Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 111»

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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-435-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

„Wenn im Lotosmonat des Mondjahres der Oujiang über die Ufer tritt, dann betet zu Yüeh Lao Yeh, dem Mondgott, um das kommende Unheil abzuwenden, denn Ho Po, der Graf des gelben Flusses, wird euch verdammen!“

Dieses Orakel der alten Priesterin Wu, die mit schriller Stimme gesprochen hatte, klang den Einwohnern von dem Dorf Lishui immer noch in den Ohren.

Die Alte hatte recht, sie war eine Priesterin der Wu-Familie, sie konnte in die Zukunft blicken, und nur sie allein war in der Lage, das Unheil abzuwenden und den Graf des gelben Flusses wieder zu versöhnen.

Natürlich forderte das ein Opfer, aber die Regierung hatte diese Opfer verboten, die die alte Wu plante. Offiziell durfte man der Gottheit des Flusses nur ein kleines Opfer bringen, um sich einen sicheren Übergang zu erwirken. Das war bei den vornehmen Familien ein kleiner Jadering oder ein Schmuckstück, bei den Armen aber, die am meisten unter den Launen des Flusses zu leiden hatten, war es ein Menschenopfer. Nur das söhnte Ho Po wieder aus, und für gewöhnlich zog er dann die schmutziggelben Wellen zurück und zwang sie in sein altes Flußbett.

Jetzt hatte ein Dämon die Pest über die benachbarte Provinz gebracht, ein Dämon, der dem gelben Grafen nicht mehr gehorchte oder der ihn einfach gewähren ließ.

Deshalb mußte der Fluch der schwarzen Pest abgewandt werden.

Die Reisbauern standen auf dem Dorfplatz und sahen in den gelben Fluß, der hier einen fast rechtwinkligen Bogen beschrieb und sich an der Küste schäumend in das Ostmeer ergoß.

Der Oujiang schickte sich an, den Dorfplatz und die Hütten zu überfluten, wenn er weiter anschwoll.

Die Pest hatte er diesmal gebracht, die Krankheit, die Tausende dahinraffte, ohne daß die Landärzte in der Lage waren, dieser Seuche Einhalt zu gebieten.

Die alte Wu, eine verschrumpelte gelbhäutige Frau von kleiner Gestalt und mit Krüppelfüßen, murmelte fortwährend vor sich hin, während die Reisbauern auf ihre Felder starrten und die hohen Stengel der Reispflanzen nicht mehr erkennen konnten, weil der Flußgott sie zu sich in sein Bett genommen hatte.

„Ho Po verlangt nach einer Braut“, flüsterte die Alte. „Erst wenn er mit ihr vermählt ist, wird er die Flut zurücknehmen und die Pest darin ertränken. Gebt ihm eine Braut, und ihr werdet sehen, daß er das Opfer gern annimmt.“

Wieder murmelte die Alte Beschwörungen, dann sah sie aus ihren Augen, die hinter kleinen Falten fast verschwanden, die Reisbauern der Reihe nach an.

„Wenn wir Jadeglöckchen opfern oder Ringe aus dem rötlichen Metall, dann …“ sagte ein Reisbauer.

Doch die Wu unterbrach ihn. „Damit ist er nicht zufrieden. Es muß so sein wie früher. Aber zuvor werde ich den Wu-Priester befragen. Holt ihn her! Er soll uns sagen, ob das Opfer nötig ist.“

Der Priester hatte sich noch nicht sehen lassen. Meist lag er in seiner Hütte auf den Reisstrohmatten, sein Gesicht war vom süßen Duft eingehüllt, und sein Geist befand sich auf Reisen.

Sie holten ihn und brachten ihn zum Marktplatz. Der Wu stand mit glasigen trüben Augen da, sah in den Fluß, sah auf die Menschen, und jeder wußte, daß sein Geist jetzt behutsam und langsam zurückkehrte, um den zerbrechlichen Körper nicht zu erschrecken.

„Bereitet alles vor“, sagte er mit brüchiger Stimme, „ich werde das Orakel befragen.“

Dann hockte er sich auf den staubigen Boden aus getrocknetem Lehm und starrte wieder vor sich hin.

