Kitabı oku: «Ei Ole Kiire», sayfa 2
Kapitel 4
Ich hatte keine Ahnung, wie ich den Rest der Woche überstanden hatte. Mein Tag bestand in der Regel aus Aufstehen, Frühstücken und dann irgendwie die Zeit zwischen den Mahlzeiten totschlagen. Ich hatte wirklich versucht, aus meiner aktuellen Krise (eigentlich wollte ich meine Situation so nicht beschreiben) herauszukommen, indem ich spazieren ging und vielleicht beim Anblick eines Baumes, durch ein Geräusch oder sonst irgendeinen Input einen Geistesblitz zu bekommen. Aber da war nichts. Und ich hatte das Gefühl, je krampfhafter ich es versuchte, desto weniger Ideen hatte ich, welche ich doch so unbedingt brauchte. Ich hatte mich auch zwischendurch hin und wieder bei Guillaume ausgejammert, doch wir beide wussten, dass er mir auch nicht weiterhelfen konnte. Ça va aller, chérie, hatte er immer nur wieder geschrieben – es wird alles schon irgendwie gehen.
Jeden Tag das gleiche: Aufstehen, Frühstücken, nichts tun. Und am nächsten Tag wieder: Aufstehen, Frühstücken, nichts tun.
Darum war ich nahezu froh, als ich mich am Sonntagnachmittag ins Auto setzte und zu meinen Eltern fahren konnte, die etwas außerhalb von Hamburg wohnten.
„Da bist du ja endlich!“, rief meine Mutter aus, als sie mir die Tür öffnete. Endlich? Ich dachte schon, ich wäre zu früh.
„Hallo Mama“, begrüßte ich sie und beugte mich etwas runter, um sie auf beide Wangen zu küssen.
„Dein Vater ist im Wohnzimmer“, wies sie mich an, als ich über die Türschwelle getreten und an ihr vorbeigegangen war. Eigentlich wusste ich bereits, wo mein Vater zu finden war, denn er verbrachte ungefähr achtzig Prozent des Tages damit, in seinem Sessel zu sitzen und zu lesen.
„Hallo Papa“, begrüßte ich ihn. Er schaute von seinem Buch auf und über seine Brillengläser hinweg.
„Na, wer macht uns denn mal wieder die Ehre?“, fragte er rhetorisch. Ich schaute leicht schuldbewusst drein.
„Gibt halt viel zu tun“, meinte ich so zerknirscht wie möglich.
„Jaja, die Leute von heute immer. Die haben ja immer sooo viel zu tun“, sagte er und machte dabei eine leicht theatralisch-dramatische Handbewegung.
„Herbert, jetzt lass doch mal Maia in Ruhe“, beschwerte sich meine Mutter, die gerade ins Wohnzimmer getreten war.
„Ach, ich mach doch nur Spaß“, erwiderte er.
„Maia, Schatz, möchtest du etwas essen? Ich habe extra Kuchen gebacken.“
„Na ja, wohl eher der Bäcker“, warf mein Vater erneut ein.
„Herbert!“, zischte meine Mutter. Das hätte mich tatsächlich gewundert, wenn meine Mutter selbst erfolgreich einen Kuchen gebacken hätte.
„Nein, danke“, lehnte ich ab. „Vielleicht nur einen Kaffee.“
„Sollst du haben“, sagte meine Mutter und verschwand für einen kurzen Moment in der Küche. Derweil setzte ich mich auf einen freien Sessel. Stille. Bezüglich der Sprechquantität kam ich wohl eher nach meinem Vater. Wir beide redeten mehr oder weniger nur das Minimum und auch wenn wir beide alleine waren, brauchten wir nicht zu reden, um uns zu verstehen.
„So, hier ist er schon“, sagte meine Mutter, was ein wenig unnötig war und sie dies – wie ich wusste – nur tat, weil sie so eine Stille überhaupt nicht mochte, und stellte den Kaffee auf den Wohnzimmertisch.
„Jetzt erzähl mal: Wie geht es dir?“
„Gut“, war meine knappe Antwort. Was sollte ich sonst erzählen?
„Wie läuft die Arbeit?“, fragte sie weiter.
„Ist in Ordnung“, meine ich erneut kurz angebunden.
„Wie ist denn dieses neue Projekt, von dem du erzählt hast?“
Ich musste einen kurzen Moment überlegen, was meine Mutter meinte und dann viel mir wieder ein, dass ich ihr erzählt hatte, dass ich gerade an einem neuen großen Projekt arbeitete.
