Kitabı oku: «Die Vampirschwestern – Eine Freundin zum Anbeißen», sayfa 2
Die neuen Nachbarn
Dirk van Kombast hatte die Nacht schlecht geschlafen. Er stand vor dem Badezimmerspiegel und strich sich mit seinen schlanken Fingern über das gebräunte Gesicht. Er war Ende dreißig, doch die meisten Leute schätzten ihn jünger. Dass sie das heute auch tun würden, bezweifelte er. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe. Daran waren die neuen Nachbarn schuld. Sie waren die Nacht über zwar nicht laut gewesen. Viel schlimmer: Sie waren verdächtig!
Er biss seine schneeweißen Zähne aufeinander, zog die Mundwinkel hoch und sagte zum Badezimmerspiegel: „Einen wunderschönen guten Tag. Mein Name ist van Kombast. Dirk van Kombast. Es freut mich außerordentlich, Sie endlich kennenzulernen. Ach? Sie kennen unsere Produktpalette noch nicht? Na, meine Liebe, dann wird es aber höchste Zeit!“
Dirk van Kombast lehnte sich weiter zum Spiegel vor und kratzte mit seinem langen Fingernagel den Rest vom Kräuterfrischkäse, mit dem er jeden Morgen sein Brot beschmierte, aus einem Zahnzwischenraum. Während er sich Ultra-Strong-Gel in die kurzen blonden Haare knetete, überlegte er, ob er statt der himmelblauen Kontaktlinsen doch lieber die katzengrünen reinmachen sollte. Die würden besser zu seinem neuen Polohemd passen.
Dirk van Kombast wohnte im Lindenweg 21. Er war Pharmavertreter. Er fuhr mit einem Koffer voller Pröbchen von Arztpraxis zu Arztpraxis. Die Ärzte mochten ihn. Die Ärztinnen noch mehr. Ganz besonders mochten ihn die Krankenschwestern.
Dirk van Kombast spielte mit einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt Squash, er ging einmal die Woche mit einem Kollegen schwimmen, einmal im Monat zum Friseur und zweimal im Jahr zur Zahnreinigung. Aber er hatte keine Freunde. So kam es, dass niemand Dirk van Kombast richtig kannte. Erst recht nicht sein Geheimnis.
Er sprühte sich gerade mit seinem Lieblingsduft ein (Ginseng-Patschuli), als es klingelte. Nicht ein Mal. Gleich drei Mal hintereinander. Verärgert stellte Dirk van Kombast den Flakon auf die Badanrichte. Dann überprüfte er im Spiegel sein Nussknackerlächeln, das er routiniert aufsetzte. Man wusste nie, wer vor der Tür stand.
Schwungvoll riss er die Haustür auf und schenkte den vier Gestalten davor sein Vertreterlächeln. „Einen wunderschönen guten Tag. Mein Name ist Dirk van Kombast. Was kann ich für Sie tun?“
Ein schlanker Mann mit einem schwarzen Umhang und einem grotesk gekringelten, langen Schnauzer ergriff Dirk van Kombasts Hand, zog ihn an sich und gab ihm mit der anderen Hand eine Kopfnuss. „Hallo. Wir sind die neuen Nachbarn.“
„Elvira Tepes.“ Eine zierliche, rothaarige Frau schob sich vor den Schnauzträger und reichte Dirk van Kombast die Hand. „Unsere Töchter: Silvania und Dakaria.“
Silvania lächelte und machte einen Knicks. Daka sah Dirk van Kombast durch die langen schwarzen Ponysträhnen hindurch an und zog eine Seite der Oberlippe hoch.
Dirk van Kombast fasste sich an den Kopf. Die Kopfnuss war kräftig gewesen – und vollkommen unerklärlich. Was war diesem Herrn Tepes nur in den Sinn gekommen? Das waren also die neuen Nachbarn, wegen denen er in der Nacht kaum ein Auge zubekommen hatte. „Ach, wie nett. Die neuen Nachbarn!“ Er musterte Elvira Tepes mit Kennerblick, bis sich Herr Tepes vor seine Frau schob.
„Wir freuen uns auf eine gute, lange und herzliche Nachbarschaft.“ Herr Tepes reichte Dirk van Kombast eine Flasche.
