Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 227»
Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-563-7
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
1.
Dieser 14. Juni 1591 schien ein ganz besonders friedvoller Tag zu werden, dafür sprachen alle Anzeichen.
Die „Isabella VIII.“ segelte mit Dreiviertelwind unter seidig blauem Himmel auf grünlich schimmernden Wogen.
An Backbord lag die Insel Hispaniola als dunkelgrüner Strich. Alles sah verträumt und friedvoll aus, und so hatten die Männer der „Isabella“ auch ausgesprochen gute Laune.
Auf der Kuhl schnitt der alte Segelmacher Will Thorne ein neues Schönwettersegel zurecht. Der Moses Bill half ihm dabei, und wenn es nichts zu helfen gab, dann schaute er dem Segelmacher die kleinen Tricks und Kniffe ab, die der Alte im Schlaf beherrschte.
Seit sie die Silverbank passiert hatten, war ihnen kein einziger Don mehr begegnet. Überhaupt schien es weit und breit kein einziges Schiff zu geben, und die Seewölfe hatten das Gefühl, als segelten sie allein durch das Karibische Meer.
Gegen Mittag wurde die friedvolle Ruhe dann jäh unterbrochen, und ein Ereignis trat ein, mit dem niemand gerechnet hatte.
„Auf Nordnordwest gehen!“ sagte Philip Hasard Killigrew zu Gary Andrews, der am Ruder stand. „Da drüben haben wir schon Cabo Isabela, es wird also langsam Zeit zum Kurswechsel.“
„Auf Nordnordwest gehen“, wiederholte der hellblonde, hagere Gary.
Seine schlimme Narbe über der Brust war im Laufe der Jahre verblaßt, aber jetzt, als er mit nacktem Oberkörper am Ruder stand, sah man sie deutlich als fast weißen Strich.
„Nordnordwest liegt an, Sir“, sagte Gary nach einer Weile, als er Ruder gelegt hatte. „Übrigens, Sir, wir sind nicht mehr weit von Tortuga entfernt. Erinnerst du dich noch?“
Hasard sah Gary Andrews lächelnd an. Mit einer schnellen Handbewegung strich er sich die schwarzen Haare aus der Stirn.
„Und ob, mein lieber Gary. Wer könnte Tortuga jemals vergessen! Das Stichwort Tortuga ist gleichbedeutend mit Caligu, mit Juanita, Alana und dem fetten Diego, dem Kneipenwirt. Aber das liegt schon eine sehr lange Zeit zurück.“
„Diego“, sagte Gary grinsend. „Ob es den wohl noch gibt?“
„Das werden wir spätestens auf der Schlangen-Insel erfahren. Zweihundert Seemeilen noch, dann wissen wir es.“
„Warum sollte es ihn eigentlich nicht mehr geben?“ fragte Gary sinnend. „Er ist ein Kerl, der sich eine Position erschaffen hat, die er auch behält. So eine Art Festung ist er, und er ist kein Gauner wie Nathaniel Plymson. Diego hat sich immer neutral verhalten.“
„Das ist richtig. Vielleicht hat er sich gerade aus diesem Grund immer behaupten und durchsetzen können.“
Hasard blickte auf die Seewölfe, die gerade mit dem Nachbrassen beschäftigt waren. Der Profos Edwin Carberry scheuchte mit grimmigem Gesicht die Männer herum und ließ wieder seine Lieblingssprüche ab, die sich um edle Körperteile drehten.
Dann war es mit der Ruhe vorbei.
Der Seewolf wollte gerade nach achtern in seine Kammer gehen und hatte den Fuß bereits auf die erste Stufe des Niedergangs gesetzt, als ein donnernder Schlag durch die „Isabella“ ging. Es polterte laut, es knirschte und rumpelte, und dann war Stille.
Unmerklich hob sich das Achterschiff, dann glitt der ranke Segler weiter, als wäre nichts geschehen.
Ein Riff, dachte Hasard im ersten Augenblick. Ein Riff oder eine kleine Korallenbank, die sich ganz dicht unter der Wasseroberfläche befand. Und da waren sie rübergeschrammt!
Er warf einen wilden Blick nach oben in den Großmars, wo Luke Morgan Ausguck hatte.
