Kitabı oku: «Die Vampirschwestern – Ein Date mit Bissverständnis», sayfa 2

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Schlauchbootseufzer

Der abgelegene See glitzerte wie eine silberne Münze im Mondschein. Hohe, dunkle Tannen ragten am Ufer in den Nachthimmel und umgaben den See schützend, einem dicken Schal gleich. Das Wasser war ruhig und schimmerte wie warmer, weicher Samt. Nur dort, wo sich ein kleines Boot langsam vom Ufer entfernte und den Weg durch das Gewässer bahnte, kräuselte es sich leicht. Es war ein rotes Schlauchboot. Am Bug hatte es Fischaugen und einen Mund, am Heck eine gelbe Flosse. An Bord waren eine Frau und ein Vampir.

Mihai Tepes, Vater der Vampirschwestern und 2676 Jahre alter Vampir, paddelte. Er lächelte seiner Frau Elvira zu, die ihm gegenübersaß. Sein Schnauzer kringelte sich wie zwei Lakritzschnecken, seine halblangen dunklen Haare glänzten im Mondschein und seine schwarzbraunen Augen funkelten wie zwei glatte Steine am Grund eines transsilvanischen Waldbaches.

Elvira hockte mit angezogenen Beinen am Bug und strahlte ihren Mann an. „Das ist die romantische Überraschung? Eine nächtliche Bootsfahrt im Kinderschlauchboot unserer Töchter?“

„Psst“, machte Mihai. Es klang wie das Zischeln einer Schlange. „Warte, bis wir in der Mitte des Sees sind!“

Elvira zog die Knie dichter an den Körper und die Augenbrauen hoch. Sie spähte in die Nacht, die Wald und See in eine dunkle Bühne für allerlei Fantasiegestalten verwandelt hatte. Das dunkle Wasser kräuselte sich. War es nur der Nachtwind oder verbarg sich unter der Wasseroberfläche etwas unheimliches Unbekanntes?

In den hohen Tannen, die das Ufer säumten, raschelte es hin und wieder. Ein Vogel rief durch die Nacht. Vielleicht ein Käuzchen. Elvira Tepes kannte sich mit Vogelarten nicht so gut aus. Die drei schrägen Vögel, die sie zu Hause hatte, reichten ihr. Mit einem davon war sie heute auf den Tag genau vierzehn Jahre verheiratet. Elvira hatte Mihai am Morgen schon mit einem Ständchen beglückt, das sie mit zwei Hundeknochen auf seinen Sargdeckel geklopft hatte. Danach hatte sie ihrem stets durstigen Mann einen Blutcocktail serviert. Er hatte vor Genuss geschmatzt, als er ihn Schluck für Schluck getrunken hatte. Frau Tepes sah ihren Mann an und seufzte versonnen.

Mihai Tepes paddelte mit ruhigen, kräftigen Zügen auf die Mitte des Waldsees zu. Er dachte an all die glücklichen Jahre, die Elvira und er in seiner transsilvanischen Heimatstadt Bistrien verbracht hatten. Und an die … nun ja … interessanten Zeiten, die sie seit ihrem Umzug nach Bindburg, der deutschen Heimatstadt seiner Frau, verlebt hatten. Natürlich dachte er auch an Silvania und Dakaria, ihre einzigartigen und wunderbaren Töchter. Mihai Tepes war unsagbar stolz auf sie. Obwohl sie keine echten Vampire waren, sondern Halbvampire. Aber jeder Vampir konnte sich von seinen Töchtern eine Scheibe abschneiden – natürlich nicht wortwörtlich. Mit feuchten Augen dachte Mihai zurück an die Geburt der Zwillinge, an ihre ersten wackelnden Milcheckzähne, an glückliche Stunden im Schlammkasten und an verregnete Nachmitternächte bei einer Runde Vampir, beiß mich nicht.

