Kitabı oku: «Zeuge und Aussagepsychologie», sayfa 2

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Abkürzungsverzeichnis


A. Auflage
Abs. Absatz
BayObLG Bayrisches Oberlandesgericht
Bd. Band
BGH Bundesgerichtshof
BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofes
BGHR BGH-Rechtsprechung in Strafsachen, hrsg. Von Richtern des Bundesgerichtshofes (seit 1987)
BKA Bundeskriminalamt
BT-Drucks. Bundestagsdrucksache
BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
bzw. beziehungsweise
CAT Children Apperception Test
d.A. die Autorin
d.h. das heißt
DRiZ Deutsche Richterzeitung
et al. und andere
e.V. Eingetragener Verein
FamZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
ff. fortfolgende
FPPK Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie (Zeitschrift)
FPR Familie, Partnerschaft, Recht
FS Festschrift
gem. gemäß
ggf. gegebenenfalls
GVG Gerichtsverfassungsgesetz
i.S.d. im Sinne des/der
i.Ü. im Übrigen
JGG Jugendgerichtsgesetz
KK Karlsruher Kommentar
Krim Kriminalistik
LR Löwe-Rosenberg
m.w.N. mit weiteren Nachweisen
MRK Menschenrechtskonvention
MschrKrim Monatsschrift für Kriminologie
NJW Neue Juristische Wochenschrift
NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht
NStZ-RR NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht (Zeitschrift)
o.ä. oder ähnlich(es)
OLG Oberlandesgericht
PdR Praxis der Rechtspsychologie
PFT Picture-Frustration Test
R&P Recht und Psychiatrie
Rn. Randnummer
RG Reichsgericht
RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
RiStBV Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren
S. Seite/Satz
sog. sogenannte(r/s)
StGB Strafgesetzbuch
StPO Strafprozessordnung
StraFo Strafverteidiger Forum
StV Strafverteidiger
TAT Thematischer Apperception Test
u.U. unter Umständen
UA Urteilsausfertigung
u.a. unter anderem
Vgl. Vergleiche
z.B. zum Beispiel
z.T. zum Teil
ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einführung

1

Zeuge als häufigstes Beweismittel. Der Zeuge ist das häufigste Beweismittel im Strafprozess. Streitet die Aussage des Beschuldigten gegen die des Zeugen, entscheiden oft seine Angaben über Einstellung oder Anklage, Freispruch oder Verurteilung. Dann kommt es entscheidend auf die Qualität seiner Aussage an.

2

Überzeugungsgrundlage. In der Regel hat sich der Strafjurist die Beurteilung der Zeugenaussage grundsätzlich auch ohne Fachkenntnisse zuzutrauen. Hierin wird er durch jahrzehntelange gefestigte Rechtsprechung gestärkt, wonach die Beurteilung von Zeugenaussagen ureigenste Aufgabe des Tatrichters ist. Gleichwohl entsteht in der Praxis häufig der Eindruck, dass er bei der Beurteilung jedoch nicht auf wissenschaftliche aussagepsychologische Erkenntnisse zurückgreift, sondern sich vornehmlich auf seine Lebenserfahrung und Menschenkenntnis verlässt und bei der Überzeugungsbildung vor allem auch seiner Eindrucksbildung folgt. Insbesondere ist oft nicht bekannt, wie sehr z.B. die Voreinstellung des Befragers Einfluss auf die Aussage haben kann. Vielfach vollziehen Richter auch nur die Ermittlungsergebnisse nach und versuchen den Zeugen auf seine polizeilichen Aussagen festzulegen, ohne um die Bedeutung der Entstehungsgeschichte der Aussage zu wissen und diese aufzuklären.

3

Aussagepsychologische Literatur. Seit Ende der neunziger Jahre gibt es zahlreiche aussagepsychologische Fachbücher, die z.T. jedoch zwischenzeitlich vergriffen und in juristischen Bibliotheken meist nicht zu finden sind, aber auch eine Vielzahl von Neuerscheinungen, die in die 3. Auflage eingearbeitet sind.

Daneben finden sich auch zahlreiche aktuelle – in diesem Buch angesprochene – psychologische Aufsätze.

4

Strafjuristen sind bei der Suche nach Entscheidungen und strafrechtlicher Literatur an systematische Zusammenstellungen gewöhnt, die in der Aussagepsychologie so nicht zu finden sind.

