Kitabı oku: «Herd und Schwert», sayfa 3
»Wir hatten’s natürlich der Seligen seinerzeit vermeldet und die hatte mit den Achseln gezuckt und gesagt: ‘Lasst sie nur machen. Viel Schaden tut sie uns doch nicht, so lange sie’s nur für die eigene Küche braucht, und ich glaube fest, unser Wild richtet mehr Unheil auf ihren Äckern an, als sie uns schadet.’«
»Da könnten die jungen Damen ja den Schaden anmelden,« sagte Herr von Berg.
»Ja, das könnten sie wohl, aber da kennen Sie die Mertinatschen Mädels schlecht. Eh’ die einen Heller genommen hätten, eher wären sie verhungert. Nun handelt es sich nur darum, wie wir die Geschichte jetzt handhaben sollen.«
»Wir lassen es natürlich beim Alten, also ganz so wie es zu Tante Christinens Zeiten gewesen ist.«
»Das ist ja ganz schön und ganz gut,« sagte der Gutsinspektor, »aber die Sache hat einen neuen Haken bekommen. In Goldap ist nämlich seit einer Weile Wild auf dem Markt, das ganz sicher kein anderer hingeliefert hat, als die kleine Mertinat. Einmal hat unser Förster sie ja dabei erwischt, wie sie sich gerade einen Rehbock bei uns herausgeholt hatte, na und da hatte er, um ein Exempel zu statuieren, nicht viel Federlesens gemacht, hatte ihr ihre Büchse abgenommen, mit der sie den Bock geschossen hatte, und hatte sie bei der Gutsherrin zur Anzeige gebracht. Die aber hatte wieder nur gelächelt und gesagt: ‘Lassen Sie’s gut sein, Fröhlich, die Angst wird schon als Lektion gefruchtet haben. Geben Sie ihr die Büchse nur ruhig wieder. Sie soll sich’s aber gesagt sein lassen, dass so was nicht länger geht.’«
»Na und?« fragte der Gutsherr, den die Sache sichtlich zu interessieren schien.
»Unser Förster wollte die Kleine nicht vor ihren Schwestern blamieren. Er wartete also ab, bis er sie allein fand. ‘Ich habe Ihnen hier etwas zu geben, Fräulein Georginchen’, sagte er, ‘hier Ihr Gewehr, und Frau von Rosen lässt Ihnen sagen, sie sähe von einer Bestrafung noch ab und sie gäbe Ihnen sogar Ihr Gewehr zurück.’ Da aber hätten Sie die Kleine sehen sollen. ‘So? Tut sie das?’ rief sie. ‘Na, dann erzählen Sie ihr auch, wie ich ihr Geschenk aufgenommen habe und was ich daraus mache.’ Mit diesen Worten nahm sie das Gewehr und wollte es einfach über ihrem Knie zerbrechen. Als das aber nicht ging, da nahm sie’s, wirbelte es ein paarmal herum und schlug es mit solcher Gewalt gegen einen Baum, dass es in tausend Splitter ging. Die warf sie dem Kittler vor die Füße. ‘So, und das können Sie ihr auch mit zurücktragen.’«
»Das muss ja ein ganz gefährliches Mädel sein«, rief Kurt von Berg.
»Ist sie auch und wenn die so bleibt, dann Gnad’ Gott dem, der die einmal heimführt! Ich weiß aber immer noch nicht, was wir mit der kleinen Grünröckin tun sollen, wenn wir sie wieder einmal auf Wildfrevel erwischen.«
»Ja, wenn Sie wirklich den Markt damit beschickt, dann ist das eine ganz verteufelte Sache«, erwiderte Herr von Berg. »Aber wissen Sie was, das Beste ist, Sie schreiben der Ältesten, wie die Sache steht und bitten sie, doch ein bisschen besser auf ihre jüngere Schwester zu achten und sie ein klein wenig mehr an der Kandare zu halten, damit sie ihre tollen Seitensprünge nicht mehr macht, die ihr teuer zu steh’n kommen könnten. Halten Sie aber das Schreiben in einem recht versöhnlichen Tone, aus dem sich sofort herauslesen lässt, dass wir die Sache nicht tragisch nehmen, denn das tun wir doch nicht, was? Solange sich der kleine Wilddieb in mäßigen Grenzen hält.«
»Das zu beurteilen ist ganz Ihre Sache, Herr von Berg,« sagte der Inspektor, und der Brief ging ab.
5. Kapitel
Es war abends.
