Kitabı oku: «Nils geht», sayfa 2

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DRITTE BEFRAGUNG // SARA AUSTER
Mittwoch, einundzwanzigster Juni, Beginn: neun Uhr

Ich hab den Jo geliebt und Nils habe ich verraten.

Pause.

Können Sie das verstehen? Dass man jemanden liebt und man will es gar nicht …

Ja, Sara. Ja, das kann ich verstehen.

Pause.

Ich hab den Jo geliebt, aber … sein Herz … ist leer … und trotzdem …

Sie lächelt.

Er hat diese Augen, die können strahlen und dich an sich ziehen, und wenn er lächelt …

Pause.

… wenn er lächelt … und das hat er manchmal getan, mich angelächelt … MICH … dann …

Pause.

Ich sollte nicht darüber reden. Ich schäme mich so.

Pause.

Nein, Sara, das musst du nicht. Du musst dich nicht dafür schämen, dass du liebst.

Pause.

Wirklich nicht!

Pause.

Erzählst du mir von Rasmus?

Pause, dann schüttelt Sara den Kopf.

Und Fadi?

Sara schüttelt den Kopf. Pause.

Was ist dann passiert?

Pause.

Er machte sich an Mila heran.

Wer?

Na, Nils. Der Nils, der Wahnsinnige! War klar, dass der das nicht überleben würde! Mila war Jos Revier!

Pause.

Es war ungefähr eine Woche nach der Party, da fing es in der Mathematikstunde an, wir hatten die Schularbeit zurückbekommen. Paulsen sagte: Meine liebe Mila, auch dir würde es … und irgendwie so weiter, ich weiß es nicht mehr genau.

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»Meine liebe Mila«, sagte Paulsen, »auch dir würde es gut zu Gesicht stehen, wenn du hin und wieder selbiges in deine Bücher stecken würdest.«

»Häh?«, machte Mila.

Paulsen seufzte. »Lernen, meine Liebe! Pauken. Strebern. Saugen. Wie immer ihr das heute nennt. Von nichts kommt nichts!«

»Aber ich versteh’s halt einfach nicht«, schmollte Mila. »Ich kapier dieses Formelzeug nicht. Was soll ich überhaupt damit?«

Rasmus streckte seine Beine von sich und pinnte seinen Kaugummi unter die Bank. »Da werden Sie wohl noch mal ran müssen, Herr Paulsen«, sagte er und hatte ein provozierendes Grinsen auf seinem Gesicht und einen lauernden Ton in seiner Stimme. »Das wird Ihnen nicht erspart bleiben. Was, Jo? Findest du nicht auch?«

Jo lachte, machte eine unbestimmte Bewegung mit der Hand.

»Spart euch eure Unverschämtheiten!«, sagte Paulsen. »Ihr habt es gerade nötig!«

Mila klatschte Rasmus, der vor ihr saß, kräftig auf den Hinterkopf. »Haltet die Klappe, ihr Idioten! Ihr versaut mir alles!«

Dann wandte sie sich wieder Paulsen zu. »Also, Herr Paulsen, was machen wir?«

Er holte tief Luft, schüttelte den Kopf. Es war unfassbar. »Wir machen gar nichts«, sagte er. »Du machst!«

Sie schaute ihre Fingernägel an, völlig unbeeindruckt. »Und was? Herr Paulsen?«

Dann lächelte sie ihn an, hatte Morgentau in ihren Augen oder so etwas Ähnliches, legte ganz leicht ihren Kopf schief. Er seufzte, warf einen Blick durch die Klasse, blieb an Nils hängen.

»Nils«, sagte er und hielt es sofort für eine gute Idee. »Nils wird dir helfen. Nicht wahr, Nils? Du bist doch hier der Beste in Mathematik. Du hilfst unserer lieben Mila. Dass sie die Versetzung schafft. Und uns erhalten bleibt.«

Spöttischer Tonfall, unergründlicher Blick. Er traf erst Mila, dann Nils. Der war erstarrt, wusste nicht, wie ihm geschah, wurde knallrot.