Dass dem Juristen die aussagepsychologische Literatur nicht leicht zugänglich ist, ist die Idee geschuldet, für den Strafjuristen eine systematische Zusammenstellung zu fertigen, die als Nachschlagewerk auch für den Psychologen interessant sein kann.

5

Mit Blick auf die stete Ausweitung des Opferschutzes sind in dieser Auflage Hilfsorganisationen, die den „parteilichen Umgang“ mit dem Zeugen propagieren besonders in den Blick genommen worden, da diese beratend vor und nach Anzeigenerstattung tätig werden und die damit einhergehende potentielle Einflussnahme auf den Inhalt der Aussage bislang nicht hinreichend aussagepsychologisch und rechtlich diskutiert ist.

3. Auflage. Auch mehr als zwanzig Jahre nach der BGH - Grundsatzentscheidung aus 1999 zu den wissenschaftlichen Anforderungen, die an aussagepsychologische Gutachten zu stellen sind, haben sich die aussagepsychologischen Fachkenntnisse der Justiz, aber auch vieler Gutachter nicht wesentlich verbessert. Mein Eindruck ist, dass Sachverständige augenscheinlich den Anforderungen des BGH genügen wollen, tatsächlich offenbaren viele Gutachten aber mangelnde Kenntnisse einer am Sachverhalt orientierten Hypothesenbildung und ein mangelndes Verständnis von dem aussagepsychologischen Suggestionskonzept. Vor allem autosuggestive Einflüsse werden vielfach gar nicht geprüft und deshalb womöglich auch nicht erkannt. Manche Sachverständige scheitern schon an einer hinreichenden Explorationstechnik. Mit der Hypothesenbildung „steht und fällt“ das Gutachten; deshalb ist ihr seit der 2. Auflage eine ausführliche Darstellung gewidmet, die sich in Teil 3 III (Rn. 378 ff.) und IV (Rn. 397 f.) findet.

In Literatur und Rechtsprechung sind bislang die möglichen Einflussnahmen durch Mitarbeiter sog. Opferhilfeeinrichtungen, die damit werben, „parteilich für Opfer“ zu sein, zum Teil konkret Einfluss auf die Entscheidung zur Anzeigenerstattung nehmen und sich auch eine Verdachtsabklärung zutrauen, nicht diskutiert. Wegen der besonderen Bedeutung potentieller Einflussnahme auf die Zeugenaussage erfolgt in Teil 3 VIII „Fehlerquellenanalyse“ (Rn. 683 ff.) eine ausführliche Darstellung der Problematik.

In der 3. Auflage ist die Darstellung der aussagepsychologisch relevanten Rechtsprechung sowie der rechtspsychologischen Fachliteratur auf den neuesten Stand gebracht.

Im Text findet man einzelne Hinweise, die Hilfestellungen im Umgang mit aussagepsychologischen Fragestellungen geben sollen, und gegenüber der ersten Auflage wurde die Anzahl der Checklisten erweitert.

6

Das Buch gliedert sich in vier Teile.

Im ersten Teil (Teil 1 – Rn. 7 ff.) werden aussagepsychologische Gesichtspunkte zur Zeugenaussage dargestellt. Er befasst sich mit der Einführung in die Aussagepsychologie (Teil 1 I – Rn. 13 ff.), mit dem Unterschied zwischen der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Glaubhaftigkeit der Aussage (Teil 1 II – Rn. 47 f.), der Aussagebeurteilung in der BGH-Rechtsprechung (Teil 1 III – Rn. 49 ff.), der Gutachteneinholung (Teil 1 IV – Rn. 118 ff.), dem Rechtspsychologen (Teil 1 V – Rn. 163) und „Besonderen“ Zeugen (Teil 1 VI – Rn. 165).

Im zweiten Teil (Teil 2 – Rn. 179 ff.) geht es um die Zeugenvernehmung. Es werden die Vernehmungsbedingungen (Teil 2 I – Rn. 186 ff.), die Durchführung der Vernehmung (Teil 2 II – Rn. 201 ff.), die Inhalte der Vernehmung (Teil 2 III – Rn. 267 ff.), das Ausdrucksverhaltens während der Aussage (Teil 2 IV – Rn. 286 ff.), die Dokumentation der Vernehmung und deren Auswertung unter aussagepsychologischen Gesichtspunkten (Teil 2 V – Rn. 297 ff.) dargestellt.

