Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 191»

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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-527-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Ein Fregattvogel mit einem knallroten Kehlsack jagte im Sturzflug über die „Isabella VIII.“ und schien sich dann ins Meer zu stürzen.

Aber das schien nur so, denn in Wirklichkeit hatte er keinesfalls die Absicht und fing seinen Sturz kurz über der smaragdgrünen Wasseroberfläche wieder ab. Sein Ziel war ein fliegender Fisch, wie sie die „Isabella“ schon seit einer ganzen Weile begleiteten. Immer wieder sprangen sie aus dem Wasser, segelten ein paar Yards und wollten wieder wegtauchen.

Aber die Fregattvögel, diese äußerst eleganten Flieger, schnappten sie. Da half kein Ausweichen, die Fregattvögel waren schneller und wendiger, und sie packten ihre Beute noch auf der kurzen Strecke ihres Fluges.

Der Decksälteste Smoky sah eine ganze Weile zu, starrte auf die fliegenden Fische, dann wieder auf die blitzschnellen Flieger und erwartete jedesmal, daß die Fregattvögel donnernd ins Wasser knallten, falls sie ihre Beute verfehlten.

Sie verfehlten sie nie, und sie ließen sich auch durch die Männer der „Isabella“ nicht stören, sie nahmen sie gar nicht zur Kenntnis.

Smoky wandte sich an. Bill, den Moses, eigentlich den Rustabout, denn Bill war praktisch „Mädchen für alles“ an Bord, weil er außer den Killigrew-Zwillingen der jüngste Mann war.

„Ich hätte nie für möglich gehalten, daß es so viele Inseln gibt“, sagte er. „Man sieht nur noch Inseln, und man segelt von einer zur anderen, und wenn sie außer Sicht gerät, tauchen schon wieder die nächsten auf. Aber es ist herrlich hier, findest du nicht?“

Bill, der Moses, nickte grinsend.

„Kann man wohl sagen. Wenn man hier auf jeder Insel gleich verheiratet wird, braucht man ein paar hundert Jahre, um sie alle kennenzulernen.“

Damit spielte er auf jene Insel an, wo der Decksälteste das Glück oder das Mißgeschick hatte, einer Perle der Südsee in die Fänge zu geraten. Ein kleines Zeremoniell, von dem Smoky keine Ahnung hatte, und schon war er verheiratet. Seine sogenannte Scheidung fand im Rahmen eines ausgiebigen Festes statt, denn auf diese Art und Weise war die Schöne – sie hieß Nuami – wenigstens nicht entehrt.

Daher nahm Smoky sich vor, bei künftigen Ritualen oder anderen Festlichkeiten ganz besonders auf der Hut zu sein, sonst konnte es ihm passieren, daß er den Rest seines Lebens auf einer der herrlichen Inseln als Papalagi verbringen mußte, und das wollte er nun doch nicht, die Gebräuche waren mitunter zu sonderbar.

„Du Stint“, sagte er gutmütig. „Statt mich auf den Arm zu nehmen, solltest du lieber mal dem Kutscher Bescheid sagen, damit er sich um Old O’Flynn kümmert. Der alte Bursche scheint krank zu sein, ihm bekommt offenbar das Klima nicht. Er hängt da wie ein abgenommenes Leichentuch.“

„Ihm fehlt nichts“, widersprach Bill. „Ich glaube, er sieht wieder mal Gespenster, denn er benimmt sich so merkwürdig.“

„Geht denn die verdammte Spökenkiekerei schon wieder los?“ fragte Smoky erbost. Er strich sich die Haare aus der Stirn und schüttelte den Kopf.

„Manchmal“, sagte er, „manchmal hat der Alte recht. Haben wir das nicht schon oft erlebt?“

Bill nickte beklommen.

„Das stimmt! Mitunter hat er das zweite Gesicht wie ein Jonas.“

Der Mann, von dem sie sprachen, Donegal Daniel O’Flynn, ein rauhbeiniger, granitharter alter Bursche mit einem von Wind und Sonne gegerbten Ledergesicht, lehnte an der Steuerbord-Nagelbank des Großmastes und starrte mit blicklosen Augen in die See voraus.

Sein Holzbein hatte er auf eine Taurolle gestützt, und sein hagerer Körper bewegte sich leicht im Rhythmus des Auf und Ab der „Isabella“, die durch sanfte Dünung lief.