„Was ist das?“
„Karpovka. Der beste transsilvanische Schnaps.“
„Nein, ich meine das da.“ Dirk van Kombast zeigte auf einen grüngelben Kringel am Boden der Flasche.
„Das ist die Spezialität.“ Herr Tepes strahlte. „Eine Afterraupe. Die gibt dem Karpovka den unverkennbaren Geschmack. Wollen wir gleich mal ein Gläschen … so zum Kennenlernen?“
„Äh … ich trinke nie am Vormittag. Und am Nachmittag eigentlich auch nicht.“
„Na, dann vielleicht mal am Abend, was?“
„Sie können auch gerne zum Kaffee zu uns kommen“, warf Frau Tepes ein.
„Danke, sehr liebenswürdig.“ Dirk van Kombast hatte sein Lächeln wiedergefunden. „Woher, sagten Sie, kommen Sie?“
„Aus Transsilvanien“, antwortete Herr Tepes.
„Aus Siebenbürgen“, verbesserte ihn Frau Tepes. „Das heißt – eigentlich nur mein Mann. Ich bin in Deutschland geboren.“
„Interessant.“ Dirk van Kombast musterte die beiden Mädchen. „Und ihr zwei seid ja schon richtige Damen. Fast so hübsch wie die Mama.“
Die eine mit den halblangen rotbraunen Haaren kicherte und hielt sich dabei die Hand vor den Mund.
„So ein Blödsinn“, brummte Daka und verschränkte die Arme.
„Ich bin sicher, wir werden sehr gute Nachbarn. Sie können jederzeit bei mir klingeln“, sagte Dirk van Kombast mit einem cremigsüßen Lächeln an Frau Tepes gewandt.
„So. Jetzt müssen wir aber los.“ Herr Tepes hob einen Beutel hoch, in dem mehrere Schnapsflaschen klapperten. „Sie sind schließlich nicht der einzige Nachbar.“ Einen Moment funkelten Herrn Tepes’ schwarzbraune Augen den Nachbarn an, doch Dirk van Kombast hielt dem Blick mit seinen katzengrünen Kontaktlinsen stand.
Die Tepes verabschiedeten sich, und Elvira Tepes konnte die Hand von ihrem Mann gerade noch zurückziehen, als er Dirk van Kombast zum Abschied eine Kopfnuss geben wollte.
Sie klapperten die umliegenden Häuser im Lindenweg ab, doch die meisten Nachbarn waren entweder nicht zu Hause oder öffneten nicht. Herr Tepes machte ein enttäuschtes Gesicht. „Ich verstehe das nicht. In Bistrien würde schon längst das ganze Dorf feiern, und die Hälfte der Karpovkaflaschen wäre leer.“
„Nachbarn in Deutschland sind eben etwas anderes als in Bistrien“, sagte Frau Tepes, als sie zurück nach Hause gingen.
„Deine Kopfnüsse kamen jedenfalls schon mal nicht so toll an“, warf Silvania ein.
„So begrüßt man sich nun mal anständig“, murrte Herr Tepes.
„In Transsilvanien. Nicht hier.“
Herr Tepes schüttelte den Kopf. „Wenn ich nicht mit einem Menschen verheiratet wäre und es besser wüsste, würde ich sagen, die Menschen sind alle verhaltensgestört.“
Silvania stöhnte, Daka kicherte, und Frau Tepes gab ihrem Mann einen Klaps auf den Arm. Dann gingen sie ins Haus.
Die Tepes merkten nicht, wie im Reihenhaus nebenan langsam und geräuschlos ein Fenster geschlossen wurde.
Rolltreppe abwärts
Silvania zog sich den Hut gegen die Sonnenstrahlen tiefer ins Gesicht. Ihre Haut glänzte wie ein Speckstein. Frau Tepes hatte ihre Töchter nicht aus dem Haus gelassen, bevor sie sich mit Sonnencreme, Lichtschutzfaktor 100, von oben bis unten eingecremt hatten. Und bevor sie die sieben radikalen Regeln für das Leben von Halbvampiren unter Menschen aufgesagt hatten, die ihre Mutter aufgestellt hatte:
1. Kein Fliegen bei Tageslicht
2. Keine lebenden Mahlzeiten (auch keine Snacks wie Fliegen, Käfer oder Würmer)
3. Ausreichend Sonnenschutz (Sonnencreme, Hut, Sonnenbrille etc.)
4. Haustiere wie Blutegel, Mücken, Zecken und Flöhe bleiben zu Hause
5. Spiegel, Spiegelreflexkameras und Knoblauch sind zu meiden
6. Kein Einsatz übernatürlicher Kräfte (wie Hypnotisieren, Belauschen oder Flopsen)
7. Wöchentliche Dentiküre
Punkt sieben hatten die Zwillinge am Morgen schon hinter sich gebracht. Seit der ersten Dentiküre unter Anleitung einer Kosmetikerin in Bistrien waren die Eckzähne schon wieder ein gutes Stück nachgewachsen. Bei Daka und Silvania wurden sie nie so lang wie bei Herrn Tepes, der die Zähne unter seinem Lakritzschnauzer versteckte. Aber lang genug, um ängstlichen Menschen einen Schrecken einzujagen. Deswegen mussten die Zwillinge sie wöchentlich etwas kürzer feilen. Das einzig Unangenehme daran waren die Quietschgeräusche. Silvania feilte die Eckzähne am liebsten rund, wogegen Daka sie schön spitz feilte. Sie fand, das sah viel cooler aus. Außerdem waren spitze Zähne praktisch, um Plastiktüten aufzubekommen, sich an der Zunge zu kratzen oder eine kleine Zwischenmahlzeit wie eine Fliege aufzuspießen (womit Daka allerdings gegen die zweite radikale Regel verstieß. Aber mit Regeln nahm es Daka grundsätzlich nicht so genau).
Silvania und Daka waren also mit Sonnencreme, frisch gefeilten Zähnen und den sieben radikalen Regeln im Kopf bestens auf den Ausflug in die Stadt vorbereitet. Frau Tepes wollte sich im Stadtzentrum nach einer geeigneten Immobilie für ihren Laden umsehen. Herr Tepes zog es vor, ein Nickerchen im Sarg zu machen.
Sie liefen den Lindenweg entlang. Als sie am Haus Nummer 21 vorbeikamen, sagte Silvania zu ihrer Schwester: „Also, ich fand diesen Dirk van Kombast wirklich nett.“
„Nett? Der ist total eklig“, meinte Daka.
Silvania verdrehte die Augen. „Du hast keine Ahnung von Männern. Er sieht wahnsinnig gut aus.“
„Dafür riecht er wahnsinnig schlecht. Hast du nicht gemerkt, dass unter seiner Parfümwolke eine Knoblauchfahne lag?“
„Ach, die war doch nur ganz schwach.“
„Und wie er uns angeguckt hat mit seinen Katzenaugen.“ Daka schüttelte sich. „Mir ist der Kompostkerl nicht geheuer.“
„Er heißt nicht Kompost, sondern van Kombast. Bestimmt stammt er aus einer Adelsfamilie. Deswegen hat er so gute Umgangsformen.“
Daka schnaufte. „Wenn du dich immer so schnell um den Finger wickeln lässt, nur weil dich jemand als hübsche Dame bezeichnet, na dann boi noap.“
„Ich lasse mich von niemandem irgendwo herumwickeln!“
„Daka! Silvania! Kommt ihr endlich?“ Frau Tepes, die mit schnellen kleinen Schritten ein paar Meter vor den Zwillingen lief, drehte sich um.
Daka und Silvania legten einen Schritt zu. „Wie weit ist es denn noch bis zu dieser U-Bahn? Können wir nicht ins Stadtzentrum fliegen?“, stöhnte Daka. Von Bistrien waren es die Schwestern nicht gewohnt, längere Strecken zu laufen. Zum einen war Bistrien viel kleiner als Bindburg, und zum anderen wurde dort geflogen und geflopst, was das Zeug hielt.
„Nein, können wir nicht. Ich sowieso nicht, und ihr auch nicht. Denkt an Punkt eins der radikalen Regeln: Tagflugverbot!“
„Können wir wenigstens bei der radikalen Regel Nummer sechs eine Ausnahme machen und ein Stückchen flopsen?“, versuchte es Daka.
Als Halbvampire konnten sich Silvania und Daka blitzschnell von einem Ort zum anderen bewegen. Es war wie eine Art Beamen. Aber es funktionierte nur bei geringen Entfernungen und war sehr anstrengend. Dafür sehr effektiv.