Der dritte Teil (Teil 3 – Rn. 319 ff.) enthält Ausführungen zur aussagepsychologischen Begutachtung, im Einzelnen zu Formellem (Teil 3 I – Rn. 320 ff.), zur Unterscheidung zwischen erlebnisbegründeter und nicht erlebnisbegründeter Aussage (Teil 3 II – Rn. 373 ff.), zur hypothesengeleiteten Aussagebeurteilung (Teil 3 III – Rn. 378 ff.), zur Spezifizierung der Nullhypothese (Teil 3 IV – Rn. 397 ff.), zur aussagepsychologischen Leitfrage (Teil 3 V – Rn. 474 f.), zur Aussagekompetenz (Teil 3 VI – Rn. 476 ff.), zum Qualitäts-Kompetenz-Vergleich (Teil 3 VII – Rn. 619 ff.), Fehlerquellenanalyse (Teil 3 VIII – Rn. 621 ff.), zur Realkennzeichenanalyse (Teil 3 IX – Rn. 705 ff.), zur Berücksichtigung von Außenkriterien (Teil 3 X – Rn. 769 ff.), zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage (Teil 3 XI – Rn. 773 ff.), zur Dokumentation der Begutachtung (Teil 3 XII – Rn. 782 ff.), zur Überprüfung des Gutachtens (Teil 3 XIII – Rn. 797 ff.), zu methodenkritischen Stellungnahmen (Teil 3 XIV – Rn. 801 ff.) und zu Besonderheiten (Teil 3 XV – Rn. 804 ff.).

Der vierte Teil (Teil 4 – Rn. 816 ff.) stellt die beiden spektakulärsten Prozesse dar, in denen aussagepsychologische Gesichtspunkte bei der Vernehmung kindlicher Zeugen und aussagepsychologischer Gutachten eine Rolle gespielt haben; das sog. Montessori-Verfahren und das sog. Wormser Mißbrauchsverfahren wie auch dem Pascal-Prozess.

Die Entscheidungen werden im Text nach dem Aktenzeichen und in der Fußnote nach den Fundstellen, die BGH-Nack entnommen sind, benannt. Neu hinzugekommene Entscheidungen werden mit dem Aktenzeichen angegeben. Inhalte der Grundsatzentscheidung des BGH zu den wissenschaftlichen Anforderungen, die an aussagepsychologische Gutachten zu stellen sind, werden wegen ihrer besonderen Bedeutung besonders hervorgehoben und farblich unterlegt. Zur einfacheren Handhabung und nicht zuletzt dem aussagepsychologischen Grundsatz folgend, dass es auf das tatsächlich Gesagte (hier Geschriebene) und nicht auf das von dem psychologischen Laien dazu Zusammengefasste, Um- und Selbstformulierte ankommt, werden die psychologischen/psychiatrischen Ausführungen in ihrem genauen Wortlaut zitiert.

Teil 1 Zeugenaussage

7

Die Constitutio Criminalis Carolina war das erste deutsche Gesetz, das das Strafrecht und das Strafprozessrecht reichsgesetzlich regelte und das zwischen Haupt- und Hilfstatsachen unterschied. Damals konnte ein Beschuldigter nur verurteilt werden, wenn er geständig war oder – anders als heute – durch zwei „einwandfreie“ Zeugenaussagen überführt wurde. Da die geschichtliche Entwicklung die Untauglichkeit gesetzlicher Beweisregeln gezeigt hat, wurde mit der 1877 eingeführten Vorschrift des § 260 StPO (heute wortgleich § 261 StPO) eine deutliche und bewusste Abkehr von gesetzlichen Beweisregeln des Inquisitionsprozesses vollzogen.

8

Heute entspricht es – wenn Aussage gegen Aussage steht – gefestigter Rechtsprechung des BGH, dass ein Beschuldigter aufgrund einer einzig ihn belastenden Aussage verurteilt werden kann. Diese Aussage muss eine hochwertige Qualität aufweisen.

Eschelbach[1] erläutert: „Über Jahrtausende hinweg ermöglichte der strukturell defizitäre Beweis durch einen einzigen parteilichen Zeugen nach einer auf Erfahrungen beruhenden Vorsichtsregel alleine noch keine Verurteilung.“ Erst die Einführung des Prinzips der im Gesetzestext scheinbar schrankenlos gewährleisteten — „freien Beweiswürdigung“ (§ 261 StPO) eröffnete den Weg dazu, der aber auch erst seit der Nachkriegszeit zunehmend beschritten wurde. Die besagte Konsequenz ist die Verurteilung bestreitender Angeklagter aufgrund einer singulären Belastungszeugenaussage, die auch einzelne Defizite aufweisen kann, um danach immer noch geglaubt zu werden.

