Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 633»

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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-047-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Der Tod des Königs

In Havanna brodelt es, als der Tod des Königs bekannt wird

September 1598 – Madrid.

Der alte Mann hatte die Hände über der Brust gefaltet und sah aus blicklosen Augen zur dunkelgetäfelten Holzdecke.

Sein Gesicht war eingefallen und blaß. Es wurde von einem weißgrauen Bart eingerahmt, unter dem sich die blütenweiße Halskrause befand.

In dem kleinen und spartanisch eingerichteten Raum sprach niemand ein Wort.

Mit ernsten und sehr besorgten Gesichtern standen die besten Ärzte des Landes an seinem Bett. Sie wußten, daß sie nicht mehr helfen konnten. Die Lebensuhr des alten Mannes war abgelaufen.

Einer der hohen kirchlichen Würdenträger legte ein kleines goldenes Kreuz auf die Stirn des alten Mannes. Dann trat er schweigend zurück.

Die Augen des alten Mannes schlossen sich. Er öffnete noch einmal den Mund, als wollte er etwas sagen. Doch kein Ton drang über seine Lippen.

„Majestät“, flüsterte einer der Ärzte.

Der alte Mann hörte ihn nicht mehr. Er war tot …

Die Hauptpersonen des Romans:

Jorge Martinez – der derzeitige Gouverneur von Cuba befürchtet eine Kontrolle und begeht einen Mord.

Ricardo – der Bootsmann einer Karavelle mordet gleichfalls, um sich einen Schatz unter den Nagel zu reißen.

Jussuf – das Faktotum Arne von Manteuffels bringt die Unverfrorenheit auf, in der Gouverneursresidenz in Havanna herumzuschnüffeln – mit Erfolg.

Ben Brighton – der Erste Offizier Hasards muß einen Entschluß fassen, der ihm nicht leichtfällt.

Philip Hasard Killigrew – der Seewolf besucht heimlich seinen Vetter in Havanna und erfährt von ihm umwälzende Neuigkeiten.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Der Mann auf dem Totenbett sah aus, als sei sein Gesicht mit Wachs überzogen. Sein Körper war erschlafft, die Muskeln hatten sich entspannt, und mit dem Eintritt des Todes ging eine sichtbare Veränderung mit ihm vor.

Das Gesicht verfiel, die Nase trat schärfer hervor, und die geschlossenen Augenlider nahmen eine dunklere Farbe an. Auch seine Hände wurden fast durchsichtig.

Die Ärzte senkten die Köpfe, verneigten sich und traten schweigend zurück.

Das Gesicht des Toten war jetzt wie eine Maske.

Ein fast vorwurfsvoller Blick der Geistlichkeit ließ die Ärzte ebenso schweigend hinausgehen. Einer nach dem anderen verließ den Raum und verneigte sich noch ein letztes Mal an der Eichentür.

Für ein paar Sekunden lang schien die Welt den Atem anzuhalten.

Seine Allerkatholischste Majestät, Philipp II., seit 1556 König von Spanien und absolutistischer Führer der Gegenreformation, war aus dem Leben geschieden.

Er war der einzige Sohn Karls V. gewesen, der die spanische Weltherrschaft und das Alleinbestehen des Katholizismus erstrebte.

Weder das eine noch das andere war ihm gelungen. Selbst die geplante Eroberung Englands hatte er mit dem unrühmlichen Untergang der stolzen Armada bezahlen müssen.

Die Unterwerfung der aufständischen Niederlande war letztlich ebenso mißlungen, und er hatte die Niederlage bei Cadiz einstecken müssen.

Auch die Finanzlage sah nicht rosig aus. Der Staatshaushalt belief sich auf rund einhundert Millionen Golddukaten Schulden.

Mit dem Tode Philipps II. begann gleichzeitig – infolge Überspannung der Finanz- und Wirtschaftskräfte – der Niedergang der spanischen Weltmacht.

Sein Nachfolger wurde Philipp III.

Nach dem Motto: „Der König ist tot, es lebe der König!“ wurden Kuriere ausgeschickt und in Marsch gesetzt, um die Unglücksbotschaft aller Welt zu verkünden.

