Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 93»

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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-417-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

„Dan O’Flynn!“ schrie der alte O’Flynn seinen Sohn an. „Was, zum Teufel, stehst du da herum und glotzt in die Gegend? Das Mädchen ist längst verschwunden, wir haben die Roaring forties hinter uns gelassen und segeln auf Kap Horn zu! Aber du hast immer noch diese Flausen in deinem verdammten Dickschädel. Wenn du lausiger Bock nicht so alt wärst, würde ich mein Holzbein abschnallen und dich einmal ordentlich durchwalken, du Lümmel!“

Der junge O’Flynn gab keine Antwort. Aber das Verträumte aus seinem Blick verschwand, und er riß sich zusammen.

Klar, der Alte hatte recht, dachte er, sie hatten die Roaring forties, die brüllenden Vierziger, hinter sich gelassen, jene Zone mit ewig wildem, brüllendem Westwind, und nun wurde es langsam Zeit für ihn, sich das Mädchen Severa aus dem Kopf zu schlagen, die Baskin, in die er sich so verknallt hatte.

Sein Traum von dem schönen Mädchen brach jäh ab, und die rauhe Wirklichkeit sprang ihn an.

Die „Isabella“ segelte mit Vollzeug bei südwestlichen Winden über Backbordbug durch gischtiges aufgewühltes Meer.

Ein paar Tage lang war es verhältnismäßig ruhig gewesen, doch seit sie den fünfzigsten Grad südlicher Breite überschritten hatten, war es wieder losgegangen. Schralender Wind, Kreuzseen, diesiges Wetter, bis er dann wild und stetig aus Südwest blies.

Vielleicht würde ein ausgewachsener Orkan daraus werden, überlegte Dan, und wenn das der Fall war, waren sie nicht einmal in der Lage, einen Hafen anzulaufen, denn hier gab es weit und breit keinen, der ihnen Schutz geboten hätte.

Doch die Seewölfe verließen sich auf die „Isabella“, die wie ein Pfeil vor dem Wind herjagte, jede hohe Woge mühelos abritt, dem Meer trotzte und sich ihm entgegenwarf, bis es mit langen Wasserschleiern ihren Bug und das Vorschiff übergischtete.

Dan O’Flynn löste den Schweden Stenmark im Großmars ab und enterte auf. Stenmark zog ein schiefes Gesicht.

„Mann, ich bin durchgefroren bis auf die Knochen“, sagte er. „Nimm dir lieber noch eine Jacke mit, der Wind bläst verdammt hart durch die Segeltuchverkleidung.“

„Ich werd’s schon aushalten“, sagte Dan einsilbig.

Sein Liebling Arwenack, der Schimpanse, war diesmal nicht dabei. Der hockte, bekleidet mit einer Leinenhose und einer Jacke, die der Segelmacher Will Thorne ihm genäht hatte, in Hasards Kammer. An Deck war es zu kalt für ihn geworden, genauso wie für Sir John, den bunten Aracanga-Papagei aus dem Amazonas. Für ihn hatte der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tukker einen hölzernen Käfig gebastelt, in dem er jetzt hockte und an den Stäben nagte.

Auf der „Isabella“ gab es zu diesem Zeitpunkt keinen, der nicht beschäftigt war.

Der größte Teil der Männer wußte ungefähr, was ihnen bevorstand, sie hatten es schon einmal erlebt. Die Durchquerung der Magellanstraße nämlich, und denen, die dabeigewesen waren, war noch deutlich das Kap der Dämonen in Erinnerung.

An Deck wurde ohne Pause gearbeitet und geschuftet. Die Räume waren extra verschalkt worden, man hatte das laufende und stehende Gut einer sorgfältigen Prüfung unterzogen. Die Beiboote mußten wasserdicht verpackt werden, und nun wartete Will Thorne nur darauf, daß der Wind etwas nachließ, damit er die Schlechtwettersegel anschlagen konnte. Die Segel, die sie jetzt fuhren, würden nicht mehr lange halten, wenn der Sturm immer stärker blies, wenn es kalt und eisig wurde.

Schon jetzt wurden an Deck Strecktaue gespannt, Schlepptrossen gegen das Querschlagen des Schiffes ausgelegt und immer wieder überprüft, nachgesehen, gemustert.