Mihai war so in Gedanken versunken, dass er beinahe einmal quer über den See zum anderen Ufer gepaddelt wäre. Gerade noch rechtzeitig merkte er, dass er die Mitte des Sees längst erreicht hatte. Er ließ die Paddel ruhen, kniete sich vor Elvira und nahm ihre Hand. „Elvira …“, begann er. Neben ihm flatterte ein Nachtfalter. Blitzschnell schnappte Herr Tepes nach dem Falter, biss zu und zutschte genüsslich.

Elvira zog die Augenbrauen zusammen und ihre Hand aus der ihres Mannes.

„Skyzati.“ Mihai räusperte sich, nachdem er aufgegessen hatte, und begann erneut: „Elvira, vierzehn Jahre ist es her, dass wir ‚sni‘ zueinander sagten und unser Blut im Eheschwur vereinten. Noch heute kribbelt es in meinen Eckzähnen, wenn ich an die wundervolle Zeremonie damals denke.“

„Du sahst so stattlich und verwegen aus“, sagte Elvira.

„Und du so rein und appetitlich“, raunte Mihai. Er zwinkerte seiner Frau zu und sie lächelte. „Ich habe bisher kein Jahr, keine Stunde, keine Minute und keine Sekunde mit dir bereut. Und du?“

Elvira dachte an den muffigen Geruch in Mihais Keller. Sie dachte an die Blutflecke, die immer so schwer bei der Wäsche rausgingen. Sie dachte an die tote Ratte, die ihr Nachbar auf ihrer Terrasse gefunden hatte. Und an die Nacht, in der Mihai den Vermieter ihres Klobrillenladens beißen wollte. Sie dachte an die Heimaterde im Katzenklo im Wohnzimmer, die unschöne Flecken auf dem weißen Teppich hinterließ. Und an die Kopfnüsse, die Mihai in der Nachbarschaft verteilte.

Frau Tepes holte tief Luft, funkelte ihren Mann aus ihren nachtblauen Augen an wie am Tag, an dem sie ihm zum ersten Mal begegnet war, und flüsterte: „Keine Sekunde bereue ich.“ Dann beugte sie sich vor, um ihren Mann zu küssen.

Mihai aber wich zurück. „Nicht so stürmisch, El Virus.“ So nannte er seine Frau normalerweise nur, wenn sie verärgert war. Er drehte sich kurz um und hantierte hinter seinem Rücken. Elvira reckte den Hals und versuchte, etwas zu erkennen. Aber natürlich war der Rücken ihres Mannes zu breit.

Mihai drehte sich wieder zu ihr um. Er sah sie ernst an. Dann griff er hinter seinen Rücken und holte eine kleine Schale hervor. Darin lag ein schwarzer Wackelpudding, der wie eine Spinne aussah und eine Spezialität von Mihai war. Mitten im Pudding steckte eine schwarze Kerze.

„Spinnenpudding!“ Elvira nahm Mihai den Pudding ab. „Danke. Datiboi.“ Wieder beugte sie sich vor und wollte ihren Mann küssen. Doch wieder wich Mihai zurück.

„Das ist noch nicht alles.“ Mihai Tepes lächelte und seine spitzen Eckzähne blitzten im Mondlicht weiß unter dem Lakritzschnauzer hervor. „Vierzehn Jahre sind wir ein Paar. Ein Traumpaar. Dein Vater würde sagen, ein Albtraumpaar. Aber lassen wir das jetzt. Ich hoffe, dass wir noch viele Hunderttausend weitere glückliche Jahre miteinander verbringen werden.“

Elvira runzelte die Stirn.

„Liebste Elvira, du Stern meiner schlaflosen Tage, du mein Wölkchen vor der gleißenden Sonne, du zauberhafte Taggestalt.“ Mihai hielt inne und sah seiner Frau fest in die Augen. „Es jährt sich die glücklichste Nacht meines Lebens, unsere Hochzeitsnacht. Aus diesem Grund möchte ich dir etwas sagen …“ Mihai hob eine Hand und schnippte mit dem Finger.

Elvira sah verdutzt auf die Hand, dann wieder in die dunklen Augen ihres Mannes.

