Kitabı oku: «Die Vier-in-einem-Perspektive», sayfa 7
»Schaffen wir einen neuen Menschentyp«. Von Ford zu Hartz
Revolution – dieses einmal kämpferische, mit Hoffnung und Schrecken besetzte Wort wurde längst weichgeklopft, breitgetreten, ins Beliebige verformt. Es kann ein neues Waschmittel ankündigen oder jede andere Ware bis hin zu Regierungshandeln: Ist die diskutierte Rentenreform nicht auch eine Revolution? Peter Hartz, ehemaliger Vorsitzender der gleichnamigen Kommission in der rot-grünen Regierung, legte in einem 2001 publizierten Buch den projektierten Arbeitsplätzen diesen Namen an: Job-Revolution. Obwohl das Buch im Verlag der FAZ erschien und von dort genügend Publicity bekam, sind die Vorhersagen, Methoden, Ziele kaum öffentlich diskutiert8. Da aber das Vorhaben weiterhin Grundlage von Regierungspolitik ist, legen wir es hier auf den Prüfstein. Das Buch spricht ganz offensichtlich im Zeitgeist. Es betreibt die ganz und gar ruchlose Verwandlung aller Worte in Waren, die im ständigen Ausverkauf noch um Marktvorherrschaft streiten. Das beginnt ja sogleich im Titel, den nicht zu beachten die Sache ins Halbbewusste schiebt. Revolution, gerade noch eine Metapher für Ausbruch und Aufbruch, Gewalt gegen zu lange ertragenes Unrecht, Blutbad und endlich Gerechtigkeit – in Begleitung eines Jobs rutscht die Auflehnung in die Niederungen von Arbeitssuche und Kräfteverbrauch, in die Verschiebung des Lebens auf die Zeit danach. Bei Hartz ist das Gegenteil gemeint. Die Verbindung von Job und Revolution veredelt den Job, er ist die Form, in der Arbeit unaufhörlich im Aufbruch ist, der Einzelne sich neu erfindet, Unternehmer ist. Die versprochene revolutionäre Dynamik setzt sich fort in Ausstattung, Kapitelüberschriften, farbig hervorgehobenen Versprechen und Tabellen noch und noch. Ohne Zweifel finden wir uns im Bereich der Werbung, des Buhlens um Kundschaft, die um ihr Begehren noch nicht weiß.
Der Autor ist seit 1976 Arbeitsdirektor im Personalmanagement, ab 1993 Vorstandsmitglied der Volkswagen AG, auch hier Arbeitsdirektor. Er übernahm den Vorsitz in der nach ihm benannten Kommission im August 2002. Er spricht von oben und vom Standpunkt der Wirtschaft über Arbeitsplätze und ihre Vermehrung – insofern ist von vornherein klar, dass es sich weder um ein wissenschaftliches Sachbuch noch um ein Gutachten handelt, gleichwohl bringt die Lektüre eine doppelte Überraschung. Das Buch kommt aus der unverhüllten, Sprache missbrauchenden, redundanten und schreienden Werbung nicht heraus, und dennoch ist dies der Grundstein, das Zeugnis, die Legitimation und fachkundige Beratung für die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung Deutschland: das Hartzmodell. Insofern lesen wir das Buch nicht nur als Vorschlag für Arbeitsmarktpolitik, sondern auch als Aufbruch in eine neue politische Kultur.
Das Fernsehen hat seine Zuschauer erzogen. Ein Film in einem Privatsender etwa wird von den sich stets wiederholenden Werbestücken unterbrochen, in denen einem suggestiv durch Farbenreichtum, Anmut, Exotik, Atmosphäre wie in einem Reiseprospekt und kurze Handlungsgags der Genuss einer bestimmten Kaffeemarke, eines Haarwaschmittels oder einer Fertignahrung geboten wird. Die untermalende Musik mischt sich mit den strahlenden Augen der schönen und jungen Menschen in der Werbehandlung – all dies ist lange schon Brauch und schon vielfach analysiert. Neu ist, dass es immer die gleichen Stücke sind, die durch solch einen Film ziehen wie ein Nummerngirl, sodass man in eine Art Trance gerät und das beleidigte und überdrüssige Bewusstsein anfangen muss, diese kleinen Handlungsstücke selbsttätig in den Film zu verweben und das Ganze als Unterhaltung zu verbrauchen, deren Informationen sich vielleicht zu Kaufentscheidungen sedimentieren. Dies ist Vorbild und Muster für unsere neue politische Kultur, wie sie im Buch von Peter Hartz vorgeführt ist.