„Ganz gut.“
„Und was machst du da?“ Konnte meine Mutter diese Fragerei nicht einfach sein lassen?
„Das kann ich dir nicht sagen. Das ist noch alles geheim“, versuchte ich meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und hoffte, dass meine Mutter nicht merkte, dass ich mich zunehmend unwohl fühlte. Ich hasste es, meine Eltern anzulügen, weil ich nicht wollte, dass sie sich Sorgen um mich machten.
„Wie geht es euch denn? Habt ihr schon alles gepackt?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
„Ja, alles bereit“, bestätigte sie. „Ich habe dir übrigens noch einmal alles aufgeschrieben, auf was du achten musst. Vor allem frisst Schnorri gerade nicht so gut, aber er soll auch nicht zu viele Leckerchen bekommen.“
Das war typisch meine Mutter: Das war nicht das erste Mal, dass ich auf das Haus meiner Eltern aufpasste und trotzdem schien meine Mutter Angst zu haben, dass ich irgendetwas falsch machen – und im schlimmsten Fall das Haus in die Luft jagen – könnte.
Anscheinend hatte der Kater meiner Eltern das Wort Leckerchen gehört, denn auf einmal zwängte er sich durch den Spalt der angelehnten Tür und fing an, um meine Beine zu streichen. Ein wenig geistesabwesend kraulte ich ihm den Kopf.
„Och, mein alter Schnorri“, sagte meine Mutter mit säuselnder Stimme. „Du gibst gut auf ihn Acht, ja?“
„Natürlich, Mama. Er wird gar nicht merken, dass ihr weg seid“, versprach ich. Ich selbst hatte das Gefühl, Schnorri würde sich gar nicht so sehr dafür interessieren, dass meine Eltern nicht da waren, sondern eher dafür, dass es eine Hand gab, die ihn fütterte. Aber ich wusste auch, dass es meiner Mutter wichtig war, dass man ihr bestätigte, dass unser Kater sie brauchte. Ich hatte auch mal tatsächlich versucht, sie davon zu überzeugen, dass Menschen nicht über Katzen regierten, sondern die Katzen über Menschen, aber davon wollte sie nichts wissen. „Schnorri doch nicht…“, war dann immer ihre Standardantwort. Ich hatte es mittlerweile aufgegeben.
Es herrschte einen Moment Stille und ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee, mein Vater hatte sich wieder seinem Buch zugewandt.
„Herbert, leg doch mal das Buch weg“, nörgelte meine Mutter.
„Warum denn das? Es redet doch eh keiner.“ Wo er recht hatte…
„Herbert, Maia ist doch da“, wandte sie weiter ein.
„Ach, macht euch um mich keine Sorgen“, nuschelte ich.
„Maia, Schatz, brauchst du irgendetwas?“, fragte sie mich.
„Vielleicht nur ein bisschen Ruhe. Ich gehe mal kurz `ne Runde um den Block spazieren“, sagte ich und stand auf.
„Aber bleib nicht zu lange weg!“, rief mir meine Mutter hinterher. Manchmal behandelte mich meine Mutter echt wie ein kleines Kind.
***
Kaum war ich aus der Haustür hinaus, atmete ich auch schon die frische Luft ein. Das fehlte mir manchmal in Hamburg, denn dort hatte ich oft das Gefühl, dass die Luft einfach stand. Natürlich hatte das Großstadtleben auch seine Vorteile – sonst wäre ich ja nicht in die Stadt gezogen –, aber immer öfter hatte ich das Gefühl, dass ich mehr Freiraum brauchte.
Gedankenverloren wanderte ich die nahezu leere Dorfstraße rauf und runter, vorbei an den paar alten Bauernhöfen, die es noch immer gab und die Dorfgemeinschaft mit frischen Waren versorgten und mit deren Kindern ich in meiner Kindheit gespielt hatte – das waren noch Zeiten gewesen! Was aus denen wohl geworden war?
Zu der frischen Landluft mischte sich ein leichter Geruch von Mist und altem Stroh, wie es eben so üblich war. Richtige Stadtmenschen würden dies wohl als Gestank wahrnehmen, aber für mich war das ein Duft der Unbeschwertheit.
***
„Na, alles klar?“, fragte meine Mutter eine halbe Stunde später, nachdem ich meine Tour beendet hatte.
