Kitabı oku: «Der Antichrist», sayfa 4
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Der Instinkt-Haß gegen die Realität: Folge einer extremen Leid— und Reizfähigkeit, welche überhaupt nicht mehr „berührt“ werden will, weil sie jede Berührung zu tief empfindet.
Die Instinkt-Ausschließung aller Abneigung, aller Feindschaft, aller Grenzen und Distanzen im Gefühl: Folge einer extremen Leid— und Reizfähigkeit, welche jedes Widerstreben, Widerstreben-müssen bereits als unerträgliche Unlust (das heißt als schädlich, als vom Selbsterhaltungs-Instinkte widerraten) empfindet und die Seligkeit (die Lust) allein darin kennt, nicht mehr, niemandem mehr, weder dem Übel noch dem Bösen, Widerstand zu leisten, — die Liebe als einzige, als letzte Lebens-Möglichkeit ...
Dies sind die zwei physiologischen Realitäten, auf denen, aus denen die Erlösungs-Lehre gewachsen ist. Ich nenne sie eine sublime Weiter-Entwicklung des Hedonismus auf durchaus morbider Grundlage. Nächstverwandt, wenn auch mit einem großen Zuschuß von griechischer Vitalität und Nervenkraft, bleibt ihr der Epikureismus, die Erlösungs-Lehre des Heidentums. Epikur ein typischer décadent: zuerst von mir als solcher erkannt. — Die Furcht vor Schmerz, selbst vor dem Unendlich-Kleinen im Schmerz — sie kann gar nicht anders enden als in einer Religion der Liebe ...
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Ich habe meine Antwort auf das Problem vorweg gegeben. Die Voraussetzung für sie ist, daß der Typus des Erlösers uns nur in einer starken Entstellung erhalten ist. Diese Entstellung hat an sich viel Wahrscheinlichkeit: ein solcher Typus konnte aus mehreren Gründen nicht rein, nicht ganz, nicht frei von Zutaten bleiben. Es muß sowohl das Milieu, in dem sich diese fremde Gestalt bewegte, Spuren an ihm hinterlassen haben, als noch mehr die Gemeinde, das Schicksal der ersten christlichen Gemeinde: aus ihm wurde, rückwirkend, der Typus mit Zügen bereichert, die erst aus dem Kriege und zu Zwecken der Propaganda verständlich werden. Jene seltsame und kranke Welt, in die uns die Evangelien einführen — eine Welt, wie aus einem russischen Romane, in der sich Auswurf der Gesellschaft, Nervenleiden und „kindliches“ Idiotentum ein Stelldichein zu geben scheinen — muß unter allen Umständen den Typus vergröbert haben: die ersten Jünger insonderheit übersetzten ein ganz in Symbolen und Unfaßlichkeiten schwimmendes Sein erst in die eigne Krudität, um überhaupt etwas davon zu verstehn, — für sie war der Typus erst nach einer Einformung in bekanntere Formen vorhanden ... Der Prophet, der Messias, der zukünftige Richter, der Morallehrer, der Wundermann, Johannes der Täufer — ebenso viele Gelegenheiten, den Typus zu verkennen ... Unterschätzen wir endlich das proprium aller großen, namentlich sektiererischen Verehrung nicht: sie löscht die originalen, oft peinlich-fremden Züge und Idiosynkrasien an dem verehrten Wesen aus — sie sieht sie selbst nicht. Man hätte zu bedauern, daß nicht ein Dostoiewsky in der Nähe dieses interessantesten décadent gelebt hat, ich meine, jemand, der gerade den ergreifenden Reiz einer solchen Mischung von Sublimem, Krankem und Kindlichem zu empfinden wußte. Ein letzter Gesichtspunkt: der Typus könnte, als décadence-Typus, tatsächlich von einer eigentümlichen Vielheit und Widersprüchlichkeit gewesen sein: eine solche Möglichkeit ist nicht völlig auszuschließen. Trotzdem rät alles ab von ihr: