Kitabı oku: «Seewölfe Paket 35», sayfa 28

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5.

März 1598.

„… er ist fast noch ein halbes Kind.“ Die Stimme, die das sagte, klang zwar bärbeißig, entbehrte aber keineswegs eines sympathischen Untertons. Wahrscheinlich hätte ich in dem Moment jede menschliche Stimme als angenehm empfunden.

Ich befand mich in einem eigenartigen Zustand zwischen Wachen und Ohnmacht, unfähig, mich zu artikulieren, doch keineswegs von allen Wahrnehmungen ausgeschlossen.

Starke Arme hoben mich hoch.

Für einen winzigen Moment gelang es mir, die Augen zu öffnen. Ich sah nur blendende Helligkeit und, falls der Eindruck nicht trog, ein rotbraunes Lateinersegel im Hintergrund.

„Ist er tot?“ fragte eine zweite Stimme aus der Höhe, wahrscheinlich von Bord des Schiffes. Sie klang merkwürdig hell.

„Der Junge lebt noch. Er atmet flach, und eben hatte er die Augen offen.“

„Wer mag er wohl sein?“

„Wenn Gott will, Cynthia, erfahren wir es von ihm.“

„Und wenn nicht, Dad?“

Der Mann trug mich eine Jakobsleiter hinauf. Ich merkte es an der Bewegung. Andere hilfreiche Hände griffen zu, hoben mich über die Verschanzung und legten mich auf die Decksplanken.

Jemand wischte mir das Haar aus der Stirn. Das mußte Cynthia sein, der Stimme nach zu schließen ein junges Mädchen.

„Er ist nur noch Haut und Knochen, und seine Wunden eitern.“

„Wer weiß, wie lange er schon auf der Gräting treibt. Wahrscheinlich hat er seit Tagen nichts zu sich genommen.“

Ich fror, obwohl mir jemand die nassen Plünnen auszog, mich kräftig abrubbelte und anschließend in Wolldecken hüllte. Die Kälte drang aus meinem Inneren, sie ließ sich nicht so einfach vertreiben.

Plötzlich klangen alle Geräusche unsagbar weit entfernt.

Dann war nichts mehr.

Bei meinen nächsten Erwachen spürte ich ein feuchtes Tuch auf der Stirn. Die Berührung war überaus angenehm.

Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, fiel ich erneut in einen unruhigen Dämmerzustand, in dem mir Alpträume zusetzten. Später sagte mir Cynthia, daß ich den Tag, die darauffolgende Nacht und sogar noch bis weit in den nächsten Tag hinein geschlafen hätte. Zum Ende hin war mein Schlaf jedoch unruhig geworden, und ich hatte häufig um mich geschlagen und geschrien. Damit ich mich nicht verletzte, wurde ich zeitweise auf der Koje festgebunden.

Als ich endlich die Augen aufschlug, schwebte ein engelsgleiches Geschöpf über mir. Helle Locken von der Farbe reifen Sommerweizens umrahmten zwei strahlend blaue Augen.

„Geht es dir besser?“ fragte sie.

Ich konnte nichts sagen und nur nicken. Daraufhin setzte mir Cynthia vorsichtig einen Becher an die Lippen und gab mir zu trinken. Ich verschluckte mich und mußte husten.

„Nicht so hastig. Das ist warme Ziegenmilch.“

Was sie sagte, wirkte beruhigend, und die Milch tat unbeschreiblich gut. Nach einer Weile fühlte ich mich wieder stark genug zum Aufstehen, doch Cynthia drückte mich auf die Koje zurück. Sie war bestimmt fünf oder sechs Jahre älter als ich und erstaunlich kräftig.

„Wer ist Masterson?“ fragte sie überraschend. Ich muß wohl ein ziemlich dummes Gesicht gezogen haben, denn sie lachte glockenhell. „Wenn du dich sehen könntest!“

Ich reagierte vor allem erschrocken.

„Woher kennst du den Namen?“

„Du hast im Fieber ununterbrochen geredet. Wir fürchteten schon, daß du sterben würdest, aber wie es aussieht, bist du endlich über den Berg.“

Sie erinnerte mich an Mutter, die immer genauso dagesessen und meine Hand gehalten hatte. Deshalb erzählte ich ihr von der „Seawind“ und wie es mich zur Seefahrt verschlagen hatte. Cynthia war eine aufmerksame Zuhörerin.

