Kitabı oku: «Lockdown: Das Anhalten der Welt», sayfa 3
Hat die Wirtschaft die Politik übernommen?
von Stefan Blankertz
Jedes Handeln hat einen ökonomischen Aspekt, denn jedes Handeln nutzt Ressourcen (selbst das Denken verbraucht Zeit). So ist es keine Zumutung, staatliches Handeln unter ökonomischen Gesichtspunkten anzuschauen. Vielmehr gibt es gar keine Möglichkeit, über es nachzudenken, ohne dabei auch ökonomische Gesichtspunkte zu berühren. Die Ökonomie des Staats unterliegt aufgrund seines Gewaltcharakters Besonderheiten. Der Staat erhält die Ressourcen nicht wie jede andere gesellschaftliche Organisation im direkten und freien Austausch. Vielmehr enteignet er die produktiv Tätigen (Einzelpersonen, Firmen usw.) und nutzt die so gewonnenen Ressourcen. Einerseits nutzt er sie zur eigenen Erhaltung. In entwickelten Staaten geht ein Großteil der Ressourcen andererseits an ausgewählte gesellschaftliche Organisationen (zum Beispiel Firmen), die ihm das im Gegenzug mit Loyalität danken.
Steffen Roth formuliert treffend, dass der »Staat seine Marktmacht ausspielt, um neben Soldaten und Polizisten auch Lehrer, Wissenschaftler, Richter, Priester und Theaterdirektoren mit Geld politisch auf Kurs zu bringen«. Diese so privilegierten gesellschaftlichen Organisationen stehen dem Staat zwar unisono loyal gegenüber, aber untereinander konkurrieren sie heftig um ihren Anteil an den Ressourcen. Aus den gesellschaftlichen Organisationen werden Interessengruppen, die sich nicht mehr nur durch das Bestreben erhalten, den Handlungspartnern (zum Beispiel Kunden) das von diesen Gewünschte zu liefern, vielmehr darüber hinaus Zugang zu öffentlichen Mitteln haben und sich ein Stück weit entfernen können von der Zustimmung der sie konstituierenden Personen. Das Gerangel der Interessengruppen ist das, was man landläufig als »Politik« bezeichnet.
Durch das Gerangel der Interessengruppen gerät die Politik an zwei heikle Punkte. Zum einen hat die Enteignung der Produktiven eine (negative) Wirkung auf die Produktivität. Der Grad an Enteignung kann nicht unbegrenzt gesteigert werden, um allen Forderungen der Interessengruppen nachzukommen. Zum anderen ist das ökonomische Abwägen, welchen Forderungen nachzukommen sei, mit schweren Verlusten an Legitimation dort verbunden, wo Forderungen abgewiesen werden oder sogar eine Verringerung der Zuwendungen droht. Dies ist die spezifische politische Ökonomie staatlicher Herrschaft. Während der Corona-Pandemie etwa war immer wieder die Rede davon, das Gesundheitswesen in dem einen oder anderen schwer betroffenen Land sei »totgespart« geworden. Da in keinem der Länder eine Reduzierung der Quote des Staats am Bruttosozialprodukt stattgefunden hat, bedeutet dies nur eins: Finanzmittel sind nicht in dem Maße ins Gesundheitswesen geflossen, wie es dessen Vertreter gern gesehen hätten, sondern anderen Interessengruppen zugutegekommen. Da die Gesundheitskosten in den letzten Jahrzehnten überall drastisch gestiegen sind, heißt »totgespart« nicht einmal, dass der Anteil des ökonomischen Wohlstandes, der für das Gesundheitswesen aufgewendet wurde, tatsächlich gesunken ist, sondern sich nur nicht im gewünschten Maße steigern ließ.
Die Interessengruppen – wie die Vertreter der Krankenkassen oder der Ärzte, der Arbeitgeber oder der Gewerkschaften usw. – erobern nicht den Staat und üben ungebührlichen Einfluss auf ihn aus, sondern sie sind ihrerseits vom Staat geschaffen. Die Klage über den ungebührlichen Einfluss von bestimmten Interessengruppen ist immer ein Teil des Machtkampfes zwischen den Interessengruppen: Es klagt eine Interessengruppe, die andere Interessengruppe habe zu viel Einfluss. Fritz B. Simon zählt einige der Interessengruppen auf, die der Staat finanziert: »Er bezahlt Lehrer und Wissenschaftler, Richter und Polizisten, Krankenhausärzte und Gesundheitsämter, Theater- und Museumsdirektoren, ja, sogar die Finanzierung der Kirchen sichert er.« Zwar lässt Simon offen, welche Interessengruppen durch den Staat seiner Meinung nach legitim zu bedienen seien, jedoch bemängelt er auf jeden Fall den zu großen Einfluss der Wirtschaftslobbyisten.