„Verdammt! Hast du nichts gesehen, Luke!“ brüllte der Seewolf mit einer Stimme, die noch mühelos bis zum fernen Küstenstrich zu hören sein mußte.
Luke stand oben hinter der Segeltuchverkleidung und starrte angestrengt in das schaumige Kielwasser, die Bahn aus Blasen, die die „Isabella“ achteraus zurückließ.
Er zuckte deutlich zusammen und schüttelte dann den Kopf.
„Nein, Sir, nichts! Kein Riff, gar nichts! Auch jetzt ist immer noch nichts zu sehen.“
Hasard lief wieder nach achtern zurück und warf einen Blick in das Kielwasser. Aber sosehr er seine Augen auch anstrengte, er sah ebenfalls nichts, nicht die Andeutung eines Riffs, keinen typischen Wirbel im Wasser.
Nun, dann kann Luke ebenfalls nichts gesehen haben, dachte er. Und als Dan O’Flynn die See achteraus mit den Blicken absuchte, entdeckten selbst seine scharfen Adleraugen keine Spur.
„Das könnte auch ein großer Fisch gewesen sein, der uns gerammt hat“, vermutete er. „Ein Wal vielleicht, der anschließend gleich wieder auf Tiefe gegangen ist.“
Er wollte noch etwas hinzufügen, doch dann sah er, daß das Kielwasser einen „Knick“ kriegte, und im selben Augenblick tönte Gary Andrews Stimme.
„Wir laufen aus dem Ruder, Sir!“ schrie Gary. „Anscheinend ist das Ruderblatt gebrochen.“
Dann folgte das, was unbedingt folgen mußte. Es war schon so eine Art Bordgesetz, daß der alte O’Flynn wieder seinen Senf dazugab.
„Das war ein Meermann“, behauptete er hartnäckig, und um das zu bekräftigen, stieß er mit seinem Holzbein hart auf die Planken.
„Ein Meermann, dessen Zorn wir herausgefordert haben“, setzte er noch hinzu. „Diese Burschen können dann fuchsteufelswild …“
„Ich auch!“ schrie Hasard. „Und zwar sofort! Ich will von deinen lausigen Meermännern nichts mehr hören, Donegal Daniel O’Flynn!“
Der Mund des Alten verkniff sich, und seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Wortlos drehte er sich um und humpelte davon. Gleich darauf sah ihn Hasard an der Arbeit.
Inzwischen hatte Ben Brighton das Kommando zum Aufgeien gegeben, denn die „Isabella“ lief immer mehr aus dem Ruder, luvte an, und die Segel begannen zu killen.
Hasard sprang selbst ans Ruder und legte es nach Backbord.
„Der Bolzen ist es nicht“, sagte er, „und verklemmt ist der lausige Quirl ebenfalls nicht.“
Vor noch gar nicht so langer Zeit war ihnen schon etwas Ähnliches bei der Insel der Feuerberge passiert. Da war es ein Baumstamm gewesen, der das Ruder beschädigt hatte. Aber da hatten sie eindeutig gesehen, was passiert war.
Hier ließ sich nur vermuten, daß es ebenfalls ein unter Wasser treibender Gegenstand gewesen sein mußte. Womöglich ebenfalls ein Baumstamm, der sich kurz vorm Absaufen befand und der das Ruderblatt noch einmal erwischt hatte. Vermutlich war er bei diesem Anprall dann auf Tiefe gegangen, so jedenfalls schätzte der Seewolf die Situation ein.
Das Ruder funktionierte wie sonst auch immer, es ließ sich leicht drehen, zu leicht diesmal, und das hieß nichts anderes, als daß ein Teil des Blattes fehlte.
Inzwischen hingen die Segel im Gei, und der Rahsegler dümpelte leicht durch das Wasser.
Der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker erschien auf dem Achterdeck und beugte sich besorgt über das Steuerbordschanzkleid.
