Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 60», sayfa 2
2.
An Bord der „Isabella“ hatten sie jegliches Zeitgefühl verloren. Ein Besteck ließ sich nicht nehmen, die genaue Position konnte daher nicht festgestellt werden, weil es ganz einfach keinerlei Anhaltspunkte gab.
Himmel und See hatten sich wiederum verändert. Es war nicht mehr das gleiche Wasser, das sie durchpflügten, es war auch nicht mehr der gleiche Himmel über ihnen. Es war etwas anderes, etwas, das ihnen langsam immer mehr Furcht und Grauen einflößte.
Wie Tote auf einem Geisterschiff kamen sie sich vor, das vom Satan durch die Meere getrieben wurde.
An die normale Bordarbeit war nicht mehr zu denken. Jeder lauerte auf das, was jeden Augenblick zweifellos passieren würde. Es mußte etwas geschehen, egal was.
„Der Vogel ist verschwunden!“ Ed Carberrys Stimme, sonst donnernd und explosiv, hatte ihre Gewalt verloren. Seine Worte waren nicht mehr als ein heiseres Krächzen.
„Und was hat das zu bedeuten?“ fragte der Kutscher, der mit den anderen auf der Kuhl stand. Alle hatten auf das Essen verzichtet, niemand verspürte auch nur den geringsten Appetit, und so hatte der Kutscher in der Kombüse nichts zu tun.
„Es bedeutet, daß gleich das Unglück losbricht“, prophezeite Carberry. „Der Vogel hat es nur angekündigt, und da es gleich losgehen wird, ist er verschwunden, um sich in Sicherheit zu bringen.“
Der Kutscher sah sich bedrückt im Kreis seiner Kameraden um, die immer wieder scheue Blicke über die Reling warfen.
Das Wasser war schwarz wie die Nacht. Die gläsern scheinenden Wellen trieben jetzt lautlos und langsam heran. Auch sie waren pechschwarz, Dämonen gleich, die das Schiff angriffen, zuerst an ihm herumspielten und es dann in die Tiefe zogen. Und der Himmel, seltsam fahl leuchtend, war so niedrig, daß man ihn mit den Händen greifen konnte.
Die Stimmung wurde immer drükkender. Niemand wußte, ob es Mittag, später Mittag oder Abend war. Immer wieder blickten sie zum Achterkastell mit dem Ruderhaus, zum Seewolf hin, zu Ben Brighton, die sich beide unterhielten.
Ferris Tucker schüttelte den Kopf. Seine roten Haare leuchteten wie eine Fahne aus Kupfer, sein Gesicht war blaß.
„Ich verstehe nicht, daß die beiden so ruhig sind“, sagte er, mit dem Daumen nach achtern deutend. „Das muß doch selbst dem Seewolf auf die Nerven gehen, zumindest aber Ben. Aber die tun fast so, als hätten wir das schönste Wetter.“
„Denen geht es auch nicht anders als uns“, versicherte Carberry. „Nur merkt man es ihnen nicht an. Habt ihr übrigens schon mal festgestellt, aus welcher Richtung der Wind weht? Seht doch einmal in die Takelage!“
An Deck war kein Windhauch mehr zu spüren, und doch waren die Segel schwach mit Wind gefülllt, und drängten das Schiff immer weiter vorwärts durch das schwarze Wasser. Unheimlich war das, nervenaufreibend. Woher wehte der Wind, den man nicht spürte, den man nicht hörte? Kam er aus jenem schmalen Himmelstreifen, der wie ein kleiner gelber Riß aussah?
Die See vor der „Isabella“ ließ sich kaum noch erkennen. Sie schien in ein riesiges Tor hineinzufahren, in die Wolken, wie der alte O’Flynn schon gesagt hatte. Schon jetzt reichten die Mastspitzen bis weit in den Himmel und verschmolzen mit ihm. Der Ausguck im Großmars war nicht mehr zu sehen.
„Dan!“ schrie der alte O’Flynn plötzlich voller Entsetzen. „Dan, melde dich!“
Alles blieb ruhig. Es folgte keine Antwort. In den Gesichtern der Männer spiegelte sich das Grauen.
Sie alle dachten an die Geschichte, die der Alte vorhin erzählt hatte. Von den Schiffsjungen, die als Greise wieder aus dem Großmars zurückgekehrt waren.
„Dan!“ brüllte er noch einmal.
„Was ist denn los?“ Die Stimme ertönte aus einer diffusen Nebelwand, die fahlgelblich schimmerte. Sie klang weit entfernt. Zu sehen war Dan immer noch nicht.