Carberry war hier und da, purrte die Männer hoch, motzte in seiner üblichen Art und scheuchte die Seewölfe mal hierhin, mal dahin, bis alles seine Richtigkeit hatte.

Die schwersten Trossen lagen jetzt bereit und konnten sofort ausgefiert werden, wenn der Sturm an Heftigkeit zunahm.

Auf dem Achterkastell des Schiffes standen Pete Ballie und Gary Andrews zusammen am Ruder. Die grobe See zerrte, riß und drückte am Ruderblatt, und der Rudergänger hatte alle Hände voll zu tun, um das Schiff auf Kurs zu halten. Deshalb waren sie zu zweit.

Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hantierte zusammen mit Ben Brighton mit dem Jakobsstab, mit Lineal und Seekarten, und immer wieder zerbiß der Seewolf dabei einen Fluch zwischen den Zähnen.

„Diese verdammten lausigen Karten“, sagte er. „Man findet sich nur sehr schwer damit zurecht, weil sie zu ungenau sind. Hier unten stimmt doch so gut wie nichts mehr!“

„Ja, leider“, sagte Ben Brighton. „Deshalb kann ich auch die Position nicht genau berechnen. Meiner Schätzung nach müßten wir die Magellanstraße jedoch in etwa vier Stunden erreichen.“

Der Wind pfiff und heulte übers Achterkastell, sang in den Luvwanten, jaulte an den Pardunen vorbei. Die Blöcke und Taljen ächzten und knarrten, Taue spannten sich, bis sie rack waren, und gaben dann langsam wieder nach.

Hasard konnte seinem Ersten keinen Vorwurf machen. Ben gab sein Bestes, das wußte er. Die Seekarten waren schuld, in ihnen waren keine Abdriften verzeichnet, in ihnen gab es Buchten, die in Wirklichkeit nicht existierten. Da waren vorgelagerte Felsen im Meer, die auf den Karten nicht eingezeichnet waren, und dennoch mußten sie genau navigieren, denn dies war die gefährlichste Ecke der ganzen Welt, dazu noch im Dezember des Jahres 1583, der wildesten Zeit, die es südlich der Roaring forties gab.

Hasard warf einen Blick zurück. Hinter ihnen sollte Siri-Tong mit dem schwarzen Segler sein, doch von dem Schiff war weit und breit nichts zu sehen.

Er hatte sich ohnehin nicht der Illusion hingegeben, daß sie Seite an Seite segeln würden, das war in diesen südlichen Breiten einfach unmöglich. Hier, an dieser Ecke, waren bisher immer sämtliche Schiffsverbände zersplittert und hatten sich verloren. Von manchen hatte man nie wieder etwas gehört.

Ben hatte den Blick des Seewolfs bemerkt.

„Sie werden nicht weit hinter uns sein“, meinte er, „das Wetter verschlechtert sich, man kann keine zwei Meilen mehr sehen. Wahrscheinlich stecken sie in der düsteren Bank da achtern!“

Hasard nickte nur, nahm das Spektiv, zog es auseinander und sah hindurch.

Nichts zu sehen außer rollenden Wogen, langer Gischt, die darüber hinwegwehte, und dem Horizont, der mit dem bleigrauen Himmel verschmolz. Man sah nicht mehr, wo das Meer aufhörte und der Himmel begann. Beide Elemente hatten sich scheinbar vereinigt und waren eins geworden.

Das Land, ebenfalls nur noch ganz schwach und undeutlich durch das Spektiv zu erkennen, war schroff, felsig, kahl und trostlos. Ab und zu blies eine Fontäne aus dem Meer, Wale tauchten auf, die die „Isabella“ neugierig ein Stück begleiteten und dann wieder in der schäumenden See verschwanden.

Etwas später begann das, was der Seewolf befürchtet hatte. Der stetig blasende Südwestwind schlief ein. Unmerklich erst, dann immer schneller nachlassend, legte er sich. Nur die Wogen verloren nichts von ihrer Stärke. Pausenlos rollten sie heran, hoben das Schiff hoch, setzten es in die gähnenden Abgründe riesiger Täler und wiederholten Sekunden später das gleiche Spiel.

Will Thorne, der Segelmacher, erschien auf dem Achterdeck. Sein Gesicht war sorgenvoll verzogen, als er mit dem Daumen in die Takelage deutete.