Den Strafjuristen wird vor allem die Rechtsprechung des BGH zur Aussageanalyse durch den Tatrichter interessieren.

9

In Teil 1 I (Rn. 13 ff.) wird eine Einführung in die Aussagepsychologie gegeben.

Dazu gehört die Darstellung der „Historie“ der Aussagepsychologie, der „Aufgabe und Zielsetzung aussagepsychologischer Begutachtung“, des methodischen Prüfkonzepts. Es folgt eine Befassung mit der „Aufzeichnung der Originalaussage“, der „BGH-Rechtsprechung zu aussagepsychologischen Gutachten“, der „Qualität aussagepsychologischer Gutachten“, der „Ausweitung des Anwendungsbereiches der Aussagepsychologie“ ein Überblick über die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Aussagepsychologie auf erwachsene Zeugen, Aussagen von (Mit)Beschuldigten, Ausländer und die Identifizierungsaussage.

Zuletzt folgt eine ausführliche Darstellung der aussagepsychologischen Fachliteratur.

10

In Teil 1 II wird der Unterschied zwischen der Glaubwürdigkeit der Person und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage aufgezeigt.

In ersten Phasen der Aussagepsychologie als Wissenschaft stand nicht die Beurteilung der Aussage zu dem eigentlichen Geschehen, sondern die Persönlichkeit des Zeugen im Vordergrund. Lange Zeit ist auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung von der Glaubwürdigkeit des Zeugen die Rede. Heute geht es nach dem aktuellen wissenschaftlichen Stand allein um die Qualität der Aussage.

11

In Teil 1 III (Rn. 49 ff.) ist die BGH-Rechtsprechung zu aussagepsychologischer Begutachtung, also zur Aussagetüchtigkeit und -kompetenz, zur Fehlerquellenanalyse und zur Aussageanalyse dargestellt.

12

In Teil 1 IV (Rn. 118 ff.) wird die BGH-Rechtsprechung zur Gutachteneinholung aufgezeigt, in Teil 1 V (Rn. 163 ff.) geht es um den aussagepsychologischen Sachverständigen, vor allem um den Rechtspsychologen und in VI um „besondere“ Zeugen, nämlich um Zeugen vom Hörensagen, die der Aussagepsychologe Aussageempfänger nennt, Opferzeugen, die Nebenkläger als Zeugen und mit Blick auf die zunehmende Kontaktaufnahme von Zeugen zu Pressevertretern zu dem von der Presse gesteuerten Zeugen.

I. Einführung in die Aussagepsychologie

1. Historie

13

Aussagepsychologische Gutachten werden in der höchstrichterlichen Rechtsprechung erstmalig im Jahr 1954 (in BGH [5 StR 416/54][2]) erwähnt. Danach sind Sachverständige zu bestellen, wenn die Zeugenaussagen von Kindern oder Jugendlichen die alleinigen oder wesentlichen Beweismittel darstellen. Damit sind aussagepsychologische Gutachten seit mehr als 50 Jahren als Beweismittel in Strafverfahren dem Grunde nach anerkannt.

Ausführliche Abhandlungen zu „historisch-psychologischen Betrachtungen der Zeugenaussage“ finden sich bei Kühne[3], die auf die Werke zu den Anfängen der Aussagepsychologie Anfang des letzten Jahrhunderts von Binet[4], Stern[5] und Münsterberg[6] hinweist, wie auch bei Müller-Luckmann[7], Köhnken[8] und Steller[9], Steller/Böhm[10] ziehen Bilanz über „50 Jahre Rechtsprechung des BGH zur Aussagepsychologie“.

14

Erste bis dritte Phase. William Stern[11] verstand schon 1902 die Aussage als geistige Leistung und zugleich als Verhörsprodukt. „Dieser Titel beschreibt das Konzept der Aussagepsychologie: Eine Aussage wird als Leistungsprodukt aufgefaßt, das nicht nur abhängig ist von personalen Merkmalen (geistige Leistung), sondern auch durch situative Merkmale bedingt sein kann, z.B. durch Merkmale der Befragungsumstände (Verhörsprodukt)“, erläutern Steller/Volbert[12] dazu. Nach Greuel[13] ist Glaubhaftigkeitsbegutachtung keine Integritäts- sondern Leistungsdiagnostik. Eine persönlichkeitsbezogene Betrachtung kann mithin keinen Beitrag zur Klärung der Frage liefern, ob eine konkrete Zeugenaussage glaubhaft ist oder nicht. Steller[14] resümiert zu „Vier Jahrzehnte forensische Aussagepsychologie“ wie auch Greuel[15].

