Kitabı oku: «Der Waldläufer», sayfa 11
15. Der Hinterhalt
Im entlegensten Teil der Gesindewohnungen befand sich das Zimmer, das Don Agustin den vier Abenteurern Pedro Diaz, Oroche, Cuchillo und Baraja gegeben hatte. Die Bekanntschaft zwischen ihnen war schnell bei Tisch gemacht und wurde in dem Augenblick, wo wir sie wiederfinden, fortgesetzt. Beim zweifelhaften Schein eines langen, dünnen Lichtes, das düster auf seinem eisernen Leuchter brannte, saßen Cuchillo und Baraja auf einer eichenen Bank an einem breiten Tisch und waren, ohne an ihren Schwur zu denken, damit beschäftigt, die am Morgen des vorigen Tages angefangene Partie wiederaufzunehmen.
Pedro Diaz schien auf das Spiel nur mechanisch achtzugeben, während Oroche, der an der Ecke des massiven Tisches saß, den rechten Fuß über den linken geschlagen, den Ellbogen auf sein Knie gestützt hatte und in dieser Lieblingsstellung der Vihuela-Spieler sich auf seinem Instrument mit dem Gesang der Boleros und Fandangos begleitete, die gerade unter der Küstenbevölkerung die beliebtesten waren. Das waren die Gitarrenklänge, die Tiburcio gehört hatte. Oroche schien – wie immer sorgfältig in seinen durchlöcherten Mantel gehüllt – als ein wahrer Künstler sich auf den Flügeln der Musik über die gewöhnlichen Rücksichten auf Kleidung und Bequemlichkeit zu erheben.
Eine halbleere Flasche Mescal vervollständigte für die beiden Spieler die Annehmlichkeit des Abendessens, dem sie reichliche Ehre angetan hatten. Trotz der vollen Gläser, die er getrunken hatte, schien Cuchillo doch ein Raub der heftigsten Leidenschaften zu sein, und seine zusammengezogenen Augenbrauen gaben seinem Gesicht ein noch drohenderes Aussehen als gewöhnlich. Er hob in diesem Augenblick die Karten mit ganz besonderer Sorgfalt ab. Er spielte nicht glücklich gegen seinen Freund Baraja, denn ein Teil des Goldes, das er von Don Estévan empfangen hatte, war schon zu seinem Gegner hinübergewandert, und der Bandit hoffte, daß eine aufmerksame Behandlung der Karten seinem unglücklichen Spiel Einhalt tun sollte.
Plötzlich warf Cuchillo beim Umwenden der Karte, die die von ihm gesetzte Summe dahinraffte, das ganze Spiel heftig auf den Tisch. »Der Teufel hole Eure Musik«, rief er in wütendem Ton; »und mich dazu, weil ich mich wie ein Dummkopf dazu verstanden habe, auf Kredit zu gewinnen und bares Geld zu verlieren!«
»Ihr beleidigt mich!« erwiderte Baraja mit Würde. »Mein Wort hat immer für bares Geld gegolten.«
»Vorzüglich, wenn Ihr nicht verloren habt …«
»Was Ihr da sagt, ist nicht artig«, fiel Baraja ein, indem er die Karten zusammenraffte. »Pfui! Señor Cuchillo, Ihr ärgert Euch über eine so geringfügige Sache! Ich habe die eine Hälfte einer Hacienda verloren, nachdem ich gesehen habe, daß man mir die andere gestohlen hatte, und habe nichts gesagt.«
»Nun gut! Ich aber sage, was mir beliebt, Señor Baraja; und ich sage es laut!« erwiderte Cuchillo, indem er die Hand ans Messer legte.
»Ja, Ihr sagt Worte, die Eure Freunde töten. Aber diese Worte tun nichts in der Entfernung«, antwortete Baraja ernst, »und ich habe eine ebenso scharfe Zunge wie Ihr.« Und er zog ein Messer aus seinem Gürtel; Cuchillo machte es ebenso.
Oroche nahm ruhig sein Instrument wieder auf, das er bei der Unterbrechung Cuchillos einen Augenblick weggelegt hatte, und wie ein Barde der Vorzeit machte er sich bereit, den Kampf zu besingen, von dem er Zeuge war, als Diaz sich plötzlich zwischen die beiden Kämpfer warf. »Schämt euch, ihr Herren Kavaliere!« sagte er. »Leute, die geschaffen sind, sich gegenseitig zu achten!«
Cuchillo und Baraja behielten ihre drohende Haltung und waren bereit, sich um einiger Quadrupel willen am Vorabend des Tages zu ermorden, an dem sie aufbrechen wollten, um zehnmal mehr zu erobern.