„In den Räumen ist nichts passiert“, sagte er. „Keine Planke ist beschädigt. Der Schlag ist ausschließlich gegen das Ruderblatt erfolgt. Wovon, das weiß der Teufel. Und wüßten wir es, hilft uns das auch nicht weiter.“
Er beugte sich noch weiter vor und rief über die Schulter: „Legt mal Hartruder Steuerbord! Von dem verdammten Ding ist ja überhaupt nichts mehr zu sehen!“
Hartruder wurde gelegt, und als es auf Widerstand stieß, erkannte der Zimmermann immer noch nichts. Es war ohnehin eine ziemlich uneinsehbare Stelle, ein gewisser toter Winkel, und so zog er seinen Kopf wieder zurück.
„Ich sehe mir das selbst an“, sagte er dann. „Werft mir nachher eine Leine zu.“
Carberry sah seinen breitschultrigen Freund zweifelnd an und tippte dann mit dem Finger an den Kopf.
„Nimm das Tau lieber mit“, riet er. „Oder siehst du gehobelter Stint nicht, daß wir noch Fahrt laufen, was, wie? Im Nu hängst du eine Meile achteraus.“
„Hmm, da hast du ausnahmsweise recht“, brummte Ferris.
„Ich hab immer recht“, sagte der Profos. „Wenn ich etwas behaupte, dann hat es Hand und …“
„Soll ich euch mit den Schädeln zusammenstoßen?“ fragte der Seewolf freundlich.
Ferris Tucker grinste, band sich die Leine um den Bauch, setzte sich aufs Schanzkleid und ließ sich in die Tiefe fallen. Er landete wie ein Sack Mehl im Wasser, tauchte aber gleich wieder auf, spie einen Strahl Wasser aus und ließ sich an der Leine nach achtern treiben.
Für die an Bord befindlichen Männer war er eine Zeitlang verschwunden, sie hörten ihn nur im Wasser planschen.
„Ein zweiter Mann in den Ausguck!“ befahl Hasard. „Er soll ein Spektiv mitnehmen. Am besten gehst du selbst, Dan! Gib gut acht, ob irgendwo Schiffe an der Küste stehen, denn augenblicklich sind wir so hilflos wie ein frisch gewickelter Säugling.“
„Aye, Sir“, sagte Dan und rannte los.
Die Situation war vertrackt, sie hatten wieder ein Problem am Hals, das niemand einkalkuliert hatte. Zwar wurden die Bolzen der Ruderanlage immer wieder von Ferris Tucker kontrolliert, und in dieser Hinsicht passierte nur noch ganz selten etwas, aber es gab eben doch Situationen, in denen alle Kontrolle nichts nutzte.
„Dabei begann der Tag so freundlich“, maulte der Profos. „Eben noch auf Rosenkissen, jetzt schon in die Hos’ geschissen.“
„Ja, so ist das Leben“, sagte der alte O’Flynn tiefsinnig. „Mal oben, mal unten.“
„Selten so tiefsinnige Lebensweisheiten gehört“, sagte der Seewolf. „Da kleckert die Intelligenz ja richtig auf die Planken. So laut, daß man es hört.“
O’Flynn schwieg verbiestert. Carberry räusperte sich dezent und kratzte verlegen seine Bartstoppeln. Na ja, dachte er bescheiden, geistreiche Sprüche hatten sie wirklich nicht abgelassen. Kein Wunder, wenn Hasard sarkastisch reagierte.
Ein Ruck an der Leine kündigte an, daß Ferris Tucker mit seiner Besichtigung fertig war.
Hand über Hand hievten sie ihn hoch. Er selbst hielt mit der einen Hand die Leine an seinem Körper fest und kletterte senkrecht an der Bordwand hoch.
Schon an seinem Gesichtsausdruck erkannte Hasard, daß von dem Ruder nicht mehr viel übrig war, und als Ferris wieder an Deck stand, nickte er ernst.
„Muß ein Stück Treibholz gewesen sein“, sagte er. „Der Ruderschaft ist zum Glück heil geblieben, und wir können aus den Resten ein Notruder anschlagen. Die hängen nämlich noch dran. Nur werden wir nicht drum herumkommen, irgendwo aufzuslippen. Und segeln müssen wir sehr, sehr vorsichtig.“
Hasard änderte seinen Entschluß, auf dem kürzesten Weg die Schlangen-Insel anzulaufen.
