Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 671»

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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-085-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Kanonendonner am Mandavi

Die „Respectable“ ist in großer Gefahr – da greifen die Arwenacks an

Dan O’Flynn entging dem heimtückischen Schlag nur durch einen Zufall. Er stolperte im hinteren Teil des unteren Batteriedecks über einen Gegenstand und landete auf allen vieren.

Da krachte eine Spillspake mit solcher Wucht auf die Planken, daß diese zitterten und dröhnten.

Dan war sofort wieder auf den Beinen und sah sich im düsteren Licht des Decks um. Im ersten Augenblick nahm er an, es sei etwas von den Decksbalken gefallen. Dann erkannte er den Profos der „Respectable“, Bennet Whistler.

Edwin Carberry hatte diesen hirnlosen Kerl vor ein paar Stunden durchgewalkt, und so sah Whistler jetzt auch aus. Seine Nase war noch platter als sonst, das Gesicht aufgequollen und blaugrün verfärbt. Die linke Klüse war fast zugeschwollen. Aber in seinen blutunterlaufenen Augen loderte aller Haß der Welt …

Die Hauptpersonen des Romans:

Sir Thomas Carnavon – regt sich fürchterlich auf, als seine Kommandantenkammer einen Treffer erhält und die wertvollen Teppiche verdorben werden.

Bennet Whistler – der Profos der „Respectable“ unternimmt einen Mordversuch und erhält dafür die Quittung.

Lord Hyram Scaleby – ereifert sich darüber, „daß auf einem Schiff Ihrer Majestät Leichen herumliegen“.

Philip Hasard Killigrew – setzt sich für seine fünf gepreßten Arwenacks ein, indem er drei portugiesische Galeonen angreift, welche die „Respectable“ versenken wollen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Dan O’Flynn war von diesem Kerl ausgepeitscht worden – zu Unrecht, denn sein „Verbrechen“ hatte darin bestanden, den Zweiten Offizier, Sir Godfrey Ballantine, vor den angriffslustigen Portugiesen zu warnen, die in ihrem Einflußbereich keine fremden Schiffe duldeten.

Der ehrenwerte Sir Godfrey hatte Dan dafür wegen frecher Reden und Bevormundungen eines Vorgesetzten auspeitschen lassen. Diese Züchtigung hatte Whistler mit satanischer Freude vorgenommen. Noch jetzt konnte Dan kaum das Kreuz durchdrücken. Sein Körper brannte wie Feuer.

Aufgrund dieses sadistischen Verhaltens hatte sich Carberry den Kerl zur Brust genommen, mit dem Ergebnis, daß Whistler aussah, als habe er auf einer Schlachtbank übernachtet.

So wird das ewig hin und her gehen, dachte Dan. Jetzt wollte sich dieser hirnlose Affe wieder an ihm rächen.

Es gab nicht den geringsten Zweifel daran, daß der Schlag mit der großen Spillspake seinen Schädel zerschmettert hätte. Whistler hätte ihn totgeschlagen und irgendwann heimlich durch eine der Stückpforten außenbords befördert und dabei vielleicht noch Bedauern geheuchelt.

Von dem Schlag auf die Planken waren Whistlers Knochen gestaucht worden. Der stechende Schmerz stand noch in seiner plattgehauenen Visage. Da der Kerl zudem auch begriffsstutzig war, stierte er blöde vor sich hin und kapierte nicht, daß sein Opfer noch höchst lebendig war. Die Spake lag jetzt etwas weiter entfernt auf den Planken.

„Du Bastard!“ keuchte Whistler, als der Denkprozeß bei ihm wieder einsetzte. „Du verdammte Ratte! Dich schlage ich tot!“

Dan wußte, daß dieser Kerl nicht nur ein harter Brocken, sondern auch völlig unberechenbar und gefährlich war. Er hatte die bullige Kraft eines ausgewachsenen Ochsen.

Dan sah ihn kalt an. Weiter hinten im Batteriedeck bemerkte er einen Mann, aber der war offenbar taub und blind und kümmerte sich nicht um sie. Er schien vor dem Profos eine Heidenangst zu haben, fummelte an einer Kanone herum und ließ sich nicht stören.