Der Tod seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, sprach sich in Windeseile herum, auch in der Neuen Welt.

Seit Don Antonio de Quintanilla Havanna auf sehr mysteriöse Weise verlassen hatte, übernahm der Hafen- und Stadtkommandant Señor Alonzo de Escobedo die Amtsgeschäfte.

Don Antonio sollte von seiner Allerkatholischsten Majestät in seiner Eigenschaft als Gouverneur von Cuba zum Vize-König von Neu-Spanien und Neu-Granada ernannt werden.

Das hatte aber zu Don Antonios Leidwesen nicht mehr geklappt, denn Philip Hasard Killigrew hatte die Galeone auf der Reise nach Spanien abgefangen und den korrupten Dicken kurzerhand vereinnahmt.

Der übrigen Welt war über sein weiteres Schicksal nichts mehr bekannt. Er galt offiziell als verschollen. Philipp II. hatte daher vergeblich auf seinen Günstling gewartet.

Der Verschollene aber befand sich auf dem Stützpunkt der Seewölfe auf der Insel Great Abaco. Anfangs hatte man mit dem Gedanken gespielt, den korrupten Halunken einfach aufzuhängen, um die Welt von dem Übel zu befreien, doch dann wurde er durch den Bund der Korsaren „begnadigt“.

Er durfte auf Great Abaco bleiben, allerdings mit der Auflage, von nun an ein arbeitsreiches Leben zu führen, was ihm nach langen, schweren Zeiten der Eingewöhnung auch nach und nach gelang. Damit war der ehrenwerte Ex-Gouverneur, der jetzt ein mönchisches und gottgefälliges Leben führte, von der Öffentlichkeit vergessen worden.

An seine Stelle war – wie erwähnt – der noch ehrenwertere Alonzo de Escobedo getreten. Der Escobedo war nur ein mieser kleiner Gauner, ein Bastard, der die Macht mißbrauchte, der Günstlingswirtschaft betrieb und die Korruption weiterhin in Schwung hielt. Aber er hatte nicht die Gerissenheit seines Vorgängers, dazu war er zu klein und erbärmlich. Er hatte sich nicht behaupten können und war ebenfalls sang- und klanglos verschwunden.

Den verantwortungsvollen Posten übernahm anschließend Jorge Martinez, der seitdem im Gouverneurspalast residierte.

Die Bevölkerung von Havanna hatte mit tränenden Augen zusehen müssen, daß auch dieser Mann ein Bastard war, dem es nur darum ging, sich aufgrund seines einflußreichen Postens so schnell wie möglich die eigenen Taschen zu füllen.

Darin stand Martinez den beiden anderen Gaunern in nichts nach. In gewisser Hinsicht übertraf er die beiden sogar noch.

Martinez hatte seine gehorteten Reichtümer nicht in Kellern oder Felsenhöhlen versteckt. Schon gleich bei seinem Amtsantritt hatte er sich ein eigenes Schiff ausbedungen. Genauer gesagt: er hatte es einfach im Namen der spanischen Krone requiriert. Das gab der Sache zusätzlich noch einen amtlichen Anstrich.

Auf dieser kleinen Karavelle befanden sich seine persönlichen Reichtümer in Form von Gold- und Silberbarren, Perlen und anderen Kostbarkeiten, die eigentlich dem spanischen Hofe zugedacht waren. Martinez hatte sie, kraft seines Amtes, abgezweigt. Der spanische Hof hatte seiner Ansicht nach Gold und Silber im Überfluß. Da fiel es nicht weiter auf, wenn mal ein paar kleinere Brocken spurlos verschwanden.

Auf die Mannschaft, die er an Bord hatte, konnte er sich verlassen, denn sie entsprach genau seinem eigenen Kaliber. Es waren durchweg Kerle, die um seine Gunst buhlten und ebenfalls in dunkle Machenschaften verstrickt waren.

Jorge Martinez lag also auf der Lauer, bereit mit seinem Schatzschiff jederzeit das Weite suchen zu können. Das Volk von Havanna war ihm nicht gerade wohlgesonnen und suchte nur nach einer Gelegenheit, es ihm kräftig heimzuzahlen, wenn sich die Gelegenheit bot. Doch noch hatte Martinez die Stadtgarde und die Miliz hinter sich, und so konnten die braven Bürger von Havanna nicht aufbegehren. Martinez setzte die Stadtgarde hart und kompromißlos ein, wenn es Ärger gab.