Old O’Flynn wirkte verkrampft und geistesabwesend, und seine sonst so klaren Augen schienen in eine andere Welt zu blicken. Das alte Rauhbein, mit allen Wassern der sieben Meere gewaschen, benahm sich höchst eigenartig.

Das fiel schließlich auch dem Kutscher auf, und so ging er über Deck, bis er vor dem Alten stand und ihn ansah.

„Laß ihn um Himmels willen in Ruhe“, flüsterte der Profos Edwin Carberry beschwörend. „Nach einer Weile legt sich das. Vielleicht sieht er wieder aufgetakelte Plattfische oder eingelegte Seegurken, was weiß denn ich!“

Die meisten der Seewölfe umgingen Old O’Flynn, denn seine unmittelbare Nähe strahlte Beklemmung aus, und die übertrug sich mitunter auf die Gemüter und wirkte anstekkend.

Doch den Kutscher und Feldscher der „Isabella“ störte das nicht. Er ging noch näher an den geistesabwesenden O’Flynn heran und legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Na, Donegal“, sagte er, „du siehst aus, als hätte dir jemand Kakerlaken in die Suppe getan. Was ist los?“

Old O’Flynn sah den Kutscher nicht, er spürte auch nicht die Hand auf seiner Schulter. Sein maskenhaft starres Gesicht blickte immer noch in die Ferne, wo am milchigen Horizont kleine Inseln auftauchten. Eilande waren darunter, die manchmal nicht viel größer waren als die „Isabella“ selbst. Nadelköpfe in der See, winzige grüne Punkte, oftmals nur von einem halben Dutzend Palmen bestanden.

Sie gehörten zu den Salomon-Inseln, einer melanesischen Inselgruppe, die sich endlos in die Länge zog.

Als Old O’Flynn ganz plötzlich sprach, öffneten sich nur seine Lippen ein wenig. Sein Gesicht blieb weiterhin starr und war von dem Blick in endlose Fernen überschattet.

„Wir sollten umkehren“, murmelte er dumpf mit einer Stimme, die ihm nicht zu gehören schien. „Merkt ihr denn nicht, daß hier der Pesthauch des Todes weht? Wie aus offenen Gräbern zieht es herüber. Tod und Verdammnis liegen über den Inseln.“

Der Kutscher fröstelte unwillkürlich bei diesen Worten, und er sah, wie selbst der Profos unangenehm berührt das Genick einzog.

Er wollte etwas sagen, doch dann blickte er sich um und sah den Seewolf an, der das Achterdeck verlassen hatte und jetzt vor ihnen stand. Er hatte die letzten Worte Old O’Flynns noch gehört, und obwohl er nicht abergläubisch war, spürte er doch etwas, das sich nicht bestimmen ließ, unsichtbar über ihren Köpfen schweben. Außerdem war das keine Spinnerei von Old O’Flynn. Der Alte hatte oft genug bewiesen, daß etwas daran war.

„He, Donegal“, sagte er. „Was erzählst du da? Was ist mit dem Pesthauch, der …“

O’Flynn zuckte zusammen. Sein Blick kehrte langsam zurück und wurde wieder klarer. Es hatte den Anschein, als erwache er aus einem Traum.

Ziemlich verwirrt sah er sich um.

„Was ist los?“ fragte er grob und rauhbauzig. „Was starrt ihr mich so an, und wovon faselt ihr eigentlich?“

„Du sagtest eben etwas von den Inseln“, erinnerte ihn Hasard.

„Ich – von den Inseln?“ fragte Old O’Flynn verblüfft. „Von welchen Inseln denn?“

Hasard warf dem Kutscher einen hilfesuchenden Blick zu, aber der stand nur da und zuckte verlegen mit den Schultern.

„Na ja, vielleicht haben wir das nur falsch verstanden“, sagte der Seewolf, um Old O’Flynn nicht mehr daran zu erinnern. „Wir nehmen bald wieder Trinkwasser an Bord, denn bei dieser Hitze hält sich das Wasser immer nur einige Tage, und ich will keinem zumuten, das vergammelte warme Zeug zu trinken, wenn es hier genügend Frischwasser gibt. Deshalb laufen wir eine der nächsten Inseln an.“

Er wartete auf eine Reaktion, aber O’Flynn nickte gleichmütig.

