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Kitabı oku: «Wachtmeister Studer», sayfa 10

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Endlich, endlich war der Untersuchungsrichter fertig. Es war bei der ganzen Fragerei nichts Wichtiges mehr herausgekommen. Hätte man Sonjas Erzählung auf einer Platte aufgenommen, dachte Studer, so wäre der Eindruck lebendiger gewesen, richtiger als das trockene Protokoll in der indirekten Rede… Sei‘s drum.

»Ich werde natürlich«, sagte der Untersuchungsrichter, nachdem er Sonja (»Du wartest auf mich, Meitschi«, hatte Studer ihr gesagt, »Ich führ‘ dich heim…«) und Schlumpf gnädigst entlassen hatte, »ich werde natürlich mit dem Herrn Staatsanwalt die Sache besprechen, und dann wird einer Haftentlassung des Schlumpf nichts im Wege stehen…«

»Hüten Sie sich, das zu tun, Herr Untersuchungsrichter«, Studer drohte mit dem Finger und ein merkwürdiger Ausdruck saß in seinen Augen. »Lassen Sie den Herrn Staatsanwalt vorläufig ganz aus dem Spiel. Sie brauchen doch Bestätigungen, Sie müssen doch zuerst den Bruder, die Mutter verhören. Sie müssen den Baumschulenbesitzer vorladen. Sie müssen Bestätigungen haben…«

»Aber Studer, um Gottes willen, es ist doch ganz klar, daß es sich um einen Selbstmord handelt… !«

Studer schwieg. Dann sagte er:

»Ich möchte gern den Autodieb sprechen…«

»Ist das nötig?«

»Ja«, sagte Studer.

Der Untersuchungsrichter zuckte die Achseln, als wolle er andeuten, daß man sich allerhand gefallen lassen müsse. Aber er wollte doch einen kleinen Triumph haben, darum sagte er spitz:

»Sie haben vorhin Doktor Locard zitiert, nicht wahr? Aber… Sie…« Vor Studers Blick wußte der Untersuchungsrichter plötzlich nicht weiter. Aber der Wachtmeister sprach den Gedanken seines Gegenübers rücksichtslos aus:

»Sie meinen, ob ich selbst nicht auch ein Halbverrückter bin? Aber mein lieber Herr«, dem Untersuchungsrichter gab es ob dieser Anrede einen kleinen Ruck — diese Familiarität! — wir haben alle einen Vogel im Kopf. Manche haben sogar eine ganze Hühnerfarm…« Der Untersuchungsrichter beeilte sich, auf die Klingel zu drücken…

Der Autodieb

Er sah aus wie eine Kreuzung zwischen Dackel und Windhund. Vom Dackel hatte er die X-Beine und vom Windhund den nach vorne spitz zulaufenden Kopf. Übrigens hieß er Augsburger Hans, fünfmal vorbestraft. Ihm drohte die Versorgung.

Studer kannte ihn, obwohl Augsburger Hans mehr in anderen Kantonen seinem Beruf nachgegangen war — er war Einbrecher, aber ein vom Pech verfolgter, ein kleiner, mieser Dilettant — denn der Wachtmeister hatte ihn auf Anforderung fremder Behörden schnappen müssen…

»Salü, Augsburger«, sagte Studer. Er stand von seinem Platz an der Schreibmaschine auf, ging auf den Eintretenden zu, schüttelte ihm die Hand. Der Polizist an der Tür zeigte ein leichtes Erstaunen, aber Augsburger ließ sich durch die herzliche Begrüßung nicht aus der Ruhe bringen.

»Eh, der Studer!« sagte er. »Grüß-ech, Wachtmeister!«

Dann zum Untersuchungsrichter gewandt:

»Der Wachtmeister ist nämlich ein Gäbige«, sagte der Augsburger. »Einer, mit dem man reden kann. Wachtmeister, habt Ihr eine Zigarette?«

»Ja, wenn du uns nicht anlügst!«

Und Studer blinzelte dem Untersuchungsrichter zu, er solle ihn das Verhör führen lassen. Der Untersuchungsrichter nickte, suchte auf seinem Tisch nach dem Aktendeckel »Augsburger Hans, Autodiebstahl« und reichte ihn dann Studer hin.