»Habe ich nicht sagen hören, Señor Cuchillo, daß Ihr der Führer unserer Expedition sein sollt? Ihr gehört Euch also nicht mehr selbst und habt nicht das Recht, Euer Leben in einem persönlichen Streit aufs Spiel zu setzen. Und Ihr, Señor Baraja, habt ebensowenig ein Recht, das Leben unseres Führers zu bedrohen. Also steckt eure Messer in die Scheide und laßt die Sache ruhen.«
Cuchillo, zum Bewußtsein gebracht, bedachte, daß er mehr als irgend jemand am Erfolg dieser Expedition beteiligt sei und daß er bei einem Kampf auf Leben und Tod – denn das sind meistenteils die Kämpfe mit dem Messer – zuviel aufs Spiel setze.
Seinerseits dachte auch Baraja, daß die Quadrupel in seiner Tasche besser angewandt werden könnten als im unglücklichen Fall zu den Kosten seines Begräbnisses.
»Es sei«, sagte Cuchillo; »ich opfere meinen Groll dem allgemeinen Wohl.«
»Was mich betrifft«, sagte Baraja, »ich bin aufrichtig genug, ein so edles Beispiel nachzuahmen, und lege die Waffen nieder … Aber ich spiele auch nicht mehr.«
Die langen Messer kehrten in die Scheide zurück, und die beiden Gegner reichten einander die Hand. Darauf fragte Diaz, um jede Anspielung auf den beigelegten Streit zu vermeiden: »Wer ist der junge Mann, den Ihr mit auf Euer Pferd genommen habt, Señor Cuchillo? Wenn ich nicht irre, so habe ich trotz der scheinbaren Freundschaft feindselige und mißtrauische Blicke bemerkt, die ihr miteinander gewechselt habt.«
Cuchillo erzählte, wie sie Tiburcio halbtot auf der Straße gefunden hätten, und nannte seinen Namen und alles, was der Leser schon von ihm weiß. Aber diese Frage hatte abermals das Gesicht des Banditen verfinstert, da er sich erinnerte, daß seine Schlauheit an der Vorsichtigkeit des jungen Mannes, den er – anmaßend genug – hatte ausforschen wollen, gescheitert war und daß dieser nämliche junge Mann ihn unter seinem Blick hatte erzittern lassen. Er kehrte also zu seinen tödlichen Plänen gegen den Urheber dieser Widerwärtigkeiten zurück – zu den finsteren Plänen, die einen Augenblick in den Hintergrund getreten waren – und beschloß, Teilnehmer an seiner Rache zu werben. »Ist es euch wohl zuweilen begegnet«, fragte er Diaz und Oroche, »eure Leidenschaften, wie ich es eben getan habe, dem allgemeinen Wohl zu opfern?«
»Ohne Zweifel!« erwiderte Diaz. »Was mich betrifft«, rief der langhaarige Gambusino mit einer für seinen Charakter ehrenvollen Freimütigkeit, »so hat mein Unstern es immer nötig gemacht, das Gegenteil zu tun.« »Man ist entweder ein rechtschaffener Mann, oder man ist es nicht«, fuhr der Redner fort; »und wenn man sich mit Leib und Seele irgendeiner Sache hingegeben hat, so muß man auch seinen Leidenschaften, seinen Interessen, selbst allen Gewissenszweifeln, die sich in einem empfindsamen Gemüt erheben könnten, Schweigen gebieten.«
»Das weiß jedermann«, sagte Baraja.
»Nun, ihr Herren, dieses zarte Gewissen beunruhigt sich leicht bei mir, und ich bedarf eurer Meinung darüber, um es wieder zu beruhigen.«
Die beiden Taugenichtse, an die er sich wandte, bewahrten auch diesmal eine unerschütterliche Ernsthaftigkeit.
»Nehmen wir an«, fuhr der Bandit fort, »daß es in der Welt einen Mann gäbe, den ihr zärtlich liebtet, dessen Leben jedoch den Erfolg unserer Expedition zweifelhaft machen könnte; wie hat man da gegen ihn zu verfahren?«
»Bei Gott«, rief Oroche, »ich würde glücklich sein, endlich eine passende Gelegenheit zu finden, um das Privatinteresse dem glücklichen Erfolg für alle zu opfern!«
»Aber wer ist dieser Mensch?« fragte Diaz. »Das ist eine Geschichte«, erwiderte Cuchillo, »deren Einzelheiten nur mich allein angehen; aber das Faktum ist da und der Mann auch.«
»Caramba! Das Faktum ist schon zuviel!« sagte Oroche. »Und folglich auch der Mann!«
»Ist das euer aller Ansicht?« fragte Cuchillo.