Prüfen wir die Konstruktion eines solchen rhetorischen ›Nummerngirls‹, das mit besonderer Suggestivkraft Zustimmung organisiert: die Berechnung der Arbeitszeiten. Man kennt die Rede von der Zwei-Drittel-Gesellschaft als Drohung einer strukturellen Arbeitslosigkeit und Aussonderung eines Drittels der Bevölkerung aus aktiver Teilhabe. Hartz rechnet mit der damit verbundenen Angsthaltung und baut auf ihr die Legitimation für seine Vorschläge. Aber er dreht den Spieß um: Wir leben in einer 10-Prozent-Gesellschaft. »Der Anteil der Lebensarbeitszeit am Leben ist bereits unter 10 Prozent gesunken« (20). Kein Wunder, wenn das System in Krise ist. Der Trick dieser überraschenden Berechnung steckt im Wort »Leben«. Hartz konzipiert den Menschen als eine Maschine, die rund um die Uhr und ihr ganzes Leben arbeiten könnte. Dann begibt er sich an die Berechnung der Stillstandszeiten und kann erkennen, dass diese Maschine nicht ausgelastet ist.
»40 volle Jahre im Beruf mit durchschnittlich 1.400 Stunden effektiver Jahresarbeitszeit bei 80 Jahren Lebenserwartung (mal 8.760 Stunden pro Jahr) sind gerade einmal 8 Prozent des Lebens.« (20)
Auf dieser Grundlage, die fortan durch das gesamte Buch geistert, kann Hartz Zumutbarkeiten diktieren, alternative Nutzung vorschlagen, Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit anmahnen. Bei 8 Prozent kann sich keine Arbeiterklasse mehr denken, keine Gewerkschaft auftrumpfen. Arbeit ist zur Nebensache geworden. Gegenargumente werden durch Unterbieten erstickt:
»Zusammenfassend lässt sich kalkulieren, dass ein durchschnittlicher Arbeitnehmer faktisch nicht mehr als 5 % seines Lebens für den eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familie arbeitet« (48).
Der Boden ist bereitet, das ganz Andere zu wollen. Hartz arbeitet mit den Gefühlen derer, die Veränderung vorhatten. Er übernimmt die Hoffnungsworte der sozialen Bewegungen und fügt aus ihnen das neue Angebot des »Unternehmers« zusammen, der ein jeder durch Wortzauber fortan sein kann:
»Arbeitszeitsouveränität – das Ende der Arbeitszeiterfassung ist der erste Schritt zu einer neuen Mündigkeit: Zeiten selbst organisieren, statt Auftrag und Aufgabe abzuarbeiten. Vertrauensarbeit ist der zweite Schritt: Ziele setzen und Erfolg abfordern, statt Details zu planen. Die Revolution beginnt mit dem dritten Schritt: Arbeit wird neu definiert: Sie umfasst wieder ein ganzheitliches Stück Leben: lernen, produzieren, kommunizieren. Etwas bewegen! […] Die zukünftige Arbeit bekommt den Motivator: ›Beweg etwas – du kannst es!‹ Der Unternehmer vor Ort nimmt das Schicksal seiner Beschäftigung mit in die Hand. […] Diese Neudefinition der Arbeit wird ein beherrschendes Thema der Zukunft.« (21)
Gramsci nennt solches Vorgehen eine »passive Revolution«. Die Utopie wird ins Diesseits geholt und erscheint genau dort, wo es uns an den Kragen geht. Diese Verwandlung, bei Hartz »Flucht nach vorn« genannt, verlangt Sportsgeist. Es gilt, die »Unbequemlichkeit der Zukunft sportlich auszuhalten« (25).
Trotz seiner 5-bis-10-Prozent-Diagnose schließt sich Hartz nicht so ohne weiteres dem Chor der Verabschieder der Arbeitsgesellschaft an. Das Problem ist komplizierter. Was verschwunden ist, zumindest weitgehend, sei die Kopplung von Arbeit und Ausbeutung (ebd.). Und insofern die ›neue Arbeit‹ also ein begehrtes Gut ist, können von den Arbeitsplätzen her Forderungen gestellt werden. Dies scheint auf der einen Seite angemessen, ist aber zugleich der Beginn der Einsetzung der Arbeitsplätze als eigentliche Subjekte der Verhältnisse, denen sich die Arbeitenden unterzuordnen haben. Das ist das zweite Nummerngirl, das durch das gesamte Buch zieht: die Rede vom »Arbeitsplatz, der einen Kunden hat«. »Im erfolgreichen Unternehmen sitzt der Kunde im Bewusstsein mit am Tisch – von der Produktdefinition bis zur Tarifverhandlung.« (U. a. 30) – Ich komme darauf zurück.
