Kitabı oku: «Ecce Homo», sayfa 2

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6.

Die Freiheit vom Ressentiment, die Aufklärung über das Ressentiment – wer weiß, wie sehr ich zuletzt auch darin meiner langen Krankheit zu Dank verpflichtet bin! Das Problem ist nicht gerade einfach: man muss es aus der Kraft heraus und aus der Schwäche heraus erlebt haben. Wenn irgend Etwas überhaupt gegen Kranksein, gegen Schwachsein geltend gemacht werden muss, so ist es, daß in ihm der eigentliche Heilinstinkt, das ist der Wehr- und Waffen-Instinkt im Menschen mürbe wird. Man weiß von Nichts loszukommen, man weiß mit Nichts fertig zu werden, man weiß Nichts zurückzustoßen, – Alles verletzt. Mensch und Ding kommen zudringlich nahe, die Erlebnisse treffen zu tief, die Erinnerung ist eine eiternde Wunde. Kranksein ist eine Art Ressentiment selbst. – Hiergegen hat der Kranke nur Ein großes Heilmittel – ich nenne es den russischen Fa[325]talismus, jenen Fatalismus ohne Revolte, mit dem sich ein russischer Soldat, dem der Feldzug zu hart wird, zuletzt in den Schnee legt. Nichts überhaupt mehr annehmen, an sich nehmen, in sich hineinnehmen, – überhaupt nicht mehr reagiren ... Die große Vernunft dieses Fatalismus, der nicht immer nur der Muth zum Tode ist, als lebenerhaltend unter den lebensgefährlichsten Umständen, ist die Herabsetzung des Stoffwechsels, dessen Verlangsamung, eine Art Wille zum Winterschlaf. Ein paar Schritte weiter in dieser Logik, und man hat den Fakir, der wochenlang in einem Grabe schläft ... Weil man zu schnell sich verbrauchen würde, wenn man überhaupt reagirte, reagirt man gar nicht mehr: dies ist die Logik. Und mit Nichts brennt man rascher ab, als mit den Ressentiments-Affekten. Der Ärger, die krankhafte Verletzlichkeit, die Ohnmacht zur Rache, die Lust, der Durst nach der Rache, das Giftmischen in jedem Sinne – das ist für Erschöpfte sicherlich die nachtheiligste Art zu reagiren: ein rapider Verbrauch von Nervenkraft, eine krankhafte Steigerung schädlicher Ausleerungen, zum Beispiel der Galle in den Magen, ist damit bedingt. Das Ressentiment ist das Verbotene an sich für den Kranken – sein Böses: leider auch sein natürlichster Hang. – Das begriff jener tiefe Physiolog Buddha. Seine „Religion", die man besser als eine Hygiene bezeichnen dürfte, um sie nicht mit so erbarmungswürdigen Dingen wie das Christenthum ist, zu vermischen, machte ihre Wirkung abhängig von dem Sieg über das Ressentiment: die Seele davon frei machen – erster Schritt zur Genesung. „Nicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende, durch Freundschaft kommt Feindschaft zu Ende": das steht am Anfang der Lehre Buddha‘s – so redet nicht die Moral, so redet die Physiologie. – Das Ressentiment, aus der [326] Schwäche geboren, Niemandem schädlicher als dem Schwachen selbst, – im andern Falle, wo eine reiche Natur die Voraussetzung ist, ein überflüssiges Gefühl, ein Gefühl, über das Herr zu bleiben beinahe der Beweis des Reichthums ist. Wer den Ernst kennt, mit dem meine Philosophie den Kampf mit den Rach- und Nachgefühlen bis in die Lehre vom „freien Willen" hinein aufgenommen hat – der Kampf mit dem Christenthum ist nur ein Einzelfall daraus – wird verstehn, weshalb ich mein persönliches Verhalten, meine Instinkt-Sicherheit in der Praxis hier gerade an's Licht stelle. In den Zeiten der décadence verbot ich sie mir als schädlich; sobald das Leben wieder reich und stolz genug dazu war, verbot ich sie mir als unter mir. Jener „russische Fatalismus", von dem ich sprach, trat darin bei mir hervor, daß ich beinahe unerträgliche Lagen, Orte, Wohnungen, Gesellschaften, nachdem sie einmal, durch Zufall, gegeben waren, Jahre lang zäh festhielt, – es war besser, als sie ändern, als sie veränderbar zu fühlen, – als sich gegen sie aufzulehnen ... Mich in diesem Fatalismus stören, mich gewaltsam aufwecken nahm ich damals tödtlich übel: – in Wahrheit war es auch jedes Mal tödtlich gefährlich. – Sich selbst wie ein Fatum nehmen, nicht sich „anders" wollen – das ist in solchen Zuständen die große Vernunft selbst.