„Wir schlagen ein Notruder an und segeln nach Tortuga“, sagte er. „Dort haben wir die Möglichkeit, das Ruder zu erneuern. Auf der Schlangen-Insel schaffen wir nicht einmal das Höllenriff mit einem Notruder. Also fangen wir gleich an!“
Ferris Tucker und der grauhaarige ehemalige Schmied von Arwenack, Big Old Shane, widmeten sich vom abgefierten Beiboot aus der Arbeit.
Ein provisorisches Ruder anzuschlagen war gar nicht einmal so schwierig, wie es sich anhörte, aber es war und blieb eben nur ein Provisorium. Erhielt es zu starken Druck, dann brach es erneut, folglich mußten sie so segeln, wie Ferris das schon vorher betont hatte: sehr, sehr vorsichtig!
Die Arbeit nahm etwa zwei Stunden in Anspruch. Die „Isabella“ dümpelte auf den Wellen und beschrieb fast einen Kreis.
Ferris und Big Old Shane hatten alte Planken zersägt und sie um die noch verbliebenen Reste des alten Ruderblattes genagelt. Zwei dünne Leinen hielten den Rest am Ruderschaft fest. Das Ganze sah jetzt eher wie ein unförmiger Kasten aus, aber das Notruder erfüllte seinen Zweck mit Sicherheit, vorausgesetzt, sie gerieten nicht unversehens in einen starken Sturm mit grober See.
„Sieht aus wie eine bandagierte Seekuh“, sagte der Profos, als Ferris ihn nach seiner Meinung fragte. „Aber die Hauptsache ist, es hält bis Tortuga. Dort können wir in aller Ruhe darangehen, ein neues Ruder zu bauen.“
„In aller Ruhe?“ wiederholte Ferris höhnend. „Was glaubst du wohl, was inzwischen aus Tortuga geworden ist, eh? Ein Nest voller friedvoller Chorknaben? Da hat sich doch neues Gesindel festgesetzt – Piraten, Gauner, Haderlumpen. Die werden uns wohl kaum mit großem Wohlwollen empfangen, wenn sie erst wissen, wer wir sind.“
Carberry sah seinen Freund düster an. Dann fuhr sein abgewinkelter Zeigefinger über seine Bartstoppeln am Kinn, und es hörte sich an, als marschiere eine Horde triefäugiger Küchenschaben raschelnd über das Deck.
„Hm, vielleicht hast du recht. Ist auch schon verdammt lange her, daß wir da gesungen haben. Na, wir werden ja sehen.“
Dann drehte er sich um und sah die Männer grimmig an.
„Könnt ihr schwangeren Plattfische euch nicht denken, daß wir jetzt weitersegeln?“ fuhr er sie an. „Oder glaubt ihr etwa, wir dümpeln hier nur rum, weil wir Langeweile haben, was, wie? Wenn ihr nicht gleich auf den Stationen seid, dann streiche ich euch eure Affenärsche grün an!“
„Aber meinen mit weißen Punkten, bitte“, sagte Matt Davies grinsend. Dann hatte er es allerdings ziemlich eilig, zu verschwinden, denn Carberrys Gesicht verhieß nichts Gutes.
Immer noch war weit und breit kein anderes Schiff zu sehen, als auf der „Isabella“ wieder die Segel gesetzt wurden. Nur dicht unter Land war ein winziges Segel zu erkennen, aber das gehörte zu einem harmlosen Fischerboot. Niemand hatte sie in der Zeit der Reparatur behelligt. In dieser Ecke war das fast ein Wunder, denn hier kreuzten häufig Spanier herum, die in Geleitzügen über den Atlantik segelten.
Hasard wünschte sich zur Zeit weder Dons noch Piraten. Mit dem notdürftig geflickten Ruder waren sie hilflos und konnten sich nicht in Gefechte verwickeln lassen. Sie würden es nicht einmal schaffen, sich schnell zu verdrükken.
Der Seewolf überprüfte selbst, wie das Ruder auf Druck reagierte.
„Etwas schwerfälliger als sonst“, sagte er zu seinem Bootsmann Ben Brighton, „aber bis zur Südspitze Tortugas werden wir es mit Sicherheit schaffen.“
Ben Brighton nickte. In seinem Gesicht lag ein nachdenklicher Zug, dann überprüfte er das Ruder ebenfalls und ließ die „Isabella“ ein wenig abfallen.