Wie unüberlegt dieser Mann reagierte, sah Dan daran, daß er sich nach der Spake bückte, wohl in der dümmlichen Annahme, dabei unbehelligt zu bleiben. Er wollte die Spake aufheben, um sie ihm erneut über den Schädel zu schlagen.

„Du bist noch dämlicher als eine getrocknete Seegurke“, sagte Dan.

Er schlug mit den Knöcheln seiner rechten Faust so hart zu, wie er nur konnte. Der Schlag traf Whistlers rechtes Ohr, das ohnehin von vielen Faustkämpfen recht mitgenommen aussah. Es schien eine Faust aus Eisen zu sein, die dem Profos der englischen Kriegsgaleone „Respectable“ wie eine Kanonenkugel an den Schädel flog. Dan hatte das Gefühl, in eine Eichenwand geschlagen zu haben.

Whistler quiekte los wie eines der Schweine, die sie im vorlichen unteren Deck hielten. Der harte Schlag schüttelte ihn durch und löste in seinem Schädel eine grelle Explosion aus. In gebeugter Haltung fiel er halb zur Seite und auf die Knie. In seinem dumpfen Schädel explodierte ein Pulverfaß nach dem anderen.

Dan O’Flynn kannte kein Erbarmen. Der Kerl hätte ihn totgeschlagen, gnadenlos und heimtückisch, und Whistler kapierte wohl erst dann, wenn er noch einmal harte Dresche bezog. Doch selbst das war nicht sicher. Er war einer von der haßerfüllten Sorte, die es immer wieder versuchte.

Aber Dan und die vier anderen Arwenacks mußten sich durchsetzen, um nicht von diesem Ungeheuer untergemangelt zu werden, sonst setzte es jeden Tag Prügel. Denn auf diesem Schiff konnte man sich nur mit den Fäusten durchsetzen und mußte das jeden Tag neu beweisen – solange, bis die anderen endgültig kapierten, daß es einen gab, der stärker war und sich nicht schief anblicken ließ.

Als Whistler hochtorkelte, landeten zwei blitzschnelle Schläge mitten in seiner Visage und warfen ihn zurück. Dan setzte sofort nach, griff von hinten herum nach dem feisten Stiernacken, der naß und glitschig war und nahm den Profos in einen eisenharten Griff, indem er die Hände um sein Genick verschränkte. Mit einer wilden Anstrengung wuchtete er den glatzköpfigen Profos hoch und drückte zu.

Whistlers Reaktionen ließen sich am besten mit denen von Tieren vergleichen. Als sich der Griff verstärkte, begann er zu röcheln und keilte gleichzeitig mit seinen Säulenbeinen wild aus.

Dan legte ihm einen Finger hinter das Ohr und drückte zu. Es war, als wollte er aus einem Felsstück Wasser pressen. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, bis der gewaltige Körper dem Druck allmählich nachgab. Wieder gab Whistler ein tierisches Grunzen von sich.

Dan trat ihm von der Seite her in die linke Kniekehle und ließ blitzschnell los. Der Büffel von Profos landete krachend auf den Planken, Gesicht voran und einen wilden Brüller ausstoßend. Der Kerl war dem Wahnsinn nahe und sah nur noch rot.

Noch einmal rappelte er sich auf und schlug mit den Armen wie mit Dreschflegeln wild um sich.

Dan wich aus und spürte, daß über seinen Rücken Blut lief. Die Wunden brachen wieder auf, die nur verkrustet gewesen waren.

Whistler drosch wie ein Wilder drauflos, aber in seiner rasenden Wut konnte er keinen gezielten Schlag landen. Als ein weiterer Hieb ins Leere ging – Dan war rechtzeitig untergetaucht –, schoß O’Flynn hoch, packte Whistlers Arm und drehte ihn hart auf den Rücken, bis der Profos mit den Fingerspitzen den hinteren Teil seiner Glatze berühren konnte. Tränen schossen ihm aus den geschlossenen Augen. Gegen den Griff konnte er sich nicht wehren.