Studer blätterte. Nichts Interessantes. »Bei einem vorgeschriebenen Patrouillengang… vor dem Bahnhof… Fahrer angehalten… kein Fahrausweis… handelt sich um einen im Polizei

Anzeiger Ausgeschriebenen… Leistete keinen Widerstand… ließ sich abführ…«

»Ist das Verzeichnis der Effekten, die dem Augsburger abgenommen worden sind, auch bei den Akten?« fragte Studer.

»Doch, ich glaube«, sagte der Untersuchungsrichter und spielte wieder mit seinem Papiermesser.

»Ah, ja, hier«, und Studer las:

»Portemonnaie mit 12.50 Fr. Inhalt.

1 Nastuch

1 Hemd

1 Paar Hosen…«

Und dann stand da:

»1 Browningpistole Kaliber 6,5«…

Was war das?

»Du, Augsburger, das ist bös. Waffentragen? Seit wann hast du einen Revolver? Willst du lebenslänglich erwischen? Hä?«

Aber Augsburger schwieg.

»Ich möcht‘ die Pistole gerne sehen«, sagte Studer.

Der Polizist brachte sie.

»Sie ist geladen«, sagte er.

Studer nahm sie in die Hand, entlud sie. Im Magazin waren noch sechs Patronen, eine im Lauf…

»Hast du eine gebraucht, Augsburger?«

Augsburger schwieg andauernd. Nur die Haut auf der rechten Seite seines Gesichtes zuckte wie bei einem Pferd, das von den Bremsen geplagt wird.

»Nicht einmal geputzt, der Lauf?« Studer sprach immer gedehnter. Der Untersuchungsrichter wurde aufmerksam.

»Sechs Komma fünf«, sagte Studer und nickte. »Das gleiche Kaliber hat die Kugel auch, die in Witschis Kopf stecken geblieben ist…«

»Aber Wachtmeister, wir wissen doch jetzt, daß es ein…«

»Gar nichts wissen wir, Herr Untersuchungsrichter. Wir haben von einem Plan gehört, um auf möglichst rasche Weise zu Geld zu kommen, aber der Plan ist scheinbar nicht so gelungen, wie er hätte ausgeführt werden sollen.« Da Studer sah, daß Augsburger ihm eines seiner großen Ohren zugekehrt hatte, sprach er so dunkel als möglich.

»Ich denke immer an das, was mir der Assistent im Gerichtsmedizinischen vordemonstriert hat. Die Stellung, die der selige Witschi hat einnehmen müssen, um sich gerade hinter das rechte Ohr zu treffen… Das Fehlen von Pulverspuren… zugegeben, daß es möglich war mit Zigarettenblättern, ich glaub‘ es nicht recht, es steckt mehr hinter dem Fall, als wir glauben.«

Studer schwieg unvermittelt. Augsburger hatte die Augen gesenkt.

»Wo warst du die letzten vierzehn Tage?« fragte er plötzlich.

»In… in…«

»Da, nimm eine Zigarette«, sagte Studer freundlich. Es dauerte eine Weile, bis sie brannte.

Schau, Augsburger«, erklärte Studer milde. »Wenn du nicht nachweisen kannst, wo du in der Nacht warst, in der ein gewisser Wendelin Witschi ermordet worden ist, so kann ich dir nur eines sagen: Ich… Aber nein, ich habe dann gar nichts mehr mit dir zu tun. Das Schwurgericht wird dann schon wissen, was es zu tun hat. Es war nämlich ein Raubmord…«

»Aber den hat der Schlumpf doch gestanden!« rief Augsburger.

»Und hat soeben sein Geständnis widerrufen, vielmehr, ich hab‘ ihm bewiesen, daß er unmöglich den Mord hat begehen können. Und dann hat sich noch ein Zeuge gefunden, der beschwört, mit dem Schlumpf zur mutmaßlichen Zeit des Mordes zusammengewesen zu sein.«

»Dann hat er mich angelogen!« sagte Augsburger böse.

»Wer?«

»Der alte Ellenberger.«

»So, und warum hast du in der Samstagnacht das Auto vom Gemeindepräsidenten gestohlen?«

»Es war zu heiß in Gerzenstein«, sagte Augsburger, aber die Unbekümmertheit klang ein wenig gedrückt.