Mihai schielte zum Nachthimmel und schnippte abermals mit dem Finger. Dazu stieß er einen schrillen Pfiff aus. Im Geäst der Tannen rund um den See raschelte es. Die Tannenspitzen wiegten sich hin und her, als wäre eine leichte Brise aufgekommen. Plötzlich leuchteten zwischen den Ästen Lichter auf. Erst eins, dann zwei, dann immer mehr, bis die Tannen aussahen wie Weihnachtsbäume. Die Lichter bewegten sich nach und nach. Schließlich erhoben sie sich und stiegen über die Bäume auf. Es waren Kerzen, die von Dutzenden kleinen schwarzen Gestalten auf dem Kopf getragen wurden. Als sie zur Mitte des Sees flogen, erkannte Elvira, dass es Fledermäuse waren. Ein paar von ihnen hielten ein Banner zwischen den Krallen.

„Zur Jahresnacht unserer Hochzeit möchte ich dir sagen …“, Mihai strahlte seine Frau an und zeigte auf das Banner.

Elvira sah zum Banner. Dort stand: . Sie legte den Kopf schräg und runzelte die Stirn.

Mihai blickte jetzt ebenfalls zum Banner. „Fumpfs! Verkehrt herum, ihr Flederdussel!“ Er stand auf, wedelte mit den Armen und rief den Fledermäusen für Menschen unverständliche Laute zu. Das Schlauchboot wackelte bedrohlich.

Die Fledermäuse aber verstanden. Schnell flogen sie einen Halbkreis und formierten sich neu, sodass die Schrift auf dem Banner nicht mehr auf dem Kopf stand.

„Miloba oista bratscho ky sangu“, las Elvira vor. Es dauerte einen Moment, bis sie den vampwanischen Satz übersetzt hatte. „Liebe ist dicker als Blut.“ Sie lächelte Mihai an.

„Und du bist so schön wie ein Tautropfen in einem Spinnennetz an einer modrigen transsilvanischen Blutbuche am Morgen.“

„So etwas Schönes hat noch nie jemand zu mir gesagt.“ Elvira beugte sich zu ihrem Mann.

Dieses Mal wich er nicht zurück. Im Gegenteil. Er umarmte Elvira voller vampirischer Leidenschaft, woraufhin diese nach hinten kippte und beide auf dem Bug landeten.

„Mihai! Pass auf, dass du mit deinen Eckzähnen kein Loch ins Schlauchboot machst!“

Mehr konnte Elvira Tepes nicht sagen. Der Lakritzschnauzer ihres Mannes kitzelte bereits auf ihren Lippen.

Stunk in der Schule

Die Fassade der Gotthold-Ephraim-Lessing-Schule schimmerte senfgelb im Licht der aufgehenden Sonne. Aus allen Himmelsrichtungen strömten Schüler auf das große Eingangstor zu. Manche mit prall gefüllten Rucksäcken, manche mit Umhängetaschen, die fast am Boden schleiften, und einige mit Rollkoffern, als müssten sie zur Vorstandssitzung einer großen Bank jetten. Sie kamen zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit der Straßenbahn, dem Bus oder wurden von ihren Eltern mit dem Auto vor der Schule vorgefahren.

Silvania und Daka Tepes stiegen gerade aus der Straßenbahn. Daka war so gut gelaunt, dass sie sich gleich mal über den Fahrradweg auf den Fußweg flopste. Sie hatte wunderbar geschlafen, obwohl es Nacht gewesen war. Lag wohl daran, dass sie vom Konzert von Krypton Krax geträumt hatte. Im Traum hatte sie mit ihrer Lieblingsband auf der Bühne gestanden. Wie ein Wirbelwind hatte sie am Schlagzeug gesessen und danach mit Murdo ihr verschwitztes T-Shirt getauscht. Sie hatte seinen Schweiß im Traum förmlich riechen können. Zensatoi futzi!