Die Dämmerung, die alles Licht aus der sonst so hellen Arbeitsstube des jungen Gutsherrn allmählich vertrieben hatte, wich nun schon selber der Dunkelheit, in der sich Kurt am wohlsten fühlte, zumal wenn er die glimmende Glut seiner gut brennenden Zigarre, bei jedem Zuge, den er tat, in ihrem leuchtenden Rot aufzucken sah.
Da konnte er am besten allen seinen Gedanken nachhängen, die ihn der wirklichen Welt entrückten und in das Reich jener Lebensträume führten, die mehr oder minder ja jeder für sich oder für andere spinnt.
Plötzlich aber wurde er von Jons aus diesen Träumen durch die Meldung geweckt:
»Es ist jemand draußen, der den Herrn gern sprechen möchte.«
»Zu dieser Stunde? Wer denn, Jons? Etwa Herr Braczko?«
»Nein, eine Dame. Eine von den Mertinats unten.«
»Oh!« rief Herr von Berg ganz erstaunt und erhob sich aus seiner so wundervoll bequemen Stellung, die er bis jetzt eingenommen hatte.
»Ich lasse bitten.«
»Es tut mir leid,« sagte in demselben Augenblick eine sehr weiche, liebliche Stimme, »dass ich Sie zu dieser Stunde noch belästigen muss. Der Zweck meines Kommens duldet aber leider keinerlei Aufschub, wenigstens hätten wir, meine Schwester und ich, keine ruhige Stunde, ehe diese Sache geordnet ist.«
Kurt von Berg war, während diese Worte wie Glockenton an sein Ohr schlugen, an die Tür getreten und hatte das elektrische Licht angedreht. Bei dem hellen Lichtschein, der plötzlich das ganze Gemach überflutete, sah er, nicht ein Weib, nein eine Vision, sah das Weib seiner Träume!
Madeline von Mertinat war schlank, kraftvoll und sehnig gebaut, hatte aber einen Leidenszug auf ihrem Gesicht liegen, der ihre ganze Gestalt mit zu umfließen und ihrer ganzen Erscheinung den Wesenszug einer Dulderin auszuprägen schien.
Sie war bleich und auch ihre Lippen schienen blutleer und weiß. In ihren Augen, die tief und blau wie ein See waren, schien eine fast angstvolle Schwermut zu liegen und das glatt gescheitelte Haar gab dem feingeschnittenen Antlitz etwas geradezu madonnenhaft Schönes.
»Darf ich bitten?« sagte der junge Gutsherr und wies auf den hohen Lehnstuhl, der am Schreibtisch stand.
»Sie kommen wohl wegen der Hypotheken,« fragte Herr von Berg, der die Episode mit seinem Gutsinspektor längst vergessen hatte, nur um etwas zu fragen.
»Nein,« sagte Madeline von Mertinat, »ich komme wegen … wegen Georginne, wegen des Geschehnisses mit meiner Schwester Georginne,« wiederholte sie und sah ihn, ihre Lippen aufeinander beißend, fest dabei an.
»Oh, und was hat Ihr Fräulein Schwester getan?« fragte er.
»Das wissen Sie doch ganz genau. Sie hat in Ihrer Forst, auf Ihren Feldern gewildert. Jahrelang hat sie das getan, ohne dass wir es wussten. Von ihrem zwölften Lebensjahr an, und die ganze Zeit über, haben wir Ihren Wildbraten gegessen, während wir geglaubt hatten und glauben mussten, dass es unser Wild sei! Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, dass wir keine Ahnung davon hatten. Wir waren der festen Überzeugung, dass wir alles5 dem Jagdglück und der Geschicklichkeit unserer Schwester verdankten, und freuten uns des Wildreichtums, der unser einziger Reichtum geblieben zu sein schien. Sie werden mir vielleicht nicht glauben. Sie werden es für unmöglich halten, dass wir so blind und vertrauensselig gewesen sein sollten. Und doch ist es so! Ich kann Ihnen mein Ehrenwort darauf geben.«
»Aber ich bitte Sie, gnädiges Fräulein, das ist doch gar nicht so schrecklich zu nehmen. Ich hatte die ganze Geschichte überhaupt schon vergessen, eine so geringe Wichtigkeit habe ich Ihr beigelegt. Ich hatte es nur für meine Pflicht gehalten, es Sie wissen zu lassen, nicht, weil ich die paar Hühner und Hasen, auf die es herauskommt, als eine Schädigung meines Wildstandes betrachtet hätte, sondern weil ich mir dachte, dass es nicht, sagen wir pädagogisch richtig sein würde, ein Kind, und das ist ja, wie ich höre, Ihr Schwesterlein noch, nicht davor zu behüten, dass eine Unüberlegtheit, vielleicht doch bei ihr zur Passion und dann allerdings gefährlicher werden könnte.«
»Sie haben es eine Unüberlegtheit genannt, Herr von Berg. Das ist, meiner Ansicht nach, nicht der richtige Ausdruck dafür. Ich habe einen weit schärferen …«
»Dann jedenfalls einen ganz ungerecht harten, wenn Sie alle mitbestimmenden Gründe ins Auge fassen,« erwiderte er.