„Junge!“ keuchte Old Flynn. „Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt. Was siehst du, Dan?“
„Überhaupt nichts. Ich glaube, ich befinde mich irgendwo im Himmel. Ich sehe nichts mehr!“
„Enter sofort ab!“ donnerte der Alte.
„Ich darf den Ausguck nicht verlassen“, widersprach Dan.
„Und ich sage dir, verdammt noch mal, du sollst sofort abentern, nur ganz kurz, dann kannst du wieder aufentern.“
„Möchte wissen, was in den Alten gefahren ist“, nörgelte Dan vor sich hin. Aber er gehorchte, denn vor dem alten Donegal hatte er immer noch gehörigen Respekt.
Er enterte die Wanten ab, bis sie ihn alle sahen.
„Und jetzt?“ fragte Dan.
„Jetzt kannst du wieder aufentern. Ich hatte schon das Schlimmste befürchtet.“
Kopfschüttelnd verschwand Dan wieder. Er hatte den Großmars noch nicht ganz erreicht, da war er wie durch Zauberei verschwunden. Der Alte sah richtig erleichtert aus, er stieß einen langen Seufzer aus.
Hasard sah dem Treiben mit stoischer Ruhe und Gelassenheit zu. Was soll’s? dachte er. Ich kann es ja doch nicht ändern. Sollen sie sich meinetwegen die Köpfe heiß reden. Einmal werden sie sich schon wieder beruhigen. Und ich selbst fühle mich ja auch nicht ganz wohl in meiner Haut, wenn ich ehrlich zu mir bin.
Zu allem Überfluß begann es am Bug, des Schiffes leicht zu schaben und zu kratzen. Das Schaben verstärkte sich und wurde lauter.
„Gott steh uns bei“, murmelte Carberry und schlug mit den Fingern ein Kreuz in die Luft.
„Tiefe ausloten!“ rief Hasard laut. „Beeil dich, Smoky!“
Smoky schien ihn gar nicht gehört zu haben. Mit schreckgeweiteten Augen lauschte er dem unheimlichen Geräusch nach.
Da war es schon wieder. Die „Isabella“ hob sich ein wenig höher aus dem Wasser. Das Schaben und Kratzen lief an der Steuerbordseite entlang, dann hörte es auf.
Erst jetzt gehorchte Smoky. Blitzschnell lief er nach Backbord und feuerte das Lot über Bord. Es lief ab, bis er den Rest der Lotleine in der Hand hielt.
„Mehr als fünfzig Faden“, verkündete er.
Der Seewolf warf dem Deckältesten einen strengen Blick zu.
„Das nächste Mal etwas schneller, Smoky, verstanden?“
„Aye, aye, Sir, Verzeihung!“
Wieder ein ganz feines Schaben am Schiffsrumpf. Ferris Tucker begannen sich die Haare zu sträuben. Carberrys Gesicht überzog sich mit einer fahlen Blässe. Die anderen duckten sich unwillkürlich hinter das Schanzkleid, als würde gleich der Teufel persönlich seine Klauen nach ihnen ausstrecken.
„Meermänner“, flüsterte der Profos.
Es kostete ihn eine unwahrscheinliche Überwindung, über Bord zu sehen. Jeden Augenblick glaubte er, dort einen Kopf aus dem Wasser ragen zu sehen, den Kopf eines Meermannes, wie sie seit eh und je durch die Geschichten der Seefahrt geisterten. Aber er sah nichts. Dennoch wurde das Schaben und Kratzen wieder lauter.
„Es müssen mehrere sein“, sagte er leise. „Sie sehen einem Menschen verblüffend ähnlich, nur der Unterkörper läuft ähnlich spitz zu wie bei einem Fisch. Manche sind den Seeleuten wohl gesonnen, andere wiederum bösartig.“
Das hatten die anderen auch schon gehört. In den Kneipen erzählte man davon, daß es im geheimnisvollem Sargassomeer etliche von ihnen geben sollte. Sogar Nathaniel Plymson, der feiste Wirt von der „Bloody Mary“, kannte sie.
Aber zum Glück hatte der Profos ein Rezept gegen sie.
„Kutscher!“ befahl er mit heiserer Stimme. „Lauf schnell in die Kombüse und bringe eine leere Flasche mit. Verschließe sie gut!“
Der Kutscher, von Aberglauben genauso geplagt wie die anderen, hauptsächlich was dieses Meer betraf, rannte los, packte eine leere Flasche, verkorkte sie und kehrte wieder zurück. Hoffnungsvoll reichte er sie dem Profos.
