Kitabı oku: «Von Lüneburg bis Langensalza im Krieg 1866», sayfa 2

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3.
Auf der Wanderung nach der Garnison.

Es war im Familienrathe beschlossen worden, daß mein Vater mir bis Lüneburg das Geleite geben sollte.

Also begaben wir Beide uns am folgenden Tage früh Morgens auf die Reise. Bis Harburg, welches etwa 4 bis 5 Meilen entfernt war, gedachten wir zu Fuß zu wandern; von dort wollten wir zur weiteren Reise die Bahn benutzen.

Die Mehrzahl der Eisenbahnlinien, welche jetzt die Heide durchschneiden, war damals noch nicht vorhanden; die Strecke Bremen-Hamburg war allerdings vermessen und von der Regierung genehmigt, aber noch nicht im Bau begriffen. Auf den Landstraßen gab es allerdings Post- und Omnibusfuhrwerke, aber die Fahrzeiten waren meistens auf die Nacht verlegt, auch war das Reisen mit der Post ziemlich kostspielig. Man mußte sich also, besaß man kein eigenes Fuhrwerk, auf Schusters Rappen verlassen. Fußwanderungen von 10 bis 12 Stunden waren nichts Ungewöhnliches; ich selber bin solche und noch weitere Strecken oft in einem Tage marschirt. Die jungen Bursche im Dorfe, welche in Hannover bei den Gardetruppen dienten, legten den 16stündigen Weg bis dahin regelmäßig in einer Tour zu Fuß zurück. Das waren gute Vorübungen, um marschfähige Soldaten zu erzielen, mit denen es möglich war Außerordentliches zu leisten. So legten, wie nebenbei bemerkt werden mag, im Holsteinischen Feldzuge am 29. Mai 1848 die 5. und 7. Compagnie vom Lüneburger Regiment (deren Mannschaften vorwiegend der Heide entstammten), um an dem Gefecht bei der Nübeler Mühle theilnehmen zu können, in 38 Stunden ein Strecke von 26 Stunden Entfernung zurück, ohne daß sie einen einzigen Mann als marode hätten zurücklassen müssen. Eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, daß dieser Marsch bei große Hitze ausgeführt wurde und daß zu damaliger Zeit die Infanterie viel schwerer bepackt war als heutigen Tages.

Es wäre zu wünschen, wenn in unserem Zeitalter, wo die große Mehrzahl der Handwerksgesellen (von den wohlhabenden Classen gar nicht zu reden) mit der Bahn fährt und ein Marsch von wenigen Meilen als eine große Kraftleistung gilt, Gottfried Seumes Wahlspruch: „Vieles ginge besser, wenn man mehr ginge“, wieder beherzigt würde. Man sollte sich darauf besinnen, daß die Natur uns die Füße nicht gab, um sie in modisch enge Stiefelchen einzuzwängen, daß der Mensch nicht lediglich geschaffen ist, um sich von der Locomotive oder von dienstbereiten Vierfüßlern von einem Ort zum anderen schleppen zu lassen. Körper, Geist und Gemüth würden gewinnen und die Menschen sich näher kommen, wenn man wieder mehr auf eigenen Füßen sich einher bewegte, sich die Welt mehr auf freier Wanderung über Berg und Thal, durch Wald und Heide ansähe, als durch die von Staub und Wasserdunst getrübten Fenster eines Eisenbahncoupees.

Früh um fünf Uhr hielten wir unseren Auszug. Ein sonniger, herrlicher Frühlingsmorgen lag über dem Dorfe. Aus den Giebelöffnungen und Schornsteinen der strohgedeckten Häuser stieg blauer Rauch empor, die Pferde wieherten in den Ställen und auf den Hofplätzen und Zäunen krähten lustig die Hähne, umgeben von der gackernden und scharrenden Hühnerschaar; Gänse streckten unter vorlautem Geschnatter die Hälse in schlangenartigen Windungen durch die Lücken der Einfriedungen und hier und da begrüßte uns ein zottiger Hofhund mit fröhlichem Gebell und vertrautem Wedeln des buschigen Schweifes. Oft trat dann der Besitzer des Hauses, durch das Gekläff neugierig gemacht, vor die Thür und frug nach unserem Vorhaben und nach dem Ziel unserer Reise.