7.

Ein ander Ding ist der Krieg. Ich bin meiner Art nach kriegerisch. Angreifen gehört zu meinen Instinkten. Feind sein können, Feind sein – das setzt vielleicht eine starke Natur voraus, jedenfalls ist es bedingt in jeder starken Natur. Sie braucht Widerstände, folglich sucht [327] sie Widerstand: das aggressive Pathos gehört ebenso nothwendig zur Stärke als das Rach- und Nachgefühl zur Schwäche. Das Weib zum Beispiel ist rachsüchtig: das ist in seiner Schwäche bedingt, so gut wie seine Reizbarkeit für fremde Noth. – Die Stärke des Angreifenden hat in der Gegnerschaft, die er nöthig hat, eine Art Maaß; jedes Wachsthum verräth sich im Aufsuchen eines gewaltigeren Gegners – oder Problems: denn ein Philosoph, der kriegerisch ist, fordert auch Probleme zum Zweikampf heraus. Die Aufgabe ist nicht, überhaupt über Widerstände Herr zu werden, sondern über solche, an denen man seine ganze Kraft, Geschmeidigkeit und Waffen-Meisterschaft einzusetzen hat, – über gleiche Gegner … Gleichheit vor dem Feinde – erste Voraussetzung zu einem rechtschaffnen Duell. Wo man verachtet, kann man nicht Krieg führen; wo man befiehlt, wo man Etwas unter sich sieht, hat man nicht Krieg zu führen. Meine Kriegs-Praxis ist in vier Sätze zu fassen. Erstens: ich greife nur Sachen an, die siegreich sind, – ich warte unter Umständen, bis sie siegreich sind. Zweitens: ich greife nur Sachen an, wo ich keine Bundesgenossen finden würde, wo ich allein stehe, – wo ich mich allein compromittire … Ich habe nie einen Schritt öffentlich gethan, der nicht compromittirte: das ist mein Kriterium des rechten Handelns. Drittens: ich greife nie Personen an, – ich bediene mich der Person nur wie eines starken Vergrößerungsglases, mit dem man einen allgemeinen, aber schleichenden, aber wenig greifbaren Nothstand sichtbar machen kann. So griff ich David Strauß an, genauer den Erfolg eines altersschwachen Buchs bei der deutschen "Bildung", – ich ertappte diese Bildung dabei auf der That … So griff ich Wagnern an, genauer die Falschheit, die Instinkt-Halb[328]schlächtigkeit unsrer „Cultur", welche die Raffinirten mit den Reichen, die Späten mit den Großen verwechselt. Viertens: ich greife nur Dinge an, wo jedwede Personen-Differenz ausgeschlossen ist, wo jeder Hintergrund schlimmer Erfahrungen fehlt. Im Gegentheil, angreifen ist bei mir ein Beweis des Wohlwollens, unter Umständen der Dankbarkeit. Ich ehre, ich zeichne aus damit, daß ich meinen Namen mit dem einer Sache, einer Person verbinde: für oder wider – das gilt mir darin gleich. Wenn ich dem Christenthum den Krieg mache, so steht dies mir zu, weil ich von dieser Seite aus keine Fatalitäten und Hemmungen erlebt habe, – die ernstesten Christen sind mir immer gewogen gewesen. Ich selber, ein Gegner des Christenthums de rigueur, bin ferne davon, es dem Einzelnen nachzutragen, was das Verhängniß von Jahrtausenden ist. –

8.