Elvira Tepes warf ihrer Tochter einen Blick zu, der jede Diskussion ausschloss.
„Okay, okay. Wir laufen und nehmen die U-Bahn“, murmelte Daka. „Wie jeder stinknormale Mensch.“
Ein paar Meter und Häuserecken weiter und ein paar Minuten später sahen sie das blau-weiße U-Bahn-Haltestellen-Schild. Frau Tepes eilte mit kleinen Tippelschritten auf die Rolltreppe zu, die nach unten führte. Daka folgte ihr, sah dabei aber nach oben. Das hätte sie nicht tun sollen.
„Schlotz zoppo!“, rief sie vor Schreck, als sie merkte, dass sich der Boden unter ihren Füßen bewegte. Doch es war zu spät. Daka wedelte mit den Armen, verlor das Gleichgewicht, kippte nach hinten und knallte mit ihren Hinterbacken auf die harte Rolltreppenstufe. „AUA!“
Silvania war vor der Rolltreppe stehen geblieben und sah ihrer Schwester mit großen Augen nach. Sie wollte ihr helfen, aber wagte sich nicht auf die rollende Treppe. Frau Tepes hatte Dakas Sturz mitbekommen und stürmte die Treppe wieder hinauf, um ihrer Tochter auf die Beine zu helfen.
„Was ist? Fährst du runter, oder worauf wartest du?“, fragte auf einmal eine brüchige Stimme hinter Silvania.
Silvania fuhr herum. Vor ihr stand ein schlaksiger, dunkelblonder Junge. Er war vielleicht zwei, drei Jahre älter als sie selbst. „Ich, ähm …“
„Silvania! Los, komm schon, wir fangen dich auf!“, rief in dem Moment Frau Tepes vom unteren Ende der Rolltreppe.
Der Junge zog eine Augenbraue hoch. „Na dann“, sagte er und deutete auf die Treppe.
Silvania wurde heiß und kalt. Bestimmt breiteten sich schon rote Ränder um ihre Augen aus. Die tauchten immer auf, wenn sie nervös war. Silvania schielte auf die glänzenden, silberfarbenen Metallstreifen der Rolltreppe, die unaufhörlich wie aus einem geheimen Reich hervortraten und sich in eine Stufe verwandelten. „Willst du nicht lieber zuerst …“ Sie lächelte dem Jungen zu, obwohl ihr nach Heulen zumute war. Von Rolltreppen hatte sie zwar schon gelesen, aber sie war noch nie auf einer gefahren.
Er schüttelte den Kopf. „Ladys first.“
Silvania nickte schwach. Normalerweise war sie ein Fan von Höflichkeiten, aber manchmal waren sie einfach nur lästig. „Okay, dann … tja, dann gehe ich mal.“ Silvania schob ihren rechten Fuß vor, sodass er beinahe die silbernen Streifen berührte. Sollte sie einfach auf die Stufen hüpfen? Eins wollte sie auf keinen Fall: Wie ihre Schwester vor diesem Jungen auf dem Allerwertesten landen. Da fiel Silvania auf, dass sich der schwarze, breite Gummirand des Treppengeländers ebenfalls nach unten bewegte. Das war die Lösung!
Silvania drehte sich zu dem Jungen um, lächelte ihm zu und kletterte rücklings auf das Treppengeländer. Sie legte sich flach darauf und umklammerte es mit Händen und Füßen. „Tschüss, war nett, dich kennenzulernen“, rief sie dem Jungen zu, während sie in die Tiefe fuhr. Der Junge sah ihr mit offenem Mund nach.
Am unteren Treppenende nahmen Frau Tepes und Daka Silvania in Empfang. „Potztausend! Ich habe nicht daran gedacht, dass das eure erste Rolltreppe ist. Entschuldigt“, sagte Frau Tepes und strich ihren Töchtern über die blassen Arme. Sie gab ihnen Tipps für alle zukünftigen Rolltreppen. Insgeheim hofften sowohl Daka als auch Silvania, nie wieder so ein Metallmonster betreten zu müssen. Doch das würde in der Großstadt schwierig werden.
