Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 431»
Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-839-3
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Fred McMason
Ohne Gnade
Die Spanier waren in der Übermacht – aber die Seewölfe kämpften wie die Teufel
Don Pascual de Alcedo, seines Zeichens Generalkapitän Seiner Allerkatholischsten Majestät, hält die Indianer auf der Isla de Puná im Golf von Guayaquil für Ungeziefer und meint, zwei Kriegskaravellen sowie eine Kriegsgaleone samt einer zusätzlichen Bemannung von Seesoldaten müßten genügen, das Ungeziefer auszurotten. Daß ihm ein englischer Korsar mit seinen Männern einen Strich durch die Rechnung machen könnte, ahnt er nicht – auch nicht, daß es nur zehn „Piraten“ wagen, ihm eine Kriegskaravelle wegzuschnappen, die andere in die Luft zu jagen und die Kriegsgaleone anzugreifen und zu versenken. Da ist es vorbei mit dem Ausrotten, und Don Pascual muß selbst auf „Piratenjagd“ gehen. Nur wird er da sein Wunder erleben …
Die Hauptpersonen des Romans:
Don Pascual de Alcedo – der Generalkapitän hat lange keine Seegefechte geführt, jetzt empfängt er die Quittung.
Augusto Samola – hat als Capitán eines Landetrupps versagt und wird degradiert.
Edwin Carberry – dar Profos vertilgt gerne Spiegeleier mit Speck, aber sein „Sir Jöhnchen“ hat etwas gegen Hühner an Bord.
Philip Hasard Killigrew – verteidigt die La-Plata-Insel und hat ein paar Trümpfe in der Hand.
Jean Ribault – geht auf Erkundung und hat plötzlich einen Hammerhai am Hals.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
1.
30. Oktober 1594.
Es war schon weit nach Mitternacht, als für die hart bedrängten Chimú-Indianer ganz unverhofft die Wende eintrat. Rätselhafte Dinge geschehen plötzlich im Umfeld der Insel Puná im Golf von Guayaquil.
Anfangs hatten sich die Indianer von dem Trupp Seewölfe bedroht gefühlt, der in ihre Kultstätte eingedrungen war. Dann waren Schüsse gefallen, die von einer spanischen Patrouille gehört wurden.
Alles Weitere beruhte mehr auf einem Mißverständnis, denn die Chimús nahmen an, daß die Weißen Verstärkung erhielten. Als dann spanische Landekommandos an der Insel abgesetzt wurden, empfing die verblüfften Dons ein Pfeilhagel. Von da an eskalierte die Situation, denn die Dons feuerten aus Musketen und Pistolen zurück.
Jetzt, eine halbe Stunde nach Mitternacht, gab es für die verblüfften Indianer die nächste Überraschung.
Die Unbekannten hatten eine spanische Kriegskaravelle geentert und eine andere auf der Nordseite der Insel versenkt. Kurz darauf war eine Kriegsgaleone auf der Südseite ebenfalls in die Tiefe geschickt worden.
Alle drei Schiffe hatten Seesoldaten an Land gesetzt, mit dem Ziel, einen harten Vergeltungsschlag gegen die Chimús zu führen, weil sie es gewagt hatten, einen spanischen Landetrupp anzugreifen. Das war für die Dons eine Ungeheuerlichkeit, die unbedingt gerächt werden mußte.
Darum waren die drei Kriegsschiffe, besetzt mit Landetruppen, nach dem Sturm aus Guayaquil ausgelaufen. Ihr Auftrag lautete, die Indianer zu züchtigen, jeden Widerstand zu brechen und die Überlebenden zu versklaven oder kurzerhand aufzuhängen.
Davor war das anders gewesen. Da hatten die Spanier in Guayaquil mit den indianischen Einwohnern von Puná eine Art Burgfrieden geschlossen, und man lebte fast einträchtig nebeneinander.
Die Nachfahren der Chimús belieferten die Dons mit Fischen und Früchten und erhielten im Gegenzug dafür wertlosen Plunder wie Glasperlen und Bronzespiegel oder bestenfalls ein paar Messer oder Äxte.
Handgreiflichkeiten hatte es bisher nicht gegeben, außerdem wußten die Dons nicht einmal, daß es auf der Insel eine Art Kultstätte gab, und so ließ man sich gegenseitig in Ruhe.
