Friedrich Glauser – Wachtmeister Studer

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Zimmer zu vermieten

Schlumpf hat­te dem Wacht­meis­ter er­zählt, er habe bei ei­nem Ehe­paar ge­wohnt, das in der Bahn­hof­stra­ße ein Kor­be­rei­ge­schäft be­trie­ben habe. Hof­mann hät­ten die Leu­te ge­hei­ßen.

Das Haus war nicht schwer zu fin­den. Auf dem Trot­toir, vor dem La­den, stan­den ge­floch­te­ne Blu­men­stän­der, die sich nach ei­nem Sa­lon und der ob­li­ga­ten Pal­me zu seh­nen schie­nen. Stu­der trat ein, eine Klin­gel schrill­te ge­dämpft in ei­nem hin­te­ren Zim­mer und dann be­trat eine Frau den La­den. Sie trug eine blau­ge­streif­te Är­mel­schür­ze, ihre Haa­re wa­ren grau und or­dent­lich fri­siert. Sie frag­te, was der Herr wol­le, und ihre Höf­lich­keit wirk­te an­ge­lernt.

Er kom­me, sag­te Stu­der, um über den Schlumpf Er­win, der ja hier ge­wohnt habe, Aus­kunft ein­zu­zie­hen. Wacht­meis­ter Stu­der von der Kan­tons­po­li­zei. Man habe ihn mit der Ver­fol­gung des Fal­les be­traut, und er hät­te gern et­was über den Bur­schen er­fah­ren.

Die Frau nick­te, ihr Ge­sicht wur­de trau­rig.

Das sei eine heil­lo­se Ge­schich­te, mein­te sie. Der Wacht­meis­ter möge doch ein­tre­ten, sie sei al­lein, ihr Mann sei hau­sie­ren ge­gan­gen, ob der Wacht­meis­ter nicht ein we­nig in die Kü­che kom­men wol­le, sie habe ge­ra­de Kaf­fee ge­macht, er kön­ne auch eine Tas­se trin­ken, wenn er wol­le.

Ganz un­ge­niert.

Auf Kaf­fee hat­te Stu­der ge­ra­de Lust…

Und er be­reu­te es nicht, denn der Kaf­fee war gut, kei­ne laue Brü­he wie im ›Bä­ren‹. Die Kü­che war klein, weiß, sehr sau­ber. Nur der Stuhl, auf dem Stu­der Platz ge­nom­men hat­te, war ein we­nig zu schmal…

Stu­der be­gann vor­sich­tig zu fra­gen.

– Ob der Schlumpf pünkt­lich ge­zahlt habe? – O ja, je­den Mo­nat, am letz­ten, wenn er Zahl­tag ge­habt hät­te, sei er ge­kom­men und habe 25 Fran­ken auf den Tisch ge­legt. – Und sei am Abend im­mer da­heim ge­blie­ben? – Das ers­te Jahr schon, aber seit färn sei er am Abend oft spät zu­rück­ge­kom­men. – Aha, mein­te Stu­der, eine Lieb­schaft?

Frau Hof­mann lä­chel­te. Es war ein freund­li­ches, müt­ter­li­ches Lä­cheln. Stu­der freu­te sich im stil­len über die Frau. Sie nick­te.

– Aber das Mäd­chen sei nie zum Schlumpf ins Zim­mer ge­kom­men? – Nie, nein. Sol­che Sa­chen wol­le sie nicht ha­ben. Nicht dass sie et­was dar­an fin­de, aber in ei­nem Dorf!… Der Wacht­meis­ter wer­de ver­ste­hen…

Stu­der ver­stand. Es war an ihm zu ni­cken, und er nick­te über­zeugt. Er saß da in sei­ner Lieb­lings­hal­tung, die Schen­kel ge­spreizt, die Un­ter­ar­me auf den Schen­keln und die Hän­de ge­fal­tet. Sein ma­ge­rer Kopf war ge­senkt.

– Das Mäd­chen sei auch nie ge­kom­men, um den Schlumpf ab­zu­ho­len? – Nein… Das heißt, wohl ein­mal… am Mitt­wo­cha­ben­d…

»Um wel­che Zeit?«

»Um halb sie­ben. Der Schlumpf ist ge­ra­de von der Ar­beit zu­rück­ge­kom­men, hat sich im Zim­mer ge­wa­schen… Er war ge­ra­de am Wa­schen, da ist das Meit­schi in den La­den ge­kom­men, ganz blass war sie, aber das hat mich wei­ter nicht ge­wun­dert, weil doch ihr Va­ter er­mor­det auf­ge­fun­den wor­den war… Sie hat ge­sagt, sie müs­se den Schlumpf spre­chen und ob ich ihn ru­fen wol­le. Er ist dann ge­kom­men, ich hab’ die bei­den in der Kü­che al­lein ge­las­sen, aber sie ha­ben kaum eine Mi­nu­te mit­ein­an­der ge­spro­chen. Dann ist das Meit­schi wie­der fort­ge­gan­gen. Und der Schlumpf ist erst nach Mit­ter­nacht heim­ge­kom­men…«