gerade die Überlieferung würde für diesen Fall eine merkwürdig treue und objektive sein müssen: wovon wir Gründe haben das Gegenteil anzunehmen. Einstweilen klafft ein Widerspruch zwischen dem Berg-, See— und Wiesen-Prediger, dessen Erscheinung wie ein Buddha auf einem sehr wenig indischen Boden anmutet, und jenem Fanatiker des Angriffs, dem Theologen— und Priester-Todfeind, den Renans Bosheit als „le grand maître en ironie“ verherrlicht hat. Ich selber zweifle nicht daran, daß das reichliche Maß Galle (und selbst von esprit) erst aus dem erregten Zustand der christlichen Propaganda auf den Typus des Meisters übergeflossen ist: man kennt ja reichlich die Unbedenklichkeit aller Sektierer, aus ihrem Meister sich ihre Apologie zurecht zu machen. Als die erste Gemeinde einen richtenden, hadernden, zürnenden, bösartig spitzfindigen Theologen nötig hatte, gegen Theologen, schuf sie sich ihren „Gott“ nach ihrem Bedürfnisse: wie sie ihm auch jene völlig unevangelischen Begriffe, die sie jetzt nicht entbehren konnte, „Wiederkunft“, „jüngstes Gericht“, jede Art zeitlicher Erwartung und Verheißung, ohne Zögern in den Mund gab. —
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Ich wehre mich, nochmals gesagt, dagegen, daß man den Fanatiker in den Typus des Erlösers einträgt: das Wort impérieux, das Renan gebraucht, annulliert allein schon den Typus. Die „gute Botschaft“ ist eben, daß es keine Gegensätze mehr gibt; das Himmelreich gehört den Kindern; der Glaube, der hier laut wird, ist kein erkämpfter Glaube, — er ist da, er ist von Anfang, er ist gleichsam eine ins Geistige zurückgetretene Kindlichkeit. Der Fall der verzögerten und im Organismus unausgebildeten Pubertät, als Folgeerscheinung der Degenereszenz, ist wenigstens den Physiologen vertraut. — Ein solcher Glaube zürnt nicht, tadelt nicht, wehrt sich nicht: er bringt nicht „das Schwert“, — er ahnt gar nicht, inwiefern er einmal trennen könnte. Er beweist sich nicht, weder durch Wunder, noch durch Lohn und Verheißung, noch gar „durch die Schrift“: er selbst ist jeden Augenblick sein Wunder, sein Lohn, sein Beweis, sein „Reich Gottes“. Dieser Glaube formuliert sich auch nicht, — er lebt, er wehrt sich gegen Formeln. Freilich bestimmt der Zufall der Umgebung, der Sprache, der Vorbildung einen gewissen Kreis von Begriffen: das erste Christentum handhabt nur jüdisch-semitische Begriffe (— das Essen und Trinken beim Abendmahl gehört dahin, jener von der Kirche, wie alles Jüdische, so schlimm mißbrauchte Begriff). Aber man hüte sich, darin mehr als eine Zeichenrede, eine Semiotik, eine Gelegenheit zu Gleichnissen zu sehn. Gerade, daß kein Wort wörtlich genommen wird, ist diesem Anti-Realisten die Vorbedingung, um überhaupt reden zu können. Unter Indern würde er sich der Sankhyam-Begriffe, unter Chinesen der des Laotse bedient haben — und keinen Unterschied dabei fühlen. — Man könnte, mit einiger Toleranz im Ausdruck, Jesus einen „freien Geist“ nennen — er macht sich aus allem Festen nichts: das Wort tötet, alles, was fest ist, tötet. Der Begriff der Erfahrung „Leben“, wie er sie allein kennt, widerstrebt bei ihm jeder Art Wort, Formel, Gesetz, Glaube, Dogma. Er redet bloß vom Innersten: „Leben“ oder „Wahrheit“ oder „Licht“ ist sein Wort für das Innerste, — alles übrige, die ganze Realität, die ganze Natur, die Sprache selbst, hat für ihn bloß den Wert eines Zeichens, eines Gleichnisses. — Man darf sich an dieser