Darf ich noch einen letzten Zug meiner Natur anzudeuten wagen, der mir im Umgang mit Menschen keine kleine Schwierigkeit macht? Mir eignet eine vollkommen unheimliche Reizbarkeit des Reinlichkeits-Instinkts, so daß ich die Nähe oder – was sage ich? – das Innerlichste, die „Eingeweide" jeder Seele physiologisch wahrnehme – rieche … Ich habe an dieser Reizbarkeit psychologische Fühlhörner, mit denen ich jedes Geheimniss betaste und in die Hand bekomme: der viele verborgene Schmutz auf dem Grunde mancher Natur, vielleicht in schlechtem Blut bedingt, aber durch Erziehung übertüncht, wird mir fast bei der ersten Berührung schon bewußt. Wenn ich recht beobachtet habe, empfinden solche meiner Reinlichkeit unzuträgliche Naturen die [329] Vorsicht meines Ekels auch ihrerseits: sie werden damit nicht wohlriechender ... So wie ich mich immer gewöhnt habe – eine extreme Lauterkeit gegen mich ist meine Daseins-Voraussetzung, ich komme um unter unreinen Bedingungen –, schwimme und bade und plätschere ich gleichsam beständig im Wasser, in irgend einem vollkommen durchsichtigen und glänzenden Elemente. Das macht mir aus dem Verkehr mit Menschen keine kleine Gedulds-Probe; meine Humanität besteht nicht darin, mitzufühlen, wie der Mensch ist, sondern es auszuhalten, dass ich ihn mitfühle ... Meine Humanität ist eine beständige Selbstüberwindung. – Aber ich habe Einsamkeit nöthig, will sagen, Genesung, Rückkehr zu mir, den Athem einer freien leichten spielenden Luft … Mein ganzer Zarathustra ist ein Dithyrambus auf die Einsamkeit, oder, wenn man mich verstanden hat, auf die Reinheit … Zum Glück nicht auf die reine Thorheit. – Wer Augen für Farben hat, wird ihn diamanten nennen. – Der Ekel am Menschen, am „Gesindel" war immer meine größte Gefahr ... Will man die Worte hören, in denen Zarathustra von der Erlösung vom Ekel redet?

Was geschah mir doch? Wie erlöste ich mich vom Ekel? Wer verjüngte mein Auge? Wie erflog ich die Höhe, wo kein Gesindel mehr am Brunnen sitzt?

Schuf mein Ekel selber mir Flügel und quellenahnende Kräfte? Wahrlich, in's Höchste mußte ich fliegen, daß ich den Born der Lust wiederfände! –

Oh ich fand ihn, meine Brüder! Hier im Höchsten quillt mir der Born der Lust! Und es giebt ein Leben, an dem kein Gesindel mittrinkt!

[330] Fast zu heftig strömst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den Becher wieder, dadurch, daß du ihn füllen willst.

Und noch muß ich lernen, bescheidener dir zu nahen: allzuheftig strömt dir noch mein Herz entgegen:

– mein Herz, auf dem mein Sommer brennt, der kurze, heiße, schwermüthige, überselige: wie verlangt mein Sommer-Herz nach deiner Kühle!

Vorbei die zögernde Trübsal meines Frühlings! Vorüber die Schneeflocken meiner Bosheit im Juni! Sommer wurde ich ganz und Sommer-Mittag. –

– ein Sommer im Höchsten mit kalten Quellen und seliger Stille: oh kommt, meine Freunde, daß die Stille noch seliger werde!

Denn dies ist unsre Höhe und unsre Heimat: zu hoch und steil wohnen wir hier allen Unreinen und ihrem Durste.

Werft nur eure reinen Augen in den Born meiner Lust, ihr Freunde! Wie sollte er darob trübe werden? Entgegenlachen soll er euch mit seiner Reinheit.

Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen Speise bringen in ihren Schnäbeln!

Wahrlich, keine Speise, an der Unsaubere mitessen dürften! Feuer würden sie zu fressen wähnen und sich die Mäuler verbrennen.

Wahrlich, keine Heimstätten halten wir hier bereit für Unsaubere! Eishöhle würde ihren Leibern unser Glück heißen und ihren Geistern!

[331] Und wie starke Winde wollen wir über ihnen leben, Nachbarn den Adlern, Nachbarn dem Schnee, Nachbarn der Sonne: also leben starke Winde.

Und einem Winde gleich will ich einst noch zwischen sie blasen und mit meinem Geiste ihrem Geiste den Athem nehmen: so will es meine Zukunft.

Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen: und solchen Rath räth er seinen Feinden und Allem, was spuckt und speit: hütet euch, gegen den Wind zu speien! ...

Warum ich so klug bin.

[332] Warum ich so klug bin.

1.

