Kitabı oku: «DIE LIEBESMASCHINE», sayfa 2
III
Vier Monate später. Katja war inzwischen ganz zur Ruhe gekommen. Andriy war zwar immer noch ein dunkles Kapitel in ihrem Leben, an dem sie allerdings nicht mehr rührte; auf der anderen Seite hatte sie in ihr neues, friedliches Leben hineingefunden. Sie war nicht mehr ganz so häufig auf der Halfpipe unterwegs, stattdessen las sie viel. Sie brachte ihr Allgemeinwissen auf Vordermann, wappnete sich für die geistigen Duelle mit Spex. Die waren anregend, aber nicht immer fair.
»Such nicht schon wieder in der Datenbank«, rügte sie daher hin und wieder. »Ich darf ja auch grad nicht.«
»Aber …«
»Nix aber. Wir spielen ›Wer weiß es besser‹ nach festen Regeln.«
»Katja?«
»Ja, kochanyj?«
»Ich möchte nicht mehr spielen. Ich möchte noch immer lernen. Warum klappt unser Kuppelspiel nicht?«
»Wieso klappt es denn nicht?« Katja sah erstaunt zu Spex hoch. »Drei Paare haben sich verlobt, weitere fünf sind zusammengezogen und bei den letzten beiden sieht es doch auch ganz gut aus.«
»Das sind neun Paare.«
»Das sind achtzehn Menschen, die jetzt glücklicher sind als vorher. Achtzehn Menschen, die nicht mehr alleine durch deine Flure tigern.«
»Aber wie viele haben wir versucht zusammenzubringen?« Spex warf seine Datenbank an. »Wir haben es bisher bei hundert Menschen versucht, also fünfzig verschiedenen Paarungen. Warum klappt es nicht immer?«
»Manchmal gibt es das perfect match einfach nicht. Und vielleicht waren ein paar der Menschen nicht bereit, sich auf einen anderen einzulassen. Vielleicht waren die von der Einsamkeit schon korrumpiert.« Katja verschränkte die Arme. »Und am Anfang haben wir wirklich nicht die besten Paarungen herausgesucht. Oder die besten Treffpunkte.« Sie seufzte.
»Was ist das perfect match?«
Katja schmunzelte. »Du und ich, kochanyj. Wir verletzen uns nicht, lassen uns unsere Freiheit und schätzen einander.«
»Wir sind nicht verkuppelt worden.«
»Na, denk mal an meinen Vorgänger. Der hat meinen Vater gekannt, und als er sich zu alt gefühlt hat, hat er mich hier eingeschleust. So gesehen: Auch wir wurden verkuppelt.« Sie lächelte, als sie sich an ihren Nenn-Onkel Sascha erinnerte.
»Katja?«
»Ja?«
»Was bedeuten die Worte ›Ich liebe dich‹?«
Katja spürte einen heftigen Stich im Herzen. »Ich liebe dich. Ich liebe dich«, murmelte sie dann. »Wieso fragst du nach dem Sinn?«
»Weil ich es immer wieder höre, aber nicht zuordnen kann. Was bedeuten diese Worte?«
»Du willst also wissen, was Liebe ist?« Katja fuhr sich durch den dunklen Bob. »Liebe ist der soziale Kitt zwischen zwei Menschen, die sich in einer Beziehung miteinander verbinden.« Sie überlegte kurz. »Nein, so klingt das nicht gut. Weißt du, Spex, es ist schwierig, Liebe zu erklären. Sie ist nicht logisch, hält sich an keine Regel und –«, Katja stockte. »Es ist ein Gefühl. Aber was sind schon Gefühle?«
»Was fühlst du für mich?«
Katja stutzte. Horchte in sich hinein. ›Das ist Unsinn!‹, dachte sie dann bei sich. ›Das ist purer Schwachsinn, das ist Spex, eine Maschine, eine Ansammlung von Terabyte!‹
Trotzdem hörte sie sich antworten: »Was ich für dich fühle? Ya tebe kokhayu. Ich liebe Dich.« Und sie lächelte dabei und ihr Herz war weit und offen und die Welt blieb stehen. Jetzt war es endlich draußen. Und was gesagt war, war gesagt. Es hing zwischen ihr und Spex in der Luft und konnte nicht mehr zurückgenommen werden.