„Und jetzt Sturmschritt, du Ratte!“ fauchte Dan und rannte los.

Das erste, was im Weg stand, war ein vierkantiger Eichenbalken, den der Profos im Schnellschritt nahm. Er donnerte dagegen, und die Wucht des Aufpralls erschütterte das Deck.

Dan O’Flynn hielt den Mann eisern fest. Whistler war halb bewußtlos, aber er mußte weiter laufen, diesmal in Richtung Back und einen Niedergang hinunter.

Im Sturmschritt ging es bis zu den unappetitlichen Stallungen der sogenannten Pißback, wo Schweine, Ziegen, Kühe, Ochsen und Federvieh gehalten wurden. Hier war es ziemlich düster, aber man konnte sich gut an dem penetranten Gestank orientieren.

In der Bilge stand die Jauche, und es gab da eine Box, wo ein Ochse durch die Planken gebrochen war. Natürlich hatte sich niemand der Mühe unterzogen, dieses Loch über der Bilge zu flicken, da die Box ohnehin leer war und nicht mehr gebraucht wurde.

In Whistler regte sich noch mal Widerstand, als er erkannte, was Dan O’Flynn mit ihm vorhatte. Er zappelte und trat wieder aus, und Dan mußte einen harten Schlag in den Unterleib einstecken, was seine Wut nur noch mehr anstachelte.

„Ich bring dich dahin, wo du hingehörst, nämlich zu den Schweinen“, keuchte er. „Dort kannst du Halunke dich in die Bilge legen und hören, wie die Fische laichen.“

Whistler gab Flüche von sich, die selbst Dan noch nie gehört hatte.

Unvermittelt ließ er ihn los. Aber noch bevor der hinterhältige Profos sich orientieren konnte, traf ihn ein brettharter Schlag. Er tat zwei Schritte rückwärts, verlor den Halt und landete in dem großen Loch, in dem es gluckerte.

Die Jauche aus den Stallungen stand hier gut ein halbes Yard hoch. Gelenzt wurde immer erst dann, wenn der Geruch unerträglich wurde oder die Brühe über die Dielen schwappte. Im Vordeck nahm man es nicht so genau, und die ehrenwerten Lords kümmerten sich nicht darum, denn der Geruch beleidigte ja nicht ihre empfindlichen Nasen auf dem Achterdeck.

„Darin kannst du dich jetzt in aller Ruhe suhlen“, sagte Dan. Er fuhr herum, als er Schritte hörte und erkannte Smoky und Edwin Carberry.

„Da bist du ja“, sagte Ed erleichtert. „Wir dachten schon, einer der unvergleichlich netten Leute hätte dich außenbords befördert, oder der Profos hätte dir irgendwo aufgelauert. Was tust du hier?“

„Eben ist ein ziemlich dicker Mensch in die Jauche gefallen“, erwiderte Dan mit einem schiefen Grinsen. „Jetzt zappelt er und kann nicht mehr heraus.“

„Na und – ist das unsere Sache?“ fragte Carberry. „Dafür sind die Ausmister zuständig, nicht wir. Wir müssen wieder an Deck, sonst gibt es Ärger.“

„Warum grinst du denn so dämlich?“ fragte Smoky. Er blickte erst Dan an, dann in das gezackte Loch, wo es plätscherte und grunzte.

„Mit dem dicken Menschen habe ich den Profos gemeint“, erklärte Dan. „Er hat mir tatsächlich aufgelauert und wollte mir eine Spillspake über den Schädel hauen. Ich hab ihm ein bißchen gut zugeredet, damit er mal ein Bad nimmt. Der Kerl stinkt nämlich schlimmer als das ganze Viehzeug zusammen.“

„Was – der Profos ist in dem Loch?“ fragte Carberry ungläubig. „Na, das ist ja mal eine feine Abwechslung. Tatsächlich!“ rief er aus, als der blanke Schädel aus der schwarzen Brühe auftauchte und eine triefende Hand nach den gezackten Planken griff.