»Ganz gewiß!« sagten zugleich Oroche und Baraja.
Diaz schwieg und verhielt sich sozusagen unparteiisch; bald darauf ging er unter dem Vorwand, freie Luft zu schöpfen, hinaus.
»Wohlan, ihr Herren«, nahm Cuchillo, der mit seinen beiden Kameraden allein geblieben war, wieder das Wort, »da ihr eure Meinung ausgesprochen habt, so will ich euch denn sagen, daß dieser Mann mein Freund Tiburcio ist.«
»Tiburcio?« riefen die beiden künftigen Mitschuldigen Cuchillos.
»Er selbst! Und obwohl mir das Herz darüber schrecklich blutet, so erkläre ich doch, daß sein Leben alle unsere Pläne scheitern lassen kann.«
»Aber morgen«, sagte Baraja, »bei dieser Jagd auf wilde Pferde, gibt es tausend Gelegenheiten für eine, sich seiner anständig zu entledigen.«
»Das ist wahr!« sagte Cuchillo mit finsterer Miene. »Er darf niemals davon zurückkehren. Kann ich auf euch rechnen?«
»Blindlings!« erwiderten die beiden Abenteurer.
Das Ungewitter grollte, wie man sieht, über dem Haupt Tiburcios; aber es sollte noch größer werden. Ein Klopfen an der Tür unterbrach die finstere Beratung.
Cuchillo öffnete und führte einen Mann ins Zimmer, in dem sie einen Diener Don Estévans erkannten. Er wollte Cuchillo benachrichtigen, daß sein Herr ihn im Garten erwarte. Durch diesen Zwischenfall wurde die Beratung über die Mittel zur Vollziehung, die alle drei gegen einen einzigen Mann zu ergreifen gedachten, bis zur Rückkehr Cuchillos aufgeschoben. Cuchillo erhob sich und begleitete den Diener Don Estévans.
Dieser führte ihn in eine Allee von Granatbäumen, in der ein Mann, in seinen Mantel gehüllt, auf und ab ging. Beim Schein des Mondes, der durch die Blätter drang, schien das Antlitz des Spaniers die Maske stolzer Unempfindlichkeit, die gewöhnlich seine feurigen Gedanken verbarg, wieder angenommen zu haben. Bei dem Geräusch der Schritte, das Cuchillo verursachte, der sich mit wildem Ausdruck in seinen Mienen und mit einem Auge, das rachsüchtig blitzte, näherte, unterbrach Don Estévan sein Nachdenken.
Wenn Cuchillo nicht so sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen wäre, so würde er bei seiner Ankunft einen spöttischen Ausdruck im Gesicht des Spaniers bemerkt haben. »Ihr habt mich rufen lassen?« sagte er zu Don Estévan.
»Ich glaube«, begann dieser, »Ihr könnt Euch bis jetzt nur zu meinem Schweigen Glück wünschen. Ich habe Euch nämlich hinreichend Zeit gelassen, diesen jungen Mann … den Sohn Marcos … auszuforschen; Ihr wißt, was ich sagen will. Nun, Ihr habt ihn ohne Zweifel vom Kopf bis zu den Füßen ausgekundschaftet? Ihr habt ihn bis zur kleinsten Falte seines Herzens durchsucht, Ihr, dessen Scharfsinn so schwer zu täuschen, dessen Gewissen nicht leicht zu beunruhigen ist? …«
Cuchillo fühlte bei den herben Worten des Spaniers, die seine verwundete Eigenliebe nur noch mehr erbitterten, daß er übler Laune wurde. Wir haben schon gesehen, daß er den Argwohn de Arechizas gegen Tiburcio dadurch zu wecken versucht hatte, daß er ihn fürchten ließ, er könne irgendwelche Entdeckungen am Totenbett seiner Adoptivmutter gemacht haben; damals konnte er nur auf sich selbst rechnen, um sich seiner zu entledigen, und seine Schlauheit ließ ihn einen Verbündeten suchen; jetzt aber, da er auf die Teilnahme zweier Banditen seines Schlages – oder doch nur wenig anders – zählen konnte, hielt er es seiner Würde angemessen, die entgegengesetzte Sache zu vertreten und den Spanier glauben zu lassen, daß er sich vor dem jungen Mann nicht in acht zu nehmen brauche.
»Nun, was habt Ihr denn erfahren?« fuhr Don Estévan fort.
»Nichts«, erwiderte Cuchillo.
»Nichts?« wiederholte der Spanier.
»Das heißt, der junge Mann konnte mir nichts sagen, da er selbst nichts wußte. Sein Herz hat für mich keine Geheimnisse mehr.«
»Was? Er ahnt nicht das Dasein des Val d‘Or?«
»Nicht mehr als die Stelle, wo das irdische Paradies liegt«, antwortete Cuchillo unverschämt.