„Ja, alles super“, bestätigte ich.
„Du siehst trotzdem ein bisschen blass aus. Geht es dir wirklich gut?“, hakte sie weiter nach.
„Ja, Mama. Mir geht es gut. Es gibt momentan nur viel zu tun.“
„Na gut. Dann lasse ich dich mal in Ruhe. Es gibt aber bald Abendessen.“
„Ist gut.“ Mit diesen Worten verschwand ich in mein ehemaliges Zimmer.
Seitdem ich in meinen frühen Zwanzigern ausgezogen war – die erste Zeit meines Studiums hatte ich noch bei Eltern gewohnt und war immer gependelt –, hatte sich in meinem Zimmer nicht viel verändert. Hier und da hatte meine Mutter zwar ein bisschen mehr dekoriert – „es soll doch schön sein, wenn du uns besuchen kommst“ –, aber sonst war immer noch alles an Ort und Stelle. Und trotzdem war es für mich nie wieder der gleiche Ort. Ich brauchte nichts in diesem Zimmer zu suchen oder zu schauen, ob noch etwas da war, denn ich wusste, dass sich nichts verändert hatte. Sogar die Bücher waren immer noch die gleichen; die, die ich nicht mitgenommen hatte, weil ich sie als nicht reizvoll zum erneuten Lesen erachtet hatte.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte und setzte mich aufs Bett und holte mein Handy hervor – keine neuen Nachrichten. Dann lauschte ich einfach für einen Moment der absoluten Stille. Na ja, ganz so still war es dann doch nicht, denn ich hörte meine Mutter unten in der Küche rumoren und die Vorbereitungen für das Abendessen treffen.
***
Das Essen wenig später verlief relativ schweigsam. Ich hatte nicht das Bedürfnis zu reden und meine Mutter verstand, dass sie mich zu nichts zwingen konnte. Mein Vater stellte hin und wieder mal eine Frage, die ich mehr oder weniger kurz angebunden beantwortete und dann herrschte auch schon wieder einen Moment Stille und man hörte nur das Kratzen des Geschirrs über die Teller.
„Schmeckt es dir?“, fragte meine Mutter zweimal.
„Hmmh, sehr gut“, machte ich.
„Was isst du denn zu Hause immer?“, wollte sie wissen.
„Das Übliche“, war meine Antwort. Was sollte ich sonst auch sagen.
„Kochst du denn regelmäßig?“, hakte sie weiter nach.
„Mama…“, sagte ich mit ein wenig leidiger Stimme. „Das weißt du ganz genau…“
„Jetzt sei doch nicht immer so“, beschwerte sie sich.
„Hört doch auf zu streiten“, wandte mein Vater ein.
„Wir streiten doch gar nicht“, meinte meine Mutter, aber ihre Stimme war etwas harscher geworden.
„Mama, ich komm schon klar. Mach dir um mich mal keine Sorgen“, beruhigte ich sie und damit war das Thema auch schon vorbei.
„Brauchst du Hilfe beim Abwasch?“, fragte ich sie später.
„Nein, das geht schon. Das macht schon die Spülmaschine.“
„Gut, ich glaube, ich geh‘ dann mal schlafen. Gute Nacht.“
„Gute Nacht, Maia.“
Ich wünschte auch meinem Vater eine gute Nacht und ging dann wieder zurück auf mein Zimmer. Warum fühlte ich mich bei meinen Eltern immer so, als wäre ich auf einmal wieder ein kleines Kind?
Kapitel 5
Am nächsten Morgen fuhr ich meine Eltern zum Hafen und bereits im Auto machte mich meine Mutter fast wahnsinnig, indem sie ständig wiederholte, was sie alles eingepackt hatte und laut überlegte, ob sie nicht doch irgendetwas vergessen hatte.
„Inge, jetzt mach mal halblang“, sagte mein Vater irgendwann. „Es wird alles gut sein und wenn nicht, landen wir ja auch nicht irgendwo in der Pampa.“
Ich warf meinem Vater einen dankbaren Blick zu, denn er sprach genau das aus, was ich dachte. Danach gab meine Mutter Ruhe, aber ich konnte anhand ihrer Mimik erkennen, dass ihr Gehirn nach wie vor ratterte.
***
„So, da sind wir“, verkündete ich ein wenig später – unnötigerweise –, als ich das Auto vor dem Hafenparkplatz abgestellt hatte.