»Das war am Mitt­woch, also am Abend nach der Ent­de­ckung des Mor­des, nicht wahr?«

»Ja, Herr Wacht­meis­ter. Ich hab schlecht ge­schla­fen in der Nacht, um vier Uhr hab ich den Schlumpf ge­hört, wie er auf den So­cken die Trep­pe hin­un­ter­ge­schli­chen ist. Um sie­ben Uhr ist dann schon der Mur­mann ge­kom­men und hat den Schlumpf ver­haf­ten wol­len. Aber da war der Er­win schon for­t…«

Der Er­win… Der Name klang zärt­lich im Mund der grau­en Frau. Zwei Jah­re hat­te der Er­win also bei den glei­chen Leu­ten ge­wohnt, er muss­te sich gut auf­ge­führt ha­ben, sonst hät­ten sie ihn wohl nicht so lan­ge be­hal­ten…

»Und habt Ihr sein Vor­le­ben ge­kannt?«

»Ach, Wacht­meis­ter«, sag­te Frau Hof­mann. »Er hat Un­glück ge­habt, der Er­win. Mein Va­ter hat im­mer ge­sagt: ›Rich­tet nicht, auf dass Ihr nicht ge­rich­tet wer­det‹. Nein, nein, ich geh’ nicht zu den Stün­de­lern, aber Ihr wisst ja, Wacht­meis­ter, wie es manch­mal ge­hen kann. Der Er­win hat uns in der zwei­ten Wo­che al­les er­zählt, von sei­nen Ein­brü­chen und von Thor­berg und von der Zwangs­er­zie­hungs­an­stal­t… Ein­mal hat ihn sei­ne Mut­ter be­sucht… Eine gute Frau… Der Er­win hat viel von sei­ner Mut­ter ge­hal­ten… Habt Ihr die Mut­ter ge­se­hen?«

Stu­der nick­te. Er hör­te die alte, ru­hi­ge Stim­me, die frag­te: »Aber er darf noch z’Mor­gen neh­men?«

Über der Kü­chen­tür schrill­te die Klin­gel. Es sei wohl je­mand im La­den, mein­te die Frau, stand auf, füll­te vor­sorg­lich Stu­ders Tas­se – mit Zu­cker und Milch sol­le er sich nur be­die­nen, mein­te sie –, und dann ging sie ihre Kun­den be­die­nen.

Stu­der trank die Tas­se in klei­nen Schlücken leer, zog die Uhr: es war bald sechs. Er hat­te noch Zeit.

Er spa­zier­te in der klei­nen Kü­che um­her, die Hän­de auf dem Rücken ver­schränkt, dach­te an nichts und schüt­tel­te nur von Zeit zu Zeit den Kopf, wenn ihn ir­gend­ein Ge­dan­ke be­läs­ti­gen woll­te. Zwei­mal, drei­mal kam er an dem wei­ßen Kü­chen­schaft vor­bei, ohne ihn rich­tig zu se­hen, bis er sich, bei ei­ner brüs­ken Kehrt­wen­dung, schmerz­haft an ei­ner Ecke stieß. Nun be­trach­te­te er erst das Mö­bel, auf­merk­sam und miss­bil­li­gend. Es war ein wei­ßer Kü­chen­schaft, un­ten breit, mit Holz­tü­ren; auf die­sem brei­ten un­te­ren Teil er­hob sich ein schmä­le­res Ge­stell mit Glas­fens­tern. Ein Sta­pel Tel­ler, da­ne­ben Tas­sen und Glä­ser, ei­ni­ge Bra­ten­schüs­seln. Auf dem obers­ten Brett la­gen alte Zei­tun­gen, or­dent­lich auf­ge­schich­tet und ne­ben ih­nen, durch­ein­an­der, al­tes Pack­pa­pier. Die Tü­ren wa­ren nur an­ge­lehnt. Stu­der starr­te auf den un­or­dent­li­chen Stoß Pack­pa­pier. Und da er sich lang­weil­te, nahm er das Pack­pa­pier her­aus – er pack­te es fest mit bei­den Hän­den, da­mit nicht ir­gend­ein klei­ne­res Blatt zu Bo­den flat­ter­te –, leg­te den Stoß auf den Tisch und be­gann es sorg­fäl­tig zu­sam­men­zu­le­gen.

Als er das fünf­te Blatt hoch­hob (noch spä­ter er­in­ner­te er sich an die Far­be die­ses Pa­piers, es war blau­es Pa­pier, wie man es zum Ein­wi­ckeln von Zucker­hü­ten braucht), sah er et­was Schwar­zes lie­gen.

