sie dich, dabei schien es doch, als sei sie sehr in dich verliebt gewesen. Und dann zu dir: Kann ja passieren, dass man sich in die Freundin eines anderen verliebt. Ist zwar bitter, wenn es der eigene Freund ist, den man damit verletzt, aber was soll’s. Jedenfalls resultiert ja aus allem, was man tut, irgendetwas. So hätte ich zum Beispiel dem Sport in meinem Leben nie eine berufliche Chance gegeben.“ Er lachte. „Wie heißt es so schön: Das Leben ist zu kurz, um das Falsche zu tun. Seitdem läuft jedenfalls alles korrekt. Ich bin glücklich, verdiene zwar nicht viel Geld, aber immerhin so viel, um mich über Wasser zu halten. Und das Beste: Ich habe eine Frau gefunden, die ich von Herzen liebe und die wiederum mich liebt. Was will ich mehr?“

„Kiffst du eigentlich immer noch?“, warf ich ein.

Hohmeister sah mich verständnislos an. „Wie würde das zum Sport passen, Harald? Nein, um Gottes willen, das war nichts weiter als eine Jugendsünde und ist längst Geschichte. Und du?“

„Das Gleiche.“

In diesem Moment ging die Tür auf. Die junge Frau, die eingetreten war, sah kurz zu uns hinüber und kam auf uns zu.

Ich hielt die Luft an. War das etwa Hohmeisters Frau? Ich traute meinen Augen nicht. Das war wohl zweifellos die schönste Frau, die ich je gesehen hatte.

„Deine Frau?“, fragte ich beinahe atemlos.

Hohmeister nickte stolz. „Meine Verena.“

„Entschuldigt, dass ich so spät bin, ich wurde aufgehalten.“ Mit einem strahlenden Lächeln gab sie mir die Hand. „Hallo Harald, ich darf doch ‚du‘ sagen?“

Ich nickte nur, hatte meine Sprache noch nicht wiedergefunden. Sie war ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Verena hatte dunkle, sehr kurze Haare und strahlend grüne, katzenartige Augen. Ihr sinnlicher Mund verzog sich zu dem bezauberndsten Lächeln, das ich je gesehen hatte. Sie war atemberaubend schön. Ihre makellose Figur hatte sie mit einer engen Jeans und einer schmal geschnittenen Bluse betont.

„Klar“, hörte ich mich endlich sagen. „Freut mich wirklich sehr.“ Meine Stimme erschien mir fremd und sie klang belegt.

Verena winkte mehreren Leuten zu, die erfreut zurückwinkten. Man kannte sie hier scheinbar recht gut, und man mochte sie, Hohmeister hatte recht gehabt.

Ich spürte seine neugierigen, auf mich gerichteten Blicke und versuchte, mir meine Überraschung nicht allzu deutlich anmerken zu lassen.

„Ich freue mich über alle Freunde von Jan, und du warst ein paar Jahre ein sehr guter Freund, sagte mir mein Schatz. Eigentlich schade, dass ihr euch aus den Augen verloren habt.“ Sie wirkte ehrlich und völlig ungekünstelt, setzte sich neben Hohmeister und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Die Bedienung trat an unseren Tisch.

„Ich nehme auch so einen.“ Verena deutete auf mein Glas.

„Chardonnay?“

Verena nickte. „Ja, bitte.“

„Na, wir haben ja auch eine Zeit lang gemeinsam studiert“, brachte ich endlich hervor, dankbar für die Pause, die ich durch ihre Bestellung gewonnen hatte. Ich atmete ein paarmal tief durch, bevor ich endlich wieder zu mir fand. „Ich gratuliere dir, Jan, du hast wirklich eine sehr hübsche und sympathische Frau.“

Hohmeister nickte stolz. „Ich sagte doch, jeder mag sie.“ Wieder begegnete ich seinem prüfenden Blick.

Ich antwortete: „Offene Menschen haben es meist leichter im Leben.“

Die Bedienung brachte Verena den Wein und wir erhoben die Gläser.

„Auf einen angenehmen Abend“, sagte Verena.

Als wir die Gläser wieder abgestellt hatten, fuhr Hohmeister fort. „Ja, sie und ihre wunderbare, herzerfrischende Art machen mich glücklich, und ich weiß, dass sie mich liebt, nicht wahr, Schatz?“ Auch er küsste sie auf die Wange.