»Und warum bist du gerade auf den Bahnhofplatz gefahren, wo du doch ganz sicher warst, daß ein Polizist dich schnappt?«

»Ich hab mich verirrt, ich wollt nach Interlaken weiterfahren…

»Und da bist du durch die Stadt gefahren, wo doch jedes kleine Kind weiß, daß die Straße oben durchfährt?«

»Ich hab‘ noch etwas trinken wollen…«

Immer zögernder die Antworten.

»Und wo hast du den Browning gestohlen?«

»Den Browning?« Augsburger begann die Fragen zu wiederholen, das war ein gutes Zeichen, Studer wußte, nun hatte er ihn bald. »Den Browning?« Dann sehr schnell:

»Der ist beim alten Ellenberger auf dem Schreibtisch gelegen, dort hab ich ihn genommen…«

»Hm.« Studer schwieg. Es schien zu stimmen. Der alte Ellenberger hatte vor vierzehn Tagen in Bern einen 6,5 Browning gekauft. War es dieser? Den andern hatte der Armin verstecken lassen in der Küche der Frau Hofmann, verstecken durch wen? Das war im Augenblick gleichgültig.

»Du hast beim Ellenberger gewohnt?« fragte Studer wieder.

»Ja.« Augsburger nickte ein paarmal.

»In welchem Zimmer?«

»Oben unter dem Dach.«

»Warum hat dich der Ellenberger aufgenommen?«

»Oh, nur so, aus Mitleid.«

»Hast du die andern gesehen?«

»Selten. Der alte Ellenberger hat mir immer das Essen gebracht.«

Und er hat dir gesagt, du sollst das Auto vom Gemeindepräsidenten stehlen, dich in Thun erwischen lassen und dann versuchen, den Schlumpf zu bestimmen, ein Geständnis abzulegen?«

»Wie? Was?« fragte Augsburger. Er schien ehrlich erschrocken, und doch kam es Studer je länger je mehr vor, als ob der Bursche ein eingelerntes Theater spiele.

Du hast doch dem Schlumpf gesagt, er solle sich gestern zum Verhör melden, und dann dem Untersuchungsrichter sagen, er habe den Witschi umgebracht. Und du hast ihm doch einen sehr zwingenden Grund für dieses Geständnis angeben müssen. Ihm zum Beispiel sagen, man habe entdeckt, daß mit dem Mord nicht alles stimme, daß man an einen Selbstmord glaube und daß die ganze Familie in Gefahr sei, wegen Versicherungsbetrug verhaftet zu werden. Und daß es deshalb am besten sei, wenn der Schlumpf die Sache auf sich nehme. War‘s so? Das darfst du ruhig zugeben, wenn‘s so gewesen ist. Wir brauchen nur den Schlumpf zu fragen.«

»Das hätten wir vorher machen sollen«, sagte der Untersuchungsrichter seufzend. »Aber Sie sind immer so stürmisch, mein lieber Studer, ich komme gar nicht zu Worte.«

»Sie haben selbst gar nicht daran gedacht!« antwortete Studer kurz. »Aber wir können den Schlumpf ja immer noch holen lassen. Eine Konfrontation… Doch bevor wir zu dieser Konfrontation schreiten, habe ich dem Mann da noch ein paar Fragen zu stellen.«

Er schwieg und dachte nach.

»Der Revolver ist bei dir gefunden worden, Augsburger, du wirst nie beweisen können, daß du ihn vom Schreibtisch des alten Ellenberger fortgenommen hast. Das ist dir doch klar, oder? Ellenberger wird es aber leugnen. Du wirst nicht beweisen können, daß du in der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch im Bett gelegen bist. Oder wird der alte Ellenberger dir das bestätigen können?«

»Ich — ich glaub‘ schon.«

»Gut. Also wer hat dir den Auftrag für den Schlumpf gegeben? Red‘ doch.«

»Der — der Armin Witschi…«

»Und du hast sagen sollen, der Auftrag käme von seiner Schwester?«

»Ja.«

»Hast du allein mit ihm gesprochen? Mit dem Armin mein‘ ich?«

»Ja, es war niemand anderer dabei.«

»Woher hast du ihn gekannt?«

»Oh, so… Ich hab ihn gesehen… Früher schon.«

»Ich hätte gerne noch das gestohlene Auto gesehen; aber vielleicht hat es der Herr Gemeindepräsident schon geholt?«

»Ja, gestern.« Der Untersuchungsrichter nickte.