Beim nächsten Ruderdruck begann es laut zu knarren, und der Rahsegler bewegte sich etwas träge.
„Hoffen wir das Beste“, sagte Ben mißtrauisch.
„Es hält“, versicherte Big Old Shane und strich mit seiner großen Hand durch den grauen Bart. „Es verträgt sogar noch wesentlich mehr Druck, da brauchen wir nichts zu befürchten.“
Er lächelte zuversichtlich, und die grenzenlose Ruhe, die von dem ehemaligen Schmied von Arwenack ausging, übertrug sich auch auf die anderen. Wenn Tucker und Shane das versicherten, dann mußte es ganz einfach stimmen, dann würde das Ruder auch halten.
Zwei Segel blieben im Gei hängen, damit der Druck auf das geflickte Ruderblatt nicht zu stark wurde.
Die „Isabella“ segelte weiter. Erst am späten Nachmittag begegnete ihr ein fremdes Schiff. Aber von dieser Galeone sahen sie nur die Andeutung eines Segels, einen Hauch nur, ehe sie auch schon wieder hinter der Kimm verschwand.
Den ganzen Tag lang geschah nichts. Auch in der folgenden Nacht blieb es ruhig. Gegen Morgen tauchte noch einmal eine Karacke auf, aber die wich rechtzeitig aus und lief nach Norden ab, als die „Isabella“ auf ihrem Kurs blieb.
Das Ruder hielt, allen Unkenrufen des alten O’Flynn zum Trotz. Und es hielt auch noch am anderen Tag, als Tortuga gesichtet wurde.
Da lag sie vor ihnen, die Südküste der Schildkröteninsel, und auf den harten Gesichtern der Seewölfe erschien das erste Grinsen. Deutlich war die Erwartungsfreude darin zu lesen.
„Zehn Jahre“, sagte Dan O’Flynn zum Profos. „Eine lange Zeit. Seitdem waren wir nicht mehr hier. Damals sind die Burschen, die man hier umgebracht hat, noch über die Totenrutsche ins Meer gesaust. Ob sich wohl viel geändert hat?“
Der Profos lehnte am Schanzkleid, seine mächtigen Unterarme lagen auf dem Handlauf. Er spuckte gemütlich nach Lee ins Wasser, während sein Blick auf die Insel gerichtet blieb.
An der üppigen Vegetation hatte sich nichts geändert. Dort wuchsen noch wie eh und je die Bananenpalmen und die Feigenbäume. Nur der Mahagoniwald auf dem Rücken der Schildkröte hatte einige Einbußen hinnehmen müssen. Wahrscheinlich hatte man das Holz gebraucht oder seinen Wert erkannt. Jedenfalls war der dichte Wald etwas geplündert und lichter geworden.
Ob die Insel jetzt jemandem gehörte, ließ sich noch nicht sagen. Vermutlich war sie wie seit langer Zeit immer noch der Unterschlupf zwielichtiger Gestalten, karibischer Piraten, und es regierte der, der sich am härtesten durchzusetzen vermochte.
„Ja, eine lange Zeit“, wiederholte der Profos. „Ein paar Häuser mehr sind es geworden. Sie sehen aus wie Nester, die man an den Berg geklebt hat. Und daß hier immer noch Piraten hausen, das sieht man schon von weitem. Aber alles in allem scheint die Zeit hier ziemlich spurlos vorbeigegangen zu sein.“
Mit schwacher Fahrt lief die „Isabella“ weiter in Richtung der Bohlenstege, an denen die Zeit ebenfalls kaum genagt hatte. Einige waren ausgebessert worden, die anderen sahen noch genauso aus wie vor zehn Jahren.
Eins hatte sich auf Tortuga jedoch überhaupt nicht verändert. Und das waren die Visagen jener Kerle, die von vergammelten und abenteuerlichen Galeonen, Karavellen und Karacken dreckig herübergrinsten.
Carberry zählte acht Schiffe im Hafen, darunter eine vor Anker liegende Galeere, ein schlankes, schnelles und wendiges Schiff, das sah er auf Anhieb.