Die Glocke schellte. Paulsen packte seine Mappe und ging aus der Klasse. Scheißkerle, dachte er. Verdammte Scheißkerle! Aber ich krieg euch!

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DRITTE BEFRAGUNG // SARA AUSTER
Mittwoch, einundzwanzigster Juni, Beginn: neun Uhr

Scheißkerl, hab ich gedacht, verdammter Scheißkerl! Er hat ihn ausgeliefert. Er hat ihnen Nils ausgeliefert! Können Sie sich das vorstellen?

Pause.

Natürlich weiß ich, dass der Paulsen keine Ahnung hatte. Lehrer haben nie eine Ahnung. Wie auch?

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»Also, Detlef«, sagte Mila nach der Schule. Sie war Nils zum Fahrradabstellplatz hinterhergelaufen. »Du hast den Paulsen gehört. Wann machen wir was und was machen wir?«

Nils stand da, ein zu kurz geratener Wicht, schniefte durch die Nase, starrte Mila ins Gesicht.

»Ich heiße Nils!«, sagte er fest und nachdrücklich. Mila schaute ihn verblüfft an. »Nils«, wiederholte er, »ich heiße Nils. Das kannst du dir merken, oder?«

»Ähh«, machte Mila verdutzt. »Äh, ja. Kann ich. Ja. Wenn du meinst. Kein Problem.«

Sie überlegte, schien unschlüssig. Sara kam um die Ecke, ging zu ihrem Fahrrad und nestelte am Schloss.

»Also gut, Niiiils«, sagte Mila schließlich, zog den Namen in die Länge und ihre Augenbrauen hoch. »Dann von vorne. Wie machen wir’s also? Wie stellst du dir’s vor?«

»Bei mir«, sagte Nils. »Du kommst zu mir und da lernen wir. Morgen fangen wir an.«

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DRITTE BEFRAGUNG // SARA AUSTER
Mittwoch, einundzwanzigster Juni, Beginn: neun Uhr

Und dann hat er mich angeschaut und ich hab geglaubt, mein Herz bleibt stehen. Ich hab versucht, so zu tun, als ob ich es nicht gehört hätte, hab mein Fahrrad aus dem Ständer gehoben. Dann hat er es noch einmal gesagt. »Bei mir lernen wir«, hat er gesagt und da hab ich Panik bekommen.

Warum?

Sara schaut zu Boden. Pause.

Na, weil …

Pause.

Warum hast du Panik bekommen, Sara?

Weil … weil …

Sara verstummt, sitzt wie ein Häufchen Elend zusammengesunken auf ihrem Sessel.

… weil ich gedacht hab, was, wenn die Mila mich sieht, was, wenn ich der über den Weg laufe, was, wenn …

Pause.

Ich wohne doch im Nachbarhaus. Gleich daneben. Und ich wollt doch nicht, dass …

Pause.

… das jemand erfährt?

Sara sitzt stumm, schaut zu Boden. Pause.

Sara?

Sara nickt.

Pause.

Nein, ich wollt nicht, dass das jemand erfährt. Nicht noch jemand.

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»Wow«, sagte Sara und hob das Rad aus dem Ständer. »Was für ein Umstand. Lernt doch einfach hier, gleich nach der Schule.«

Als sie Nils’ Blick auf sich spürte, fuhr ihr so etwas wie eine Faust in den Magen, aber sie hielt sich gut, schluckte, brachte sogar ein hastiges Lächeln zustande.

»Was mischst du dich eigentlich ein? Geht dich das irgendwas an? Bist du sein Kindermädchen? Oder meines? Das wüsst ich aber!« Milas Stimme war kalt und knapp. »Also gut, Niiils, dann bei dir. Schick mir deine Adresse!«

Sara versank in ihrer Scham, ihrem Zorn, wusste nicht, was überwog. Mila tänzelte davon. Tusse, dachte Sara, blöde Tusse! Und dabei hatte sie immer wie Mila sein wollen, eine Tänzerin, ein Elfending.