Nachdem sie den Fahrkartenautomaten und die U-Bahn-Fahrt erfolgreich gemeistert hatten, wartete beim Ausstieg im Stadtzentrum die nächste Rolltreppe auf sie. Doch hier herrschte so viel Gedränge, dass Daka nicht nach hinten umfallen konnte. Sie sprang mit einem Schlusssprung auf eine Stufe und hielt sich am Taschenriemen des Vordermannes fest, der davon nichts mitbekam. Silvania umklammerte mit beiden Händen das Treppengeländer, während ihre Mutter sie auf die Rolltreppe schob und an der Taille festhielt.
Als die Rolltreppe aus den dunklen Tiefen ins Tageslicht auf dem Rathausplatz fuhr, atmete Frau Tepes tief ein. „Ah! Großstadtluft! Wie habe ich die vermisst.“
Daka und Silvania blinzelten. Ihnen hatte es im U-Bahn-Tunnel eigentlich besser gefallen. Daka hatte sogar ein paar Ratten gesehen und ein klitzekleines bisschen Appetit bekommen.
„Ist es nicht wunderschön!“, sagte Frau Tepes und deutete zum Rathaus, als sie auf dem Platz standen. Das Rathaus war ein spätgotisches Gebäude und hatte fünf große Türme. Auf dem höchsten Turm in der Mitte stand eine Ritterstatue.
„Sind das etwa …“, begann Daka und deutete auf den Kopf des Ritters.
„Tauben?“, kreischte Silvania.
„Ähm … was? Ich sehe keine“, sagte Frau Tepes schnell, schnappte die Mädchen an der Hand und führte sie durch das Gedränge in die Einkaufsstraße.
Mit den Tauben und den Zwillingen war das so eine Sache. Sie hatten ein Tauben-Trauma. Das kam so: Wie die meisten Vampire lernten auch die Halbvampire Daka und Silvania mit ungefähr fünf Jahren fliegen. Daka ging für ihr Leben gerne in die Luft und tollte herum. Silvania war etwas zurückhaltender. Sie fühlte sich auf dem Boden wohler. Doch am Ende des fünften Lebensjahres flogen die Zwillinge, als wären sie Vollblutvampire. Ihr Papa war sehr stolz auf sie. Mit sechs Jahren flogen sie zum ersten Mal alleine los. Sie flogen eine große Runde, fast bis zur nächsten Stadt. Da kam ihnen ein Schwarm Ringeltauben entgegen. Daka war der Meinung, dass sie und ihre Schwester Vorfahrt hatten. Der Meinung waren die Ringeltauben nicht. Daka und Silvania gerieten mitten in den Schwarm. Die Tauben, die sehr stolz waren, fühlten sich angegriffen. Sie hackten, kratzten und kackten auf die Schwestern ein. Völlig zerzaust, zerkratzt und beschissen kamen Daka und Silvania mit letzter Kraft zu Hause an. Von da an wussten sie, dass Tauben immer Vorfahrt haben. Und von da an hatten sie ein Tauben-Trauma.
Deshalb zog Frau Tepes ihre Töchter schnell vom Rathaus mit den Tauben weg. Sie führte sie von einem Laden und von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten. Wobei die Sehenswürdigkeiten echte Insidertipps waren: „Hier bin ich früher immer mit meiner Oma Eis essen gegangen … und hier stand im Winter meistens ein Eislaufring … dort am Springbrunnen habe ich mich immer mit meinen Freundinnen getroffen … da drüben beim Bäcker gab es den besten Pflaumenkuchen. Ach, da ist ja jetzt ein Fleischer drin …“
Silvania lächelte und nickte ihrer Mutter zu, während sie aus den Augenwinkeln die Menschen beobachtete. Sie sahen nicht viel anders aus als die Menschen in Transsilvanien. Aber es waren so viele! Dicke, dünne, weiße, farbige, alte, junge, blonde, brünette, hastige, Schlenderer, gut gelaunte, schlecht gelaunte, stinkende und duftende. Silvania fragte sich, ob die Menschen merkten, dass sie anders war. Sie hoffte nicht.