„Eine gute Idee, Sir“, sagte er. „Vor uns liegen ja auch prächtige Inseln.“

Hasard und der Kutscher warfen sich einen Blick zu. Old O’Flynn konnte sich ganz offensichtlich nicht mehr an seine düstere Prophezeiung erinnern, das bewies sein erstauntes Gesicht.

Hasard fragte sich beklommen, was wohl in Donegal vorgehen mochte und ob auch diesmal wieder etwas Wahres daran sei.

Er ließ die Angelegenheit auf sich beruhen, nickte den beiden noch einmal zu und wollte wieder aufs Achterdeck gehen, als er plötzlich stehenblieb.

Eigenartig, fand er. Erst jetzt wurde ihm klar und deutlich bewußt, daß alles ganz anders war als sonst.

Die „Isabella“ segelte in einer lauwarmen Brise. Der Himmel war teils blau, zum Horizont hin leicht dunstig, und vom Wasser stieg brühwarme Luft auf.

Er griff sich an die Stirn und fand, daß seine Haare feucht waren. Die Luft um ihn herum war wie von einem unbekannten Gift gesättigt, und er wurde das Gefühl nicht los, daß etwas Schreckliches in dieser merkwürdigen Atmosphäre lag.

Er blickte zu den weit am dunstigen Horizont verstreuten Inseln und fand sie schrecklich und schön zugleich. Visionen von Fieber, Gift, Pest und Krankheiten zogen an ihm vorbei.

„Unsinn“, murmelte er. „Alles Einbildung!“

Gewaltsam versuchte er, diesen Gedanken zu verdrängen, aber er kehrte immer wieder. Er blickte nach rechts und nach links und fragte sich, was denn eigentlich anders sei als sonst. Doch er vermochte nicht, es zu definieren, es war eben anders.

Kopfschüttelnd enterte er den Niedergang auf, und warf dabei noch einen Blick auf die Kuhl und das Quarterdeck.

Carberry stand lustlos herum, der Zimmermann Ferris Tucker hatte sein Werkzeug auf die Planken gelegt und gähnte. Gary Andrews lümmelte am Schanzkleid, Smoky starrte auf die Fregattvögel, und der Moses reckte seine Glieder. Niemand hatte Lust, etwas zu tun, und das schien zu seiner großen Verwunderung nicht einmal den Profos und Zuchtmeister Carberry zu stören, denn der hatte nicht einmal Lust, irgendwelche Befehle zu geben.

Nun, es gab nicht viel zu tun, jedenfalls im Augenblick nicht, überlegte der Seewolf, außer den kleinen, unumgänglichen Arbeiten, die dazu dienten, das Schiff immer in Ordnung zu halten, damit nichts vergammelte und verkam. Dazu gehörte das Auslüften der Kammern und Räume, das Überprüfen von Tauwerk, dem gesamten Gut, dem Erhalten des Holzes und vielen kleinen Dingen.

Matt Davies betrachtete angelegentlich seine Hakenprothese, als hätte er sie noch nie gesehen. Stenmark hockte auf einer Taurolle, und der Gambianeger Batuti lehnte mit schweißglänzendem Oberkörper neben dem Kombüsenschott und trank einen Schluck Wasser.

Auf dem Achterdeck war die Atmosphäre ähnlich. Ben Brighton lehnte an der Balustrade und fixierte einen imaginären Punkt auf den Planken. Der junge O’Flynn blickte auf seinen wieder unbeweglich dastehenden Vater, und selbst Pete Ballie schien die Lust am Steuern des Schiffes verloren zu haben.

Verdammt, hier war doch alles anders als sonst, überlegte Hasard. Diese Inseln waren anders. Weit vor ihnen lagen sie da, und über allem war ein Hauch, der jegliches Leben erstarren ließ. Es schien, als würden sie tausendjährig im Schlaf liegen und müßten erst geweckt werden.

„Verdammt!“ schrie er laut. „Was ist denn auf diesem Schiff los? Liegt hier alles im Schlaf, oder habt ihr Kerle heimlich ein Rumfaß leer gesoffen?“

In die erschlafften Gestalten kam augenblicklich Bewegung. Carberry reckte sich und schob sein Rammkinn vor.