Als ich die Sprache auf die Haie brachte, die meine Gräting belauert hatten, sagte sie plötzlich: „Mein Gott, wir reden und reden, und ich weiß noch nicht mal deinen Namen, nur daß du aus London stammst.“

„Clinton Wingfield“, sagte ich, „meine Freunde nennen mich Clint.“

Warum ihre Wangen in dem Moment eine tiefrote Farbe annahmen, verstand ich damals noch nicht. Später versprach ich zwar, sie in ihrer Heimatstadt zu besuchen, doch inzwischen trennen uns schon wieder Ozeane.

Mit vollem Namen hieß sie Cynthia Elizabeth Mayfield. Sie stammte aus Brighton, einer Hafenstadt in Sussex, und sie hatte ihren Vater und ihren Onkel, der übrigens der Kapitän des Schiffes war, auf einer Reise in den Golf von Guinea begleitet. Mein Glück war gewesen, daß die „Good Luck“ eine Woche früher als geplant wieder auf Heimatkurs lag.

Cynthia kümmerte sich rührend um mich und mir schien, daß sie eine Aufgabe gefunden hatte, die sie erfüllte. Sie brachte mir zu essen und verband meine immer noch schwärenden Wunden. Und sie erzählte mir, wie wunderschön die See sei. Stürme schienen sie nicht weiter zu beunruhigen. Mir blieb genügend Zeit, meine Meinung über die christliche Seefahrt zu ändern.

Am dritten Tag fühlte ich mich wieder stark genug, aufzustehen und auf Erkundung zu gehen. Die Mannschaft war freundlich und behandelte mich keineswegs wie den letzten Dreck.

Als ich die Kuhl betrat, schien zwar die Sonne, doch ein unangenehm kalter Nordostwind herrschte. Die See lag ruhig, nur ein paar helle Schaumkronen waren zu sehen, und achteraus zeichnete sich wolkenverhangen die afrikanische Küste ab.

Unwillkürlich suchte ich die Kimm nach fremden Segeln ab, doch die „Good Luck“ war allein und blieb es den ganzen Tag über. Kein Spanier versuchte, uns zu kapern.

Beim abendlichen Backen und Banken, das ich erstmals im Kreis der Mannschaft genoß, erwähnte Cynthias Vater wie beiläufig, daß die Karavelle als ersten englischen Hafen London anlaufen würde. Ich geriet völlig aus dem Häuschen und vergaß beinahe, daß wir noch einige Wochen unterwegs sein würden.

Ich war nicht mehr der zehnjährige Junge, der im einen Moment himmelhoch jauchzen und im nächsten zu Tode betrübt sein konnte und schnell resignierte. Inzwischen hatte ich gelernt, mich im Leben durchzubeißen und hatte mehr Erfahrungen gesammelt als die meisten Stubenhocker mit zwanzig oder gar dreißig Jahren. Alle diese Leute, die sich nie den Wind um die Nase wehen ließen, konnte ich nur bedauern. Was hatten sie schon von ihrem Leben im Mief des Alltagstrotts?

Selbst in dem engen Verlies auf der Pattamar, das ich mit zwei Ratten teilen mußte, verlor ich nicht den Mut. Ich war ein Seemann geworden oder doch zumindest auf dem besten Weg dazu.

Eine Weile lauschte ich den Geräuschen, die von draußen hereindrangen und das einzige waren, was mich zur Zeit mit der Umwelt verband. Das Branden der See entlang des Rumpfes hatte sich verändert, es klang härter als zuvor, und in der Takelage rauschte und sang es in höheren Tonlagen. Ich schloß daraus, daß die Piraten am Wind segelten, was wiederum bedeutete, daß sie schneller mit Kurs auf die offene See liefen.

Suchten sie die Schebecke?

Die Ratten waren lästig und schienen nicht zu begreifen, daß ich nichts mit ihnen zu tun haben wollte. Kaum ließ ich mich in die Hocke nieder, attackierten sie mich von neuem. Ich kriegte die eine am Schwanz zu fassen und wirbelte sie blitzschnell hoch. Es gab ein leises knackendes Geräusch, als ich sie gegen das Schott schmetterte, sie zappelte noch kurz und hing dann leblos in meiner Hand.