„Sehr gut, Kutscher. Ich werde die Flasche jetzt über Bord werfen, ganz dicht am Rumpf, und dann werdet ihr sehen, das verdammte Kratzen dieser Meermänner hört auf. Sie spielen am Schiff herum, aber wenn sie die Flasche sehen, finden sie sie interessanter, und dann beginnen diese Unholde mit ihr zu spielen. Jedenfalls lassen sie augenblicklich vom Schiff ab!“
Carberry begab sich aufs Vorschiff, beugte sich über die Reling, sah ins Wasser und ließ die Flasche dann langsam an der Bordwand entlanggleiten. Er verfolgte sie mit den Blicken, wie sie am Schiff verbeiglitt, in etwas Dunkles geriet, das er nicht identifizieren konnte, und dann verschwand.
Da hörte das seltsame Kratzen auf. Triumphierend sah der Profos sich um.
„Na, was habe ich gesagt, was, wie! Da staunt ihr. He! Eben reckte sich ein dunkler Arm aus dem Wasser und zog die Flasche zu sich herunter. Ich wette, die Meermänner sind jetzt mit der Flasche beschäftigt.“
Sie lauschten angestrengt, aber das Schaben und Kratzen wiederholte sich nicht. Der Profos ging stolzgeschwellt zum Achterdeck, um Hasard sein Gegenmittel anzupreisen. Er kam von der Backbordseite an der Five Rail vorbei, und wollte einen Schritt weiter nach achtern tun, als ihn fast der Schlag traf.
Er glaubte, jeden Moment verrückt werden zu müssen. Seine Zähne klapperten, er zitterte leicht und wurde aschgrau im Gesicht. Er stand nur da, starrte und brachte keinen Ton heraus.
Auf der Reling des Achterdecks hockte der Riesenvogel! Unbemerkt hatte er sich hinter dem Ruderhaus niedergelassen.
„Du Höllenvieh!“ brach es gequält über des Profos zuckende Lippen. „Du verdammter Satansbraten. Verschwinde, du Mißgeburt, du bringst uns allen den Tod!“
„Was ist denn jetzt schon wieder los, Prof ...“
Das Wort blieb Hasard im Hals stecken, als er den fluchenden und leichenblassen Profos sah und vor ihm den dunklen Riesenvogel, dessen linkes Auge Carberry höhnisch zu fixieren schien. Hasard war total verblüfft. Niemand hatte bemerkt, wie sich der schwere Albatros hier niedergelassen hatte.
Die ganze Meute stürzte über die Kuhl. Stenmark und Matt Davies, der Mann mit der Hakenprothese, stürmten allen voran aufs Achterkastell. Der Kutscher hatte sich einen Belegnagel geschnappt und schwang ihn wie ein Wilder seine Keule.
„An Deck kann man ihn erschlagen, hast du gesagt“, schnaufte der Kutscher, „da kann nichts passie ...“
In dem Moment breitete der Albatros seine Schwingen aus, furchterregend und drohend, sie überspannten fast das halbe Deck. Die Männer wichen zurück, als der große Schnabel sich öffnete, die Schwingen einmal die Luft peitschten und der Riesenvogel in den Beinen einknickte, um sich dann fallen zu lassen. Noch im Fall schlugen die Schwingen weiter und hoben den großen Körper schwerfällig in die Luft. Danach begann er elegant zu segeln, beschrieb eine Kurve, schraubte sich in den greifbar nahen Himmel und verschwand darin.
Hasard sah seine Leute an, der Reihe nach. Er musterte die blassen, bleichen und grauen Gesichter, dann lachte er plötzlich los, daß man seine weißen Zähne blitzen sah.
„Der Vogel ruht sich doch nur aus“, erklärte er, „der ist doch völlig harmlos. Wahrscheinlich ist er nur vor einem Sturm geflüchtet, der uns noch einholen wird. Ob ihr in tötet oder nicht, hat auf das Wetter nicht den geringsten Einfluß. Außerdem hätte ich es nicht zugelassen.“
„Und die Meermänner, die vorhin am Schiff gekratzt haben?“ hielt Carberry dagegen. „Jetzt hat das Kratzen aufgehört, weil ich eine Flasche über Bord geworfen habe, mit der sie spielen können. Ich sage euch, der Vogel bringt noch mehr Unglück über uns, schon weil er sich auf dem Schiff niedergelassen hat.“
Diesmal sollte der Profos allerdings recht behalten, auch wenn Hasard ihm das auszureden versuchte. Und damit fand der alte Aberglaube wieder neue und reichliche Nahrung.