„Was sollen wir tun, Sir?“

„Das müßtest du als Profos doch am besten wissen, Mister Carberry. Du stehst da wie ein altes Weib. Gleich schlafen wir alle ein, und dann hängen wir auf irgendeinem Korallenriff.“

„Aye, aye, Sir“, sagte Ed lahm. „Es muß an der Luft liegen. Das ist eine richtig warme Brühe, die einen einschläfert.“

Hasard ertappte sich dabei, daß er selbst gähnte, es aber gerade noch unterdrücken konnte und nur das Gesicht verzog.

„Ja, wahrscheinlich hast du recht“, meinte er. „Kann sein, daß ein Wetterumschwung bevorsteht, das haben wir ja nicht zum ersten Mal erlebt.“

„Aye, aye, Sir“, entgegnete Ed.

Trotzdem schlug die Stimmung nicht um. Es war nicht so, daß sie jetzt alle mißmutig oder griesgrämig waren oder die Stimmung auf den Nullpunkt sank, es war eine andere Sache, die auf die Gemüter drückte, eine Art gewisser Wetterfühligkeit, die in diesem Teil der Südsee ganz besonders stark ausgeprägt war. Eine andere Erklärung hatte niemand.

Die Inseln, die aus dem Dunst des Horizonts auftauchten, wurden größer und traten klarer hervor.

Hasard deutete auf eine von dichten Palmengruppen umsäumte Insel, die in ihrer Mitte einen gekrümmten Buckel aufwies und aussah wie ein zum Sprung bereites Raubtier.

„Zwei Strich Backbord, Pete. Wir laufen die Insel an, die den großen Hügel hat. Sie scheint unbewohnt zu sein.“

„Zwei Strich Backbord“, wiederholte Pete Ballie und legte Ruder.

Für den Profos war das ein Signal.

„Brassen!“ brüllte er. „An die Brassen und rum mit den Zahnstochern, ihr triefäugigen Kakerlaken. Steht nicht rum wie verpennte Stockfische, ihr kalfaterten Miesmuscheln!“

Sein Brüllen riß die Männer auf Stationen, und jetzt endlich kehrte wieder Leben in sie, und damit es auch so blieb, hatte Ed noch ein paar ganz besonders zarte Ausdrücke auf Lager, die bei seinem berühmten Affenarschspruch begannen und sich fortsetzten bis zu wesentlich größeren Körperteilen gewisser Dickhäuter.

Die „Isabella“ nahm Kurs auf die Buckelinsel.

2.

Der Insel, die sie jetzt anliefen, schloß sich weiter nördlich eine weitere an. Bei Ebbe, wie sie jetzt herrschte, konnte man zu Fuß über die leicht herausragenden Korallenriffe von einer Insel zur anderen wandern.

Die Luft war unnatürlich stickig und heiß. Die leichte Brise, die wehte, führte brühwarme Luftmassen mit sich.

„Dort vorn – ein Auslegerboot“, sagte Ben Brighton. „Also ist die Insel doch bewohnt.“

Hasard sah sich das Boot an. Es war ein Stück auf einen reichlich unzugänglichen Strand hinaufgezogen worden und sah genauso aus wie die Boote, die von den Eingeborenen der anderen Inseln benutzt wurden.

„Tatsächlich, dort vorn bewegt sich auch etwas.“

Gleich darauf sahen sie es deutlicher, und was dort geschah, versetzte die Seewölfe in Erstaunen.

Vier braunhäutige, kleinere Männer hackten wie wilde Teufel auf einem länglichen Gegenstand herum. Sie schienen alle Wut der Welt an diesem hölzernen Ding auszulassen und ruhten nicht eher, bis es kurz und klein geschlagen war.

Entweder bemerkten sie die heransegelnde „Isabella“ in ihrem unglaublichen Eifer nicht, oder sie ignorierten das Schiff, aber das fand Hasard höchst unwahrscheinlich.

Der junge O’Flynn, der sich neben Hasard und Ben ebenfalls auf dem Achterdeck aufhielt, schüttelte erstaunt den Kopf. Sein Adlerblick hatte noch vor den anderen erkannt, um was es sich handelte.

„Die schlagen einen Einbaum kaputt“, sagte er.

„Einen Einbaum?“ fragte der Seewolf. „In dieser Ecke hat man nur ganz selten Einbäume.“

„Es ist ein Einbaum“, beharrte O’Flynn. „Es war jedenfalls einer, denn jetzt ist es nur noch ein Trümmerhaufen.“

Ja, es stimmte, was Dan behauptete. Es war ein Einbaum, ein ganz leichter und sicher nicht seetüchtiger. Vermutlich war er aus dem dikkeren Stamm einer Palme gearbeitet.