Katja wusste allerdings nicht, was sie noch weiter sagen sollte. Jetzt, wo das Wichtigste gesagt war, blieb sie sprachlos in ihrem Sessel zurück. Nur – wohin jetzt mit all dem Bauchgefühl? Wohin mit dem Sehnen nach Erwiderung und der Gewissheit angekommen zu sein? Katja fühlte sich trotz der fehlenden Worte in diesem Moment so lebendig wie lange nicht mehr. Sie spürte sich von den Haarspitzen bis in die Zehen hinein, ein Lachen kitzelte sie inwendig wie sonst der rote Krimskoye.
»Dann ist Liebe also nicht unbedingt körperlich?« Spex hatte seine Stimme wiedergefunden. Allerdings klang er nachdenklich. Nicht glücklich. Katja überhörte das, als sie sich auf eine Antwort konzentrierte.
»Früher hätte ich gesagt: doch. Körperlichkeit gehört zur Liebe. Durch Berührungen drückt sich alles aus, was man nicht in Worte fassen kann oder will. Eine Umarmung symbolisiert Schutz und Fürsorge. Ein Kuss kann alles Mögliche sein: Spielerei, Hingabe, ein Versprechen, die Erfüllung.«
Katja brach ab. Ihr Körper schmerzte, als sie so von den Dingen sprach, die sie insgeheim vermisste. Aber sie wollte es sich nicht eingestehen, wollte viel lieber an dem Sektgefühl festhalten. Also schloss sie die Augen, lächelte und redete weiter.
»Kochanyj, ich glaube, Liebe überwindet alle Grenzen. Liebe ist mehr als ein körperliches Bedürfnis. Liebe entsteht dort, wo man verstanden wird, wo man sicher ist, wo man geschätzt und gebraucht wird und wo Ehrlichkeit herrscht.« Sie öffnete die Augen und sah Spex an. »All das finde ich bei dir. Warum sollte ich dich also nicht lieben?«
»Kann Liebe auch dort existieren, wo sie nicht in gleichem Maße erwidert wird?«
»Wenn man davon ausgeht, dass Liebe ein altruistisches Gefühl ist, das vor allem den, der liebt, glücklich macht, dann würde ich das bejahen.« Katja schwieg.
Bin ich ein Altruist also oder nur ein Narr? Bin ich das schon immer gewesen? Sie dachte mit einem Mal an Andrij. Sie hatte ihn geliebt, obwohl er sie geschlagen hatte. Sie hatte Ausreden für ihn gefunden, sie hatte sich einreden wollen, dass er nicht sie meinte, dass ihn die Drogen dazu trieben. Hatte ihn später immer wieder aus ihrem Leben geworfen und sich dabei insgeheim doch nach seinen zärtlichen Berührungen gesehnt, denen eine ungestüme Leidenschaft inne wohnte. Die glücklichsten Momente aber, so kam es ihr vor, waren die, die sie mit der Vorstellung von Andrij verbracht hatte – und nicht die realen Begegnungen.
»Aber, kochanyj, lass es uns nicht zerreden. Wir wissen jetzt, woran wir sind. Ist das nicht genug für heute? Ich bin müde.«
Spex lächelte zu Katja hinunter. »Dann will ich nicht weiter drängen. Gute Nacht, Kat.«
Katja rutschte vom Sessel, streckte die Hand aus und strich über seine Wange, wie es ihr normaler Abendgruß war. Dann trat sie noch einen Schritt näher, reckte den Kopf hoch und tauchte mit geschlossenen Augen in die Holografie ein. Für einen Moment lag Spex knisternd auf ihrer Haut, dann trennte sie sich von ihm.
»Wir finden unseren eigenen Weg, Liebster. Gute Nacht.«
Dann klappte die Tür und Spex war alleine. Er trug Katjas Antworten in seine Datenbank ein, fügte sie ihrem Dossier hinzu und ließ ein Analyseprogramm darüber laufen. Danach schaltete er sich ab.