Stu­der stütz­te die Fäus­te auf den Tisch und be­sah mit schief­ge­neig­tem Kopf das schwar­ze Ding. Kein Zwei­fel: eine Brow­ning­pis­to­le, Ka­li­ber 6,5, eine zier­li­che Waf­fe. Aber was hat­te die­ser Brow­ning in der Kü­che der Frau Hof­mann zu su­chen? Wie war er un­ter die­ses Pa­pier ge­rutscht? Hat­te der Schlumpf…? Eine böse Ge­schich­te. Wenn der Un­ter­su­chungs­rich­ter in Thun von die­sem Fund er­fuhr…

Stu­der schwank­te. Vi­el­leicht wa­ren Fin­ger­ab­drücke auf dem Kol­ben zu fin­den, ob­wohl der Kol­ben ge­rippt war und die Ab­drücke si­cher nicht so klar wa­ren, dass man et­was mit ih­nen wür­de be­wei­sen kön­nen…

Wie­der schrill­te die Klin­gel über der Kü­chen­tür kurz auf. Die Kun­den hat­ten wohl den La­den ver­las­sen. Frau Hof­mann wür­de gleich zu­rück­kom­men.

»Ah bah«, sag­te Stu­der laut, nahm das zier­li­che schwar­ze Ding – und ganz kurz sah er das Loch, das dies Ding ge­macht hat­te, die Ein­schuss­öff­nung drei Fin­ger etwa vom rech­ten Ohr im Hin­ter­kopf des Wen­de­lin Wit­schi – dann steck­te Stu­der die Pis­to­le in sei­ne hin­te­re Ho­sen­ta­sche…

Die Kü­chen­tür ging auf. Frau Hof­mann kam nicht al­lein zu­rück. Son­ja Wit­schi be­glei­te­te sie.

Er habe ein we­nig Ord­nung ma­chen wol­len zum Dank für den Kaf­fee, sag­te Stu­der, aber das sei ja nicht mehr nö­tig. Er nahm den Stoß Pack­pa­pier, warf ihn auf das obe­re Brett des Kü­chen­schaf­tes und setz­te sich wie­der. Er schi­en das Mäd­chen gar nicht zu be­ach­ten.

»Im Dorf wis­sen sie schon, dass Ihr die Un­ter­su­chung führt, Herr Wacht­meis­ter, und da hat die Son­ja mit Euch re­den wol­len«, sag­te Frau Hof­mann. Und zu dem Mäd­chen ge­wandt: – Es sol­le ab­ho­cken, Kaf­fee sei noch da…

Stu­der sah das Mäd­chen an. Das klei­ne Ge­sicht mit der spit­zen Nase und den Som­mer­spros­sen an den Schlä­fen war bleich und sah ver­stört aus. Und im­mer wi­chen die Au­gen Stu­ders Blick aus. Die­se Au­gen blick­ten furcht­sam in der Kü­che um­her, wan­der­ten vom Tisch, auf dem das Pack­pa­pier ge­le­gen hat­te, zum Schaft, in dem der Sta­pel nun lag. Die Lip­pen press­ten sich auf­ein­an­der.

Am liebs­ten wäre Stu­der auf­ge­stan­den, hät­te dem Mäd­chen die Haa­re ge­strei­chelt und es be­ru­higt, wie man einen zit­tern­den Hund be­ru­higt. Aber das ging nicht. Vi­el­leicht wuss­te das Mäd­chen et­was von der ver­steck­ten Pis­to­le? Hat­te der Schlumpf die Waf­fe ver­steckt und am Abend vor sei­ner Flucht dem Mäd­chen er­zählt, wo sie lag? Wa­rum war dann Son­ja nicht frü­her ge­kom­men, um sie bei­sei­te zu schaf­fen? Fra­gen, vie­le Fra­gen!… Stu­der seufz­te.

Nun kam Son­ja auf ihn zu, sie schi­en ihn als den­je­ni­gen wie­der­zu­er­ken­nen, der im Zug die Be­mer­kung über Fe­li­ci­tas Rose ge­macht hat­te, denn sie wur­de rot, als sie Stu­der die Hand gab. Aber viel­leicht hat­te die Röte auch eine an­de­re Ur­sa­che. Die fried­li­che At­mo­sphä­re, die vor­her in der Kü­che ge­herrscht hat­te, war ge­stört. Es war eine Span­nung da, die nicht nur von der Ver­le­gen­heit (oder war es Angst?) der klei­nen Son­ja Wit­schi er­zeugt wur­de – nein, Stu­der schi­en es, als habe sich auch die Hal­tung Frau Hof­manns ver­än­dert.

 

Das Schwei­gen, das über der klei­nen Kü­che lag, wur­de nur vom Ti­cken der Uhr un­ter­bro­chen, ei­ner wei­ßen Por­zel­lan­uhr mit blau­en Zif­fern. Und wäh­rend die­ses Schwei­gens wur­de Stu­ders op­ti­mis­ti­sche Stim­mung zer­nagt und lang­sam wuchs eine läh­men­de Mut­lo­sig­keit in ihm. Vi­el­leicht trug zum Wach­sen die­ser Mut­lo­sig­keit auch das un­ge­wohn­te Ge­wicht bei, das in sei­ner hin­te­ren Ho­sen­ta­sche las­te­te.