In der Nacht waren die Indianer bereits mit den Seesoldaten aneinandergeraten, und es hatte nicht gut für sie gestanden. Jetzt aber sah das alles ganz anders aus. Das Blatt hatte sich zugunsten der Indianer gewendet, denn den gelandeten Dons war der Rückzug von der Insel abgeschnitten.
Entsetzt hatten die Seesoldaten mit ansehen müssen, wie die eine Kriegskaravelle nach einer gewaltigen Explosion sank. Keine drei Stunden später hatte die zweite Karavelle, die „Estrella de Málaga“ auch die Kriegsgaleone überraschend angegriffen und ebenfalls versenkt.
Bei den Spaniern herrschten jetzt Entsetzen, nackte Angst und Panik, denn niemals hatten sie damit gerechnet, ihre drei Schiffe zu verlieren.
Die Indianer, die sich auf der Insel besser auskannten als sie, lauerten in der Dunkelheit und schossen mit unglaublicher Präzision ihre tödlichen Pfeile ab.
Das Verhältnis hatte sich umgekehrt – aus den Jägern waren Gejagte geworden, die ihr Heil in der Flucht suchten und verzweifelt bemüht waren, die Insel so schnell wie möglich zu verlassen. Doch das war nicht so einfach, die Chimús lauerten überall, tauchten ganz überraschend auf, schossen ihre Pfeile ab und verschwanden augenblicklich wieder geräuschlos in der Dunkelheit.
Capitán Augusto Samola war mit seinen Nerven am Ende. Sechzehn oder achtzehn Männer waren ihm noch geblieben, der Rest war im Pfeilhagel der Indianer gefallen.
Der spanische Capitán lauschte in die Finsternis, doch von den Indianern war nichts zu sehen. Es schien, als hätte der Erdboden sie verschluckt. Der Teniente neben ihm zitterte wie Espenlaub und brachte nur mit Mühe und Not einen Ton heraus.
„Sie werden wieder angreifen“, flüsterte er, „sie sind wie Geister, diese verdammten Indianer. Sie tauchen auf, feuern und verschwinden wieder. Wir hätten diese Brut schon längst ausräuchern sollen. Jetzt sitzen wir in der Tinte.“
„Halten Sie den Mund!“ zischte der Capitán. „Schweigen Sie endlich, durch Ihr Gewisper locken Sie die Kerle nur herbei.“
Ein leises Zischen war zu hören. Danach ein dumpfer Ton.
„Sie sollen schweigen!“ sagte Samola wütend. Dann fuhr er fassungslos herum.
Der Teniente hatte nichts gesagt, seit er angeranzt worden war. Der hockte neben ihm und zitterte noch stärker. Aber ein anderer Seesoldat war lautlos umgekippt. Er lag auf dem Rücken. Die Hände hatte er um einen gefiederten Pfeil gekrallt, der ihm aus dem Hals ragte. Im schwachen Licht der Sterne war klar zu erkennen, daß der Mann tot war. Ohne einen Laut war er gestorben. Gesehen hatten sie absolut nichts, nur das leise Zischen hatten sie gehört.
Dem Capitán kroch die Angst in der Kehle hoch, als er einen Blick auf den Toten warf. Es schüttelte ihn in namenlosem Grauen, und er sah sich gehetzt nach allen Seiten um.
„Feuer!“ brüllte er dann mit überkippender Stimme. „Feuer!“
Musketen und Pistolen wurden blindlings und aufs Geratewohl abgefeuert. Blitze zuckten durch die Nacht, der Donner der Schüsse rollte wie ein Echo über die Insel.
Die Reaktion blieb aus. Nachdem das Geknatter verklungen war, herrschte tiefe Stille. Da gab es keinen Schrei, kein Anzeichen, daß auch nur einer der Schüsse getroffen hatte.
Sie waren wirklich wie Geister, diese Indianer. Sie tauchten unsichtbar auf und verschwanden ebenso geheimnisvoll wieder, nachdem sie ihre Pfeile abgeschossen hatten. Zu sehen waren sie nicht, geschweige denn zu fassen.
Das zerrte an den Nerven und ließ die Spanier vor Angst fast wahnsinnig werden. Sie richteten ihr Augenmerk flehentlich auf den Capitán, doch er konnte ihnen nicht helfen, dem zitterten selbst alle Knochen, und er konnte nur mit wackligen Fingern seine Waffe nachladen.