Da aber sprang sie auf.
»Wie meinen Sie das?!« rief sie aus, und ihre Augen schienen Blitze zu sprühen, während ihre feinen, schmalen Hände sich in den sich wundervoll anschmiegenden Handschuhen zusammenkrampften.
»Wollen Sie uns vielleicht unsere Armseligkeit vorwerfen? Glauben Sie vielleicht …?«
»Ich glaube gar nichts,« unterbrach er sie, »und habe nie an das gedacht, was Sie mir jetzt in Ihrer Erregtheit unterschieben wollen. Ich habe lediglich an die übergroße Freiheit gedacht, in der Ihr kleines Schwesterchen aufgewachsen zu sein scheint, und ich möchte nur wissen, was Sie mit dem Kinde vorhaben, das nun ich plötzlich auf dem Gewissen haben soll, während eigentlich doch auch Sie, gnädigstes Fräulein, einen Teil der Schuld mittragen.«
»Ich?« rief sie und sprang wieder auf.
»Ja. Denn an allem ist meiner Ansicht nach nur Ihr – verzeihen Sie mir, dass ich so aufrichtig spreche, aber Ihr übergroßer Stolz schuld. Man schlägt die Hand nicht aus, die sich einem in Freundschaft anbietet, um einem zu helfen. Ich bewundere zwar Ihren Stolz und die Fähigkeit Ihres Ausharrens und Ihres geradezu heldenhaften Ankämpfens gegen die Verhältnisse, die das Schicksal nun einmal mit sich gebracht hat, aber die Bewunderung, gnädigstes Fräulein, schließt nicht immer das Zugeständnis ein, dass man mit dem, was man bewundert, auch einverstanden sein muss. Sie haben aber eine Art Märtyrertum darin gesehen, das Kreuz des Lebens auf sich zu nehmen, und das selbst dort, wo es nicht unumgänglich notwendig war. Nein, bitte, lassen Sie mich ausreden. Ihre Schwester – Georgine nannten Sie, glaube ich, ihren Namen – war jedenfalls noch viel zu sehr Kind, um das Verständnis für Ihre Lebensauffassung zu haben, und da sie sich das, was sie haben wollte und was sie, vielleicht nicht ganz mit Unrecht, als eine Lebensnotwendigkeit empfand, nicht anders beschaffen konnte …«
»So stahl sie es,« setzte Madeline von Mertinat den Satz des jungen Gutsherrn fort, gleichsam als wollte sie ihm auf diese Art das Wort abschneiden.
Er jedoch ließ sich nicht beirren.
»Nein,« sagte er, »ich nenne das anders. Sie nahm es sich eben dort, wo sie es im Überfluss fand und legte sich gar nicht Rechenschaft über das Unrecht ab, das sie damit beging. Sie war sich ja auch gar nicht eines solchen bewusst. Rechnen Sie dazu noch die ihr offenbar angeborene Lust am edlen Weidwerk, und Sie werden ohne weiteres sehen, dass das sich selbst überlassene Kind der Lockung und Versuchung unterliegen musste. Überdies wurden ihr ihre kleinen Ausflüge in das Gebiet der Wilddieberei zur Zeit, da meine Tante noch lebte, immer recht gnädig nachgesehen, und sie nahm wohl, vielleicht nicht einmal so ganz mit Unrecht an, dass auch ich nicht zu den Unmenschen gehören werde, die ihr kleines Unrecht gleich zum Verbrechen stempeln werden. Schließlich und endlich aber dürfte die Romantik des Wilderns das sicherlich reizende Köpfchen der jungen Wildfrevlerin entflammt haben, und dieses bisschen Romantik dürfen Sie ihr am allerwenigsten übel nehmen, weil Sie, gnädigstes Fräulein, sich auch eine Romantik zurecht gelegt haben, die krankhafter und gefährlicher ist, als die Ihrer Schwester. Ich meine die Romantik des Elends.«
»Wie Sie über mich denken, das kann mich ja kalt lassen, nicht wahr, Herr von Berg«, sagte Madeline. »Bei der Beurteilung des Fehltrittes meiner Schwester Georginne vergessen Sie aber eines: sie hat nicht nur für uns gewildert, sondern sie hat auch das Ihnen gestohlene Wild an den Goldaper Wildbrethändler Söhnke verkauft.«
Das Gesicht des Gutsherrn wurde sichtlich viel ernster.