3.
Kurz vor Mitternacht ging es los.
Die Nacht war pechschwarz und die Luft knisterte. Den Seewölfen kribbelte es in den Händen, im Gesicht, am ganzen Körper. Der Himmel war nicht mehr zu sehen, die „Isabella“ segelte in dem rätselhaften Wind auf dem alten Kurs weiter, in einer Schwärze, wie sie noch keiner von ihnen erlebt hätte. Selbst Hasard wußte nicht mehr wo sie waren, ob er dem Kompaß trauen konnte, ob sie nicht direkt ins Verderben segelten. In den Pardunen und dem laufenden Gut fing sich klagend der Wind. Diese Nacht direkt im Schlund der Hölle zerrte an den Nerven der Männer und ließ sie ihre Ohnmacht und Hilflosigkeit ganz besonders deutlich spüren. Die Angst ging jetzt stärker um als vor einigen Stunden.
Dan O’Flynn hockte wieder im Großmars – ohne seinen Liebling Arwenack, der sich immer noch verkrochen hatte. Und Dan fühlte sich in seiner Haut gar nicht mehr wohl. Er hatte gerade vor einer halben Stunde Sam Roskill abgelöst, und ihm wäre es lieber gewesen, wenn Sam jetzt statt seiner hier hockte.
Hinter der Segeltuchverspannung hatte er sich auf die Knie gehockt, drehte den Kopf immer wieder in alle Richtungen und versuchte, etwas zu sehen.
Er sah nichts, absolut nichts. Dafür hörte er hier oben den Wind eine wehmütige Elegie singen, ein Todeslied, eine Melodie, die aus einer anderen Welt stammte. Vielleicht kam sie direkt aus dem Totenreich, dachte er schaudernd. Wenn er nach unten blickte, sah er nur die Positionslichter, und auch die blinkten so schwach, daß er sie nur mit Anstrengung wahrnahm.
Das Schlimmste war, daß er hier oben ganz allein war. Nicht einmal der Affe war da. Am Tag hatte er wenigstens die Stimmen der Männer in der Kuhl gehört, jetzt waren die längst verstummt. Wer nicht unbedingt etwas an Deck zu tun hatte, hielt sich im Vorschiff auf – in Sicherheit, dort, wo ihn keine Geister und keine Seelen Verstorbener erreichen konnten.
„He, Luke!“ brüllte er in einer plötzlichen Anwandlung von Angst. „Liegen wir noch richtig auf Kurs?“
Luke Morgan, der im Ruderhaus stand, zuckte zusammen, als er die. Stimme aus dem Großmars vernahm. Neben ihm stand Bob Grey, die beiden Männer hatten sich gerade die schlimmsten Geschichten erzählt, die sie kannten, und das hatte ihrer Phantasie mächtig eingeheizt. Dennoch waren sie froh, eine dritte Stimme zu hören.
„Ja, wir liegen noch auf Kurs!“ brüllte Morgan zurück. „Und wie geht es dir da oben?“
„Verdammt mulmig, kann ich dir sagen. Ist Bob bei dir?“
„Klar, er ist bei mir.“
„In Ordnung!“
Dan schluckte. Zuerst wollte er. Bob bitten, ihm etwas zu trinken zu bringen, aber so wie er den kannte, traute der sich nicht mehr aus dem Ruderhaus heraus. Und dann hätte es wahrscheinlich auch sehr dumm ausgesehen, dachte er. Sie hätten genau gewußt, daß er Angst hatte, und das konnte er doch schlecht zeigen.
Dan preßte die Lippen zusammen und seufzte. Gegen zehn Kerle in der übelsten Kneipe hätte er es jetzt gern aufgenommen, sich geprügelt oder verprügeln lassen. Kein Problem. Aber ein Problem war es, in dieser lausigen Nacht, bei diesem lausigen Wetter in diesem noch lausigeren Großmars zu hocken und nichts zu sehen. Oder doch! Sah er da nicht etwas?
Er kniff die Augen zusammen und spähte angestrengt voraus.
Steuerbord voraus schien sich etwas in der tintenschwarzen See zu bewegen. Wie eine winzige Flamme sah es aus. Angestrengt starrte Dan weiter in die Richtung und glaubte, seinen eigenen Augen nicht mehr zu trauen. Da zuckte doch etwas übers Wasser!