Sie grinsten sich zu, und Carberry trat ein wenig zur Seite, aber man durfte ihm keine schlechte Absicht unterstellen, denn es war sehr düster hier unten. Kein Wunder also, daß er dem „Kollegen“ mit seinen riesigen Themsekähnen auf die Wurstfinger trat.

Die Folge war ein erstickter Schrei, ein schnelles Loslassen und ein erneutes Untergehen in der Brühe.

„Er horcht gerade die Planken ab, ob die Heringe schon laichen“, erklärte Dan. „Dieses Monster hätte mich aus dem Hinterhalt glatt erschlagen, wenn ich nicht zufällig gestolpert wäre.“

Das Gesicht des Profos war hart und kantig. Im düsteren Schatten des Decks wirkte es noch gefährlicher als sonst. Die Narben erschienen wie tiefe Krater und Rinnen.

„Es bleibt zu überlegen, ob man diesen Bastard nicht wirklich ersäufen sollte“, sagte er mit seltsam klirrender Stimme. „Sein Tod würde vielen anderen Erleichterung bringen und etlichen das Leben retten. Kein Hahn würde nach diesem Hundesohn krähen. Wenn er hier wieder rauskommt, wird er es immer wieder versuchen. Gestern hatte der Kerl anscheinend begriffen, daß er sich mit den falschen Leuten angelegt hat, aber heute ist sein Gehirn wieder leer. Das hat der Überfall auf dich gerade bewiesen.“

Carberry ging in die Hocke und beugte sich über das Loch, in dem der Länge nach ausgestreckt der Profos lag.

„Hör zu, du lausiger Jauchetreter“, sagte er mit einer so leisen und eindringlichen Stimme, daß selbst Smoky ein Frösteln überlief. „Ich habe dir gestern schon versprochen, dich gefesselt über Bord zu werfen, und wir werden auch nicht davor zurückschrecken. Sprich dein letztes Gebet, falls du überhaupt eins kennst.“

Carberry sah ganz so aus, als würde es er nicht bei bloßen Worten bewenden lassen. Er war von diesem gemeinen Bastard restlos bedient, und seiner Meinung nach hatte er den Tod hundertmal verdient.

Whistler tauchte auf, diesmal sah er noch schlimmer aus. Er hatte den Mund geöffnet und starrte sie an. Er war am Ende, keuchte und sah den Tod in dreifacher Gestalt vor sich stehen, hart, gnadenlos und bis zum Äußersten entschlossen. Seine Zähne schlugen wie im Fieber aufeinander. Er war fix und fertig – und er hatte eine hündische Angst, wie er sie bisher nur selten empfunden hatte.

„Ich – ich werde euch nie mehr was tun“, stammelte er mit halberstickter Stimme.

Der Profos war im Kern ein herzensguter Mensch, allerdings kein frommer Pilger, wie er selbst oft betonte. Er war schon drauf und dran, diesen Halunken aus dem Loch klettern zu lassen, überlegte es sich dann aber anders und schlug ihm die Faust auf die Nase, daß Whistler mit einem Aufschrei zurücksank.

„Wiederhole es noch einmal“, sagte Carberry.

Whistler stieß einen wimmernden Schrei aus. Nur mit größter Anstrengung konnte er die Worte wiederholen. Er spuckte einen Zahn auf die Planken und konnte sich kaum noch halten.

„Ich glaube dir trotzdem nicht“, sagte Carberry. Diesmal setzte es mit dem Handrücken eine knallharte Ohrfeige. „Du hast uns bis jetzt immer betrogen und wolltest Dan umbringen. Merk dir gut, daß wir freie Männer sind und man uns gegen unseren Willen auf diesen dreckigen Eimer gepreßt hat. Wir sind damit nicht einverstanden, doch wir fügen uns in das Unvermeidliche. Aber dafür wollen wir nicht auch noch bestraft werden. Geht das in dein Gehirn rein, oder müssen wir dich tatsächlich hier ersäufen?“

„Ich tu euch nichts mehr.“

Die Stimme war nur ein ersticktes Keuchen und kaum zu verstehen.