Außerhalb des Dorfes, im Felde, wo frischgrüne Saaten sich weithin erstreckten, sowie in der braunen Heide, die uns umgab, als wir Dorf und Feldmark im Rücken hatten, begrüßte uns vielstimmiger Sang munterer Lerchen. Klar und rein, durch keine Wolke getrübt, wölbte sich über uns der blaue Äther. Ein frostiger Hauch hatte vor Sonnenaufgang die während der Nacht aufgestiegenen Wasserdünste zertheilt und zu Boden geschlagen, zu Millionen Tropfen verdichtet hingen die blinkenden Thauperlen an den Spitzen der Grashalme und an den Zweiglein des braunen Heidekrautes.

Durch die Aussicht auf den von allen Seiten sich ankündenden herrlichen Frühlingstag in beste Stimmung versetzt wanderten mein Vater und ich fröhlich unseres Weges. In dem nächsten Dorfe hielten wir eine kurze Rast. Es wohnte dort in einem einsamen Hüttlein unfern des Weges ein altes Mütterlein, die Schwester meines Großvaters. Von ihr mußte noch Abschied genommen werden.

Wir trafen die Großtante am Heerdfeuer. Sie saß auf einem niedrigen strohbeflochtenen Schemel und stocherte mit der Feuerzange in die Asche. Augenscheinlich war sie beschäftigt, sich den Morgencaffee zuzubereiten. Als wir sie begrüßten, sah sie erfreut auf und reichte uns mit einem herzlichen, „Willkommen!“ die Hand. Wir erwiderten den Gruß mit dem herkömmlichen „Dank ok!“ und setzten das Mütterchen sodann von unserem Vorhaben in Kenntniß. Unser Besuch währte jedoch nur kurze Zeit, denn ein weiter Weg lag noch vor uns. Beim Abschiede umfaßte die Greisin mit ihren mageren, knochigen, in einem langen arbeitsvollen Leben rauh und hart gewordenen Händen meine Rechte und redete mit vermahnenden, ernsten Worten auf mich ein, mich dabei gleichzeitig mit ihren klaren Augen so treuherzig-innig anschauend, daß ich ganz bewegt wurde und jene Scene sich meinem Gedächtnis für mein ganzes Leben unauslöschlich einprägte. „Wat Di ok bevörsteiht, min beste Jung,“ – so ungefähr sprach sie – „vergitt Din Heimath un Dinen Gott nich! Wenn Du de twe Deel blos fast hollst, denn kann Di dat nümmer slecht gahn. Ick hev all Veele kennt, de wied in de Weld ’rüm kömen un naher ehr Heimath verachten un öwer datt spotten dä’n, wat jüm in de Jugend lehrt wör, awer ick glöw nich, dat dat en’n Menschen glüklich maken kann. Lewer nich geboren, as Heimath un Gotts Word verloren! Dat pleg ick daför to holen, min Jung. Süh, nu lat Di dat good gahn, min Beste, ick bün nich bang um Di!“

Als die alte Frau damals so zu mir sprach, fühlte ich mich, wie ich bereits erwähnte, zwar ergriffen, aber ich war zu jung und zu unerfahren, mein Sinn war zu sehr auf das Fernliegende, Unbekannte gerichtet, als daß ich die volle Bedeutung dessen, was sie sagte hätte erkennen können. Erst die bittere Erfahrung vieler bewegter Jahre lehrte mich die goldene Wahrheit, welche in jenen schlichten Worten lag, völlig würdigen. Ich hätte der Greisin dann gerne danken mögen, aber längst schlummerte sie unter dem Rasenhügel an der Seite ihrer Vorfahren. Oft noch tritt mir ihr Bild vor Augen: die altersgebeugte, in einfache Volkstracht gekleidete Gestalt, das schmale von in Ehren ergrautem Haar umrahmte Gesicht mit dem Ausdruck innigster Herzensgüte und gläubig-frommer Einfalt – so lebt sie in meiner Erinnerung fort, ein Stück alter, ehrlicher und einfacher Zeit. – – –