Mit diesen Voraussetzungen stellt sich Hartz das zu lösende Problem des Arbeitsmarktes als Effekt des Umbruchs der Produktionsweise: Ohne Umschweife sieht er die Vergangenheit als Taylorismus-Fordismus mit den entsprechenden Produktivkräften. Ihm ist man nun entkommen, ebenso wie der Lohnarbeit überhaupt und dem Kapitalismus.
»[Jetzt] ist der ganze Mensch gefragt, mit seinen individuellen Möglichkeiten, seiner Offenheit, seinem Talent und seiner Leidenschaft, zu lernen, zu entdecken, etwas zu entwickeln und weiterzugeben. Es lebe der kreative Unterschied. Wir lassen den Taylorismus hinter uns.« (16)
Unter dem Titel »Fortschritt durch Mündigkeit« inszeniert Hartz geradezu eine Orgie an Zukunftsversprechen, in denen sich Befreiungshoffnungen unlösbar mit Werbesprüchen vermählen und dies zugleich als eine Art Lebensgefühl vorgestellt wird, untermalt mit Sprachfetzen der Jugendkulturen. Das »Selbst« tritt in beliebigen Verbindungen (mit -organisation, -disposition-, -ständigkeit usw.) in den Vordergrund, bis es zum Herrn der Schöpfung mutiert, wenigstens in Worten:
»die Welt wird komponierbar: Gene und Moleküle liefern das Design für die übernächste Produktgeneration. Bio- und Nanotechnologien erweitern die Revolution der Informationstechnologie zu einer neuen technischen Plattform für zukünftige Gesellschaften. Janus grüßt den Fortschritt. Am Ende von E-Business und E-Commerce steht die weltweite Vernetzung der Wirtschaft – ein sehr viele Lebensvorgänge begleitendes Econet. Die Informationstechnologie wird unausweichlich, sich im Internet zu bewegen zur vierten Kulturfertigkeit […] Feuer für jede Fantasie. (16 f)
Die Einstimmung in den Aufbruch wird weiter mit der Anrufung im Allgemeinen positiv besetzter Worte und Vorstellungen organisiert – Mitbestimmung, Familie, Zuhause, Vertrauen, Kompetenz, Souveränität (überall im Buch, u. a. 87) –, die darum die erhoffte Wirkung erzielen können und zugleich schal werden, unbrauchbar, bis man selbst sprachlos wird. Hartz thematisiert solchen Verlust als Realentwicklung. Mitbestimmung etwa ist für ihn zur »realen Utopie« geworden, was meine: »Die Wirklichkeit hat die Vorstellung noch ›getoppt‹« (105), denn Mitbestimmung (samt Betriebsrat usw.) braucht es nicht mehr, weil jeder selbst bestimmt. Hartz arbeitet weiter an der Umwertung der Werte. Der Weg nach vorn verlangt den Rückzug in dem, was bislang für Wert erachtet wurde. »Betriebsräte werden gewählt, Manager ernannt, Unternehmer geboren« (107). Auch in dieser Allgemeinheit wird so für jeden der Weg frei, Unternehmer zu werden.
Kritik am Hartzmodell richtet sich gegen den weiteren Abbau des Sozialstaats, Privatisierungen, Streichungen im Sozial- und Gesundheitswesen und gegen die Aufforderung, sich im Niedriglohnbereich einzufinden. So fasst etwa Hans-Jürgen Urban beim Vorstand der IG-Metall die »Essentials« zusammen: den Versuch, die Arbeitslosenzahl zu halbieren durch Zumutbarkeitsregelungen, Leiharbeitsunternehmen, Ich-AGs und Minijobs und Verwandlung der Arbeitsämter in »Job-Centers« (vgl. Forum Wissenschaft 1/03, 40 ff). Christian Brütt sieht die Hartzvorschläge als eine bestimmte hegemoniale Deutung der arbeitsmarktpolitischen Probleme und verweist auf die Nähe zum US-Modell des »workfare«, mit der »Rückkopplung der Arbeitskraft an das Marktrisiko« und eine Art »negativer Anreizpolitik« (vgl. Das Argument 247, 559 – 568, hier insbes. 563 ff). Der im Frühjahr 2003 über das Internet ergangene »Aufruf von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern« warnt vor der »Devise ›Weniger Sozialstaat = mehr Beschäftigung‹« und bezeichnet die Agenda 2010 (deren Vorschläge Programm der Hartzkommission sind) als »Verletzung der Prinzipien sozialer Gerechtigkeit« und »Gefährdung der Substanz des Sozialstaats«. Kritisiert werden das Armutsrisiko, die Niedriglohnökonomie, Veränderungen in der Sozialversicherung und im Gesundheitswesen.