In der Frühe dieses Morgens lümmelte der „Gouverneur“ ziemlich lustlos in einem weichen Sessel der Residenz herum. Er wußte nichts mit sich anzufangen und langweilte sich. Er griff in die große Kristallschale mit den kandierten Früchten und betrachtete die Dinger angewidert.

Don Antonio hatte dieses klebrige Zeug von morgens bis abends gemampft, und der Lakai füllte die Schale rein gewohnheitsmäßig immer wieder auf, wie er das stets getan hatte.

Martinez hatte ein paar Datteln mit einer klebrigen Glasur in den Fingern. Als er sie wieder in die Schale zurückwarf, pappten seine Finger, als hätte er in einen Kleistertopf gelangt.

„Widerliches Zeug!“ fluchte er. Seine Hände waren so klebrig, daß Daumen und Zeigefinger kaum noch auseinanderzukriegen waren.

Seine Lustlosigkeit wich einem immer größer werdenden Ärger. Er hatte es diesem Bastard von Lakai schon zigmal gesagt, daß er keine kandierten Früchte in seiner Umgebung sehen wollte, aber der sture Kerl wechselte das Zeug immer dann aus, wenn es matschig wurde.

Martinez nahm den Tischgong und benutzte ihn als Wurfgeschoß. Es dröhnte laut, als das Messingbecken gegen die Wand knallte. Der Gong war in der ganzen Residenz zu hören.

Der Lakai, ein hagerer, bleichsüchtiger Mensch, streckte seinen Kopf durch die geöffnete Eichentür.

„Der Señor Gouverneur haben geläutet?“ fragte er außer Atem.

„Wasser und ein Handtuch!“ brüllte Martinez. „Und zwar sofort!“

„Sehr wohl, Señor Gouverneur.“

Der Kopf des Lakaien verschwand, nachdem die großen Augen noch einmal furchtsam in den Raum geblickt hatten.

In unglaublich schneller Zeit kehrte der Lakai mit dem Gewünschten zurück.

„Hände waschen!“ schnauzte Martinez. Sein dicker Schnauzbart zitterte, seine Augen schleuderten Blitze.

Als der Lakai vorsichtig die eigenen Hände in die Wasserschüssel tauchte, erhielt er von Martinez einen derben Tritt in die Kehrseite.

„Meine, du Idiot, nicht deine!“

„Verzeihung, Señor Gouverneur.“

Der Titel stand Martinez nun keineswegs zu, denn er war nicht zum Statthalter ernannt worden. Er war eher eine Verlegenheitslösung, aber kaum jemand redete ihn anders an. Die meisten hatten Angst vor ihm, auch der Lakai, der heftig zu zittern begann und ahnte, daß er jetzt wieder einmal schikaniert werden würde.

Martinez ließ sich vom Lakaien sehr sorgfältig die Hände waschen, wobei er ihn tückisch musterte.

„Abtrocknen!“ befahl er danach.

Als auch diese Prozedur vorbei war, lehnte sich Martinez in seinem Sessel zurück und musterte den zitternden Mann scharf. Eine volle Minute lang schwieg er, was den Bediensteten völlig verunsicherte.

„Da steht wieder dieses matschige und widerliche Klebezeug herum“, sagte er. „Habe ich dir nicht schon hundertmal und noch öfter gesagt, daß ich das nicht mehr sehen will?“

„Ich werde das sofort wegbringen, Señor Gouverneur. Es ist nur so, daß der ehrenwerte Gouverneur Don Antonio de …“

„Don Antonio ist nicht mehr da, verdammt! Schon lange nicht mehr, hast du das endlich kapiert? Ich will diesen Matsch nicht mehr sehen und nicht mehr riechen. Kandierte Früchte, glasiertes Obst, pfui Teufel! Das kriegt ja kein Mensch runter. Außerdem klebt es entsetzlich, und man verdirbt sich damit nur den Magen.“

„Sie sollen sehr gesund sein, Señor Gouverneur“, wagte der Lakai zu widersprechen.