Nach mehrstündiger Wanderung erreichten mein Vater und ich das Dorf W... Hier gelangten wir auf die Heerstraße, die Napoleon I. während der Jahre 1811–1813 durch unsere Heide bauen ließ. Vielfach hörte ich in meiner Jugend und auch wohl später noch in gewissen Kreisen die Einrichtungen und Umwälzungen, womit der Völkerunterjocher auch unsere Heimath beglückte, als höchst segensreich für Handel und Verkehr preisen. Jene auf Befehl des Gewalthabers erbaute Straße mußte dann oft als ein Beweis für die cultur- und fortschrittbefördernden Bestrebungen des großen Kaisers dienen. Mein Großvater, der die Zeit der französischen Herrschaft mit durchlebte, wußte allerdings noch eine andere Tonart zu jenem Lobliede. Er meinte, das Gute, was Napoleon uns gebracht habe, wäre auch wohl ohne ihn und mit weniger Ungerechtigkeit und Druck zu uns gekommen. Mein Großvater hatte als 15jähriger Bursche mit an jener Straße arbeiten müssen. Aus den entfernten Dörfern her, aus meilenweiter Runde trieben die Gendarmen die arbeitsfähigen Männer scharenweise herbei und zwangen sie zum Frohndienst für den Staat. Beköstigung mußten die Leute sich selber mitbringen und an Zahlung eines Arbeitslohnes war kein Gedanke. Die Gelder, die der Staat für den Bau hergab, verloren sich in den Taschen der Aufseher und Unternehmer, jener Leute, die in den größeren Dörfern, Flecken und Städten Handel, Verkehr und Gewerbe in den Händen hatten, oder auch bei Zeiten sich im Civildienst einflußreiche Stellungen zu ergattern wußten, mit Hintansetzung alles vaterländischen Gefühls und nach dem weisheitsvollen Grundsatze: Weß Brod ich esse, deß Lied ich singe! Noch heute kennt man in meiner Heimath im Volke die Familien, welche sich damals mit Leichtigkeit in die „unabänderlichen Verhältnisse“ zu schicken und „mit den Thatsachen zu rechnen“ wußten, welche das Gold aufsogen wie der Schwamm das Wasser und welche sich nicht scheuten, sich in gemeinster, oft verbrecherischer Weise und vielfach auf Kosten ihrer eigenen Landsleute zu bereichern, während die Söhne der Bauern, des minder wohlhabenden Bürger- und Handwerkerstandes, sowie des Adels und der treu gebliebenen Familien in weiter Ferne auf spanischen Schlachtfeldern für das Vaterland bluteten und der Befreiung desselben Leben und Gesundheit, Gut und Blut zum Opfer brachten. –

Wir waren also bis zu dem Dorfe W... gekommen und schritten auf der berühmten Landstraße, mit welcher „Bunnepart“ unsere Heide beglückte, wohlgemuth einher. Unmittelbar an der Straße, welches das Dorf der Länge nach durchzieht, liegen mehrere Wirthshäuser. In einem derselben hielten wir Einkehr. Bei einem Glase Braunbier verzehrten wir einen Theil des mitgenommenen Mundvorraths. Der Wirth, ein älterer, freundlicher Mann leistete uns Gesellschaft. Er stand vor dem großen Kachelofen, auf dessen vorderen Eisenplatte in einem Reliefbilde Jacob und Rebecca am Brunnen dargestellt waren. Die Hände hielt der Wirth übereinandergelegt auf dem Rücken, sodaß die lange Pfeife, aus welcher er rauchte, sich selber überlassen war. Wenn er irgend etwas Bedachtsames und Nachdrückliches sagte, so beugte er den langen Oberkörper etwas vorn über und ließ die Pfeife in sanften und gleichmäßigen Schwingungen hin- und herpendeln. Die Einleitung des Gesprächs bildeten selbstverständlich Betrachtungen über das schöne Frühlingswetter. Als dieses Thema nach allen Seiten hin erschöpft war, kamen wir auch auf unser Vorhaben zu sprechen. Unser Wirth, der sich etwas demokratisch angehaucht zeigte, schien meine Absichten gerade nicht sehr beifällig aufzunehmen, das freundliche Lächeln verschwand auf eine Weile aus seinem Gesicht und die Pfeife gerieth in hastigere Schwingungen, er war jedoch viel zu höflich, als daß er uns sein Mißfallen mehr als nöthig war hätte merken lassen.

„Dat wör’n Freegeist, min Jung,“ sagte mein Vater in Bezug auf den Wirth, als wir hernach draußen auf der Landstraße im warmen Sonnenschein weiter wanderten. Ich zerbrach mir nicht den Kopf darüber, was für eine Wesen ich mir unter „Freegeist“ eigentlich vorzustellen hätte; ich gab mich vielmehr ganz der herrlichen Stimmung hin, in welche das herrliche Aprilwetter mich versetzte und freute mich über den Frühlings-Jubelgesang der Lerchen und das überall hervorsproßende erste Grün. Der April des Jahres 1866 war in der That so beständig und schön, wie wir ihn selten zu erleben pflegen. Laubwerk, Gräser und Kräuter hatten sich in Folge des andauernd warmen Wetters außergewöhnlich zeitig entwickelt. Ich erinnere mich noch deutlich, daß die zartgrünen, duftigen Blätter der Birken, mit welchen die Straße zu beiden Seiten bepflanzt war, sich bereits so weit entwickelt hatten, daß der Schatten, den die Baumkronen auf den kiesbestreuten Fußsteig der Straße warfen, fast völlig ohne Lücke war. Das war am 13. April, während ich wieder Jahre erlebt habe, in denen erst kurz vor Pfingsten die Birken grünten.