Eine winzige, tanzende Flamme von unwahrscheinlich hellblauer Farbe hüpfte auf und nieder. Mal wurde sie größer, dann wieder kleiner. Mal lief sie nach Steuerbord, gleich darauf wieder nach Backbord, bis sie verlöschte und an einer anderen Stelle wieder auftauchte.
Dans Mund war trocken, mit der Zunge befeuchtete er aufgeregt die Lippen. Einen Moment schloß er die Augen.
Als er sie wieder öffnete, stand die Flamme zum Schiff fast voraus. Jetzt war sie größer geworden, flakkerte unruhig und lief über das schwarze Wasser. Gleich darauf schabte es einmal ganz kurz unter dem Schiffsrumpf.
Die Seele eines Ertrunkenen! dachte Dan entsetzt. Sie geisterte über dem Wasser und hoffte darauf, daß ein Schiff erschien und sie an Bord nahm. Aber das durfte nicht geschehen. Nie, niemals durfte man sie an Bord lassen, weil sie nur Unheil über Schiff und Mannschaft brachte.
Dan war hundeelend zumute. Hier, ganz in der Nähe, mußte irgendwann mal jemand ertrunken sein. Ein Seemann natürlich, der auf dem Grund des Meeres keine Ruhe gefunden hatte. O’Flynn hörte seine eigenen Zähne klappern. Nur Mut, sagte er sich, nur Mut. Man muß so tun, als sähe man die Seele des Ertrunkenen nicht, dann wird sie einen auch nicht weiter belästigen.
Hastig blickte er in eine andere Richtung, zum Ruderhaus hinunter, wo Bob Grey und Luke Morgan standen. Hatten sie etwas bemerkt? Es sah nicht so aus.
Hinter dem Ruderhaus stand eine weitere Flamme tanzend auf dem nachtschwarzen Wasser. Auch sie bewegte sich zögernd, als wüßte sie nicht, welche Richtung sie einschlagen sollte.
Zwei Ertrunkene, dachte Dan entsetzt. Schiffbrüchige vielleicht, die hier untergegangen waren.
Seine Knie zitterten, seine Hände wurden naß, und am ganzen Körper brach ihm kalter Schweiß aus, obwohl die Luft um ihn herum dumpf und brütend war. Er hockte sich hin, klapperte mit den Zähnen und zitterte am ganzen Körper, ihm wurde schlecht vor Angst.
Erst nach einer ganzen Weile schaute er sich wieder um. Zum Glück hatte die eine Flamme es sich anders überlegt und war verschwunden, weil er sie einfach ignoriert hatte. Nur die andere geisterte immer noch übers Wasser, unschlüssig, wohin sie laufen sollte.
Carberry muß her, dachte Dan entsetzt. Der seebefahrene Profos hatte schon einmal die Meermänner vertrieben, warum sollte es ihm nicht gelingen, auch die Seelen Ertrunkener zu beruhigen? Carberry hatte gegen alles ein Wundermittel.
Aber Carberry schlief! Vielleicht kriegte der Profos einen Tobsuchtsanfall, wenn er ihn jetzt, mitten in der Nacht, weckte.
Dan war es egal, er hielt das nicht mehrlänger aus, dieses kleine verdammte Feuer, das ständig vor dem Schiff herhuschte und auf eine Gelegenheit wartete, an Bord zu schlüpfen.
Entschlossen richtete er sich auf, um abzuentern, und den Profos zu wekken. Sollte der toben, wie er wollte.
Dan gelangte allerdings nicht weit. Ein weiteres blaues Flämmchen lähmte alle seine Glieder. Es war auf die Rahnock gesprungen, tanzte hin und her und flackerte hellblau und leuchtend. Mal sah es aus wie ein kleiner Stern, dann wieder wie eine huschende Flamme. Es war nicht größer als eine normale Hand. Das sternenähnliche Gebilde wurde immer heller und begann zu strahlen.
Dan stieß einen leisen Schrei aus. Wie war das Ding nur so schnell an Bord gekommen? Er fand keine Erklärung dafür. Es mußte mit einem gewaltigen Sprung aus dem Wasser geschnellt sein, denn Luke oder Bob hatten es bestimmt nicht an Bord genommen.
Oder – und jetzt fiel Dan siedendheiß etwas Fürchterliches ein – war es Scinders Geist, der Mann, der im Morgengrauen tot an der Rahnock baumelte, von einem Unbekannten heimlich aufgehängt? War er jetzt erschienen, um sich an denen zu rächen, die ihn ermordet hatten?