Teufel! Das Landeunternehmen war gescheitert. Jetzt saßen sie hoffnungslos in der Falle. Ersatztruppen gab es nicht, weil keine Schiffe mehr da waren. Niemand konnte ihnen helfen. Sie saßen fest und mußten damit rechnen, einer nach dem anderen massakriert zu werden.
Trotz der Überlegenheit ihrer Waffen konnten sie sich nicht wehren, denn ihr Feind war und blieb unsichtbar. Er konnte neben ihnen, hinter ihnen oder vor ihnen lauern. Sie wußten es nicht. Sie vernahmen nur hin und wieder ein leises Sirren, und jedes Sirren bedeutete, daß es einen Mann weniger gab.
Vom Südufer der Insel her erklang ein lauter gellender Schrei. Ein Krachen folgte, dann war wieder Ruhe.
Der Teniente zuckte heftig zusammen.
„Da müssen noch Leute von uns sein“, flüsterte er heiser.
„Das höre ich selbst“, erwiderte der Capitán gepreßt, „aber wir können ihnen nicht helfen. Wir stecken selbst im Dreck.“
Das Krachen konnten sie sich nicht erklären, aber es klang so, als sei da etwas zertrümmert worden.
Fast eine Viertelstunde lang geschah nichts. Es schwirrte auch kein Pfeil heran. Vielleicht haben sich die Indianer zurückgezogen, dachte der Capitán, vielleicht geben sie jetzt auf. Oder sie befürchten, daß noch mehr Kriegsschiffe die Insel anlaufen, um alles kurz und klein zu schlagen.
Er hatte noch eine Hoffnung, die Insel verlassen zu können. Das waren die Jollen, die am Nord- und Südufer lagen, mit denen sie übergesetzt waren. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg, denn augenblicklich steckten sie in einem dornigen Verhau.
Das Warten, bis der Feind wieder angriff, zerrte an ihren Nerven. Bei jedem noch so leisen Geräusch zuckten sie entsetzt zusammen.
Von der anderen Seite, irgendwo aus der Dunkelheit, war wieder ein Schrei zu vernehmen. Er klang heiser, brach auch gleich darauf ab.
Samola versuchte etwas zu erkennen, doch die Dunkelheit und der Verhau ließen das nicht zu. Dem Geräusch nach zu urteilen, schien es jedoch wieder einen Mann des Landekommandos erwischt zu haben Verdammt, sie waren direkt in der Hölle gelandet, und sie wünschten sich sehnlichst den Tag herbei, um wenigstens etwas erkennen zu können.
Nach einer weiteren Viertelstunde hielt es der Capitán nicht mehr aus. Er war nur noch ein Nervenbündel.
„Sie nehmen jetzt ein paar Leute, Teniente“, sagte er, „und versuchen, sich zum Ostufer der Insel durchzuschlagen. Mit dem Rest der Männer versuche ich es im Süden. Dort liegen die Jollen. Wenn Sie die erreicht haben, sehen Sie zu, daß Sie so schnell wie möglich nach Guayaquil gelangen, um dem Generalkapitän zu berichten, was hier passiert ist. Ein paar von uns müssen es schaffen. Lassen Sie auch durchblicken, daß sich die Indianer auf der Insel behaupten und wir mit ein paar Mann kaum eine Chance gegen sie haben.“
Der Teniente nickte beklommen. Bei dem Gedanken, sich zum Ostufer der Insel durchzuschlagen, wurde ihm speiübel. Ungeschoren würden sie nie dahin gelangen. Aber diese Ansicht behielt er für sich.
„Ich werde es versuchen“, hauchte er, „obwohl das ein reines Selbstmordunternehmen wird. Wäre es nicht besser, wir würden den Sonnenaufgang abwarten?“
„Das dauert noch mindestens fünf Stunden, und gewonnen haben wir damit auch nicht viel. In der Zeit werden diese Bastarde einen nach dem anderen umbringen.“
Das sah der Teniente zwar ein, aber wohler war ihm keineswegs.