Erneut spürte sie das kräftige Grimmen in ihrem Magen und wusste, kein Hunger, nein, Traurigkeit war, was da umrührte, Traurigkeit und Zorn über sich selbst, über ihre Feigheit und ihr Schweigen und dass das alles sie so schrecklich hilflos machte.

Sara blickte hoch, schaute in Nils’ Gesicht, in seine Augen. Kluge Augen, dachte sie, er hat wirklich kluge Augen.

»Geh halt über die Garage raus, wenn du rausgehst«, sagte er. »Ich sage nichts. Ich verrate dich nicht. Hab ich noch nie getan. Kannst ja auch nix dafür, dass unsere Mütter …«

Kurz ruckelte sein linker Fuß über die Kieselsteine, dann schwang er sich auf das Rad und fuhr davon. Sara schaute ihm hinterher und schluckte. Nein, dachte sie, hat er noch nie getan.

Sie lernten. Und es half.

Jeden zweiten Nachmittag kam Mila zu Nils nach Hause. Drei Wochen lang. Nils hatte eine Engelsgeduld und offenbar pädagogisch-didaktische Fähigkeiten, denn Mila begriff, was ihr in den Mathematikstunden von Herrn Paulsen ein unbegreifbarer Gräuel geblieben war. Alle Gleichungen lösten sich auf, alle Konstruktionen zeichneten sich wie von selbst, alle Textrechnungen entfalteten sich und wurden logisch und klar.

»Du bist ein Genie«, sagte sie am Ende der letzten Nachhilfestunde und schaute Nils bewundernd an. »Wieso kannst du das? Und wieso kannst du das vor allem so gut erklären?«

Nils zuckte die Schultern, war überrascht über dieses Lob, war verlegen. »Keine Ahnung. Ist doch nicht schwer.«

Mila lachte. »Doch«, rief sie, »es ist schwer! Sogar sauschwer!«

Sie sprang auf. »Aber plötzlich …«

Theatralisch streckte sie ihre Arme in die Luft. »Plötzlich eröffnet sich mir eine mathematische Superwelt! Wenn wir so weitermachen, schaff ich glatt eine Drei!«

Nachdenklich schaute sie Nils an. »Danke, Nils!«

Nils wurde es warm ums Herz. Die schönste aller Frauen stand ihm gegenüber und bedankte sich. Das Leben war gut zu ihm.

»Gehen wir ein Eis essen? Ich lad dich ein!«

Und es wurde immer besser.

»Ja«, strahlte er. »Ja!«

Sie packten zusammen, verließen das Haus, fuhren in die Stadt, marschierten in die Fußgängerzone. Sie mit ihren langen Beinen voran, er schaute, dass er hinterherkam.

»Du hältst mich für ziemlich oberflächlich, oder?«, fragte sie, als sie an der Flusslände in der Wiese saßen, ein jeder mit drei Kugeln Eis in einem Pappbecher und einem Plastiklöffel. Er dachte nach. Sie riss überrascht die Augen auf. »Oder etwa gar für eine riesengroße Kuh?«

»Nein«, sagte er, »das nicht. Nicht mehr.«

Sie lachte. »Wow«, sagte sie. »Echt so schlimm?«

»Tja«, sagte er. »Du tust viel für deinen Ruf.«

Sie schaute ihn nachdenklich an. Eine Weile schwiegen sie, schleckten das Eis, schauten in den Fluss.

»Du hast es gut«, sagte sie schließlich, »weißt du das?«

Er verschluckte sich fast.