– Warum ich Einiges mehr weiß? Warum ich überhaupt so klug bin? Ich habe nie über Fragen nachgedacht, die keine sind, – ich habe mich nicht verschwendet. – Eigentliche religiöse Schwierigkeiten zum Beispiel kenne ich nicht aus Erfahrung. Es ist mir gänzlich entgangen, in wiefern ich „sündhaft" sein sollte. Insgleichen fehlt mir ein zuverlässiges Kriterium dafür, was ein Gewissensbiß ist: nach dem, was man darüber hört, scheint mir ein Gewissensbiß nichts Achtbares ... Ich möchte nicht eine Handlung hinterdrein in Stich lassen, ich würde vorziehn, den schlimmen Ausgang, die Folgen grundsätzlich aus der Werthfrage wegzulassen. Man verliert beim schlimmen Ausgang gar zu leicht den richtigen Blick für Das, was man that: ein Gewissensbiß scheint mir eine Art „böser Blick". Etwas, das fehlschlägt, um so mehr bei sich in Ehren halten, weil es fehlschlug – das gehört eher schon zu meiner Moral. – „Gott", „Unsterblichkeit der Seele", „Erlösung", „Jenseits" lauter Begriffe, denen ich keine Aufmerksamkeit, auch keine Zeit geschenkt habe, selbst als Kind nicht, – ich war vielleicht nie kindlich genug dazu? – Ich kenne den Atheismus durchaus nicht als Ergebniß, noch weniger als Ereigniß: er versteht sich bei mir aus Instinkt. Ich bin zu neugierig, zu fragwürdig, zu übermüthig, um [333] mir eine faustgrobe Antwort gefallen zu lassen. Gott ist eine faustgrobe Antwort, eine Undelicatesse gegen uns Denker –, im Grunde sogar bloß ein faustgrobes Verbot an uns: ihr sollt nicht denken! ... Ganz anders interessirt mich eine Frage, an der mehr das „Heil der Menschheit" hängt, als an irgend einer Theologen-Curiosität: die Frage der Ernährung. Man kann sie sich, zum Handgebrauch, so formuliren: „wie hast gerade du dich zu ernähren, um zu deinem Maximum von Kraft, von Virtù im Renaissance-Stile, von moralinfreier Tugend zu kommen?" – Meine Erfahrungen sind hier so schlimm als möglich; ich bin erstaunt, diese Frage so spät gehört, aus diesen Erfahrungen so spät „Vernunft" gelernt zu haben. Nur die vollkommne Nichtswürdigkeit unsrer deutschen Bildung – ihr „Idealismus" – erklärt mir einigermaaßen, weshalb ich gerade hier rückständig bis zur Heiligkeit war. Diese „Bildung", welche von vornherein die Realitäten aus den Augen verlieren lehrt, um durchaus problematischen, sogenannten „idealen" Zielen nachzujagen, zum Beispiel der „klassischen Bildung": – als ob es nicht von vornherein verurtheilt wäre, „klassisch", und „deutsch" in Einen Begriff zu einigen! Mehr noch, es wirkt erheiternd, – man denke sich einmal einen „klassisch gebildeten" Leipziger! – In der That, ich habe bis zu meinen reifsten Jahren immer nur schlecht gegessen, – moralisch ausgedrückt „unpersönlich", „selbstlos", „altruistisch", zum Heil der Köche und andrer Mitchristen. Ich verneinte zum Beispiel durch Leipziger Küche, gleichzeitig mit meinem ersten Studium Schopenhauer's (1865), sehr ernsthaft meinen „Willen zum Leben". Sich zum Zweck unzureichender Ernährung auch noch den Magen verderben – dies Problem schien mir die genannte Küche zum Verwundern glücklich zu lösen. (Man sagt, 1866 [334] habe darin eine Wendung hervorgebracht –.) Aber die deutsche Küche überhaupt – was hat sie nicht Alles auf dem Gewissen! Die Suppe vor der Mahlzeit (noch in venetianischen Kochbüchern des 16. Jahrhunderts alla tedesca genannt); die ausgekochten Fleische, die fett und mehlig gemachten Gemüse; die Entartung der Mehlspeise zum Briefbeschwerer! Rechnet man gar noch die geradezu viehischen Nachguß-Bedürfnisse der alten, durchaus nicht bloß alten