Die Entscheidung darüber, welche Interessengruppe wie stark oder ob überhaupt staatlich finanziert und sonst wie gefördert werden solle, macht er an »kollektiv bindenden Entscheidungen« fest. Aber es ist gerade das Vorgehen der Staatsgewalt, den Bereich »kollektiv bindender Entscheidungen« ständig zuungunsten der gesellschaftlichen Selbstorganisation zu verschieben. Bei dieser Verschiebung spielt eine große Rolle, dass die gesellschaftliche Selbstorganisation stets als partikulares, das staatliche Handeln dagegen als allgemeines Interesse behauptet wird. Die Notwendigkeit kollektiv bindender Entscheidungen ist kein objektivierbares Kriterium, sondern Teil des politischen Machtkampfes um Zugang zu staatlichen Finanzmitteln.
Dabei ist das Allgemeininteresse, das der Staat gegenüber den Interessengruppen hochhalten müsse, Ausdruck des relativen Einflusses von Interessengruppen. Kein geringerer als Pierre Bourdieu hat dies, bevor er Ende der 1990er-Jahre seine kritischen Analysen vergaß und den Liberalismus zum Hauptfeind der Menschheit erklärte, genau beschrieben und vor dem »Staatsdenken« in der Soziologie gewarnt: Die »Kommission« (Expertenrat, Parlamentsausschuss etc.) habe die Aufgabe, das »alchemistische Wunder« zu vollbringen, aus partikularen Interessen Allgemeininteressen zu machen. In den staatlichen Kommissionen (und nachgelagert: durch die Medien) wird das momentane Gleichgewicht der Macht zwischen den verschiedenen »gesellschaftlich relevanten« Interessengruppen als das Allgemeininteresse deklariert: Das, was vor dem Verfahren partikulare Interessen waren, ist nach ihm das Allgemeininteresse, dem keiner, der seine soziale Vernunft beieinander hat, widersprechen darf, ohne als Bösewicht dazustehen, der »soziale Kälte« ausstrahle. Hingegen scheint es keine »soziale Kälte« zu sein, wenn wegen des Allgemeinwohls die Menschen während der Corona-Pandemie in »systemrelevant« und »nicht-systemrelevant« unterteilt und ihre Bedürfnisse (zum Beispiel nach Kinderbetreuung) dementsprechend als realisierbar oder nicht-realisierbar eingestuft werden. Für mich stellt das eine staatlich verordnete Ökonomisierung dar.
Gewaltcharakter des Staats hört sich drastisch an. Doch sogar das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland weist ihm eine zentrale Bedeutung zu: »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.« Das Spezifische der staatlichen Gewalt liegt darin, dass der Staat einen Monopolanspruch erhebt (»Du sollst keinen anderen Gott neben mir haben«), den er mehr oder weniger erfolgreich verteidigt. In der Demokratie ist eine weitere Besonderheit, dass die Gewalt idealtypisch namens der Mehrheit des Volks ausgeübt wird. Das macht die Gewalt nicht geringer, nicht moralischer und auch nicht behaglicher.
Die Corona-Pandemie hat vielen Staaten der Erde, einerlei ob demokratisch verfasst oder nicht, als Anlass gedient, eine ganz neue Form der Enteignung zu testen: Die Enteignung des persönlichen Risikomanagements zusammen mit einer fast beispiellosen Missachtung produktiver Zusammenhänge. Die Alternative der Zukunft lautet: Aneignung der Selbstbestimmung oder Barbarei der »Gesundheitsdiktatur«.6
Das Gerangel der Interessengruppen
von Fritz B. Simon
Ich stimme Stefan Blankertz Beschreibung zu: Es ist keine Zumutung, staatliches Handeln unter ökonomischen Gesichtspunkten anzuschauen, und es gibt gar keine Möglichkeit, über es nachzudenken, ohne dabei auch ökonomische Gesichtspunkte zu berühren; und auch der Charakterisierung, dass der besondere Gewaltcharakter des Staates eine Besonderheit darstellt, und der Staat die produktiv Tätigen (Einzelpersonen, Firmen usw.) enteignet und die so gewonnenen Ressourcen nutzt. Auch mit der Beschreibung, dass diese Ressourcen an ausgewählte Organisationen gehen und es ein Gerangel darum gibt, bin ich einverstanden. Mein Widerspruch gilt aber der Erklärung und Bewertung dieser Phänomene. Das beginnt bei dem von Blankertz aufgemachten Gegensatz zwischen »gesellschaftlicher Selbstorganisation« und »staatlicher Gewalt«. Denn der Staat ist bereits ein Resultat der Evolution/Selbstorganisation gesellschaftlicher Strukturen. Seine Funktion besteht darin, das »Gerangel« der miteinander im Konflikt liegenden Interessengruppen aufrechtzuerhalten.