Die nachvollziehbare und gerechtfertigte Kritik steht in einem eigentümlichen Missverhältnis zum Hartz-Ton der schmetternden Werbung und Indienstnahme von Veränderungshoffnung. Offenbar geht es um mehr und um anderes auch. Prüfen wir also, in welchem Umbruch Hartz sich verortet und wie er seine Aufgabe darin bestimmt. Es geht Hartz zweifellos darum, dem Fordismus/Taylorismus wirklich zu entwachsen mit allen Voraussetzungen, insbesondere den subjektiven, also mit den Persönlichkeiten der Arbeitenden. Die Hochtechnologie hat die Arbeitsweise radikal verändert, nun muss auch die Lebensweise folgen, mit allen Haltungen, Werten, Gewohnheiten. Hier muss kulturelle Politik ansetzen.
An dieser Stelle ist es weiterführend, sich auf die Analysen Antonio Gramscis zu besinnen, der genau diese Fragestellung für den Fordismus verfolgte (vgl. dazu F. Haug 1998). Er analysiert das fordistische Modell der Einführung von Massenproduktion am Fließband – die Möglichkeit und Einsetzung von Hausfrauen, die über Disziplin, Gesundheit, Erziehung wachen und für die monotone Verausgabung von Kraft einen Ausgleich in Freizeit und Familie schaffen, die dazugehörigen Strategien der Unternehmer (Inspektion von Konsum, Moral und Hygiene in den Arbeiterhaushalten) sowie die puritanistischen, mit Pioniermoral überhöhten Regierungskampagnen einschließlich des Alkoholverbots – als
»die größte [bisher dagewesene] kollektive Anstrengung, mit unerhörter Geschwindigkeit und einer in der Geschichte nie dagewesenen Zielbewusstheit einen neuen Arbeiter- und Menschentypus zu schaffen« (H. 4, § 52, 529).
Mit ähnlicher Zielbewusstheit sehen wir im Umbruch zur hochtechnologischen Produktionsweise Peter Hartz am Werk. Besichtigen wir die Scharnierstellen seines Projekts und folgen dabei methodisch Gramsci: Im widersprüchlichen Zusammenhang von Arbeits- und Lebensweise sind die Möglichkeiten der Herausbildung neuer Arbeiter- und Menschentypen folgendermaßen zu studieren: 1. als subjektive Tat; 2. als bestimmt durch Arbeitsweise (Entwicklung der Produktivkräfte) und 3. durch Produktionsverhältnisse als ideologische Veranstaltung durch industrielle Apparate (Schule bis Betrieb); 4. schließlich als staatliche Kampagnen, in denen neue Erfordernisse unter Aufnahme von Tradition und herkömmlicher Sitte verdichtet werden zu quasi weltanschaulichen Systemen (Beispiel Puritanismus). Der Stoff, um den gerungen wird, ist die Psychophysis der Menschen, motivierte Verausgabung auf dem geforderten Niveau und subjektive Zustimmung. Das schließt alle Fragen der Haltung zum Körper und zur Seele ein.
Die neue Produktionsweise, für die Hartz nach Lösungen sucht, braucht den Massenarbeiter nicht mehr. Die Zustimmung, die jetzt organisiert wird, lässt sich zusammenfassen in der Anrufung, »Unternehmer« zu sein. Daher hören sich viele seiner Formulierungen auch so an, als spräche er nur für eine Elite im Arbeitsvolk. Aber sein Projekt ist ehrgeiziger und zwiespältiger. Es ist zugleich ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für diejenigen, die ausgemustert werden oder es bereits sind: So geht der Appell, sich endlich selbst zu versorgen, mit der Geste einher, so werde Gesellschaftsgestaltung für die Einzelnen möglich. Und es ist ein Vorschlag an die Regierung, dass sie ihre Kampagnen in den Dienst der Wirtschaft stelle und dies als Arbeitsmarktpolitik ausgebe.