Martinez lehnte sich mißmutig noch weiter zurück.

„Dann friß sie“, sagte er kurz, „wenn sie so bekömmlich sind.“

Der Lakai schluckte und kriegte einen roten Kopf. Seine Lippen zuckten wie die eines Karnickels.

„Ich warte.“ Martinez trommelte ungeduldig mit den Fingern der rechten Hand auf der Tischplatte herum.

Nach einer kurzen Verbeugung und einer gemurmelten Entschuldigung griff der Lakai in die Schale und hielt eine kandierte Dattel zwischen den Fingern. Er sah sehr unschlüssig aus und zögerte. Aber der drohende und hinterhältige Blick zwang ihn, sich das klebrige Ding in den Mund zu schieben. Mit langen Zähnen kaute er darauf herum, bis er es endlich herunterschluckte.

„Scheint wirklich sehr bekömmlich und gesund zu sein“, höhnte Martinez. „Nur weiter so, mein Freund. In der Schale sind noch mindestens zwei Dutzend von den Dingern. Aber beeile dich. Meine Zeit ist schließlich nicht dazu da, den Lakaien beim Essen zuzusehen. Ich habe wichtigere Dinge zu tun, Amtsgeschäfte.“

Die Amtsgeschäfte des ehrenwerten Gouverneurs bestanden meist darin, daß er sich im Hafen sein Schiff ansah und sich dort an den angehäuften Schätzen berauschte. Er pflegte auch alles sehr sorgfältig zu kontrollieren, obwohl er wußte, daß auf die Kerle an Bord Verlaß war.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das war sein Motto.

Er betrachtete den Lakaien, der sich eine der kandierten Früchte nach der anderen einverleibte. Steif wie ein Ladestock stand der Kerl da und mampfte das pappige Zeug in sich hinein. Sein Gesicht war angewidert verzogen, was den ehrenwerten Gouverneur boshaft freute. Jedesmal, wenn der Lakai zögerte, traf ihn dieser drohende Blick, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.

„Schneller“, drängte Martinez. „Meine Zeit ist zu kostbar, um vertrödelt zu werden.“

Dem Bediensteten wurde schlecht. Er rülpste einmal laut und verdrehte die Augen. Aber unter den unerbittlichen Blicken aß er weiter, bis endlich die letzte kandierte Frucht vertilgt war. Danach stand er mit grünlichem Gesicht schwankend vor Martinez und verbeugte sich, was wiederum von einem lauten Rülpsen begleitet wurde.

„Keine Manieren, der Pöbel“, tadelte Martinez. „Erst behauptest du Bastard, das Zeug sei gut und bekömmlich, und jetzt kotzt du mir gleich die kostbaren Teppiche voll. Hinaus mit dir! Wenn ich noch einmal kandierte Früchte in meiner Umgebung sehe, dann kriegst du sie so lange zu fressen, bis du daran erstickst.“

Der Lakai flüchtete. Ihm war speiübel. Als er gerade an der schweren Eichentür war, flog ihm die große Kristallschale nach, die er vergessen hatte, mitzunehmen. Blitzschnell schloß er die Tür.

Die Kristallschale flog dagegen und zerplatzte in einem Regen aus Glasscherben.

Martinez fühlte sich jetzt viel wohler. Seinen „Unmut“ hatte er abreagiert.

Da Martinez von Natur aus ein ausgesprochen fauler Hund war, der mit Amtsgeschäften genausowenig im Sinn hatte wie alle seine Vorgänger, beschloß er, nach seinem Schiffchen zu sehen.

Zwei Kerle der Stadtwache begleiteten ihn, weil das dann immer nach einer Amtshandlung aussah. Er ließ sich heute nicht kutschieren, sondern ging zu Fuß. Bis zum Hafen war es ohnehin nur ein Katzensprung.

Seine Karavelle, die er von der Residenz aus nicht sehen konnte, lag an einer Nebenpier vertäut. Drei Kerle standen faul und träge in der morgendlichen Sonne herum. Von den anderen war nichts zu sehen.

