Kitabı oku: «No such Future», sayfa 3
Dann aber So! Oder?
Dass die Aufnahmebereitschaft gegenüber solchen Trendreportagen merklich nachließ und ein Sammelsurium an Freak-Art noch keinen Aussagewert über die Zukunft hat, erkannte die Branche irgendwann dann auch einmal selbst. Und die Trendreporter reagierten.
Entgrenzter Trendbegriff
Fortan geht der Trend zu xy-Trends. Der ehedem noch einigermaßen übersichtlich auf Zeitspannen von zwei bis drei Jahren bezogene Trendbegriff wurde – zeitlich-sachlich-sozial – aufgepeppt. Anything goes! Und was nicht passt, wird passend gemacht. Unter dem aktuellen Begriffs-Rettungsschirm »Trend« wird heute so Schillerndes gehandelt wie Zivilisationen, technologische Zyklen, Konjunkturen, Marktphasen, Modewellen oder Lifestyles und einiges mehr. »In einer groben Vereinfachung (!) lässt sich der meta-historische Prozess als eine Schichtung von zyklischen Schwingungen verstehen, in denen die einzelnen Ebenen jeweils verschiedene Zeit-Schwünge ausführen«.6
»Verkompliziert« (wenn das überhaupt noch möglich ist) wurden diese Trendschwünge zusätzlich durch Bezüge auf verschiedene Trendebenen. Beispielsweise auf Mikrotrends (die sind kleiner), Makrotrends (die sind größer), Megatrends (die sind erheblich viel größer und vor allem lang anhaltender) sowie Metatrends (Trendbündel von mehreren höchst relevanten und grundlegenden Entwicklungen). Manche sprechen zudem noch von Schlüsseltrends (die sind, das sollte jetzt wohl klar sein, besonders wichtig). Und, ach ja: Jüngst wollen einige der Trendreporter sogar Minitrends7 gesichtet haben … Sehn so Sieger aus?
Zumindest ahnt man, warum so mancher KM-Unternehmer um diese Form von Trendforschung einen Bogen macht: Bei Megatrends wie Die Bedeutung von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft nimmt zu, Globalisierung bei Regionalisierung, Konkurrenz der Mega-Cities oder Die BRICS-Staaten kommen (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) ist die Perspektive so weit – 50 Jahre und mehr Relevanz –, dass irgendwie jeder betroffen ist. Aber was heißt das schon? Dass die Welt sich ändert? Das wissen Unternehmer. Bloß: Wo der Bezug zum eigenen Geschäft dabei liegen soll, bleibt oft ein Rätsel.
Kritiker dieser Form von Trendforschung munkeln, diese hätte mit ihrem bedeutungsschwanger aufgeladenen filibusterischen Geschwurbel das Perpetuum mobile erfunden. Was das ist? Sie selbst! Eine eigene Zukunfts-Denke. Ein eigener Zukunfts-Sprech – mit dem sie menschliche Universal-Bedürfnisse in den Mähdrescher der jeweiligen Zeitläufte steckte und aus dem dabei rauskommenden, gehäckselten, ewigen (bloß ziemlich uninspiriertem) Stroh funkelndes Gold spintisierte. Über diesem Rumpelstilzchen-Geschäftsmodell hat die Branche allerdings den Boden unter den Füßen (sprich: ihr methodisches Fundament) verloren. Und noch dazu einen Haufen Glaubwürdigkeit.