„Ich werde stürmen, Capitán“, sagte er. „Wenn wir uns kriechend durch den Verhau bewegen, sehen uns die Indianer. Oder sie hören uns. Wenn wir aber mit Musketen vorwärts stürmen und auf alles feuern, was sich bewegt, sind unsere Aussichten besser. Was halten Sie davon?“
„Handeln Sie nach eigenem Gutdünken, Teniente. Wenn Sie stürmen, brechen wir zur anderen Seite durch.“
Der genervte Capitán rechnete sich noch eine Chance aus. So übel war die Idee seines Untergebenen gar nicht. Wenn der losstürmte, würde sich der Angriff der Chimús auf ihn konzentrieren, und dann konnte er, der Capitán, mit dem Rest seiner Männer vielleicht ungeschoren durchbrechen.
Das ging zwar auf Kosten des Teniente, aber sein eigenes Hemd war ihm nun mal näher als die Jacke. Jeder mußte sehen, wie er am besten selbst zurechtkam.
Die anderen Soldaten hatten gespannt zugehört. Sie wollten nur noch fort von dieser unheimlichen Insel, ihnen war jetzt alles egal, und so hatte der Teniente auch gleich einen kleinen Trupp um sich geschart.
Musketen und Pistolen waren geladen. Auf einen Wink des Capitáns setzte sich der Trupp in Bewegung.
Urplötzlich war die Hölle los. Die unheimliche Ruhe wurde durch das helle Peitschen von Pistolenschüssen durchbrochen. Eine Horde Männer stürmte unter lautem Gebrüll durch den Verhau und schoß um sich, was das Zeug hielt. Das hörte sich an, als würde eine Horde wilder Stiere lostrampeln und alles niederwalzen.
Durch die Nacht stachen lange Blitze. Dumpfes Knallen war zu hören, dann wieder das helle Peitschen der Pistolen. Wieder schrie irgendwo in der Finsternis ein Mann gellend auf. Unartikulierte Worte in einer fremden Sprache waren zu hören.
„Das war ein Indianer“, sagte Samola, „den hat’s wohl mehr durch Zufall erwischt.“
Er sah den anderen nach, die ihre Position nur durch die Blitze aus ihren Musketen und Pistolen verrieten. Offenbar schien der Teniente damit Erfolg zu haben.
Samola hielt den Augenblick für günstig, sich jetzt abzusetzen und zum Südufer durchzuschlagen. Dort lagen zwei Jollen, wenn er sich richtig entsann. Hatten sie die erst einmal erreicht, dann befanden sie sich so gut wie in Sicherheit, denn die Chimús würden ihnen ganz bestimmt nicht folgen.
„Leise zum Südufer pirschen“, befahl er seinen Männern. „Kein Schuß wird abgegeben. Bewegt euch so geräuschlos, wie es nur geht.“
Die genervten Dons setzten sich in Bewegung, froh darüber, daß der Teniente die Aufmerksamkeit der Indianer auf sich und seinen Trupp lenkte.
Durch die Dunkelheit schlichen sie davon, kriechend, robbend oder auf allen vieren, angeführt von dem Capitán, der sich immer wieder nervös nach allen Seiten umsah und bei jedem noch so leisen Geräusch heftig zusammenzuckte.
Etwas später hatten sie das Südufer der Insel erreicht. Von der anderen Seite der Insel waren vereinzelt Schüsse zu hören. Hin und wieder sahen sie es auch aufblitzen.
Im schwachen Licht der Sterne versuchten sie, sich zu orientieren.
„Dort drüben sind wir an Land gegangen“, raunte Samola. „Da müssen auch die Jollen liegen.“
Sie brauchten eine Ewigkeit, bis sie auf eine der versteckten Jollen stießen. Aber die bestand nur noch aus Trümmern. Das waren die hallenden Geräusche gewesen, die sie vorhin gehört hatten. Die Indianer hatten die Jolle zerstört, um den Spaniern auch die letzte Möglichkeit zum Rückzug abzuschneiden.
Der Capitán wechselte, die Farbe, als er die zerstörte Jolle sah. Es gab kaum mehr Hilfe für sie, sie hatten eine Möglichkeit zur Flucht verloren.
Aber eine Jolle mußte noch hier ganz in der Nähe liegen. Sie fanden sie jedoch erst nach längerer Suche, und dabei erlebten sie ein Fiasko. Die Jolle war intakt, aber die Chimús hatten sie sozusagen als Köder benutzt, weil sie wußten, daß diese Jolle für die Spanier die letzte Chance bedeutete und sie sich auf das Boot konzentrieren würden.