»Ja,« sagte er, »Sie haben recht, das gibt der Sache einen unangenehmen Beigeschmack. Aber auch da können wir mildernde Umstände annehmen. Trotzdem aber muss ich Ihnen gestehen, dass es gerade dieser Umstand war, der mich veranlasste, Sie von der ganzen Sache überhaupt in Kenntnis zu setzen. Wenn ich mir aber auch hier sage, dass wir es nur mit der Unüberlegtheit eines Kindes zu tun haben …«
»Dann sprechen Sie,« unterbrach sie ihn, »das furchtbarste Urteil für seine Zukunft aus, das man überhaupt zu fällen vermag, denn wenn sie nicht einmal die Armut von jetzt zu ertragen vermag, was wird dann erst in ein paar Wochen aus ihr werden?«
»Wieso? Wie meinen Sie das?« fragte Berg, von der Tragik in des Mädchens Worten, noch mehr aber von der Verzweiflung in ihrer Stimme und ihrer Haltung erschüttert.
»Wenn wir heimatlos, obdachlos hinausgestoßen sein werden in die Fremde! Hilflos, geldlos, freudlos in ein Leben gestürzt, das wir nicht kennen. Was wird aus Georginne dann, wenn jetzt schon ein Dieb aus ihr wurde?! Glauben Sie denn, die Welt draußen hat weniger Versuchungen für ein Kind, als unser stilles, einsames Heim hier? Ja, für ein Kind! Aber für ein Kind von siebzehn Jahren. Für ein Mädchen, das draußen sicher für schön gelten wird! Nein, nein, Sie wissen das anders, und ich weiß es auch!«
Sie war wieder in ihren Stuhl zurückgesunken und barg ihr Gesicht krampfhaft in beide Hände. Es war, als wolle sie durch den physischen Druck, die Tränen zurückhalten, die der seelische Schmerz ihr schluchzend erpressen wollte.
Berg wusste in seiner Herzensangst nicht, was tun. Er konnte, wollte und durfte dieses wundervolle Geschöpf, das geschaffen schien, um glücklich zu sein und glücklich zu machen, nicht weinen sehen. Am liebsten … so, was er am liebsten getan hätte, das wusste er wohl.
Er hätte diese Hände genommen und mit sanfter Ljebesgewalt von den in Tränen schwimmenden Augen gelöst. Er hätte dieses wundervolle, blasse, zitternde Köpfchen an sein Herz, an seine Brust gelegt und gesagt: »hier, hier ist ein Platz, hier schlägt ein Herz für dich!« Aber durfte er das? Bei jeder anderen vielleicht ja, bei ihr aber nicht. Und so sagte er nur im ruhigsten, geschäftsmäßigsten Tone, der ihm möglich war:
»Sie müssen sie eben irgendwohin in die Schule geben. In ein ganz ausgezeichnetes Pensionat, in dem sie durch ihre Lehrerinnen sowohl, als ihre Freundinnen, andere Anschauungen vom Leben gewinnen kann, als die, die sie sich bisher in ihrer frühreifen Selbständigkeit anzueignen vermocht hat.«
»Pensionate, Herr von Berg, kosten Geld.«
»Gewiss kosten sie das, es muss aber eben darauf angewandt werden.«
»Auch wenn man keins hat?« fragte sie mit verzweifeltem Lächeln.
»Sie bilden sich ja nur ein, dass Sie keines mehr haben,« sagte er. »Wenn Sie Ihr Gut verkaufen, so bleibt Ihnen, wenn Sie einen rechtschaffenen Käufer haben, dem daran liegen muss, das Land in seine Hand zu bekommen, weil er dadurch, so wie ich, sein eigenes Gut arrondieren kann, dann sicher nach Abzug aller darauf lastenden Schulden, gewiss noch eine Summe übrig, die jedenfalls hinreichen dürfte, Ihren Lebensbedürfnissen zu genügen und jene Ausgaben zu ermöglichen, die Sie ja selbst für notwendig halten. Und wenn das nicht der Fall wäre, dann müssten Sie eben mir erlauben, in meinem Interesse, im Interesse meines gefährdeten Wildstandes, das meinige dazu beitragen.«
Er lächelte, als er das sagte, sie aber rief:
»Herr von Berg!«
und die alte Empörung schien wieder in ihr zu erwachen.