Mikro / Makro / Meta / Mega
Am Anfang stehen Weak Signals: schwache Signale für einen möglichen Trend. Diese haben inzwischen Zuwachs bekommen – von den Emerging Issues. Diese sind zwar mit schwachen Signalen »verknüpft«. Während jedoch die schwachen Signale »meist Einzelphänomene thematisieren, führen Emerging Issues Trends und schwache Signale zusammen und weisen auf strukturelle Veränderungen hin«. Aber waren schwache Signale nicht eigentlich Hinweise auf Trends? Seis drum. Emerging Issues stellen »Muster« dar – vielleicht so etwas wie eine Mikro-Trend-Anballung? Obwohl: Auch »Megatrends wie die Globalisierung oder der Übergang zur Wissensgesellschaft bringen kontinuierlich neue Emerging Issues hervor. Viele Emerging Issues speisen sich auch aus dem Zusammenspiel mehrerer Trends«.8
Na, Mensch – dann ist doch alles klar!
Neue Bescheidenheit
Noch einmal stellte sich die exzentrische Trendforschung dem schärfer werdenden Gegenwind. Diesmal allerdings nicht so hemmungslos innovativ wie beim maßlosen Aufblasen des Trendbegriffs. Die Tonlage wird kleinlauter – man ist offensichtlich mit Defensivarbeit beschäftigt.
Rückzugsgefechte
∎ Der umtriebige Norbert Bolz ließ jüngst verlauten, die gesellschaftsübergreifend wichtigen Megatrends seien gar nicht als Prognosen (also zeitlich gerichtet) gemeint, sondern lediglich als Kampfzonen zwischen Entwicklung und Gegenentwicklung9 zu verstehen. Ausgang offen, Richtung unbekannt …
∎ Matthias Horx vermeldete, die vom Marketing geliebten »Zielgruppen« und deren jeweilige »Lebensstile«, auf die die Trends abzielten, gäbe es gar nicht mehr. Und der Begriff »Lifestyle«? Der sei eine Idee des letzten Jahrhunderts, lässt er durch sein Kelkheimer Zukunftsinstitut verlautbaren (sinnigerweise Herausgeber der Studie Lebensstile 2020). Unsere schnelllebige Zeit und die Konjunktur von Bastelbiographien ließen es nicht zu, dass ein Stil länger anhielte als bis zur nächsten Straßenecke. Die Zukunft gehöre dem Life-Morphing10 – also dem Stil-Mix. (Was listigerweise – trotz Büßerpose, Marktforschungs-Bekrittelung und Marketing-Kritik – die Ausgangslage dafür schafft, das Trendreporter-Fließband für neue Stile trotzdem einfach weiterlaufen zu lassen.)
∎ Die Kölner Möbelmesse brach 2012 mit einer langjährigen Tradition und stellte ihr Trendbuch ein. Mit der erstaunlichen Begründung, dass es einfach zu viele interessante Entwicklungen gäbe! Vor lauter Weak-Signals-Bäumen sieht man den Trendwald nicht mehr …
∎ Bei der empirisch fundierten Trendforschung, die durch Marktforschung absichert wird, sind es dagegen die Kunden, die sich zurückziehen: Da die Kosten für repräsentativ erhobene Programme die Marketing-Budgets von immer mehr Unternehmen sprengen, sind sie für viele schlichtweg nicht mehr bezahlbar.
»Wichtig ist, dass er nun eine klare Linie in sein Leben bringt.«
LOTHAR MATTHÄUS zum Kokaingeständnis von CHRISTOPH DAUM
Analyse: Spielformular
Unsere Darstellung der Herkunft der Zukunftsforschung bis in die Jetztzeit wollte mehr nachzeichnen als Glory Days.
Erstens sollte klar geworden sein, dass die medial-öffentlich sichtbaren Trend-Master – die »exzentrischen« – lediglich die Spitze des Eisbergs von Zukunftsforschung darstellen. Diese hat nicht nur andere, seriöse Ursprünge (wie den leider fast vertrockneten wissenschaftlichen Zweig), sondern auch einen weithin unbekannt arbeitenden Teil (in Thinktanks, Wissenschaftsverbänden und Forschungsabteilungen von Großkonzernen beheimatet).