Erleichtert nahm Samola zur Kenntnis, daß die Jolle heil war. Er dachte jedoch nicht im Traum daran, den anderen Männern am Ostufer zu Hilfe zu eilen. Er wollte nur noch weg von hier. Vor sich selbst entschuldigte er sein Handeln damit, daß ja schließlich einer nach Guayaquil durchkommen mußte, um Bericht zu erstatten. Der Teniente hätte sicherlich auch keine Zeit verloren.
„Schiebt das Boot ins Wasser!“ befahl er.
Als die Spanier zupackten, tauchten aus den Mangroven plötzlich Schatten auf. Zischende Worte erklangen.
Samola feuerte blindlings drauflos. Er traf auch einen Indianer, aber neben ihm brach einer seiner Leute zusammen und fiel mit dem Kreuz auf das Dollbord. Von dort aus rutschte er in den Schlick.
Die anderen erfaßte erneut wilde Panik. Sie hieben und stießen um sich, feuerten mit den Pistolen und sprangen ins Boot. Ein weiterer Schatten brach in einem Feuerblitz zusammen. Sie konnten zwischen ihren eigenen Leuten und den Indianern nicht mehr unterscheiden.
„Weg hier!“ schrie der Capitán. „Pullt, ihr Bastarde!“
Wieder feuerte er zwei Pistolen ab. Ein weiterer Mann brach schreiend neben ihm zusammen.
Sie warfen sich in das Boot, sprangen es an oder krallten sich daran fest. Ein paar von ihnen griffen zu den Riemen und hieben sie wie verrückt ins Wasser. Nur fort von dieser Teufelsinsel, weg von hier, sonst fielen sie doch noch den heimtückischen Indianern zum Opfer.
Samola lag langgestreckt zwischen den Duchten und feuerte seine Männer mit wüstem Gebrüll zum Pullen an. Im schwachen Licht sah er voller Entsetzen, daß einer der Ruderer lautlos auf der Ducht zusammensackte. Ein gefiederter Pfeil hatte sich in seinen Hals gebohrt. Ein anderer Pfeil zerbrach splitternd, als er auf den Brustpanzer eines Seesoldaten prallte.
Die Schatten am Ufer waren verschwunden. Den Dons saß das nackte Grauen im Genick, als sie sich endlich außerhalb der Schußweite von Pfeil und Bogen befanden.
Ächzend richtete sich Samola auf und zählte seine Leute. Da gab es nicht mehr viel zu zählen. Im Boot hockten noch ganze sechs Mann, der Tote nicht mitgerechnet.
Das Blitzen und Krachen am anderen Inselufer hatte aufgehört. Samola versuchte etwas zu erkennen, doch das war zwecklos. Die Dunkelheit hing immer noch wie ein schwarzes Tuch über ihnen, und mehr als vage Umrisse waren nicht zu erkennen.
Unaufhörlich trieb er die Männer an, die aus Leibeskräften pullten.
„Seht nach, ob er tot ist“, sagte er dann, auf den zusammengesunkenen Mann deutend.
„Er ist tot, Capitán.“
„Dann werft ihn über Bord.“
Ein leises Klatschen, ein Körper tauchte in der Dunkelheit ins Wasser und verschwand dann. Die Dons pullten weiter.
Niemand fragte nach dem Teniente, sie wollten nur ihre eigene Haut retten. Der Teniente würde schon durchkommen, trösteten sie sich. Sie selbst hatten es ja schließlich auch geschafft. Außerdem würden sie ihn in der Dunkelheit ja auch gar nicht finden.
Als es dämmerte, liefen sie ausgelaugt, verdreckt, entnervt und total fertig in Guayaquil ein.
Capitán Augusto Samola begab sich unverzüglich zum Generalkapitän Don Pascual de Alcedo, um die ungeheuerliche Nachricht zu überbringen.
2.
Das Gebäude war ein Steinbau in der Nähe des Altstadtviertels Las Peñas, wo sich auch die Kirche Santa Domingo befand.