»Ja«, wiederholte sie, »du hast es gut.«

Er schaute sie an, wie vom Autobus überfahren. »Ich? Soll es gut haben? Ich? Der Freak? Der Nerd? Der Spinner, auf den ihr alle spuckt und scheißt? Ich soll es gut haben?«

»Ja«, sagte sie fest, »ja! Weil du was kannst. Weil du deine Begabung gefunden hast. Weil du weißt, was du kannst. Und weil du jetzt weißt, wo du hinmusst. Später. Nach der Schule.«

Immer noch Autobus. Immer noch überfahren.

»Schau mich doch an«, fuhr sie eifrig fort, »und was du mit mir geschafft hast!«

Er begann zu staunen.

»Du bist so klug«, sagte sie, »und du hast die Gabe, diese Klugheit weiterzugeben. Der Paulsen, der ist auch klug. Aber er kann es nicht weitergeben. Zumindest nicht an Leute wie mich. Aber du … du kannst das.«

Er staunte.

»Mach den Mund wieder zu«, sagte sie und grinste. »Ich hab keine Lust, mir deine Mandeln anzuschauen.«

»Ähh«, machte er, »meinst du das ernst?«

»Was? Das mit deinen Mandeln?«

»Pffff!« Nils verdrehte die Augen.

»Klar«, sagte sie, »mein ich das ernst. Würde ich es sonst sagen?«

Er blickte angestrengt auf den Fluss, dann zuckte er die Schultern. »Keine Ahnung.«

»Schau mich doch an«, fuhr sie fort. Gerne, dachte er, gerne.

»Ich meine, ich gehöre nun einmal nicht zu den ganz Klugen, aber einer wie du kann sogar mir was beibringen. Der Paulsen, wie gesagt, hat das nicht geschafft.«

Er staunte. Immer noch. Wieder. Diesmal mit geschlossenem Mund. Aber genauso ausdrücklich.

»Ich«, sagte Mila, »ich habe keine Ahnung, was ich später mal machen werde. Echt, keine Ahnung. Ich kann nichts besonders gut. Ich habe keine besondere Begabung. Ich bin absoluter Durchschnitt.«

Durchschnitt, dachte er, Durchschnitt?? Mila Durchschnitt??

»Du bist doch nicht Durchschnitt«, sagte er heftig, »du bist alles andere als Durchschnitt! Du bist … du bist … schön! Wunderschön!«

Er starrte sie an, sie verstummte und senkte den Kopf. »Ja«, sagte sie kleinlaut, »ja, vermutlich bin ich das. Schön. Aber was ist das schon? Einen Nobelpreis werde ich damit nicht gewinnen.«

»Stimmt«, sagte er und grinste, »den Nobelpreis kriegst du sicher nicht!«

»Boahh«, sagte sie und boxte ihn in die Seite, »du bist ja richtig gemein!«

»Nein«, sagte er lachend und fing ihre Hand ein, »nicht gemein, nur ehrlich. Aber wer weiß, wenn ich weiter mit dir lerne, vielleicht entwickelst du dich! Immerhin weißt du ja schon, dass es sowas wie einen Nobelpreis überhaupt gibt!«

»Ja«, schrie sie lachend und entwand ihm ihre Hand. Er lachte auch, es war wie ein Flash, sie konnten nicht aufhören. Irgendwann ging es wieder.

»Also im Ernst jetzt«, sagte sie und wischte sich die Lachtränen aus den Augen, »du hast deinen Weg vor dir. Du musst ihn einfach nur gehen. Darum beneide ich dich.«

Sie redete und redete und er schaute ihr dabei zu und fragte sich, warum er sich so wohl fühlte in ihrer Gegenwart und warum sie plötzlich keine Tusse mehr war und dass plötzlich alles so leicht und klar und einfach schien, sein Leben, die Schule, die anderen.