Deutschen dazu, so versteht man auch die Herkunft des deutschen Geistes – aus betrübten Eingeweiden … Der deutsche Geist ist eine Indigestion, er wird mit Nichts fertig. – Aber auch die englische Diät, die, im Vergleich mit der deutschen, selbst der französischen, eine Art „Rückkehr zur Natur", nämlich zum Canibalismus ist, geht meinem eignen Instinkt tief zuwider; es scheint mir, daß sie dem Geist schwere Füße giebt – Engländerinnen-Füße … Die beste Küche ist die Piemont's. – Alkoholika sind mir nachtheilig; ein Glas Wein oder Bier des Tags reicht vollkommen aus, mir aus dem Leben ein „Jammerthal" zu machen, – in München leben meine Antipoden. Gesetzt, daß ich dies ein wenig spät begriff, erlebt habe ich's eigentlich von Kindesbeinen an. Als Knabe glaubte ich, Weintrinken sei wie Tabakrauchen anfangs nur eine Vanitas junger Männer, später eine schlechte Gewöhnung. Vielleicht, dass an diesem herben Urtheil auch der Naumburger Wein mit schuld ist. Zu glauben, dass der Wein erheitert, dazu müsste ich Christ sein, will sagen glauben, was gerade für mich eine Absurdität ist. Seltsam genug, bei dieser extremen Verstimmbarkeit durch kleine, stark verdünnte Dosen Alkohol, werde ich beinahe zum Seemann, wenn es sich um starke Dosen handelt. Schon als Knabe hatte ich hierin meine Tapferkeit. Eine lange [335] lateinische Abhandlung in Einer Nachtwache niederzuschreiben und auch noch abzuschreiben, mit dem Ehrgeiz in der Feder, es meinem Vorbilde Sallust in Strenge und Gedrängtheit nachzuthun und einigen Grog von schwerstem Kaliber über mein Latein zu gießen, dies stand schon, als ich Schüler der ehrwürdigen Schulpforta war, durchaus nicht im Widerspruch zu meiner Physiologie, noch vielleicht auch zu der des Sallust – wie sehr auch immer zur ehrwürdigen Schulpforta … Später, gegen die Mitte des Lebens hin, entschied ich mich freilich immer strenger gegen jedwedes „geistige" Getränk: ich, ein Gegner des Vegetarierthums aus Erfahrung, ganz wie Richard Wagner, der mich bekehrt hat, weiß nicht ernsthaft genug die unbedingte Enthaltung von Alcoholicis allen geistigeren Naturen anzurathen. Wasser thut's ... Ich ziehe Orte vor, wo man überall Gelegenheit hat, aus fließenden Brunnen zu schöpfen (Nizza, Turin, Sils); ein kleines Glas läuft mir nach wie ein Hund. In vino veritas: es scheint, dass ich auch hier wieder über den Begriff „Wahrheit" mit aller Welt uneins bin: – bei mir schwebt der Geist über dem Wasser … Ein paar Fingerzeige noch aus meiner Moral. Eine starke Mahlzeit ist leichter zu verdauen als eine zu kleine. Daß der Magen als Ganzes in Thätigkeit tritt, erste Voraussetzung einer guten Verdauung. Man muß die Größe seines Magens kennen. Aus gleichem Grunde sind jene langwierigen Mahlzeiten zu widerrathen, die ich unterbrochne Opferfeste nenne, die an der table d'hôte. – Keine Zwischenmahlzeiten, keinen Café: Café verdüstert. Thee nur morgens zuträglich. Wenig, aber energisch; Thee sehr nachtheilig und den ganzen Tag ankränkelnd, wenn er nur um einen Grad zu schwach ist. Jeder hat hier sein Maaß, oft zwischen den engsten und delikatesten Grenzen. [336] In einem sehr agaçanten Klima ist Thee als Anfang unräthlich: man soll eine Stunde vorher eine Tasse dicken entölten Cacao's den Anfang machen lassen. – So wenig als möglich sitzen; keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung, – in dem nicht auch die Muskeln ein Fest feiern. Alle Vorurtheile kommen aus den Eingeweiden. – Das Sitzfleisch – ich sagte es schon einmal – die eigentliche Sünde wider den heiligen Geist. –