15

Stern

Aussage = Geistige Leistung + Verhörsprodukt

Mitte des letzten Jahrhunderts wurden psychologische Sachverständige immer häufiger in gerichtlichen Verfahren hinzugezogen. Sie beschränkten sich nicht wie bis dahin auf das Aktenstudium, sondern nahmen auch zunehmend eigene Untersuchungen an Zeugen vor mit dem Ergebnis, dass Aussagen minderjähriger Zeugen über an ihnen verübten Unzuchthandlungen in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle der Wahrheit entsprachen.[16] Undeutsch[17] stellte diese Erkenntnis erstmalig 1953 und dann wiederholt weiter begründet in seinen späteren Veröffentlichungen 1956, 1957, 1959, 1965 und 1966 vor.[18]

16

Vierte Phase. Undeutsch forderte 1953 auf dem 19. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Köln dazu auf, die Glaubhaftigkeit der Aussage in den Mittelpunkt der Glaubwürdigkeitsbeurteilung zu stellen. Er läutete damit eine neue Phase der Aussagepsychologie ein, die heute die Glaubhaftigkeitsbegutachtung bestimmt. Die von ihm aufgestellte Hypothese lautete: Aussagen über tatsächlich Erlebtes unterscheiden sich inhaltlich systematisch von erfundenen Aussagen (von Steller 1997 als Undeutsch-Hypothese[19] benannt).

17


Undeutsch-Hypothese Aussagen über tatsächlich Erlebtes unterscheiden sich inhaltlich systematisch von Aussagen über Erfundenes

18

Überblick über die Entwicklung der (deutschsprachigen) Aussagepsychologie

Bei Wegener[20] und Greuel[21] findet sich ein Überblick über die Entwicklung der (deutschsprachigen) Aussagepsychologie im letzten Jahrhundert:


Zeitraum Bezeichnung Methodischer Zugang Publikations-Beispiele Zentrale Konstrukte
1900 – 1930 Experimentelle Frühphase Laborexperi-mente Wirklichkeits-Versuche Aussagegenauigkeit Aussagetüchtigkeit Aussagezuverlässigkeit Inwieweit kann die normale Zeugenaussage als eine korrekte Wiedergabe des objektiven Sachverhalts gelten?
1930 – 1945 Abstinenzphase
1945 – 1980 Erfahrungs- und Entwicklungsphase Forensische Sachverständigentätigkeit Experimentelle Forschung Strikte Trennung zwischen Glaubwürdigkeit der Person und Glaubhaftigkeit der Aussage Aussagequalität Glaubwürdigkeitsmerkmale
80er Jahre Evaluations-Studien Validierungs-Experimente Experimentelle Validierungs-Phase Aussagequalität Aussagetüchtigkeit Aussagezuverlässigkeit Merkmalsorientierte Aussageanalyse Suggestive Beeinflußbarkeit und Verfälschbarkeit (kindlicher) Aussagen
90er Jahre Simulationsstudien Theoretische Modellbildungen Integrationsphase Aussagetüchtigkeit Aussagequalität Aussagezuverlässigkeit

19

Viele Jahre hatte die Justiz keinerlei Interesse an aussagepsychologischen Forschungserkenntnissen gezeigt. Es wird vermutet[34], dass das vor allem an der „fehlenden Lebensnähe“ der vorwiegend im Labor durchgeführten Experimente gelegen hat.[35]

Arntzen hat Anfang der neunziger Jahre die praktische Verbreitung der Aussagepsychologie gefördert.[36]

Wissenschaftliche Fortentwicklung erfuhr die Aussagepsychologie insbesondere durch Arbeiten von Professor Köhnken, Professor Steller, Professor Volbert und Professor Greuel und deren Mitarbeiter. Näheres zu deren Veröffentlichungen findet sich unter Punkt 10, Rn. 46.

20

Suggestionsforschung. Greuel[37] spricht von der Suggestionsforschung als dem aussagepsychologischen Forschungsthema ab 1980.

Die Anfänge der Suggestionsforschung gehen auf Arbeiten von Binet[38], Münsterberg[39], Stern[40] und Stern/Stern[41] Anfang des letzten Jahrhunderts zurück. Stern[42] sprach – wie schon oben erwähnt – 1902 von der Aussage nicht nur als geistiger Leistung sondern auch als Verhörsprodukt, so dass schon damals die Bedeutung der Entstehungsgeschichte der Aussage erkannt wurde.