Plötzlich kam sie ihm ganz nahe und fuchtelte mit ihren Händen vor seinen Augen herum. »Halloooooo?! Erde an Nils?! Sind wir noch da?!«

Er nickte lächelnd. »Ja. Jaja.«

»Gut«, sagte sie so streng, wie Frau Degenhard in ihren besten Momenten nicht. »Dann wirst du mir sicher wiederholen können, was ich dir jetzt gerade gesagt habe.«

»Nein«, sagte er bedauernd, »kann ich nicht. Ich habe keine Ahnung, was du da gerade alles gebrabbelt hast.«

»Gebrabbelt?! Ohh!«

Wieder boxte sie ihn und er schützte sich mit den Händen, mit den Armen.

»Ja«, grinste er, »gebrabbelt! Und übrigens: Du hast auch eine besondere Gabe.«

»Aha«, machte sie, »und die wäre?«

»Die Dinge leicht zu machen«, sagte er und war plötzlich sehr ernst, »leicht und einfach. Das ist eine gute Gabe.«

Nun war es an ihr zu staunen. Man machte ihr viele Komplimente, aber solche nicht. Das machte sie verlegen. Das war sie nicht gewöhnt.

»Also gut«, sagte sie schließlich, und er fand es wunderbar und bezaubernd, dass sie ein winziges bisschen rot geworden war. »Dann fasse ich meine Erkenntnisse jetzt für dich noch einmal zusammen! Dass auch einer wie du das versteht!«

Rasch setzte sie ihr strenges Gesicht wieder auf und schoss den rechten Zeigefinger heraus. Er musste an sich halten, um nicht gleich wieder loszuprusten. »Also, du musst natürlich Mathematik studieren! Und dann Lehrer werden! Und ich schick dann meine Kinder zu dir!«

Sie legte den Zeigefinger an die Lippen und überlegte weiter. »Außer du willst Geld verdienen. Ich meine, RICHTIG Geld verdienen. Das kannst du als Lehrer vermutlich nicht. Da solltest du dann besser bei Jo anheuern und ihm die Kalkulationen oder irgend sowas machen. Ich bin überzeugt davon, das kannst du auch.«

Sie kicherte. »Aber vermutlich nicht so gerne bei Jo. Oder?«

Sie schleckte den Löffel ab, stellte den Becher beiseite und strahlte Nils an, als erwarte sie nun eine Belobigung angesichts der wichtigen Erkenntnisse, die sie für ihn gewonnen hatte. Und setzte noch eins drauf. »Eigentlich solltest du dich beim Paulsen bedanken. Denn der ist schuld daran, dass wir all das jetzt wissen.«

»Pfff«, machte Nils leicht empört, »so weit kommt’s noch!«

»Na ja«, sagte Mila, »ist aber tatsächlich so.«

Sie lächelte und legte sich zurück ins Gras.

Er schaute ins Wasser. »Ja«, sagte er leise, »ja. Vielleicht ist das alles so, wie du sagst. Und ja, vielleicht sollte ich mich beim Paulsen bedanken.«

Ein eigenartiges Ziehen im Bauch schreckte ihn auf, es war wie ein Sehnen und noch wusste er nicht, wonach. Vorsichtig drehte er sich zu Mila um. Sie hatte die Augen geschlossen, man konnte sie ungestört betrachten und er tat es. Kleine Schweißperlen glitzerten auf ihrer Stirn und oberhalb ihres Mundes schimmerten winzig feine, weiße Härchen. Wie Babyflaum, dachte Nils entzückt, wie feiner, süßer Babyflaum. Und wusste nun, wo seine Sehnsucht hinwollte.