Über der Ortschaft wölbte sich ein azurblauer Himmel. Es war still bis auf das Tosen und Rauschen des Flusses, der sich manchmal behäbig langsam, dann wieder schnell und reißend durch sein Bett wälzte. Und er nahm alles mit, was er am Weg fand, Reispflanzen, Weizen, Bohnen, Hütten und Vieh. Das alles schob und drängte er mit furchtbarer Gewalt vor sich her, bis er das Ostmeer erreichte und seine Beute dort ausspie.

Auf dem Dorfplatz wurde ein Feuer entzündet. Die jüngeren Leute brachten Schlagbecken aus Bronze und hölzerne Stäbe herbei. Die alte Wu brachte ihre Trommel mit dem Hundebalg.

Die Flammen schlugen höher, das Reisstroh brannte jetzt in heller Glut, und der Priester, der sich auch Wu nannte, erhob sich taumelnd und ergriff mit zitternden Händen zwei Schildkrötenpanzer. Es war kein Fleisch mehr an ihnen, die Ameisen hatten die toten Tiere bis auf den Panzer gefressen.

Die alte Wu gab das Zeichen, und dann setzte ein ganz zarter, wehmütiger Gesang ein, ein Lied, das den Gott des Flusses lobte und den Mondgott pries. Dazwischen erklang das trockene Klacken der Hölzer, und immer wenn der Gesang abbrach, schlug die alte Wu mit ihren knöchernen Fingern auf den Hundebalg, bis die Trommel einen dumpfen Ton von sich gab.

Der Priester murmelte Beschwörungen, die alte Wu hörte auf zu trommeln und rang die Hände zum Himmel. Dann schritt der Wu feierlich vor und warf die Schildkrötenpanzer ins Feuer.

Es prasselte und knackte, um die Schalen zuckte grünlicher Schein auf, sie verschwanden und wurden von der Glut bedeckt.

Wieder begann der Gesang, die alte Wu trommelte schneller. Ihr Gesicht sah aus wie eine Ledermaske, ihre eingeschrumpften Lippen bewegten sich pausenlos.

Das ging eine ganze Weile so, bis das Feuer herunterbrannte und nur noch Glut und weiße Asche die Schildkrötenpanzer bedeckte.

Der Priester gab den jungen Männern ein Zeichen, noch mehr Reisstroh nachzuwerfen. Noch einmal prasselten die Flammen mannshoch auf, dann hatte das Feuer das Reisstroh verzehrt und sank in sich zusammen.

Mit einem Bambusstöckchen stocherte der Priester in der Asche herum, bis er die beiden Panzer fand. Ruckartig schleuderte er sie aus der Glut. Dann ergriff er sie, so heiß wie sie waren, mit beiden Händen und betrachtete sie genau.

Die Dorfbewohner sahen schweigend zu, ihre Blicke waren gespannt auf den Wu gerichtet, der die eine Schale jetzt vorsichtig zu Boden legte, dann die andere nahm und sie genauso betrachtete.

In den Krötenpanzern zeigten sich Risse und lange Sprünge, die das Feuer verursacht hatte. Aus diesen Rissen und Sprüngen las der Wu das, was die Zukunft ihm sagte. Er nickte mehrmals vor sich hin, ehe er die Panzer der alten Wu gab, die sie sorgenvoll ansah.

Schließlich reichte sie ihm die Panzer zurück, die zusammengekniffenen Augen dabei starr auf den Priester gerichtet.

„Ein Ding stirbt, wenn es geboren wird“, sagte der Priester, „und der Schatten eines fliegenden Vogels bewegt sich nie. Das ist die Weisheit des alten Kung-sun. Wenn ein Bambusstock von einer Armeslänge jeden Tag in der Länge um seine Hälfte gebrochen wird, dann bleibt nach hunderttausend Generationen immer noch ein Rest übrig. Die Risse und Sprünge weisen nach Süden, wo es keine Grenze gibt und doch eine.“

„Wie läßt die Pest sich bannen?“ fragte die Wu heiser. „Müssen wir das Opfer bringen? Ich las es aus den Sprüngen.“

„Auch ich las es“, erwiderte der Priester. „Wir müssen das Opfer bringen, es muß gegeben werden. Es ist nun deine Aufgabe; das klügste und schönste Mädchen des Dorfes herauszusuchen. Sie muß durch Bildung und Schönheit bestechen. Ich hoffe, du triffst die richtige Wahl unter den Töchtern.“

Als die alte Wu nickte, stand der Entschluß fest.