„Daka! Bist du total guguplum?“ Silvania zog ihre Schwester am Arm, nachdem sie über den Radweg auf den Fußweg gehüpft war. „Du kannst doch nicht einfach mitten am Tag mitten in der Stadt vor allen Leuten herumflopsen. Hast du die sieben radikalen Regeln schon vergessen, die Mama aufgestellt hat?“

„Würde ich gerne. Geht aber kaum. Mama wiederholt sie ja ständig. Fliegen und Flopsen tagsüber verboten, keine lebenden Mahlzeiten, immer fett Sonnencreme drauf und so weiter – weiß ich doch alles.“ Daka verzog den Mund.

„Dann halt dich daran!“

„Och, reicht doch, wenn du dich dran hältst.“ Daka schielte grinsend zu Silvania.

Die versuchte, ein ernstes Gesicht zu machen. Auch Silvania hatte ausgesprochen gute Laune. In ihrem 800-Seiten-Liebesroman, den sie gestern nach dem Hammer-Horror-Videoabend noch bis nach Mitternacht zu Ende gelesen hatte, war alles gut ausgegangen. Die Heldin des Buchs hatte ihre große Liebe gefunden und es wurde groß geheiratet. Genauso stellte sich Silvania ihr Liebesleben auch vor. Und immer wenn es am schönsten war (total verliebt auf der Hochzeit), würde es aufhören, wie in all ihren Romanen, und eine neue Liebe würde beginnen.

Silvania wollte sich verlieben und heiraten, verlieben und heiraten, ihr ganzes Leben lang. Was nach der Hochzeit kam, interessierte sie nicht sonderlich.

Die Zwillinge hingen ihren sonnigen Gedanken nach – Silvania dachte an die große Liebe und Daka an den großen Auftritt mit Krypton Krax. So gut gelaunt kamen die Vampirschwestern selten zur Schule. Wenn sie jetzt noch vor der ersten Stunde Helene trafen, würde der Tag perfekt beginnen.

An der Wand neben dem Haupteingang der Gotthold-Ephraim-Lessing-Schule lehnte jemand, der alles andere als gut gelaunt war. Helene hatte die Arme verschränkt und stemmte sich mit einem angewinkelten Bein von der Wand ab. Wie immer hatte ihr Vater sie zur Schule gefahren, bevor er seine Zahnarztpraxis öffnete. Wie immer viel zu früh. Schon seit zehn Minuten stand sie am oberen Ende der breiten Steintreppe und wartete auf ihre Freundinnen – wenn sie das überhaupt noch waren.

Schon von Weitem sah Helene die Vampirschwestern aus der Straßenbahn steigen. Daka schien es heute besonders eilig zu haben, in die Schule zu kommen, denn sie flopste sich auf den Fußweg. Jetzt gingen die Schwestern die Treppe zum Schultor hinauf. Silvania trug ein violettes Kleid mit schwarzer Spitze an den Ärmeln und am Kragen. Ihr Hut, der schräg auf ihrem Kopf saß, erinnerte an eine Schildkröte.

Daka hatte eine kurze Hose mit Fransen an, an denen lauter kleine Spinnen baumelten. Sie hoben sich deutlich von der knallroten Strumpfhose ab. Auf Dakas T-Shirt stand „Boi Noap!“. Helene wusste, dass das „Gute Nacht!“ hieß. Schade eigentlich, dass es die Lehrer nicht verstehen würden.

Helenes Nacht war alles andere als gut gewesen. Und daran waren die Vampirschwestern schuld. Allerhöchstwahrscheinlich jedenfalls. Helene kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, presste die Lippen aufeinander und fixierte die beiden wie ein Scharfschütze sein Opfer. Silvania und Daka stiegen mit federleichten Schritten die Treppe hinauf und quasselten dabei. Sollten sie ein schlechtes Gewissen haben, sah man es ihnen nicht an. Schöne beste Freundinnen hatte Helene sich da ausgesucht!

„Hoi boi, Helene!“, rief Daka und nahm die letzten beiden Stufen mit einem Satz. Sie gab Helene eine Kopfnuss, wie es in Bistrien üblich war und es sich auch zwischen den Freundinnen eingebürgert hatte.