„Na schön“, sagte Smoky. „Damit du das auch von meiner Seite aus kapierst. Merke es dir gut!“

Die Arwenacks hielten nichts davon, einen Mann zusammenzuschlagen, schon gar nicht, wenn sie in der Überzahl waren. Aber in dieses Gehirn einer Mücke mußte alles hineingeprügelt werden, sonst blieb nichts darin hängen.

Um seine Worte nachdrücklich zu unterstreichen, langte Smoky ihm ebenfalls eine. Der Decksälteste hatte sich früher seinen Platz auch hart erkämpfen müssen, schon bei Francis Drake, und er hatte seine Stellung nie aufgegeben und sich immer wieder behauptet. Daher lag hinter seinem Schlag auch der nötige Dampf, damit ihn der Profos nicht so schnell vergaß.

Whistler tauchte wieder ab und blieb in der Brühe liegen. Er hatte nicht mehr die Kraft, sich zur Wehr zu setzen.

„Eine andere Sprache versteht dieser Kerl nicht“, sagte Dan achselzuckend. „Man muß ihm wirklich alles einbleuen, sonst begreift er es nie im Leben, und es ist immer noch fraglich, ob er jetzt daraus eine Lehre zieht.“

„Gehen wir an Deck“, schlug Carberry vor. „Mir reicht der Ärger, den wir hier haben. Wir wollen uns nicht noch mehr einhandeln. Es wird nicht lange dauern, bis die Portugiesen wieder auftauchen.“

Smoky seufzte tief und warf einen Blick auf den Profos. Der hatte es geschafft, sich halb über das gezackte Loch in den Planken zu quälen, aber dann hatten ihn die Kräfte verlassen, und jetzt lag er bewußtlos über dem Rand. Der Kerl sah zum Fürchten aus. Jeder normale Mensch wäre schreiend vor ihm davongerannt.

Carberry warf ihm einen verächtlichen Blick zu, bevor sie wieder an Deck gingen, wo sie Ferris Tucker und Roger Brighton von dem Vorfall berichteten.

„Sehr gut“, sagte Ferris aggressiv. „Aber vielleicht wäre es doch besser gewesen, den Bastard einfach über Bord zu werfen. Aber den hätten ja nicht mal die Haie gefressen.“

„Du sagst es“, tönte der Profos. „Jeder Hai wäre an dem Kerl glatt erstickt und hätte mir leid getan.“

2.

An Deck hatte sich nicht viel geändert. Die „Respectable“ lief weiter nach Süden ab, immer noch verfolgt von den drei portugiesischen Galeonen, die es auf sie abgesehen hatten. Die Verfolger jagten aus nördlicher Richtung heran, und es sah ganz so aus, als würde es gleich wieder ein paar, Treffer setzen.

Carberry prüfte den Wind und blickte in den Himmel. Der war nicht mehr so rabenschwarz wie zuvor, sondern hatte sich aufgehellt. Es war eine Mondsichel zu sehen, die nur hin und wieder von Wolken verdeckt wurde. Auch ein paar Sterne blinkten.

Ein Mann drängte sich an den Arwenacks vorbei und blieb kurz stehen. Carberry sah sein Gesicht nur als vagen Schatten.

„Das habt ihr fein gemacht“, raunte er dem Profos zu. „Euch hat einer dabei beobachtet. Ihr seid wirklich Kerle, die den Teufel nicht fürchten und ihn noch in den Schwanz kneifen.“

„Weiß gar nicht, von was du sprichst“, sagte Carberry unschuldig.

Er glaubte, den anderen hart grinsen zu sehen.

„Aber ich weiß es. Fast alle sind euch dankbar. Wir hatten nur nicht den Mumm, es diesem Drecksack mal zu zeigen. Scheint, daß jetzt langsam ein anderes Lüftchen zu wehen beginnt. Ihr habt jedenfalls eine Menge Freunde an Bord, das solltet ihr wissen. Auch wenn die Freunde das nicht immer offen zeigen können.“

Bevor der Profos oder Ferris eine Antwort geben konnten, war der Mann in der Dunkelheit so schnell verschwunden, als sei er durch die Planken gerutscht.

Carberry grinste breit.