»Und was will er auf der Hacienda machen? Er befand sich auf dem Weg hierher und hatte doch ohne Zweifel irgendeinen Zweck im Auge, als er sich hierher wandte.«
»Er will Don Agustin um einen Dienst bitten; um den allerkleinsten: eine Stelle als Hirt.«
»Man sieht wirklich, daß Ihr sehr mit ihm vertraut geworden seid.«
»Ich schmeichle mir. Mein Scharfsinn …«
»… steht mit Eurem Gewissen auf derselben Stufe«, sagte der Spanier ernsthaft.
Cuchillo verbeugte sich auf jeden Fall.
»Auf einem so langen Weg«, fuhr Arechiza fort, »wie der ist, den ihr zusammen zurückgelegt habt, plaudert man von tausend gleichgültigen oder ernsten Dingen, wenn man nämlich soviel Vertrauen einflößt, wie dieser junge Mann so ganz … unaufgefordert Euch bewiesen hat; von Herzensangelegenheiten zum Beispiel … Nun, hat er Euch denn nicht andere Absichten mitgeteilt? Vielleicht irgendeine Jugendliebe?«
»Und in wen, zum Teufel, sollte er sich in diesen Steppen verliebt haben? Dieser arme Tiburcio setzt ein mittelmäßiges Pferd weit über das schönste Weib!«
»Ach so!« sagte der Spanier, der nicht länger ein spöttisches Lächeln, das Cuchillo schaudern ließ, zurückhalten konnte. »Nun, Eure Jugend versprach mehr, Freund Cuchillo.«
»Sollte ich etwa zufällig weniger leisten?« fragte der von diesem Vorwurf verwirrt gemachte Bandit.
»Ich fürchte ja; und wenn – wovor Gott Euch behüten möge – Euer Gewissen ebenso dickhäutig als Euer Scharfsinn handfest ist, so wird Euch eine kleine Sünde nicht im Schlaf stören.«
»Wie meint Ihr das?« fragte Cuchillo, obgleich er fühlte, daß er offenbar die Rolle eines Dummkopfs spielte.
»Ich meine, daß bei der einzigen guten Handlung, die Ihr getan habt, Eure Hand sehr unglücklich war.«
»Eine gute Handlung?« wiederholte Cuchillo, der sich ganz verlegen zu erinnern suchte, bis zu welchem Abschnitt seines Lebens er zurückgehen müßte, um eine zu finden.
»Ja, durch die Rettung des jungen Mannes!«
»Aber Ihr habt ja diese gute Handlung begangen; denn für mich war sie ja nur gewinnbringend.«
»Sei es! Ich wollte sie Euch leihen trotz des Sprichwortes, das sagt, daß man nur dem Reichen leihen soll. Doch hört, was ich erfahren habe; ich, der ich mir weder soviel Gewissenhaftigkeit noch soviel Scharfsinn anmaße als Ihr! Dieser junge Mann hat in seiner Tasche die Marschroute zu dem fraglichen Val d‘Or und alle prachtvollen Pferde des Vaters seiner Geliebten zu seiner Verfügung; er kommt zu dieser Hacienda, um sich zu ihrem künftigen Eigentümer zu machen!«
»Tod und Blut!« rief Cuchillo zurückprallend. Dann, ruhiger geworden durch den spöttischen Blick des Spaniers, sagte er: »Das kann nicht möglich sein! Ich hätte mich von einem Kind nicht so bei der Nase herumführen lassen …«
»Dieses Kind ist ein Riese gegen Euch, Cuchillo«, sagte der Spanier kalt.
»Es ist unmöglich!« erwiderte Cuchillo aufgeregt.
»Wollt Ihr Beweise?«
»Gewiß! Ich muß sie haben!« antwortete der Bandit, seine Wut verbeißend.
»Ihr wollt sie haben, Cuchillo?« fuhr der Spanier sehr ernsthaft fort. »Bedenkt, daß sie von der Art sind, Euch von der Fußsohle bis zum Scheitel mit Schauder zu bedecken!«
»Ich will sie haben, wie sie auch sein mögen!« sagte Cuchillo mit erstickter Stimme.