Daka fand, dass die Menschen in Bindburg vollkommen anders aussahen als die Bewohner von Bistrien. Niemand hier hatte dunkelrote oder lilafarbene Augen. Oder orangefarbene, wie der Sänger von Krypton Krax. Die Menschen wirkten hektisch, alle hatten es wahnsinnig eilig. Aber im Vergleich zu einem Vampirleben war so ein Menschenleben ja auch ziemlich kurz, da musste man wohl Tempo machen. Vielleicht lag es am Tempo, dass sie alle rosiger aussahen als die Einwohner von Bistrien. Oder am Tageslicht. Bistrien war fast ausschließlich eine unterirdische Stadt. Jahrhundertealte Gänge und Häuser aus Stein befanden sich ein paar Meter unter der Erde. Es gab auch eine Haupteinkaufsstraße wie diese hier, aber die Läden waren viel kleiner. Meistens wurden selbst hergestellte Produkte verkauft: coole Umhänge, Sonnenhüte und Flughauben, aber auch Beißringe, Blutpressen oder extragroße Fleischwölfe. Und dann gab es natürlich den Haustierladen mit jeder Menge Rennzecken, Blutegeln, Flöhen und Mücken.
Daka seufzte. Sie vermisste es jetzt schon, durch die halbdunklen, verschlungenen Gänge von Bistrien zu sausen. Aber sie wollte ihrer Mama nicht den Ausflug verderben und einen Flunsch ziehen. Heimlich steckte sie sich kleine Kopfhörer in die Ohren und hörte Krypton Krax. Dazu wackelte sie im Rhythmus mit dem Kopf. Es sah aus, als würde sie nicken. Frau Tepes erzählte. Es war ein harmonischer Ausflug.
Auf dem Rückweg zur U-Bahn entdeckten sie in einer Nebenstraße zur Einkaufsmeile einen kleinen Laden. Bis auf einen alten Stuhl und zerknüllte Zeitungen auf dem Fußboden war er leer. Elvira Tepes blieb wie vom Blitz getroffen stehen. An der Scheibe hing ein Zettel: „Provisionsfrei zu vermieten. Anruf unter: 25 984 561.“
Eine Sekunde später klebte Frau Tepes mit der Nase an der Schaufensterscheibe und murmelte vor sich hin: „Potztausend, genau so etwas habe ich gesucht!“ Sie rief sofort mit dem Handy die Nummer an. Wie sich herausstellte, wohnte der Vermieter direkt über dem Laden. Er schlug eine sofortige Besichtigung vor, der Frau Tepes freudig zustimmte.
Der Vermieter, der Frau Tepes sogleich das „Du“ anbot und sich als „Peter“ vorstellte, obwohl er bestimmt schon über 45 war, wirkte sehr sympathisch. Er hatte graublonde Haare, die sich an der Stirn schon etwas zurückzogen. Um den Mund und auf der Stirn hatte er viele Falten, aber seine Augen funkelten. Vor allem, wenn er mit Elvira Tepes sprach.
Er führte sie im Laden herum, was mit fünf Schritten erledigt war. Der Raum war nicht größer als das Zimmer der Zwillinge. Im hinteren Bereich gab es eine kleine Küche und ein Klo. Das war alles.
Frau Tepes war völlig aus dem Häuschen. Das brachte Peter auch ganz aus dem Häuschen. „Und hier könnte der Verkaufstresen stehen“, sagte Elvira Tepes.
„Oh ja, ein wunderbarer Platz für den Tresen“, stimmte der Vermieter zu.
„Dort an die Wand würde eine Ausstellungsvitrine passen.“
„Eine Vitrine! Tolle Idee!“ Peter strahlte.
„An die Wand gegenüber vielleicht ein gemütliches Sofa für die wartende Kundschaft?“
„Das hat Stil“, bestätigte Peter.
„Und wo sollen die ganzen Klobrillen hin?“, warf Daka ein, die die Kopfhörer aus den Ohren genommen hatte.
„Klobrillen?“ Peter blickte fragend zwischen Daka und Elvira hin und her.
Elvira winkte ab. „Dafür finden wir schon eine Lösung. Vielleicht …“, Elvira strahlte Peter mit ihren nachtblauen Augen an, „können wir die Einzelheiten des Mietvertrags ja bei einem Kaffee klären?“
„Gute Idee.“
Peter und Elvira verabredeten sich. Für die Einzelheiten. Zum Kaffeetrinken. Und für einen „guten Start in ein langes, intensives, glückliches Mietverhältnis“, wie Peter hinzufügte.
Frau Tepes war begeistert. Sie hätte nie gedacht, dass sie so schnell so einen tollen Laden finden würde. Und sie dachte nicht eine Sekunde daran, dass Peter Grund für Ärger sein würde. Großen Ärger.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.