Aus meiner Sicht gibt es unter den gesellschaftlichen Funktionssystemen nur zwei, deren Machtanspruch generalisiert ist und deren Formen der Machtausübung niemand entgeht.
1.Der Staat nutzt – und verteidigt – sein Gewaltmonopol als Machtmittel. Physischer Gewalt – vom Freiheitsentzug bis zur Todesstrafe – kann sich niemand entziehen (auch nicht die Akteure des Wirtschaftssystems). Diese Form der Macht wird durch das Rechtssystem eingegrenzt und zivilisiert.
2.Dem gegenüber steht die Wirtschaft bzw. der Markt. Hier werden Ressourcen, die zum Überleben eines jeden Akteurs nötig sind, verteilt. Die Verfügungsgewalt über knappe Ressourcen, die Nicht-Austauschbarkeit spezifischer Kompetenzen etc. bestimmen, wer sich wem anpasst bzw. wer die Preise für was definiert, das heißt, wer die Macht hat. Die Eigenlogik von Kommunikationsprozessen führt dazu, dass auf Märkten das »Matthäus-Prinzip« wirksam wird. Robert Merton hat es analog für die Wissenschaften beschrieben (wer viel zitiert wird, wird noch mehr zitiert, wer wenig zitiert wird, wird irgendwann gar nicht mehr zitiert). Unterschiede werden verstärkt: Starke werden stärker, Schwache werden schwächer. Ein nur wenig innovationsförderndes Prinzip. Doch die Macht von Märkten wird ebenfalls durch das Rechtssystem eingegrenzt und zivilisiert.
Den Entscheidungen des Staates kann man genauso wenig ausweichen wie der Eigendynamik von Märkten. Theoretisch gesprochen, bilden politisches und wirtschaftliches System füreinander relevante Umwelten, die bzw. deren Funktion nicht ohne Weiteres weggedacht werden können (»Auch die Alpen sind nichts Besonderes, wenn man sich die Berge wegdenkt«).
Jetzt, in der Corona-Krise, hat der Staat ganz klar die Führung übernommen. Er bzw. die für ihn stehenden Politiker stecken im Konflikt zwischen den Ansprüchen des Gesundheitssystems und denen der Wirtschaft. Sie sind mit einer pragmatischen Paradoxie konfrontiert: Die für das eine System »richtige« Entscheidung ist die für das andere System »falsche«.
Aber das ist meines Erachtens genau die Funktion des Staates: sich dem paradoxen Gerangel der Interessengruppen zu stellen und – immer wieder aufs Neue – mal zugunsten der einen, mal zugunsten der anderen Seite zu entscheiden. Die Intelligenz staatlicher Entscheidungen resultiert daraus, die Unentscheidbarkeit, wessen Interessen und Ziele für die Gesellschaft wichtiger sind, aufrechtzuerhalten.
Protektionistische Gewaltfantasien und soziale Autoimmunerkrankungen
von Steffen Roth
Macht, Gerangel und Ressourcen. Die Sprache bleibt politökonomisch, selbst wenn es uns zunehmend auch um Gesundheit, Recht oder Wissenschaft zu gehen scheint.
Nun kann man sich den Staat gut als strategischen Dreh- und Angelpunkt eines interessengeleiteten Wettbewerbs um öffentliche Mittel vorstellen. Soweit man bei diesen Mitteln aber an Geld denkt, beobachtet man eben nicht Staatspolitik, sondern Staatswirtschaft, was einmal mehr zeigt, dass es sich beim Staat nicht um die Politik handelt, sondern um eine Organisation. Dass es sich auch beim Staat nur um eine organisierte Interessengruppe unter vielen handelt, wird dann besonders deutlich, wenn er seinerseits in Konkurrenz tritt, etwa um Auslandsdirektinvestitionen. Im Kontext solcher Standortwettbewerbe entdecken Staaten regelmäßig ihre eigene Machtlosigkeit und überkompensieren den narzisstischen Schock mit autoritären und protektionistischen Gewaltfantasien. Der gefesselte Nationalstaat sieht in der entfesselten Weltwirtschaft den Grund für seine unwürdige Situation. Globalisierung wird zum Menetekel. Mit der aktuellen Corona-Krise steht die ideologische Psychohygiene wieder auf einem volksgesundheitlichen Fundament.