Der Graf des gelben Flusses sollte mit der schönsten und klügsten jungen Frau des Ortes vermählt werden.

Die Reisbauern gingen auseinander. Nur einige blieben noch stehen und sahen voller Besorgnis in den Fluß.

2.

Das glügste und intelligenteste Mädchen des Dorfes war die achtzehnjährige Ch’ingchao Li-Hsia. Ihr Name bedeutete soviel wie: Flüssiges Licht im beginnenden Sommer.

Auf sie fiel die Wahl der Alten, denn sie war an Intelligenz nicht zu übertreffen, und an Schönheit erst recht nicht. Sie hatte eine Schule am Ostmeer besucht und die Sprache der Fremden Teufel zum größten Teil erlernt. Ein Regierungsbeamter hatte ihr versprochen, daß sie eine Stelle beim Staat erhalten würde, die so gut dotiert war, daß ihre Familie nie wieder Reis würde anpflanzen müssen. Und ihre künftige Aufgabe sollte darin bestehen, den beginnenden Handel mit den Fremden Teufeln abzuwickeln, deren Sprache sonst niemand mächtig war, bis auf ein paar Ausnahmen.

Noch in derselben Stunde erschien die Wu bei ihren Eltern. Feierlich verkündete sie das, was der Priester aus dem Orakel erfahren hatte.

Der Vater verneigte sich, die Mutter weinte vor Freude, nur „Flüssiges Licht“ blieb still und in sich gekehrt, als sie von der bevorstehenden Vermählung hörte.

„Diese Ehre“, murmelte der alte Vater, „diese große Ehre trifft ausgerechnet uns Unwürdige.“

Er umarmte seine Tochter und lächelte stolz.

„Nun bist du doch zu etwas nütze“, sagte er froh.

Das Mädchen „Flüssiges Licht“ nickte.

Sie hatte sich ihre Zukunft etwas anders vorgestellt, indem sie die Eltern und die Familie ernähren wollte, sobald sie die Stelle hatte. Dann wären sie alle Sorgen los. Statt dessen mußte sie dem Flußgott geopfert werden.

„Ist es nicht von der Regierung verboten?“ fragte sie zaghaft.

„Soll die Pest über uns kommen? Wagst du einen Widerspruch?“ fragte der Vater zurück.

„Ich würde nie einen Widerspruch wagen. Ich bin bereit, und ich bin stolz, auserwählt zu werden.“

In ihrem Herzen war „Flüssiges Licht“ allerdings nicht eine Minute stolz. Ein anderes Mädchen, das nichts anderes kannte als das Dorf und die Reisfelder, wäre vielleicht froh, stolz und überglücklich gewesen, aber „Flüssiges Licht“ war ein besonderes Mädchen, und sie genoß mehr Achtung und Zuneigung als jede andere. Ihrer Intelligenz beugten sich sogar ältere.

„Ho Po erwartet dich, Ch’ing-chao Li-Hsia“, sagte die alte Wu. „Komm mit, wir werden alles vorbereiten, es soll eine unvergessene Hochzeit werden.“

Diesmal hatten sich die Reisbauern am Dorfrand versammelt, als „Flüssiges Licht“ erschien. Sie wurde mit vielen Verbeugungen begrüßt. Sie war bleich, und das ließ ihre Schönheit in den Augen der anderen nur noch vollkommener erscheinen. Auf ihren Lippen lag sogar ein Lächeln, als sie in den lehmigen Fluß blickte.