„Freunde, eh? Kann schon sein, ich bin sogar davon überzeugt, denn Whistler hat doch bis jetzt jeden zusammengeschlagen und gezeigt, wer der König im Vordeck ist. Kein Wunder, wenn die Kerle sich auf unsere Seite stellen.“

„Klar, viele sind auf unserer Seite“, pflichtete Ferris ihm bei. „Hier gibt es vier Parteien an Bord. Die eine besteht aus den Achterdecksstieseln, die andere aus den Seesoldaten, die den Stieseln gehorchen, und die dritte aus dem normalen Schiffsvolk. Die vierte sind wir, aber die gliedert sich in die ein, die aus dem normalen Schiffsvolk besteht. Womit wir sozusagen wieder zusammengehören. Aber gerade das ist es, was weiter für böses Blut sorgen wird, denn das merken die anderen auch bald.“

„Mit der Rebellion gegen den Profos haben jedenfalls wir angefangen“, sagte Dan. „Und jetzt scheiden sich irgendwo die Geister. Ohne uns wäre der Terror weitergegangen wie bisher, weil sich niemand traut, aufzumucken. Bin gespannt, wie das ausgehen wird.“

„Gut jedenfalls nicht“, murmelte Smoky. „Irgendwann schlägt der Funken über und löst eine Explosion aus.“

Er hatte gerade das letzte Wort ausgesprochen, als es wie zur Bestätigung auch schon so etwas wie eine Explosion gab.

Achteraus riß der dunkle Himmel auf. Die Mondsichel verblaßte, und die Sterne versteckten sich schamhaft hinter der Schwärze. An ihrer Stelle schien eine Sonne aufzugehen.

Ein Feuerblitz beleuchtete die „Respectable“ und ließ sie in rötlichgelben Farben erstrahlen. Auch das Achterdeck wurde erleuchtet, und die Arwenacks sahen, wie die adligen Kerle verstört zusammenzuckten, obwohl Kanonendonner wirklich nichts Neues war. Sie hatten ihn gerade vor ein paar Stunden vernommen, als ein paar Karavellen das Feuer auf die Engländer eröffnet hatten. Da hatte es an Bord auch ein paar Treffer gesetzt, und einiges war zu Bruch gegangen.

„Von mir aus können sie diesen Mistkasten zusammenschießen“, sagte Dan O’Flynn erbittert. „Und mit ihm mag auch das adlige Pack untergehen, wenn sich nur die anderen retten können. Ich habe diesen dreimal verbohrten Lord eindringlich vor den Portus gewarnt, aber der wußte anscheinend nicht mal, was das sind.“

„Für die Warnung ließ er dich auspeitschen“, knurrte Carberry. „Mann, mir stinkt dieser Kahn immer mehr. Sobald sich eine Gelegenheit ergibt, gehen wir auf und davon.“

„Aber ich darf doch mit, oder?“ fragte ein Stimmchen in der Dunkelheit. „Ihr habt es versprochen, Sir.“

Der Profos, ganz konzentriert, entspannte sich wieder und grinste schwach. Weiter vorn in der See war das Rauschen einer Wassersäule zu hören, die in sich zusammensank. Achtern wurde es nach dem Schuß wieder finster, noch dunkler als zuvor.

„Klar, du darfst mit“, versicherte Carberry ebenso leise. „Was wir Arwenacks versprechen, das halten wir auch, in jedem Fall.“ Er strich dem Jungen beruhigend über das Haar.

Das Bürschchen mit dem Namen Clinton Wingfield hatten sie erst gestern kennengelernt. Er war als Pulveraffe auf der „Respectable“ und ein gewitztes Kerlchen. Ganze zwölf Jahre war er alt, mit lebhaften grauen Augen, einer kecken Stupsnase und einem Langschädel mit kuriosen Haarwirbeln. Der Kleine war drahtig und sehr pfiffig, und er hatte es verstanden, sich an Bord einigermaßen durchzusetzen, damit er von den anderen unbehelligt blieb.