„Schaut mal, wie groß das Schiff ist“, sagte meine Mutter mit ehrlichem Erstaunen. Ich musste ihr recht geben, aber ansonsten schockierte mich das nicht wirklich.
Ich half meinen Eltern beim Ausladen des Gepäcks und wollte mich von ihnen verabschieden.
„Kommst du denn gar nicht mit an den Anleger?“, fragte meine Mutter, fast schon ein wenig traurig. „Herbert, unsere Tochter will uns noch nicht einmal bis zum Schiff begleiten.“
Mein Vater verzog keine Miene.
„Mama, ich muss wirklich arbeiten“, log ich. Insgeheim hatte ich schon gewusst, dass es darauf hinauslaufen würde und ich hatte keine Lust auf einen sentimentalen Abschied.
„Und du kannst deine alten Eltern wirklich nicht noch bis zum Schiff bringen?“, hakte sie noch einmal nach.
„Mama, wirklich nicht“, sagte ich mit so viel Überzeugung, wie ich aufbringen konnte. Ich wollte eigentlich nur noch weg von diesem Ort, ich wollte meine Ruhe.
„Na gut“, machte sie dann. „Wenn das so ist…“ Ich seufzte innerlich.
Ich breitete die Arme aus, um zu zeigen, dass ich es wirklich ernst meinte und meine Meinung nicht ändern würde. Meine Mutter hatte ein mauliges Gesicht aufgesetzt und als ich sie zum Abschied umarmte, merkte ich einen leichten Widerstand.
Ich drückte auch meinen Vater und deutete einen Wangenkuss an.
„Viel Spaß und schreibt mir eine Karte“, sagte ich und hob winkend die Hand, als meine Eltern Richtung Schiff verschwanden.
„Machen wir“, versprach meine Mutter.
Dann setzte ich mich ins Auto und fuhr wieder davon.
***
Ich hatte eigentlich überlegt, dass es meine Eltern nicht merken würden, wenn ich doch nicht die ganzen zwei Wochen immer auf ihr Haus aufpassen würde, aber die Gefahr, dass meine Eltern die Überwachungskameras kontrollieren würden, war mir dann doch zu groß. Außerdem hatte ich ja auch versprochen, dass ich mich um Schnorrbert kümmern würde.
Als ich das Haus meiner Eltern betrat, wurde ich von der Stille empfangen, was allerdings nicht überraschend war. Und trotzdem war es jedes Mal ungewöhnlich, denn ich war es gewöhnt, das Brutzeln einer Pfanne oder das Gurgeln einer Kaffeemaschine oder auch den Ton des Fernsehers zu hören, wenn ich meine Eltern besuchte. Stattdessen stand nur ein erwartungsvoller Schnorrbert in der Tür, der allerdings sofort seine Chance witterte und durch den offenen Türspalt in die Freiheit verschwand. Für einen Augenblick beneidete ich den Kater – und Katzen im Allgemeinen – um ihre Freiheit. Sie konnten machen, was sie wollten und wurden sogar meistens noch dafür belohnt und ihre Dickköpfigkeit und Eigenwilligkeit wurde einfach als Charaktereigenschaft hingenommen, während Menschen sich freiwillig Häuser bauten und darin einsperrten und es belohnt wurde, in einer Gesellschaft zu funktionieren.
Was sollte ich tun? Es gab einfach nichts. Da war schon wieder diese Leere. Damit ich irgendetwas tat, machte ich mir einen Kaffee und setzte mich dann an den Tisch. Leere.
Entspann dich, sagte ich mir. Sieh es als Urlaub. Das Problem dabei: als Freiberufler ist man nie wirklich im Urlaub. Zumindest dann nicht, wenn man überlegen muss, wie man über die Runden kommt. Was sollte ich die nächsten zwei Wochen bloß machen? Ich war noch nie einer von diesen Menschen gewesen, die sich an Vormittagen unter der Woche mit anderen Freiberuflern auf einen Kaffee traf, denn das heißt eigentlich nur, dass man momentan nichts zu tun hat, denn wer hatte schon Zeit für einen Kaffee, wenn man arbeiten musste?