Zweitens: Egal, wie unsichtbar der seriöse Bereich ist – höchstwahrscheinlich leistet sich beispielsweise das Militär als Dauernutzer von Zukunftsforschung keine Luxus-Sektionen. Schließlich geht es hier todernst zu. Irgendetwas an dieser Zunft wird also lohnend sein. Und Großkonzerne? Werden ebenfalls keine Spielwiesen unterhalten. Schließlich geht es bei ihnen noch ernster zu. Hier geht es nämlich ums Geld.
Warum aber – drittens – der lange Anlauf? Über die Anfänge der Zunft und Delphi? Wohl kaum, um zu erklären, dass eine zeitgemäße Zukunftsforschung mit altgriechischen Orakelsprüchen wie »Kräht der Hahn auf’m Mist, ändert sich die Nachfrage oder sie bleibt, wie sie ist!« derzeit noch überlebensfähig wäre. Nö: Interessant an den Ursprüngen für alles Weitere ist etwas ganz anderes.
Durch die entsprechenden Mahnungen und Sinnsprüche an den Wänden des Delphischen Tempels während der (künstlich verlängerten?) Wartezeit wurden die Kunden sanft, aber bestimmt mit sich selbst konfrontiert. Der Kunde saß in der großen »Wartehalle«. Überdachte seine Situation. Erwog vielleicht schon Szenarien, die auf mögliche Prophezeiungen folgen könnten. Hoffte und harrte oder bangte. Jedenfalls formte er schon erste Antworten auf sein Problem (genau: Zukünfte!). Trug also selbst bereits zum Erfolg der Prophezeiung bei. Denn derlei steigert nicht nur die Vorstellungskraft. Solch eine »Beratungstechnik« beflügelt nicht nur die Fantasie, eröffnet nicht nur einfach Perspektiven – sondern erhöht vor allem die Wahrscheinlichkeit, dass die Hälfte der (Entscheidungs-)Arbeit, die getan werden muss, bereits gemacht ist, bevor die Weissagung überhaupt erfolgt.11 (Der Glaube versetzt bekanntlich Berge. Und ein roter Bulle verleiht Flügel …)
»Die haben den Blick für Orte, wo man sich die Seele hängen und baumeln lassen kann.«
GERHARD DELLING
Das ist nur auf den ersten Blick banal. Jeder Unternehmer, jeder Entscheider hatte doch schon mal mit Beratern zu tun. Und am Ende hinterließen diese dicke Aktenordner mit perfekten Vorschlägen für die optimale Performance des Unternehmens. Aus Zeitmangel ging der Papierstapel dann aus der Hand des Chefs an die Planungsleitung. Danach zum zuständigen Abteilungsleiter. Und so weiter, bis die Akten letztlich vom Hausmeister im Keller archiviert wurden. Asche zu Asche, Staub …
Kanns das gewesen sein mit den guten Ideen für die Zukunft? Diese Form der Beratung hat eine zentrale Pointe von unternehmerisch bedeutsamer Zukunftsvorsorge nicht verstanden:
Wenn die Zukunftsexpertise »von außen« oder »oben« wie der Heilige Geist auf das Unternehmen herniederkommt, darf es sich nicht wundern, wenn diese Expertise mit ihm nicht viel zu tun hat. Kaum trifft. Nicht relevant ist. Beliebig wirkt. Viel zu unkonkret ist. Und richtigerweise lieber im Keller sein Unwesen treibt als in den oberen Unternehmensetagen.
Zeitgemäße, nutzbringende Zukunftsforschung hat hier also Alternativen zu bieten; zum Beispiel die Entscheider entscheidend miteinzubeziehen. Die Entscheider entscheidend (mit-)denken zu lassen. Die Entscheider entscheidend ihr Wissen und ihre Erfahrung zur Grundlage des Ganzen machen zu lassen. Denn nur die, die auf einem sicheren Fundament bauen, das sie gut kennen – vielleicht sogar selbst gelegt haben –, kommen auch hoch hinaus.
Frontalunterricht oder perfekte Ratschläge?