„Kann sein, daß jetzt gleich Böen einfallen“, sagte er, „genausogut ist es möglich, daß wir stundenlang in einer Flaute treiben. Daher sollten wir uns jetzt entscheiden. Schlagen wir die Schlechtwettersegel an, oder lassen wir das andere Zeug stehen?“

Bisher hatte sich keine Gelegenheit ergeben, die Segel auszuwechseln. Jetzt wurde es allerdings höchste Zeit. Das leichte Zeug mußte herunter, selbst wenn Hasard das Risiko einging, vor Topp und Takel zu lenzen. Allzu lange würde es ohnehin nicht dauern, obwohl es eine höllische Knochenarbeit war.

„Nein, wir müssen sie auswechseln“, sagte Hasard. „Wenn der Wind hart einfällt, reißt er uns alles zusammen. Wir beginnen mit dem Großmars und lassen vorläufig nur die Sturmsegel stehen, falls es böig wird.“

„Nicht vor Topp und Takel?“ fragte der alte Segelmacher.

Hasard entschied sich nach kurzem Nachdenken.

Topp und Takel bezeichnet den Zustand eines Schiffes, das in einem schweren Sturm ohne Segel treibt, das nicht beigedreht, sondern vor dem Wind lenzt. Dazu legt man Trossen aus, die wie ein Treibanker wirken und das Schiff halten.

„Nein, wir laufen normal weiter, es wird sowieso nicht mehr als ein vorläufiges Dahindümpeln.“

Thorne grinste leicht, denn der Seewolf untertrieb beträchtlich. Das sogenannte Dahindümpeln bestand immer noch aus haushohen Wellenbergen, vor denen sich so mancher, der sie nicht gewöhnt war, bekreuzigt hätte.

Aber die einmalige Gelegenheit mußte genutzt werden, und so gab Hasard den Befehl an Carberry, die Großmarsrah abzufieren, das Segel zu bergen und das Schlechtwettersegel anzuschlagen.

An Deck ging es augenblicklich los. Carberry war wieder in seinem Element und stemmte die Arme in die Hüften.

„Hopp, hopp, ihr triefäugigen Walfische!“ schrie er. „Brassen klar zum Laufen, ’runter mit dem Zahnstocher! Wo, zum Teufel, bleibt das Schlechtwettersegel, ihr Kerle, was, wie?“

Vier Männer schleppten es unter Aufbietung all ihrer Kräfte. Der riesenhafte Batuti, Big Old Shane, Ferris Tucker und Smoky, der Decksälteste.

Die Großrah wurde abgefiert. Die Männer arbeiteten schnell und geschickt mit flinken Fingern. Daher dauerte es auch nicht lange, bis das neue Segel angeschlagen war und die Großmarsrah bald wieder in luftiger Höhe hing.

Einmal briste es kurz auf, doch etwas später herrschte wieder der alte Zustand. Kein Wind, dafür hohe Wellen, und am verschwommenen Horizont eine graue Bank aus Dunst, Nebel und Fetzen, die sich unheilverkündend heranschob.

Carberry runzelte die Brauen. Sein Rammkinn war vorgeschoben, er „roch“ den Wind und peitschte die Männer zu artistischen Leistungen an.

„Schlaft nicht, ihr schwangeren Kakerlaken!“ schrie er und packte auch selbst überall mit an. „So ein kleines Schiffchen ist doch im Nu auf andere Segel umgerüstet. Früher hat das mein Moses ganz allein hingekriegt, in der halben Zeit, und dabei hatte er noch hohes Fieber und war todkrank! Hopp, ihr müden Säcke, fiert weg den Besan, belege das!“

So ging es weiter. Carberrys saftig gewürzte Kommandos sorgten dafür, daß die Arbeit nur halb so schwerfiel. Trotz der Kälte lief den Seewölfen der Schweiß über die Gesichter.

Zuletzt wurde die Blinde angeschlagen, und da fielen bereits die ersten Böen ein.

Leichter, schralender Wind kam auf, dem eine totale Flaute folgte, dann eine wilde Bö, die Gischt über die See trieb wie lange spinnige Arme, und die heulend und fauchend in die Schwerwettersegel fuhr, sie blähte, bis sie aus den Lieken zu reißen drohten, dann wieder, bei der nächsten Bö, ein knatterndes Killen.