„Von nun an mußt du zwei Tage fasten“, sagte die alte Wu, „und du mußt zu jeder Zeit zu Yüeh Lao Yeh, dem Mondgott beten. Dein Zelt wird gleich gebaut.“

„Flüssiges Licht“, verneigte sich, kreuzte die Arme über der Brust und ging die drei Schritte zurück, die vorgeschrieben waren, wenn sie mit einer Priesterin oder Zauberin sprach.

Dann nahm das Ritual seinen Anfang.

Zunächst wurde ganz in der Nähe des Flusses ein kleines Zelt errichtet. Es war grob und aus geflochtenem Leinen und enthielt in seinem Innern nichts weiter als eine Matte aus Reisstroh zum Schlafen. Andere Gegenstände gab es nicht.

Als das Zelt fertig war, ging „Flüssiges Licht“ hinein, setzte sich auf die Matte und begann zum Mondgott zu beten. Von nun an erhielt sie nichts mehr zu essen und zu trinken.

Gegen Abend des ersten Tages erschien die alte Wu und brachte zwei kleine kostbare Glöckchen aus Jade, die bei der leichtesten Bewegung hell klingelten. Die wurden „Flüssiges Licht“ um den schlanken Hals gehängt.

Am zweiten Tag versammelten sich wieder alle Reisbauern und Dorfbewohner um das Zelt. Die alte Wu hatte von jeder Familie etwas empfangen, was zur Ausstaffierung der Flußbraut unbedingt notwendig war, damit Ho Po das Opfer auch annahm.

Sie hüllten sie in die teuersten Seidengewänder, behängten sie mit kostbaren Juwelen, die schon Jahrhunderte im Besitz der Familien waren, kämmten ihr das Haar und schminkten ihr Gesicht mit hellen zarten Pastelltönen. Danach wurde ihr Haar zu einem Turm aufgesteckt und schwarz lackiert.

„Ho Po hatte noch nie eine schönere Braut gehabt“, sagte die alte Wu glücklich. „Diese Anmut, dieser Liebreiz ihrer Bewegungen, das alles ist vollkommene Harmonie. Gleicht sie nicht ebenfalls einer Göttin?“

Ja, das fanden sie alle, die Reisbauern, die Jungen und die Alten. „Flüssiges Licht“ glich einer Göttin, einer herrlichen, zerbrechlichen Blume aus allerfeinstem Porzellan.

Das Mädchen kniete auf ihrer Matte und betete. Sie verspürte weder Hunger noch Durst, sie kannte keine Angst und keinen Zorn. Die Eltern befahlen; die Kinder gehorchten. So war es, und so würde es immer sein.

Lediglich ein leichtes Bedauern war in ihr, und leise Zweifel überfielen sie immer wieder. Es war keine Rebellion, die „Flüssiges Licht“ so denken ließ, es war auch keine Auflehnung. Aber sie hatte das Gefühl, als wäre ein wunderschöner Traum geplatzt wie die schillernde Seifenblase im Wind. Sah man auf der Außenhaut dieser unglaublich zarten Gebilde nicht auch ein anderes Land, eine andere Zukunft? Eine schillernde Welt, die ganz anders aussah als die Wirklichkeit?

Ganz überraschend zerplatzten diese zarten Gebilde dann, wenn sie an irgend etwas stießen, und die schillernde, geheimnisvolle Welt der Zukunft fiel lautlos in sich zusammen.

So ähnlich fühlte sich „Flüssiges Licht“ im Lotosmonat des Mondjahres.

Sie betete lauter, pries den Mondgott und haderte mit sich selbst, daß sich immer wieder andere Gedanken in ihr reines Gebet zu drängen versuchten, Gedanken, die ein junges Mädchen nicht haben durfte.

Auch mißfiel es ihr, daß sie immer wieder abgelenkt wurde, denn sie ertappte sich dabei, daß sie zwischen zwei Gebeten manchmal einen Blick durch die schmalen Ritzen des Zeltes warf. Dann sah sie den Fluß schäumen, hörte sein Brausen und Tosen und glaubte, die Stimme des Flußgrafen zu hören.