4.
Einkehr bei Cord Wübbe.

Es war um die Mittagszeit, als wir in einem Föhrenwäldchen hart an der Straße ein Häuschen auftauchen sahen, das uns mit seinem rothen Ziegeldach und seinen blinkenden Fenstern recht einladend grüßte. Es wohnte dort ein Wegbau-Aufseher, welcher meinem Vater von früher her befreundet war. Da es nun in unserm Reiseplane vorgesehen war, daß wir diesem guten Manne einen flüchtigen Besuch abstatten wollten, so unterbrachen wir hier unsere Wanderung.

Cord Wübbe – so hieß unser Freund – war daheim und hieß uns herzlich willkommen. Er war soeben von einer längeren Aufsichtstour zurückgekehrt und stand im Begriff einen Imbiß einzunehmen. Selbstverständlich wurden wir zum Mitessen eingeladen. Bevor wir uns jedoch am Tische niederließen, wandte unser Wirth sich zu einem Eckschränkchen und holte eine dickbauchige Flasche von grünem Glase daraus hervor. Wie er uns in umständlicher Weise erklärte, enthielt die Flasche einen „Bittern“, den er selber unter Benutzung von „negenerlei Krütern“ zusammen destilliert hatte. Es befanden sich darunter, soviel ich mich entsinne, als hauptsächlichste Bestandtheile Heidecker, Johanniskraut, Wermuth, Kalmus, Enzian, Thymian und Hopfenblüthen. Nach Freund Wübbe’s bestimmter Versicherung, war dieser Trank das beste Mittel um einen „schiefsitzendenn“ Magen wieder in die rechte Verfassung zu bringen. Er füllte ein großes blaurandiges Schnapsglas mit diesem Zaubertrank und wir mußten ihn Bescheid thun. Obschon ich in Rücksicht auf meine Jugend zu einer halben Ration begnadigt wurde, so spürte ich den bitteren Geschmack der „neunerlei Kräuter“ dennoch fast neun Stunden lang nachher auf der Zunge.

Beim Frühstückstisch nahm das Gespräch zwischen meinem Vater und dessen Freund bald eine humoristische Färbung an. Sie hatten in F..., einem freundlichen Kirchendorfe und Amtssitz, Jahrelang als Nachbarn Haus an Haus gewohnt und stets gute Freundschaft gehalten. Die Erinnerung an fröhlich verlebte Tage wurde nun wieder einmal gründlich aufgefrischt und manches scherzhafte Ereigniß wurde erzählt und besprochen.

„Weeßt woll noch,“ so begann unter anderem im Laufe des Gespächs Freund Wübbe, sich an meinen Vater wendend, „as wi achtunveertig in’n Eekhagen dat groote Volksfest fier’n un Pastor M. ut W... en Red’holen dä? – Wer trug die Schuld daran, daß die Römer unser Vaterland ungestraft unterjochen durften? so fung de Pastor sien Red’ an un dabi keek he jümmer den Küper Johann Stöckmann, de en Koppsläng öwer all de annern Tohörers wegrecken dä, int Gesicht – Wer war Schuld an jener schmachvollen Erniedrigung? frage ich – – –“

„Se brukt mi nich jümmer so verdächtig antokieken, Herr Pastor,“ röp up enmal Jan Stöckmann, – „ick bün ’r nich mit bi wesen“! – „Ja, de ole Schelm! de ole Stöckmann!“ sagte meine Vater und lachte, daß ihm die Thränen in die Augen traten. – „Kennst Du den Spaß, den he mal mit Pastor W. hatt hett? De Pastor hollt dat enes Dages för sien Pflicht Stöckmanns Johann wegen sien Supen to vermahnen. „Herr Pastor,“ seggt Johann, „ick bin woll en beten sehr tom Drunk geneigt, awer ick kann’t ok laten!“ „Good, Meister Stöckmann,“ seggt de Pastor, „dat freut mi, dat min Wörd nich vergewens to Ihnen spraken sünd.“