Stelle durchaus nicht vergreifen, so groß auch die Verführung ist, welche im christlichen, will sagen kirchlichen Vorurteil liegt: ein solcher Symboliker par excellence steht außerhalb aller Religion, aller Kult-Begriffe, aller Historie, aller Naturwissenschaft, aller Welt-Erfahrung, aller Kenntnisse, aller Politik, aller Psychologie, aller Bücher, aller Kunst, — sein „Wissen“ ist eben die reine Torheit darüber, daß es etwas dergleichen gibt. Die Kultur ist ihm nicht einmal von Hörensagen bekannt, er hat keinen Kampf gegen sie nötig, — er verneint sie nicht ... Dasselbe gilt vom Staat, von der ganzen bürgerlichen Ordnung und Gesellschaft, von der Arbeit, vom Kriege, — er hat nie einen Grund gehabt, „die Welt“ zu verneinen, er hat den kirchlichen Begriff „Welt“ nie geahnt ... Das Verneinen ist eben das ihm ganz Unmögliche —. Insgleichen fehlt die Dialektik, es fehlt die Vorstellung davon, daß ein Glaube, eine „Wahrheit“ durch Gründe bewiesen werden könnte (— seine Beweise sind innere „Lichter“, innere Lustgefühle und Selbstbejahungen, lauter „Beweise der Kraft“ —). Eine solche Lehre kann auch nicht widersprechen: sie begreift gar nicht, daß es andre Lehren gibt, geben kann, sie weiß sich ein gegenteiliges Urteilen gar nicht vorzustellen ... Wo sie es antrifft, wird sie aus innerstem Mitgefühle über „Blindheit“ trauern — denn sie sieht das „Licht“ —, aber keinen Einwand machen ...
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In der ganzen Psychologie des „Evangeliums“ fehlt der Begriff Schuld und Strafe; insgleichen der Begriff Lohn. Die „Sünde“, jedwedes Distanz-Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist abgeschafft, — eben das ist die „frohe Botschaft“. Die Seligkeit wird nicht verheißen, sie wird nicht an Bedingungen geknüpft: sie ist die einzige Realität — der Rest ist Zeichen, um von ihr zu reden ...
Die Folge eines solchen Zustandes projiziert sich in eine neue Praktik, die eigentlich evangelische Praktik. Nicht ein „Glaube“ unterscheidet den Christen: der Christ handelt, er unterscheidet sich durch ein andres Handeln. Daß er Dem, der böse gegen ihn ist, weder durch Wort, noch im Herzen Widerstand leistet. Daß er keinen Unterschied zwischen Fremden und Einheimischen, zwischen Juden und Nicht-Juden macht („der Nächste“ eigentlich der Glaubensgenosse, der Jude). Daß er sich gegen niemanden erzürnt, niemanden geringschätzt. Daß er sich bei Gerichtshöfen weder sehn läßt, noch in Anspruch nehmen läßt („nicht schwören“). Daß er sich unter keinen Umständen, auch nicht im Falle bewiesener Untreue des Weibes, von seinem Weibe scheidet. — Alles im Grunde Ein Satz, alles Folgen Eines Instinkts. —
Das Leben des Erlösers war nichts andres als diese Praktik, — sein Tod war auch nichts andres ... Er hatte keine Formeln, keinen Ritus für den Verkehr mit Gott mehr nötig, — nicht einmal das Gebet. Er hat mit der ganzen jüdischen Buß— und Versöhnungs-Lehre abgerechnet; er weiß, wie es allein die Praktik des Lebens ist, mit der man sich „göttlich“, „selig“, „evangelisch“, jederzeit ein „Kind Gottes“ fühlt. Nicht „Buße“, nicht „Gebet um Vergebung“ sind Wege zu Gott: die evangelische Praktik allein führt zu Gott, sie eben ist „Gott“! — Was mit dem Evangelium abgetan war, das war das Judentum der Begriffe „Sünde“, „Vergebung der Sünde“, „Glaube“, „Erlösung durch den Glauben“, — die ganze jüdische Kirchen-Lehre war in der „frohen Botschaft“ verneint.