Dan war es so übel wie noch nie in seinem ganzen Leben. Hilflos hockte er hier oben, Geistern und Gespenstern ausgeliefert, die ihn stumm beobachteten. Er versteckte sich hinter der Segeltuchbespannung des Ausgucks und ließ sich auf den Boden nieder, um das schreckliche Totenlicht nicht länger sehen zu müssen. Verdammt und zugenäht, daß sich weder Luke noch Bob meldeten. Sie mußten den Geist des Gehenkten doch auch sehen, oder hatten sie sich ebenfalls vor lauter Angst verkrochen?
Es dauerte lange, bis er zögernd den Kopf hob. Der Geist des Toten war am Verblassen. Wie ein glühender kleiner Ascherest hockte er nun auf der Rahnock und wurde immer kleiner.
Damit er Dan nicht sah, enterte er ab, so schnell er konnte. An Deck angelangt, fegte Dan mit drei mächtigen Sprüngen zum Vordeck, riß das Schott zum Niedergang auf, knallte es hinter sich zu und raste, wie von Furien gehetzt, in die Mannschaftsräume. Im zweiten Logis schlief der Profos. Vor seiner Koje baumelte eine Ölfunzel, die schwach brannte. Hastig schraubte Dan sie höher.
Ed Carberry starrte ihn an. Er hatte nicht geschlafen, sondern nur vor sich hin gedöst. Einschlafen konnte er nicht, dazu war ihm das Wetter nicht geheuer und erst recht nicht das Meer, das sie jetzt befuhren.
„Mein Gott, Junge“, sagte er entsetzt, „wie siehst du denn aus? Was ist passiert? Du bist blaß wie die Haut eines Fisches.“
Dan kriegte kaum die Zähne auseinander. Er starrte den Profos an, von dem er sich sein Seelenheil erhoffte.
„Ed!“ keuchte er. „Auf dem Mast hockt der Geist eines Gehenkten, und im Wasser tanzen zwei Flammen.“
Mit einem Satz war der Profos auf den Beinen. „Was sagst du da? Wie sehen sie aus?“
„Ddddder ... auf der Rahnock ist hellblau und sieht aus wie ein kleiner Stern, die beiden anderen sind länglich und – und nicht ganz so hellblau. Sie laufen vor dem Schiff her.“
„Hast du den Seewolf geweckt?“
„Nein, ich dachte, dddduu könntest vielleicht ...“
Der Profos fuhr schweigend in seine Stiefel. Sein Gesicht war sorgenvoll umwölkt, sein mächtiges Kinn stach wie ein Amboß in die Luft.
„Wenn er wie ein Vogel aussieht, bedeutet das Rettung aus drohender Sturmgefahr“, erklärte er. „Sieht er aber wie ein Stern aus, so können sich Teufel, Feuergeister oder Drachen dahinter verstecken. Sie täuschen Sonne, Mond und Sterne vor, das sind die gefährlichen. Dann gibt es noch welche, hinter denen sich die drei Schutzheiligen der See verbergen. Meist sind sie gutmütig. Sitzen sie aber auf den Masten oder liegen an Deck, dann kann es übel für uns werden.“
Dan schlotterte jetzt am ganzen Körper. Wenigstens kannte sich der Profos mit Geistern aus, da hatte er also genau den richtigen Mann geweckt.
„Hast du sie schon mal gesehen, Ed?“ fragte Dan erschüttert.
„Ein paarmal schon, meist nur flüchtig. Aber ich weiß, wie man sie zur Ruhe bringt. Vor allem darf man sich nicht aufregen und muß so tun, als wäre es ganz normal, daß sie da sind. Und die Begrüßung darf man nicht vergessen, denn die erwarten sie mit Sicherheit von einem ehrlichen Mann.“
Dan starrte den Profos an, diesen alten Seemann, der sich überall auskannte, der über alles Bescheid wußte, und der noch einigermaßen ruhig blieb, wenn etwas Außergewöhnliches geschah, so wie jetzt die Sache mit den Geisterlichtern.
„Man – man muß sie begrüßen?“ fragte er angstvoll.
„Klar, nur darf man keine Angst dabei zeigen. Die auf den Masten sitzen, die nennt man Dioskuren, aber man darf sie nicht anfassen, sonst faulen einem die Hände ab. Komm, wir gehen, ich gehe vor!“
Dan war heilfroh, den Profos vor sich zu haben. Ed war ein Kerl, der auch mit solchen Situationen fertig wurde. Angst hatte er zwar, aber nicht so wie Dan.