– Es sei­en wohl noch an­de­re Kun­den da­ge­we­sen, mein­te Stu­der plötz­lich. – Nein, kei­ne Kun­den… Frau Hof­mann schüt­tel­te den Kopf. Zwei Her­ren sei­en da­ge­we­sen… – Zwei Her­ren? Wie sie ge­hei­ßen hät­ten? – Der Ge­mein­de­prä­si­dent und der Leh­rer Schwomm. – Was die Her­ren denn ge­wollt hät­ten?

Frau Hof­mann schwieg ver­stockt. Stu­der blick­te auf Son­ja Wit­schi, die er bei sich Fe­li­ci­tas nann­te. Aber das Mäd­chen zuck­te nur die Ach­seln.

– Ob sie mit den bei­den Her­ren ge­kom­men sei? frag­te Stu­der das Mäd­chen.– Es habe die bei­den ge­holt, als es den Wacht­meis­ter habe in den La­den ge­hen se­hen.

Stu­der stand auf, kratz­te sich die Stir­ne – das wur­de ja im­mer kom­pli­zier­ter… Aus Frau Hof­mann war wohl nichts mehr zu ho­len… Aber viel­leicht aus dem Mäd­chen?…

»Adieu, Frau Hof­mann«, sag­te Stu­der freund­lich. »Und du, komm ein­mal mit. Wir wol­len noch ein we­nig zu­sam­men re­den…«

Es hat­te kei­nen Sinn, sich Schlumpfs Zim­mer an­zu­se­hen. Das war si­cher ge­putzt und ge­fegt wor­den und die Sa­chen, die Schlumpf ge­hört hat­ten, wa­ren ver­packt und la­gen ir­gend­wo…

Als Stu­der aus dem Hau­se trat, wuss­te er, dass er mit die­ser An­sicht recht hat­te. Am grü­nen La­den ei­nes Fens­ters im obe­ren Stock bau­mel­te ein wei­ßes Kar­ton­stück.

Da­rauf stand in un­ge­schick­ter Schrift ge­schrie­ben:

›Zim­mer zu ver­mie­ten.‹

Der Wacht­meis­ter wand­te sich noch ein­mal an Frau Hof­mann, zeig­te auf die An­kün­di­gung und frag­te, ob sich schon Mie­ter ge­mel­det hät­ten.

Frau Hof­mann nick­te.

– Wer denn?

Frau Hof­mann zö­ger­te mit der Ant­wort, doch schi­en ihr die Fra­ge nicht ge­fähr­lich. Und sie sag­te:

»Der Leh­rer Schwomm hät­t’ das Zim­mer gern ge­habt für einen Ver­wand­ten, der einen Mo­nat zu ihm kom­men will. Dann ist der Ger­ber vor­bei­ge­kom­men, der ist beim Coif­feur als Ge­hil­fe… ja, das wä­ren alle.«

»Und Ihr habt die bei­den in die Kü­che ge­führt und ih­nen Kaf­fee an­ge­bo­ten?«

Frau Hof­mann wur­de rot, sie rieb sich ver­le­gen die Hän­de: »Wenn man den gan­zen Tag al­lein ist, wisst Ihr…«

Stu­der nick­te, lüpf­te den Hut und ging mit lan­gen Schrit­ten da­von. An sei­ner Sei­te trip­pel­te Son­ja Wit­schi. Ihre Ab­sät­ze klap­per­ten auf dem As­phalt. Aber sie hat­te die St­rümp­fe ge­wech­selt. We­nigs­tens war über der Fer­se des rech­ten Schu­hes kein Loch mehr zu se­hen…

Interieur der Familie Witschi

Das Haus stand ab­seits auf ei­ner An­hö­he, in­mit­ten ei­ner klei­nen Wohn­ko­lo­nie, aber es war äl­ter als die Bau­ten, die es um­ga­ben. Die La­den­tü­re war ne­ben der Ein­gang­stü­re, links; da­ne­ben lag eine Art of­fe­ner Ve­ran­da, an de­ren Hin­ter­wand sich ein ge­mal­ter See vor Schnee­ber­gen aus­brei­te­te, und die Schnee­ber­ge wa­ren rosa, wie wäs­se­ri­ges Him­beereis. Über der Türe prang­te in ver­schnör­kel­ter Schrift der Spruch:

Grüß Gott, tritt ein, bring Glück her­ein!

Un­ter den Fens­tern des ers­ten Stockes in blau­er Far­be der Name des Hau­ses:

Al­pen­ruh

Über dem Schau­fens­ter des La­dens, in dem bun­te Mag­gi­pla­ka­te ver­blass­ten, ein Schild, das eben­falls ver­wit­tert war:

W. Wit­schi-Misch­ler, Le­bens­mit­tel­hand­lung.

Der Gar­ten war ver­lot­tert, ho­hes Un­kraut stand zwi­schen den Erb­sen, die nicht auf­ge­bun­den wa­ren. An ei­ner Hau­se­cke lehn­te ein ver­ros­te­ter Re­chen.