Forget it!
Bevor wir aber zum Selbstdenken kommen, schauen wir uns zunächst die »Denke« und die »Ressourcen« an, die derzeit die Arenen beherrschen.
Spiel-Philosophie: Mia San Mia!
Betriebswirtschaftslehre und Zukunftsforschung
Denkmuster der Old Economy
Hier gehts ums Ganze. Um Hehres. Ums Ball-Hochhalten! Um das, was die Spitzen der wirtschaftlichen Hierarchie, die Top Level Accounts, als ihr ureigenes Spielfeld reklamieren. Vor allem aber um das auf diesem Heiligen Rasen gepflegte Denkmodell: das angeblich allein selig machende Konzept zur Erfassung der ökonomischen Nachtreterei.
In diesem Unterkapitel lesen Sie,
∎ wie sich die Betriebswirtschaft (fast) alles erklärt,
∎ welches Team dafür Pate steht,
∎ was sich für ein (Groß-)Unternehmertum daraus ergibt,
∎ was die Zukunftsforschung damit zu tun hat,
∎ warum das Doppelpass-Spiel zwischen BWL-gedoptem Management und den Zukunftsforschung vermarktenden Liberos eigentlich niemandem auffällt.
∎ Und: Warum es auffallen sollte.
Betriebswirtschaftslehre: Königsdisziplin des Unternehmertums? Jedenfalls ist es die Profession, auf die sich fast alle unternehmerisch Tätigen der Top-Etagen verlassen, wenn sie glauben, dass es ums Triple-E, das Eingemachte, geht: Erfassen, Entwickeln, Entcheiden. Welche Konzepte stellt der BWL-Grundlagenpool dafür zur Verfügung? Welche Weltanschauung steht dahinter? Und wer kennt die Grundlagen?
Nur, wer die »Basics« beherrscht, kann beurteilen, ob er dieses Spiel wirklich spielen möchte. Denn wer weiß, dass er zwar mit Schachfiguren oder einem Tischtennisschläger gut umgehen kann, aber zwei linke Füße hat, wird nicht auf den Ascheplatz gehen. Banal? Mitnichten! Oft sind uns die Grundlagen unserer Denkmodelle so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie keiner mehr überprüft. Aber selbst wer sich in Kenntnis der Basics entscheidet mitzuspielen, sollte sich genau überlegen, welche Freiräume und Chancen er im Rahmen dieses Regelwerks hat. Ob ihm diese Vorgaben genügen. Ob sie tauglich sind. Angemessen. Oder vielleicht doch überarbeitungsbedürftig.
»Das war ja schon son Stück weit ›the return of the Alte System‹.« –
»Man könnte auch sagen: ›Back to the Wurzeln‹.«
MATTHIAS OPDENHÖVEL – MEHMET SCHOLL zum Team England bei der EM 2012
Um das entscheiden zu können, machen wir für Sie den Maulwurf und plaudern das Geheimnis des Trainingslagers der BWLer aus. (Das könnte schweißtreibend werden? Ach wo: Sie kiebitzen ja nur!)
Betriebswirtschaftslehre
Seit 1898 gibt es in Deutschland Handelshochschulen, die Betriebswirtschaftslehre in ihrem Programm haben – zur Abgrenzung gegenüber der Volkswirtschaftslehre, die damals in den Ruch der Unternehmerfeindlichkeit geraten war. Während die VWL stets dem Wohlstand der Nationen (Adam Smith) hinterherhechelte und zu wissen vermeinte, dass etwa England Portugal Wein (!) im Austausch gegen Tuch (!) verkaufen sollte (so David Ricardos komparativer Kostenvorteil), wollte die neue Betriebslehren-Mannschaft solch internationalen Schabernack nicht mitspielen.