Der Generalkapitän saß mit zwei weiteren Señores beim Frühstück. Zu der frühen Stunde pflegten die Señores bereits ausgiebig zu speisen. Es gab Cebique de Corvina, das war marinierter Fisch in Zitronensoße, den Don Pascual zu allen Tageszeiten besonders schätzte. Den Fisch hatten noch die Chimú-Indianer geliefert. Die beiden anderen Señores aßen Llapingachos, überbackenen Kartoffelbrei mit Käse. Das Essen wurde mit süffigem Rotwein hinuntergespült.
Eine Ordonnanz trat ein und meldete einen „gewissen Capitán Augusto Samola“, der den Generalkapitän dringend zu sprechen wünsche.
„Aber doch nicht jetzt“, sagte de Alcedo ungehalten. „Der Kerl soll gefälligst warten.“
„Es sei sehr dringend, Señor Generalkapitän.“
Im kantigen Gesicht des Generalkapitäns stand ein böser Ausdruck.
„Ich habe gesagt, daß dieser Kerl warten soll. Oder hören Sie etwa schlecht! So dringend kann es auch wieder nicht sein, denn dieser Samola will mir nur melden, daß er die Indianer erledigt hat. Aber das ist keine umwerfende Neuigkeit, denn schließlich habe ich den Landungsplan und die Eliminierung dieses Packs selbst angeordnet. Und jetzt verschwinden Sie! Schicken Sie mir den Kerl in einer halben Stunde herein.“
„Jawohl, Señor Generalkapitän“, sagte der Mann betreten.
Nach einer hastigen Kehrtwendung verschwand er. De Alcedo hatte heute offenbar schlechte Laune, aber die hatte er oft.
Die Señores wandten sich wieder ihrem Frühstück zu. Dem Generalkapitän gegenüber saßen der Stadtkommandant von Santiago de Guayaquil, Don Alfredo, und der Kapitän der Kriegsgaleone „Neptuno“, Bernado dos Santos.
„Wenn diese Chimú-Affen erledigt sind“, sagte Don Alfredo süffisant, „wer wird uns dann mit Fisch und Früchten, Flecht- und Knüpfarbeiten beliefern, Don Pascual?“
„Das weiß ich nicht, es ist mir auch egal. Notfalls verzichte ich auf Cebique de Corvina. Aber es wird sicher ein paar Überlebende gegeben haben. Die werden froh sein, uns beliefern zu können. Es geht jedenfalls nicht an, daß eine Horde nackter Wilder eine spanische Patrouille angreift. Wenn ich das duldsam hinnehme, büße ich mein Ansehen ein. Es ist besser, solchem Gesindel unnachgiebig und hart zu demonstrieren, daß sie zu gehorchen und uns als die eigentlichen Herren anzuerkennen haben.“
„Sehr richtig, Don Pascual“, sagte Bernado dos Santos blasiert. Er gab dem Generalkapitän immer recht, denn der hatte hier das große Sagen und wer ihm widersprach, der wurde von den vielen Vorteilen und Annehmlichkeiten ausgeschlossen. Ganz zu schweigen von den kleinen Vergünstigungen, die Don Pascual mitunter verteilte.
So geschah es also, daß Capitán Augusto Samola etwas länger als eine halbe Stunde warten mußte, bis die Señores Frühstück und Unterhaltung beendet hatten und gnädig geruhten, ihn zu empfangen.
Samola hatte sich im Atrium des großen Hauses am Brunnen ein wenig erfrischt und seine Kleidung in Ordnung gebracht. Das änderte jedoch nicht viel an seinem schmutzigen Aussehen, seinen zerschundenen Händen, dem zerkratzten Gesicht und den stark in Mitleidenschaft gezogenen Kleidern.
Zudem hatte ihn diese halbe Stunde total genervt, denn Don Pascual erwartete Erfolgsmeldungen, aber keine Niederlagen. Dem Capitán stand ein harter Strauß bevor, denn Don Pascual war ein durch nichts zu belehrender, starrsinniger Feuerfresser. Dazu hatte er noch das Gemüt eines Schlachterhundes, der auch dann nicht aufgab, wenn ein Spiel längst verloren war.
Als Samola eintrat, sahen ihm die drei Señores erwartungsvoll entgegen, doch dann verzogen sich ihre Gesichter in ungläubigem Staunen. Der Generalkapitän blickte ihn verwirrt an, dann stand er auf, und auf seiner Stirn erschien eine tiefe Falte des Unmuts.