»Mit Ihrer Entrüstung, mein verehrtestes Fräulein, kommen Sie nicht weit. Wenn Sie mir das Recht nicht geben wollen, zu helfen; wenn Ihr krankhafter Stolz sich wirkliche immer noch dagegen aufbäumt, dann lässt sich eben nichts dagegen machen, dann sind Sie ebenso unheilbar, wie die Zustände auf Ihrem Gute.
Mein Recht, gnädiges Fräulein, mein ganz unumstößliches Recht, Ihr Fräulein Schwester ihrer Bestrafung zuzuführen, lasse ich mir nicht nehmen, und Sie gestatten wohl, dass ich diesmal Kläger und Richter in einer Person bin und demgemäß Ihr Fräulein Schwester zu zwei Jahren Festung, zwei Jahren Königsberg verurteile, die sie in einem guten Pensionate abzubüßen hat. Was aber Sie anbelangt, so rate ich Ihnen als Freund – ich weiß, ich weiß, als sehr unerwünschter und ungebetener Freund, meinen Vorschlag anzunehmen.«
Er sah, wie sie zusammenzuckte und förmlich nach Atem ringend, mit sich kämpfte.
»Ich verstehe,« sagte er, »wie schwer Ihnen der Entschluss werden muss. Denken Sie aber doch, was für ein Unterschied zwischen einem freihändigen und einem Zwangsverkaufe Ihrer Liegenschaften ist. Bei ersterem können Sie Ihre Bedingungen stellen, bei letzterem müssen Sie tatenlos zusehen. Stellen Sie doch diese Bedingungen. Das schwerste für Sie ist jedenfalls der Gedanke, das Haus, das Ihren Vätern gehört hat, das Haus Ihrer Jugend, verlassen zu müssen. Ist denn das aber nötig? Kann in den Kaufvertrag nicht eine Bedingung hineinkommen, die Ihnen das Recht gibt, auf dem Gut zu verweilen? Etwa als Eigentümern einer Sitzstelle mit Garten. Ist das nicht ein annehmbarer Vorschlag? Nehmen Sie ihn an, Fräulein Mertinat, es ist nur zu Ihrem Besten.«
Er streckte ihr seine Hand entgegen, als solle sie in diese einschlagen, sie aber übersah wohl geflissentlich seine Bewegung.
»Ich werde mich mit meiner Schwester besprechen,« sagte sie. »Nicht mit meiner Schwester Georginne, sondern Malvine. Leben Sie wohl, Herr von Berg.«
Damit war sie gegangen. Er hatte sie bis zur Tür begleitet.
Ein stummer, ganz förmlicher Gruß und dann … war alles vorbei.
Das heißt, nicht alles, denn Herr von Berg nahm seine Zigarre, zündete sie sich an und warf sie nach wenigen Augenblicken mit einem Ausruf des Zornes weit von sich weg.
»Kurtchen, mein alter Junge, ich glaube, du warst eben ein recht großer Esel oder bist auf dem besten Wege, es zu werden.«
Dann ging er hin, drehte das elektrische Licht wieder ab, steckte sich einen anderen Glimmstängel an, und gab sich seinen Gedanken wieder hin, die jetzt ganz, aber ganz anderer Art waren, als früher.
6. Kapitel
Am nächsten Tage schon wurden von Madeline von Mertinat die Verkaufsverhandlungen mit dem Herrn Oberinspektor der von Bergschen Güter begonnen.
Nicht mit Herrn von Berg selber, und so stand er persönlich, einem Ausgeschalteten gleich, bei dem ganzen Verkaufe hinter den Kulissen und gab nur vor dem Notar seine Unterschrift. Damit war die Sache erledigt, denn dass er sich nicht vordrängte, wenn man ihm so deutlich zeigte, wie man ihn mied, das war doch selbstverständlich…
Das Mertinatsche Gut hatte aufgehört zu bestehen, den drei Mertinatschen Töchtern aber war, ganz so, wie Kurt von Berg das in Vorschlag gebracht hatte, das Recht geblieben, das Gutshaus bis an ihr Lebensende zu bewohnen, und ein schönes Stück Hausgarten und Obstgarten war bei dem Hause geblieben, und ein Stück Feld und eine Wiese zum Nießbrauch auch.
Haus und Garten hatten sich die beiden Mertinats – denn Georginne war selbstverständlich fort – umfrieden lassen, wohl um damit anzudeuten, dass sie sich ganz für sich allein, von der Welt, zum mindesten aber von ihrer nächsten Umgebung abschließen wollten.