Ihr ging es vielmehr um ökonomische Grundlagenfragen (Profitlehre) und Systementwürfe.12 Der Fokus der BWL war und ist bis heute nach innen gerichtet. Sie fragt nach Effizienz, Ergiebigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Unternehmung. Als Ausweis dafür gilt das Input-Output-Verhältnis, also die Relation von Aufwand und Ertrag, die für jeden Betrieb auszurechnen ist. Strikt im Fokus daher: Zahlen, Daten, Fakten. Folglich besetzen Mathematik, Rechnungswesen und Statistik die Stammplätze im BWL-Werksteam.
Die drei Führungsspieler geben nicht nur die Richtung vor (Erfolg ist das Einzige, was sich rechnet. Für Schönspielerei kann man sich »nichts kaufen«), sondern auch die Sprache aufm Platz: Kosten, Investitionen, Einnahmen, Cashflow, Return on Investment, EBITDA und so weiter. Daran haben sich alle Mitspieler (Buchhalter, Controller u. a.) zu halten – und gewöhnt. Die glorreichen Drei dominieren nämlich mit ihrer Sichtweise das gesamte Team und wirken wie »grüne Gläser vor den Augen« (Immanuel Kant), die alles und jeden mit ihrer Sicht auf das Spiel einfärben. Sie fungieren als gleichmacherischer Wirklichkeitskonstrukteur. Ihr Ansatz verwandelt ganz unterschiedliche, unvergleichbare Positionen (Stürmer, Sechser, Torwart), genauso wie verschiedene Ereignisse (EM in Polen / Ukraine und WM in Katar) durch Kalkulationsmethoden in vergleichbare Kennzahlen – in Geld bezifferbare Größen. Wie Ablösesummen für Spieler oder Schmiergelder für UEFA oder FIFA für die Vergabe von Ereignissen wie Turnier, Championat, Wettkampf. Alles berechenbar! Und letztlich immer das Gleiche. Nämlich? Genau: Zahlen, Daten, Fakten!
Zukunft aus dem schwarzen Block – FuturICT
Beinahe wäre das ein neuer Spieler im Kader geworden! FuturICT (Future Information and Communication Technologies) – so der Name eines Forschungsantrags bei der EU mit einem Volumen von über einer Milliarde Euro, der allerdings unberücksichtigt blieb. Nichts weniger als die »Informations- und Kommunikations-Technologie der Zukunft« sollte hier entwickelt werden. Mit der sich das Morgen berechnen, Ungewissheiten begegnen und allen Krisen zuvorkommen lässt. Zumindest, wenn man den Protagonisten des Ganzen glaubt: Statistikern!
Geplant war ein »Living Earth Simulator« – computeranimiertes Zukunftsbasteln per Großrechner. Das liegt im Trend13: Prognostiziert und berechnet werden sollen nicht nur künftige Wirtschafts- und Unternehmenskennzahlen, Wege von Tiefdruckgebieten oder die Entwicklung von Unfallzahlen, sondern gleich das ganze Weltgeschehen.
Durch »Data-Mining« wollten die Antragsteller Gesetze und Prozesse sichtbar machen, die unser Zusammenleben auf der Erde bestimmen; Krisen im Frühstadium inklusive. Politische Unruhen und Ausbrüche von Pandemien sähen wir dann früh genug kommen und von politischen Entscheidungen wüssten wir die Folgewirkungen sogar schon vor ihrer Umsetzung.
Möglich? Zumindest für Statistiker. Quelle sind die Daten der Internet- und Mobilfunknutzung sowie das, was sich durch Netzwerke, Online-Einkäufe und Blogeinträge heute quasi »von selbst« sammelt. Stattfinden wird diese Rechenpathologie nun zwar ohne EU-Förderung. Aber sie dokumentiert anschaulich die Richtung des aktuellen Big-Data-Hypes: die ungeheure Faszination von Erkenntnissen aus Daten.