„Wie sehen Sie denn aus, Sie Ferkel?“ schnauzte er den Capitán an. „Sind Sie verrückt geworden, in diesem Aufzug hier zu erscheinen? Sie beleidigen in diesem Lumpenzeug das Ansehen der spanischen Kriegsflotte. Hinaus mit Ihnen! Bringen Sie Ihre Kleidung in Ordnung, und melden Sie sich vorschriftsmäßig, wenn sich alles in geordnetem Zustand befindet.“
„Unerhört ist das“, sagte der Stadtkommandant pikiert. „Wirklich unerhört. Da bleibt einem ja das Frühstück im Halse stecken. Haben Sie nicht gehört, was Don Pascual befohlen hat!“
Gedemütigt und blamiert stand Samola vor den elegant herausgeputzten Señores, die ihn verächtlich anblickten.
„Ich – ich möchte Bericht erstatten, Don Pascual“, stammelte Samola.
Don Pascual wollte gerade losbrüllen, da sah er sich den Capitán noch einmal genauer an. Ihm schwante nichts Gutes.
Die Augen des Capitáns flackerten unruhig. Angst lag in seinen Blicken, und seine Hände bewegten sich fahrig hin und her. Er sah aus, als hätte er eine Schlacht verloren.
Bernado dos Santos, immer dem Generalkapitän gefällig und stets zu Diensten, stand auf und wollte Samola zur Tür hinausschieben, weil der immer noch wie angenagelt dastand. Aber eine Handbewegung Don Pascuals hielt ihn davon ab.
„Was ist passiert? Reden Sie, Mann, da ist doch etwas nicht in Ordnung. Los, los, berichten Sie endlich!“
Samola nahm allen Mut zusammen und salutierte.
„Lassen Sie den Quatsch, erzählen Sie!“ wurde er angefahren.
„Wir sind von Fremden überfallen worden, Don Pascual. Vermutlich waren es Engländer.“
„Engländer?“ schnappte der Generalkapitän. „Engländer vor Guayaquil – vor der eigenen Haustür? Sie sind verrückt, Señor!“
„Ich wünschte, ich wäre es, Don Pascual“, jammerte Samola. „Die Engländer haben uns plötzlich aus dem Dunkel der Nacht überfallen. Es gelang ihnen, sich der ‚Estrella de Málaga‘ zu bemächtigen. Mit Hilfe der Karavelle haben sie die Kriegsgaleone überraschend angegriffen und versenkt, während die Landekommandos auf der Insel waren, wie Sie befohlen haben. Die andere Karavelle explodierte und sank ebenfalls.“
Diese Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Fassungslos starrten die Señores den Capitán an.
„Das ist doch wohl ein schlechter Scherz“, sagte Don Pascual. In seinen Augen begann es ebenfalls zu flackern.
Stadtkommandant und Kapitän der „Neptuno“ starrten sich an, als hätte Samola etwas von Mondkälbern erzählt, die die Erde angegriffen hätten.
„Totalverluste?“ brüllte Don Pascual mit hochrotem Schädel. „Die Kriegsschiffe können wir abschreiben – wollen Sie das etwa sagen?“
Samola hatte unter dem mörderischen Blick fast die Hosen voll. Kleinlaut nickte er.
„Jawohl, Don Pascual“, sagte er kläglich. „Totalverluste – bis auf die ‚Estrella de Málaga‘. Mit der Karavelle sind die Halunken in der Nacht verschwunden und davongesegelt.“
„Warum erfahre ich das erst jetzt?“ brüllte Don Pascual. „Weshalb hat man Sie nicht sofort vorgelassen?“
„Sie haben es so befohlen, Don Pascual.“
„Gar nichts habe ich befohlen!“ schrie der Generalkapitän wider besseres Wissen. „Eine Schweinerei ist das! Wie viele Engländer waren es, die den Überfall verübt haben?“
Don Pascual war außer sich. Die beiden anderen Señores schnappten hörbar nach Luft.