»Merkt wohl – ich rede nicht von Eurem Gewissen; das bekommt niemals Schauder. Ich will nur von dem Schauder körperlicher Angst reden, wie ihn etwa der Anblick des Jaguars beim Menschen hervorruft; Ihr wißt …« Don Estévan hielt inne; es war in seinem eigenen Interesse sehr leicht, durch seine Überlegenheit einen Mann zu erdrücken, dessen Treue ihm aus tausend Gründen verdächtig war. Er fuhr fort: »Tiburcio stammt aus einem Geschlecht – scheint von einem Geschlecht zu stammen, wollt‘ ich sagen —, dessen Feinde nicht lange leben; von einem Geschlecht, das Verstand und Kraft als Erbteil empfangen hat – und Ihr seid sein Todfeind! Fangt Ihr an, zu begreifen?«
»Nein«, sagte Cuchillo.
»Wohlan! Ihr werdet es jetzt durch einige sehr einfache Fragen begreifen lernen. Hier ist die erste: Habt Ihr auf Eurer Expedition mit Arellanos nicht ein Pferd geritten, das mit dem linken Fuß strauchelte?«
»Ach!« machte Cuchillo erbleichend.
»Sind es wohl die Indianer, die Euren Gefährten erwürgt haben?«
»Ich soll es vielleicht sein?« wiederholte der Bandit mit häßlichem Lächeln.
»Habt Ihr nicht in einem tödlichen Kampf eine Wunde am Fuß erhalten? Habt Ihr nicht auf Euren Schultern den Leichnam Arellanos‘ getragen?«
»Ja, um ihn den Beschimpfungen der Indianer zu entziehen!«
»Und aus diesem Grund stürztet Ihr in einen nahen Fluß einen Leichnam, der – vielleicht noch gar kein Leichnam war?«
Der helle Mondschein warf durch das Blätterdach der Granatbäume ein bleiches Licht auf die Gestalt des Banditen, der mit verstörten Blicken diese Beweise eines Mordes anhörte, ohne begreifen zu können, woher sie kamen; eines Mordes, den er für immer in der Steppe begraben wähnte.
Man kann sich leicht denken, daß Cuchillo beim Verkauf seines wertvollen Geheimnisses an Don Estévan sich nicht mit großer Selbstliebe wegen der Art und Weise gerühmt hatte, wie er in dessen Besitz gekommen war. Er war leicht über seine erste Expedition nach dem Val d‘Or – wenigstens was seine Gefährten betraf – hinweggegangen, um einzig und allein die Einzelheiten hervorzuheben, die am meisten geeignet waren, den Señor aus Spanien von der Wichtigkeit der Entdeckung zu überzeugen. Man kann sich nun einen Begriff von seinem Entsetzen machen, als er sah, daß die Steppe geredet hatte.
»Weiß Tiburcio das?« fragte Cuchillo mit schlecht verhehlter Ängstlichkeit.
»Nein; aber er weiß, daß der Mörder seines Vaters ein Pferd hatte wie das Eure; daß er am Fuß verwundet war; daß er den Leichnam seines Vaters ins Wasser geworfen hat; er weiß nur den Namen des Mörders nicht. Doch damit ich auf Eure Ehrlichkeit bauen kann … Ich meinesteils werde bei dem geringsten Argwohn dieses Geheimnis jenem jungen Mann übergeben, der Euch wie einen Skorpion zertreten wird … Echtes Blut kann sich nicht verleugnen. Also, ich wiederhole es Euch: Kein Verrat, Cuchillo, keine Treulosigkeit, oder Euer Leben wird mir dafür bürgen.«
Solange ich es noch habe, sollst du dieses Geheimnis bezahlen, dachte Cuchillo bei sich. Was Tiburcio anlangt, so kann man es morgen um diese Zeit seinen Ohren anvertrauen – sie werden es nicht mehr hören. »Wie dem auch sein mag«, sagte er unverschämt; »Eure Herrlichkeit hat mir nicht bewiesen, daß dieser junge Mann Doña Rosarita liebt, und bis auf weiteres muß ich daran zweifeln, daß mein Scharfsinn …«
»Still!« sagte der Spanier. »Ich glaube hier ganz nahe Stimmen zu hören, die einander antworten.«
Sie verhielten sich ruhig. Durch den Garten gehend waren sie nicht weit von einem Pavillon angekommen, den die Tochter des Hacenderos bewohnte; und so groß war die Stille der Nacht, daß in ziemlich großer Entfernung die Stimmen – sogar die einzelnen Worte vernehmbar waren.
16. Die Liebe hinter dem Gitter
In dem Augenblick, wo alles Geräusch des Tages nahe und fern verstummt war; wo die Nachtluft, kühl und duftend, kaum in dem weiten Garten der Hacienda leise rauschte, war keine Täuschung möglich über die Stimmen, die man hörte. So groß war die Ruhe in der Luft, daß weit von da im Wald hinter der Wohnung Don Agustins der widerhallende Ruf des wilden »Cuitlacoche«, der sich nachts auf den Schlingpflanzen über den Wasserfällen hin und her schaukelt, bis zu den Ohren der nächtlichen Spaziergänger gelangte.