Langsam fragte ich mich wirklich, ob mir die Ideen ausgegangen waren. Ich holte meinen Laptop hervor, machte ihn an und öffnete das Schreibprogramm, allerdings dieses Mal nicht das Dokument L, sondern ein neues. Motiviert schrieb ich Neues Projekt, denn wenn man keine Ideen hatte, konnte man dem Ganzen ja auch keinen richtigen Namen geben, aber sogleich fühlte ich mich produktiver. Nur einen einzigen Gedanken, flehte ich wieder – aber vergeblich. Ich nahm noch einen Schluck Kaffee, damit ich zumindest irgendetwas tat. Dann tippte ich Heldin ist unzufrieden mit ihrem Leben, wünscht sich Tapetenwechsel, will aber an ihrem Leben festhalten.
Zumindest hatte ich irgendetwas geschrieben, auch wenn mir das nicht sehr originell erschien. Ich hatte zwar etwas getan, aber es machte mich unzufrieden. Also versuchte ich es noch einmal: Heldin ist glücklich mit ihrem Leben, erlebt Schicksalsschlag, muss sich wieder neu aufbauen, verliebt sich, wird wieder glücklich. Ja, das war vielleicht schon besser, aber ich hatte keine Ahnung, worin dieser Schicksalsschlag bestehen sollte. Krankheit, Verlust, schlechte Nachricht? Ich wusste, dass ich nicht auf Teufel-komm-raus schreiben konnte, ich brauchte diesen Impuls, diese zündende Idee und dann würde alles schon irgendwie alleine laufen.
Während ich mich selbst bemitleidete, hörte ich ein leises Plong am Fenster und – ein wenig in Gedanken versunken – schreckte hoch. Es war aber nur Schnorri, der offensichtlich von seinem Streifzug zurückgekommen war und nun um Einlass bettelte. Ich tat ihm den Gefallen und öffnete das Fenster.
„Na du“, sagte ich zu ihm, aber er ignorierte mich beziehungsweise ließ es wohl eher über sich ergehen, dass ich ihm einmal über das Fell streichelte, ging dann zu seinem Futternapf, setzte sich davor, schaute zu mir hoch und miaute. Natürlich, was sollte er auch sonst wollen?
„Dein Napf ist voll“, sagte ich zu ihm, denn das stimmte. Schnorri ignorierte dies gekonnt und miaute noch einmal.
„Du bekommst nichts.“ Miau. An dieser Stelle hätte sich meine Mutter wahrscheinlich schon wieder zu seiner Sklavin gemacht und ihm noch zusätzlich das Nassfutter rausgeholt, denn Schnorri soll es ja an nichts mangeln. Dass es ihm an nichts mangelte, sah man auch bereits, auch wenn meine Mutter immer wieder betonte, dass er über die Jahre ein dichteres Fell bekommen hatte.
Schnorrbert miaute noch einmal, aber als ich ihn noch immer ignorierte, zog er schließlich beleidigt von dannen. Wahrscheinlich würde er sich heute Abend dafür rächen, indem er sich vor dem Fernseher nicht von mir streicheln ließ.
Ich tippte eine Nachricht an Guillaume: Ich werde noch wahnsinnig!!!
Ja, es machte mich wahnsinnig, dass ich keine Ideen hatte und irgendwie musste das raus. Noch zwei Wochen, dann mache ich Urlaub, dachte ich. Und dies war eines der wenigen Male, dass ich meiner Umwelt recht geben musste.
Am Abend erhielt ich eine Nachricht von meiner Mutter: Hallo Maia, alles gut bei dir? Wie geht es Schnorri? Vermisst er uns schon?
Ich schickte ihr einen Daumen nach oben. Schnorri geht es super, bestätigte ich und kraulte dabei gedankenverloren den Kopf des Katers, der es sich auf meinem Schoß gemütlich gemacht hatte. Offensichtlich war er dann doch nicht so – oder zumindest nicht mehr – beleidigt gewesen, dass er mich mit seiner Abwesenheit strafen wollte. Außerdem hatte ich mir eine Flasche guten Rotwein aufgemacht. Ich trank eigentlich selten, aber mein Vater war ein bekennender Weinliebhaber und ich konnte nicht anders als von seiner Sammlung zu profitieren.
Meine Mutter schickte einen Daumen nach oben zurück. Deinem Vater und mir geht es auch wunderbar, ist schön hier. Wir haben dich lieb.
Wie schön, dass meine Eltern sich amüsierten.
Ich euch auch, habt viel Spaß und erholt euch, schrieb ich.