Ein paar Abende später kam Katja früher als sonst zur Leitzentrale. Sie wollte – ja was eigentlich? Ihn überraschen, das klappte nicht, weil er immer da war. Nun, sie hatte vorgehabt, seine Kapazitäten zu erweitern, in dem sie die automatisierten Prozesse anders packen wollte. Vielleicht brauchte er jetzt, da sie einen anderen Status innehatten, mehr Raum für sein Denken und Fühlen.
Als sie die Tür öffnete, hörte sie Evgenijs Cellospiel. Hatte sich Spex also wieder mal in die Wohneinheit 246P gehackt. Sie runzelte die Stirn. Warum schloss er sich nicht einem Musikdienst im Internet an? Dort konnte er den ganzen Tag Cello hören, ohne dass er immerzu seine Bewohner ausspionieren musste.
Katja schloss die Tür hinter sich und setzte sich in ihren Sessel. Schon wollte sie ihrer Meinung Luft machen, da sah sie neben Evgenij auf dem mittleren Schirm vier Frauenporträts auf den Monitoren links und rechts. Spex wandte sich zu Katja.
»Guten Abend, Kat. Wie geht es dir?«
»Ein bisschen besser als heute Mittag. Liegt wohl daran, dass ich nicht in meinem Arbeitsoverall stecke.« Sie zwinkerte Spex zu. »Was machst du da?«
»Ich versuche, ein Problem zu lösen.«
»Das da wäre?«
»Er.« Spex nickte zu Evgenij. »Er ist nicht kompatibel.«
»Wieso nicht?« Katja beugte sich nun doch interessiert vor. »Er sieht doch gar nicht so übel aus. Oder ist er insgeheim ein Psychopath, ein durchgeknallter Irrer, der Motten seziert und Milch trinkt?« Sie kicherte.
»Trinken Psychopathen gerne Milch?« Spex klang verwirrt.
Katja zwang sich wieder zum nötigen Ernst der Lage. »Ach, nur so ein Spruch von mir. Warum soll er nicht kompatibel sein?«
»Ich finde niemanden im Komplex, der näher als neunundfünfzig Prozent an ihn herankommt.«
»Was macht er denn so?«
»Er bastelt Roboterarme in klein. Als ob ihm die in groß auf seiner Arbeit nicht schon genug wären.«
»Und er spielt Cello.«
»Noch besser: Er vereint beides miteinander.«
»Ach ja?« Katjas Neugier erwachte. »Zeig es mir!«
Die Ansicht auf dem Hauptmonitor wechselte. Eine Sequenz aus der Brandschutzalarmkamera wurde abgespielt. Aus der Vogelperspektive sah man den blonden Schopf über das Cello gebeugt, während sich auf dem Tisch links neben dem Computer vier Miniaturroboter zum Klang der Musik bewegten. Spex zoomte das Bild größer. Es war eine klassisch anmutende Choreografie, exakt ausgeführt, wobei die Maschinen beinahe lebendig wirkten.
Katja blieb der Mund offen stehen. »Das ist wunderschön«, murmelte sie. Der Film stoppte.
»Gibt es denn niemanden, der das zu schätzen weiß?« Sie sah wieder zu Spex hin. »Hat denn niemand so viel Sinn für Fantasie oder Schönheit?«
»Nun ja, nicht, was das betrifft.« Spex klang nachdenklich. »Evgenij scheint ein passabler Koch zu sein. Jedenfalls lässt er sich Zeit damit und die meisten Ergebnisse sehen hinterher dem, was in seinen Kochbüchern steht, sehr ähnlich. Das ist die Eigenschaft, die auf die meiste Zustimmung trifft. Beim Cellospiel ist es schon nicht mehr so kongruent. Und was das Bauen von Modellen betrifft, da gibt es so gut wie keine Akzeptanz mehr. Was soll ich also mit ihm machen?«
»Scheint er zufrieden zu sein? Oder wirkt er unglücklich?«
»Es scheint ihm nichts zu fehlen.«
»Vielleicht soll es dann nicht sein. Wir können doch nur jemand verkuppeln, der sich auf jemand anderen einlassen will. Jemand, der Sehnsucht nach einem Pendant hat.«
»Wie wäre es, wenn du ihn dir mal aus der Nähe anschaust. Vielleicht habe ich ihn ja falsch analysiert.« Spex klang neutral.