Manche Menschen ekeln sich vor den vierbeinigen Nagern, ich hatte sie schon immer gejagt, weil es an den Themseufern zeitweise Heerscharen von Ratten gab und sie dann auch in unserem Haus die schlimmsten Plagegeister waren.

Den Kadaver warf ich achtlos in die Ecke, wo die zweite Ratte wenig später begann, ihren Artgenossen zu verspeisen.

So makaber es klang, ich war ebenfalls hungrig. Die Inder dachten offenbar nicht daran, sich näher mit mir zu befassen. Anfangs zögerte ich noch, mich durch lautes Pochen zu melden, später hielt ich es für unnötig, weil die Pattamar jeden Augenblick den Kurs der Schebecke kreuzen mußte. Aber dieses Später zog sich endlos hin, und ich konnte mich erst recht nicht mehr durchringen, die Piraten möglicherweise gegen mich aufzubringen.

Höchstens zwei Stunden waren vergangen, als sich die Geräuschkulisse erneut veränderte.

Ich hörte Segel knallen und wußte sofort, daß die Pattamar beidrehte. Wenig später näherten sich Schritte meinem Verlies, das Schott wurde aufgerissen und ich zum Mitkommen aufgefordert. Die Gesten des Inders waren eindeutig.

Ich bemühte mich, Haltung zu zeigen. Die Piraten sollten gar nicht erst glauben, mir könnte das hilflose Treiben im Meer oder die Gefangenschaft geschadet haben.

Ein unsanfter Stoß beförderte mich die letzten Stufen des Niedergangs hinauf an Deck. Die schon tief über dem Meer stehende rote Sonne blendete.

Ehe ich mich versah, wurden mir die Arme auf den Rücken gezerrt und die Hände mit Hanfstricken gefesselt.

„Verdammt, ihr lausigen Rübenschweine, was soll das?“ schimpfte ich. „Ich gehe euch schon nicht verloren.“

Den Ausdruck Rübenschweine – und noch einiges mehr – hatte ich dem Profos der Seewölfe abgelauscht. Daß ich ihn jetzt gebrauchte, gab mir irgendwie das Gefühl einer starken Hand im Hintergrund. Außerdem verstand mich keiner der Küstenpiraten, ich hätte ihnen also noch ganz andere, weniger schmeichelhafte Ausdrücke an den Kopf werfen können.

Daß ich es nicht tat, war einzig und allein meiner Überraschung zuzuschreiben, als ich das andere Schiff sah.

Eine portugiesische Zweimastkaravelle lag mit aufgegeiten Segeln gerade zehn Schritte neben der Pattamar. Drüben wurde ein Boot zu Wasser gelassen. Nacheinander enterten vier Decksleute, zwei mit Musketen bewaffnete Seesoldaten in ihren prächtigen Uniformen mit den federgeschmückten Hüten und ein Offizier ab. Sie pullten zu uns.

Ich hatte keineswegs den Eindruck, daß sich Piraten und Portugiesen feindselig gegenüberstanden. Eher war das Gegenteil der Fall. Die Mannschaften beider Schiffe schienen einander zu kennen.

Die Begrüßung zwischen dem kahlköpfigen Anführer der Inder und dem portugiesischen Offizier, der zusammen mit den Seesoldaten aufenterte, erfolgte zwar nicht mit Handschlag, aber doch mit vertraulichen Gesten.

Der Portugiese redete indisch. Er war ein kleiner Mann mit scharfgeschnittenen Zügen und kostbarer Kleidung, die seinen feisten Wanst allerdings nicht zu kaschieren vermochte. Ich kann nicht behaupten, daß er mir besonders sympathisch erschienen wäre – sein rotfleckiges, von Schweißperlen glänzendes Gesicht wirkte eher abstoßend. Seine Haltung zeugte von Arroganz, die der Inder jedoch geflissentlich übersah.