2.

Mit der Frage der Ernährung ist nächstverwandt die Frage nach Ort und Klima. Es steht Niemandem frei, überall zu leben; und wer große Aufgaben zu lösen hat, die seine ganze Kraft herausfordern, hat hier sogar eine sehr enge Wahl. Der klimatische Einfluß auf den Stoffwechsel, seine Hemmung, seine Beschleunigung, geht so weit, daß ein Fehlgriff in Ort und Klima Jemanden nicht nur seiner Aufgabe entfremden, sondern ihm dieselbe überhaupt vorenthalten kann: er bekommt sie nie zu Gesicht. Der animalische vigor ist nie groß genug bei ihm geworden, daß jene in’s Geistigste überströmende Freiheit erreicht wird, wo Jemand erkennt: das kann ich allein ... Eine zur schlechten Gewohnheit gewordne noch so kleine Eingeweide-Trägheit genügt vollständig, um aus einem Genie etwas Mittelmäßiges, etwas „Deutsches", zu machen; das deutsche Klima allein ist ausreichend, um starke und selbst heroisch angelegte Eingeweide zu entmuthigen. Das tempo des Stoffwechsels steht in einem genauen Verhältniß zur Beweglichkeit oder Lahmheit der Füße des Geistes; der „Geist" selbst ist ja nur eine Art dieses Stoffwechsels. Man stelle sich die Orte zusammen, [337] wo es geistreiche Menschen giebt und gab, wo Witz, Raffinement, Bosheit zum Glück gehörten, wo das Genie fast nothwendig sich heimisch machte: sie haben alle eine ausgezeichnet trockne Luft. Paris, die Provence, Florenz, Jerusalem, Athen – diese Namen beweisen Etwas: das Genie ist bedingt durch trockne Luft, durch reinen Himmel, – das heißt durch rapiden Stoffwechsel, durch die Möglichkeit, große, selbst ungeheure Mengen Kraft sich immer wieder zuzuführen. Ich habe einen Fall vor Augen, wo ein bedeutend und frei angelegter Geist bloß durch Mangel an Instinkt-Feinheit im Klimatischen eng, verkrochen, Specialist und Sauertopf wurde. Und ich selber hätte zuletzt dieser Fall werden können, gesetzt, dass mich nicht die Krankheit zur Vernunft, zum Nachdenken über die Vernunft in der Realität gezwungen hätte. Jetzt, wo ich die Wirkungen klimatischen und meteorologischen Ursprungs aus langer Übung an mir als an einem sehr feinen und zuverlässigen Instrumente ablese und bei einer kurzen Reise schon, etwa von Turin nach Mailand, den Wechsel in den Graden der Luftfeuchtigkeit physiologisch bei mir nachrechne, denke ich mit Schrecken an die unheimliche Tatsache, daß mein Leben bis auf die letzten zehn Jahre, die lebensgefährlichen Jahre, immer sich nur in falschen und mir geradezu verbotenen Orten abgespielt hat. Naumburg, Schulpforta, Thüringen überhaupt, Leipzig, Basel, Venedig – ebenso viele Unglücks-Orte für meine Physiologie. Wenn ich überhaupt von meiner ganzen Kindheit und Jugend keine willkommne Erinnerung habe, so wäre es eine Thorheit, hier sogenannte „moralische" Ursachen geltend zu machen, – etwa den unbestreitbaren Mangel an zureichender Gesellschaft: denn dieser Mangel besteht heute wie er immer bestand, ohne daß er mich hinderte, [338] heiter und tapfer zu sein. Sondern die Unwissenheit in physiologicis – der verfluchte „Idealismus" – ist das eigentliche Verhängniß in meinem Leben, das überflüssige und Dumme darin, Etwas, aus dem nichts Gutes gewachsen, für das es keine Ausgleichung, keine Gegenrechnung giebt. Aus den Folgen dieses „Idealismus" erkläre ich mir alle Fehlgriffe, alle großen Instinkt-Abirrungen und „Bescheidenheiten" abseits der Aufgabe meines Lebens, zum Beispiel, dass ich Philologe wurde – warum zum Mindesten nicht Arzt oder sonst irgend etwas Augen-Aufschließendes? In meiner Basler Zeit war meine ganze geistige Diät, die Tages-Eintheilung eingerechnet, ein vollkommen sinnloser Mißbrauch außerordentlicher Kräfte, ohne eine irgendwie den Verbrauch deckende Zufuhr von Kräften, ohne ein Nachdenken selbst über Verbrauch und Ersatz. Es fehlte jede feinere Selbstigkeit, jede Obhut eines gebieterischen Instinkts, es war ein Sich-gleich-setzen mit Irgendwem, eine „Selbstlosigkeit", ein Vergessen seiner Distanz, – Etwas, das ich mir nie verzeihe. Als ich fast am Ende war, dadurch das sich fast am Ende war, wurde ich nachdenklich über diese Grund-Unvernunft meines Lebens – den „Idealismus". Die Krankheit brachte mich erst zur Vernunft. –

3.