Was die vier Insulaner damit bezweckten, verstand niemand an Bord.

Selbst die Reste zerstörten sie noch einmal, indem sie mit kleinen Äxten oder Beilen darauf losschlugen.

Immer noch kümmerten sie sich nicht um das Schiff, das jetzt in ihrer Nähe die Segel aufgeite und in die kleine Bucht trieb.

„Fallen Anker!“ rief der Profos mit Donnerstimme, nachdem Smoky die Wassertiefe ausgesungen hatte.

Erst als der Anker klatschend in die See fiel, zuckten die vier Männer zusammen und drehten sich um.

Augenblicklich schienen sie zu versteinern. Sie standen wie vom Donner gerührt da. Offenbar hatten sie das Schiff tatsächlich nicht bemerkt, als es die kleine Landzunge gerundet hatte. Jetzt betrug die Entfernung gerade noch etwas mehr als eine Kabellänge.

So schnell, wie sie erstarrt waren, kehrte auch wieder Leben in sie zurück.

Einer von ihnen deutete voller Entsetzen auf die „Isabella“. Daraufhin rannten sie los, schoben ihren Ausleger ins Wasser und sprangen in das Boot.

Nur der vierte Mann befand sich noch bis zu den Knien im Wasser und schob das Boot an.

Hasard hatte das Spektiv am Auge und blickte hindurch.

Der Insulaner tat noch ein paar Schritte, dann begann in seiner unmittelbaren Nähe plötzlich das Meer zu kochen, es wurde aufgewühlt, brodelte immer stärker, und kleine blitzende Leiber flitzten nach allen Seiten.

Dan, der das zweite Spektiv hatte, ließ es voller Entsetzen sinken.

„Piranhas!“ sagte er entsetzt. „Das ist fast unvorstellbar!“

„Das sind keine Piranhas“, erwiderte der Seewolf. „Das ist etwas anderes. Es sieht aus wie tausend kleine Aale mit gelblicher Unterseite. Ja, eine Art Aal“, sagte er nachdrücklich.

Auf der „Isabella“ verfolgten jetzt alle angespannt das Geschehen, das sich vor ihren Augen abspielte.

Offenbar wurde der Insulaner von den kleinen Biestern pausenlos angegriffen und attackiert, denn ein hoher, dünner Schrei drang herüber, so voller Entsetzen und Schmerz, daß er ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Dan O’Flynn war drauf und dran, sich über die Balustrade zu schwingen, ins Wasser zu stürzen und dem Insulaner zu helfen. Aber eine harte Hand hielt ihn zurück, und für eine Sekunde blickte ihn der Seewolf aus seinen eisblauen Augen an.

„Auf keinen Fall, Dan“, sagte er. „Außerdem ist es zu spät, du kannst nicht mehr helfen.“

Unterdessen ging das Drama am Strand weiter.

Die drei anderen Insulaner setzten das kleine Segel. Ohne sich um ihren Kameraden zu kümmern, segelten sie los. Sie drehten sich nicht einmal nach dem schreienden Mann um.

Der griff voller Panik ins Wasser, hieb um sich, schrie und versuchte den Strand zu erreichen. Einmal bückte er sich, riß einen aalähnlichen Fisch aus dem Wasser und schleuderte ihn voller Zorn und Angst zum nahen Strand hinauf.

Noch einmal gellte sein Schrei über das Wasser. Dann fiel der Insulaner steif um und trieb leblos im Wasser, mit dem Gesicht nach unten.

Niemand zweifelte daran, daß er tot war.

Auf der „Isabella“ standen die Seewölfe wie erstarrt. Die meisten blickten auf den alten O’Flynn, der mit steinernem Gesicht zum Strand schaute. Diese Inseln waren verflucht, sagte sein Blick, und hier lag der Pesthauch des Todes, das war immer deutlicher zu spüren.

„Seeschlangen“, sagte Old O’Flynn mit unbewegtem Gesicht. „Seeschlangen haben ihn getötet.“

„Es gibt keine Seeschlangen“, sagte der graubärtige Big Old Shane in die Stille hinein, aber er schien selbst daran zu zweifeln.