Sie redeten miteinander wie alte Bekannte. Daß sie über mich sprachen, bemerkte ich an den Blicken, die mir der Offizier zuwarf. Zu gern hätte ich erfahren, über was sie verhandelten, denn der Portugiese schüttelte zunehmend heftiger den Kopf. Schließlich schien er einen Vorschlag oder ein Angebot zu unterbreiten, das sein Gegenüber völlig aus dem Häuschen geraten ließ.

Der Piratenkapitän befahl meinen Bewachern, mich wieder unter Deck zu bringen. Bevor sie mich die Stufen des Niedergangs hinabstoßen konnten, trat jedoch der portugiesische Offizier dazwischen.

Er war die Überheblichkeit in Person.

„Du bist also Engländer“, sagte er und spie verächtlich aus. Er sprach sehr gutes Englisch. „Weißt du, daß Dragha dich an uns verkaufen wollte?“

Ich hatte es mir gedacht. Nur war aus dem Geschäft offensichtlich nichts geworden.

Der Portugiese wirkte enttäuscht. Natürlich hatte er erwartet, daß ich mich dazu äußerte. Mein Schweigen ärgerte ihn.

„Dragha hat einen gepfefferten Preis für dich verlangt. Ich brauche zwar einen Schiffsjungen, aber bestimmt keinen Engländer, der mir bei der erstbesten Gelegenheit einen Dolch zwischen die Rippen stößt. Ist es nicht so?“

Ich schwieg immer noch. Der Offizier zielte auf etwas Bestimmtes ab, das war mir klar.

„Dein Schiff segelt weiter draußen. Dragha sagt, du seist über Bord gegangen.“ Er lachte kurz. „Ist es der schlanke Mittelmeerdreimaster mit den Lateinersegeln, der seit einiger Zeit vor der Küste für Aufregung sorgt? Ich habe erst vor zwei oder drei Tagen davon gehört.“

Er beobachtete mich genau, und ich spürte, daß mir die Röte ins Gesicht schoß.

„Die Inder werden dich zu deinem Schiff zurückbringen. Sie sind sehr uneigennützig.“ Wieder lachte er wie über einen besonders gelungenen Scherz. „Weißt du, was ich diesem Halsabschneider Dragha erzählt habe? Natürlich weißt du es nicht, aber ich will es dir sagen: daß nämlich die Schebecke große Schätze geladen hat, Gold und Silber und Perlen.“

„Warum?“ fragte ich erschrocken. Was wußte der Kerl vom Schatz des Maharadschas?

Er pfiff überrascht durch die Zähne. „Bei der heiligen Jungfrau, habe ich den Nagel auf den Kopf getroffen? Das Schiff hat tatsächlich Schätze geladen? Deine Reaktion verrät dich.“

„Ich weiß nichts.“ Lieber hätte ich den Mund halten sollen, doch ich fühlte mich herausgefordert.

„Natürlich weißt du nichts“, spottete der Offizier. Er vollführte eine wegwerfende Handbewegung. „Was soll’s! Auf das Gold verzichte ich gern, wenn dafür ein paar Engländer aus unserem Handelsgebiet verschwinden. Deine Leute fangen an, lästig zu werden, und Dragha nimmt uns die Dreckarbeit gern ab.“

So war das also. Am liebsten wäre ich dem schmierigen Kerl für seinen Verrat an die Gurgel gesprungen, hätten mich die Fesseln nicht daran gehindert. Was dabei aus mir geworden wäre, war mir im Moment egal. Wie es aussah, hatten es die Piraten gar nicht nötig, offen gegen die Schebecke vorzugehen, sie konnten mich als Lockvogel benutzen.

Der Portugiese wechselte einige Worte mit dem Kahlkopf Dragha, danach wandte er sich mir wieder zu.

„Ich habe dem Halsabschneider gesagt, du hättest ungewollt ausgeplaudert, daß die Schebecke viel Gold geladen habe. Er brennt geradezu darauf, deine Leute abzumurksen.“

„Du Schwein!“ Ich spuckte ihm ins Gesicht.

Für einen Moment stand er wie erstarrt und schien die Beleidigung nicht fassen zu können, dann schlug er zu.

Das war, als hätte mich eine über Deck wischende Spiere getroffen. Für eine Weile war ich zu keiner Regung mehr fähig.