„Die Schoten dichter holen!“ schrie Ed mit Donnerstimme. „Sonst killen die Segel, und dann haben wir den ganzen Krempel an Deck liegen. Noch dichter holen, Mann!“ schrie er den schwitzenden Matt Davies an, der die Schoten um seine Hakenprothese schlang und mit aller Kraft daran zerrte.

„Die Blinde bleibt im Gei hängen!“ brüllte er zum Vordeck. „Den Lappen brauchen wir nicht! Und haltet euch, verdammt, bereit, weil wir gleich auf den anderen Bug gehen werden!“

Bisher war die „Isabella“ über Backbordbug gesegelt, aber jetzt begann der Wind aus einer anderen Richtung zu blasen, und der Profos hatte sofort das richtige Gespür dafür.

Er sah den Seewolf an, der ihm lächelnd zunickte.

„Ganz richtig, Ed“, sagte Hasard. „Hier unten, in dieser lausigen Ecke, gibt es eine Regel, die schon Francis Drake kannte. Hier wird bei südwestlichen Winden über Backbordbug gesegelt, bei nördlichen Winden über Steuerbordbug, selbst wenn man dabei weit nach Süden versetzt wird. Davon darf man sich nicht beirren lassen. Aber warte noch ab, es kann sein, daß der Wind noch einmal dreht, dann sparen wir uns das Manöver.“

Der unberechenbare Wind dachte nicht daran, den Männern einen Gefallen zu tun. Er drehte nur um ein Minimum, aber das reichte völlig. Es blieb ihnen nichts anders übrig, als auf den anderen Bug zu gehen.

Jetzt kamen auch die ersten Seen über, und die gespannten Strecktaue erwiesen sich als nützlich.

„Klar zum Wenden!“ erfolgte Hasards Befehl.

Die „Isabella“ ging über Stag. Eine neue Schufterei begann. Die Männer fanden keine Ruhe.

Die Brassen waren klar zum Laufen, das Kommando Luv zum Wenden erfolgte, das Schiff ging langsam zwölf Strich durch den jetzt immer stärker heulenden Wind.

Der Besan wurde mittschiffs geholt, die Vorschoten auf der Back gefiert, den Fockbrassen wurde Lose gegeben.

Nach „Ruder in Lee“ und „achtern rund“ schwenkten die Achtertoppen von selbst herum, bis die „Isabella“ achtern vollen Druck auf das Ruderblatt kriegte.

Anschließend wurden die Brassen blitzschnell durchgeholt, der Besan gefiert, und bei „rund vorn“ die Vorrahen gegen den Wind geholt. Als dann der Vortopp herumgebraßt wurde, lag das Schiff schon wieder beim Wind und auf dem neuen Bug. Jetzt wurde bei südöstlichen Winden über Steuerbordbug gesegelt.

Die See begann zu schäumen, der Bug tauchte wild ein und hob sich wie ein zorniger Gott aus dem nassen Element wieder hervor.

Oben, im Großmars, wurde Dan O’Flynn gehörig durchgeschüttelt, als das Schiff stark zu krängen begann, als Brecher über Brecher über Deck tobten und nur schwerfällig durch die Speigatten abflossen.

Hasard schätzte die Zeit, bis sie die Magellanstraße erreichten, noch auf etwa zwei Stunden.

Er wollte dichter an Land heran, so nah, daß man die Küste auch mit bloßen Augen erkennen konnte, doch nach kurzer Überlegung verwarf er den Gedanken wieder. Es hatte keinen Zweck, das wildzerklüftete Land erwies sich im Küstenbereich als äußerst tückisch und gefährlich. Überall gab es tiefe Einschnitte, vorgeschobene Felsen und unsichtbare Riffe. Dazu kam die Drift, die das Schiff ständig leicht versetzte.

Nein, es war besser, nicht zu nahe an der Küste zu segeln, andererseits durfte es nicht passieren, daß sie auf ihrem Kurs, von den Falklandinseln kommend, die Einfahrt in die Magellanstraße bei Kap de la Virgines verfehlten.

Hasard erinnerte sich an die Zeit noch klar und deutlich. Es war im August des Jahres 1578 gewesen, als er bei Francis Drake fuhr. Ein Verband aus den Schiffen „Marygold“, „Elizabeth“ und „Golden Hind“ hatte sich in die Magellanstraße geschoben, aber zu jener Zeit hatte der Wind günstig aus Ost geweht und die Wellen waren nicht einmal halb so hoch geworden.

