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Kitabı oku: «Der Mann von Eisen», sayfa 12

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23. Kapitel

Wolf hatte die Mutter bis an ihr Schlafzimmer geleitet, eine Runde durch die Ställe gemacht und nachgesehen, dass die Türen alle verschlossen waren. Dann holte er sich aus der Küche einen Eimer Wasser, um ihn in das Kellerversteck zu tragen. Es war doch nicht ausgeschlossen, dass die Russen, und womöglich Kosaken, wiederkamen, vor denen sich die Frauen in Sicherheit bringen mussten … Er drückte an den Verschluss und stieß die Tür auf. Heller Lichtschein strahlte ihm entgegen … Am Tisch saß eine weibliche Person, zum Teil von der Lampe verdeckt. Die Arme auf dem Tisch verschränkt und den Kopf darauf gelegt. Das konnte doch nur Christel sein.

»Christel«, rief er halblaut, »was ist mit dir los, was tust du hier?«

Mit einem Schrei fuhr die Gestalt vom Stuhl empor … Es war Hanna … Sie war eingenickt gewesen. Mit wirren Augen sah sie sich im Raum um, dann blieb ihr Auge auf Wolf haften. Eine heiße Röte stieg in ihrem Gesicht empor.

»Verzeih’, Wolf, Christel hat mich hier hereingeführt.«

»Das ist doch selbstverständlich, wenn du bei uns Schutz suchst … Ich will dich nicht weiter stören … Nur eine Frage: Wissen deine Eltern schon, dass du hier in Sicherheit bist?«

»Christel wird ihnen doch irgendwie schon Nachricht gegeben haben.«

»Na, denn gute Nacht, Hanna.«

»Nein, Wolf, bleib’«, erwiderte sie leise, »ich muss es dir sagen.«

»Nein, Hanna, lass’ mich fragen. Ich will nur eins wissen: Hat Tolpiga dich beleidigt?«

»Ja, Wolf … Wir glaubten, dass die Russen nicht mehr wiederkommen. Da ging ich gegen Abend runter und setzte mich ans Klavier … Plötzlich steht Tolpiga vor mir … Er war entschieden betrunken, denn er roch nach Schnaps und Bier. Er wurde zudringlich und verlangte, ich solle ihm sagen, dass ich ihn liebe … Er will mich umarmen, ich stoße ihn zurück und laufe fort … Er verstellt mir den Weg, ich flüchte mich hinter den Tisch, sehe den Revolver liegen und drücke auf ihn los, als er mich packen will.«

Die Erinnerung regte sie so auf, dass sie die Hände vors Gesicht legte und schluchzte.

Wolf schloss die Tür und kreuzte die Arme über der Brust … Nach einer Weile sagte er mit weicher Stimme:

»Hanna, du brauchst dir doch keine Schuld beizumessen, du kannst doch nichts dafür, dass ein Schuft dich in der Betrunkenheit beleidigt.«

Hanna hob den Kopf und sah ihn mit tränenden Augen an.

»Nein, Wolf, ich will mich nicht besser machen, als ich bin. Er hat annehmen können, dass ich ihn liebe … An deinem Geburtstag traf er mich abends im Park, da habe ich ihm stillschweigend die Erlaubnis gegeben, bei den Eltern um mich zu werben, Ach Wolf, ich habe schwer gelitten, als er jetzt wiederkam. Ich konnte ihn doch nicht mehr achten … Unter einem klug ausgedachten Märchen hat er sich in unser Haus eingeschlichen … Er hat mich belogen … Und ich bin ja so schwach … Ich konnte ja meinem Herzen nicht Stillschweigen gebieten … Wenn wir am Tage zusammentrafen, war ich kalt und abweisend zu ihm, und nachts habe ich mein Kopfkissen zerbissen.«

»Hanna, das sagst du mir?«

»Ja, Wolf, das muss ich dir sagen … Damit du von deiner törichten Neigung zu mir geheilt wirst … Siehst du denn nicht, dass Christel vor Liebe zu dir vergeht?«

»Hanna, hast du denn deinem Herzen gebieten können? Du wirst überwinden und wirst vergessen. Und nach Jahr und Tag…«

Angstvoll streckte Hanna die Hand nach ihm aus.