Sie sah und hörte aber auch noch etwas anderes: Die Reisbauern und die Jungen waren eifrig dabei, ein kleines Floß zu bauen, eine kostbare Brautstatt, die einem schwimmenden Bett glich, in dem der Flußgraf sie zur Hochzeitsnacht erwartete.

Warum nur füllen sich meine Augen immer wieder mit Tränen? fragte sie sich verzweifelt. Ein anderes Mädchen hätte bestimmt nicht geweint – es wäre überglücklich gewesen.

Sie versuchte diese Gedanken weit von sich zu weisen, kniete wieder auf ihrer Matte und betete. Nicht mehr lange, und der Graf des gelben Flusses würde sie holen, dann war alles vorbei.

3.

Am dritten Tag war es soweit.

Über dem Dorf spannte sich immer noch ein blauer Himmel, aber er war nicht mehr so blau wie am ersten Tag. Der Himmel war heller und etwas fahler geworden, das Licht der Sonne schien nicht mehr so warm.

Der Fluß war nicht mehr weiter über die Ufer getreten, er hielt sich in seinem Bett, abwartend, was geschah, in der Hoffnung auf die Flußbraut, die ihn gänzlich besänftigen würde.

Von der alten Wu und dem Wu-Priester geführt, trat „Flüssiges Licht“ aus dem Zelt, nickte ergeben ihren Eltern zu, die sie gerührt ansahen und schritt zu ihrer Brautstatt.

„Gefällt sie dir?“ fragte die alte Wu mit zitternder Stimme. „Wir haben das Kostbarste gebracht, was wir hatten, und es hängt nun von Ho Po ab, ob er das Opfer annimmt. Sieh dir die Brautstatt an!“

„Flüssiges Licht“ tat, Wie ihr befohlen wurde. Sie senkte den Kopf und sah errötend auf die Brautstatt.

Über den Bambushölzern spannte sich schwere Seide, am Kopfende der Brautstatt befand sich ein kleiner künstlicher Himmel, der sich zu beiden Seiten des Bettes wölbte. Es war die kostbarste Seide, die es im Reich des Großen Chan gab, und sie mußte ein Vermögen gekostet haben. Noch jahrelang würden die Reisbauern und Dorfbewohner daran zahlen müssen. Ganz sicher hatten sie ihr Vieh und vielleicht auch ihre Töchter verpfändet, um diese Brautstatt herzurichten.

„Sie gefällt mir sehr“, antwortete „Flüssiges Licht“ auf die Frage der alten Wu. „Ich bedanke mich bei allen.“

Das schwimmende Bett aus Bambus und Seide war nicht sehr groß. Es bot aber genügend Platz für zwei, vielleicht auch drei Menschen.

„Bist du bereit, Ch’ing-chao Li-Hsia?“ fragten die Eltern.

„Ich bin bereit“, flüsterte das Mädchen.

Alle umarmten sie, wünschten ihr Glück und eine gute Reise.

Dann hoben zwei Männer das Mädchen hoch, legten es vorsichtig auf das Floß und banden ihr Hände und Füße fest, damit die schäumenden Wellen des Flußes sie nicht vorzeitig herabrissen. Der Graf des gelben Flusses liebte es, seine Braut auf den Wellen schaukeln zu sehen, und er wünschte, daß seine gehorsamen Diener die Flußbraut möglichst lange durch sein Reich trugen.

Damit die Sonne ihr Gesicht nicht rötlich verfärbte, legte ihr die alte Wu einen tellerartigen Hut aus Reisstroh über das Gesicht. Außerdem schützte sie noch der kleine bogenförmige Himmel aus blauer Seide.

Die Reisbauern begannen zu singen, als sie die Brautstatt aufhoben und zum Fluß trugen. Sie sangen das Lied vom gelben Grafen, vom Fluß mit seinem Segen und der Fruchtbarkeit, die er brachte.

Am Fluß blieben sie noch einmal stehen. Der hölzerne Steg, an dem die Boote lagen, war teilweise überflutet, das lehmige Wasser gurgelte wild darüber hinweg.

Vierzehn starke Männer waren notwendig, um das Floß sicher über den Steg zu tragen.