So enorm die Gravitationskräfte von Politik und Wirtschaft nach wie vor sein mögen, so sehr zeigt die aktuelle Krise auch, dass unsere vornehmlich politische und wirtschaftliche Beobachtungsneigung und die korrespondierende Blindheit für andere, angeblich weniger systemrelevante Funktionssysteme keine Notwendigkeit, sondern ein Problem darstellt. Damit ist nicht nur die Überbeobachtung der üblicherweise verdächtigen Funktionssysteme angesprochen, sondern auch der Hang, die Welt schwerpunktmäßig mit deren Augen zu sehen. So kommt es zu folgenschweren Verwechslungen, wie etwa im Fall der WHO, die Gesundheit als »a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity« definiert. Der politische Blick hat Gesundheit kurzerhand in Wohlergehen und somit in einen allumfassenden wohlfahrtsstaatlichen Einflussbereich verwandelt.
Indem wir uns Runde um Runde um Staat und Markt drehen, reproduzieren wir Probleme, die wir auch reflektieren könnten. Daher mein Vorschlag, in Zukunft verstärkt die nicht-politischen und nichtökonomischen Augenmuskeln zu trainieren.
Gesundheit drängt sich da auf. Zum einen, weil wir hier aktuell den Ausgangspunkt der größten Krise der letzten Jahrzehnte vermuten. Zum anderen, weil in diesem System auch ein enormes Reservoir an Problemlösekompetenzen zu finden ist. Dabei ist neben lebenswissenschaftlicher Expertise auch an unser Wissen zur Therapie und Beratung von psychischen und sozialen Systemen zu denken.
In diesem Sinne erscheint die aktuelle Krise als Bewährungsprobe nicht nur für Virologie und Epidemiologie, sondern auch und gerade für Geistes- und Sozialwissenschaften. Diese wissen um die kommunikative Konstruktion auch der Naturwissenschaften und lassen sich nicht auf die hilfswissenschaftliche Krisenreservebank schieben, sondern bringen ihr Wissen um kommunikative Pfadabhängigkeiten und »soziale Autoimmunerkrankungen« in Stellung.
Im Geheimen geht das Sexgeschäft weiter
Spiegel, 7. Mai 2020
Labor Deutschland. In der nächsten Phase der Krise könnte der Föderalismus nützlich sein. Oder besonders gefährlich
Die Zeit, 7. Mai 2020
For Workers, No Sign of »What Normal Is Going to Look Like«
New York Times, 8. Mai 2020
Coronahilfe aus dem ESM: Eurogruppe will Rettungsschirm rasch »scharf schalten«
FAZ, 8. Mai 2020
Spahn: Deutsches Gesundheitswesen hat Bewährungsprobe bestanden
Ärzte Zeitung, 8. Mai 2020
5Den Blick weiten
von Heiko Kleve
8. Mai 2020
Ich möchte den Vorschlag von Steffen Roth aufgreifen, dass wir uns aus der Fixierung unserer bisherigen Blicke auf Politik bzw. Staat und Wirtschaft lösen. Denn das Verhältnis dieser beiden Systeme lässt sich in einer funktional differenzierten Gesellschaft nicht passend beschreiben und erklären, wenn wir nicht zugleich konstatieren, dass es weitere Funktionssysteme mit ganz eigenen Beobachtungsperspektiven gibt. Diese Systeme werden möglicherweise nicht nur von uns, sondern im ganzen polit-ökonomisch überfrachteten medialen Diskurs übersehen und in ihren Eigenlogiken offenbar auch nicht verstanden.
Könnte es also sein, dass selbst das Gesundheitssystem und sogar das Wissenschaftssystem – zwei Systeme, die uns ja gerade täglich medial vorgeführt werden – von politischen und/oder wirtschaftlichen Perspektiven dominiert werden? Wäre es also denkbar, dass die aktuelle Krise noch mit überkommenen Problemlösungsstrategien bewältigt werden soll, also entweder mit Politik oder Wirtschaft, obwohl der Gesellschaft bereits viel mehr und weitaus differenziertere Möglichkeiten der Krisenbearbeitung zur Verfügung stehen? Wenn ja, welche Möglichkeiten wären das? Welche Rollen würden die unterschiedlichen Funktionssysteme hier spielen?