„Die Überlebenden haben von etwa zehn Männern gesprochen. Ein knappes Dutzend hat die Karavelle geentert. Man nimmt an, daß sie sich mit einer Jolle herangepirscht haben, Don Pascual.“
„Mit einer Jolle? Das ist ja unglaublich. Piratengesindel war das, englisches. Wieso mit einer Jolle – hatten die denn kein Schiff?“
„Es war keins zu sehen, Don Pascual. Wir sind aber sicher, daß es sich um Piraten gehandelt hat.“
Der Generalkapitän sank ächzend in seinen Sessel zurück. Seih hartes Gesicht war jetzt von fahler Blässe überzogen. Mit der Faust hieb er wütend auf den Tisch.
„Los, los, Señores!“ schrie er. „Die Stadt wird ab sofort in Alarmzustand versetzt. Sie, dos Santos, halten sich zu meiner Verfügung, ich werde gleich geeignete Maßnahmen treffen. Englische Schnapphähne“, setzte er fassungslos hinzu, „es ist nicht zu glauben. Ungeheuerlich, daß sich eine ganze Mannschaft von zehn verdammten Kerlen überrumpeln läßt. Ich werde die verantwortlichen Männer zur Rechenschaft ziehen lassen.“
„Darf ich dazu bemerken, Don Pascual, daß sich der größte Teil der Mannschaft auf der Insel befand, um die Indianer zu eliminieren? Es waren nicht mehr viele Leute an Bord der ‚Estrella de Málaga‘.“
„Gar nichts dürfen Sie bemerken, überhaupt nichts. Ich verbitte mir Ihre dummen Bemerkungen! Von zehn zerlumpten Kerlen läßt man sich nicht überrumpeln, dafür gibt es keine Entschuldigung. Warum sehen Sie überhaupt wie ein Ferkel aus? Waren Sie etwa an Bord des Schiffes, als es überfallen wurde?“
„Nein, Señor Generalkapitän. Ich leitete den Trupp an Land, zusammen mit dem Teniente. Wir waren plötzlich abgeschnitten und konnten die Insel nicht mehr verlassen.“
„Sie konnten die Insel nicht verlassen? Warum nicht? Sie hatten doch die Jollen.“
„Die Indianer attackierten uns so heftig, daß viele Männer im Kampf fielen. Sie schlugen heimtückisch aus der Dunkelheit zu. Eine der Jollen wurde von ihnen zerstört. Es haben sich nicht mehr viele Leute retten können. Die Überlebenden sind bereits im Hafen eingetroffen.“
„Das heißt im Klartext, Sie haben es nicht geschafft, diese Handvoll Affen zu bestrafen?“
„Nein, Don Pascual, sie konnten sich auf der Insel behaupten.“
Don Pascual lachte stoßartig auf. Es hörte sich an, als würde er vor Wut und Zorn gleich losheulen.
„Sie lassen sich von ein paar Affen abschlachten und von einer Handvoll Piratenpack überrumpeln! Haben Sie überhaupt einen Erfolg vorzuweisen, Sie totaler Versager?“
Mit einem Erfolg konnte Samola leider nicht dienen, und so schluckte er nur hart und ließ sich zur Sau machen. Don Pascual sparte in seinem Zorn auch nicht mit verächtlichen und beleidigenden Ausdrücken.
„Sie sind Capitán, nicht wahr?“ fragte Don Pascual hinterhältig und mit boshafter Stimme.
„Jawohl, Señor Generalkapitän.“
„Gewesen, verehrter Señor, gewesen! Versager wie Sie kann ich nicht gebrauchen, auch Witzfiguren wie den Teniente nicht. Doch, ich kann Sie noch brauchen“, korrigierte er sich, „nämlich in den Silberminen von Potosi. Betrachten Sie sich als unter Arrest gestellt. Mit dem nächsten Transport verschwinden Sie und der Teniente und ein paar andere ebenfalls. Es wird Ihren Verstand ungemein schärfen, wenn Sie in den Silberminen arbeiten. Sie haben dann auch Zeit und Muße, über Ihre Feigheit und Ihr jämmerliches Versagen gründlich nachzudenken. Ja, Sie werden bis an Ihr Lebensende nachdenken können. Ich kann Sie aber auch vor ein Peloton stellen lassen, Verehrtester. Weil Sie gleich zweimal versagt haben, dürfen Sie auch zwischen zwei Möglichkeiten wählen. Und jetzt sprechen wir noch einmal Klartext, bevor Sie verschwinden: Sind noch mehr Piraten zu erwarten?“
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