6.

März 1598.

Seit zehn Tagen weilte ich an Bord der „Good Luck“ und packte inzwischen kräftig mit an. Der Kapitän ließ sich sogar zu der Bemerkung hinreißen, ich sei der geborene Seemann. Ich muß dabei ziemlich dumm aus der Wäsche geschaut haben, denn anschließend brach er in schallendes Gelächter aus und versicherte mir, daß er es wirklich ernst meinte. Er hätte selten einen Schiffsjungen gesehen, der so schnell begriff wie ich.

Cynthia, die neben mir an der Back saß und gerade ihren Zwieback in den Tee tauchte, lächelte vielsagend. Ihr Onkel hatte schon recht – so dumm wie auf der „Seawind“ stellte ich mich nicht mehr an. Außerdem steckte ich inzwischen sogar das Schlingern und Rollen des Schiffes bei harter See mühelos weg. Ich war selbst überrascht, daß mein Magen nicht mehr rebellierte.

Daß mir die Arbeit zunehmend Vergnügen bereitete, lag an dem familiär zu nennenden Umgangston auf der Karavelle. Der Kapitän scheute sich nicht, das Vorschiff aufzusuchen und mit den Decksleuten zu reden.

Strafen wurden nicht ausgesprochen. Obwohl ich eine Zeitlang ungläubig mit Argusaugen wachte, fiel mir kein einziger Vorgang auf, der den Zuchtmeister gezwungen hätte, zur Peitsche zu greifen. Verglichen mit der „Good Luck“ – den Namen empfand ich inzwischen als äußerst zutreffend –, war die „Seawind“ der reinste Seelenverkäufer gewesen.

Der zweite Grund für meinen plötzlichen Ehrgeiz hieß Cynthia. In ihrer Nähe spürte ich ein seltsames Prickeln, sie erinnerte mich an Mutter, und ich mochte sie, wenn auch auf eine völlig andere Art.

Seit achtundvierzig Stunden herrschte wieder schwere See. Es regnete ununterbrochen, nicht stark zwar, aber die Sicht war dennoch eingeschränkt.

Wir hatten die Straße von Gibraltar und die portugiesische Küste hinter uns gelassen, ohne ein anderes Schiff gesichtet zu haben, aber ausgerechnet vor der Biskaya meldete der Ausguck Segel querab.

Eine Galeone hielt auf uns zu. Die Entfernung betrug gerade noch eineinhalb Meilen, als das unter vollen Segeln laufende Schiff in den Regenschleiern sichtbar wurde. Es führte keine Flagge.

Der Wind wehte aus Nordosten von Frankreich her, die „Good Luck“ segelte momentan mit halbem Wind über Backbordbug seewärts, während die Galeone nahezu platt vor dem Wind lag und dementsprechende Fahrt lief.

Unter den Umständen Höhe zu gewinnen, war so gut wie unmöglich. Unsere einzige Chance bestand darin, zunächst die Distanz zu halten und später die guten Segeleigenschaften der Karavelle auszunutzen. Während der Nacht hatten wir bestimmt eine Chance, unbemerkt zu entwischen, doch bis dahin vergingen noch Stunden.

Also zeigten wir der Galeone unser Heck und gingen auf neuen Kurs Südwesten zum Westen.

Die Verfolger, die immer noch nicht daran dachten, Flagge zu zeigen, schwenkten in unser Kielwasser ein und segelten nur wenig nach Steuerbord versetzt. Damit war endgültig klar, daß sie uns gnadenlos jagen würden.

„Die Herausforderung nehmen wir an“, sagte Cynthias Vater. „Wir haben die bessere Crew, und das ist entscheidend.“

Die „Good Luck“ war zwar nur eine kleine Karavelle mit entsprechend wenig Segelfläche, aber ihre schlanke Rumpfform und der geringe Tiefgang ließen bei gutem Wind Geschwindigkeiten bis zu knapp sieben Knoten zu. Bewaffnet war sie vor allem mit Drehbassen und leichten Geschützen wie Sacers und Demi-Culverinen.