Silvania klopfte von der anderen Seite auf Helenes Kopf und lächelte. „Boi Motra, Inimajuschka!“

„Lasst das!“ Helene wedelte mit den Armen, als wollte sie Fliegen verscheuchen. „Und eure Inimajuschka könnt ihr euch zwischen die dreckigen Fußzehen stecken.“

„Oho, oho.“ Daka wackelte in ihren Schnürschuhen mit den Zehen, zwischen denen immer etwas transsilvanische Heimaterde klemmte.

„Was ist los?“, fragte Silvania. „Schlechte Laune?“

„Grottenmordsmuffenschlechte Laune“, erwiderte Helene.

„Das klingt ernst“, fand Silvania.

Krypton Krax sind unterwegs nach Bindburg, du wirst deinen Murdo bald wiedersehen und hast schlechte Laune? Wie geht das denn?“, wunderte sich Daka.

„Ach, hört doch auf mit dem blöden Verstellen.“ Helene stemmte die Hände in die Hüften. „Gebt es wenigstens zu!“

Silvania und Daka sahen sich fragend an.

„Zieht jetzt bloß keine Unschuldsshow ab von wegen, ihr wisst nicht, wovon ich rede.“ Helenes Stimme quietschte wie Kreide an der Tafel.

„Wir wissen echt nicht, wovon du redest“, sagte Silvania.

Helene schüttelte enttäuscht den Kopf. „Ihr macht es nur noch schlimmer. Einfach so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Das ist echt das Letzte. Wenn ihr wenigstens selbst zugeben würdet, dass ihr es genommen habt. Dazu wart ihr mutig und fies genug. Aber jetzt habt ihr nicht einmal die Eier in der Hose, es mir zu sagen.“

„Welche Eier in der Hose?“, fragte Daka.

„Und was denn genommen?“, fragte Silvania.

„Worum geht es überhaupt?“ Daka sah Helene ratlos an.

„Als wüsstet ihr das nicht, ihr scheinheiligen Zwitterwesen!“ Helene warf den Vampirschwestern einen finsteren Blick zu.

„Also mir reicht’s langsam“, sagte Silvania.

„Liebe macht echt blöd“, fand Daka.

„Selber blöd.“ Helene schnaufte.

Silvania verdrehte die Augen. „Moment, wenn wir schon streiten, möchte ich wenigstens wissen, worüber. Also, du denkst, wir haben irgendetwas von dir genommen, richtig?“

Helene sah die Vampirschwestern mit gesenktem Kinn an und nickte.

„Was denn? Dein Hörgerät? Deinen Kugelschreiber? Dein Pausenbrot?“, fuhr Silvania fort.

Helene musterte die Vampirschwestern misstrauisch. „Wisst ihr echt nicht, wovon ich rede?“

„NEIN!“, rief Daka. „Mann, das ist ja heute zum Eckzähneausreißen mit dir.“

„Aber es ist verschwunden“, fuhr Helene fort.

„WAS???“, riefen Silvania und Daka. Einige der vorbeieilenden Schüler drehten sich nach ihnen um.

„Ihr habt wirklich nicht den allerleisesten Schimmer?“, fragte Helene.

„Nein. Weil wir, was auch immer verschwunden ist, nicht genommen haben.“ Silvania legte ihre Hand auf Helenes Schulter. „Also, was ist weg?“

Helene sah Silvania und Daka einen Moment an. Dann holte sie tief Luft. „Mein Tagebuch.“

Die Vampirschwestern brauchten ein paar Sekunden, um die Nachricht zu verarbeiten. „Schlotz zoppo!“, rief Silvania schließlich.

„Fumpfs!“, sagte Daka.

„Gestern nach dem Videoabend wollte ich noch etwas ins Tagebuch schreiben. Ich habe es überall gesucht. Im Rucksack, auf dem Schreibtisch, im und unter dem Bett, einfach überall in meinem Zimmer und in der ganzen Wohnung. Sogar im Kühlschrank. Es ist weg.“

„Und du meinst, wir haben es geklaut?“ Silvania sah Helene traurig und fassungslos an.