Auf dem gan­zen Weg hat­te Stu­der ge­schwie­gen und ge­war­tet, ob das Mäd­chen be­gin­nen wür­de zu spre­chen. Aber auch Son­ja hat­te ge­schwie­gen. Nur ein­mal hat­te sie schüch­tern ge­sagt: »Ich hab heut’ mor­gen im Zug schon ge­dacht, dass Ihr von Bern kommt we­gen dem Schlumpf, dass Ihr von der Po­li­zei sei­d…« Stu­der hat­te ge­nickt, ge­war­tet, was noch wei­ter kom­men wer­de. »Und wie ich ge­se­hen hab’ Ihr geht zu der Frau Hof­mann in den La­den, hab ich den On­kel Äsch­ba­cher ge­holt. Die Frau Hof­mann ist eine gar Schwatz­haf­te…«

Stu­der hat­te schwei­gend die Ach­seln ge­zuckt. Die gan­ze Ge­schich­te ließ sich plötz­lich schlecht an. Er wünsch­te, er hät­te mit dem Land­jä­ger Mur­mann am Mor­gen ein­ge­hen­der ge­spro­chen.

Der Leh­rer Schwomm und der Coif­feur­ge­hil­fe Ger­ber, dach­te er – Ger­ber hieß also der Jüng­ling, der John-Kling-Ro­ma­ne las und sich Füll­fe­der­hal­ter schen­ken ließ –, die­se bei­den wa­ren in der Kü­che der Frau Hof­mann ge­we­sen. Und Son­ja… Und der Schlumpf na­tür­lich.

Wer hat­te den Re­vol­ver ver­steckt? Wa­rum war er ge­ra­de an die­sem Platz ver­steckt wor­den? Hat­te man ge­hofft, Frau Hof­mann wer­de ihn fin­den und da­mit zur Po­li­zei lau­fen? An­ge­nom­men, Frau Hof­mann hät­te ihn ge­fun­den, dann hät­te sie ihn na­tür­lich in die Hand ge­nom­men und neu­gie­rig, wie Frau­en ein­mal sind, un­ter­sucht. Dann wäre selbst­ver­ständ­lich kein Fin­ger­ab­druck mehr fest­zu­stel­len ge­we­sen. Also war es nicht so arg, so trös­te­te sich Stu­der, dass er den Brow­ning so ohne Vor­sichts­maß­nah­men ein­fach ein­ge­steckt hat­te… Scha­de, dass er Frau Hof­mann nicht ge­fragt hat­te, wann der Schlumpf am Diens­tag­abend oder viel­mehr in der Diens­tag­nacht heim­ge­kom­men war… Aber ei­gent­lich war die­se Fra­ge nicht nö­tig, die Ant­wort stand si­cher in den Ak­ten, rich­tig, Stu­der er­in­ner­te sich an eine Sei­te, auf der stand:

»Frau Hof­mann gibt auf Be­fra­gen an, der An­ge­klag­te sei in der Mord­nacht erst ge­gen ein Uhr heim­ge­kom­men…« Stu­der schüt­tel­te den Kopf. Merk­wür­dig, dass die­se be­las­ten­de Tat­sa­che ihn so gar nicht in­ter­es­sier­te. Es war al­les zu ein­fach auf­ge­baut. Ein Vor­be­straf­ter, der einen Mord be­geht, der na­tür­lich kein Ali­bi hat, bei dem das Geld des Er­mor­de­ten ge­fun­den wird, der nicht re­den will, aber sei­ne Un­schuld be­teu­ert, der einen Selbst­mord­ver­such be­geht… Es schmeck­te – ja, das Gan­ze schmeck­te nach ei­nem schlech­ten Ro­man…

Aber na­tür­lich, der un­schul­dig Schul­di­ge, das war in die­sem Fall eine recht rea­le Fi­gur, ein Mensch, dem es schlecht ge­gan­gen war, der wie­der eine Zeit lang auf den ge­ra­den Weg ge­kom­men war, und der nun… Was hat­te der Schlumpf in der Frei­zeit ge­le­sen? Etwa auch Fe­li­ci­tas Rose? Oder John Kling? Ei­gent­lich wäre das ganz in­ter­essant fest­zu­stel­len. Das klei­ne Mäd­chen wuss­te es si­cher, das Mäd­chen, das teu­re Füll­fe­der­hal­ter ver­schenk­te… Hat­te es eine Lieb­schaft mit dem Coif­feur­ge­hil­fen Ger­ber? Es sah ei­gent­lich nicht so aus… Aber warum dann das teu­re Ge­schenk?… Der Füll­fe­der­hal­ter… Ja… Man trug den Füll­fe­der­hal­ter ge­wöhn­lich in der lin­ken Brust­ta­sche des Rockes oder in der obe­ren Wes­ten­ta­sche. Man nahm ihn mit, be­son­ders wenn man Be­stel­lun­gen sam­meln ging. Hat­te ihn der Wen­de­lin Wit­schi am Diens­tag auch mit­ge­nom­men?… Doch wann hat­te er ihn sei­ner Toch­ter ge­ge­ben?… Die Ta­schen des Wen­de­lin Wit­schi wa­ren leer und auf dem Rücken sei­nes Rockes haf­te­ten kei­ne Tan­nen­na­deln…

Die bei­den be­tra­ten die Kü­che… Im Schütt­stein un­auf­ge­wa­sche­nes Ge­schirr… Auf dem Tisch stand ein Tel­ler, But­ter dar­auf, da­ne­ben lag ein Kamm.