„Und es gibt doch welche“, behauptete Old O’Flynn stur. „Ihr werdet sie schon noch sehen.“

„Laßt das kleine Boot zu Wasser!“ befahl der Seewolf.

Er zog wieder das Spektiv auseinander und blickte zu jener Stelle am Strand, wo die Leiche des Insulaners immer noch mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb.

Während das kleine Boot abgefiert wurde, rätselte Hasard daran herum, was den Insulaner so blitzschnell getötet hatte. Als das Wasser zu brodeln begann, bis zu jenem Augenblick, da der Mann starb, war nicht einmal eine Minute vergangen. Aber es stand außer Frage, daß ihn diese kleinen Fische getötet hatten, es konnte gar nicht anders sein.

Er winkte dem Kutscher und Feldscher der „Isabella“.

„Du fährst mit zum Land, Kutscher, ebenso der Profos und ich.“

„Und die Wasserfässer?“ fragte der Kutscher prompt.

„Um die geht es im Augenblick nicht. Wasser nehmen wir später. Ich will mich hier nur einmal umsehen. Es ist immerhin möglich, daß auf dieser Insel ebenfalls Kopfjäger leben und wir einen Anschlag aus dem Hinterhalt befürchten müssen. Laß dir vom Profos eine Waffe geben und dann ab ins Boot.“

„Aye, aye, Sir!“

Hasard sah dem Auslegerboot nach, das jetzt die Stelle erreicht hatte, wo die eine Insel in die andere, weitaus kleinere überging. Deutlich ragten die scharfen Korallen aus dem Wasser, aber dazwischen gab es auch Stellen, die fast glatt und eben waren.

Die Insulaner umsegelten die Korallen. Kein einziges Mal hatten sie sich umgedreht, nachdem sie ihr Zerstörungswerk beendet hatten. Sie warfen auch keinen einzigen Blick zurück auf ihren toten Kameraden.

Vielleicht hatte sie die Angst vertrieben, überlegte der Seewolf, vielleicht war es aber auch etwas anderes. Das wollte er feststellen.

Der Profos Edwin Carberry händigte dem Kutscher zwei Pistolen aus, die er sich in den Gürtel steckte.

Dann stiegen sie in das Boot und legten ab. Solange der Seewolf abwesend war, hatte Ben Brighton das Kommando über die „Isabella“.

Al Conroy war damit beschäftigt, die beiden vorderen Drehbassen zu laden und auf Land zu richten – für alle Fälle. Ebenso waren zwei Culverinen feuerbereit.

Der Profos trieb das kleine Beiboot dem Strand entgegen, jener Stelle zu, wo auch der Eingeborene im Wasser lag und allmählich dem Strand entgegenschaukelte.

„Langsam, Ed“, sagte Hasard. „Wir bringen den armen Kerl an Land.“

Hasard wollte nach dem Arm des Toten greifen, um ihn das kurze Stück auf den Sand zu ziehen.

Aber ein lauter Warnschrei des Kutschers hielt ihn zurück.

„Achtung, Sir, im Wasser!“

Hasards ausgestreckte Hand zuckte zurück. Im ersten Augenblick hatte er die blitzenden Leiber nicht wahrgenommen, weil sich die Sonne auf dem Meer spiegelte. Der Kutscher sah sie aus seinem Blickwinkel besser.

Es waren Tausende, die unter Wasser hin und her flitzten, durcheinanderquirlten und mehrere Schwärme bildeten, die sich im Zickzack rasend schnell bewegten.

Auch der abgebrühte Profos starrte schaudernd in das Wasser.

„Das sind tatsächlich Seeschlangen“, stöhnte er. „Also gibt es doch welche, und Old Donegal hat nicht gesponnen.“

Hasard widersprach nicht, denn was er sah, hatte mit gewöhnlichen Aalen oder selbst Muränen nichts gemeinsam.

Es waren Schlangen von annähernd zwei Yards Länge, einem typischen Schlangenkopf, allerdings mit einem etwas abgeplatteten Schwanzende, das zur schnelleren Bewegung diente. Wenn sich die Schlangen im Wasser drehten, erkannte man deutlich die stark gefärbte gelbe Unterseite auf ihren Bäuchen.

Keiner der Seewölfe kannte sie genau, aber für den Kutscher stand fest, daß sie giftig waren und ihr Biß den Tod des Insulaners verursacht hatte.