Er schrak aus seinen Gedanken, als der Wind plötzlich mit fürchterlicher Gewalt heranheulte. Wütend fuhr er in die Segel, als wollte er versuchen, die „Isabella“ auf den Kopf zu stellen, um sie in die Tiefe zu drücken.

„Das gibt tatsächlich einen ausgewachsenen Orkan“, sagte Ben Brighton mißmutig. Der Sturm riß ihm die Worte von den Lippen und trug sie fort, so daß Hasard kaum etwas verstand.

Der Seewolf hob die Hände und legte sie trichterförmig vor die Lippen. Er mußte schreien, damit ihn Carberry verstand.

„Runter mit dem Zeug, Ed!“ brüllte er. „Laß nur die Sturmsegel stehen, sonst werden wir kopflastig!“

„Aye, aye!“ brüllte der Profos zurück.

Wieder ging eine Schufterei los, die den Männern das Letzte an Kraft abverlangte.

Die Segel wurden aufgegeit, dichtgeholt und eingebunden, damit der brüllende Sturm keine Angriffsfläche fand.

Brecher über Brecher donnerten über Deck. Die Männer verkrallten sich in den Manntauen, um nicht unversehens von einer gewaltigen See über Bord gewaschen zu werden.

Hasard sah nicht mehr den Horizont, er sah auch nicht mehr das Land, und wieder fluchte er unterdrückt. Wie, zum Teufel, sollten sie bei diesem brüllenden Unwetter jemals die Magellanstraße passieren?

„Halt dich fest, Batuti!“ schrie er durch das Tosen der immer wilder brüllenden Elemente.

2.

Der Gambianeger war einen Moment unaufmerksam gewesen. Er griff nach dem auf Deck gespannten Tau, aber eine schäumende, brüllende See wälzte sich in diesem Augenblick wild und grollend heran, trug Hunderte von Tonnen Wasser mit sich und überflutete Vordeck und Kuhl mit einer Sintflut, die kein Ende nahm.

Batuti wurde fortgerissen, die „Isabella“ legte sich schwer auf die Seite, von der Wucht der Wasserberge niedergedrückt, und richtete sich nur schwerfällig auf.

Batuti raste davon. Der Schrekkensschrei der anderen gellte ihm noch in den Ohren. Unvorstellbare Gewalten trugen ihn fort, hoben ihn hoch empor. Unter sich sah er die Nagelbank, die schäumend überspült wurde, das Wasser erdrückte ihn fast, er kriegte keine Luft mehr, konnte nicht mehr atmen. Seine Lungen füllten sich mit kaltem, salzigem Wasser, und seine unfreiwillige Reise nahm immer noch kein Ende.

„Herrgott“, sagte Carberry laut, der sich in das Strecktau mit aller Kraft verkrallt hatte, „laß ihn nicht über Bord gehen, wir würden ihm nicht helfen können!“

So dachten auch die anderen Männer, denen es gelungen war, sich einen festen Halt zu verschaffen. Wer bei dieser brüllenden See über Bord ging, dem konnte niemand helfen, der war hoffnungslos in der Weite des kochenden Meeres verloren.

Das gischtende Ungetüm schleifte den Neger über Deck, wirbelte ihn hoch empor, und diesmal griff Batuti in seiner Angst blindlings zu.

Als er wieder denken konnte, hing er in den Webleinen der Leewanten und starrte benommen um sich. Vorsichtig enterte er ab.

„Verdammtes Mistwelle“, ächzte er, „tragen Batuti fort, pumpen Wasser in Balg, uuäähhh …“

„Jetzt füttert er auch noch die Fische“, lästerte Matt Davies. Er war erleichtert, daß alles so glimpflich abgelaufen war.

„Nix Fische“, würgte Batuti. „Nur geben wieder großes Welle zurück in Wasser – ah – Batuti viel kotzen!“

Auf den Gesichtern zeigte sich ein erstes erleichtertes Grinsen, als Batutis Magen sich umgekrempelt hatte. Diesmal ließ er die Strecktaue nicht mehr los, und als der nächste gläserne Berg über sie hinwegrauschte, hatte er sich festen Halt verschafft.

Dem Seewolf fiel ein Stein von der Seele, als der Neger wieder fest auf den Beinen stand. Sein Leben wäre keinen Cent mehr wert gewesen, niemand hätte ihn wieder auffischen können, wenn er außenbords gegangen wäre.