Einige Tied danach drippt de Pastor mal mit Johann Stöckmann up en Kinddöp tasamen un dor mutt he to sien Verwunnerung sehn, dat min leewe Johann en Glas Grock na’n annern wegpietscht, as wenn dat blot Water wör. „Stöckmann,“ seggt de Pastor liesen un stött Johann in de Sied, „se hebbt mi doch nülich seggt, se können et laten!“ „Kann ick ok, Herr Pastor,“ seggt Johann un kloppt sick up sein lange Liew, – „hier is noch Platz, hier kann ick enen ganzen Ammer vull laten!“

Unser gastfreundlicher Wirth hatte inzwischen Lagerbier in Flaschen herbeiholen lassen und füllte die Gläser. „Ja,“ fuhr er fort und strich sich schmunzelnd den braunen, buschigen Schnurrbart – „un de Geschicht von den „heemlichen Fehler“ wat wör dat doch man noch? Dat is recht – Johann harr mal för den Amtsauditer Meyer, de jümmer krank wör, en Badewannen makt, awer de Auditer wör flünig verstorwen un harr de Wannen gar nich mehr in Gebruk nehmen könnt. „Wat fang ick mit dat grote Küwen an, Stine? seggt Johann enes Dages to sien Froo. „Will doch mal na den Assesser Grumbart henn un mal hören, wat de dato seggt.“ – De Assesser Grumbart wör nämlich an Auditer Meyer sien Stä’na F ... henn versett’t worrn, he wör awer nich beleewt, wiel he de Lüd, de wat up’n Amt to dohn harrn, jümmer so groff anhalen dä. – „Herr Assesser,“ seggt Stöckmanns Johann to denn Assesser Grumbart, „ick bin darüm her, ick woll Se mal fragen, ob Se nich villicht enen heemlichen Fehler an sick harrn!“ „Was!“ begehrt de Assesser up, „was soll das heißen?! Wie können Sie sich unterstehen, hier solche impertinente Reden zu führen!“ Se verstaht mi nich, Herr Assesser,“ seggt Stöckmanns Johann, „Se möt nämlich weten: ick hew för Ihren Vorgänger Meyer en Küwen makt tom Baden von fiet Foot Läng, he is mi awer leider to fröh storwen, un nu dach ick, wenn mi dat glück, dat Se of enen heemlichen Fehler an Ihren Körper harrn, denn harrn Se dat Küwen ja man gliek mit öwernehmen könnt – ick würr et Ihnen to’n halwen Pries laten.“ – –

Bei solch’ erheiterndem Zwiegespräch waren rasch einige Stunden vergangen und es wurde Zeit, daß mein Vater und ich uns wieder auf den Weg machten. Bevor wir das Heim unseres freundlichen Gastgebers verließen, wurde selbstverständlich noch das Vorhaben besprochen, welches uns zu unserer Reise veranlaßt hatte. Cord Wübbe, der in seiner Jugend in Hannover bei der Artillerie gedient hatte, ließ es sich nicht nehmen, mir allerlei nützliche Winke und Fingerzeige zu ertheilen. An der Gartenpforte verabschiedeten wir uns von unserm liebenswürdigen Wirth und wanderten dann in der Richtung auf Harburg weiter.

Viel Bemerkenswertes bot sich uns nun während der nächsten Stunden nicht dar. Hier und da ein Dorf mit hart an der Straße gelegenen Wirthshäusern, die durch das über der Thür angebrachte Schild und die nie fehlende Pferdekrippe kenntlich waren, Fuhrwerke mancherlei Art und Handwerksburschen, welche uns begegneten, Pflüger auf den Feldern am Wege, die unter der Einwirkung des schönen Frühlingswetters mit den Lerchen um die Wette sangen oder eine lustige Weise pfiffen – das war so ziemlich Alles, was sich unsern Blicken Abwechslungvolles zeigte.

Eine Meile etwa vor Harburg führt die Straße durch waldige Schluchten hindurch und über Höhen und erreicht nahe vor der Stadt ihren Höhepunkt. Von dort sahen wir hinunter auf die Elbniederung mit ihren Marschen und auf die jenseits der Elbe aus einer grauen Schicht von Rauch und Qualm aufsteigenden stolzen Thürme Hamburgs.