»Desto besser!« meinte Studer. »Sobald ich Neues weiß, berichte ich Ihnen. Übrigens, Sie können den Schlumpf wieder in eine Einzelzelle tun. Er wird nicht mehr probieren, sich aufzuhängen… Wiederluege mitenand!«

Das ›Mitenand‹ bereitete Studer eine besondere Freude.

Er lachte noch still, als er den Gang entlangging, um Sonja abzuholen.

Besuche

Sonjas Hände lagen auf Studers Schultern. Er fand diese Berührung angenehm. Auch hatte es aufgehört zu regnen, der Himmel war weiß. Die Brise wehte kalt, aber Studer fuhr mit dem Wind, da schadete es nicht viel. Ein guter Karren, den sich der Landjäger Murmann da zugelegt hatte. Er machte nicht viel Lärm. Wenn Studer auf die schwarze Asphaltstraße herniedersah, wurde sie von weißen Strichen gemustert. Es wäre alles gut und schön gewesen, aber der Wachtmeister fühlte sich nicht im Blei. Der Kopf schmerzte ihn, außerdem machte sich auf der rechten Seite der Brust, ziemlich weit unten, ein stechender Punkt bemerkbar. Bei der ersten Wirtschaft stoppte Studer, trat ein und bestellte einen Grog. Es war seine Universalmedizin.

»Von wo ist schon die Saaltochter?« fragte er, und die Worte kamen ein wenig schleppend aus seinem Mund.

»Welche Saaltochter?« fragte Sonja.

»Die vom ›Bären‹. Die Freundin von deinem Bruder.«

»Von Zägerschwil. Warum Wachtmeister?«

»Zägerschwil? Ist das weit?«

»Nicht gerade sehr weit«, sagte Sonja. Aber die Wege seien schlecht. Es sei so ein Krachen im Emmental. Auf einem Hügel…«

— Woher sie das wisse? — Armin habe einmal davon er zählt, er sei mit der Saaltochter an einem ihrer freien Tage oben gewesen. — Ja, ob der Armin denn das Meitschi heiraten wolle, es sei doch viel älter als der Bruder. Oder? — Das schon, aber die Eltern hätten Geld — und das Berti habe Erspartes. Armin sei schon ein paarmal bei den Eltern gewesen.

»Wollen wir die Eltern besuchen gehen?« fragte Studer und bestellte noch einen Kaffee-Kirsch. Man mußte sich stärken. Der stechende Punkt verschwand langsam, das Kopfweh hob sich ab und schwebte durch die Luft davon wie eine leichte Kappe, die der Wind fortweht.

»Was wollt ihr dort?« fragte Sonja.

»Du Dumms! Den Armin besuchen. Ich muß ihn doch ein paar Sachen fragen.«

»Meint ihr, er sei…«

»Wo soll er sonst sein? Einen Paß hat er nicht, er ist nicht ins Ausland, vor der Stadt hat er Angst, stimmt‘s?«

Sonja nickte schweigend.

»Dann bleiben also nur die zukünftigen Schwiegereltern. Wie heißen sie?«

Sie hießen Kräienbühl. Warum auch nicht? Berta Witschi-Kräienbühl, das klang gut, das klang solid. Solider als Witschi-Mischler. Es hing wohl sehr vieles von den Namen ab. Studer riß sich zusammen. Was dachte er da für sturms Züüg zusammen. Er griff verstohlen mit der linken Hand an den Puls der Rechten. Ein wenig Fieber sicher. Aber jetzt konnte man sich eben nicht zu Bett legen. Zuerst mußte der Tod dieses Witschi Wendelin aufgeklärt werden. Da gab‘s ke Bire… Witschi-Kräienbühl oder Kräienbühl-Witschi. Einerlei! Nur los. Der Kaffee war gut, sollte man noch einen trinken? Gut. Und Studer trank einen zweiten Kaffee.

Sonja tunkte ein Weggli in ihr Glas, sie aß; natürlich, so ein Meitschi mußte ja Hunger haben.