Während ich meinen Eltern schrieb, vibrierte mein Handy, um mir zu zeigen, dass ich eine weitere Nachricht bekommen hatte. Tout va bien se passer. – Alles wird gut. Guillaume. Er fragte noch nicht einmal mehr, warum, und dafür liebte ich ihn umso mehr. Er wusste einfach genau, wie es mir ging. Und genauso wusste ich auch, dass er mir nicht schreiben brauchte, dass er für mich da war, denn auch das wusste ich.
Tout va bien se passer – Alles wird gut, wiederholte ich. Alles wird gut.
Kapitel 6
Die zwei darauffolgenden Wochen spielte sich jeder Tag ungefähr in einer gleichen Reihenfolge ab: Aufstehen, Frühstück für Schnorri, Frühstück für mich, Schnorri rauslassen, Schnorri reinlassen, Schnorri rauslassen und so weiter.
Ohne es wirklich zu wollen, hatte ich mich im Endeffekt doch zum Diener der Katze meiner Eltern gemacht, denn ich hatte – trotz aller Bemühungen – einfach kein geregeltes Leben.
Ich hatte meinem Verleger ein paar Ideen geschickt, wie mein neues Projekt aussehen könnte, aber als er mich konkret danach gefragt hatte, wie diese Ideen denn aussähen, unter anderem in Form von Personen, Namen, Charakterzügen et cetera, musste ich mal wieder passen.
In dieser Zeit war ich auch einige wenige Male in Hamburg, nur um mich ein wenig von der Stadt inspirieren zu lassen, denn ich dachte schon, vielleicht hat die Leere des Landes etwas mit der Leere in meinem Kopf zu tun, aber auch ein Herumstreifen an den belebteren Orten der Stadt führte zu keiner Erleuchtung. Wie sollte das bloß weitergehen?
Aufstehen, Frühstück für Schnorri, Frühstück für mich, Schnorri rauslassen, Schnorri reinlassen, Schnorri rauslassen und zwischen durch hin und wieder mal etwas essen. Dann den Abend vor dem Fernseher verbringen und schließlich schlafen gehen. Und das jeden Tag…
***
Somit war ich sogar fast froh, als ich meine Eltern vom Hafen abholte.
„Hallo mein Schatz! Wie geht es dir?“, begrüßte meine Mutter mich mit offenen Armen. Ich erwiderte ihre Umarmung und tat das gleiche mit meinem Vater, allerdings ohne einen Wortwechsel.
„Gut, danke“, sagte ich – mal wieder – kurz angebunden.
Ich half meinen Eltern mit dem Gepäck (schließlich wollte ich ja eine gute Tochter sein) und wir stiegen ins Auto.
„Es war einfach so wunderbar“, schwärmte meine Mutter drauf los, kaum dass ich das Auto gestartet hatte und ohne dass ich danach gefragt hatte. „Du kannst dir die Natur dort oben gar nicht vorstellen“, sagte sie weiter. Doch kann ich, denn schließlich waren wir öfters im Sommer in Dänemark, als ich noch ein Kind gewesen war.
Ich sagte immer noch nichts.
„Stimmt’s Herbert? Dir hat es doch auch gefallen, oder?“
Mein Vater grummelte etwas Unverständliches.
„Ach, jetzt sei doch nicht so“, nörgelte meine Mutter in Richtung ihres Mannes.
„Ich glaube, Papa ist einfach ein bisschen müde“, sagte ich, um ihn zu entschuldigen.
„Auf jeden Fall…Wenn du Zeit hast, dann solltest du das auch mal machen. So eine Kreuzfahrt ist echt toll.“ Konnte meine Mutter denn nie aufhören zu reden?
„Hm“, machte ich und ließ ihr dabei ein wenig Interpretationsspielraum.
„Was ist denn los?“, wollte sie wissen. Offensichtlich hatte sie gemerkt, dass ich ihren Enthusiasmus nicht teilte.
„Ach nichts…“, antwortete ich und zuckte leicht mit den Schultern.
„Wie läuft denn dein Projekt? Konntest du ein bisschen was schaffen, auch wenn du dich um unser Haus gekümmert hast?“
Ich hatte für einen Moment schon wieder vergessen, dass ich meinen Eltern diese kleine Notlüge aufgetischt hatte und musste für eine Millisekunde nachdenken, als mir wieder einfiel, was sie meinte.