Seit den 80er Jahren sind vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum zahlreiche Forschungsprojekte bekannt, die sich mit Suggestionseffekten insbesondere bei kindlichen Zeugen beschäftigen.

21

Veröffentlichungen zur Suggestionsproblematik finden z.B. bei Ceci & Bruck[43]; Goodman et al.[44]; Sporer & Bursch[45]; Volbert[46]; Volbert & Pieters[47], Yapko[48], in Greuel/Fabian/Stadler[49] und Greuel[50]. Schade[51] zeigt die Bedeutung der Aussageentstehungsgeschichte am Beispiel des Wormser-Missbrauchsverfahrens und verdeutlicht das weitreichende aussagepsychologische Suggestionskonzept anhand anschaulicher Beispiele.

22

Köhnken[52] berichtet über Forschungsergebnisse, wonach suggerierte Informationen in das Gedächtnis „implantiert“ werden können, die als tatsächlich selbst erlebt empfunden werden, wobei die beeinflussten Personen subjektiv von der Richtigkeit der Falschinformationen überzeugt sind.

23

Greuel[53] stellt in ihrer Habilitationsschrift die Grundlagen und den Stand der Suggestionsforschung sowie eine hypothesenzentrierte Auswertung empirischer Befunde dar. Es geht dabei nicht um „generelle Suggestibilität“ sondern um die Beantwortung der Frage:

„Unter welchen spezifischen Suggestionsbedingungen können Aussagen über spezifische Erlebnisrepräsentationen in welcher spezifischen (und forensisch relevanten) Hinsicht beeinflusst werden?“[54]

Im Handbuch der Rechtpsychologie ist der aktuelle Stand der Forschung in dem Beitrag von Volbert „Suggestion“ aufgezeigt, die sich in zahlreichen Veröffentlichungen mit Fragen der Suggestion und Suggestibilität befasst hat.[55]

Interessant sind auch die Beiträge zur Beeinflussbarkeit älterer Menschen[56] und zur Langzeitentwicklung suggerierter Pseudoerinnerungen bei Kindern.[57]

Beachtenswert – denn äußerst praxisnah – erscheint die von Volbert[58] aufgezeigte „Wandlung“ der bewussten Falschaussage zur Falschaussage aufgrund autosuggestiver Prozesse.

(Straf-)Juristen wissen meist nicht hinreichend um den Inhalt und Umfang des Suggestionskonzepts. Dies mag daran liegen, dass ihnen die Prüfung der Entstehungsgeschichte der Aussage nicht vertraut ist und juristische Lehrbücher sich vielfach auf die Darstellung suggestiver Frageformen beschränken.

24

Kindliche Zeugen – Jugendliche Zeugen. Lange Zeit wurde Kindern die Fähigkeit, verlässliche Zeugen zu sein, abgesprochen, weil sie Fantasiertes von Erlebtem noch nicht unterscheiden könnten, sie erhöht suggestibel seien und keine zusammenhängende und geordnete Darstellung des Geschehens erbringen könnten.[59]

Müller-Luckmann[60], Undeutsch[61], Kühne[62], Endres/Scholz/Summa[63] und Steller[64] zeigen die historische Entwicklung der Beurteilung kindlicher Zeugenaussagen seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf.

Nach einer Entscheidung des Reichsgerichts[65] konnten auch Kinder Zeugen sein, wenn von ihnen eine verständliche Aussage zu erwarten war.

In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde in der aussagepsychologischen Forschung erkannt, dass in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Angaben von Kindern der Wahrheit entsprechen.[66] In einem Grundsatzurteil hat der BGH[67] 1955 klargestellt, dass „Kinderaussagen nicht häufiger unglaubwürdig sind, als die Aussagen von Erwachsenen, dass Kinder oft sogar die besten Zeugen sind“.

25

Mitte der achtziger/Anfang der neunziger Jahre gewann die Frage der Beeinflussbarkeit von Kindern wieder an Bedeutung. Auslöser waren in dieser Zeit gegründete Selbsthilfevereine, die sich die Aufdeckung des sexuellen Missbrauches zum Ziel gesetzt hatten. Die dort kreierte – höchst suggestiv wirkende – Aufdeckungsarbeit löste eine Debatte um den „Mißbrauch mit dem Mißbrauch“[68] aus.

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