Das Einlaufen der „Isabella“ gestaltete sich zu einer Art Spießrutenlauf, denn die Mannschaften der anderen Schiffe hatten Aufstellung genommen und beäugten den schlanken Rahsegler gierig, verschlagen, erwartungsvoll oder neidisch. So manchem der Halsabschneider, Schnapphähne und Gauner stand der Wunsch im Gesicht, sich dieses ranke Schiffchen unter den Nagel zu reißen.
„Alles ehrliche Kaufleute, fromme Pilger und ehrliche Fischer“, sagte der Profos, als er die Gestalten sah. Da standen sie am Schanzkleid wie Perlen an der Schnur. Einige trugen bunte Kopftücher, andere über der nackten Brust ein ledernes Bandelier, und darin steckten mitunter drei oder vier Pistolen. Etlichen fehlten die Zähne, ein anderer wieder hatte nur noch ein zerfranstes Ohr, und ein dritter sah so aus, als hätte man ihm den Schädel gespalten. Eine riesige blutrote Narbe zog sich senkrecht von der Stirn bis über die verunstalteten Lippen und weiter zum Kinn.
Als der Kerl auch noch hinterhältig zu ihnen herübergrinste, fiel selbst dem hartgesottenen Profos fast die Kinnlade herunter. Da erschien ein rosig klaffender Spalt, und in diesem fürchterlichen Gewölbe stand einsam und verlassen ein einzelner Zahn, und der schimmerte auch nicht gerade in hellen Tönen. Er sah eher aus wie ein verfaulter Ast.
„O Lord“, sagte der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker, „der Kerl sieht so aus, als hätte er unsere gesamten Vorräte an Flaschenbomben gefressen.“
„Und die sind ihm alle im Maul explodiert“, fügte Ed hinzu. „Junge, solch Gesindel hab ich schon lange nicht mehr gesehen. Die glotzen uns an, als wollten sie uns die ‚Isabella‘ gleich unterm Hintern wegklauen.“
Selbst den Seewolf bewegten beim Anblick dieser Visagen sehr gemischte Gefühle, obwohl er einiges gewohnt war. Diese Kerle gingen über Leichen. Wenn die erst einmal erfuhren, wer die Seewölfe waren, dann würde hier auf Tortuga mit Sicherheit ein Tänzchen stattfinden, eine Art Totentänzchen.
Auch an den Bohlenstegen lungerten bunte, wilde, abgerissene, verdreckte und schmierige Gestalten herum. Und in allen diesen Visagen stand ein hinterhältiges Grinsen, als würden sie sagen: Na wartet nur, ihr Burschen, ihr kennt uns noch nicht. Aber das wird nicht lange auf sich warten lassen!
Bevor sie anlegten, meldete Ben Brighton Bedenken an. Er zeigte mit dem Daumen auf die Schiffe, dann auf die herumlungernden Kerle und stieß tief die Luft aus.
„Hier aufzuslippen erscheint mir sehr bedenklich, Sir. Die Kerle lassen sich die Gelegenheit doch nicht entgehen. Siehst du nicht, wie begehrlich die Blikke sind, die sie uns zuwerfen? Die vermuten auf unserem Schiffchen reiche Beute.“
„Das Schiff selbst ist es, was ihnen in die Augen sticht“, sagte der Seewolf nachdenklich. „Für dieses Piratengesindel wäre die ‚Isabella‘ geradezu ideal. So schnell würde ihnen kein anderer mehr davonsegeln. Aber wir bleiben hier, wir haben keine andere Wahl. Die Kerle werden wir uns schon vom Leib zu halten wissen. Wenn wir angelegt haben, werden wir erst einmal die Lage peilen und feststellen, wer hier das Sagen hat.“
Er sah aus den Augenwinkeln ein paar Kerle, die sich eifrig um die Festmacher kümmerten und mit hämischem Grinsen nach den Trossen griffen.
Aber Smoky, der breitschultrige Decksälteste, ließ auf der Back doppelte Bucht setzen, und so kriegte die Vorleine keiner der Kerle erst in die Hand. Das war eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn bei einem schnellen Ablegemanöver genügte eine schlenkernde Handbewegung, und das Schiff war frei. Das Auge der Vorleine blieb also auf dem Schiffspoller, und die Leine wurde um den Landpoller nur herumgelegt.