In Batutis Koje regte sich etwas. Dan O’Flynn schrak heftig zusammen.
„Sein schon Morgen?“ murmelte Batuti.
„Nein, Mitternacht. Es sind Geister an Bord erschienen“, erwiderte der Profos mit belegter Stimme. „Ich werde sie begrüßen, dann verschwinden sie wieder.“
„Geister?“ Batuti, der riesenhafte Gambianeger rollte wild mit den Augen. Dann bekreuzigte er sich hastig, zog sich die Decke bis zu seinem Wollschädel und begann zu zittern.
„Batuti schlafen“, bibberte er unter der Decke dumpf hervor. „Sagen Geist, Batuti immer gutes Mann, aber nicht selbst kommen, weil Batuti sehr, sehr müde. Morgen Geist begrüßen ...“
Ein dumpfes Röcheln tönte unter der Decke hervor. Dan und der Profos stiegen an Deck, Carberry etwas zögernd, Dan voller Furcht. Er wollte schon nach des Profos Arm greifen, aber im letzten Augenblick hielt er sich noch zurück.
Auf dem Vorderdeck blieb Carberry stehen, wie vom Donner gerührt. Auf der Rahnock tanzten zwei kleine Flammen, auf dem Wasser liefen ebenfalls kleine Flämmchen, die das Schiff begleiteten. Sie zuckten und flackerten, waberten, erloschen mitunter, entstanden aufs neue. Manche liefen paarweise davon, wie lange Schnüre, die unheimlich glühten, sahen sie aus. Vereinzelte waren so lang wie ein Arm.
Der Profos blieb in merkwürdig verkrampfter Haltung auf dem Vordeck stehen. Es kostete ihn unheimliche Anstrengung, den Mund zu öffnen, der ihm nicht mehr gehorchen wollte.
Klar, er hatte schon von diesen Dingern gehört, und auch selbst mal einige aus der Ferne gesehen. Stand man jetzt in dieser pechschwarzen Nacht aber persönlich vor ihnen, dann war das etwas ganz anderes.
„Salve Corpo Santo!“ sagte er heiser. Seine Stimme hörte sich an, als sei sie seit Jahren eingerostet.
„Salve Corpo Santo!“ wiederholte er.
Dan hatte sich hinter Carberrys breitem Kreuz versteckt, wo er sich einigermaßen in Sicherheit glaubte.
Da vernahm er plötzlich hinter sich eine Stimme und dachte, er müsse vor Schreck auf der Stelle tot umfallen.
„Was – was ist das?“ flüsterte Bob Grey, der sich auf allen vieren über die Kuhl bis aufs Vordeck geschlichen hatte.
„Du gottverdammtes Stinktier!“ wurde er von Dan angefaucht. „Du elende Mißge ...“
Dan mußte den Schrecken einfach abreagieren, doch er hatte den Satz noch nicht ganz zu Ende gesprochen, als ihn die harte Faust Carberrys packte und dicht zu sich heranzog.
„Bist du von Gott verlassen, du Rotznase?“ knurrte der Profos unterdrückt. „Du kannst doch hier nicht fluchen. Willst du etwa, daß sie uns mit Haut und Haaren verschlingen? Los, sag deinen Spruch auf, oder ich ziehe dir die Haut in Streifen von ...“
Carberry unterbrach sich erschreckt. Heftig biß er sich auf die Zunge, daß es schmerzte.
„Salve Corpo Santo!“ Wie ein dünner Hauch wehte Dans Stimme über das Deck.
Bob Grey mußte ebenfalls die Begrüßungsformel murmeln, sonst hätte der Profos ihn mit Haut und Haaren verschlungen. Noch einmal hallte ein kläglich dünnes Stimmchen über das rabenschwarze Wasser.
Die Seelen der Ertrunkenen reagierten. Einige von ihnen wurden merklich kleiner und blasser und liefen in rasender Eile übers Wasser. Andere flackerten unruhig, wurden größer und eilten ebenfalls davon. Aber etwas später fanden sie sich weit vor dem Schiff wieder zusammen. Einige verlöschten schlagartig, und ein kleines von lilablasser Farbe stieg senkrecht in den Himmel.
„Misericordia!“ schrie der Profos laut, als das Ding Anstalten machte, sich auf der Nock des Großmastes niederzulassen. Es verging noch in der Luft, wurde trüb, verblaßte, verschwand und löste sich in Nichts auf.
Der Profos stieß erleichtert die Luft aus.