Der tiefe Instinkt dafür, wie man leben müsse, um sich „im Himmel“ zu fühlen, um sich „ewig“ zu fühlen, während man sich bei jedem andern Verhalten durchaus nicht „im Himmel“ fühlt: dies allein ist die psychologische Realität der „Erlösung“. — Ein neuer Wandel, nicht ein neuer Glaube ...
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Wenn ich irgend etwas von diesem großen Symbolisten verstehe, so ist es Das, daß er nur innere Realitäten als Realitäten, als „Wahrheiten“ nahm, — daß er den Rest, alles Natürliche, Zeitliche, Räumliche, Historische nur als Zeichen, als Gelegenheit zu Gleichnissen verstand. Der Begriff „des Menschen Sohn“ ist nicht eine konkrete Person, die in die Geschichte gehört, irgend etwas Einzelnes, Einmaliges, sondern eine „ewige“ Tatsächlichkeit, ein von dem Zeitbegriff erlöstes psychologisches Symbol. Dasselbe gilt noch einmal, und im höchsten Sinne, von dem Gott dieses typischen Symbolisten, vom „Reich Gottes“, vom „Himmelreich“, von der „Kindschaft Gottes“. Nichts ist unchristlicher als die kirchlichen Kruditäten von einem Gott als Person, von einem „Reich Gottes“, welches kommt, von einem „Himmelreich“ jenseits, von einem „Sohne Gottes“, der zweiten Person der Trinität. Dies alles ist — man vergebe mir den Ausdruck — die Faust auf dem Auge — o auf was für einem Auge! — des Evangeliums: ein welthistorischer Zynismus in der Verhöhnung des Symbols ... Aber es liegt ja auf der Hand, was mit dem Zeichen „Vater“ und „Sohn“ angerührt wird — nicht auf jeder Hand, ich gebe es zu: mit dem Wort „Sohn“ ist der Eintritt in das Gesamt-Verklärungs-Gefühl aller Dinge (die Seligkeit) ausgedrückt, mit dem Wort „Vater“ dieses Gefühl selbst, das Ewigkeits-, das Vollendungs-Gefühl. — Ich schäme mich daran zu erinnern, was die Kirche aus diesem Symbolismus gemacht hat: hat sie nicht eine Amphitryon-Geschichte an die Schwelle des christlichen „Glaubens“ gesetzt? Und ein Dogma von der „unbefleckten Empfängnis“ noch obendrein? ... Aber damit hat sie die Empfängnis befleckt —
Das „Himmelreich“ ist ein Zustand des Herzens, — nicht etwas, das „über die Erde“ oder „nach dem Tode“ kommt. Der ganze Begriff des natürlichen Todes fehlt im Evangelium: der Tod ist keine Brücke, kein Übergang, er fehlt, weil einer ganz andern, bloß scheinbaren, bloß zu Zeichen nützlichen Welt zugehörig. Die „Todesstunde“ ist kein christlicher Begriff, — die „Stunde“, die Zeit, das physische Leben und seine Krisen sind gar nicht vorhanden für den Lehrer der „frohen Botschaft“ ...
Das „Reich Gottes“ ist nichts, das man erwartet; es hat kein Gestern und kein Übermorgen, es kommt nicht in „tausend Jahren“, — es ist eine Erfahrung an einem Herzen; es ist überall da, es ist nirgends da ...