Als achtern belegt wurde, blieb einer der grinsenden Kerle auf dem Poller hocken. Vielleicht dachte er, der narbige Kerl mit dem Eisenkinn würde sich darüber totlachen, vielleicht aber fühlte er sich auch nur stark.
Schon das Gesicht des Profos’ hätte dem verluderten Kerl zu denken geben müssen, aber wahrscheinlich konnte er nicht denken, und bei seinem kleinen Schädel, um den ein rotes Band geschlungen war, wunderte das den Profos auch nicht. In einem kleinen Kopf konnte auch nicht viel drin sein, überlegte Ed.
„Na, du ungewaschenes Rübenschwein“, sagte Ed lauernd. „willst du nicht lieber verholen, was, wie?“
„Hä?“ fragte der Kerl und blieb sitzen.
Carberry hielt die Leine in der Hand. Dadurch, daß die Vorleine jetzt vertäut war, schor das Achterschiff wieder leicht vom Bohlensteg ab. Es wurde also Zeit zum Belegen.
Edwin Carberry packte die Leine so, daß er das Auge in der Hand hatte. Dann erfolgte eine kleine schlenkernde Bewegung aus dem Handgelenk heraus, und im nächsten Augenblick hatte der verluderte Kerl die Leine um den Oberkörper.
Carberrys gewaltiger Ruck lupfte den Kerl schlagartig nach vorn. Er konnte gar nicht so schnell rennen, und so flog er mehr, als er rannte, voller Wucht weiter.
Auf der „Isabella“ gab es einen dumpfen Bums, als der Verluderte mit dem Kopf an die Rumpfplanken knallte. Der harte Anprall ließ ihn sofort wieder zurücktaumeln, und mit einem weiteren dumpfen Laut landete er mit dem Hintern voran auf dem Bohlensteg. Sein Blick war in weite Fernen gerichtet, etwas glasig, sein Oberkörper schwankte hin und her, und auf seinen Lippen stand ein idiotisches Grinsen. Dann kippte er langsam um und blieb eine Weile so liegen.
Seine Spießgesellen nahmen den Vorfall nicht weiter tragisch. Ihr schadenfrohes Gelächter brandete durch den Hafen, sie hieben sich vor Freude auf die Oberschenkel und grölten weiter.
Als die „Isabella“ endlich festlag, kam auch der verluderte Kerl wieder zu sich, richtete sich auf und sah sich verständnislos nach allen Seiten um. Er befühlte seinen Schädel, fand, daß da etwas an seiner Stirn wuchs, was vormals nicht dagewesen war, und trollte sich schwankend unter leisen Verwünschungen davon.
Damit war der Vorfall erledigt. Bis auf den Verluderten hatte auch jeder seinen Spaß daran gehabt.
Hasard ging über den Niedergang auf die Kuhl hinunter und lehnte sich ans Schanzkleid. Auf dem Bohlensteg standen immer noch vier dreckige, ungewaschene Kerle herum, die die „Isabella“ neugierig musterten und sich vielsagende Blicke zuwarfen.
Hasard musterte den ersten Kerl aus eisblauen Augen sehr durchdringend und scharf, und in diesem Blick lag wohl etwas, das den Burschen zu allen möglichen verlegenen Körperverrenkungen veranlaßte. Bald grinste er, dann griff er sich ans Kinn, kratzte seine Bartstoppeln und wand sich vor Verlegenheit. Laut und falsch pfeifend verzog er sich dann. Ihm folgte gleich darauf der nächste, als Hasards Blick ihn traf.
Die beiden anderen hielt es nun auch nicht mehr länger, und als der Seewolf über das Schanzkleid auf den Bohlensteg flankte, da begannen die beiden Kerle zu rennen, als sollten sie verprügelt werden.
„Merkwürdige Galgenvögel treiben sich hier herum“, sagte der Seewolf. „Wo mag nur der Anführer dieser lausigen Bande stecken? Es hat den Anschein, als warteten sie alle auf etwas.“
„Alle versammelten Schnapphähne von sämtlichen Schiffen glotzen ständig zu uns herüber und grinsen erwartungsvoll“, sagte Ed. „Da scheint sich was zusammenzubrauen.“
Noch wußte keiner, was sich in den Laderäumen der „Isabella“ befand. Die Kerle stellten lediglich Vermutungen an.