»Sprich nicht weiter, Wolf· Ich bitte dich, sprich nicht ein Wort aus, das dich innerlich binden könnte … Nein, Wolf. Und wenn ich mich in glühender Liebe zu dir noch einmal verzehren sollte, ich würde mich dir doch versagen müssen … Ich bin für dich tot … Sieh mich nicht so mitleidig an, das vertrage ich nicht. Das verdiene ich nicht.«

Sie war so maßlos erregt, dass sie sich in den Stuhl warf und laut aufschrie … Wolf musste an sich halten, um nicht zuzuspringen und sie in seine Arme zu nehmen … Ein Bild des Jammers. Das schöne, stolze Mädchen, das von dem Bewusstsein einer Schuld zerbrochen war.

»Hanna«, sagte er leise. »Beruhige dich, deine Nerven sind überreizt. Du hast nur Ruhe nötig, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen … Morgen früh schicke ich Christel zu dir.«

Noch einen langen Blick warf er auf die Gestalt, die von einem heftigen Schluchzen erschüttert wurde.

Nicht eine Minute hätte er es länger ausgehalten … Das Herz tat ihm weh … Wie einen körperlichen Schmerz empfand er es in der Brust.

»Gute Nacht, Hanna. Lege dich hin und versuch’ zu schlafen.«

… Eine Stunde oder noch länger, ging er ruhelos in seinem Zimmer auf und ab. Er sah nach der Uhr: Bald eins … Es war Zeit, dass er noch erledigte, was für den Fall, dass er von seinem Gang nach Andreaswalde nicht zurückkehrte, anzuordnen war.

Vor allem ein Abschiedswort ans seine Mutter … Er setzte sich an seinen Schreibtisch und begann zu schreiben.

Er fühle sich verpflichtet, den Schurken, der ein deutsches Mädchen zu beleidigen gewagt habe, zur Rechenschaft zu ziehen … Und dann strömte seine Liebe zur Mutter, die den beiden früh verwaisten Knaben den Vater ersetzt und sie zu tüchtigen Männern erzogen hatte, in heißen Worten aus …Als er den Brief geschlossen und mit der Aufschrift versehen hatte, warf er sich aufs Sofa … Er überlegte nicht, ob er es tun sollte, sondern wie er es am besten ausführen konnte.

Eine Genugtuung mit der Waffe würde ihm der Russe nicht geben. Deshalb musste er ihn in Gegenwart seiner Offiziere mit der Reitpeitsche züchtigen und ihm ins Gesicht schreien, dass er ein Schurke wäre, ein feiger Lump, der sich an einem wehrlosen Mädchen zu vergreifen versucht hatte.

Eine Stunde später stand er wieder auf, zündete sich Licht an und setzte sich nochmals an den Schreibtisch … Er wollte an den Brief für seine Mutter noch die Bitte anfügen, dass sie Christel als ihre Tochter betrachten möchte … Und Christel musste er noch die schmerzliche Freude bereiten, dass sie an ihn als ihren Verlobten denken könnte.

Während er schrieb, kam ihm die Klarheit. Ein Leben an Hannas Seite, nein, das konnte er sich nicht mehr vorstellen … Das Mädchen, das ihm als Lebensgefährtin vorschwebte, trug die treuen, ehrlichen Züge der Hausgenossin, die ihm durch ihr stilles, selbstloses Wesen ans Herz gewachsen war … Jetzt, wo er sich darüber klar wurde, dass der Gang nach Andreaswalde den Abschluss mit dem Leben bedeutete, empfand er es zum ersten Mal deutlich, dass die stürmische, heiße Leidenschaft zu Hanna in ihm gestorben war … Mit schlichten Worten schrieb er alles nieder, was sein Herz in diesen schweren Stunden bewegte … Ein tiefes Glücksgefühl kam über ihn, eine heitere Ruhe…

Er warf sich wieder aufs Sofa und schlief mit einem Lächeln ein. Zur gewohnten Stunde erwachte er. Er stand auf und suchte unter den vielen Reitpeitschen, die er besaß, die wuchtigste aus … Dann ging er in den Stall, um sich den alten Groneberg zu satteln. Nicht etwa, um einen Fluchtversuch zu machen, wenn er Tolpiga gezüchtigt hatte, sondern weil es zu dem Schlag, den er zu führen gedachte, von Vorteil sein konnte, wenn er zu Pferde saß.