„Anscheinend beißen sie sofort, sobald sich im Wasser etwas bewegt“, sagte der Kutscher. „Diese Biester sind wie die Schlangen an Land und genauso giftig, wenn nicht noch giftiger.“

„Ja, das ist stark anzunehmen, daß sie sofort angreifen. Aber der Insulaner hätte das doch wissen müssen, zumal sie hier in riesigen Schwärmen auftreten.“

„Er hat sie sicher zu spät bemerkt, oder er kam nicht mehr schnell genug ins Boot hinein.“

Der Kutscher nahm die Leine, die im Boot lag, streifte das Auge um den Arm des Mannes und zog ihn mit.

Am Strand gab es ein Problem, als das Boot auflief. Es lief nicht bis auf den Sand hinauf. Sechs, sieben Yards Wasser blieben noch zwischen ihnen, und die waren nur zu überwinden, wenn man im Wasser ein paar Schritte ging.

Der Kutscher sah den Profos an.

„Spring du zuerst!“ sagte er und kratzte sich das Kinn.

„Du spinnst wohl, was, wie? Wie kann ich denn diese Strecke mit einem Satz springen!“

Er blickte in das flache Wasser und sah die langen Schlangen, die sich mit atemberaubender Schnelligkeit durch ihr Element schlängelten. Ein ganzer Schwarm befand sich dicht am Ufer.

„Ich habe Stiefel an“, sagte Hasard. „Durch das Leder beißt keine Schlange der Welt, auch keine Seeschlange.“

Er sprang ins seichte Wasser und sah nach unten. Seine Stiefel hatten den gelblichen Sand noch nicht richtig berührt, als sich die Schlangen auch schon darauf stürzten. Sie glitten heran, bissen zu und verschwanden wieder wie der Blitz.

Eine von ihnen schleuderte der Seewolf mit einem gewaltigen Fußtritt aus ihrem Element. Das Biest war länger als zwei Yards, und noch als der Schlenker erfolgte, versuchte es, sich um den Stiefel zu winden.

Hasard verstand nicht, warum diese Tiere so ungemein angriffslustig und aggressiv waren. Sie stürzten sich auf alles, was sie sahen, bissen und verschwanden wieder.

An der Küste wimmelte es von ihnen.

Er zog den Toten an den Strand, ging dann wieder zurück und befestigte die Leine am Boot.

„Setzt euch nach achtern, dann ziehe ich das Boot auf den Strand hinauf“, sagte er. „Oder soll ich euch tragen?“

„Um Himmels willen, Sir“, protestierte der Profos. „Die lausigen Plattfische an Bord würden sich totlachen, wenn der Kapitän seinen Profos an Land trägt wie ein Wickelkind.“

„Lieber so, als von diesen Biestern gebissen zu werden. Nehmt euch gut in acht, die schnellen sich sogar aus dem Wasser. Irgend etwas scheint sie zur Raserei zu treiben.“

Die Seeschlange, die Hasard aus dem Wasser befördert hatte, wand sich durch den Sand, richtete sich blitzschnell auf, stieß voller Wut den Schädel in den Sand und ließ ihren Schwanz peitschen, daß der Sand nach allen Seiten flog.

Hasard zog sein Entermesser, nahm kurz Maß und warf. Der erste Wurf nagelte das zuckende und sich wie wild gebärdende Reptil in den sandigen Boden. Als sie nicht mehr zuckte, trennte er ihren Kopf ab, um Aufschluß über die Gefährlichkeit zu erhalten.

An den Vorderzähnen des Oberkiefers befand sich eine winzige Giftrinne, und das sagte dem Seewolf mehr als genug. Diese Schlangen waren absolut tödlich, und ihr Gift wirkte innerhalb sehr kurzer Zeit. Wer von einer dieser Giftschlangen gebissen wurde, brauchte keine Hilfe mehr. Anscheinend hatten nicht einmal die Insulaner ein wirksames Heilmittel.

„Verdammte Inseln“, sagte Carberry verbissen. „Ich verstehe nicht, wie Donegal so etwas voraussehen kann. Hier liegt wirklich die Pest über allem, und es riecht nach Gift und Hölle. Wieso weiß dieser Bursche das?“

Hasard zuckte mit den Schultern.