Sollte man sie zuerst heimfahren? Aber daheim bekam sie doch kein warmes Mittagessen.

»Hast Hunger, Sonja?« fragte Studer. »Wenn du was essen willst, sag‘s nur! Ein Schinkenbrot?« Sonja schüttelte den Kopf.

»Später«, sagte sie.

Kräienbühl-Mischler, Aeschbacher-Ellenberger, Gerber-Murmann… Halt! Wie hieß die Frau des Landjägers mit dem Mädchennamen? Studer probierte so viele Kombinationen durch, daß ihm ganz sturm wurde. Er stand auf.

»Los, gehen wir.« Er hatte Mühe, das Wechselgeld von der Tischplatte aufzuklauben. Aber Sonja half ihm. Es ging.

Und es ging auch weiter gut, sobald er auf dem Sattel von Murmanns Karren hockte. Sonja dirigierte. Es kamen scheußliche Wege, mit tiefen Furchen, der Karren hopste wie bei einer Springkonkurrenz. Studer kam es vor, als fahre er in einem Traum.

Endlich, eine letzte Steigung (von Bangerten aus hatte sich Studer nach dem Weg erkundigen müssen) und sie waren da.

Ein großes Gehöft. Ein altes Einfahrtstor. Es war still. Kein Mensch zu sehen. Studer ging über den Hof, die Tür zur Küche war angelehnt, er klopfte.

»Ja!« rief eine ungeduldige Stimme.

»Grüeß di, Armin«, sagte Studer freundlich. »Die Sonja ist auch mitgekommen.«

Er sah ein wenig zerzaust aus, der Armin Witschi. Die Wellen seiner Haare schichteten sich nicht mehr so triumphierend über der niederen Stirne auf wie früher.

»Der Wachtmeister!« stotterte er.

»Pst!« machte Studer und legte einen Finger auf die Lippen. »Es braucht nicht jedermann zu wissen, daß die Polizei dich besucht. Es ist nur ein Freundschaftsbesuch, weißt, du kannst ruhig da oben bleiben, bis alles sich beruhigt hat. Hört uns niemand?« fragte Studer plötzlich.

Armin schüttelte den Kopf. Jetzt, da er allein war, schien er gar nicht mehr so frech. Kein höhnisches Lächeln war auf seinen Lippen zu sehen. Er war ein gewöhnlicher, ängstlicher Bub, der nur die eine Sehnsucht zu haben schien, eine unangenehme Geschichte so bald als möglich los zu sein.

»Warum bist du fortgelaufen? Weißt, ich hab es gleich gewußt, schon gestern Nachmittag, wie dir die Berta gewunken hat, von der offenen Tür. Aber wozu hast du fünfhundert Franken gebraucht? Hier kannst du doch nichts ausgeben?«

— Er habe weiter wollen, sagte Armin. Weit fort. Er wäre schwarz über die Grenze gegangen nach Paris; dort habe er einen Freund, der hätte ihm dann schon einen Paß besorgt. — Wo denn die Kraienbühls seien? — Beim Bohnensetzen, glaube er, sagte Armin. — Gut! meinte Studer. Das, was er wissen wolle, sei mit ein paar Worten gesagt.

Der Wachtmeister zog sein Notizbuch aus der Tasche. Dabei fühlte er, daß sein Herz hart und sehr schnell schlug — aber es war nicht der Fall Witschi, der dem Wachtmeister Herzklopfen verursachte.

Die Schwester hat schon alles erzählt. Wir wollen schauen, ob wir das mit dem Versicherungsbetrug einrenken können, denn um einen solchen wird es sich wahrscheinlich handeln, wenn… Eben wenn. Aber du mußt mir jetzt klare Auskunft geben: Was hast du damals mit deinem Vater ausgemacht?«

Und Armin Witschi gab anstandslos Auskunft. Er war sehr zahm, schier zu zahm. Aber das war eben immer so bei derartigen Charakteren, dachte Studer. Sie trumpfen auf, wenn sie in Gesellschaft sind, aber wenn man unter vier Augen mit ihnen spricht, so geben sie klein bei…

Der Vater habe sich lange geweigert, einen Unfall vorzutäuschen. Aber schließlich, als der Ellenberger kein Geld mehr geben wollte, als ihnen das Wasser fast an den Mund gestiegen war, da war schließlich der Vater einverstanden gewesen.