Die Galeone war gedrungener gebaut, verfügte über deutlich mehr Segelfläche und eine mindestens zehn Mann größere Mannschaft, aber an Schnelligkeit war sie uns bestimmt nicht überlegen. Wir durften sie nur nicht bis auf Schußweite heranlassen, denn die beiden Reihen Stückpforten, die während unseres Manövers kurz zu erkennen gewesen waren, redeten eine unmißverständliche Sprache. Das Schiff verfügte über mindestens zwölf schwere Geschütze auf jeder Seite.

„Ruder zwei Strich Steuerbord!“ Der Kapitän war die Ruhe in Person, er stand nahezu unbewegt auf dem Achterdeck und beobachtete durchs Spektiv. An seiner Stelle hätte ich wahrscheinlich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um rasch vor den Verfolgern zu fliehen.

„Zwei Strich Steuerbord, aye, aye“, bestätigte der Rudergänger.

Die Segel standen prall. Insgeheim sehnte wohl jeder an Bord ein Abflauen des Windes herbei, weil die „Good Luck“ erst dann ihre Stärke ausspielen konnte, doch Petrus hatte vorerst kein Einsehen. Der Wind sprang lediglich während der nächsten halben Stunde auf Ost um.

Der Kapitän ließ auf Westnordwest gehen. Während des Anluvens fiel die Galeone bis auf mehr als eine Seemeile zurück, nachdem sie zuvor stetig aufgeschlossen hatte. Aber immer noch hatten die Verfolger genügend Höhe, daß sie jedes weitere Anluven rechtzeitig unterbinden konnten. Unsere beste Chance wäre es gewesen, so hoch wie möglich an den Wind zu gehen und die Galeone auf einen Kreuzkurs zu zwingen, der sie unweigerlich zurückfallen ließ.

„Betet, daß der Wind sehr alt und bald von Norden einfällt“, sagte der Bootsmann.

Ich faßte mir ein Herz und sprach ihn an, ohne dazu aufgefordert worden zu sein: „Sir, haben wir viel Pulver an Bord?“

Er blickte mich fragend an. „Ein Gefecht können wir durchstehen, falls du das meinst.“

„Dann bitte ich, Sir, mir einige Fässer zu überlassen.“

„Wir haben im Moment die dreifache Kernschußweite. Jedes Pulver wäre sinnlos vergeudet.“

„Ich will keineswegs vorschlagen, auf die Galeone zu feuern.“

Mit einer deutlichen Geste gab mir der Bootsmann zu verstehen, daß er nichts mehr hören wollte und verschwand achtern.

Eben noch war ich felsenfest davon überzeugt gewesen, sozusagen den Stein der Weisen gefunden zu haben, jetzt zweifelte ich schon daran. Vielleicht hätte mein Vorschlag, die Galeone auf einfache Weise aufzuhalten, doch nur dazu geführt, daß ich von jedermann ausgelacht wurde. Immerhin mußte ich mich fragen, warum nicht schon andere vor mir die gleiche Idee gehabt hatten.

„Was ist los, Clint? Du siehst aus, als hätte dir jemand das letzte Stück Zwieback abgenommen.“

Weil ich die Galeone fixierte, hatte ich Cynthia nicht bemerkt, die mit schnellen Schritten neben mich trat.

„Ich habe keine Angst“, sagte sie nach einer Weile gemeinsamen Schweigens. „Die Spanier segeln nicht besser als wir auch.“

Sie war überzeugt, daß wir es mit Spaniern zu tun hatten, und mit Piraten allemal, denen ein einzelnes englisches Schiff eine höchst willkommene Beute war.

„Ich weiß, wie wir sie uns vom Hals halten können“, sagte ich, obwohl ich keine zweite Abfuhr erhalten wollte.

„Hast du darüber mit dem Bootsmann geredet?“ fragte sie.

Ich nickte nur.

„Dann heraus damit! Ich kann’s Vater sagen und der dem Kapitän …“

War ich nur ein kleiner Junge mit dummen Gedanken oder wirklich schon ein angehender Seemann? Obwohl ich nichts lieber getan hätte, als meinen Vorschlag in die Tat umsetzen, ließ ich mich von dem Mädchen betteln. Ich genoß ihre sanfte Berührung.

Cynthia zeigte sich von meinem Vorschlag überrascht.