Im Hafen lagen an diesem Morgen viele Schiffe. Spanische Galeonen, die be- oder entladen wurden, die Hafenschaluppen, eine große Karavelle, ein alter, morscher Portugiese und unzählige kleine Fischerboote. Auf der Reede, hinter dem Castillo del Morro, lagen nochmals vier spanische, dickbäuchige Galeonen.

Martinez’ Blick fiel auf eine Karavelle, die unter vollem Preß in den Hafen segelte. Sie war leer, wendig und schnell, und den Kapitän schien es nicht zu kümmern, daß drohend die Rohre der Geschütze auf ihn gerichtet waren. Unbeirrbar segelte er weiter unter Vollzeug in den Hafen.

2.

„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Martinez scharf, auf die Karavelle deutend, die so schnell in den Hafen segelte, als wollte sie die Piers rammen und zu Kleinholz verarbeiten. „Ist der Kerl verrückt?“

„Unerhört“, sagte einer seiner Begleiter. „Wirklich unerhört, Señor Gouverneur. Vermutlich ist es das spanische Kurierschiff, das vor einem halben Jahr bereits einmal hier war. Es ist die ‚Veleta‘, wenn ich das richtig erkenne.“

„Nie gehört“, sagte Martinez. Es hatte ihn auch gar nicht interessiert. „Äh, natürlich kenne ich sie“, verbesserte er sich rasch. „‚Die Veleta‘, die vor einem halben Jahr schon einmal hier war.“

„Sehr richtig, Señor Gouverneur.“

Martinez tat so, als freue ihn die Ankunft dieses Schiffes, weil die anderen Kerle schon ganz zappelig waren.

„Was wollen die denn hier?“ fragte er stirnrunzelnd. „Etwa den Geleitzug bewachen, der demnächst in See geht?“

Der andere wußte besser Bescheid als Martinez, ließ sich das aber nicht anmerken. Man fiel hier schnell in Ungnade, und dann war man einen feinen Posten los.

„Sieht so aus, als hätten sie eine Order, Señor Gouverneur. Natürlich kann es auch sein, daß sie für den Geleitzug abkommandiert worden ist. Die Ladung ist ja sehr beträchtlich.“

„Ja, die Ladung.“ Martinez seufzte und grinste still vor sich hin.

Von der Ladung hatte er erst einmal eine „Probe“ nehmen lassen, um die Stempel auf den Gold- und Silberbarren angeblich zu prüfen. Diese Prüfung der mehr als hundert Goldbarren hatte natürlich aus Geheimhaltungsgründen auf seinem Schiff stattgefunden, und diese Prüfung war immer noch nicht abgeschlossen. Sie würde auch nie abgeschlossen werden, und niemand würde mehr danach fragen, sonst hieße es ja, dem ehrenwerten Gouverneur zu unterstellen, daß etwas nicht in Ordnung sei.

Außerdem bestand die Ladung ja nicht aus hundert lausigen Goldbarren, denn immerhin wurden elf spanische Galeonen mit Gold und Silber beladen, die damit nach Spanien segeln sollten. Das alles ging mit allergrößter Geheimhaltung vor sich. Das Volk von Havanna hatte von diesem Transport nicht die geringste Ahnung.

„Sie legen drüben an der alten Pier an“, sagte der stellvertretende Stadtkommandant wichtigtuerisch, obwohl kein Zweifel daran bestand, daß die Karavelle jetzt anlegen würde.

Martinez kniff die Augen zusammen und hatte das Gefühl, als bringe dieser Besuch aus Spanien nichts Gutes. Er beschloß daher spontan, seine Visite auf dem eigenen Schiff zu verschieben.

Erst mal abwarten, was diese Burschen wollen, dachte er.

Ziemlich brüsk drehte er sich auf dem Absatz um.

„Der Kapitän des Schiffes soll sich sofort bei mir melden“, befahl er. „Ich bin in der Residenz.“

„Sehr wohl, Señor Gouverneur.“ Zwei erstaunte Kerle sahen ihm nach, als er umkehrte und ziemlich eilig zurückging.

„Was hat er denn so plötzlich?“ fragte der stellvertretende Hafenkommandant.