»Das ist die Stimme Tiburcios und Doña Rosaritas!« sagte der Bandit.
»Halt, Cuchillo, da haben wir schon, wie mir scheint, einen Anfang des Beweises.« Ein Gedanke kam dem Spanier plötzlich wie ein Blitzstrahl. Wenn dieses junge Mädchen ihn zufällig liebte, sagte er bei sich, so müßte man also auf eine Heirat verzichten, die ich zum Eckstein eines großen politischen Gebäudes gemacht habe! Obgleich der Spanier der einzige war, der den wirklichen Stand und den Namen Tiburcios wohl wußte, und in seinen Augen der letzte Mediana der Tochter des Hacendero keineswegs unwürdig war, so hatte er doch keinen einzigen Augenblick voraussetzen können, daß Doña Rosarita die Liebe eines jungen Mannes erwidern würde, der in seinen eigenen Augen – wie in den Augen anderer – nur ein Kind ohne Namen und ohne Familie war. Der Gedanke, daß nichtsdestoweniger die Tochter Don Agustins die Kühnheit dieses jungen, zerlumpten Bauern, wie er ihn nannte, nicht mit allzu ungünstigem Auge betrachten könnte, war ihm plötzlich in den Sinn gekommen, als er in der Nacht, ohne einen anderen Zeugen als die Sterne des Himmels, Tiburcio und Rosarita im Gespräch miteinander hörte. Ein solches Zusammentreffen unter dem Auge Gottes allein – war das nicht schon eine besondere Vergünstigung? Das Herz des Spaniers schwoll vor Zorn bei diesem Gedanken, und sein Ehrgeiz erhob sich für die Pläne, die dieser ihm eingeflüstert hatte. Hier war ein Hindernis, an das er keinen Augenblick gedacht hatte.
Die Stirn des Herzogs von Armada wurde sorgenvoll. Er fand sich unvermutet einer jener dringenden Forderungen gegenüber, vor denen die Politik nicht zurückweichen darf und die, wie man sagt, von den Staatsgründen gerechtfertigt werden. Der Spanier hatte hinter sich einen Arm, bereit, das Opfer zu treffen, das er ihm bezeichnen würde; aber schon lasteten zwanzig Jahre der Buße auf seinem Haupt, ohne ihn von einem Mord, dessen er sich angeklagt hatte, reinzuwaschen. Sollte er sich nun in dem Augenblick, wo er schon die Hälfte seines Lebens überschritten hatte, der Gefahr aussetzen, die Zeit, die ihm noch zu leben übrigblieb, abermals zu vergiften?
Don Estévan ging mit sorgenvoller Miene auf und ab; er stand unter dem Einfluß eines heftigen Kampfes, in den sein Gewissen mit seinem Ehrgeiz geraten war. Sollte er, so nahe dem Ziel, das er verfolgt hatte, zurückweichen müssen oder sich entscheiden, weiterzugehen? So wälzen die Ehrgeizigen unaufhörlich den schweren Felsblock des Sisyphus.
Die Vorsehung, sagte der Spanier zu sich – und bei dem Wort Vorsehung flog ein bitteres Lächeln über seine Lippen —, bot mir die Gelegenheit dar, dem jungen Mann den Namen, die Ehre und die Güter, die er verloren hat, wiederzugeben. Diese gute Handlung meines reifen Alters hätte vielleicht das Verbrechen meiner Jugend gesühnt. Ich habe es verschmäht; ich verschmähe jetzt noch diese Gelegenheit; ist es nicht schon genug der Opfer für die Sache, der ich diene?