„Lascht euch am Ruder an, Pete und Gary!“ befahl er den beiden Männern, die am Ruder standen und deren Fäuste in die großen Spaken griffen und kraftvoll drehten, um das Schiff auf dem Kurs zu halten. Bei jeder schlingernden Bewegung wurden die Rudergasten hin und her gewirbelt.

Sie laschten sich fest, und Hasard befahl weiter, daß von nun an jede halbe Stunde die Rudergasten abgelöst werden sollten.

Ein Ende des Unwetters war nicht abzusehen. Es nahm noch an Heftigkeit zu. Finstere Wolkenbänke waren aufgezogen, die sich jetzt über dem Schiff entluden.

Die Sicht war gleich Null, als der erste Regen niederging. Die „Isabella“ segelte in einem lebensfeindlichen Element, das sie von unten, von oben und von den Seiten bedrohte.

Hart begann es zu prasseln. Der Wind trieb den kalten Regen in langen Schleiern vor sich her, nahm ihnen die Luft, vermischte sich mit den überkommenden Seen und hüllte alles ein. Man sah nicht mehr vom Achterkastell zur Back.

Zusehends wurde es finsterer. Gleich darauf zuckten auch schon die ersten Blitze aus der Hölle von Finsternis, die grell aufgerissen wurde, aus der es wild blitzte und grollte, die knatternde Schläge austeilte.

Wer jetzt nichts an Deck zu suchen hatte, verzog sich nach unten oder erklomm die Stufen zum Achterdeck, das noch einigen Schutz vor den entfesselten Elementen bot.

Carberry fluchte pausenlos. Außer Gary Andrews und Pete Ballie gab es niemanden, der noch trockene Klamotten trug.

Am übelsten war Dan O’Flynn dran. Er ließ sich durch nichts bewegen, seinen Ausguck zu verlassen, und jetzt war es ohnehin dazu zu spät. So hatte er sich ebenfalls angebunden, um beim starken Überholen des Schiffes nicht davongeschleudert zu werden.

Der Himmel wurde noch dunkler. Die See – jetzt einem brüllenden schwarzen Ungeheuer ähnlich – rollte pausenlos mit riesigen Bergen heran, die sich himmelhoch auftürmten und donnernd und krachend über das Schiff herfielen.

Unter der Crew gab es besorgte Gesichter. Sie hatten schon so manchen harten Sturm abgeritten und waren mit heiler Haut davongekommen, aber heute schien sich alles gegen sie verschworen zu haben. Immer größere Berge türmten sich auf, immer wieder knatterten grelle Blitze aus dem Dunkel, der Regen prasselte herunter, als wolle er alles ersticken. Die „Isabella“ wurde zum Spielball entfesselter Naturgewalten. Ächzend und stöhnend hob sie sich, wurde in tiefe Täler geschleudert, als sollte sie auf dem Grund des Meeres stranden, und dann überrollte sie auch schon wieder der nächste Brecher mit elementarer Gewalt.

Vom Vorschiff erscholl ein lauter Knall, der das Donnern des Unwetters noch übertönte.

Das Focksegel hielt der Belastung nicht mehr stand. Es wurde als Sturmsegel gefahren, doch der hart einfallende Wind zerriß es mit unheimlicher Gewalt.

Fetzen flogen davon, der Rest des schweren Tuches flatterte wie wild hin und her, bis der Sturm die Lappen mitriß und meilenweit mit sich forttrug.

Hasard preßte die Lippen zusammen. Carberry sagte kein Wort, er starrte nur grimmig auf das, was jetzt noch wie ein trauriger Rest von der Rah flatterte.

Jetzt standen nur noch zwei vom Wind prall gefüllte Sturmsegel. Unter dem unbändigen Druck bogen sich die Masten durch, als wollten sie jeden Moment zerbersten.

Wehe, wenn der Rest auch noch davonfliegt, dachte der Seewolf. Dann mußten sie vor Topp und Takel lenzen, und das war gleichbedeutend mit dem Untergang des Schiffes, denn das hielt selbst die sturmerprobte „Isabella“ nicht durch, ohne ernsthaften Schaden zu nehmen. Hatten die riesigen Wogen sie dann erst einmal auf die Seite gedrückt, gab es keine Hoffnung mehr.