Gleich hinter dem Gut auf der Anhöhe stand ein Posten, der ihn schweigend passieren ließ, weil er den Besitzer von Dalkowen kannte … Der östliche Himmel strahlte bereits in flammender Farbenpracht … In den Talsenken stand ein leichter Nebel, der von dem leisen Hauch des Morgenwindes in lange Streifen ausgezogen wurde, ehe er zerflatterte. Überall an Gras und Strauch hingen die glitzernden Tautröpfchen.

Eine eiserne Ruhe war über Wolf gekommen.

Langsam ritt er weiter bis auf den Hof von Andreaswalde … Die Dragoner standen bei ihren Pferden.

Als alter Soldat sah er, dass die Schwadron zum Abmarsch bereit war … Vor dem Gutshause standen einige Dragoner mit den Offizierpferden. Sie mussten also jeden Augenblick aus dem Hause kommen…

Langsam drückte er Groneberg mit den Schenkeln bis dicht an die linke Seite von Tolpigas Rappen … Jetzt trat der Graf aus der Tür.

»Ah, guten Morgen, Herr Stutterheim. Sie bringen wohl Nachricht von Fräulein Hanna?«

»Ja«, rief Wolf mit lauter Stimme, so dass es auch die Offiziere hören mussten, die noch im Zimmer standen. »Jetzt weiß ich auch, dass Sie ein Schurke, ein feiger Lump sind.«

Blitzschnell hob er die Peitsche zum Schlag. Aber die Bewegung hatte den Rappen erschreckt. Er machte. einen Satz nach vorn. Wuchtig traf ihn die schwere Peitsche auf den Kopf … Er stieß den Dragoner um, der ihn am Züge! hielt, und raste davon.

Tolpiga war bleich geworden. Ehe er noch ein Wort sagen konnte, hatten fünf, sechs Dragoner Wolf umringt und vom Pferd gerissen. Mit einem Strick wurden ihm die Handgelenke zusammengeschnürt … Tolpiga schien sich gar nicht um ihn zu kümmern … Er bestieg seinen Rappen, den die Soldaten eingefangen hatten, ließ die Schwadron aufsitzen und führte sie vom Hofe. Auf der Chaussee kommandierte er: »Trab!« Zwischen zwei Dragonern, die die Enden des Stricks am Sattel befestigt hatten, musste Wolf mitlaufen … Er biss die Zähne zusammen und lief. Erst dicht vor Bialla ließ der Graf die Schwadron in Schritt fallen … Wolfs Brust keuchte. Seine Stirn war mit Schweiß bedeckt, aber er hatte die halbe Meile, ohne schwach zu werden, durchgehalten.

Auf dem Marktplatz in Bialla stand russische Artillerie aufgefahren. Dicht gedrängt hielten ringsumher die Ulanen der Munitions- und Bagagekolonnen … Die Pferde waren abgeschirrt …Die Mannschaften lagen auf oder unter den Wagen. Langsam wanden sich die Dragoner durch den Knäuel. An der Hauptwache im Gerichtsgebäude hielt der Graf … Er bog sich im Sattel vor und sah Wolf höhnisch an.

»Ich wollte Ihnen bloß noch sagen, dass Sie ein Narr sind, Ihr Leben für ein Mädchen aufs Spiel zu setzen, das von Ihnen nichts wissen will.«

Dann drehte er seinen Rappen auf der Hinterhand herum und ritt davon.

Die Dragoner führten Wolf ins Haus und lieferten ihn beim Wachthabenden ab.

»Ihr habt ja einen feinen Vogel gefangen!« rief der Unteroffizier lachend aus, »Komm’ mit, du preußischer Hund. Ich werde dir eine feine Stube anweisen.«

Er schloss eine Zelle auf und ließ Wolf eintreten … Hinter ihm schloss sich die schwere Tür.

Jetzt erst kam bei Wolf der Rückschlag … Er warf sich auf den Schemel, legte die Ellbogen auf die Knie und schlug die Hände vors Gesicht. Ein flüchtiger Gedanke huschte voraus in die nächste Zukunft … Der Graf hätte ihn doch sofort erschießen lassen können, ohne dass ein Hahn danach gekräht hätte. Wahrscheinlich wollte er ihn vor ein Kriegsgericht stellen und von dem aburteilen lassen … Viel mehr wurmte ihn der Gedanke, dass Tolpiga der Züchtigung entgangen war.