„Warum eigentlich nicht?“ fragte sie, und so ähnlich äußerte sich auch der Kapitän, als sie ihn informierte.

Obwohl er meiner Idee nur geringe Erfolgsaussichten beimaß, sagte er, daß ihm Leute mit eigenen Gedanken lieber seien als alle, die stur Befehle befolgten. Da ich in der momentanen Situation ohnehin nirgendwo helfen konnte, sollte ich mich selbst um die Ausführung kümmern.

Mit Cynthias Hilfe beschaffte ich mir Zimmermannswerkzeug und genügend Planken, die ich zu kleinen Plattformen zusammennagelte. Sie mußten stabil genug sein, um nicht zu kentern und jeweils ein Pulverfäßchen tragen können.

Die Decksleute bedachten mich mit verwunderten, teils spöttischen Blicken, einige hielten mit entsprechenden Bemerkungen nicht hinter dem Berg. Die Probleme entdeckte ich dann allerdings selbst.

Mir waren drei Pulverfäßchen zugestanden worden, mehr nicht. Wenn ich drei Plattformen mit jeweils fünfzehn Yards langen, dünnen Tauen aneinanderband, war die Gesamtlänge noch zu gering und das Pulver würde wahrscheinlich an der Galeone vorbeitreiben. Dabei schwebte mir vor, daß sich eins der Taue am Bug des Schiffes verfing und die Pulverfäßchen infolgedessen an den Rumpf gezogen wurden, wo sie dann detonierten.

Die zweite Schwierigkeit war, das Pulver zur Explosion zu bringen. Das konnte nur mit einer brennenden Lunte geschehen, die aber so bemessen sein mußte, daß die Ladung nicht schon weit vor dem Ziel hochging. Eine lange Lunte war wiederum anfällig gegen Spritzwasser.

Ich gab mir wohl vergeblich Mühe, aber den Dickschädel hatte ich von Vater geerbt, und so stand ich eine Stunde später stolz vor dem Ergebnis meiner Bemühungen. Ich hatte die Lunten kurzerhand um die Fässer gewickelt und mit Segeltuch abgedeckt.

Decksleute halfen mir, die provisorischen Flöße abzufieren, wobei ich großen Wert darauf legte, daß die Taue nicht zu locker durchhingen. Ob der Wellengang die drei Fässer wieder näher zusammenschob, darauf hatte ich leider keinen Einfluß mehr.

Der Kapitän befahl, abzufallen. Tatsächlich folgte die Galeone. Da wir die Flöße an Backbord ausgesetzt hatten, konnten die Verfolger nicht sehr viel davon mitgekriegt haben. Wahrscheinlich waren sie sogar ahnungslos.

Ungeduldig wartete ich, was geschehen würde. Cynthias Vater reichte mir ein Spektiv.

„Für unseren großen Strategen“, sagte er. „Du hättest gegen die Armada dabeisein sollen, Clinton.“

„Danke, Sir.“ Mehr brachte ich vor Erregung nicht heraus.

Nie zuvor war mir so richtig bewußt geworden, wieviel Zeit ein Schiff brauchte, um eine halbe Meile zurückzulegen. Noch hielt die Galeone ziemlich genau auf die Pulverfässer zu.

Ich war viel zu aufgeregt, um den Kieker ruhig zu halten, und reichte ihn dem Mädchen weiter.

Kaum mehr als zwanzig Yards vor der Galeone detonierte das erste Pulverfaß. Ich hätte mich dafür in den Hintern beißen können. Nur ein paar Inches mehr Lunte, und das Pulver wäre am Rumpf des Schiffes hochgegangen.

Das zweite Faß, seitlich versetzt und weiter entfernt, brannte lediglich mit einer Stichflamme ab, und beim dritten war die Zündschnur oder das Pulver so naß geworden, daß gar nichts geschah.

Etwas mehr hatte ich mir schon versprochen. Ich gab mir Mühe, mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Aber wenigstens sah es so aus, als reagierten die Verfolger verunsichert, denn sie scherten nach Steuerbord aus.

Die „Good Luck“ segelte der sinkenden Sonne entgegen, die ohne farbenprächtiges Schauspiel im Meer versank.