Hasard dachte an die Schatztruhe mit den Juwelen und an die Silberbarren, die erst seit ein paar Tagen an Bord waren. Schon das allein war Anreiz genug, um ein Schiff zu überfallen, ganz zu schweigen von den anderen Sachen, die sich noch in den Räumen befanden. Sobald das jemand spitzte, würde hier der Teufel los sein, und dem wollten sie vorbeugen.
Die Schnapphähne wußten allerdings auch nicht, daß auf dem Rahsegler alle Culverinen und auch die Drehbassen geladen waren und jeder Seewolf vor Mißtrauen nur so strotzte. Da genügte ein einziger Befehl, und in dem Hafen würde ein Gewitter niedergehen.
„Vielleicht wagen sie es erst, wenn wir das Ruder neu anschlagen“, sagte Ferris Tucker. „Oder sie warten so lange, bis wir den Hafen wieder verlassen haben.“
Er warf einen bezeichnenden Blick zu der schlanken Galeere hinüber, auf der nur zwei Männer zu sehen waren. Die Galeere schien verlassen zu sein, denn aus ihrem Ruderdeck drang ebenfalls kein Ton.
„Möglich“, sagte Hasard. „Auf Tortuga muß man eben immer alles mit einkalkulieren. Das gilt auch für die anderen, die ebenfalls ein Risiko eingehen. Wir werden uns erst einmal umsehen, bevor wir etwas unternehmen.“
„Das heißt, wir gehen mal in die Kneipe?“ fragte Ferris.
„Wenn es noch so ist wie früher, dann kriegen wir dort hoffentlich die Informationen, die wir brauchen. Ich kann höchstens zwei Mann mitnehmen, Ferris, das mußt du verstehen.“
„Hab ich schon begriffen, Sir“, sagte der Zimmermann, der keineswegs verärgert war. Bei diesen vielen Galgenvögeln empfahl es sich von selbst, ziemlich komplett an Bord zu bleiben und aufzupassen, daß sich keiner zu nahe heranwagte.
„Gut, dann gehen Ed und Dan mit. Ben übernimmt während meiner Abwesenheit das Kommando. Dann sind genügend verläßliche Männer an Bord. Sollte etwas passieren, laßt ihr uns durch Bill sofort aus der ‚Schildkröte‘ holen, Ferris.“
„Aye, Sir. Wir geben acht, darauf hast du mein Wort. Außerdem ist es ja nicht weit bis zur Kneipe.“
„Ihr anderen könnt euch heute abend austoben, sobald wir die Lage überprüft haben“, sagte Hasard.
Dann rief er den Profos und Dan O’Flynn.
„Ihr geht mit“, sagte er kurz. „Gesoffen wird jetzt nicht, wir wollen uns lediglich einen kleinen Überblick verschaffen, denn anscheinend hat sich doch einiges verändert.“
„Sieht so aus“, sagte Carberry düster. „Bis jetzt habe ich noch kein anständiges Gesicht gesehen. Hier laufen nur ungewaschene Rübenschweine und miese Halsabschneider herum.“
Hasard lächelte unmerklich. Er sah seine beiden Söhne an, die schon wieder auf der Lauer standen, und winkte seinen ältesten Sohn heran.
Seine Stimme war ernst, als er ihn musterte.
„Das meiste, was ihr bisher angestellt habt, ist euch immer wieder verziehen worden“, sagte er leise. „Wenn ihr hier auf Tortuga irgendwelchen Mist baut oder auch nur ohne meine Genehmigung das Schiff verlaßt, dann wird euch nichts verziehen, und es geht auch nicht mit ein paar Hieben ab. Ich hoffe, ich brauche dem nichts mehr hinzuzufügen, oder?“
„Nein, Dad“, sagte Hasard. „Wenn du das ausdrücklich betonst, Sir, dann wissen wir, was los ist. Wir werden das Schiff nicht verlassen, unser Ehrenwort.“
Hasard nickte seinen Söhnen noch einmal zu. Dann gingen die drei Männer von Bord und verschwanden zwischen den Häusern.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.