24. Kapitel

Frau Stutterheim, Christel und Hanna, die nach langem Zureden das Versteck verlassen hatte, saßen beim Frühstück und wunderten sich über WoIfs Verschwinden.

Er war, wie man durch Nachfragen auf dem Hof festgestellt hatte, ganz früh auf dem Groneberg nach Andreaswalde zu weg geritten.

»Er wird wohl zu dem Grafen geritten sein, um sich von ihm eine Bescheinigung über die Kriegslieferungen geben zu lassen«, meinte die Mutter. »Er könnte aber auch schon zu Hause sein.«

»Womöglich ist er weitergeritten nach Bialla ins Hauptquartier«, sagte Christel … Hanna schwieg und wagte nicht, den Blick zu erheben … Sie glaubte zu wissen, warum Wolf nach Andreaswalde geritten war.

Da öffnete sich die Tür, der Kämmerer trat ein … Man sah es ihm deutlich an, dass er eine üble Botschaft brachte.

»Na, Klepka, was bringst du?«

»Ach, gnädige Frau, nichts Gutes. Unser junger Herr hat den Grafen mit der Reitpeitsche geschlagen. Da haben ihn die Russen gebunden und mitgeschleppt nach Bialla.«

Frau Stutterheim hatte unwillkürlich nach Christels Hand gefasst… Nach einer Weile fragte sie mit ruhiger Stimme:

»Klepka, wer hat dir das gesagt?«

»Der Inspektor Brinkmann, gnädige Frau … Er hat es selbst von weitem zugesehen.«

»Ich danke dir, Klepka, du wirst ja wohl wissen, was du heute mit den Leuten zu tun hast.«

»Jawohl, gnädige Frau.«

Langsam stand sie auf und ging mit festen Schritten zur Tür … Christel, die ihr helfen wollte, wies sie mit einer Handbewegung zurück … Traurig wandte Christel sich um … Hanna war aufgestanden, alles Blut war aus ihrem Gesicht gewichen…

»Schwester, sieh’ mich nicht so vorwurfsvoll an, ich will wieder gutzumachen suchen, was ich verschuldet habe. Ich will ihnen nachlaufen. Ich will mich dem Grafen zu Füßen werfen, ihn anflehen. Er liebt mich. Er wird nicht so grausam sein«

»Du gehörst ins Bett und nicht auf die Straße«, erwiderte Christel heftig. »Du kannst nicht eine Dummheit durch eine noch größere wettmachen … Geh’, leg’ dich auf mein Bett … Erst muss ich nach der Tante sehen.«

»Ja, ja, sieh’ nach der Tante«, sagte Hanna mit fliegender Hast, »ich werde gehen.«

Sie ging zur Tür hinaus.

Christel setzte sich in den nächsten Stuhl. Sie musste sich erst etwas Ruhe erkämpfen, ehe sie zu der Mutter ging, die um ihren Lieblingssohn trauerte…

Jetzt löste sich die Spannung in ihrer Brust. Die Tränen liefen ihr die Wangen hinab und fielen ihr auf die Hände, die still im Schoß lagen … Sie hörte die Tür zur Veranda gehen, aber der Ton drang nicht über die Schwelle ihres Bewusstseins.

Hanna hastete durch den Park, den Wiesenweg entlang … Eine entsetzliche Angst verlieh ihr Kräfte und beflügelte ihren Fuß … Am Eingang des Hauses kam ihr Brinkmann entgegen.

»Lieber, alter Brinkmann, wollen Sie mir helfen? Wollen Sie mich in einem Wagen nach Bialla begleiten?«

»Das könnte ich wohl«, erwiderte der Graubart bedächtig, »aber ich werde es nicht tun, Fräulein Hanna … Sie können sich ja nicht mehr auf den Füßen halten, und was wollen Sie in Bialla?«

»Ich muss Wolf retten … Ich muss den Grafen sprechen!«

Das letzte Wort kam schon ganz undeutlich heraus … Brinkmann sprang zu und fing sie in den Armen auf.