„Jaja, das passt alles schon. Das wird alles noch ziemlich lange dauern. Aber das wird schon“, sagte ich so lapidar wie möglich und hoffte dabei wieder, dass meine Mutter nicht merkte, wie unwohl ich mich dabei fühlte.
„Wo seid ihr denn überall gewesen?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
„Oh, da fragst du mich jetzt was. Da muss ich echt auf der Karte nachgucken, die Namen der Orte kann ich mir alle so nicht merken, aber das war die ganze norwegische Küste hoch und dann wieder zurück. Dein Vater und ich haben schon beschlossen, dass wir das nächste Mal von Kiel aus starten und dann Kopenhagen, Helsinki und Tallinn machen wollen“, antwortete meine Mutter immer noch voller Enthusiasmus. Na, da hatten sich die beiden ja was vorgenommen.
„Schön“, sagte ich und versuchte zumindest das Gefühl zu vermitteln, dass ich mich für meine Eltern freute.
„Ist irgendetwas? Du bist so still“, merkte sie nun an.
„Nein, alles gut“, tat ich ab. „Ist momentan nur alles etwas stressig. Hab nicht so viel geschlafen.“
„Ja, du siehst wirklich etwas blass aus. Du solltest wirklich mehr schlafen.“
„Also wenn mich jemand so zureden würde, dann wäre ich auch müde“, kam es nun von meinem Vater und ich warf ihm über den Rückspiegel einen komplizenhaften Blick zu.
„Ich wollte Maia doch nur erzählen, wie toll es war“, verteidigte sie sich.
„Du kannst ihr doch zu Hause auch einfach die Bilder zeigen, dann sieht sie es selbst“, schlug mein Vater vor.
Mein Vater – immer pragmatisch.
Daraufhin sagte meine Mutter nichts mehr und der Rest der Fahrt verlief eher schweigend und ich warf meiner Mutter hin und wieder einen Seitenblick zu und sah, dass sie sich ausruhte, was wohl nach so einer Reise auch irgendwie verständlich war.
„Schnorri! Schnorri, mein Schätzchen! Mami und Papi sind wieder zu Hause!“, rief meine Mutter ihre Katze ein wenig später, nachdem ich uns sicher zum Haus gefahren hatte.
„Schnorri! Mein Schnorrbertchen!“, versuchte sie es noch einmal, nachdem sich Schnorrbert beim ersten Mal offensichtlich nicht die Mühe gemacht hatte, seine Besitzer zu begrüßen. Ich glaube, meine Mutter hatte es nie wirklich aufgegeben, ihn wie einen Hund dressieren zu wollen.
„Ich glaube, er macht gerade sein Verdauungsschläfchen“, meinte ich zu meiner – mittlerweile etwas enttäuscht dreinblickenden – Mutter.
„Hast du ihm denn immer gut zu fressen gegeben?“, fragte sie inquisitorisch.
„Ja Mama, natürlich“, sagte ich und verdrehte dabei demonstrativ die Augen.
Meine Mutter stellte ihre Tasche ab und begann ihren Inspektionsrundgang durch das Haus. Ich hatte, kurz bevor ich meine Eltern abgeholt hatte, noch einmal schnell durchgesagt und gewischt, damit sie auch ja nichts zu beanstanden hatte. Ich folgte meiner Mutter schweigend.
„Und sonst? Irgendwelche Probleme?“, wollte sie wissen.
„Nein“, sagte ich wahrheitsgemäß. Zumindest keine, die etwas mit dem Haus zu tun hatten. „War alles wunderbar.“
„Gut…“, sagte sie.
***
„Also, ich muss dann mal nach Hause“, verkündete ich, nachdem meiner Mutter offensichtlich keine größeren Schäden gefunden hatte.
„Schon? Willst du nicht noch einen Kaffee trinken?“, fragte sie und schaute dabei fast schon ein wenig beleidigt drein. „Herbert, du willst doch sicher auch, dass Maia noch kurz bleibt.“
„Hm“, machte er nur.
„Nee, Mama, ich muss wirklich los. Die Arbeit ruft…“, versuchte ich mich rauszureden.
„Ganz sicher?“
„Sicher“, bestätigte ich.
„Na dann…“, machte sie und ich wusste nicht so recht, wie ich das zu interpretieren hatte.
Ich verabschiedete mich in gewohnter Manier von meinen Eltern und trat den Heimweg Richtung Hamburg an.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.