Als spürte sie seine Blicke, drehte sie ihr Gesicht zur Seite und legte ihren Arm darüber. Er seufzte lautlos. »Aber bei all deinen Überlegungen hast du vergessen, dass ich hässlich bin.«

Sie drehte sich zurück und öffnete die Augen. »Na und«, sagte sie leichthin. »Männer müssen nicht schön sein. Frauen müssen. Männer nicht.«

Er starrte sie verblüfft an. So einfach war das? Ächzend richtete sie sich auf. »Und außerdem, sooo hässlich bist du gar nicht.«

Sie legte die Stirn in Falten und musterte ihn von oben bis unten. »Es sind nur die Ohren. Und was du für Sachen anziehst. Und die Frisur. Und dass du klein bist wie ein Zwerg.« Sie zwinkerte ihm zu. »Aber das kann sich ändern, wir sind ja noch im Wachsen!«

»Ja«, sagte er und konnte schon wieder lachen. Über sich. Und die Welt. Und Mila. Und das Leben. »Besonders du, du Riesin! Wie groß bist du eigentlich mittlerweile? Zwei Meter zehn?«

»Boahhh!!«, platzte sie lachend heraus. »Ich zeig dir gleich meine Zweimeterzehn!!«, und begann ihn zu hauen. Ihm ein paar reinzuboxen. Auf die Arme, gegen die Schultern, auf die Beine. »He«, machte er, »wieso haust du mich ständig? Du alte Schlägerin du!«

Er wehrte sich, schnappte ihre Hände, hielt sie fest, sie lachten, prusteten, rangelten.

Irgendwann lagen sie schwer atmend nebeneinander im Gras mit weitausgebreiteten Armen und Beinen und boten sich der Sonne dar. Irgendwann kam die Wärme. Und die Stille. Vielleicht war er eingeschlafen und die Stille kam deshalb. Vielleicht kam sie aber auch einfach so. Er wusste es nicht und es war auch egal. Die Stille kam, füllte ihn aus, machte ihn satt und weich und alles war gut. Er schaute in den Himmel. Danke, dachte er, danke, wer immer da hinter den Wolken sitzt, hinter dem Blau, danke für das hier.

Irgendwann drehte er sich zur Seite und schaute Mila an, die lag mit geschlossenen Augen wie ein langes, dünnes Rufzeichen. Leise und regelmäßig ging ihr Atem.

Nils nickte zufrieden. Wie schön das alles gerade war. Ob sich Glück so anfühlte?

»Wir haben in England gelebt«, sagte er leise, weil Mila offensichtlich schlief und er sie nicht wecken wollte. »Drei Jahre lang.«

Staunend hörte er sich und dem, was er da sagte, zu. Staunend, weil er das erzählte und ausgerechnet Mila, aber sie schlief ja. Und seit heute schien sowieso alles anders.

Sie schlief nicht. Sie öffnete die Augen und wandte sich ihm zu. »Echt? Das wusste ich gar nicht.«

Er rupfte sich einen Grashalm und kaute daran. »Das weiß fast niemand.«

»Wann?«

»Bis vor einem Jahr. Bis ich zu euch in die Klasse kam.«

»War’s schön da?«

Er überlegte, kaute am Grashalm. »Ja, schon irgendwie. Irgendwie entspannter, ruhiger. Ich weiß auch nicht.«

»Mit deinen Eltern?«

»Mit meiner Mutter.«

»Aha.«

Sie schwiegen. Mila tastete nach dem Handy. »Wow«, sagte sie, »schon fünf! Da haben wir fast eine Stunde verdöst. Und du wirst morgen Sonnenbrand haben.«

»Ja«, sagte er, »vielleicht.«

»Warum seid ihr da hin, nach England«, fragte sie, »und warum wieder weg?«

Er schaute sie an und zuckte die Schultern. »Lange Geschichte. Hat mit meiner Mutter und einem Mann zu tun.«

Sie nickte verständnisvoll. »Solche Geschichten haben immer mit einer Mutter und einem Mann zu tun. Oder mit einem Vater und einer Frau. Oder mit einer Mutter und einer Frau. Oder mit einem Vater und einem Mann.«

Sie lachte kurz. »Und dann«, fuhr sie fort, »dann kommst du ausgerechnet zu uns.«

»Ja«, sagte er, »ausgerechnet.«

»Schlimm?«

»Ja«, sagte er, »schlimm.«

Sie schwiegen, plötzlich bedrückt.