Um Antworten auf diese Fragen näherzukommen, möchte ich sowohl Fritz Simon als auch Steffen Roth zunächst bitten, ihr Bild der funktional differenzierten Gesellschaft knapp zu skizzieren. Um welche Funktionssysteme geht es hier? Was sind deren Aufgaben? Wie erkennen wir deren Wirken in der aktuellen Krise? Und wäre nicht sogar die Forderung plausibel, dass wir mehr funktionale Abgrenzung, mehr Differenz der Systeme voneinander benötigen als das, was wir in der Anfangsphase der Pandemie erlebt haben, das mediale Einschwingen auf den einen Konsens?
Hierarchie und Krise
von Fritz B. Simon
Wenn das Haus brennt, ist keine Zeit, in Muße die Pros und Kontras des Löschens zu diskutieren. Im Notfall (bzw. so beobachteten/bewerteten Situationen) erweist sich Hierarchie als funktionell, um die Handlungen der beteiligten Akteure ohne zeitraubenden Kommunikationsaufwand zu koordinieren.
Daher ist es nicht verwunderlich, wenn auch in der sogenannten Corona-Krise der Staat schnell und drastisch entscheidet. Alle anderen Funktionssysteme bzw. ihre Akteure ordnen sich ihm dabei, wie zu sehen ist, unter. Große Teile der Wirtschaft sind in ein künstliches Koma versetzt, die freie Ausübung der Religion ist eingeschränkt, der Kulturbetrieb auf Selbstdarstellung im Internet reduziert, Schulen sind geschlossen, die Wissenschaft ist nicht beeinträchtigt, soweit sie zwei Meter Abstand hält, einzig das Gesundheitssystem scheint zu florieren. Allerdings täuscht das, denn es sind lediglich Virologen und Epidemiologen, die zu Wort kommen, und über Macht verfügen auch sie nicht, da sie lediglich den Entscheidern in der Politik Argumente und Legitimationen für ihre Anordnungen liefern.
Diese Funktion des Staates wird von der Bevölkerung bislang akzeptiert, denn nur so lässt sich deuten, dass dessen Vorgaben weitgehend befolgt werden; gegen breiten Widerstand wären sie nicht durchzusetzen bzw. zu kontrollieren.
Wie von Organisationen, aber auch von Individuen, wird vom Staat in unbekannten Notfallsituationen auf bekannte Routinen zurückgegriffen. Die angeordneten Maßnahmen der Seuchenbekämpfung wurden schon bei den Pestepidemien im Mittelalter angewandt.
Obwohl die Funktionalität (und Intelligenz) hierarchischer Entscheidungsfindung auf Situationen beschränkt ist, in denen keine Zeit bleibt zur Reflexion und zum Aushandeln von Konflikten zwischen unterschiedlichen Sichtweisen, Beschreibungen, Bewertungen, Interessen usw., ist die Versuchung für Hierarchen groß, einmal eingeführte autoritäre Strukturen auf Dauer zu stellen (siehe Ungarn, China, …). Das ist ein nicht zu unterschätzendes Risiko, denn es führt zur Verblödung des Staates.
Was diese Krise aber gezeigt hat, ist, dass Staaten in der Lage sind, auf eine Umweltkrise radikal zu reagieren. Denn die Bedrohung durch ein Virus, gegen das »der Mensch« noch keine Abwehrmechanismen entwickelt hat, stellt die Prämissen jedes Gesellschaftssystems infrage: den nicht-kranken menschlichen Organismus (= Kollektivsingular) als relevante Umwelt des öffentlichen Lebens. Doch die Akzeptanz solcher die Freiheiten einschränkender Maßnahmen ist daran gebunden, dass die Gefahr alle betrifft. Wenn differenziert werden kann, dann werden die vermeintlich Nicht-Gefährdeten, d. h. die Nicht-Diabetiker, die Jungen und die Mecklenburger, den Konsens aufkündigen … (erste Absetzbewegungen sehen wir gerade). Krankheit wird dann wieder als privates Problem definiert und durch das sogenannte Gesundheitssystem (als Reparaturbetrieb) individuell behandelt.
Zurück zur Bedeutung der anderen Funktionssysteme bei der Bewältigung der Krise: Ihre Zeit kommt erst nach der Krise, wenn die Krise nicht mehr als Krise beobachtet wird, d. h. bei der Aufarbeitung eventueller Traumatisierungen.
Allerdings können in Zukunft Forderungen nach radikaleren Umweltschutz-Maßnahmen nicht mehr mit dem Argument, das alles sei nicht durchsetzbar, abgetan werden. Nötig dürfte dafür aber wieder ein kollektives Gefühl der Bedrohung des eigenen Überlebens sein.