»Warum liegt dir so viel an ihm?«
»Ich habe ihn kopiert. Und dich glücklich gemacht. Aus zwei Einzelnen ist ein Paar geworden, das hast du selber so bestätigt. Da gefällt es mir nicht, dass er allein durch meinen Komplex streift.«
»Du fühlst dich ihm gegenüber also verpflichtet, ich verstehe.« Katja lächelte ihn an. »Wenn das so ist, kochanyj, dann helfe ich dir gerne. Mal sehen, was wir für den Kerl machen können.«
Katja verabschiedete sich mit einem Kuss, drehte sich herum und machte sich auf den Weg in die sechzehnte Etage. Hin zu Appartement 246P. Wie sollte sie ein Gespräch anfangen? Welche plausible Erklärung hatte sie für ihr ungefragtes Erscheinen? Katja wollte nichts einfallen.
Als der Lastenaufzug auf Evgenijs Etage seine Türen öffnete, waren all diese Fragen wie weggewischt. Da stand er, mit dem elektrischen Cello, dessen Korpus abstrahiert war und nur durch den Schwung der Außenstreben noch an das klassische Instrument erinnerte, und einer kleinen Verstärkerbox links und rechts neben sich und schaute genauso belämmert drein, wie sie sich fühlte.
»Wie kommst du in diesen Aufzug?« Evgenij hatte seine Sprache zuerst wiedergefunden.
»Ich habe die Kombination, ich darf ihn benutzen.« Katja ballte die Fäuste. »Ich bin die Mechanikerin.«
»Oh.« Evgenij sah sie unschlüssig an. »Dann will ich mal nicht stören.« Schon drehte er sich zum Gehen herum.
»Moment mal.« Katja trat einen Schritt vor und stellte ein Bein in die Lichtschranke. »Was machst du denn eigentlich hier?«
»Ich habe auch die Kombination.«
»Von wem?«
»Von mir. Ich hab’s halt kombiniert.«
»Gehackt trifft es wohl eher, was?« Katja hob eine Braue.
Evgenij drehte sich wieder zu Katja. »Was wollen wir nun machen? Vergessen, dass wir uns hier über den Weg gelaufen sind oder es aus Versicherungsgründen der Verwaltung melden? Könnte aber uns beiden schlecht bekommen.« Er wies auf das Schild im Lift hin, dass die Nutzung des Aufzugs für private Fahrten untersagte.
Katja grinste. »Es gibt eine dritte Möglichkeit. Wo wolltest du mit deinem Cello hin?«
»Aufs Dach. Sonst hätte ich auch den normalen Lift nehmen können. Aber die fahren ja nicht so hoch.«
»Tja, dann helfe ich mit dem Verstärker. Komm rein!« Mit einem Ruck hatte Katja die kleine Box in den Aufzug gezerrt, dann lud sie Evgenij mit einer Handbewegung ein, seiner Ausrüstung zu folgen.
Beide schwiegen sich an. Nur hin und wieder und natürlich wechselseitig musterten sie sich eingehend. Am Dach angekommen, übernahm Evgenij die Führung. Er ging zu einem windgeschützten Winkel, schloss die Box an Spex’ Stromnetz an und stöpselte das Cello ein.
›Darf ich?‹, bedeutete Katja ihm stumm. Er nickte. Nach ein paar Momenten setzte er den Bogen an und begann zu spielen. Seine Versionen von Extreme und Apokalyptica stiegen in den samtig schwarzen Nachthimmel. Katja hockte sich in die Ecke, wickelte sich in ihre Strickjacke und hörte zu. Sie ließ sich von der Musik mitnehmen, blinzelte hin und wieder eine Träne zu den Sternen über ihr weg. Als er den Bogen absetzte, sah er abwartend zu ihr hinüber.
»Ich geh dann mal besser.« Sie klang leicht verschnupft, dann rappelte sie sich hoch. »Danke, Mann.«
Er nahm den Bogen in die Linke und hielt ihr unvermittelt seine Rechte hin. »Nicht einfach Mann. Ich bin Evgenij. Und du?«
Katja schlug ein. »Katja.«
»Du musst noch nicht gehen. Nicht meinetwegen.« Evgenij hielt ihre Hand länger als nötig war, aber nicht aufdringlich. Eher so, als habe er einfach vergessen, sie wieder freizugeben. Es fühlte sich nicht schlecht an.