Welches ist der neue von Hartz angezielte Arbeiter/Menschentyp? Die Bestimmung erfolgt zunächst in Form einer Drohung:
»Die Job-Revolution […] wird keine betuliche Entwicklung, die Job-Inhaber aus geschützten Positionen überleben könnten. Dramatisch wird sie für jeden, dessen persönliche Lerngeschwindigkeit und Beschäftigungsfähigkeit mit der Dynamik […] nicht mehr Schritt hält.« (10)
Die Worte lassen wenig Zweifel: es ist eine Frage auf Gedeih und Verderb. Im Zentrum steht wie eine Art Rettungsanker ein neues Wort: Beschäftigungsfähigkeit. Als innere Tugend und verantwortliche Potenz taucht auf, dass man am Markt verkäuflich ist, dass Unternehmen einen einstellen, dass man also einen Arbeitsplatz findet. Das ist, in dieser Radikalität gesprochen, neu. Es ist das Diktat, sein Leben selbstbestimmt so auszurichten, dass man zu jeder Zeit und an jedem Ort auf jede Dauer einsetzbar wird wie eine Maschine, die zudem über zusätzliche ›menschliche‹ Emotionen verfügt. Geplant ist mit anderen Worten eine Art ›Super-Fordismus‹, aus dem die gesellschaftlichen (wohlfahrtsstaatlichen) Sicherungen herausgeschraubt sind. Das hat mit den bekannten Formen von Berufsausbildung und entsprechendem Abschluss nichts mehr zu tun. So heißt es kurz und bündig: »Der Wandel hat die Berufswelt abgehängt. Kein Berufsabschluss garantiert noch Beschäftigungsfähigkeit.« (70)
Der Unterordnung der Einzelnen unter ihre Einstellbarkeit, also ihrer neuen Verwandlung in Waren, folgt, dass die Lebendigkeit der Subjektivität in die Außenwelt des Verkaufs gelangt. Dies wird mit dem für das Amalgam von Politik und Werbung angemessenen Können klar und wirksam ausgesprochen.
»Die Elektronik-Kompetenz wird zu einem entscheidenden Wertschöpfungstreiber der Branche. Ein anderer Zukunftstrend ist die Schaffung moderner Kundenwelten. Die neue Autostadt […] bietet Mobilität als Erlebnis, lässt Werte und Wissen sinnlich erfahrbar werden – ohne Auto. Die Automobilmanufaktur Dresden integriert den Käufer in die Vollendung seines persönlichen Fahrzeugs. Das Spitzenprodukt soll zum Event werden. Sich ihn zu gönnen, lässt vielleicht das Geld vergessen.« (35)
Ein ebenfalls aus der Werbung stammendes sprachliches Mittel ist das Wort-Bombardement. Neue Worte oder Worte in ungewöhnlichen Kontexten prasseln so schnell hernieder, dass es ganz ausgeschlossen ist, darüber nachzudenken. Ein Entkommen bietet, einfach mitzumachen. Da gibt es Jobfamilien, Kreativnetze, eine Klusterbildung von Kompetenz und Engagement als Kerne mit Anziehungskraft, Lerninseln, Handlungskorridore, Vorsorgekapitale und ein Feuerwerk neuer Jobs usw. usf. Der neue Menschentyp, der in alledem geformt wird, benötigt
»eine neue Job-Moral, in der sich die Menschen nicht nur als Inhaber ihrer Arbeitskraft verstehen (sozusagen als shareholder ihrer Human Assets), sondern die Verantwortung für ihre Beschäftigungsfähigkeit übernehmen, also sich als ›workholder‹, als Bewahrer und aktive Entwickler ihrer Chancen und Arbeitsplätze verhalten« (41).
Immer deutlicher wird, dass es der je Einzelne ist, der die Misere des Arbeitsmarktes verschuldet hat und entsprechend auch als Einzelner die Lösung vorantreibt, der die Fäden zieht und ziehen muss, will er nicht einfach untergehen. An dieser Stelle ist es an der Zeit, sich an eines der oben vorgeführten Nummerngirls zu erinnern, das mit dem Zeitkonto. Erinnern wir also, dass die Einzelnen ja nur knapp 10 Prozent ihrer Lebenszeit als Arbeitszeit verbringen, so folgt: »Diese verkürzte Zeit kann gerannt, gerackert und auf Biegen und Brechen geleistet werden.« (51) Mit »entsprechender Einstellung und flexiblen Einsatzmodellen ließe sich eine Jahresnutzung von 6000 bis 7000 Stunden erreichen« (ebd.), womit man dann auch die Maschinen und Anlagen viel wirtschaftlicher nutze.