… Frau Stutterheim hatte eine Weile still in ihrem Rollstuhl gesessen … Ihr Herz bäumte sich gegen den Verstand auf, der ihr sagte, dass sie ihren Ältesten, ihren Liebling, nicht mehr lebend wiedersehen würde … Ein tätlicher Angriff auf einen russischen Offizier vor seinen eigenen Truppen … Ein Angriff, der eine tödliche Beleidigung für den Offizier war … Da war auf keine Gnade, ja nicht einmal auf ein Urteil, das ihm wenigstens das Leben ließ, zu hoffen… Ein bitteres Gefühl quoll in ihr auf gegen das Mädchen, das all dieses Unheil verschuldet hatte … Dann kam ihr der Gedanke, ob Wolf nicht ein letztes Lebenszeichen für sie hinterlassen hätte … Sie stand auf und ging in sein Zimmer … Da leuchteten ihr vom Schreibtisch zwei Briefe entgegen … Sie ließ sich in den Armstuhl nieder und griff nach dem Brief, der die Aufschrift trug: ‘Für meine geliebte Mutter’ … Eine Weile hielt sie ihn in der Hand, ehe sie ihn öffnete.

Während sie las, kamen ihr die Tränen in die Augen. Mit einem wehmütigen Glücksgefühl las sie die liebevollen Abschiedsworte ihres tapferen Jungen … Mit ruhiger Überlegung, mit vollem Bewusstsein der Gefahr hatte er den Schritt getan, zu dem ihn sein Pflichtgefühl als deutscher Mann trieb … Eine Genugtuung kam über sie, dass er mit keiner Silbe seine Liebe zu Hanna als die Triebfeder seines Entschlusses bezeichnete … Und dann kam die Nachschrift:

‘Liebe Mutter, ich habe noch eine Bitte an Dich: Nimm Christel wie deine Tochter an dein Herz. Ich habe mich geprüft … Die heiße Leidenschaft für Hanna ist tot. Eine ehrliche, tiefe Zuneigung zu Christel ist dafür in mein Herz eingezogen. Betrachte sie fortan als meine Braut, als Deine Tochter. In Liebe, Dein Wolf’.

»Statt in sein Glück musste er in den Tod gehen, mein armer Junge … Armes Mädel«, klagte sie leise, »auch vor die Pforte deines Lebensglücks hat sich ein unerbittlich grausames Schicksal gestellt.«

Da fühlte sie sich von zwei Armen umfasst, ein heißes Gesicht legte sich an ihre Wange:

»Tante, lass’ mich bei dir sein … Ich habe ihn auch geliebt.«

»Sag’ nicht Tante, sag’ Mutter auf mich. Da nimm den ersten und letzten Brief von ihm … Du sollst mir fortan eine Tochter sein, ein heiliges Vermächtnis meines Sohnes.«

Die Stimme versagte ihr. Sie lehnte sich in den Stuhl zurück und schloss die Augen, während Christel las … Ihr Gesicht war mit einer tiefen Röte übergossen. Ihre Augen leuchteten vor Stolz über den Mann, dem sie ihr Herz zu eigen gegeben hatte.

Lange saßen die Frauen still beisammen … Wie viel Mal hatten sie schon abwechselnd beide Briefe durchgelesen, hundertmal hatten sie jede Möglichkeit, auch die unwahrscheinlichste, einer Rettung Wolfs durchgesprochen … Langsam verging der Tag, ohne dass sie an die Bedürfnisse des täglichen Lebens gedacht hätten … Da erscholl Pferdegetrappel auf dem Hof …

Nach einer Weile kam ein fester Schritt durch das Wohnzimmer … Eine laute, tiefe Stimme rief:

»Ist denn keine lebendige Seele hier im Haus?«

Christel ging zur Tür und öffnete … Ein hochgewachsener, blonder Dragoneroffizier stand vor ihr, den sie nicht kannte.