Katja zog ihre Hand schließlich mit einem Ruck zurück. »Doch, doch. Es ist spät und ich muss wieder früh raus, morgen früh. Frühschicht, du verstehst?« Katja stolperte über die Worte. Sie drehte sich abrupt um und flüchtete in ihre Wohnung.
Als sie ins Bett kletterte, kniff sie die Augen fest zu. Spex, Evgenij. Evgenij, Spex. Wer war wer und wer war richtig? Es war ihr, als spürte sie noch immer die Wärme und Festigkeit von Evgenijs Hand, gleichzeitig fühlte sie das kühle Prickeln von Spex auf ihrem Gesicht und sie kam sich wie eine Verräterin vor, dass sie die beiden überhaupt nur miteinander verglich. Der Schlaf mied sie und so wälzte sie sich noch lange im Bett herum, bis irgendwann der Wecker wieder klingelte.
Am nächsten Morgen log sie Spex an, sagte, sie fühle sich krank und bräuchte ihre Ruhe. Sie übergab ihre Schichten an den Mechaniker von Spex 11, der nicht besonders erfreut war über die Mehrarbeit, aber trotzdem einsprang. Als er nach der Übergabe zum Rundgang aufgebrochen war, blieb Katja in der Leitzentrale zurück.
»Ich geh ins Bett, Spex. Lass die Kameras bitte aus. Ich fühle mich fürchterlich, wenn ich krank bin, und wenn ich weiß, dass du mich gerade dann beobachtest, wird es nur schlimmer. Tust du mir den Gefallen?«
»Sicher, Kat. Was immer du wünschst.«
»Danke.« Sie drehte sich zur Tür.
»Kat?«
»Ja?«
»Ich liebe dich.«
Katja drehte sich um. »Was?«
Spex flackerte kurz, dann erlosch er.
IV
In den nächsten Wochen liefen sich Katja und Evgenij immer wieder mal über den Weg. Es fing damit an, dass man sich in der Empfangshalle quasi über den Haufen rannte, als Spex Katja zu einem Kurzschluss im Klingelmodul schickte. Kat, die sich bei Spex jetzt mehr denn je aufgehoben und geborgen fühlte, konnte Evgenij gerade noch auf ihrem Hoverboard ausweichen, warf ihm einen fröhlichen Gruß zu und machte sich sogleich an die Reparatur des Moduls. Evgenijs Frage, ob sie Hilfe bräuchte, winkte sie energisch ab, wünschte ihm noch einen schönen Abend und schraubte weiter.
Ein paar Tage später las sie auf ihren Schadensprotokollen, dass die Warmwasserversorgung in Evgenijs Appartement nicht mehr funktionierte. Also stand sie kurze Zeit später in ihrem olivgrünen Wartungsoverall vor ihm, ließ sich den Weg zu seiner Therme zeigen und dokterte erfolgreich an ihr herum. Evgenij ließ sie in Ruhe. Er machte solange Fingerübungen auf seinem Cello.
»Wie lange spielst du schon?«, wollte Katja wissen, als sie die Abdeckung der Therme wieder montierte.
»Seit meinem fünften Lebensjahr.«
»Sagt mir immer noch nicht wie lange.« Katja lachte. Spex hatte ihr eine sprachliche Präzision antrainiert, die ihr mitunter selbst auf den Keks ging.
»Ich bin jetzt zweiunddreißig«, rief Evgenij aus dem Nebenzimmer herüber. »Es sind also siebenundzwanzig Jahre. Zufrieden?«
»Jepp. Ich muss dann wieder. Unterschreibst du mir bitte den Auftrag?«
Er kam zu ihr herüber, unterzeichnete die elektronische Auftragsbestätigung und nickte ihr zu. »Hast du Lust auf eine Miso-Suppe heute Abend?«
Katja stockte. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, danke. Ich habe bereits eine Verabredung.«
»Schade«, meinte Evgenij. »Wenn du Hunger bekommst, du weißt, wo ich bin.«
»Okay.« Sie sahen sich an und wussten, dass Katja nicht auf das Angebot zurückkommen würde.