Selbstverständlich wurde dieser Wunsch respektiert, was aber nicht verhindern konnte, dass die Gedanken des jungen Gutsherrn, doch öfter als sie sollten, hinüberschweiften nach dem Mertinatschen Hause und seiner schönen Insassin.
Diese selbst hatte sich mit dem Schicksal abgefunden, ja, wenn sie offen gegen sich selber sein wollte, musste sie sich sogar gestehen, dass sie sich glücklich fühlte.
Die schwere Last der Sorgen, die auf ihr gewuchtet hatte, war von ihr genommen, ihr und ihrer Schwestern Leben war gesichert, ja sogar eine gewisse Behaglichkeit herrschte wieder in dem Hause, und das war mehr, weit mehr, als sie noch je vom Leben erhoffen zu dürfen geglaubt hatte.
Georginne schrieb aus Königsberg auch sehr übermütig, lustig und zufrieden »die anderen Mädels seien noch viel doller als sie«, und Madeline, die unter den Verhältnissen mehr als sie es gezeigt hatte, gelitten zu haben schien, bekam auch allen Lebensmut wieder, der schon arg im Versagen gewesen war.
Ja, sie bekam wieder einen Anflug von Farbe, und in ihren Augen strahlte ein ruhiges, zufriedenes Glück.
Nur eines nagte an ihr, und das war, dass sie das alles dem Manne verdankte, den sie nicht nur darum, weil er der Erbe der Christine von Rosen war, hasste, sondern noch viel mehr, weil er sie seine Überlegenheit damals, als sie zum ersten und letzten Mal mit ihm sprach, so sehr hatte fühlen lassen.
Sie betrachtete darum auch stets ihr wiedergekehrtes Glück als eine Art Demütigung ihm gegenüber, aber als eine Demütigung, die zu ertragen ist, wie Malvine ihr in ihrem praktischeren Sinne sagte.
Das Haus des Herrn von Berg war übrigens durchaus nicht das geworden, was die Nachbarschaft, oder ein Teil der Nachbarschaft sich von ihm versprochen hatte.
Es war nicht das laute, fröhliche Heim eines sein Leben genießenden Junggesellen geworden, sondern das ruhige, behagliche Heim eines Mannes, der nach des Tages reichlicher und ernster Arbeit, in einer stillen Behaglichkeit sich selbst leben wollte und seine ruhige Zufriedenheit fand.
»Zufriedenheit ist aber nicht Glück, Herr von Berg,« hatte ihm Frau Strawischke gesagt. »Bei Ihnen müsste das Glück hier im Hause herrschen und das kann Ihnen nur eine Frau geben.«
»Das kann schon sein,« hatte Herr von Berg ihr zur Antwort gegeben, und der unwillkürliche Seufzer, der diese Antwort begleitet hatte, war von Frau Strawischke nicht etwa als ein Zeichen der Sehnsucht nach einer ganz bestimmten Person, sondern als allgemeines Sehnsuchtszeichen gedeutet worden.
Und so hatte sie sich denn beinahe den Mund fusselig darüber geredet, was für ein anderer Mensch man durch die Ehe gleich würde, und was für einen Segen die Ehe ins Haus bringe, obwohl der einzige Segen, den ihr die Ehe gebracht hatte, nur der sehr problematische ihrer sechs Töchter gewesen war.
In allem Übrigen aber war die Strawischkesche Ehe in geradezu kläglicher Weise gescheitert, was allerdings nicht an der netten, rundlichen Frau gelegen hatte, sondern ganz natürlich an ihm.
So oft auf dem Bergschen Gutshofe etwas los war, und das war wie gesagt nicht so oft, fuhr sie natürlich mit allen Sechsen an, was die beiden Ältesten als eine verfehlte Taktik empfanden, da merkwürdigerweise die Männer für die Reife weit weniger Verständnis zu haben pflegen, als für das Grüne der vorlauten Jugend.
Mutter Strawischke hatte aber eine andere Ansicht darüber, die sie noch aus der Artillerie übernommen hatte, bei der ihr Vater einstmals gestanden hatte. »Je mehr Geschütze man aufprotzt, um desto eher kriegt man den Feind klein.«
Leider aber wollte ihr System nicht verfangen, so niedlich ihre Töchter auch waren, und so schmachtende Blicke sie auch in unbewachten Momenten auf den jungen Gutsherrn warfen.
Der war freilich, so wie sich für jeden Gastgeber gehört, die Liebenswürdigkeit selbst, aber – gegen alle, und das, war ja gerade, was so zum Verzweifeln war.