Wie Betriebswirtschaftler »Zukunft« verstehen
Nun geht es uns hier allerdings nicht um eine Kritik der »Monetarisierung« von allem.14 Auch die präzise Definition einer Firma oder eines Teams wird hier nicht weiter vertieft; denn was jeweils zu Betrieben hinzuzurechnen ist, wandelt sich beständig – nicht nur von Zeit zu Zeit, sondern auch von Land zu Land. Man könnte geradezu von »Liquid Corporations« sprechen – flüssigen Unternehmensgestalten, die in die Zukunft mäandern und sich dabei fortwährend verändern.15 Dabei stehen zum Beispiel dem Zeitgeist unterliegende Rechnungslegungsvorschriften im Mittelpunkt, die zwingend zu berücksichtigen sind. Das hat ebenfalls Auswirkungen auf das Heute und Morgen einer Unternehmung.16 Aber auch das soll hier nicht im Fokus stehen. Unser Interesse ist ein spezielles – die Perspektive auf Zukunft, die sich aus den betriebswirtschaftlichen Basics ergibt.
Rasenschach der Erbsenzähler
Beispiel: Die wundersame Wandlung des Rechnungswesens
Die vom Rechnungswesen statistisch erstellte Unternehmensbewertung ist eine Momentaufnahme. Und es gibt unterschiedliche Methoden, sie zu erstellen. Grob gesagt: Seit 1800 drei entscheidende.17
1. Im 19. Jahrhundert dominierte zunächst ein statisches Konzept. Der Betrieb wurde zu seinem jeweils aktuellen Unternehmenswert am Bilanzstichtag bewertet, und zwar in der sogenannten Liquidationsperspektive. Was ließe sich für den Betrieb erlösen, wenn er hier und heute verkauft werden müsste? (Die insgeheim dahinter lauernde Frage, um die sich diese Form der Bilanzierung drehte, war: Würden die Kreditgebenden bei Liquidation der Firma ihr Geld zurückbekommen?) Folge: Zukunftsorientierte Positionen, also Investitionen, mussten möglichst schnell abgeschrieben, »amortisiert« werden, da sie im Fall einer Liquidation des Unternehmens schlicht nicht zählten.
2. Im frühen 20. Jahrhundert löste das sogenannte dynamische Bilanzkonzept das statische ab. Positionen wurden nun gemäß ihrer Anschaffungs- und Herstellungskosten bewertet. Alles, was in der Unternehmensgeschichte einen Beitrag zur Firmentätigkeit leistete, galt als Aktiva. Die Folge: Investitionen wurden nun so aufgeteilt, dass auf jede einzelne Produktion die entsprechenden Zukunftsaufwendungen umgelegt werden konnten.
3. Seit Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards 2005 gilt – Rolle rückwärts – wieder ein statisches Bilanzkonzept. Anschaffungs- und Herstellungskosten gerieten wieder in den Hintergrund. Bilanziert wird heute der Gegenwartswert (Marktwert = Barwert) von Gebrauchswerten – im Sinne von Aktivposten. Es geht um den Wert der Gesamtheit der künftigen Cashflows, den sie voraussichtlich (!) generieren. Dabei ist man natürlich auf Schätzungen angewiesen. (Aber Papier ist, wie schon geschrieben, geduldig …18)
Das ist Hard Stuff, zugegeben. Aber wichtig! Denn: Hinter jedem Konzept steht ein anderes Bild von Unternehmen. Jedes Konstrukt führt zu unterschiedlichen Sichtweisen auf Realität. Und deshalb: zu ganz verschiedenen Handlungskonzepten in Bezug auf Zukunft.