Was wäre die neue politische Kultur, wenn sie die nachwachsende Generation nicht erreichte? Hartz streut entsprechend Anbiederungsworte wie »hipp«, »Flexigesetz«, »fuzzy world« in seine Sätze, wohl um die Zumutbarkeit der neuen Menschenform für die Jugend zu erleichtern. Die Zumutbarkeit ist das zweite Geheimnis der Hartzvorschläge, sie ist das Bindeglied, welches das Sprechen über die Elite der Hightech-Welt mit dem niederen Fußvolk verbindet. Keiner kann mehr die »Nibelungentreue der Solidargemeinschaft erwarten« (51), sodass gilt:
»Zumutbar wird vieles in der 10-Prozent-Gesellschaft. Das Potenzial zur Senkung der Lohnnebenkosten und zur Verminderung der Arbeitslosigkeit ist noch nicht gehoben.« (Ebd.)
Man erwartet, dass an dieser Stelle die bekannte Regierungsrede von der Zumutbarkeit der Niedriglohn-Jobs kommt und möchte die langen Ausführungen schon überspringen. Aber Hartz geht tiefer: Bei der Schaffung des neuen Menschentyps, bei der Organisation von Zustimmung wird ausgearbeitet, was Zumutbarkeit heißt, sodass es die Einzelnen wirklich an der Wurzel ergreift und sie umkrempelt. Zunächst gilt es also, die Zumutbarkeit selbst aus dem Außenverhältnis des Marktes zu einer inneren subjektiven Tugend zu machen.
»Zumutbarkeit gehört zu den zentralen Begriffen für die Gesellschaftspolitik der Zukunft. Jeder kann bei sich anfangen und nach seinen Möglichkeiten beitragen – überbrücken, strecken, befristen und auf der Zeitachse gestalten, neue Maßstäbe, Bewertungen und Überschriften finden. Wichtig ist, dass wir verstärkt über veränderte Erwartungen sprechen.« (52)
Auf dem Prokrustesbett der Selbstformung bleibt die Frage, was eigentlich Zumutbarkeit ist. Hartz klärt auf: Sie ist
»die Rückseite des Leistungsprinzips. Wenn der Erfolg da ist, muss nach Leistung und Anteil bemessen werden. Setzt der Misserfolg ein, gilt die Regel der Zumutbarkeit« (ebd.).
Es ist wie beim »Großen und Kleinen Klaus« aus Andersens Märchen: Auf dem steinigen Acker mit dem mageren Pferd bringt der Kleine keine Leistung, während sie dem Großen mit einem Stall voller Gäule auf dem fetten Acker gelingt. Im Märchen geht die Sache makaber gut aus, aber auch in der Wirklichkeit lässt sich etwas machen, belehrt Hartz. Pech ist eine Praxis. Wenn man in misslicher Lage die Erwartungen ans Ziel herunter- und zugleich die an sich selber hochschraubt, kann es gelingen. Die »Spielräume« sind groß.
Zumutbarkeit und Beschäftigbarkeit liegen auf einer Ebene, gehören zusammen wie eineiige Zwillinge. Sie »sind die Eckpfeiler jeder Zukunftsgestaltung unserer Sozialsysteme« (52). Hartz lässt uns denken, dass diese beiden Pfeiler im Prinzip oder im Allgemeinen einander die Waage halten, nur derzeit gerieten sie ins Ungleichgewicht: »Während die Zumutbarkeit wächst, schrumpft die Beschäftigbarkeit.« (Ebd.) Solcherart sind die beiden, die wir als Eigenschaften und Haltungen der Einzelnen wahrzunehmen gelernt haben, neutral beobachtbar wie Gestirne am Himmel. Neues Verhalten, wiederum der Einzelnen, ist gefordert, um die Waagschale auf der hochschwingenden Seite zu belasten. So offenbart sich Zumutbarkeit jetzt auch als Aufruf an Lernhaltung und -praxen und wiederum als Ausleseprinzip.
»Lernkurven werden steiler, Qualifikationen verfallen schneller, Anreize greifen seltener, Physis und Psyche halten irgendwann nicht mehr mit.« (Ebd.)
Und gegen die Wahrnehmung fehlender Lehrstellen lehrt Hartz:
»Ein Teil des Nachwuchses findet erst gar keinen Anschluss – seine Grundgeschwindigkeit bleibt unter der Schwelle zum Take-off.« (Ebd.)