Stu­der war al­lein, Son­ja war ver­schwun­den…

Durch eine of­fe­ne Tür be­trat der Wacht­meis­ter das an­lie­gen­de Zim­mer. Die Vor­hän­ge vor den Fens­tern wa­ren grau, auf dem Kla­vier lag eine Staub­schicht. Die Tür fiel zu. Es zog in die­sem Haus. Durch die Er­schüt­te­rung des Zu­schla­gens lös­te sich von dem Bil­de, das über dem Kla­vier hing, eine graue Wol­ke ab. Das Bild stell­te den se­li­gen Wen­de­lin Wit­schi vor, in jun­gen Jah­ren, und war wohl bei der Hoch­zeit auf­ge­nom­men wor­den. Zwi­schen den Spit­zen des stei­fen Um­leg­kra­gens lug­te ein klei­ner schwar­zer Kopf her­vor. Der Schnurr­bart war schon da­mals trau­rig ge­we­sen. Und die Au­gen…

Auf dem Ti­sche, der eine De­cke mit Fran­sen trug, rot-gelb-blau la­gen vie­le Hef­te. Auch das schwe­re schwar­ze Bü­fett war mit Hef­ten über­deckt.

Stu­der blät­ter­te in den Hef­ten. Sie wa­ren alle von der glei­chen Art: Bil­der von Hun­den oder von Kin­dern, eine Berg­ka­pel­le, ein Ro­man, Win­ke für die Haus­frau, gra­fo­lo­gi­sche Ecke. und, auf­fäl­lig, auf al­len Ti­tel­blät­tern:

»Wir ver­si­chern un­se­re Abon­nen­ten… Bei Gan­zin­va­li­di­tät oder Tod zah­len wir aus…«

Fünf ver­schie­de­ne Sor­ten Hef­te. Wenn alle die Ver­si­che­rung aus­zahl­ten, er­gab das… es er­gab eine ganz statt­li­che Sum­me… Und was hat­te der No­tar Münch ge­sagt? Der alte El­len­ber­ger habe Schuld­brie­fe und wol­le sie kün­di­gen?

Im obe­ren Stock­werk lie­fen Schrit­te auf und ab. Was mach­te Son­ja dort oben, warum ließ sie ihn al­lein in der Woh­nung? Es wur­de ein schwe­rer Ge­gen­stand ge­rückt. Stu­der lä­chel­te. Das Mäd­chen mach­te wohl die Bet­ten, jetzt am Abend. Eine merk­wür­di­ge Ord­nung herrsch­te in der Fa­mi­lie Wit­schi…

Stu­der blät­ter­te wei­ter in den Hef­ten. Er stieß auf ein paar Stel­len, die an­ge­stri­chen wa­ren und las:

»Da stieg es in ihr auf, heiß und bren­nend. Sie warf sich in sei­ne Arme, sie um­klam­mer­te sei­nen Hals, als soll­te sie ihn nie, nie mehr los­las­sen…«

Und wei­ter:

»Und wir, Son­ja, mein sü­ßes Lieb, mein hol­des Weib – wir wer­den glück­lich sein…«

»Lei­chen­blass bis in die Lip­pen, be­bend an al­len Glie­dern, stand Son­ja vor ihm…«

Stu­der seufz­te. Er dach­te an lau­en Kaf­fee und an eine Frau, die am Mor­gen schmach­tend war, weil sie in der Nacht zu vie­le Ro­ma­ne ge­le­sen hat­te…

Dann trat der Wacht­meis­ter ans schwe­re Bü­fett. Gera­de un­ter der Fo­to­gra­fie des Wen­de­lin Wit­schi stand oben auf dem Auf­satz eine Vase mit wäch­ser­nen Ro­sen und ei­ni­gen Zwei­gen bun­ten Herbst­laubs. Und Wit­schi schi­en auf die­se Vase zu schie­len. Ge­dan­ken­los hob sie Stu­der her­ab, sie war merk­wür­dig schwer – üb­ri­gens war das Herbst­laub auch künst­lich. Stu­der schüt­tel­te die Vase. Es ras­sel­te. Er kehr­te die Vase um…

Zwei, vier, sechs, zehn – fünf­zehn Pa­tro­nen­hül­sen fie­len her­aus, Ka­li­ber 6,5… Im obe­ren Stock war es still ge­wor­den. Stu­der steck­te eine der Hül­sen in sei­ne Rock­ta­sche, die an­de­ren ließ er in die Vase zu­rück­glei­ten, ord­ne­te den Strauß und stell­te ihn an sei­ne alte Stel­le. Es ka­men Schrit­te die Trep­pe her­un­ter. Stu­der öff­ne­te die Kü­chen­tür und blieb auf der Schwel­le ste­hen.