»Die Prüfung morgen«, sagte er, »die schaffst du locker.«

Sie nickte. »Ja.«

»Und dann musst du nicht mehr lernen kommen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, muss ich nicht mehr.«

»Diese England-Geschichte«, sagte er, »vielleicht kann ich sie dir ja trotzdem mal erzählen. Ich meine, wenn du sie hören willst.« Er zuckte die Schultern. »Ich meine, sie ist nichts Besonderes. Nur so eine Mutter-Mann-Geschichte halt.«

Wieder nickte sie. »Auf alle Fälle!«

Wieder Schweigen, noch einmal Schweigen. Krampfhaft überlegte Nils, was er noch sagen konnte, was ein gutes Thema wäre, weil es plötzlich schwierig und komisch war. Aber sie kam ihm zuvor. »Vielleicht«, begann sie vorsichtig, »vielleicht solltest du einfach ein bisschen …«

»Was?«

Sie zuckte die Schultern. »Hast du nächste Woche mal Zeit zum Einkaufen? Cooles Gewand für dich?«

»Wie?«, fragte er und begann sich vorsichtig zu freuen. »Mit dir?«

Sie nickte. »Klar. Hab ich doch gesagt. Wir haben doch jetzt einen Deal.«

»Aha«, machte er, »haben wir?«

»Ja«, sagte sie und grinste, »du machst mich klug und ich mach dich schön.«

Er spürte, wie ihm warm im Bauch wurde. »Okay«, sagte er, »dann hast du ohne Zweifel das schwierigere Los gezogen.«

»Ach was«, sagte sie und boxte ihn wieder. »Sei nicht so blöd!« Kurz überlegte er, wo überall er morgen blaue Flecken haben würde.

Sie packte ihre Sachen zusammen, stand auf, ging voraus, er hinterdrein. Sie wanderten ein Stück den Fluss entlang Richtung Bushaltestelle. Sie schwiegen, jeder in seinen Gedanken. Er jedenfalls war gefangen. Von dem, was sie alles gesagt hatte. Von dem, dass sie eigentlich keine Tusse war, zumindest nicht vor ihm. Und er wagte es, traute sich, begann zu träumen.

Irgendwann brach er das Schweigen. »Weißt du«, begann er vorsichtig, »ich habe das Gefühl, dass …«, und schaute sie von der Seite an. Sie blieb stehen, schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie, »lass das!«

»Aber du weißt doch gar nicht, was …«

»Doch«, sagte sie, »ich glaube schon, dass ich das weiß. Und ich weiß auch, dass ich … nicht … das Gefühl habe, dass …«

Sein Kopf fiel ihm auf die Brust, er spürte die Enttäuschung. Wie ein dunkles, brennendes Band floss sie durch seinen Körper.

»Wegen Jo?«

Sie überlegte. Er schaute auf die Linie ihrer Beine und dachte, dass er selten etwas so Schönes gesehen hatte und dass ihm das aber nichts, rein gar nichts nützen würde. Wie im Museum war das, nur schauen, nichts berühren, schon gar nichts bekommen, noch weniger besitzen. Scheiße war das.

»Ist es wegen Jo?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie, »es ist nicht wegen Jo. Ich glaube nicht, dass es wegen Jo ist. Es ist wegen …«, sie zögerte, »es ist wegen, weil es halt so ist.«

Hilflos zuckte sie die Schultern. »Ich muss den Bus erwischen!«

Und weg war sie.

Er schaute ihr nicht hinterher, er schaute in den Fluss, der heute eine merkwürdige Farbe hatte, bräunliches Grün, wenn es das gab. »Die Prüfung morgen«, sagte er irgendwann ins Wasser hinein, »die schaffst du locker.«

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