Die Worte zeigen eine fast grenzenlose Fähigkeit, sich mit beliebigen Bedeutungen aufzuladen. Zumutbarkeit mutiert schließlich zur Anforderung an selbstbestimmtes Lernen, um den Anschluss an die neue Zeit zu halten.
»Zumutbar ist es, sich selbst Sprachen anzueignen, IT-fit zu werden, sich im Internet bewegen zu lernen, fachlichen Anschluss zu halten, mobil zu bleiben und den Blick für Perspektiven zu schärfen« (ebd.), sonst ist man »Analphabet«. Und so erklärt sich die wachsende Arbeitslosigkeit:
»Durch Zumutbarkeit und Beschäftigbarkeit verliert die 10-Prozent-Gesellschaft an ihren Rändern diejenigen, die sich im Hochleistungssystem der letzten 10 Prozent Arbeit nicht mehr halten – halten können oder wollen.« (Ebd.)
Die Formel ist einfach, politisch korrekt gesprochen finden wir uns auf dem nächsten Losungswort des neoliberalen Hartzmodells und zugleich in neuer Zeichensetzung: »Unternehmer(in) sein, kann jede(r)« (55), denn das »Hochleistungssystem« kann nur funktionieren, wenn »Mitarbeiter zu Mit-Unternehmern werden« (53). Das Eigentümliche an solchen Aussagen ist, dass sie so richtig wie verlogen sind. Man könnte den Gegensatz von Unternehmern und Arbeitenden auch dadurch auflösen, dass alle Unternehmer werden. Zudem, was wäre die »Assoziation der freien Produzenten« (Marx) anderes als ein Verbund selbstbestimmter unternehmender Einzelner, die sich zur Bewältigung der gesellschaftlichen Produktion zusammentun? So arbeitet Hartz mit dem Schein, die Gesellschaft würde endlich ihren Mitgliedern übergeben, »Rücknahme der Arbeit in die Gesellschaft« (45), geht aber großzügig darüber hinweg, dass sie in der Hauptsache schon verteilt ist, sodass die neuen Unternehmer sich in den übrig gebliebenen Arbeiten wiederfinden, die keinen Gewinn bringen. Dies vor allem jeder allein: keine Assoziation freier Produzenten also. Stattdessen: »Umwertung der Werte« (45). Hartz nimmt eben die Hoffnungen aus diesem sozialistischen Projekt und schneidert sie passend für die einzelne »Unternehmerin«, die in ihrem Wohnzimmer bügelt und für die Erstausstattung eine Anschubfinanzierung bekam.
»Arbeit als betrieblich verfasste Organisation von Tätigkeiten unter fremdem Dispositionsrecht, mit fremden Arbeitsmitteln und in fremden Arbeitsräumen hat als Grundfigur für die Jobs der Zukunft mehr und mehr ausgedient.« (Ebd.)
Der neue Unternehmer der Gegenwart bestimmt sich durch »emotionale Qualität«, die mit »der Individualität und Emotionalität des Einzelnen untrennbar verbunden ist« (55). Hartz preist das neue Unternehmer-Leitbild an wie den Aufbruch in fast vergessene Hoffnung. Im Verkaufssalon, der wie ein elegantes Reisebüro vorzustellen ist, klingen von weither Lieder aus der Arbeiterbewegung, modern umgetextet:
»Wer treibt die neuen Jobs, wer schlägt aus ihnen langfristiges Beschäftigungs- und Einkommenskapital? Ich, du, Sie, wir. Wir sind die Value Driver der Zukunft. Wir suchen die Zukunft der Arbeit, und dies wird eine Abenteuerreise.« (56)9
Hartz zeigt kulturelles Kapital und holt weit aus, um bis zum »global village der Telekommunikation« (56) zu gelangen. Von Goethe geht es über die Handelscompagnien, gigantische Reichtümer immer weiter im Fortschritt (der übrigens niemals Subjekte hat, schon gar keine Arbeitenden) bis zur »dritten Dimension der Zukunft – Qualität«; »hinter dem Tauschwert und der Funktionalität«, »jenseits der begrenzten Zweckrationalität« zeigt sich jetzt »Emotionalität […]. Emotion wird zu Kapital« (56 f).