Auf ein Kommando der alten Wu traten die vorderen zurück und setzten die Brautstatt, die leicht zu schlingern begann, aufs Wasser. Jetzt hielt nur noch ein dünner Strick das Floß fest.

Der Gesang schwoll an und wurde lauter, als der Priester das Seil durchschnitt. Sofort wurde das Floß von der Strömung ergriffen und trieb flußabwärts.

Die alte Wu und der Priester murmelten Gebete.

„Flüssiges Licht“ wurde davongetragen. Sie hörte es gurgeln und brausen, der Strom erfaßte das Bett und riß es mit sich fort. Dabei drehte er es auch gleichzeitig um die eigene Achse.

Zum erstenmal empfand das Mädchen Furcht und Beklemmung. Kleine Wellen schwappten über den Rand, durchnäßten die Seide und spülten immer wieder durch die Ritzen der Bambushölzer.

Dann schien ein Strudel sie erfaßt zu haben, denn das Floß drehte sich wie irrsinnig im Kreis. Wieder schwappte lehmiges Wasser über sie, das vordere Ende der Brautstatt tauchte tief ins Wasser und schwemmte ihr den tellerartigen Hut vom Gesicht, der sich in eine Ritze der Hölzer klemmte und steckenblieb.

„Flüssiges Licht“ hörte Stimmen vom Ufer, aber durch das Donnern und Tosen waren sie nur sehr schwach zu vernehmen.

„Seht, die Braut des Flußgrafen“, glaubte sie zu hören. „Ho Po wird stolz auf sie sein.“

Sie versuchte sich zu bewegen, aber die kleinen Seile hielten sie fest und schnitten in ihre Gelenke, sobald sie versuchte, sich zu bewegen.

Stundenlang ging die Fahrt weiter. Einmal stieß das Floß hart an etwas, das sich im Strom befand, oder es hatte das Ufer berührt, aber es löste sich gleich wieder und trieb weiter.

Das Mädchen starrte in den Himmel, den sie sehen konnte, wenn sie den Kopf etwas bewegte und nach der Seite drehte. Winzige kleine Wolken tanzten in dem fahlen Blau, und jetzt plötzlich verspürte sie Hunger und Durst.

Wie lange würde es dauern, bis der Graf des gelben Flusses sie holte? Ein paar Stunden oder ein paar Tage?

Eine Welle überschwappte sie. Sie hatte gerade den Mund geöffnet, und schluckte das lehmige Wasser, das ekelhaft modrig schmeckte. Auch der Geruch des Flusses störte sie. Überall roch es modrig und faul, mitunter leicht nach Verwesung.

Sie versuchte, zum Mondgott zu beten, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder irrten ihre Gedanken ab und gingen seltsame Wege, die sie sich selbst nicht erklären konnte.

Nach einer Ewigkeit brach die Dämmerung an, es wurde dunkel, und über dem wild dahinfließenden Fluß erschien ein gelber Mond, der sanft und freundlich auf sie niederblickte.

„Flüssiges Licht“ spürte Kälte und Nässe. Ihr schmächtiger Körper war verkrampft und steif. Wenn ich mich doch wenigstens bewegen könnte, dachte sie immer wieder, um mich einmal auf die andere Seite drehen und die erstarrten Glieder strecken zu können.

Doch das ging nicht. Die Fesseln hielten sie fest, und durch die Nässe quollen sie auf und wurden immer stärker.

Weit voraus, aber doch deutlich hörbar, war ein Donnern und Brausen. Manchmal schwieg der Fluß, dann wieder brüllte er wild auf, danach herrschte für kurze Zeit Ruhe.

„Flüssiges Licht“ wußte nicht, was das zu bedeuten hatte. Hilflos mußte sie mit ansehen, wie der Mond weiter nach links glitt, bis er aus ihrem Gesichtsfeld verschwand. Dann herrschte wieder diese unnatürliche Ruhe, die aber nicht lange währte. Dafür schwoll das Donnern und Brausen an und wurde immer lauter und mächtiger.

Das Mädchen preßte die Lippen zusammen und lauschte mit wachen Sinnen in die Finsternis, bis es sich plötzlich frei und unbeschwert fühlte.