Bald holte uns die Nacht ein. Die Karavelle lief weiterhin unter vollen Segeln annähernd auf Westkurs.

Die Sicht war miserabel, an Deck konnten wir zeitweise nicht die Hand vor Augen erkennen. Aber auch auf der Galeone wurden keine Laternen entzündet.

Ich hatte nicht geglaubt, daß die Nacht mit ihrer Ungewißheit schlimmer werden würde als die Befürchtungen während des Tages. Jeden Moment konnten die Verfolger aus der Dunkelheit hervorbrechen und mit einer verheerenden Breitseite über uns herfallen.

Auf sämtlichen Decks waren die Wachen verdoppelt worden, die Geschütze der Karavelle waren geladen und feuerbereit, lediglich die Fackeln lagen unter Deck in den Kohlenbecken.

Niemand redete, alle lauschten angestrengt in die Nacht. Da wir nichts sahen, mußten wir uns auf unser Gehör verlassen. Das Rauschen der Bugwelle konnte die Angreifer ebenso verraten wie das Singen ihrer Takelage oder das Knarren der Blöcke.

Wir schlugen uns die Nacht umsonst um die Ohren. Als endlich, nach endlos langen Stunden, der Morgen dämmerte, segelte die „Good Luck“ mutterseelenallein in der Wasserwüste des Atlantiks. Auf unserem Weg nach England sahen wir die Galeone nicht wieder.

Die Seewölfe gaben nicht auf.

Unermüdlich kreuzten sie mit den beiden Jollen und der Schebecke, und das abzusuchende Seegebiet wurde stündlich größer. Allmählich mehrten sich aber auch die Fragen, ob Clinton Wingfield womöglich weiter abgetrieben worden war, als sie dies bislang für möglich gehalten hatten, oder – der schlimmste Fall – ob er nicht sofort in der Welle ertrunken war.

Die hereinbrechende Nacht ließ die weitere Suche wenig erfolgversprechend erscheinen. Trotzdem verholte keiner der Arwenacks in die Koje, die Männer verzichteten weiterhin auf ihre Freiwache.

Öllampen wurden angezündet und von der Back der Schebecke bis dicht über die Wasseroberfläche abgefiert. Auch auf den Booten suchten die Arwenacks im Lampenschein, der zwar nicht weit reichte, aber zumindest das Gefühl vermittelte, daß sie den Jungen noch lange nicht im Stich ließen.

„Hoffen wir, daß das Wetter nicht umschlägt“, sagte Shane, als Old Donegal über ein seltsames Reißen in seiner rechten Schulter klagte.

„Unsinn“, widersprach der Alte heftig, „mit dem Wetter hat das überhaupt nichts zu tun. Wir kriegen Ärger, und das nicht zu knapp.“

„Wer sagt das? Dein Zweites Gesicht? Warum verrät es uns dann nicht, ob Clint noch lebt? Oder hast du vergessen, danach zu fragen? Jetzt könntest du beweisen, daß du wirklich hinter die Kimm schauen kannst.“

Old Donegal tat Shane nicht den Gefallen, aufzubrausen und über das ungläubige Pack an Bord zu schimpfen, er ließ den Riesen einfach stehen und humpelte am Schanzkleid entlang zur Back. Vor dem Achterdecksniedergang starrte ein sehr nachdenklich gewordener Shane in die Nacht. Er wußte absolut nicht, ob er Old O’Flynn nach Clintons Schicksal fragen sollte.

Die Schebecke näherte sich der Küste.

Spätestens zum Mittag des nächsten Tages würde sie dicht unter Land segeln. War Clinton bis dahin nicht gefunden, erübrigte sich jede weitere Suche.

Im Morgengrauen meldete Dan O’Flynn, der unermüdlich Ausguck hielt, ein Schiff voraus. Es handelte sich um eine große, dreimastige Pattamar.

Auf dem hochseetüchtigen Küstensegler war die Mannschaft ebenfalls aufmerksam geworden. Die Inder änderten den Kurs und liefen die Schebecke an.

„Die wollen was von uns“, behauptete der Profos und rieb sich erwartungsvoll die Hände.

Im selben Moment begann Dan O’Flynn begeistert zu rufen.

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