Zum Glück blieb die Strawischke nicht mit Ihrer Enttäuschung allein, sondern sie wurde von allen Müttern heiratsfähiger Töchter geteilt, so dass sich allmählich die Zahl der Einladungen, denen der Herr von Berg ausgesetzt war, immer mehr und mehr verringerte.
Und das zur Freude des jungen Gutsherrn, der kein großer·Freund von großen Bekanntschaften war, sondern sich am glücklichsten fühlte, wenn er mit sich oder ein paar gleichgestimmten Seelen allein war.
Ja, das ließ sich gut sagen: »gleichgestimmte Seelen«. Woher aber die nehmen? Und da traf es sich gut, dass eines Tages ein Brief kam.
»Ja, lieber Freund, ist es denn wahr, dass du seit so geraumer Zeit so ganz in unserer Nähe bist, und nichts hast von dir hören lassen? Ist es dem großen Gutsherrn vielleicht nicht bekannt, dass drüben, über der Grenze, ein anderer Gutsherr sitzt, der sich unter sechstausend Banausen mopst und sich nach einer Menschenseele sehnt, die ihn versteht? Ist deine Ehe mit Frau Musika schon getrennt, oder schmachtest du schon in anderen, weniger geistigen, aber dafür umso süßeren Ehefesseln? Das muss ich alles sehen; dem allem muss ich auf den Grund kommen. Mache dich daher gefasst, dass ich dich nächstens einmal überrumple. Heute aber schicke ich gleichzeitig mit diesem meinem Geschreibsel noch meine Visitenkarte an dich ab. Kola.«
Ja, wahrhaftig, an Nikolai von Roth hatte Kurt von Berg eine ganze Ewigkeit nicht gedacht, am allerwenigsten in der letzten Zeit.
Wieso und warum, das war ihm selber nicht klar, jetzt aber freute er sich auf den kommenden Besuch, und das umso mehr, als die Visitenkarte, die Nikolai von Roth abgeschickt hatte, sich als ein schönes dickbauchiges Cello entpuppte, auf dem Kola ein Meister war, während er nach dem Tod der Tante seine Geige arg vernachlässigt hatte.
Jetzt aber suchte er sie hervor, und er streichelte sie mit seiner Hand und mit seinen Blicken, gleich als wollte er ihr das Unrecht abbitten, das er an ihr getan hatte.
Ja, ja, Frau Musika, jetzt kehrt der Sünder reuig wieder zu dir zurück! Er nahm die köstliche Geige behutsam aus Ihrem Kasten, legte sie an seine Schulter an und ließ durch einen Griff seiner Finger ihre Saiten erklingen. Dann strich er mit feinem Bogen darüber hinweg und entlockte ihnen die süßen, herrlichen, langentbehrten, zitternden, schwingenden Töne.
Wie ein Rausch kam es über ihn, wie eine Erfüllung.
Ton an Ton reihte sich ihm wie in herrlicher Schönheit; alles, was in seiner eigenen Seele verborgen lag, legte er in die Seele des Holzes; tongewordene Träume entströmten dem herrlichen Instrumente. Alle Sehnsuchten des Herzens klangen wie ein Strom lockenden Werbens heraus.
Lockenden Werdens und sieghaften Wollens, denn was er spielte, war zum Liebesliede geworden.
Auf dem Korridor draußen lauschte der alte Jons und spitzte die Ohren. So etwas hatte er noch nicht gehört, so lange das Haus stand. Unten in der Küche, bis zu der die nie gehörten Klänge unbestimmt und verschwommen herunterklangen, legte die Köchin, die alte Maria ihren Kartoffelnapf weg, und die Dore, die gerade Zwiebeln schnitt, begann mit tränenden Augen und schluchzender Stimme zu singen:
»Ach Gott, ach Gott, wie ist mir arg,
Mein Schatz der ist in Königsbarg.«
Oben aber, in des Herrn Zimmer, legte dieser seine Geige weg; der verklärte Ausdruck blieb aber noch eine ganze Weile auf seinen Zügen liegen.
Zwei Tage später kam Nikolai von Roth.
Frisch, rot, pausbäckig und mit lachenden Augen wie immer.
»Na du,« rief er dem ihn erwartenden Freunde zu, »du kannst mir gestohlen werden. Seit einem halben Jahr ist er hier und lässt nichts von sich hören, und nur dem Zufall muss man es danken, wenn man’s erfährt. Ist das die Freundschaft? Dann dank’ ich allergehorsamst dafür. So, und damit wir wenigstens unser Trio beisammen haben, habe ich den da, meinen Bruder, gleich mitgenommen. Und das,« – und er wies auf einen jungen, blassen, sehr elegant und geschniegelt aussehenden jungen Mann mit kleinem, sorgsam gepflegten Schnurrbärtchen – »das ist mein Sekretär, Herr von Iwolski. Na, ihr werdet euch ja kennen lernen, denn so schnell bringst du uns nicht wieder weg.«
Er sprach in der offenen, lebhaften Art, die seinem Wesen entsprach, aber mit dem eigentümlichen, getragenen, breiten Tone der Balten.