Die Wahl in der Ernährung; die Wahl von Klima und Ort; – das Dritte, worin man um keinen Preis einen Fehlgriff thun darf, ist die Wahl seiner Art Erholung. Auch hier sind je nach dem Grade, in dem ein Geist sui generis ist, die Grenzen des ihm Erlaubten, das heißt Nützlichen, eng und enger. In meinem Fall gehört alles Lesen zu meinen Erholungen: folglich zu dem, was [339] mich von mir losmacht, was mich in fremden Wissenschaften und Seelen spazieren gehn lässt, – was ich nicht mehr ernst nehme. Lesen erholt mich eben von meinem Ernste. In tief arbeitsamen Zeiten sieht man keine Bücher bei mir: ich würde mich hüten, Jemanden in meiner Nähe reden oder gar denken zu lassen. Und das hieße ja lesen ... Hat man eigentlich beobachtet, daß in jener tiefen Spannung, zu der die Schwangerschaft den Geist und im Grunde den ganzen Organismus verurtheilt, der Zufall, jede Art Reiz von außen her zu vehement wirkt, zu tief „einschlägt"? Man muss dem Zufall, dem Reiz von außen her so viel als möglich aus dem Wege gehn; eine Art Selbst-Vermauerung gehört zu den ersten Instinkt-Klugheiten der geistigen Schwangerschaft. Werde ich es erlauben, daß ein fremder Gedanke heimlich über die Mauer steigt? – Und das hieße ja lesen... Auf die Zeiten der Arbeit und Fruchtbarkeit folgt die Zeit der Erholung; heran mit euch, ihr angenehmen, ihr geistreichen, ihr gescheuten Bücher! – Werden es deutsche Bücher sein? ... Ich muss ein Halbjahr zurückrechnen, daß ich mich mit einem Buch in der Hand ertappe. Was war es doch? – Eine ausgezeichnete Studie von Victor Brochard, les Sceptiques Grecs, in der auch meine Laertiana gut benutzt sind. Die Skeptiker, der einzige ehrenwerthe Typus unter dem so zwei- bis fünfdeutigen Volk der Philosophen! ... Sonst nehme ich meine Zuflucht fast immer zu den selben Büchern, einer kleinen Zahl im Grunde, den gerade für mich bewiesenen Büchern. Es liegt vielleicht nicht in meiner Art, Viel und Vielerlei zu lesen: ein Lesezimmer macht mich krank. Es liegt auch nicht in meiner Art, Viel oder Vielerlei zu lieben. Vorsicht, selbst Feindseligkeit gegen neue Bücher gehört eher schon zu meinem Instinkte, als „Toleranz", „lar-[340] geur du coeur" und andre „Nächstenliebe" ... Im Grunde ist es eine kleine Anzahl älterer Franzosen, zu denen ich immer wieder zurückkehre: ich glaube nur an französische Bildung und halte Alles, was sich sonst in Europa „Bildung" nennt, für Mißverständniß, nicht zu reden von der deutschen Bildung … Die wenigen Fälle hoher Bildung, die ich in Deutschland vorfand, waren alle französischer Herkunft, vor Allem Frau Cosima Wagner, bei weitem die erste Stimme in Fragen des Geschmacks, die ich gehört habe. – Daß ich Pascal nicht lese, sondern liebe, als das lehrreichste Opfer des Christenthums, langsam hingemordet, erst leiblich, dann psychologisch, die ganze Logik dieser schauderhaftesten Form unmenschlicher Grausamkeit; daß ich Etwas von Montaigne's Muthwillen im Geiste, wer weiß? vielleicht auch im Leibe habe; daß mein Artisten-Geschmack die Namen Molière, Corneille und Racine nicht ohne Ingrimm gegen ein wüstes Genie wie Shakespeare in Schutz nimmt: das schließt zuletzt nicht aus, daß mir nicht auch die allerletzten Franzosen eine charmante Gesellschaft wären. Ich sehe durchaus nicht ab, in welchem Jahrhundert der Geschichte man so neugierige und zugleich so delikate Psychologen zusammenfischen könnte, wie im jetzigen Paris: ich nenne versuchsweise – denn ihre Zahl ist gar nicht klein – die Herrn Paul Bourget, Pierre Loti, Gyp, Meilhac, Anatole France, Jules Lemaître, oder um Einen von der starken Rasse hervorzuheben, einen echten Lateiner, dem ich besonders zugethan bin, Guy de Maupassant. Ich ziehe diese Generation, unter uns gesagt, sogar ihren großen Lehrern vor, die allesammt durch deutsche Philosophie verdorben sind: Herr Taine zum Beispiel durch Hegel, dem er das Mißverständniß großer Menschen und Zeiten verdankt. So weit Deutschland [341] reicht, verdirbt es die Cultur. Der Krieg erst hat den Geist in Frankreich „erlöst" … Stendhal, einer der schönsten Zufälle meines Lebens – denn Alles, was in ihm Epoche macht, hat der Zufall, niemals eine Empfehlung mir zugetrieben – ist ganz unschätzbar mit seinem vorwegnehmenden Psychologen-Auge, mit seinem Thatsachen-Griff, der an die Nähe des größten Thatsächlichen erinnert (ex ungue Napoleonem –); endlich nicht am Wenigsten als ehrlicher Atheist, eine in Frankreich spärliche und fast kaum auffindbare spezies, – Prosper Mérimée in Ehren … Vielleicht bin ich selbst auf Stendhal neidisch? Er hat mir den besten Atheisten-Witz weggenommen, den gerade ich hätte machen können: „die einzige Entschuldigung Gottes ist, daß er nicht existirt" … Ich selbst habe irgendwo gesagt: was war der größte Einwand gegen das Dasein bisher? Gott …