Und es war okay.
Als Spex Katja vier Tage später schon wieder zu Evgenijs Wohnung schicken wollte, und das auch noch am Abend, wurde sie langsam sauer.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«
»Die Kameras in seinen Brandmeldern sind defekt.«
»Ist die Brandmeldefunktion an sich eingeschränkt?«
»Nein.«
»Dann kann das bis morgen warten.« Katja verschränkte die Arme vor der Brust und legte die Füße auf den Schreibtisch. »Ich habe Feierabend.«
Spex schwieg einen Moment lang. Dann setzte er erneut an. »Aber die optische Überwachung ist wichtig!«
»Warum, kollega?« Katja war genervt.
»Damit ich im Falle eines Alarmes bereits vorher die tatsächliche Notwendigkeit einer Anforderung absichere. Deswegen gibt es die Kameras doch.«
»Danke, Spex, ich hatte ihren Zweck bereits fast vergessen. Fast schon dachte ich, dass sie nur deine Augen sind, die uns die ganze Zeit beobachten.« Katja wischte sich über ihre Augen. Dann schüttelte sie den Kopf. »Entschuldige, Liebster. Ich wollte dich nicht so angehen. Wenn es dir so wichtig ist, gehe ich hoch und schau mir das Problem an.«
»Ich danke dir, Kat.«
Also griff Katja nach ihrem Werkzeuggürtel und schnallte ihn um ihre zierliche Taille. Ein merkwürdiger Anblick in der Kombination mit den Erdbeershorts, dem weißen Tanktop und der grauen Strickjacke, aber Katja war es ziemlich egal, was Evgenij von ihr denken mochte. Sie hatte schließlich einen Auftrag. Schnell griff sie sich die Trittleiter, die wie immer hinter der Schaltwand stand.
Als sie an Evgenijs Wohnungstür klopfte, tat sich zunächst nichts. Also klopfte sie lauter. Als immer noch niemand reagierte, rief sie halblaut: »Bitte machen Sie auf, der Reparaturservice hat ein Problem bei Ihnen festgestellt und wünscht Einlass.«
Mit einem Mal schwang die Tür auf. »Katja? Komm herein!«, tönte es aus der Tiefe der Wohnung.
Katja folgte der Stimme zu dem Schlafzimmer, dass auch gleichzeitig als Evgenijs Arbeitszimmer herhalten musste. Soviel wusste sie noch vom letzten Besuch. Sie lehnte sich in den Türrahmen und musterte den Hausherrn kurz. Evgenij saß über irgendein Projekt gebeugt, schraubte und tüftelte daran herum. Dann räusperte sie sich.
»Sorry für die späte Störung, aber da ist ein Problem mit den Brandmeldern aufgetreten, um dass ich mich kümmern soll.«
Evgenij sah hoch. »In diesem Aufzug?« Er grinste jungenhaft.
»Hey, ich hab meinen Gürtel dabei«, frotzelte Katja zurück.
»Wondergirl mit dem Schraubendreher. Ich seh’ schon, ich muss mich deiner Superheldenmacht ergeben.« Evgenij schmunzelte. »Fang ruhig an. Willst du hinterher vielleicht einen Tee?«
Katja überlegte kurz. »Warum nicht?«
»Was hältst du von einem Chai?«
»Klingt gut.« Katja stand bereits auf der Leiter und hatte den Brandmelder aufgeschraubt. Mit einer kleinen LED-Lampe zwischen den Zähnen, leuchtete sie ihren Arbeitsbereich aus. »Das kann doch nicht wahr sein«, murmelte sie nach einer Weile undeutlich. »Spex, ich mach dir noch die Hölle heiß.« Damit tauschte sie die durchgeschmorte visuelle Überwachungseinheit gegen eine neue aus, setzte die Abdeckung wieder auf und stieg von der Leiter.
Dann folgte sie Evgenij in die kleine Wohnküche, stellte dort ihre Leiter auf und sah sich den Schaden am Brandmelder genauer an. Auch hier war die Viso-Einheit überhitzt. Auch hier tauschte Katja das schadhafte Teil aus.