Zur Linken hatten wir die hügeligen Waldungen der Haake und vor uns im Grunde lag das Ziel unser Tageswanderung, die Stadt Harburg. Dieselbe trug damals noch nicht so ausgesprochen den Charakter der qualmigen, russigen und schornsteingespickten Fabrikstadt, den sie heutigen Tages angenommen hat. Die „befruchtenden Segnungen einer sich mit Riesenschritten entwickelnde Industrie“ hatten – um mit den Worten eines zeitgemäßen Zeitungsschreibers zu reden – damals die „beengenden Fesseln kleinstädtischer Verhältnisse“ noch nicht völlig gesprengt, wie dies jetzt nach fünfundzwanzig Jahren der Fall ist. Handel, Gewerbe und Schifffahrt und vor allen die Weiterbeförderung der aus dem Inlande sich hier ansammelnden Waaren bildeten damals vorwiegend die Ernährungszweige der Bewohner Harburgs. Die die Stadt durchkreuzenden Hauptstraßen boten damals ein buntbewegtes Bild. Überall traf man auf Fracht- und Omnibusfuhrwerk, Bauernwagen, und Postkutschen – letztere gelenkt von rothröckigen Postillonen und viele Hundert fleißige Hände waren tagtäglich beschäftigt, die mit der Eisenbahn und auf den Landstraßen eintreffenden Kaufmannsgüter und ländlichen Producte jeder Art den zahlreichen Schiffen zuzuführen, welche den Verkehr mit den benachbarten Elbestädten und Hamburg vermittelten.

5.
In Harburg.

In einer Gastwirthschaft an der Schloßstraße in Harburg nahmen wir Quartier für die Nacht. Wir setzten uns bescheiden hinter den langen, grünen Tisch, der fast die ganze Rückwand der nicht sehr großen Schänkstube einnahm und ließen uns ein einfaches Abendessen auftragen, welches uns nach dem langen, anstrengenden Marsch außerordentlich gut mundete.

Zu unserer Linken am Ende des Tisches hatte ein anderer Gast Platz genommen, ein breitschultriger, kräftig gebauter Mann von etwa 30 Jahren mit einem von der Frühlingssonne gebräunten bartlosen Gesicht und kurz geschnittenem braunen Haar: Wie es schien, war der Mann ein Landarbeiter, wie sie zur Frühlings- und Sommerszeit von der Geest aus nach den Elbmarschen zu wandern pflegen, um sich dort mit Graben oder Mähen einen besseren Verdienst zu schaffen, als ihnen daheim in ihrem Heidedorfe geboten werden kann. Ein Spaten, woran eine starke Schnur derart befestigt war, daß dieses friedliche Werkzeug der Agrikultur sich wie ein Gewehr über die Schulter hängen ließ, sowie ein Bündel Wäsche lagen nicht weit vom Sitze des Mannes in einem Winkel des Zimmers. Ein geöffnetes blauleinenes Tuch, welches der Mann vor sich auf dem Tische ausgebreitet hatte, enthielt allerlei in Zeitungspapier gewickelte Eßwaren, und seitwärts auf dem Tische stand ein Glas mit Schnaps und ein mit Bier gefüllter Krug. Wie der Fremde da so am Tischende saß, in der Linken ein großes Stück Speck nebst einem Schnitte Schwarzbrod haltend und mit der Rechten ein Messer handhabend, womit er abwechselnd bald vom Speck, bald vom Brod ein Stück heruntersäbelte, um es dem zermalmenden Gehege seines anscheinend ausgezeichneten Gebisses zu überliefern, machte er ganz den Eindruck eines kerngesunden Naturmenschen, der allen Einflüssen einer „verfeinernden Lebensrichtung“, allen Wirkungen eines „Bedürfnisse schaffenden, veredelnden Cultur-Fortschritts“ bis dahin in erfolgreichster Weise Widerstand geleistet hatte.

Während wir noch mit den letzten Resten unserer Mahlzeit beschäftigt waren, hatte uns gegenüber an dem grünen Tische ein neu hinzugekommener Gast Platz genommen, der seiner Kleidung und seinem wohlgenährten, behäbigen Äußern nach ein Kaufmann oder wohlhabender Bürger sein mußte.