Er sollte sich ins Bein schießen, dann warten, bis er, Armin, den Revolver versteckt habe, und dann schreien. Sicher würde jemand kommen, die Baumschulen vom Ellenberger seien ganz in der Nähe des Platzes gewesen, den sie ausgesucht hätten, und dann solle der Vater behaupten, er sei überfallen worden, beraubt.

»Wir haben gemeint, am besten wird es sein, die Sache« (›die Sache!‹ sagte Armin) »am späten Abend zu machen. Dann kann der Vater seine Geschichte erzählen und die Leute werden ihm auch glauben, daß er seinen Angreifer nicht gesehen hat. Dann gibt‘s kein lästiges Gefrage, der Verdacht fällt auf alle Arbeiter des Ellenberger; und die sind ja vorbestraft. Aber es kann ja keinen treffen, denn sie werden ihre Unschuld beweisen können; die Sache wird niedergeschlagen, und die Versicherung zahlt uns das Geld…«

»Hm«, brummte Studer. »Aber dann ist es anders gegangen?«

Wir haben einen Abend festgesetzt, an dem der Vater mit etwas Geld hat heimkommen müssen und haben sogar davon erzählt, das heißt, der Vater hat beim Ellenberger davon gesprochen, während die Arbeiter dabei waren. Das haben wir so ausgemacht. Der Vater hatte einen Browning.«

»Von wem?«

»Der alte Ellenberger hat ihn in der Stadt gekauft…«

»Ist das sicher?«

»Ja. Der alte Ellenberger hat um die Geschichte gewußt. Auch der Onkel Aeschbacher.«

»So?«

»Die Mutter hat‘s ihm erzählt. Er war doch ein Verwandter von ihr.«

»Und Gemeindepräsident…«, sagte Studer leise und wiegte den Kopf hin und her, wie ein alter Jude, dem plötzlich die Bedeutung eines dunklen Talmudsatzes klar geworden ist.

»Ja. Der Vater hat den Browning probiert, Zigarettenblätter in den Lauf geschoppt, bis er gewußt hat, wie man es zu machen hat, daß es keine Pulverspuren gibt. Also, an dem Abend hab‘ ich ihm abgepaßt. Von zehn Uhr an. Ich hab‘ das ›Zehnderli‹ vom Vater gehört, er ist abgestiegen, wie wir es vereinbart hatten, er hat mich gesehen, und mir noch zugewunken, hat neben das Rad seine Brieftasche, seine Uhr, seinen Füllfederhalter…«

»Parker Duofold«, sagte Studer, mit der Stimme eines anpreisenden Verkäufers.

»Richtig. Und dann ist er in den Wald gegangen. Es hat lange gedauert, bis ich den Schuß gehört habe. Und dann war es nicht einer, sondern zwei. Das hat mich gewundert. Denn die Schüsse sind kurz hintereinander gefallen. Ich kam nicht recht draus. Wenn er sich mit dem ersten nicht verwundet hatte, so war es doch eine Dummheit, noch einmal zu schießen, denn das zweite Mal hätte er doch wieder Zigarettenblättli in den Lauf schoppen müssen, und das ging doch eine Weile.«

Schweigen. Sonja seufzte kurz auf, zog ihr verknäueltes Taschentuch hervor und wischte sich die Augen. Studer legte seine Hand über die Hand des Mädchens.

»Nicht weinen, Meitschi«, sagte er. »Es ist wie beim Zahnarzt, nur wenn er die Zange ansetzt, spürt man‘s, nachher geht‘s von selbst.« Sonja mußte ein wenig lächeln.