Seit er die fünf Arwenacks kannte, war er restlos von ihnen begeistert, denn die hatten es von Anfang an verstanden, sich mit den Fäusten hart durchzusetzen. Vor allem hatten sie es gleich dem tückischen Profos Whistler gezeigt.

Der Kleine hatte auch schon wieder erfahren, daß Whistler jetzt in der Pißback als Badegast in der Jauche lag und so zusammengeschlagen worden war, daß er kaum noch gehen konnte. Clint bewunderte die Arwenacks und hing an ihnen. Sein Traum war es, bei ihnen als Moses zu fahren. Bei den Seewölfen!

Was war dagegen dieser Affenkasten, wo der Haß durch alle Ritzen kroch, wo der Profos vor den Achterdecksstieseln Angst hatte und diese Angst an das Schiffsvolk weitergab, indem er sie unbarmherzig triezte.

Diese Arwenacks hatten gleich richtig die Segel gesetzt und sich nichts gefallen lassen. Das imponierte einem Jungen wie Clinton Wingfield ungemein, und schon jetzt sah er sich im Geist auf der Schebecke der Seewölfe fahren, Yes, Sir, er würde wirklich alles tun, um von diesen harten Männern als einer der ihren anerkannt zu werden.

Ja, und noch einen hatten sie an Bord kennengelernt, was sie erstaunt und völlig überrascht hatte. Einen Mister Barry Thorne, einen vierzigjährigen Mann mit grauen Schläfen, der als Segelmacher auf der „Respectable“ fuhr. Es handelte sich dabei um niemand anderen als um den jüngeren Bruder des alten Will Thorne von den Arwenacks. Das war wirklich eine gelungene Überraschung gewesen.

Vom Achterdeck erfolgte der zaghafte Befehl, das Feuer zu erwidern, obwohl das völlig sinnlos war. Sie hatten mehrmals den Kurs gewechselt und mußten erst wieder anluven, um die Kanonen auf den Gegner richten zu können, der sie verfolgte. Dabei aber ging wertvolle Zeit verloren, die einzig und allein den Portugiesen nutzte.

Das Kommando zum Anluven erfolgte natürlich nicht, und so stand der Stückmeister mit ein paar Seesoldaten und einem hilflos grinsenden Sergeant verlegen herum. Auf was sollten sie feuern? Auf das weit im Osten liegende Land oder einfach in die See?

Der Sergeant konnte den Befehl aber nicht einfach ignorieren, zumal er wiederholt wurde. Da die Stimme recht piepsig klang, konnte der Befehl nur von Lord Hyram Scaleby, dem Ersten Offizier, stammen. Er handelte wieder mal eigenmächtig und hatte offenbar erneut Oberwasser gewonnen.

Der Kommandant Thomas Carnavon hatte erst kürzlich in einem Anflug von Selbstverachtung und Heldenmut die Offiziere ziemlich hart angepfiffen und nicht mit üblen Worten gespart. Jetzt war dieser Heldenmut offenbar wieder verflogen, und Carnavon hatte resigniert, weil sich die anderen Lordschaften so leicht aufregten und schnell gekränkt waren.

Der Stückmeister rang die Hände und steckte schließlich den Kopf an der Culverine vorbei durch die Stückpforte. Viel schlauer wurde er dabei allerdings nicht, denn er erblickte nur eine pechschwarze Wasserfläche vor sich. Von den achterlich segelnden Portugiesen sah er auf diese Weise und aus dieser Position überhaupt nichts.

„Auf was sollen wir denn feuern?“ fragte er den Sergeant.

„Auf den Feind natürlich“, war dessen heroische Antwort.

„Aber wo ist der Feind?“

„Auf See natürlich.“ Der Sergeant war schon lange im Dienst und kannte so manche verrückte und irrsinnige Anordnung. Von den Lordschaften war er ebenfalls einiges gewohnt. Die waren so unbedarft, daß man sie eigentlich gar nicht zur See fahren lassen durfte. Sie bauten nur Mist und hatten absolut keine Ahnung. Aber aufgrund ihrer adligen Herkunft glaubten sie, sich alles herausnehmen zu dürfen.