Nachdem dieser neue Gast, der von dem Wirth mit „Herr Isermeyer“ angeredet wurde, bedächtig den Zucker in dem Glase Grog, welches er sich hatte bringen lassen, zerkleinert und einen Schluck des dampfenden Getränkes hinuntergeschlürft hatte, fing er mit meinem Vater ein Gespräch an. Als er durch geschickt gestellte Kreuz- und Querfragen, die mein Vater zwar zurückhaltend aber dennoch wahrheitsgemäß beantwortete, das Nöthige über Ziel und Zweck unserer Reise aus ihm herausgepreßt hatte, schien ein Schatten des Mißbehagens sein rundwulstiges, in der Mitte glattrasiertes, am Rande mit einem Kranz röthlicher Borsten verziertes Gesicht zu umdüstern. Er hielt eine Weile mit Fragen inne, nahm einen zweiten Schluck aus dem Grogglase und zupfte hastig an den Zipfeln seines gesteiften Leinenkragens, der auf beiden Seiten seines Halses in der Form eines ungleichseitigen Dreiecks hervorragte und jenes Halseinzwängungs-Werkzeug bildete, welches man Vatermörder zu nennen pflegt. „Unsinn!“ rief er dann plötzlich aus und warf meinem Vater einen vorwurfsvollen Blick zu ... „Soldat wollen Sie Ihren Sohn werden lassen? Freiwillig eintreten soll er? – Ne, so blau! Lassen Sie ihn meinetwegen alles in der Welt werden, aber nur nicht Soldat. Schicken Sie ihn doch nach Amerika, da kann er sein Glück machen, in einem freien Lande, wo der Eine nicht mehr gilt, wie der Andere, wo es keinen Adel, keine Pfaffen und keine sonstigen Dickköpfe giebt. Soldat! Hä – als ob wir solche Brodfresser, die uns das beste Mark aus den Knochen saugen, nicht schon genug im Lande hätten!“

Mein Vater, der in Folge dieses grimmigen Ausfalls eine Weile ganz verblüfft war, entgegnete dann, als er sich etwas gesammelt hatte, in bescheidenen Worten, daß es Soldaten doch auch geben müsse und er es für einen ganz ehrenwerthen Beruf halte, seinem König und Vaterland als Soldat zu dienen.

„König und Vaterland!“ rief Herr Isermeyer und fuhr mit einem rothseidenen Taschentuch einige Male hastig über die nur noch spärlich von Haaren bestandene obere Fläche seines Schädels. „Wir haben viel zu viel Potentaten und Vaterländer im lieben Deutschland. Gründlich aufräumen müssen wir in der Bude, daß diese erbärmliche Kleinstaaterei aufhört und so etwas nicht wieder vorkommen kann, wie die Geschichte mit dem Neuen Katechismus. Der Adel und die Pfaffen regieren in unserem Lande und der König giebt ihnen in Allem nach. Wohin wäre es mit uns gekommen, wenn wir nicht Männer, wie Bauerschmidt, gehabt hätten, die sich für unsern lutherischen Glauben aufopferten – katholisch hätte man uns gemacht, so wahr wie ich hier sitze! Sehen Sie, so liegt die Sache in Wahrheit. Man kann aber nicht verlangen, daß Sie, mein guter Mann, das wissen, denn was werden Sie in Ihrem Dorfe von der höheren Politik gewahr.“

Mein Vater fühlte sich nicht sicher genug auf dem Gebiete der „höheren Politik“ und des „Kathechismusstreites“, um auf diese Worte etwas erwidern zu können. Da auch Herr Isermeyer nicht weiter sprach, es vielmehr damit genug sein ließ, sich triumphierend im Kreise umzuschauen, so entstand für eine Weile völlige Stille im Zimmer, die nur durch das Geräusch des zuklappenden Taschenmessers unterbrochen wurde, dessen der Fremde, welcher am Ende des Tisches saß, sich beim Essen bedient hatte. Der Mann zog jetzt bedächtiger Miene einen zusammengeschnürten Lederbeutel aus der Tasche und händigte dem Wirth den Betrag für die genossenen Getränke ein, sodann hing er den Spaten über die Schulter, ergriff sein Bündel und machte sich reisefertig. Bevor er jedoch die Gaststube verließ, trat er an Herrn Isermeyer heran. „Dröf ick ok mal en Word spreken, Herr?“ frug er, die rechte Hand auf den Tisch stemmend und sich etwas vornüberbeugend.

„Gewiß, min leewe Mann“, sagte Herr Isermeyer hastig – „Herr Wirth, bringen Se düssen Mann en Glas Grock.“