Betriebswirtschaftliches Denkmodell
Das aktuell gültige Gedankenmodell betrachtet den Betrieb als Sammlung kombinierbarer und – mit Blick auf noch Kommendes – bewertbarer Tätigkeiten und Elemente. Das ist fraglos zeitgemäß. Es entspricht der Entwicklung im ökonomischen Bereich, in dem sich die angelsächsische Sichtweise von Mensch und Wirtschaft durchgesetzt hat: Wo nicht mehr die »reale« Produktion, sondern die City of London und die Wallstreet den Reichtum der Nationen erwirtschaften. Wo Finanzdienstleistungen den Sinn des (wirtschaftlichen) Seins ausmachen. Und Börsen- und Finanzmarkt-Akteure in Unternehmen die zentrale Rolle spielen. Aber: Wissen diese Monetär-Jongleure eigentlich, was sie meinen, wenn sie vom Morgen reden? Welche kurzfristige oder langfristige »Zukunft« haben sie dabei im Sinn? Die des Unternehmens oder ihre eigene?
»Ja, Statistiken. Aber welche Statistik stimmt schon? Nach der Statistik ist jeder vierte Mensch ein Chinese. Aber hier spielt gar kein Chinese mit!«
WERNER HANSCH
Aber mal abgesehen von solchen Peanuts – Fakt ist: Das Konzept für Unternehmensbewertungen beruht auf Konventionen. Es ist willkürlich! »Gemacht«. Wechselnd. Was allerdings nicht heißen soll: Egal! Ganz im Gegenteil. Auch ein Konzept, das maßgeblich auf dem beruht, was noch gar nicht ist (Zukunft), hat beinharte gegenwärtige Konsequenzen – zum Beispiel für die Inhaber von Anteilsscheinen eines Betriebs, die aufgrund der Zukunftsaussichten ihrer Aktien über Geldsummen verfügen oder eben auch nicht. Sie erfahren also ganz »objektiv«, was »Zukunft« im betriebswirtschaftlichen Sinne »bedeutet«.
Und die Pointe in Sachen Zukunftsforschung?
Die unterschiedlichen Sichtweisen haben entscheidenden Einfluss auf unser Verständnis der Realität. Im 19. Jahrhundert war in puncto »Gewinn« pragmatische Vorsicht angesagt: Wann war ein Gewinn ein Gewinn? Nun, immer erst dann, wenn die Investition vollständig abgeschrieben war. Es dominierte eine Worst-Case-Orientierung (mit Perspektive auf eine mögliche Liquidation). Im 21. Jahrhundert hingegen sind – aus Gründen der Unternehmensbewertungs-Vorschriften – die zukünftigen (selbstverständlich rosigen) Aussichten bestimmend. Profite werden früh, »vorausschauend«, verbucht und bilanziert. Was zählt, ist der Best Case: ein U-Turn um 180 Grad.
Zukunft aus dem schwarzen Block – Futures
Einige Finanzprodukte und Termingeschäfte, sogenannte »Futures«, sind (wie der Name schon sagt) Wetten auf die Zukunft. BWL-geschulte Angestellte zocken auf das Auf und Ab von Unternehmungen. Insofern lässt sich das Dauerchaos im ökonomischen Bereich auch als Krise des betriebswirtschaftlichen Denkmodells betrachten. Wenn, wie oft behauptet, es stimmt, dass sich die internationale Finanzsphäre gegenüber der Realwirtschaft »verselbstständigt« hat (»Hyperrealität«), und wenn es sich bei den Staatsschulden-, Banken-, Finanz-und-so-weiter-Krisen auch um den Verlust von Bezügen und Bindungen an die Welt (das Leben, das Universum und den ganzen realen Rest) handelt, dann ist das gesamte System mit den gegenwärtigen Denkmitteln und Analyseinstrumenten der Betriebswirtschaft offensichtlich nicht mehr adäquat fassbar. Dass diese »Spielphilosophie« in Hochschulen und Universitäten dennoch unbeschadet überwintern kann, ist bemerkenswert. Auf die Zukunftskompetenz dieser Zunft lässt das nicht gerade schließen. Eher auf ein erstaunliches Beharrungsvermögen und eine unglaubliche Fähigkeit zur Abschottung gegenüber allem und jedem. Eben: Mia san mia!