Der Spanier kehrte zu Cuchillo zurück, der ihn aufmerksam beobachtete; aber der Schatten der Granatbäume hatte Don Estévans Gesicht dem lauernden Blick des Banditen entzogen. »Die Stunde ist da«, nahm er halblaut das Wort, indem er sich an Cuchillo wandte, »wo sich unsere Zweifel vielleicht lösen werden; aber erinnert Euch, daß, wenn ich mich herablasse, einen Mann in dem Augenblick zu belauern, wo sein Herz keine Geheimnisse haben darf, es nur geschieht, weil höhere Interessen mich zwingen, es zu tun; es geschieht aber keineswegs, um Euch von einer Tatsache zu überzeugen, deren Wirklichkeit Ihr nicht leugnen könnt. Erinnert Euch aber auch daran, daß Eure rachsüchtigen Pläne meinem Willen untergeordnet bleiben müssen!«
Nach diesen letzten Worten, die nicht mehr mit jenem Spott gesprochen waren, der Cuchillo so sehr außer Fassung brachte, ging Don Estévan voran, und jener folgte ihm, indem er vor sich hinmurmelte: »Mein Freund Baraja soll niemals gehängt werden, wenn hier nicht genügend Grund vorliegt, daß jemand den Geschmack an guten Handlungen verliert, der zu solchen Albernheiten einen viel entschiedeneren Beruf hat als ich!«
Man wird sich gewiß erinnern, daß Don Agustin in seiner Unterhaltung mit Don Estévan diesem letzteren alle vertraulichen Nachrichten Fray José Marias, Tiburcio Arellanos betreffend, mitgeteilt hatte. Der Spanier brauchte nur die auf Marcos‘ Mörder bezüglichen Punkte mit der Entdeckung, die Cuchillo sich hatte bezahlen lassen, in Verbindung zu bringen, um den Mörder im früheren Gefährten des Gambusinos zu entdecken. Das war einerseits ein glücklicher Umstand, da er den Banditen noch mehr in seine Gewalt brachte; andererseits aber war es kein Hindernis, daß nicht die Liebe Tiburcios zu Doña Rosarita den Plänen des edlen Spaniers ernstlich hemmend in den Weg trat.
Der Sturm, der Tiburcio bedrohte, wurde also immer furchtbarer. Allem Anschein nach war er kurz vor dem Ausbruch, denn zu der gedemütigten Eigenliebe und der aufgeschreckten Rachsucht Cuchillos, deren Stimmen in seiner Brust grollten, kam auch noch – je nach dem Resultat seines Zusammentreffens mit Rosarita – der getäuschte Ehrgeiz des Herzogs von Armada.
Tiburcio hatte sein Zimmer mit so viel Vorsicht verlassen, daß er sich schmeicheln konnte, jeder Beobachtung entgangen zu sein – besonders in dem Augenblick, wo alle Gäste der Hacienda sich auf ihre Zimmer zurückgezogen hatten —, aber der Zufall hatte ihn, wie wir eben gesehen haben, verraten.
Obwohl die Nacht nicht so dunkel war, als Cuchillo und Don Estévan gewünscht hätten, um sich ungesehen zu nähern, so konnten sie doch ohne Geräusch an der Ringmauer entlangschlüpfen. Ein kleines, ziemlich dichtes Orangen- und Zitronenwäldchen, das einen süßen Duft ausströmte, den die Nachtluft in sich aufnahm, war der Ort, den man erreichen mußte. Glücklicherweise warf der Mond seine Schatten nach der Seite der Mauer hin, und jene konnten somit das Gebüsch unbemerkt gewinnen. Hier angelangt, hörten sie schon das bald unbestimmte, bald deutliche Murmeln der Fragen und Antworten. Als sie mit noch mehr Vorsicht mitten in das dichtbelaubte Holz geschlüpft waren, wurde es ihnen leicht, dank der Ruhe in der Luft, die von keinem Lärm unterbrochen wurde, auch die leisesten Worte zu verstehen.
»Was Ihr auch hören mögt«, sagte Don Estévan Cuchillo leise ins Ohr; »bleibt ruhig wie ich.«
Gut, dachte Cuchillo, ich allein bin jetzt beteiligt; eine Beleidigung gegen mich und nicht gegen dich habe ich zu rächen, und bei allen Teufeln, ich bin neugierig, zu erfahren, ob ich denn wirklich nichts weiter mehr bin als ein Dummkopf.
Alle beide machten Anstalten zu hören und zu sehen. Ein Raum, den ein gewandter Mann mit zwei Sprüngen durchmessen konnte, ein schwacher Zaun von kleinen Zweigen und Blättern trennte sie allein von demjenigen, den sie belauschen wollten und der weit davon entfernt war, die Gefahr, in der er schwebte, zu ahnen.
Wenn die spanischen Sitten heutzutage in Spanien nicht mehr ganz so sind wie vor zwei Jahrhunderten, so hat doch Mexiko sie in ihrer ganzen traditionellen Reinheit bewahrt. Der Fremde, der in die großen Mittelpunkte mexikanischer Bevölkerung kommt, kann sich leicht einbilden, plötzlich mitten in eine Stadt des Mittelalters versetzt zu sein. Es ist fast, als ob er plötzlich eine aus der Erde wiedererstandene Gesellschaft vor sich sähe mit den fremdartigen Sitten, dem malerischen Anzug und den barbarischen Bräuchen der Zeit vor dreihundert Jahren. Der Reisende in Mexiko wird ohne Zweifel an der Oberfläche einen schwachen Abglanz europäischer Gesittung finden; im Grunde aber hat das seltsame, fremdartige Wesen sich noch gar nicht verloren. In den fernen Gegenden, wo die Ereignisse dieser Geschichte sich zutragen, in jenen abgelegenen Provinzen, an deren Grenzen indianische Wildheit tobt, findet man nicht einmal mehr diese oberflächliche Ähnlichkeit mit Europa, und der Schriftsteller, der hier die Sitten schildern will, muß sich darauf gefaßt machen, wider seinen Willen zu jenen Episoden zurückgehen zu müssen, die aus den Zeiten Guzmáns von Alfarache, Don Juans de Maraña und aller jener Helden mit Mantel und Schwert aus der spanischen Überlieferung entlehnt zu sein scheinen.