„Das ‚Misericordia‘ hilft meistens, wenn sie zu aufdringlich werden oder die Seeleute nur necken wollen. Gegen den Teufel selbst hilft es allerdings nicht, denn der hat sie ja erfunden.“
„Was der Profos alles weiß“, flüsterte Bob Grey.
„Das kennen viele Leute.“ Carberry winkte ab und beobachtete mißtrauisch die immer noch flackernden Lichter. „Der Teufel hatte sich vor langen Jahrhunderten einmal einen Dreimaster gebaut, von seinem eigenen Grund und Boden allerdings, und dieses Schiff roch greulich nach Schwefel und verbreitete Gestank auf dem gesamten Meer. Als Besatzung hatte er die Seelen von Verdammten, Galeerensklaven und ähnlichen Leuten hineingesetzt, und die quälte er nun pausenlos, wie er gerade Lust hatte. Eines Tages, als er gerade wieder einmal eine arme Seele in den Kessel tauchte und dabei höllisch lachte, wurde es Sankt Elmo, der ihn beobachtete, zuviel, und er versetzte dem Höllenschiff einen so gewaltigen Stoß, daß es sofort sank. Der Teufel konnte sich gerade noch durch Schwimmen retten. Wenn nun die Nacht sehr dunkel und sehr warm ist, dann brennt das Schiff wieder in Flammen aus reinem Schwefel unten am Grund, und ein paar Flammen lösen sich und steigen nach oben. Aber in ihnen sitzt ein Teil des Teufels, und der ahmt die Sterne nach. Da, da ist wieder eins“, unterbrach sich Ed.
Ein eigentümliches Gebilde begann plötzlich aus dem Wasser zu wachsen, es hatte tatsächlich den Anschein, als steige es direkt vom Grund des Meeres auf. Es glich einer kleinen, handtellergroßen Feuersäule aus bläulichweißem Licht. Das Oberteil neigte sich ständig, während sich die Säule selbst auf unsichtbaren Beinen bewegte.
„Misericordia!“ Der Profos hatte seinen alten Tonfall wiedergefunden und brüllte das Beschwörungswort auf die See hinaus.
Die irrlichternde Erscheinung störte sich jedoch nicht daran, ganz gemächlich wanderte sie auf die Bordwand zu.
„Verdammt!“ knurrte der Profos, der jetzt mit seiner Weisheit am Ende war, weil es den Anschein hatte, als schicke sich die Leuchterscheinung an, die Bordwand zu erklimmen. „Wir scheinen direkt über der Stelle zu sein, wo Sankt Elmo damals das Schiff des Teufels versenkt hat. Hört ihr das nicht?“
Leises Klagen durchdrang die gespenstische Stille. Es war, als flüsterten die Lichter leise miteinander. Wie Töne aus einer anderen Welt drang es herüber.
Erschreckt und verstört drehte sich der Profos herum. Hinter ihm stand niemand mehr. Vom Grauen geschüttelt waren Dan und Bob heimlich verschwunden und hatten sich unter Deck verschanzt.
Ein leichter Ruck ging durch das Schiff. Erneut begann das Kratzen und Schaben, als liefe die „Isabella“ ganz leicht auf eine Sandbank.
Die Lichter und Leuchterscheinungen nahmen ständig zu. Gespenstisch erhellten sie an manchen Stellen die Nacht, lohten bläulich zum Himmel und hoben die Konturen der Segel diffus leuchtend hervor.
Der Profos war nicht nur mit seiner Weisheit, sondern auch mit seinen Nerven am Ende. Er spürte, wie es ihn schüttelte, wie sich seine Nakkenhaare aufrichteten und seine Hände schweißnaß wurden.
Hier half nichts mehr, stellte er fest. Aber er nahm sich vor, dem Ding, das die Bordwand erklomm, mächtig eins mit dem Belegnagel zu verpassen, und wenn er dabei starb. Diese Totenseelen durften auf keinen Fall an Bord steigen.
Fasziniert und ängstlich zugleich sah er, wie das bläuliche Flackern größer wurde, wie es die Bordwand hochglitt, wie es schob und drängte und der gasförmige Körper auseinanderfloß, bis er die Reling erreichte und sich darauf niederließ.
Dem Profos gingen die Nerven durch. Er tastete sich rückwärts gehend zur Nagelbank. Da geriet ihm Tuckers mächtige Axt zwischen die Finger, die unter der Nagelbank lag.
Mit einem Griff packte er sie, schloß die Augen, stürmte vor, öffnete die Augen wieder und schlug mit aller Kraft zu. Dabei schrie er wütend sein: „Misericordia!“
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.