Hasard fragte sich, wie es der Roten Korsarin ergehen mochte. Der schwarze Segler war ein stabiles, überaus kräftiges Schiff, doch bei diesem Wetter würde auch er es nicht leicht haben und um seine Existenz kämpfen müssen.

Vier Stunden später als angenommen, befand sich die „Isabella“ auf der Höhe von Kap de la Virgines, ohne Aussicht darauf, in die Magellanstraße einlaufen zu können.

Der wild blasende Sturm – jetzt aus Westen – trieb sie zurück, immer weiter von der Küste fort, bis sie als Strich am Horizont verschwand.

Alle seemännischen Tricks, Künste und Erfahrungen halfen nichts, sie schafften es nicht, näher heranzukommen. Da halfen keine kurzen Kreuzschläge, da halfen auch keine langen Kreuzschläge gegen den Wind, es trieb sie nur immer weiter fort.

Das Gewitter hatte sich gelegt, nur der Sturm und die wilde See waren unverändert geblieben.

Ben Brighton sah von seinen Berechnungen auf. Er schüttelte ärgerlich den Kopf, als er Hasard ansah. Selbst hier, im Ruderhaus, mußte er laut brüllen, um verstanden zu werden.

„Wir geraten immer weiter nach Südosten!“ schrie er. „Der Sturm versetzt uns!“

Hasard kannte die untere Ecke dieses Kontinents nur vom Hörensagen. Was weiter südlich der Magellanstraße lag, war für ihn und die anderen Neuland. Auf den Karten war es eingezeichnet, doch so schlecht, daß ihn schon jetzt davor graute, jemals mit diesem letzten südlichen Zipfel Bekanntschaft zu schließen.

Dort unten gab es Eis, wie er gehört hatte, erbarmungslose Kälte, Einsamkeit, eine Hölle, wie man sie sich schlimmer nicht vorstellen konnte.

Eine gigantische Woge hob die „Isabella“ in diesem Augenblick hoch empor, versetzte das Schiff um die halbe Längsachse und warf es wie ein Stück Treibholz in einen schaumigen, brüllenden Abgrund hinunter, in einen Kessel, in dem es kochte und brodelte.

Ein harter Ruck ließ das Schiff erzittern. Eine Sekunde lang stand es völlig still, dann schob sich eine gläserne Wand über die Galeone, schmetternde Schläge erklangen, als flögen alle Planken einzeln davon.

Der Brecher überrannte das Ruderhaus, warf die Männer durcheinander und zersplitterte die Bleiglasscheibe, deren Scherben nach allen Seiten flogen.

Die Seekarten schwammen im Ruderhaus, das Wasser lief nur sehr langsam ab, und Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, kam mühsam auf die Beine.

„Verdammt“, sagte er wütend, „das hat uns einiges gekostet.“

Zwischen zwei heranrollenden Wellenbergen sah er zum Besan. Die Gaffelrute war zersplittert, das aufgegeite Lateinersegel hing in Fetzen daran. Es sah aus wie ein alter Lappen.

Aber zu seiner großen Verwunderung standen die beiden Sturmsegel noch, wie er ungläubig feststellte.

Hasard klaubte die nassen Seekarten zusammen, legte sie auf den kleinen, von Tucker gezimmerten Tisch und strich sie glatt.

„So geht es nicht weiter“, sagte er ruhig, während er sich bei den wild rollenden Bewegungen des Schiffes einen festen Halt verschaffte. „Wir treiben weiter und weiter vom Land weg und werden dabei immer südlicher versetzt. Und während wir dahintreiben, zertrümmert die See unser Schiff zu einem Wrack.“

„Was sollen wir dann tun?“ fragte Ben Brighton. Er wischte sich mit einer fahrigen Bewegung das Salzwasser aus dem Gesicht. „In spätestens einer Stunde wissen wir nicht mehr, wo wir sind. Es wird schwerfallen, die Einfahrt zur Magellanstraße wiederzufinden.“

„Schiff drei Strich Backbord voraus!“ brüllte Dan O’Flynn aus Leibeskräften aus dem Großmars. Er war klatschnaß, die rollende wilde See, die über das Schiff hinweggedonnert war, hatte ihn fast verschlungen.

„Enter ab!“ schrie der Seewolf zurück. „Sieh zu, daß du an Deck kletterst. Der nächste Brecher nimmt den Mast mit, dann kann dir niemand mehr helfen!“

Dan nickte zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Aber er wollte eine bessere Gelegenheit abwarten, um abzuentern.