»Rittmeister von Wegelein«, stellte er sich vor. »Darf ich um eine Auskunft bitten?«

»Gern, Herr Rittmeister.«

»Könnten Sie mir sagen, wohin die russischen Truppen, die hier gelegen haben, abgezogen sind?«

»So viel wir gehört haben, nach Bialla.«

»Danke. Ist denn hier kein Mann im Hause?«

»Nein, der Sohn des Hauses ist heute früh von den russischen Dragonern nach Bialla geschleppt worden.«

»Na, den werden wir heute Nacht befreien … Darf ich Sie bitten, vorzumerken, dass ich das Gut als Quartier für meine Schwadron mit Beschlag belegt habe? Auf Wiedersehen.«

»Heil und Sieg«, rief ihm Christel nach.

Die Hoffnung in ihr war erwacht.

… Wolf war stundenlang in seinem Kerker umhergegangen, bis ihn die Abspannung auf die Pritsche warf … In dumpfem Hindämmern, von bleierner Müdigkeit gequält, verbrachte er die Stunden … Gegen Abend erwachte er und stand von seinem harten Lager auf … Alle Knochen schmerzten ihn … Er sah sich um. Die Schatten der Dämmerung waren bereits in das Gemach gekrochen. Hatte man ihn vergessen, oder waren womöglich die Russen durch einen Angriff deutscher Truppen verhindert, sein Schicksal zu erledigen? … Er lauschte, ob er nicht etwa Schießen oder Kanonendonner hörte … Nein, aber jetzt hörte er Wagen über das Steinpflaster rasseln … Kein Zweifel, die Munitionskolonnen verließen den Markt.

Es wurde dunkler und zuletzt ganz finster in seiner Zelle … Jetzt hörte er dicht vor seinem Fenster laute Kommandorufe, und gleich darauf das taktmäßige Marschieren einer Abteilung Soldaten … Das konnte doch nur die Wache sein, die eben wegzog.

Er schob den Tisch ans Fenster und versuchte hinauszuspähen. In freudigem Schreck fuhr er zurück. Ein Kanonenschuss dröhnte so laut, dass die Scheibe vor seinem Gesicht erklirrte. Ein zweiter, ein dritter … Jetzt Gewehrgeknatter. Ganz in der Nähe. In den Straßen der Stadt wurde gekämpft.

Er sprang vom Tisch und rüttelte an der Tür. Dann setzte er sich wieder auf den Schemel und horchte.

Da, jetzt ein brausendes Hurra aus deutschen Kehlen, ein paar einzelne Schüsse, ein eiliges Laufen. Er konnte sich nicht halten.... Er sprang auf, schwang seine Mütze und rief Hurra! Noch eine Stunde hatte er gesessen, da kamen Schritte den Korridor entlang … Jemand schlug an die Türen und rief:

»Ist hier jemand drin?«

»Ja«, rief Wolf, »ein Deutscher, den die Russen eingesperrt haben.«

»Einen Augenblick Geduld«, erwiderte die Stimme, »wenn wir die Schlüssel nicht finden, schlagen wir die Tür ein…«

Fünf Minuten später krachten heftige Schläge gegen die Tür, die das Schloss zerschmetterten. Er war frei … Zwei bärtige Landsturmmänner standen freundlich lachend vor ihm:

»Na, da freuen Sie sich wohl, was?«

»Das will ich meinen. Ich habe stündlich erwartet, vor ein russisches Kriegsgericht gestellt zu werden.«

»Auf das Vergnügen müssen Sie diesmal schon verzichten«, erwiderte der Unteroffizier, der dazukam.

»Jetzt bekommen die Russen Keile, aber nicht zu knapp. Wissen Sie schon von Hindenburg und der großen Schlacht bei Tannenberg?«

»Nein, was ist dort passiert?«

»Was, Sie wissen das nicht? Die ganze Narewarmee haben wir in dreitägiger Schlacht vernichtet. Neunzigtausend Mann haben wir gefangen und ebenso viel, wenn nicht mehr, in die masurischen Seen und Sümpfe hineingejagt…«

»Da muss ich Hurra schreien, ich kann mir nicht helfen.«

»Na, denn los. Eins, zwei, drei: Hurra!«

Und die vier Männer schrien Hurra, dass die Wände dröhnten.

… Zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, saßen die beiden Frauen in Dalkowen abends am Tisch.