Kurt von Berg schüttelte ihm freudig die Hände, ebenso Bogdan von Roth, der ihm auch ein lieber Bekannter war, wenn er ihm auch nicht so nahe stand wie Nikolai. Den Sekretär aber begrüßte er mit jener entgegenkommenden Zurückhaltung, die jedem Fremden gegenüber angebracht ist. Die Bratsche und die Violine standen schon bereit.
»Ne, lieber Junge,« sagte aber Nikolai von Roth. »Erst essen. Wir haben nämlich einen mordsmäßigen Appetit nach dieser Fahrt. Es sind doch zweihundert Werst, die wir zurückgelegt haben, und der Frühling liegt uns überdies noch in allen Gliedern. Außerdem weißt du ja, die Seele des Menschen liegt in unserem Magen. War es nicht Kuno Fischer, der uns das gelehrt hat? Nein? Nu, dann war es ein anderer.« und er schob seinen Arm in den seines Freundes und ließ sich von ihm in das Esszimmer führen.
Speisesaal konnte man es füglich wohl nennen.
Die Frühstückstafel war schon gedeckt. Mit Kennermiene wurde sie von Nikolai von Roth überflogen.
»Ja,« sagte er, »das tut’s. Da wollen wir einmal auf russische Art frühstücken, nicht wahr, Timofei Simonowitsch?«
»Wie ist das?« fragte der Sekretär, an den diese Worte gerichtet waren.
Herr von Roth lachte.
»Da ist er ein Russe und ich, ein Deutscher, muss ihm das erst erklären: ein russisches Frühstück fängt früh an und ist abends noch nicht zu Ende. So wollen wir’s halten. Stimmt’s?«
»Wenn die Vorräte reichen, warum nicht?« sagte Herr von Berg lachend.
Das Frühstück zog sich zwar nicht ganz so in die Länge, wie Nikolai von Roth das vorausgesagt hatte, reichte aber doch ziemlich weit in den Tag hinein und war zweifellos das anregendste und gemütlichste, das Kurt von Berg bisher in seinem neuen Heime zu sich genommen hatte, denn es ging plötzlich in das Mittagessen über.
Man hatte über tausenderlei Dinge gesprochen, Berliner Erinnerungen ausgetauscht und über Musik und Weiber gesprochen.
Hauptsächlich natürlich über Musik.
»Ja,« sagte Kola, »dass dir die hier fehlt, das begreif’ ich. Ich finde es nur spaßhaft, dass du ausgerechnet auf mich warten musstest, um dich ihrer wieder zu erinnern. Aber freilich, wenn einem das Pusten und Prusten des Dampfpflugs, wenn einem der Takt der klappernden, schlagenden Dreschflegel, wenn einem der Milchstrom der Kühe zur Musik geworden ist, dann ist es ja möglich, die Kunst zu vergessen. Ich aber bin nur Bauer von sechs bis acht – von sechs Uhr früh bis abends um acht, mein’ ich natürlich, und bin es, frag’ nur die da, mit Stolz und mit Leidenschaft; dann aber zieh’ ich den Bauernkittel oder den Gutsherrnrock aus und werde wieder Salonmensch und Künstler. Ach, Künstler! Weißt du noch, Kurt wie wir davon geträumt haben, als Künstler die Welt zu durchzieh’n? Du, Bogdan und ich? Und wie wir eine vierte gesucht haben, die mit uns zieht? Aber wer weiß, wozu das gut ist, dass es nicht so geworden ist. Im Übrigen siehst du in uns hier«, und er zeigte auf sich, Bogdan und Herrn von Iwolski, »das Fleisch und Bein gewordene Trio: Ich immer noch a11egro vivace, ma non troppo, Bogdan das Andante und unser lieber Herr Sekretär hier das Adagio molto moderato.«
»Sind Sie denn auch musikalisch?« wandte sich Herr von Berg an Herrn von Iwolski.
»Es gibt keinen Russen,« antwortete dieser, »der es nicht wäre. Aber ich spiele nicht.«
»Gar nichts?«
»Nein.«
»Dann sind Sie eine glänzende Ausnahme von den vielen Tausenden, die nicht musikalisch sind und doch spielen.«