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Dieser „frohe Botschafter“ starb wie er lebte, wie er lehrte — nicht um „die Menschen zu erlösen“, sondern um zu zeigen, wie man zu leben hat. Die Praktik ist es, welche er der Menschheit hinterließ: sein Verhalten vor den Richtern, vor den Häschern, vor den Anklägern und aller Art Verleumdung und Hohn, — sein Verhalten am Kreuz. Er widersteht nicht, er verteidigt nicht sein Recht, er tut keinen Schritt, der das Äußerste vom ihm abwehrt, mehr noch, er fordert es heraus ... Und er bittet, er leidet, er liebt mit denen, in denen, die ihm Böses tun ... Die Worte zum Schächer am Kreuz enthalten das ganze Evangelium. „Das ist wahrlich ein göttlicher Mensch gewesen, ein „Kind Gottes“ sagt der Schächer. „Wenn du dies fühlst — antwortet der Erlöser — so bist du im Paradiese, so bist auch du ein Kind Gottes ...“ Nicht sich wehren, nicht zürnen, nicht verantwortlich-machen ... Sondern auch nicht dem Bösen widerstehn, — ihn lieben ...
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— Erst wir, wir freigewordenen Geister, haben die Voraussetzung dafür, etwas zu verstehn, das neunzehn Jahrhunderte mißverstanden haben, — jene Instinkt und Leidenschaft gewordene Rechtschaffenheit, welche der „heiligen Lüge“ noch mehr als jeder andern Lüge den Krieg macht ... Man war unsäglich entfernt von unsrer liebevollen und vorsichtigen Neutralität, von jener Zucht des Geistes, mit der allein das Erraten so fremder, so zarter Dinge ermöglicht wird: man wollte jederzeit, mit einer unverschämten Selbstsucht, nur seinen Vorteil darin, man hat aus dem Gegensatz zum Evangelium die Kirche aufgebaut ...
Wer nach Zeichen dafür suchte, daß hinter dem großen Welten-Spiel eine ironische Göttlichkeit die Finger handhabe, er fände keinen kleinen Anhalt in dem ungeheuren Fragezeichen, das Christentum heißt. Daß die Menschheit vor dem Gegensatz dessen auf den Knien liegt, was der Ursprung, der Sinn, das Recht des Evangeliums war, daß sie im Begriff „Kirche“ gerade Das heilig gesprochen hat, was der „frohe Botschafter“ als unter sich, als hinter sich empfand — man sucht vergebens nach einer größeren Form welthistorischer Ironie —-
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— Unser Zeitalter ist stolz auf seinen historischen Sinn: wie hat es sich den Unsinn glaublich machen können, daß an dem Anfange des Christentums die grobe Wuntertäter— und Erlöser-Fabel steht, — und daß alles Spirituale und Symbolische erst eine spätere Entwicklung sei? Umgekehrt: die Geschichte des Christenstums — und zwar vom Tode am Kreuze an — ist die Geschichte des schrittweise immer gröberen Mißverstehens eines ursprünglichen Symbolismus. Mit jeder Ausbreitung des Christentums über noch breitere, noch rohere Massen, denen die Voraussetzungen immer mehr abgingen, aus denen es geboren ist, wurde es nötiger, das Christentum zu vulgarisieren, zu barbarisieren, — es hat Lehren und Riten aller unterirdischen Kulte des imperium Romanum, es hat den Unsinn aller Arten kranker Vernunft in sich eingeschluckt. Das Schicksal des Christentums liegt in der Notwendigkeit, daß sein Glaube selbst so krank, so niedrig und vulgär werden mußte, als die Bedürfnisse krank, niedrig und vulgär waren, die mit ihm befriedigt werden sollten. Als Kirche summiert sich endlich die kranke Barbarei selbst zur Macht, — die Kirche, diese Todfeindschaftsform zu jeder Rechtschaffenheit, zu jeder Höhe der Seele, zu jeder Zucht des Geistes, zu jeder freimütigen und gütigen Menschlichkeit. — Die christlichen — die vornehmen Werte: erst wir, wir freigewordnen Geister, haben diesen größten Wert-Gegensatz, den es gibt, wiederhergestellt! —