Der Herr Wacht­meis­ter müs­se ent­schul­di­gen, sag­te Son­ja, sie habe oben noch Ord­nung ma­chen wol­len, wenn er das Haus be­sich­ti­gen wol­le? Die Mut­ter kom­me erst nach dem Neun-Uhr-Zug heim, so lan­ge müs­se sie auf dem Bahn­hof blei­ben… Aber der Ar­min wer­de bald zu­rück sein.

Son­ja plap­per­te und wich Stu­ders Blick aus; aber so­bald Stu­der bei­sei­te sah, fühl­te er, wie die Au­gen des Mäd­chens auf sein Ge­sicht ge­rich­tet wur­den, sah er wie­der hin, klapp­ten die Li­der über die Au­gen. Lan­ge Wim­pern hat­te das Mäd­chen. Die Stirn war ge­run­det, sprang ein we­nig vor. Die Haa­re wa­ren ge­bürs­tet. Son­ja sah viel or­dent­li­cher aus als heut mor­gen im Zuge.

– Üb­ri­gens las­se der Schlumpf sie grü­ßen, sag­te Stu­der ne­ben­bei. Er sah zum Fens­ter hin­aus. Am Ende des Ge­mü­se­gar­tens stand ein al­ter, ver­fal­le­ner Schup­pen. Die Trag­stüt­zen des Da­ches wa­ren ein­ge­knickt, ei­ni­ge Zie­gel fehl­ten. Auch die Tür des Schup­pens fehl­te.

Son­ja schwieg. Und als Stu­der sich um­wand­te, sah er, dass das Mäd­chen wein­te. Es war ein hem­mungs­lo­ses Wei­nen, das klei­ne Ge­sicht war ver­zo­gen, um die spitz vor­sprin­gen­de Nase gru­ben sich tie­fe Fal­ten ein, die Lip­pen wa­ren ver­zerrt, und aus den Au­gen flos­sen die Trä­nen die Wan­gen her­ab, blie­ben am Kinn haf­ten, tropf­ten dann auf die Blu­se. Die Hän­de wa­ren ge­ballt.

»Aber, Meit­schi«, sag­te Stu­der, »aber Meit­schi!…« Un­be­hag­lich wur­de es ihm zu­mu­te. Schließ­lich fiel ihm nichts an­de­res ein, als sein Schnupf­tuch aus der Ta­sche zu zie­hen, ne­ben Son­ja zu tre­ten und un­ge­schickt die flie­ßen­den Trä­nen auf­zu­tup­fen.

 

»Komm, Meit­schi, komm, hock ab…«

Son­ja hat­te sich an den Wacht­meis­ter ge­lehnt, ihr Kör­per zit­ter­te, die Schul­tern wa­ren weich. Stu­der seufz­te grund­los. »Komm, Meit­schi, kom­m…«

Son­ja setz­te sich auf einen Stuhl. Ihre Arme la­gen lang aus­ge­streckt auf der Tisch­plat­te ne­ben dem Tel­ler mit dem An­ken, ne­ben dem Kam­m…

Drau­ßen wur­de die Däm­me­rung dicht. Stu­der hat­te we­nig Zeit. Um halb acht Uhr soll­te er bei Mur­mann zum Nachtes­sen sein…

Son­ja dau­er­te ihn. Er woll­te sie nicht aus­fra­gen… Ihr Va­ter war tot, ihr Liebs­ter saß in ei­ner Zel­le, tags­über ging sie nach Bern schaf­fen, ihr Bru­der ließ sich von ei­ner Kell­ne­rin Geld ge­ben, und ihre Mut­ter las im Bahn­hof­ki­osk Ro­ma­ne…

»Der Er­win«, sag­te Stu­der sanft, »der Er­win hat mir ge­sagt, er las­se dich grü­ßen…«

»Und glau­bet Ihr, dass er schul­dig ist?«

Stu­der schüt­tel­te stumm den Kopf. Ei­nen Au­gen­blick lä­chel­te Son­ja, dann ka­men die Trä­nen wie­der.

»Er wird’s nicht be­wei­sen kön­nen, dass er un­schul­dig ist…«, sag­te sie schluch­zend.

»Hast du ihm das Geld ge­ge­ben?«

Merk­wür­dig, wie ein Ge­sicht sich ver­än­dern konn­te!… Son­ja blick­te starr vor sich hin, zum Fens­ter hin­aus, in die Rich­tung, wo der alte, ver­fal­le­ne Schup­pen stand, des­sen Ein­gang ein schwar­zes Recht­eck war… Und schwieg.

»Wa­rum hast du dem Ger­ber, dem Coif­feur, den Füll­fe­der­hal­ter ge­schenkt?«

»Weil… weil… er et­was weiß…«

»So, so«, sag­te Stu­der.

Er hat­te sich an den Tisch ge­setzt, das Hocker­li war zu klein für sei­nen schwe­ren Kör­per, er fühl­te sich un­ge­müt­lich.