„Na toll. Dein Tagebuch ist weg und wen verdächtigst du sofort: deine besten bissigen Freundinnen. Datiboi auch“, murmelte Daka.

Helene zuckte mit den Schultern. „Wer soll es denn sonst genommen haben? Auf dem Friedhof gestern Nachmittag hatte ich es noch. Ich habe es in meinen Rucksack gesteckt und bin nach Hause. Danach habe ich die Wohnung nicht mehr verlassen und am Abend seid ihr gekommen.“

„Verstehe. Weil wir gestern Abend bei dir waren, sind wir total verdächtig“, sagte Daka.

Helene sah zu Boden und blickte dann zweifelnd zu den Vampirschwestern auf. „Na ja, ich hatte mein Tagebuch noch, bevor ihr gekommen seid. Und als ihr wieder weg wart, war das Tagebuch auch weg …“

„Helene! Wir haben dein Tagebuch nicht“, erklärte Silvania. „Das schwöre ich bei der Liebe meines Lebens.“

„Äh … also ich schwöre beim Barte meines Vaters“, fügte Daka hinzu.

„Wenn ihr es nicht genommen habt, wer dann?“, fragte Helene.

„Gut’n Morgen.“ Ludo stand auf einmal neben ihnen und sah die drei Mädchen verschlafen an. Seine halblangen braunen Haare fielen ihm vor die Augen.

„LUDO!“, riefen Helene, Daka und Silvania im Chor.

„Stimmt. So heiße ich.“ Ludo blies sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Mit der linken Hand spielte er an einem Faden an der Hosennaht, in der rechten hielt er eine alte braune Ledertasche.

Ein paar Sekunden starrten die Mädchen ihren Freund an. Auf ihren Gesichtern spiegelten sich Unglaube, Wut und Argwohn.

Ludo schielte von einer Freundin zur anderen. „Ist was? Hab ich was Fieses im Gesicht oder so?“

„Kann schon sein, dass du etwas hast“, begann Silvania schließlich.

„Sehr wahrscheinlich sogar.“ Helene nickte. „Aber nicht in deinem Gesicht, sondern zu Hause oder vielleicht in deiner Tasche da.“

„Und weil du die ganze Nacht darin gelesen hast, siehst du so verpennt aus.“ Daka machte ein Gesicht wie eine Kriminalkommissarin.

Ludo, der hellsehen konnte, machte wiederum ein Gesicht, als wäre in seinem Gehirn gerade alles zappenduster. „Was soll ich gelesen haben? Redet ihr von der Deutsch-Hausaufgabe?“

„Nein. Wir reden von Helenes Tagebuch“, sagte Silvania.

Ludos Augenbrauen wanderten in die Höhe.

„Es ist verschwunden. Seit gestern Abend“, fuhr Helene fort. „Seit DU bei mir zum Hammer-Horror-Videoabend gewesen bist.“

Ludo riss seine ockerfarbenen Augen weit auf. „Ihr meint, ich habe dein Tagebuch geklaut?“

Helene und Silvania nickten. Daka sah zu Boden.

„Warum sollte ich das machen?“, fragte Ludo.

„Du bist eben ein Junge und Jungs machen manchmal blöde Sachen“, erklärte Helene.

Silvania nickte. „Daka und ich haben Helenes Tagebuch gestern Abend auf jeden Fall nicht mitgehen lassen.“

„Also muss ich es gewesen sein, verstehe“, sagte Ludo. Seine Augen waren plötzlich ganz dunkel. Er schüttelte den Kopf und sah seine Freundinnen nacheinander traurig an. „Bei Freundinnen wie euch verbringe ich meine Zeit lieber mit einer Spülbürste.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand mit zwei Schritten im Schulgebäude.

„Was für eine Spülbürste?“, wunderte sich Daka.