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— Ich unterdrücke an dieser Stelle einen Seufzer nicht. Es gibt Tage, wo mich ein Gefühl heimsucht, schwärzer als die schwärzeste Meloncholie — die Menschen-Verachtung. Und damit ich keinen Zweifel darüber lasse, was ich verachte, wen ich verachte: der Mensch von heute ist es, der Mensch, mit dem ich verhängnisvoll gleichzeitig bin. Der Mensch von heute — ich ersticke an seinem unreinen Atem ... Gegen das Vergangne bin ich, gleich allen Erkennenden, von einer großen Toleranz, das heißt großmütigen Selbstbezwingung: ich gehe durch die Irrenhaus-Welt ganzer Jahrtausende, heiße sie nun „Christentum“, „christlicher Glaube“, „christliche Kirche“, mit einer düsteren Vorsicht hindurch, — ich hüte mich, die Menschheit für ihre Geisteskrankheiten verantwortlich zu machen. Aber mein Gefühl schlägt um, bricht heraus, sobald ich in die neuere Zeit, in unsre Zeit eintrete. Unsre Zeit ist wissend... Was ehemals bloß krank war, heute ward es unanständig, — es ist unanständig, heute Christ zu sein. Und hier beginnt mein Ekel. Ich sehe mich um: es ist kein Wort von Dem mehr übriggeblieben, was ehemals „Wahrheit“ hieß, wir halten es nicht mehr aus, wenn ein Priester das Wort „Wahrheit“ auch nur in den Mund nimmt. Selbst bei dem bescheidensten Anspruch auf Rechtschaffenheit muß man heute wissen, daß ein Theologe, ein Priester, ein Papst mit jedem Satz, den er spricht, nicht nur irrt, sondern lügt, — daß es ihm nicht mehr freisteht, aus „Unschuld“, aus „Unwissenheit“ zu lügen. Auch der Priester weiß, so gut es jedermann weiß, daß es keinen „Gott“ mehr gibt, keine „Sünder“, keinen „Erlöser“, — daß „freier Wille“, „sittliche Weltordnung“ Lügen sind: — der Ernst, die tiefe Selbstüberwindung des Geistes erlaubt niemandem mehr, hierüber nicht zu wissen ... Alle Begriffe der Kirche sind erkannt als Das, was sie sind, als die bösartigste Falschmünzerei, die es gibt, zum Zweck, die Natur, die Natur-Werte zu entwerten; der Priester selbst ist erkannt als Das, was er ist, als die gefährlichste Art Parasit, als die eigentliche Giftspinne des Lebens ... Wir wissen, unser Gewissen weiß es heute —, was überhaupt jene unheimlichen Erfindungen der Priester und der Kirche wert sind, wozu sie dienten, mit denen jener Zustand von Selbstschändung der Menschheit erreicht worden ist, der Ekel vor ihrem Anblick machen kann — die Begriffe „Jenseits“, „Jüngstes Gericht“, „Unsterblichkeit der Seele“, die „Seele“ selbst: es sind Folter-Instrumente, es sind Systeme von Grausamkeiten, vermöge deren der Priester Herr wurde, Herr blieb ... Jedermann weiß das: und trotzdem bleibt alles beim Alten. Wohin kam das letzte Gefühl von Anstand, von Achtung vor sich selbst, wenn unsre Staatsmänner sogar, eine sonst sehr unbefangene Art Mensch und Antichristen der Tat durch und durch, sich heute noch Christen nennen und zum Abendmahl gehn? ... Ein junger Fürst an der Spitze seiner Regimenter, prachtvoll als Ausdruck der Selbstsucht und Selbstüberhebung seines Volks, — aber, ohne jede Scham, sich als Christen bekennend! ... Wen verneint denn das Christentum? was heißt es „Welt“? Daß man Soldat, daß man Richter, daß man Patriot ist; daß man sich wehrt; daß man auf seine Ehre hält; daß man seinen Vorteil will; daß man stolz ist... Jede Praktik jedes Augenblicks, jeder Instinkt, jede zur Tat werdende Wertschätzung ist heute antichristlich: was für eine Mißgeburt von Falschheit muß der moderne Mensch sein, daß er sich trotzdem nicht schämt, Christ noch zu heißen! —