Der Stückmeister zögerte jetzt nicht länger. Er erwiderte mit zwei Culverinen das Feuer, und da er nicht um die Ecke schießen konnte, entstanden irgendwo in der nächtlichen See zwei einsame Wassersäulen, die nicht mal gesehen wurden.

Jedenfalls faßten die portugiesischen Kapitäne das als Provokation auf. Dieser Eindringling war in ihre herrschaftliche Domäne eingebrochen, um herumzuschnüffeln oder um sich am lukrativen Indien-Handel zu beteiligen. Sie hatten ihn mündlich und später durch Schüsse gewarnt, doch der englische Koloß kreuzte weiter wild in „ihren“ Gewässern. Daß er jetzt auch noch feuerte, erboste die Portugiesen.

„Himmel, sind das Trottel“, stöhnte Roger Brighton. „Denen ist wahrhaftig nicht mehr zu helfen. Wenn sie jetzt nach Westen abdrehen würden, wäre der Fall erledigt. Aber nein, diese Narren segeln stur weiter, weil sie sich für den Nabel der Welt halten.“

„Keine Ordnung in dem Haufen“, stellte Smoky fest. „Da krebst alles durcheinander. Nicht mehr lange, und die Portus werden uns wieder eins auf den Pelz brennen. Hier weiß die eine Hand nicht, was die andere tut. Wirklich lächerlich und grotesk, was sich hier so alles an Bord abspielt.“

„Und dann brennt natürlich noch die Hecklaterne“, sagte Ferris kopfschüttelnd. „Na schön, sie sehen uns auch so. Aber bei uns würde das doch wirklich keinem einfallen, bei einer nächtlichen Verfolgungsjagd die Hecklaterne zu entzünden. Da bietet sich als Ziel das Achterkastell geradezu an.“

Auch in anderer Hinsicht waren die unbedarften Lords recht sorglos. Es brannte nicht nur die Hecklaterne, an Deck waren ebenfalls drei Laternen aufgehängt, die milchiges Licht verbreiteten. Für die Verfolger war die englische Galeone ein riesiger trüber Dunstkreis, der gar nicht zu verfehlen war. Die Portus selbst segelten abgedunkelt, und nur ihre Silhouetten waren hin und wieder zu erkennen, wenn die Wolken die Mondsichel oder ein paar Sterne freigaben.

Für Lord Scaleby war das „Gefecht“ fürs erste offenbar erledigt, und auch Sir Thomas kümmerte sich nicht weiter um die Verfolger. Der Abstand der Schiffe schien sich nur unmerklich zu verringern. Nach mehr als drei Stunden hatte sich nichts wesentliches geändert.

Aber die Portugiesen blieben beharrlich an ihrem Gegner und trieben ihn weiter nach Süden. Vielleicht erhofften sie sich am frühen Morgen eine bessere Position, oder aber sie holten so unmerklich auf, daß es wirklich immer nur ein paar Yards waren.

„Blödsinn, hier die ganze Nacht herumzustehen“, brummte Carberry. „Langsam wachsen mir die Beine in den Bauch. Entweder wir schieben wieder irgendwo eine ruhige Kugel, oder wir sehen mal nach, was das schmierige Köchlein so um diese Zeit treibt. Aus der Kombüsenesse quillt nämlich Rauch.“

Smoky, Ferris und Roger beschlossen jedoch, an der Exkursion nicht teilzunehmen, und zwar aus guten Gründen. Es war nicht unbedingt erforderlich, daß man sie ständig zusammen sah.

„Geht ihr beide“, sagte Smoky zu Carberry und Dan. „Wir verholen inzwischen weiter nach vorn.“

„Einverstanden.“

Smoky, Ferris und Roger verkrümelten sich unauffällig und verschwanden. Sie wurden ohnehin nicht gebraucht, und keiner kümmerte sich um sie. Es war eine Farce, daß man sie überhaupt an Bord des Viermasters gepreßt hatte. Ein Witz war das, wo es hier vor Leuten geradezu wimmelte.

Dan und Carberry gingen weiter zum Vorkastell, wo sich die Kombüse unter der Back im oberen Batteriedeck auf der Steuerbordseite befand.

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