„He, was ist mit meinem Tagebuch?“, rief Helene Ludo hinterher. „Rückst du das gefälligst mal wieder raus oder erst, wenn du es ganz durchgelesen hast?“

Silvania legte den Arm um Helene. Daka sah Ludo nach, bis es klingelte. Ihre gute Laune war auf einmal zu Staub zerfallen.

Plakate rotzen

Silvania trug an diesem Nachmittag ganz besonders ausgefallene Armreifen. Es waren zwei Rollen mit Paketklebeband. Helene hatte eine Schere in der Hand und schnitt lange Streifen vom Klebeband ab. Daka rollte ein Plakat auf, hielt es an eine Häuserwand und nahm von Helene einen Klebestreifen entgegen.

„Etwas höher“, sagte Silvania, die das Plakat musterte.

Daka hob ein paar Zentimeter vom Fußboden ab und klebte das Plakat an die Hauswand.

„DAKA! Denk an die radikale Regel Nummer eins! Kein Fliegen bei Tageslicht“, zischte Silvania.

„Du hast doch gesagt, etwas höher!“ Daka zuckte mit den Schultern und landete wieder auf dem Bürgersteig. „Außerdem bin ich nicht geflogen, nur etwas geschwebt.“

Helene betrachtete zufrieden ihr Werk. „KRYPTON KRAX in Concert“ stand in fetten schwarzen Buchstaben auf blutrotem Hintergrund. „Die Senkrechtstarter aus Transsilvanien – VampPunk, der ins Blut geht!“ Darunter konnte man lesen, wo und wann das Konzert stattfand.

„Das wird so was von zensatoi futzi“, sagte Helene, als sie weitergingen und an einem Ahornbaum stehen blieben. „Ich kann es kaum erwarten. Schon bei dem Gedanken an das Konzert kitzelt es in meinem Bauch, als hätte ich ein Dutzend Flohkrebse verschluckt.“

Silvania hielt Helene ein Döschen mit Reißzwecken entgegen. Helene nahm vier Stück heraus und reichte sie Daka, die das nächste Plakat am Stamm des Ahorns aufrollte. „KRYPTON KRAX – sind sie zu laut, bist du zu schwach“ stand darauf. „Vampirisch abfeiern und Blut schwitzen!“

Daka steckte die Reißzwecken in den Mund. Dann spuckte sie jede einzelne gekonnt und kraftvoll genau an eine Ecke des Plakats. Sie schielte zu ihrer Schwester. „Gegen Reißzwecken-Rotzen hat Mama keine radikale Regel aufgestellt.“

„In zwei Tagen sind sie da!!!“, sagte Helene, die nur noch an eins denken konnte – das Konzert von Krypton Krax.

„Du meinst vor allem: Dann ist Murdo da“, warf Silvania ein.

Helene grinste.

Silvania musterte ihre Freundin besorgt. „Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie sehr du dich auf das Wiedersehen mit Murdo freust. Aber bitte versprich mir, dass du vorsichtig bist. Immerhin ist Murdo …“

„… ein Vollblutvampir, der vom besonders blutrünstigen Geschlecht der Transgiganten abstammt. Ich weiß.“ Helene trat ein Stück vom Ahornbaum zurück.

„Nach dem langen Flug aus Transsilvanien hat er sicher ’nen Riesendurst“, warf Daka ein.

„Ihr müsst euch keine Sorgen machen. Das mit Murdo und mir, das ist mehr als nur eine Essensverabredung“, erwiderte Helene.

„Hat er das gesagt? Hat er gesagt, dass er mehr von dir will als nur dein Blut?“, hakte Silvania nach.

Helene wickelte eine blonde Haarsträhne um den Zeigefinger. „Na ja, er hat geschrieben, dass er mit mir in den Wolken schweben möchte und mir gerne das Herz stehlen würde. Und dass er mich zum Fressen lieb hat. Und dass er mich zum Anbeißen findet.“

Silvania und Daka warfen sich einen vielsagenden Blick zu.

Eine Frau in einer rosafarbenen Strickjacke trat mit einem Mops an den Ahornbaum. Sie studierte interessiert das Plakat, während ihr Mops unten am Baumstamm seinem Geschäft nachging.