Im Küchenofen knackte das Holz, von dem Deckel, der eine Pfanne bedeckte, fielen Tropfen auf die Herdplatte und zischten leise. Der Wachstuchüberzug des Tisches, an dem die Drei saßen, fühlte sich speckig und kalt an. Durch die offene Tür sah man ein einsames Huhn, das vergebens versuchte, die Pflastersteine wegzukratzen. Es war sehr emsig, das kleine weiße Huhn, und sehr still…

»Ich ging dann in den Wald. Ich hab den Vater gesucht. Wir hatten den Platz ausgemacht, damit ich nicht zu lange nach dem Revolver zu suchen brauchte. Endlich hab‘ ich den Vater gefunden. Er lag an einer ganz anderen Stelle.«

»An einer andern Stelle? Bist du sicher?«

»Ja, wir hatten eine große Buche als Treffpunkt ausgemacht, aber er lag etwa dreißig Meter davon entfernt unter einer Tanne.«

»Ja, unter einer Tanne. Und das war ein Glück…« sagte Studer leise.

»Warum ein Glück?« fragte Sonja mit erstickter Stimme.

»Weil ich sonst nicht hätte merken können, daß auf der Kutte des Vaters keine Tannennadeln waren.«

Die beiden blickten ihn erstaunt an, aber Studer winkte ab. Der stechende Punkt in der Brust meldete sich wieder, sein Kopf war heiß. Nur jetzt keine Erklärungen geben müssen!…

»Er lag unter der Tanne und hatte einen Schuß hinter dem rechten Ohr. Ich hab‘s gesehen, weil ich eine Taschenlampe mitgenommen hatte. Der Revolver lag neben seiner Hand.«

»Der rechten oder der linken?«

»Wart, Wachtmeister, ich muß nachdenken. Die Arme waren ausgestreckt, zu beiden Seiten des Kopfes, und der Browning lag in der Mitte…«

»Das bringt uns nicht weiter«, sagte Studer.

»Ich hab die Waffe aufgelesen und bin heim. Unterwegs hab ich mir dann überlegt, was wir machen sollen. Der Vater war tot. Vielleicht war das besser für ihn. Ich wußte, daß der Onkel Aeschbacher nur eine Gelegenheit abpaßte, um den Vater nach Hansen oder Witzwil zu versorgen.«

»Hast du die Brieftasche und die andern Sachen gleich aufgehoben, nachdem sie der Vater abgelegt hat?«

»Nein, nicht gleich. Es ist nämlich etwas dazwischengekommen, Ich hab ein Auto näherkommen hören…«

»Von wo kam das Auto, vom Dorf oder von der andern Richtung?«

»Vom Dorf, glaub ich.«

»Glaub ich! Glaub ich! Weißt du das nicht sicher?«

»Nein, denn wie ich‘s gehört hab, bin ich tiefer in den Wald…«

»Bist du auf der Seite gestanden, auf der dein Vater in den Wald ist oder auf der anderen?«

»Auf der anderen, ich hab dann noch die Straße überqueren müssen.«

»Und da war kein Auto mehr da?«

»Nein. Aber es ist etwas Merkwürdiges mit dem Auto losgewesen. Es ist ganz langsam gefahren, das hab ich am Geräusch vom Motor gehört, die Scheinwerfer haben die Straße beleuchtet, und auch den Wald, von weither, und ich hab mich auf den Boden geworfen, um nicht gesehen zu werden. Die Straße macht oben und unten von der Stelle einen Rank, so daß man nicht genau wissen kann, aus welcher Richtung ein Karren kommt«, fügte Armin entschuldigend hinzu.

»Und?«

»Ja, plötzlich ist das Licht von den Scheinwerfern ausgegangen, ich hab den Motor nicht mehr gehört. Ich hab gewartet eine Zeitlang, dann bin ich langsam näher zur Straße gekrochen. Aber da war das Auto verschwunden.«

Der alte Ellenberger besaß eine Camionette zum Transport seiner Hochstämme. Der Ellenberger hatte die Prämien der Lebensversicherung bezahlt…

»Und dann hast du die Sachen, die dein Vater am Waldrand niedergelegt hatte, aufgehoben und bist heimgegangen?«

»Ja.« Armin nickte.

Willst du mich nach Bern begleiten, Meitschi?« fragte Studer. »Ich glaub, wir haben hier alles erfahren, was nötig war.« Er zog seine Uhr. »Um Zwei werden wir wohl dort sein. Wir können dann bei mir daheim essen. Und dann wartest du bei uns zu Hause auf mich. Ich führ dich dann heut abend wieder heim. Apropos, wer hat den Revolver bei der Frau Hofmann versteckt? Der Gerber? Ich hab‘s gedacht…«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
210 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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