„Es ist nun mal eine Tatsache“, gab er widerwillig zu, „aber erklären kann ich sie deshalb noch lange nicht. So, Kutscher, jetzt sieh dir mal den Mann an, ob er gebissen wurde. Wenn man seinen Feind kennt, kann man ihn besser einschätzen.“

Der Tote war im Gesicht leicht blau verfärbt und hatte die Augen schrecklich weit aufgerissen. Bekleidet war er lediglich mit einem bunten Tuch um die Hüften, das auf den Oberschenkeln endete. Sonst trug er nichts, auch im Aussehen unterschied er sich nicht von den anderen Insulanern dieser feuchtheißen Inselgruppe.

Der Kutscher untersuchte ihn genau, und er hatte alle Mühe, die winzigen Bißstellen zu entdecken. Sie waren wie Nadelstiche, und die winzigen Wunden bluteten auch nicht.

„In die Beine ist er mindestens zwei Dutzend Male gebissen worden“, sagte der Kutscher. „Das war gleich am Anfang, als er noch das Boot schob. Dann sind sie regelrecht über ihn hergefallen. Die vielen kleinen Bisse lassen sich nicht mehr zählen.“

„Glaubst du, daß der Biß einer einzigen Schlange bereits tödlich ist?“ fragte Hasard.

„Da bin ich ganz sicher, Sir. Ein einziger Biß genügt, und man steht nie wieder auf.“

„Dann müssen wir höllisch aufpassen, daß niemand ins Wasser springt, fällt oder leichtsinnig hineingeht.“

„Dagegen sind die Dons die reinsten Wickelkinder“, sagte Ed.

Sie sahen sich um. Über der Landschaft lag eine eigenartige, bedrükkende Stille. Kein Vogel zwitscherte, kein Tier ließ sich blicken. Vom Sand stieg brühwarmer, auf die Nerven gehender Dampf auf. Die Luftfeuchtigkeit war hier noch höher als auf allen anderen Inseln.

Ein paar Palmen standen an dem steinigen Strand, dahinter folgte eine von fahlgelbem Gras bewachsene Fläche, gleich dahinter begann der Buckel, ein dicht bewaldeter Berg, der der Insel das merkwürdige Aussehen gab.

Sie legten den Toten hinter die Palmen und bedeckten ihn mit einem kleinen Hügel aus Steinen.

Als Hasard sich umdrehte, bemerkte er, daß der Rumpf der kopflosen Seeschlange wieder wild zu zucken begann. Es war ein unheimlicher Anblick, wie er sich weiter durch den Sand schlängelte, als wäre ihr nichts passiert.

„Scheißinsel“, sagte Ed. „Noch nie habe ich mich in der gesamten Südsee so schlecht gefühlt wie hier. Als wäre alles verhext oder mit Gift überzogen.“

„Auf dieser Insel riecht man den Tod“, sagte der Kutscher, und er meinte es mit seinen Worten verdammt ernst. „Er scheint hier überall zu lauern.“

„Nun übertreibe mal nicht, Kutscher“, sagte Hasard. „Sehen wir uns das zertrümmerte Boot an.“

Bis zu dem kleinen Wrack waren es nur ein paar Schritte. Bei jedem Schritt knisterte und knirschte der Sand unter ihnen, als trete man auf frisch gefallenen Schnee.

Die einzigen Lebewesen am Strand waren Krebse, die blitzschnell in ihre im Sand gebuddelten Löcher flohen, sobald sie sich ihnen näherten. Ab und zu glotzten sie mit ihren Stielaugen heraus, dann verschwanden sie wieder.

Vor dem Wrack blieb der Seewolf kopfschüttelnd stehen. Aus den Überresten ließ sich trotz der Verwüstung noch einwandfrei erkennen, daß es sich um den etwas breiten Stamm einer Palme handelte. Er war ausgehöhlt worden und sollte fraglos als Wasserfahrzeug dienen, in dem ein Mann Platz hatte.

„Stell dir das einmal vor, Sir“, sagte der Kutscher. „Da kommen ein paar Insulaner mit ihrem Ausleger zu dieser Insel, tun nichts weiter, als das fragwürdige Boot zu zerstören, und verschwinden danach wieder. Siehst du darin einen Sinn?“

„Nein“, gab Hasard ehrlich zu. „Nicht den geringsten. Aber die Männer sind nicht von dieser Insel, damit hast du recht. Sie stammen zweifellos von einer anderen, weit entfernten.“

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