„Wir müssen auf sie aufpassen“, flüsterte Daka ihrer Schwester zu.

„Was tuschelt ihr denn da?“, fragte Helene und reckte den Hals. Zur Sicherheit überprüfte sie, ob sie ihr Hörgerät eingeschaltet hatte.

„Ach, nichts. Ich habe nur gerade gesagt, dass ich es cool fände, wenn ich mit Krypton Krax auf der Bühne stehen könnte“, erwiderte Daka. „Ich am Schlagzeug und du am Cello, das wär’s doch!“ Daka nickte Silvania zu.

Silvania spitzte nachdenklich die Lippen. Eigentlich wollte sie Jacob zum Konzert einladen und eigentlich ganz dicht neben ihm stehen. Für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass Krypton Krax ein langsames, romantisches Lied spielten. Aber mit einer Band wie Krypton Krax auf der Bühne zu stehen – wann hatte man schon diese Gelegenheit? Und wenn Jacob sie auf einer Bühne am Cello sah und das Publikum ihr zujubelte, das würde sicher Eindruck machen.

„Meinetwegen könnt ihr stehen oder hängen, wo ihr wollt“, sagte Helene. „Ich stehe beim Konzert auf jeden Fall in der ersten Reihe, direkt vor Murdo.“

„Was ist mit Ludo?“, fragte Daka auf einmal.

„Was soll sein mit dem Verräter?“ Helene presste die Lippen aufeinander.

„Wollen wir ihn nicht auch zum Konzert einladen?“, fragte Daka.

„Pah!“, machte Helene. „Schon vergessen? Ludo Schwarzer hat mein Tagebuch geklaut!“

„Und es immer noch nicht zurückgegeben“, fügte Silvania hinzu.

„Meint ihr echt? Ich weiß nicht. Was soll Ludo denn mit deinem Tagebuch?“, fragte Daka.

„Wahrscheinlich macht er gerade Kopien und tapeziert damit sein Zimmer.“ Helene schnaufte.

„Gumox! Ludo kann hellsehen. Was sollte er an deinem Tagebuch spannend finden?“, fragte Daka.

„Immerhin hat er nie abgestritten, dass er es genommen hat. Vielleicht interessiert er sich ja für Helene.“ Silvania zog eine Augenbraue hoch.

„Hä?“, machte Daka und Helene guckte wie „Hä“.

„Na schön. Vielleicht hat er es aus Versehen eingepackt, aus reiner Neugierde – warum auch immer. Er könnte sich langsam mal entschuldigen und es zurückgeben“, fand Silvania.

„Es sei denn, er hat es nie genommen“, sagte Daka. „Dann müssten wir uns langsam mal entschuldigen.“

Einen Moment dachten Silvania und Helene darüber nach.

„Wenn Ludo mein Tagebuch echt nicht genommen hat, dann …“, begann Helene.

„… hat es vielleicht jemand anderes genommen. Irgendjemand, der sich für dein Leben und deine Gedanken interessiert“, sagte Daka.

„Dein Vater?“, fragte Silvania.

„Der würde sich eher mit dem Bohrer ein Loch ins Knie bohren, als etwas von mir zu klauen!“, erwiderte Helene.

„Wer auch immer dein Tagebuch hat – ob es Ludo ist oder ein anderer –, er weiß jetzt alles über dich, deine Gedanken, deine Träume …“, sagte Silvania.

„Und alles über meine Freundinnen“, warf Helene ein.

Silvania und Daka horchten auf.

„Na ja. Schließlich steht alles über euch in meinem Tagebuch. Dass ihr Halbvampire seid, dass euer Papa ein echter Vampir ist, dass ihr fliegen und flopsen könnt, all das.“

Silvania und Daka sahen sich an. „Fumpfs!“

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Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
11 kasım 2021
Hacim:
155 s. 9 illüstrasyon
ISBN:
9783732004478
Yayıncı:
Telif hakkı:
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