Verena wandte sich an mich. „Erzähl, du hast eine gut gehende Praxis, wie ich hörte. Dann hast du bestimmt einen guten Ruf.“ Sie stützte ihren Kopf in die Hände und sah mich gedankenverloren an. „Jan sagte oft, du seist der geborene Psychologe, er aber nicht.“ Sie sah Hohmeister mit großen Augen an. „Du hast doch nichts dagegen, dass ich das sage, oder?“

Er lächelte und schüttelte den Kopf. „Kein Geheimnis.“

„Ja“, erwiderte ich, „die Arbeit macht mir Spaß. Es ist schön, wenn man Menschen helfen kann. Psychische Erkrankungen können ebenso schlimm sein wie physische.“

„Vielleicht sogar noch schlimmer“, bemerkte Verena.

Ich nickte. „Ohne entsprechende Hilfe können die Folgen einer psychischen Störung fatal sein.“

„Behandelst du auch Verbrecher?“ Verena sah mich neugierig an.

Ich lächelte. „Nicht wissentlich, aber da wir alle potenzielle Täter sind – wer weiß das schon.“

„Wie meinst du das, wir alle sind potenzielle Täter?“

Ich nahm einen Schluck von meinem Wein, bevor ich antwortete.

„Aber nun sag schon.“ Verena richtete den Blick auf ihren Mann. „Jan, darüber habe ich mit dir nie gesprochen, ich finde das aber absolut spannend.“

„Tja, derartig in die Tiefe bin ich wohl mit meinen Gedanken nie gegangen.“

„Es ist erwiesen, dass jeder Mensch in der Lage ist, ein Verbrechen zu begehen. Jeder!“ Ich sah den beiden nachdenklich ins Gesicht.

Hohmeister machte große Augen. „Das heißt also, auch du könntest morden, interpretiere ich das richtig?“

„Natürlich! Theoretisch schon. Praktisch nicht. Denn uns normale Menschen …“ Ich malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. „Uns ‚normale Menschen‘ hält die Empathie davon ab, so etwas zu tun. Wenn sich aber seelisch nicht gefestigte Personen in die Enge getrieben fühlen, dann kann das schwerwiegende Folgen haben. Es ist ebenfalls erwiesen, dass Täter über ein mangelndes Selbstbewusstsein verfügen, sich oftmals nicht wahrgenommen fühlen und meist einsam sind, weil sie keine tiefen Bindungen eingehen können. Auch spielen enttäuschende partnerschaftliche Beziehungen eine Rolle. Das gilt besonders für Männer. Die Ehefrau oder Partnerin nimmt ihren Partner nicht ernst genug, er fühlt sich nicht geliebt, als Mann nicht ernst genommen et cetera. Entschuldigt, ich möchte euch nicht langweilen.“

Hohmeister sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. „Aber das tust du nicht. Ich hoffe allerdings schwer, dass dies keine Anspielung auf alte Zeiten ist.“

„Ich bitte dich, Jan, natürlich nicht! Das war nur die Antwort auf die Frage deiner Frau. Die Antwort, die ich als Fachmann gebe, weiter nichts.“ Ich lächelte verlegen. „Ich gebe zu, ich bin etwas zu sehr ins Detail gegangen. Ist eine Berufskrankheit.“

Hohmeister grinste. „Tja, ich hatte damals auch gedacht, dass mich der Beruf ausfüllen würde. Wenn du das so erzählst, dann klingt das absolut spannend. Auch ich fand es interessant, den Menschen hinter die Stirn zu blicken, aber was soll’s, manchmal läuft es im Leben anders, als man denkt.“

„Sag mal, Jan, tut es dir etwa leid, dass du nicht als Psychologe tätig bist?“ Verena sah ihren Mann verdutzt an und kräuselte die Stirn.

Erneut küsste er sie auf die Wange. „Wenn es das täte, dann könnte ich doch jederzeit wieder einsteigen. Nein, ich überlasse das gerne den Besseren.“ Er lächelte mich an. „Du bist einfach der Bessere, Harald!“

Ich lachte. „Danke für das Kompliment, auch wenn ich das nicht glaube.“

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