„Wahrscheinlich hat er Bauchschmerzen“, sagte der andere respektlos. „Viele Gouverneure kriegen Bauchschmerzen, wenn ganz unerwartet Besuch erscheint, zumal es sich noch um einen Kurier seiner Allerkatholischsten Majestät handelt.“

„Bin wirklich gespannt, was die wohl wollen. Es scheint jedenfalls sehr wichtig zu sein.“

Sie sahen Martinez noch einmal nach, der jetzt fast rannte, so eilig hatte er es.

In seiner Residenz fand er einen stämmigen Mann vor, der scheinbar unterwürfig die Scherben zusammenfegte, die die Kristallschale hinterlassen hatte. Der Mann hatte einen sichelförmigen Schnauzbart und schwarze Augen, die wie poliert aussahen.

Der Mann verneigte sich tief, aber Martinez warf ihm nur einen ungnädigen Blick zu.

„Was tust du hier?“ herrschte er ihn an.

Der Schnauzbärtige verneigte sich noch tiefer und gab sich sehr demütig, eine Geste, die Martinez sehr schätzte.

„Der ehrenwerte Señor Gouverneur möge seinem untertänigen Diener allergnädigst verzeihen. José ist etwas unpäßlich, und da bat er mich, die Scherben zusammenzufegen.“

„So, José ist unpäßlich“, sagte Martinez hämisch. „Das kommt davon, wenn man zu viele kandierte Früchte frißt. Beeil dich jetzt mit dem Zeug und verschwinde dann. Du kannst nachher noch das Schlafgemach in Ordnung bringen. Ich erwarte hohen Besuch.“

„Sehr wohl, Señor Gouverneur“, sagte der Mann.

„Wer bist du überhaupt?“ wollte Martinez wissen. „Ich habe dich hier noch nie gesehen.“

„Ich bin nur zur Aushilfe hier, Señor Gouverneur. Ein untertäniger Diener. Der Kommandant hat mich hergeschickt.“

„Beeil dich, Kerl. Du siehst wie ein Türke aus, aber nicht wie ein Spanier. Wie heißt du?“

„Fernando, Señor Gouverneur. Meine Mutter war Türkin, mein Vater Spanier.“

„Hurenstall“, brummte Martinez. „Sei froh, daß es nicht umgekehrt der Fall war, sonst wärest du ein Bastard.“

Der Mann nickte eingeschüchtert und beeilte sich. Als er die Scherben zusammengekehrt hatte, verschwand er so still wie ein Geist. Dann begab er sich ins Schlafgemach des hohen Herren, um dort aufzuräumen. Von dort aus konnte er alles mithören, was in dem getäfelten Raum gesprochen wurde. Die Wände waren sehr dünn.

Eine gute Viertelstunde später meldete eine Ordonnanz den Besuch eines spanischen Kapitäns.

Der ehrenwerte Gouverneur ließ gnädigst und gelangweilt bitten.

Ein Mann in Uniform mit einem fliehenden Kinn und pechschwarzem Bart trat ein. Seine Augen glänzten fiebrig, der Mund war nur ein zusammengepreßter dünner Strich.

„Capitán de Mérida“, stellte er sich vor. „Ich habe Ihnen eine wichtige Nachricht zu überbringen, Señor.“

„Señor Gouverneur“, verbesserte Martinez überheblich und mit hochgezogenen Brauen. „Das ist die hier übliche Anredeform.“

Der Kerl wußte offenbar gut Bescheid, denn er wischte lässig mit der Hand durch die Luft.

„Das mag dahingestellt bleiben, Señor. Sie sind nicht der offizielle Gouverneur von Cuba, wie Sie selbst wissen. Sie haben keine Bestallung vom spanischen Hof. Dennoch muß ich Sie hier als höchste Instanz anerkennen.“

Zuerst stieg Martinez die Galle hoch, und er wollte aufbrausen. Dann überlegte er sich die Sache anders. Dieser Kerl trat so selbstsicher auf, daß er schon fast beleidigend wirkte. Das konnte nichts Gutes bedeuten und war meist ein schlechtes Omen. Vielleicht war es jetzt sehr schnell mit seiner eigenen Herrlichkeit vorbei, wenn der Kerl die entsprechenden Papiere vorlegte.