»– Ob sie schon lan­ge in dem Hau­se wohn­ten? frag­te er. – Der Va­ter habe es bau­en las­sen mit dem Geld der Mut­ter, er­zähl­te Son­ja, und es schi­en, als sei sie froh, spre­chen zu kön­nen. Der Va­ter sei bei der Bahn ge­we­sen, als Kon­duk­teur, und dann habe die Mut­ter eine Erb­schaft ge­macht. Die Mut­ter stam­me von hier, aus Ger­zen­stein, der Va­ter sei aus dem See­land ge­we­sen. Die Mut­ter habe den La­den ein­ge­rich­tet und der Va­ter habe wei­ter auf der Bahn ge­schafft. Wäh­rend dem Krieg sei das Ge­schäft gut ge­gan­gen, es hät­te da­mals noch we­nig Lä­den ge­ge­ben in Ger­zen­stein. Da habe sich der Va­ter pen­sio­nie­ren las­sen. Viel­mehr, er sei ein­fach aus­ge­tre­ten und habe auf die Pen­si­on ver­zich­tet, weil er einen Herz­feh­ler ge­habt habe, und sie hät­ten ihm auf der Bahn Schwie­rig­kei­ten ge­macht. Ja, wäh­rend dem Krieg sei es gut ge­gan­gen. Der Ar­min habe spä­ter aufs Gym­na­si­um kön­nen nach Bern, nach­dem er hät­te stu­die­ren sol­len. Aber dann sei der große Bank­krach ge­kom­men und die El­tern hät­ten al­les ver­lo­ren. Und dann sei es aus ge­we­sen. Die Mut­ter sei häs­sig ge­wor­den und der Va­ter sei rei­sen ge­gan­gen. Aber er habe we­nig ver­dient. Und al­les sei so teu­er!… Die Mut­ter kön­ne nicht mit dem Geld wirt­schaf­ten, sie gebe im­mer al­les aus für Me­di­zi­nen und sol­ches Zeug. Der On­kel Äsch­ba­cher sei ein oder zwei­mal ein­ge­sprun­gen…«

Die letz­ten Wor­te wa­ren sehr sto­ckend her­aus­ge­kom­men.

»Was ist’s mit dem On­kel Äsch­ba­cher?« frag­te Stu­der.

Schwei­gen…

»Und doch bist du ihn ho­len ge­gan­gen, wie du mich hast zur Frau Hof­mann ge­hen se­hen?«

Viel Qual drück­te das Ge­sicht aus. Stu­der hat­te Mit­leid. Er woll­te nicht wei­ter fra­gen. Nur ei­nes noch:

»Wer ist der Leh­rer Schwomm?«

Son­ja wur­de rot, hol­te Atem, woll­te spre­chen, die Stim­me ver­sag­te, sie hus­te­te, such­te nach ei­nem Ta­schen­tuch, wisch­te sich die Au­gen mit dem Han­drücken, stot­ter­te dann:

»Er ist an der Se­kun­dar­schu­le, er ist Ge­mein­de­schrei­ber, auch Sek­ti­ons­chef, und den ge­misch­ten Chor lei­tet er auch…«

»Dann hat er viel mit dem Ge­mein­de­prä­si­den­ten zu tun? Mit dem ›On­kel‹ Äsch­ba­cher?«

Son­ja nick­te.

»Leb wohl.« Stu­der streck­te ihr die Hand hin. »Und wein’ nicht. Es kommt schon bes­ser.«

»Le­bet wohl, Wacht­meis­ter«, sag­te Son­ja und streck­te ihre klei­ne Hand aus. Die Nä­gel wa­ren sau­ber.

Sie stand nicht auf und ließ Stu­der al­lein hin­aus­ge­hen. Im Haus­gang blieb Stu­der ste­hen und such­te nach sei­nem Schnupf­tuch, fand es nicht, er­in­ner­te sich, dass er es in der Kü­che ge­braucht hat­te, kehr­te an der Hau­stü­re um und be­trat, ohne an­zu­klop­fen, die Kü­che.

Sie war leer. Die Tür zum an­de­ren Zim­mer war of­fen… Vor dem schwe­ren schwar­zen Büf­fet stand Son­ja. Sie hielt die Vase mit den Wachs­ro­sen und dem künst­li­chen Herbst­laub in der Hand und schi­en das Ge­wicht der Vase zu prü­fen. Ihre Au­gen wa­ren auf das Bild des Va­ters ge­rich­tet.

Auf dem Bo­den ne­ben dem Kü­chen­tisch lag Stu­ders Nas­tuch.

Stu­der ging lei­se zum Tisch, hob es auf, schlich zur Türe zu­rück:

»Gut’ Nacht, Meit­schi«, sag­te er.

Son­ja fuhr her­um, stell­te die Vase ab. Sie riss sich zu­sam­men:

»Gut’ Nacht, Wacht­meis­ter…«

Merk­wür­dig, ihr Blick er­in­ner­te Stu­der an den des Bur­schen Schlumpf: Er­stau­nen lag dar­in und viel ver­stock­te Verzweif­lung.