»Wer bisher Gültiges, Geglaubtes, Erlebtes, Machbares, Wahrnehmbares, Gefühltes oder Denkbares noch einmal überschreiten kann – der schafft einen neuen Wert, erzeugt Qualität als ultimatives Entertainment.« (57)
Es gibt in diesem Text u. a. drei Posten, die – und das erweist sich als Strategie der neuen politischen Kultur – unaufhörlich miteinander verschmelzen, dabei wie ein Chamäleon Farbe und Gestalt wechselnd und anpassend. So verbinden sich 1. die Unternehmen mit den darin Arbeitenden, 2. Produktion mit Verkauf und 3. in allen Gruppen die Gewinner und Erfolgreichen, die selbst sehen können, wo sie bleiben, mit den Ausgesonderten, die sich auf andere Weise überlassen bleiben. Hartz wählt Beispiele, Sprache und Perspektive, in denen jeweils alle sich angesprochen fühlen sollen und in denen der Wechsel von Produktion zu Verkauf Programm ist. Es geht letztlich um
»die Differenz zu allem Vorhandenen als Wahrnehmungskitzel unter Haut und Hirn. Bei diesem Kampf um neue Kunden öffnet sich der Horizont bis zum Abgrund: Hohes und Rohes droht […]. Das Menschliche und Allzumenschliche liefern den Schlüssel zum Erfolg« (ebd.).
Der neue Menschentyp, der all dies vollbringt, ist »fit, fähig, flexibel und jetzt auch noch fantastisch – wir sind auf dem Weg vom atmenden zum eventiven Unternehmen« (59). Schließlich wechselt Hartz von der Werbung in postmoderne Sozialtheorie oder umgekehrt:
»Die Jobs der Zukunft leben von der Inszenierung. Des feinen Unterschieds wegen: Design, Farbe, Haptik, Geruch und Ton sollen die Sinne fesseln, Erlebnisse den Kunden an das Unternehmen binden. Dies Individuelle und Authentische vermitteln nur Mitunternehmer und Mitunternehmerinnen den Kunden.« (Ebd.)
Die »Schlüsselkompetenz« des neuen Menschen »heißt Sensibilität, weil sie allein für die notwendige emotionale Qualität sorgt. Sie wird High Touch genannt« (66). Die Sprache der neuen politischen Kultur des Imperiums ist durchsetzt von Anglizismen. Das scheint im globalen Maßstab zum einen natürlich und verleiht den Sätzen zum anderen eine obskure Bedeutungshaftigkeit, die wie eine Sperre die Inhalte zudeckt. Sie tut dies mittels ungefähren Fingerzeigen, Anklängen an etwas, das man weiß oder wissen müsste, und verschmilzt diese zu einer Losung, über die man nicht nachdenken kann, weil sie ein inneres Geheimnis ist. »High Touch« z. B. erinnert an Hightech und gewinnt damit ganz ohne Begründung und Analyse sogleich Plausibilität und Zeitgemäßheit, das passende Gefühl zur Produktionsweise. Unpassend ist, wer um den Namen noch nicht weiß, er gerät in den Verdacht, die gesuchte Emotionalität nicht zu besitzen, und tut gut daran, beim nächsten Bewerbungsgespräch die verlangten Wortsignale auszustoßen.
Die Werbesprache bedient sich gerne des Stabreims. So prägt auch Hartz immer wieder Bündel von Zuschreibungen, die allesamt mit dem gleichen Buchstaben beginnen und dann als Kürzel gesprochen werden können, die 4F (fit, fähig, flexibel, fantastisch), die 3W (Wollen, Wissen, Werte, 72) oder die 4 M. Letzteres bezeichnet das neue Menschenprofil: »Mehrfachqualifiziert, mobil, mitgestaltend und menschlich« (73). Der neue Menschentyp ist auf jeden Fall ein Single, er ist ein Individuum, kein Teil eines Kollektivs, »denn nur als Individuum erfindet und empfindet der Mensch Qualität« (65).
Hartz würzt seine Rede nicht nur mit Jugend-Slang, übernimmt nicht nur die Sprache der Linken und verdreht sie, er setzt auch auf Zustimmung unter ›Alternativen‹, für die »ganzheitlich« ein Zielwort ist. »Das ganzheitliche, sinnhafte Grundelement des Arbeitsvollzugs« – solche Beschwörungen finden sich immer wieder als Versprechen, Schluss zu machen mit Entfremdung. Beim Zuhören oder Lesen darf man niemals vergessen, sich bei alledem die Büglerin im Wohnzimmer vorzustellen.
Während die Frage, ob man eine Beschäftigung findet oder nicht, als Eigenschaft des Individuums erscheint, verschwimmen auch dessen Grenzen z. B. in die Eigenschaften eines Autos und springen dann unvermittelt in den Profit. Der »Mitarbeiter« muss sich für den Kunden begeistern.
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