„Dank veelmals, ick drink kenen Grock. ... Ick woll man blos seggen, ick verstah von Ihr Politik nicks, Herr, ick bin ok von Dörpen, von’n Kaspel Snewern*) * Schneverdingen) bin ick to Hus, awer ick woll man seggen: wi in us’ Hannoverland, meen ick, hebbt noch grad keen Oewerlast un könnt us öwer use Regierung nich beklagen, denn wat Se dor seggt hebbt, Herr, von „kathol’sch wer’n“ dat is ja luter dumm Tüg, dat löwt Se ja sülwst nich. Dat sünd Redensarten, de ward in de Weld settet, üm den gemeenen Mann uptorutschen; dat is achtundveertig ok so wäsen, as de Askaten ’rümreist sünd un Reden hölen un as dat heten hett, Stüern und Afgawen bruk Nüms mehr to betahlen un de Jagd wör free un de König schöll wegjagt wer’n. Süh, ick woll man seggen, ick bin man en ’ringen Mann, awer mi is dat in de School lehrt worr’n, dat wie usen König in Ehren holen un en treu bliewen schöllt, wenn Noth an den Mann tritt, süh, un ick hev minen König ehrlich deent, hev bi de Gardejägers stahn un wer hier wat up den König seggen will, de kriggt dat mit mi to dohn! Verdammt in de Eck! ...“ Hier schlug der Mann vom Kirchspiel Schneverdingen dermaßen mit der Faust auf den Tisch, daß die darauf stehenden Gläser und Schüsseln klirrend in die Höhe fuhren.

„Mak keen Morach, Hinnerk,“ sagte der Wirth, der bislang theilnahmslos hinter der Toonbank gestanden hatte, jetzt aber hervortrat und dem Aufgeregten die Hand auf die Schulter legte und ihn durch gütliches Zureden zu besänftigen suchte. „Man kennt Di ja gar nich wedder, Minsch, Du deihst ja doch süß keen Kind wat. De Sak is dat ja gar nich werth, dat Du dorüm so upbegehren deihst.“

„Wat?! de Sak is dat nich werth?! – De Herr will use Regierung slecht maken un up den König schimpen, wat so’n hartensgooden Mann is! Dat schöll mi nich grillen?! Ick hev öft noog up Posten stahn vör’n Slott in Herrenhusen, un wenn de König Middags mit sienen Adjedanten in den Garden spazieren güng, denn is de mehrmals an mi ’rankamen un hett mi fragt, wo ich to Hus hör, ob min Oellern noch lewwn und so wieder – jüst as wenn ick mit minesglieken snack, so hett de Mann to mi spraken un Mannigeen, de süß keen Recht sinnen könn, de hett et bi den König in Hannover funnen, dat weet ick ut egen Erfahrung – un denn will de Herr hier seggen, den König sien Soldaten de sugt de Uennerdanen dat Mark ut’n Knaken! Süht de Herr mit sien Sweelpans danah ut, as wenn em een dat Mark ut’n Knaken sagen hett, woll ick man seggen – wat?! Verdammt in de Eck! ...“ Wieder fuhr mit einem fürchterlichen Krach die Faust des ehemaligen Gardejägers auf den Tisch hernieder und diesmal in einer so gefährlichen Nähe des Herrn Isermeyer, daß dieser erschrocken in die Höhe fuhr und Hut und Stock ergriff. Mit größter Schnelligkeit war er bestrebt, die offene Thür zu erreichen. Auf der Schwelle drehte er sich um und drohte seinem Gegner mit dem winzigen Rohrstöckchen, welches er in der Hand trug. „Wenn ick mi nich to gebildet höl,“ rief er mit wüthendem Blick, „denn woll ick Ihnen mal up annere Wies’ tor Antword kamen!“

Der Mann aus der Heide wollte auf den Drohenden los, aber der Wirth trat dazwischen und so gewann Herr Isermeyer genügend Zeit, sich in Sicherheit zu bringen und sich gleichzeitig dadurch der Versuchung zu entziehen, gegen die Grundsätze zu sündigen, deren Befolgung die höhere Bildung ihm zur Pflicht machte.

Damit war dieser Zwischenfall erledigt. Die Aufregung des entrüsteten Heidebewohners legte sich sehr rasch, der Humor kam zum Durchbruch, und gab der ganzen Angelegenheit einen passenden Abschluß. Der Wirth lachte, der Schneverdinger lachte und auch mein Vater und ich lachten, natürlich alle auf Kosten des Herrn Isermeyer und über den komischen Anblick, den er gewährte, als er fauchend und prustend und das Spazierstöckchen als Verteidigungswaffe schwingend seinen Rückzug nahm.

Der ehemalige Gardejäger stopfte sich dann in aller Gemüthsruhe eine Pfeife, rückte den auf der Achsel hängenden Spaten zurecht und drückte sein Bündel fester unter den Arm. Er wollte, wie er sagte, noch an demselben Abend nach der Elbinsel „Oßwarder“ hinüber. „Na, Kinners, bliewt munter mit ’nanner! Adjüs ok!“ rief er und dann wandte sich seine breitschultrige Gestalt der Thür zu.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
204 s. 7 illüstrasyon
ISBN:
9783867775229
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Metin
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