Anfänglich, eine Zeit hindurch – und die Zeit schien den beiden Lauschern sehr lang —, hörten sie nur jene gewöhnlichen Redensarten eines Liebenden, der sich in zärtlichen Klagen und Vorwürfen ergießt, die er für wohlverdient hält; der sich in Beweisen erschöpft, die ihm unumstößlich scheinen, während die Frau sie spielend mit jener freien, bestimmten und fest geschlossenen Logik widerlegt, die sie mit so großem Erfolg gegen den Mann anwendet, den sie nicht liebt. War Tiburcio wirklich ganz in dem Fall, wo das Ohr der Frau taub ist, weil ihr Herz stumm bleibt? Das Folgende wird es uns lehren; fassen wir zunächst den Anblick der Szene auf, wie sie sich unter den Augen Don Estévans de Arechiza und Cuchillos gestaltete.
Ein schwacher Lichtglanz, der sich aus dem offenen Fenster Doña Rosaritas hervorstahl, verlor sich auf dem Sand des Gartens. Hinter starken Eisenstäben stand aufrecht das junge Mädchen, weiß gekleidet, in einer Stellung voll Anmut und Ungezwungenheit, und trat aus der erleuchteten Fensternische wie eine geheimnisvolle, strahlende Erscheinung hervor. In einer solch milden, balsamischen Nacht war sie womöglich noch verführerischer als im Salon der Hacienda; denn gerade durch das Gitter ihres Balkons hindurch scheinen die Frauen spanischen Ursprungs den mächtigsten Zauber auszuüben. Der seidene Schleier umhüllte ihr Haupt, und dessen zarte Falten wogten bei jeder unwillkürlichen Bewegung wie die Federn der Taube über Hals und Schultern. Man konnte am Fenster, das zur ebenen Erde war, durch das Gitter hindurch ihre elegante Taille bemerken und bis zum kleinen Schuh hinblickten, den sie trug.
Tiburcio hatte die Stirn gegen die Stäbe gestützt und schien sich zu beugen unter einem harten, unwiderruflichen Ausspruch oder einer verzweifelten Überzeugung. »Ach«, sagte er, »ich habe nicht wie Ihr, Rosarita, den Tag vergessen, an dem ich Euch das erstemal im Wald sah. Bei der düsteren Abenddämmerung konnte ich von Eurer Gestalt nur einen Schatten unterscheiden; aber einen Schatten, verführerisch wie der des Geistes dieser Wälder. Schon in Eurer Stimme schien mir eine solche Anmut zu liegen, wie sie die Stimmen, die ich bis dahin gehört hatte, nicht besaßen.«
»Ich habe den Dienst, den Ihr uns geleistet habt, nicht vergessen, Tiburcio«, sagte das junge Mädchen; »aber wozu nützt es, eine Zeit zurückzurufen, die nicht mehr ist?«
»Eine Zeit, die nicht mehr ist? Nennt ihr so den Zeitpunkt, wo mir mein Leben erst anzufangen scheint? Aber diese Zeit ist nicht vergangen für mich; mir ist, als ob es gestern gewesen wäre. Denn«, fuhr Tiburcio fort, der melancholisch alle Blätter seiner Erinnerung zerpflückte, wie man einen Strauß, den eine treulos gewordene Hand uns gereicht hat, nach und nach entblättert und dabei doch jede Blume bedauert, »so strahlend auch die Schönheit war, die mir erschien, als die Flamme der Feuerstätte nach und nach Eure Gestalt beleuchtete – ich hatte sie doch schon am Klang Eurer Stimme erraten, an dem Empfinden, in das sie mich versetzte.«
Wenn Tiburcio, anstatt seine Augen beim Sprechen niederzuschlagen, sie auf Doña Rosarita gerichtet hätte, so hätte er in ihrem Blick, auf ihrer Stirn jene Aufregung bemerkt, von der das Herz vielleicht nicht erreicht wird, die aber bei einer Frau durch eine aufgeregte, leidenschaftliche Stimme, die einen Hymnus auf ihre Schönheit singt, hervorgebracht wird.