Augenblicke später trug der Fluß sie nicht mehr, sie schwebte in der Luft, ihr Kopf glitt voran in eine bodenlose Tiefe.

Ihr Herz klopfte laut in ihrer Brust. Sie hielt den Atem an.

Erschien jetzt der Graf, um seine Braut zu holen? War dies der Augenblick?

Sie hatte das Gefühl, als wäre ihr jeder Knochen im Leib einzeln gebrochen, als das Floß kopfüber in die Tiefe glitt, hart aufschlug und fast auseinanderbrach.

Der künstliche Himmel zerfetzte und flog davon, Bambushölzer zerbrachen knirschend und splitternd, und sie befand sich plötzlich unter Wasser.

Ihr Körper versuchte, sich dagegen zu wehren, sie schluckte Wasser bis ihre Lungen brannten und sie fast erstickte. Kälte, Einsamkeit und Wasser umgab sie in ihrer Brautnacht.

Sie spie das lehmige modrige Wasser aus und schluchzte vor Angst und Verzweiflung. Und immer wieder überspülten sie schmutzigbraune Wellen, drangen in ihren Mund und ließen sie schlucken.

Etwas später wurde alles um sie herum dunkel und finster und das Licht des Mondgottes erlosch. „Flüssiges Licht“ versank in einem finsteren Abgrund, der sie gnädig aufnahm, der sie die Einsamkeit, die Kälte und das Wasser vergessen ließ, der ihren Hunger stillte und ihren Durst löschte.

Sie trieb weiter, ohne es zu sehen, und mehrmals stieß das Floß an irgendwelche Hindernisse. Die Seide zerfetzte, riß, kleine Trümmer wirbelten davon, aber „Flüssiges Licht“ bemerkte es nicht. Sie war ohnmächtig.

Am vierten Tag ihrer Fastenzeit und zweiten Tag ihrer Reise ins Reich des gelben Grafen, erwachte das Mädchen. Verwirrt blickte sie sich um, und es dauerte geraume Weile, bis sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte.

Sie hatte jegliches Gefühl für die Zeit verloren, sie wußte nicht ob es Morgen oder Nachmittag war. Sie wußte nur, daß der Graf die Flußbraut immer noch nicht zu sich genommen hatte. Fast betrübte sie das ein wenig, denn jetzt wartete sie darauf, damit ihr Schmerz und die Einsamkeit ein Ende hatten.

Wollte der Graf die Flußbraut nicht? Oder hörte er das silberhelle Klingen der Jadeglöckchen nicht, die bei jeder kleinen Bewegung des Floßes hell sangen?

Sie drehte den Kopf nach links. Das Ufer war nicht zu sehen, der Fluß war breiter geworden. Sie ahnte, daß sie sich jetzt dem östlichen Meer näherte. Auch auf der anderen Seite war das Land sehr entfernt und wirkte wie ein kleiner dünner Strich.

Sie schloß die Augen und versuchte zu schlafen. Ihr Körper war kalt und klamm, die Brautstatt zerfetzt und zerstört, die Kälte ließ sie immer wieder zittern.

Sie konnte nicht schlafen, denn wenn sie einschlief, war sie nicht in der Lage, sich gegen die Wellen zu wehren, die jetzt ständig das schwimmende Lager überfluteten. Immer wieder mußte sie dann von dem ekelhaften Wasser trinken, das ihr schwallweise in den Mund drang.

Ein großer Baumstamm traf das Floß. Es gab einen harten Ruck, und sie glaubte, das Floß würde jetzt auseinanderbrechen. Aber es hielt, und der Strom schob sie unaufhaltsam weiter.

Es verging nochmals ein Tag, ehe „Flüssiges Licht im beginnenden Sommer“ verächtlich von dem Grafen des gelben Flusses ausgespien wurde.

Ho Po wollte eine freundliche Braut, aber keine die ohnmächtig, naß, kalt und halbverhungert durch sein Reich trieb. Daher spie er die Flußbraut voller Zorn in das offene Meer hinaus.

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