4.

Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich Heine gegeben. Ich suche umsonst in allen Reichen der Jahrtausende nach einer gleich süßen und leidenschaftlichen Musik. Er besaß jene göttliche Bosheit, ohne die ich mir das Vollkommne nicht zu denken vermag, – ich schätze den Werth von Menschen, von Rassen darnach ab, wie nothwendig sie den Gott nicht abgetrennt vom Satyr zu verstehen wissen. – Und wie er das Deutsche handhabt! Man wird einmal sagen, daß Heine und ich bei weitem die ersten Artisten der deutschen Sprache gewesen sind – in einer unausrechenbaren Entfernung von Allem, was bloße Deutsche mit ihr gemacht haben. – Mit Byrons Manfred muss ich tief verwandt sein: ich fand alle diese Abgründe in mir, – mit drei-[342] zehn Jahren war ich für dies Werk reif. Ich habe kein Wort, bloß einen Blick für die, welche in Gegenwart des Manfred das Wort Faust auszusprechen wagen. Die Deutschen sind unfähig jedes Begriffs von Größe: Beweis Schumann. Ich habe eigens, aus Ingrimm gegen diesen süßlichen Sachsen, eine Gegenouvertüre zum Manfred componirt, von der Hans von Bülow sagte, dergleichen habe er nie auf Notenpapier gesehn: das sei Nothzucht an der Euterpe. – Wenn ich meine höchste Formel für Shakespeare suche, so finde ich immer nur die, dass er den Typus Cäsar concipirt hat. Dergleichen erräth man nicht, – man ist es oder man ist es nicht. Der große Dichter schöpft nur aus seiner Realität – bis zu dem Grade, dass er hinterdrein sein Werk nicht mehr aushält … Wenn, ich einen Blick in meinen Zarathustra geworfen habe, gehe ich eine halbe Stunde im Zimmer auf und ab, unfähig, über einen unerträglichen Krampf von Schluchzen Herr zu werden. – Ich kenne keine herzzerreißendere Lektüre als Shakespeare: was muß ein Mensch gelitten haben, um dergestalt es nöthig zu haben, Hanswurst zu sein! – Versteht man den Hamlet? Nicht der Zweifel, die Gewißheit ist Das, was wahnsinnig macht ... Aber dazu muß man tief, Abgrund, Philosoph sein, um so zu fühlen... Wir fürchten uns Alle vor der Wahrheit ... Und, daß ich es bekenne: ich bin dessen instinktiv sicher und gewiß, daß Lord Bacon der Urheber, der Selbstthierquäler dieser unheimlichsten Art Litteratur ist: was geht mich das erbarmungswürdige Geschwätz amerikanischer Wirr- und Flachköpfe an? Aber die Kraft zur mächtigsten Realität der Vision ist nicht nur verträglich mit der mächtigsten Kraft zur That, zum Ungeheuren der That, zum Verbrechen – sie setzt sie selbst voraus … Wir wissen lange nicht [343] genug von Lord Bacon, dem ersten Realisten in jedem grossen Sinn des Wortes, um zu wissen, was er Alles gethan, was er gewollt, was er mit sich erlebt hat ... Und zum Teufel, meine Herrn Kritiker! Gesetzt, ich hätte meinen Zarathustra auf einen fremden Namen getauft, zum Beispiel auf den von Richard Wagner, der Scharfsinn von zwei Jahrtausenden hätte nicht ausgereicht, zu errathen, daß der Verfasser von „Menschliches, Allzumenschliches" der Visionär des Zarathustra ist ...

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