„Nun, nehmen Sie erst einmal Platz, Capitán“, sagte er etwas freundlicher. „Darf ich Ihnen vielleicht ein Glas Rotwein anbieten?“

„Nur einen kleinen Schluck, bitte.“

Martinez haute auf den Gong. Der Kerl mit dem sichelförmigen Schnauzbart erschien zu schnell, als habe er darauf gewartet.

„Rotwein!“ befahl Martinez und sah ungeduldig zu, wie der Mann den Wein in zwei kostbare Gläser einschenkte. Ein Blick aus Martinez’ Augen ließ ihn erneut wie ein Flaschengeist verschwinden.

De Mérida nahm nur einen winzigen Schluck, dann legte er die Fingerspitzen aneinander und sah den Gouverneur durchdringend an.

„Ich bedaure zutiefst, Ihnen das Ableben Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, mitteilen zu müssen. Gott, der Herr, sei seiner Seele gnädig.“

Martinez blieb der Rotwein vor Schreck im Hals stecken. Ein riesiger Felsen lastete plötzlich auf seiner Seele. Die Eröffnung ging ihm durch und durch. Er war keinesfalls über den Tod des Königs von Spanien bestürzt, er dachte nur an die Konsequenzen, die sich daraus für ihn ergaben. Vermutlich wurde jetzt alles anders. Vielleicht setzte die neue Regierung einen neuen Gouverneur ein und schickte ihn zum Teufel.

„Das – das ist unfaßbar“, murmelte er bestürzt. „Ich kann meine Trauer kaum in Worte kleiden. Seine Majestät war mir immer ein großes vaterländisches Vorbild, und jetzt – nein, ich kann es wirklich nicht fassen. Das ist der größte Schicksalsschlag, der mich jemals getroffen hat, Capitán.“

Martinez schniefte und wischte sich verstohlen über die Augen. Hoffentlich weiß der Kerl nichts über mich, dachte er angsterfüllt. Der Capitán schien mit einigen sehr unangenehmen Vollmachten ausgestattet zu sein, die seinen Hals kosten konnten. Aber noch war nicht alles verloren.

„Ganz Havanna wird in Schmerz und Trauer versinken“, prophezeite er, obwohl eher das Gegenteil zu erwarten war. Vermutlich würde hier alles eskalieren, wie das schon ein paarmal der Fall gewesen war, wenn Umbesetzungen bevorstanden.

De Mérida sah den heuchelnden Gouverneur durchdringend an. Er erkannte auf Anhieb, daß diese Trauer nur gespielt und keinesfalls echt war. Der ehrenwerte Gouverneur scherte sich den Teufel um Seine Majestät und dachte offensichtlich nur an seine eigenen Pfründe. Der Kerl war ein verdammter Heuchler.

Martinez murmelte etwas von „ewigem Verlust für Spanien und tiefer Betroffenheit in der Neuen Welt“, doch der Capitán nahm ihm schnell den Wind aus den Segeln und blieb kühl und gelassen.

„Die Betroffenheit in der Neuen Welt dürfte sich in bescheidenen Grenzen halten“, sagte er. „Man sollte das Kind ruhig beim Namen nennen, Señor. Spanien hat einen neuen König, und damit werden Spekulationen hervorgerufen. Jeder fragt sich, wie es jetzt weitergehen wird, und darin bilden auch Sie keine Ausnahme.“

„Nun, das ist zweitrangig“, entgegnete Martinez. „Wenn man mich offiziell ernennen sollte, werde ich natürlich aus rein vaterländischen Motiven nicht ablehnen und meinem Volk weiterhin ein treuer Diener sein. Vielleicht wissen Sie mehr darüber, Capitán?“

Der Capitán legte wieder die Fingerspitzen gegeneinander.

„Ich bin bevollmächtigt, in Havanna genaue Untersuchungen anzustellen“, sagte er freundlich. „Vorrangig ist dabei der aus elf Galeonen bestehende Geleitzug, den das Land dringend braucht. Spanien ist mit hundert Millionen Golddukaten verschuldet.“

„Hundert Millionen“, staunte Martinez.

Ein paar davon gingen auch auf sein Konto, wenn er an die gehorteten Schätze auf seinem Schiff dachte. Außerdem hatten die anderen „Gouverneure“ ebenfalls kräftig abgesahnt.