Jetzt erst sah sich Hasard nach dem anderen Schiff um. „Eiliger Drache über den Wassern“ konnte es nicht sein, sonst hätte Dan es gleich gemeldet.

Auf dem höchsten Punkt einer Woge sahen sie es dann. Eine dickbauchige kleine Galeone, ein Spanier war es, dessen Masten über Bord gegangen waren, an dessen Deck das Chaos herrschte und der vor Topp und Takel lenzte, seiner letzten Reise entgegen.

„Scheint niemand mehr an Bord zu sein“, sagte der Seewolf nach einem langen Blick durch das Spektiv. Zu sehen war die Galeone schlecht, dazu war die See zu bewegt, und die Schlingerbewegungen des Schiffes verhinderten es, ruhig das Glas zu halten.

Aber ab und zu sah er sie doch. Das war dann der Fall, wenn die „Isabella“ einen Wogenkamm erreicht hatte und ins Tal geschleudert wurde.

An Deck war wirklich niemand zu sehen, und Hasard berichtigte sich auch gleich selbst. Das Schiff lenzte nicht vor Topp und Takel, es war zum Spielball entfesselter Naturgewalten geworden, die es hin und her warfen. Das einzige Beiboot bestand nur aus zerfetzten Planken, von den Masten waren noch die Stümpfe zu erkennen, und es krängte so stark nach Steuerbord, daß es jeden Augenblick die See schlucken würde.

Der Kolderstock schwang hin und her, ein Zeichen, daß die Galeone auch kein Ruderblatt mehr hatte. Die Wellen hatten die Mannschaft allem Anschein nach über Bord gewaschen.

Die nächste Woge rollte heran, hob die stark krängende Galeone hoch und setzte sie dann so laut ins Wasser zurück, daß man das Krachen und Bersten bis hierher hören konnte.

Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann ihr Schicksal besiegelt war und sie unterging.

„Keine Überlebenden“, sagte Hasard im Selbstgespräch. „Und wenn es doch einige gibt, die in der See treiben, können wir ihnen auch nicht helfen.“

Die Männer nickten schweigend. Hier hatte die See erbarmungslos zugeschlagen und viele Männer den Tod gefunden.

Was machte es da schon für einen Unterschied, ob es Spanier oder Engländer waren? Geholfen hätten sich die Todfeinde gegenseitig, in solchen Augenblicken war der Haß vergessen, da zählte nur der Seemann, das war ungeschriebenes Gesetz, auch wenn es ab und zu Ausnahmen gab.

Nein, sie sahen in der aufgewühlten See keinen einzigen treibenden Mann, man hätte ihn zwischen den hochgehenden Wogen auch ohnehin nicht entdeckt.

Jetzt tauchte das zerschlagene Schiff ein zweites Mal auf.

Die Blinde, Bugspriet und Galionsfigur fehlten, im Rumpf klaffte ein großes Loch, in das Seewasser in riesigem Schwall hineinschoß.

Es drückte den Spanier immer mehr zur Seite, bis er wie ein wundes Tier auf der Seite lag und sein zerfetzter Rumpf sich in ungleichen Zügen hob und senkte.

Ferris Tucker ging der Untergang eines Schiffes immer ganz besonders an die Nerven. Vielleicht, weil er mit dem Holz, aus dem sie gebaut waren, verwachsen war, vielleicht aber erinnerte ihn der Anblick auch an einen sterbenden Menschen.

Das Deck war jetzt überspült, es neigte sich der Wasserfläche zu, die Maststümpfe berührten die Oberfläche.

Die nächste See brachte den müden, voll Wasser gelaufenen Schiffsrumpf nicht mehr nach oben. Sie überrollte den Spanier, drückte ihn weg und riß ihm noch ein paar Planken aus dem Leib.

Hasard setzte das Spektiv ab und suchte nach einem Halt, denn jetzt setzte ihnen das Meer wieder höllisch zu.

„Die Galeone ist gesunken“, sagte er.

Niemand sprach ein Wort. Durch das zerschlagene Fenster sahen sie zu, wie Dan O’Flynn geschickt aus den Wanten abenterte und die nächste Gelegenheit nutzte, um an Deck zu springen. Gischt hüllte ihn ein, er war durchgefroren und klamm, als er sich an den Strecktauen mühsam seinen Weg nach achtern bahnte.

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