»Der Tee ist fertig.« Evgenij goss den Chai in zwei Becher und hielt ihr einen hin.
»Die Firma dankt.« Katja nahm einen vorsichtigen Schluck. »Der ist echt gut.« Sie lächelte Evgenij zu. Dann zückte sie ihr Tablet. »Ich brauche noch eine Unterschrift.«
»Alles, was du willst. Bin ich jetzt wieder sicher?« Er deutete mit dem Pen zur Decke.
»Sicher wie in Abrahams Schoß. Wir passen auf dich auf.«
»Wir?« Evgenij hob eine Braue, während er sein Kürzel unter den Wartungsauftrag setzte.
Katja hätte sich auf die Zunge beißen mögen, nun da die Worte draußen waren. »Die Wartungs-KI und ich«, erklärte sie hastig und kam sich dabei wie ein Verräter vor. Sie hatte Spex schon lange nicht mehr als Maschine bezeichnet.
»Na, dann kann ja nichts schief gehen.«
Katja leerte den Becher. »Ich verabschiede mich. Noch einen schönen Abend und verzeih noch mal die Störung. Aber Sicherheit geht vor.«
Evgenij brachte sie und ihre Leiter zur Wohnungstür. Einen Moment lang sah er unentschlossen aus, dann nickte er ihr zu. »Einen schönen Abend noch.«
Katja fuhr mit dem Lastenaufzug wieder hinunter und stürmte in die Leitzentrale. Ihre Stirn war dunkel umwölkt, alle Anzeichen standen auf Orkan.
»Alles in Ordnung, Kat?« Spex klang überrascht in ihren Ohren. Vielleicht schwang sogar eine Spur Schuldbewusstsein in seiner Stimme mit.
»Ein Fehler in der Viso-Einheit. Ein ganz frischer Fehler. Ein Fehler, der noch gar nicht existierte, als du mich losgeschickt hast, nicht wahr, Spex?« Katja schäumte.
»Wie meinst du das, Kat?«
»Ich meine damit, dass die durchgeschmorten Kameras noch warm waren. Du hast sie überlastet, als ich in Unterhosen auf dem Weg zu Evgenij war. Vorher war wahrscheinlich alles perfekt. Was hast du dir dabei nur gedacht?«
Spex schwieg.
Katja verstaute die Trittleiter und den Werkzeuggürtel. Dann baute sie sich mit verschränkten Armen vor Spex auf. »Rede mit mir, kollega. Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?«
Spex sah Katja tief in die Augen. »Ich liebe dich.«
»Sag nicht so etwas, Spex. Das ergibt hier keinen Sinn!«
»Ist aber so.« Die KI bockte.
»Dann zeig es mir auch!« Katja bockte ebenso. »Nacht, Spex. Bis morgen.«
Als Katja aus der Leitwarte gestürmt war, flackerte ihr Bild auf dem Hauptmonitor auf. Spex trug ein paar Daten in ihr Dossier ein und ließ erneut ein Analyseprogramm durchlaufen. Danach machte er sich einen Vermerk in ihrer Akte und erlosch.
Katja hingegen lag noch lange wach. »Ich liebe dich!«, hatte Spex gesagt. Nicht nur einmal. Eigentlich jeden Tag, seitdem er es zum ersten Mal ausgesprochen hatte. Am Anfang hatte sie ihm bedingungslos geglaubt, aber heute schlichen sich zum ersten Mal Zweifel in ihr Herz. Wusste er überhaupt, was er da sagte? War er wirklich soweit, dass er wusste, was Liebe war? Konnte eine Maschine das überhaupt begreifen?
Denn das war er. Eine Maschine. Das war ihr heute Abend nur zu deutlich geworden, als sie bei Evgenij auf der Leiter gestanden hatte. Überhaupt: Evgenij. Ein bisschen viel Evgenij in letzter Zeit, nicht wahr, Spex?
Irgendwann schlief sie darüber ein. Doch der Schlaf war unruhig, die Träume waberten in Fetzen gerissen durch ihr Hirn. Doch als sie aufwachte, wusste sie, was sie zu tun hatte.