„Ja, hundert Millionen. Das sind nüchterne Fakten, eine traurige Hinterlassenschaft. Spanien braucht daher jeden Gold- und Silberbarren. Natürlich setzt das eine peinliche Kontrolle voraus. Die Beamten an Bord meines Schiffes werden die Bestände, die demnächst in See gehen, einer genauen Kontrolle unterziehen, damit alles seine Richtigkeit hat. Ist Ihnen nicht gut, Señor?“

Martinez war ziemlich bleich geworden. Er faßte sich jedoch schnell wieder.

„Diese Nachricht, diese entsetzliche Nachricht“, stöhnte er, „sie hat mich zutiefst aufgewühlt.“

„Ja, das sehe ich. Es hat Sie sehr mitgenommen, aber viele andere ebenfalls. In etwa einer Stunde werden wir damit beginnen, alles aufzulisten. Ich setze voraus, daß Sie mir dabei behilflich sind. Sie wissen ja, daß es immer wieder korrupte Beamte gibt, die keine Skrupel haben, sich an den Schätzen des Königs zu vergreifen.“

„Ja, das soll es geben“, sagte Martinez tonlos, der sehr schnell merkte, daß jetzt ein anderer Wind in Havanna zu wehen begann. Mit den linden Lüften war es vorbei. „Was geschieht dann mit denjenigen? Ich – äh – ich meine, falls es hier auch solche Halunken geben sollte, von denen ich natürlich nichts weiß.“

„Kraft meiner Vollmachten lasse ich die Kerle aufknüpfen, öffentlich natürlich. Das ist doch selbstverständlich“, entgegnete der Capitán freundlich. „Aber Sie möchten sicherlich die neuen königlichen Vollmachten sehen, Señor.“

Martinez wollte am liebsten gar nichts mehr sehen. Er schluckte hart und wäre am liebsten getürmt, aber so schnell ging das nicht.

Aufknüpfen, öffentlich! dachte er. Das waren ja feine Aussichten. Ganz sicher kriegten diese Beamten und dieser kühle Capitán sehr schnell heraus, was er bisher getrieben hatte und daß er außerdem über ein eigenes Schiff verfügte. Sie würden dann auch noch schneller herausfinden, daß dieses Schiff vollgestopft war mit Gold- und Silberbarren, Kleinodien und Perlen. Daß man diesen gewaltigen Reichtum dem „Gouverneur“ nicht geschenkt oder geopfert hatte, würde den Kerlen auch bald klar sein.

Zudem störte ihn ganz entsetzlich, daß ihn dieser Capitán offenbar nicht für voll nahm oder anerkannte. Noch kein einziges Mal hatte er ihn mit seinem Titel angeredet. Für ihn war er nur ein einfacher Señor, sonst gar nichts.

„Ja, richtig, die Vollmachten“, murmelte er geistesabwesend. „Aber ich glaube Ihnen auch so.“

„Hier muß alles seine Richtigkeit haben“, unterbrach ihn die kühle Stimme des Capitáns. „Hier sind die Papiere, Señor.“

Er breitete amtliche und versiegelte Schreiben auf dem Tisch aus, bis Martinez’ Augen immer größer wurden.

„Ich – äh – hoffe doch, daß ich weiterhin Gouverneur von Cuba bleibe“, sagte er etwas lahm. „Ich meine, äh, bestallter, sozusagen, denn ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.“

„Vorerst bleiben Sie provisorisch im Amt, zumindest solange, bis der Geleitzug zusammengestellt ist. Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß dieser Schatz-Konvoi als streng geheim einzustufen ist. Wer darüber auch nur ein Sterbenswörtchen verliert, landet im Kerker, aber nicht nur für ein paar Wochen. Um diese Ladung geht es jetzt, denn sie ist außerordentlich wichtig. Sie erhalten hier alle Unterlagen, die Sie dem General-Kapitän des Geleitzuges übergeben werden. Es ist Don Ricardo de Mauro y Avila. Der Konvoi wird auf Ost-Nord-Ost-Kurs nach Teneriffa segeln. Treffpunkt dort ist der Haupthafen Santa Cruz de Tenerife.“

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