Ein Kanonendonner, der die Fenster klirren und die Türen aufspringen ließ, erschütterte das Haus … Dann wurde es still … Christel wiederholte unermüdlich jedes Mal in anderer Form und mit anderen Gründen, dass die Russen nicht mehr Zeit gehabt haben könnten, sich um die Gefangenen zu kümmern. Und die Mutter hörte mit stillem Lächeln zu. Auch in ihr war die Hoffnung erwacht…

Da ging die Tür der Veranda, ein fester Schritt kam durch das Gartenzimmer … Christel sprang auf, aber sie geriet nicht mehr zu sagen: »Das ist Wolf!« Da stand er auch schon in der Tür:

»Mutter!«

Ein Blick ihrer strahlenden Augen wies ihn zu Christel, die in holdseliger Verwirrung tief errötend die Augen senkte … Mit ausgebreiteten Armen ging er auf sie zu:

»Christel, meine geliebte Braut!«

Wortlos barg sie das Gesicht an seiner Brust. Zu stillem Segen senkten sich die Hände der Mutter auf ihre Häupter.

Der Baron von Wegelein, der sich am nächsten Morgen mit seiner Schwadron in Dalkowen einquartierte, war noch nicht eine Stunde im Hause, als Wolf freudestrahlend zur Mutter hereintrat.

»Hurra, Mutter, ich bin wieder Soldat.«

Christel kam hereingestürzt.

»Wolf, ist das wahr?«

»Ja, freust du dich auch?«

»Ja, mein lieber Wolf. Wir freuen uns, dass dir dein Wunsch erfüllt wird, und dass du zur Verteidigung des Vaterlandes mitziehen darfst … Aber wie ist das so schnell gekommen?«

»Der Baron hat mich durch seinen Karbolfähnrich untersuchen lassen. Ich bin kerngesund, und der Baron meint, ich bin ein Mann von Eisen … Wer einen Trab von hier nach Bialla aushält, hat seine Kriegstüchtigkeit erwiesen … Morgen soll’s losgehen nach Lyck, wo wir die Russen rauswerfen werden … Uniform, Säbel und Browning habe ich ja. Die liegen wohlverwahrt im Versteck unten.«

Als die erste Aufregung sich gelegt hatte, besprachen alle drei, was nun zu geschehen hätte … Nach Westen, nach Johannisburg war jetzt der Weg frei … Einige Kosakenpferde, von denen der Baron mit seiner Schwadron fast hundert erbeutet hatte, wollte er ihnen zur Verfügung; stellen … Dann sollte alles, was noch von wagen vorhanden war, bespannt werden … Auch die Leute sollten Dalkowen verlassen … Hinter Styrlak hatte Wolf noch ein kleines Gütchen, Grünheide, das er vor einigen Jahren in der Zwangsversteigerung hatte übernehmen müssen … Ein ziemlich geräumiges Wohnhaus war vorhanden … Ein alter, verständiger Kämmerer führte die Wirtschaft … Da würden sie Lebensmittel finden und in Sicherheit sein … Auch die Andreaswalder konnten dort Unterschlupf finden, wenn sie es nicht vorzogen, die Heimat zu verlassen…

Am anderen Morgen standen die Wagen angeschirrt auf dem Hof … Für Mutter und Christel ein geschlossener Kutschwagen, den die Russen mitzunehmen vergessen hatten … Für die Leute drei alte Leiterwagen, die man durch eifrige Arbeit soweit instand gesetzt hatte, dass sie die Reise aushalten konnten.

Auch die Dragoner standen zum Abmarsch bereit angetreten … Die Offiziere hatten sich schon von den Damen verabschiedet … Jetzt trat Wolf vor die Mutter und die Braut … Wie schmuck er aussah, in der knappen, feldgrauen Uniform.

Er nahm den Helm ab und beugte sich über die Hand der Mutter … Dann umfasste sie ihn und legte seinen Kopf an ihre Brust:

»Gott behüt’ dich, mein geliebter Junge, und halte dich brav, wie es einem deutschen Soldaten zukommt…«

Sie wandte sich ab und trat vor die Tür hinaus.

Eine Minute später schritt Wolf an ihr vorbei und schwang sich auf sein Pferd, das ein Dragoner ihm zuführte … Noch einen kurzen Gruß, ein Kopfnicken, dann trabte die Schwadron an.

Eng umschlungen standen die beiden Frauen und sahen den Reitern nach. Freudiger Stolz leuchtete aus ihren Augen.

Ende

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06 aralık 2019
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