Kitabı oku: «Frauenseelen», sayfa 2

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In Gegenwart anderer Menschen waren sie sehr gesetzt und hüteten ihr Geheimnis sorgfältig. Aber die alten Damen hielten sich jetzt auffällig von ihnen fern, und Wirt und Wirtin zeigten ihnen eine freundliche Protektion.

Mit kraftvollem Leichtsinn riß der Mann Walborg über alle Gefahren scherzend hinweg. Bei seinem geflissentlich zur Schau getragenen Egoismus war viel zarte Güte in ihm. Und seine Liebe kannte kein Pein-Bereiten. Walborgs Herz brannte vor Dankbarkeit. Sie lernte viel in diesen Sommertagen.

Sie lernte die große Wahrheit von der Notwendigkeit der Freude. Nicht nur ein bedenklicher Luxus war sie ihr nun. Nein, o nein – durch Schrecken und tödliche Schauer hatte sie mit starker Hand das rettende Kleinod ergriffen und brückte es triumphierend an die erlöste Brust.

Walborg trat aus der Bahnhofshalle. Ein Dienstmann sollte ihr den Koffer heimbringen. Warum denn einen Wagen nehmen an diesem feuchten, schattigen Abend, der so erquickend war, nachdem der Mittag das ersehnte Gewitter gebracht hatte. Sie fühlte sich nicht ermüdet von der kurzen Reise, im Gegenteil: sie sehnte sich danach, ihre Glieder zu bewegen. Mit einem gütigen Lächeln blickte sie auf die Spaziergänger, die durch die Straßen strömten, auf die Bürgermädchen mit den bunten Hüten und den hellen Kleidern, die am Arme ihrer Liebsten still-befriedigt oder lebhaft-kokett umherwandelten. Walborg erinnerte sich, wie die Menschen sie gereizt und geärgert hatten, als sie vor zehn Tagen die Stadt verließ. Jetzt konnte sie sich mit humoristischer Fröhlichkeit an dem alltäglichen, ein wenig albernen Glück ihrer Mitmenschen ergötzen. Sie war nicht mehr getrennt von ihnen durch einen alten, starren, fürchterlichen Schmerz – sie war den kleinen Mädchen mit den lächerlichen Hüten und den hellen Kleidern ordentlich gut. Denn sie fühlte etwas Gemeinsames mit ihnen.

Und die auf dem Pflaster spielenden Kinder hätte sie bei den Händen fassen und mit ihnen Ringelreihen tanzen mögen. Sie beschleunigte ihren Schritt – hatte sie nicht ihren eignen kleinen Jungen fast vergessen in dem Genesungsrausch nach langer Todesqual ...

Ihr Heim empfing sie mit Lichtern, Kränzen und Blumen. Und Erni stürzte ihr mit einem hellen Jubelschrei entgegen, sprang ihr jauchzend, schreiend vor Entzücken an den Hals. Sie hielt ihn, küßte ihn, drehte ihn im Kreise umher, wirbelte mit ihm in den Salon hinein, und atemlos, lachend fielen sie in einem zärtlichen Knäuel auf die Chaiselongue nieder.

»Gnädige Frau sind aber munter«, sagte die alte Dienerin erstaunt.

Später saß Erni ihr auf dem Schoß, der dünne, schmächtige Junge mit dem feinen, spitzen Gesichtchen, streichelte ihr die Wangen und betrachtete sie eingehend.

»Mama – du bist so anders«, sagte er nachdenklich.

»Dummes Bübchen, wieso denn?«

»Ja – ich weiß nicht – du bist so anders ...«

Walborg wurde rot.

»Ach, was du redest.«

»Du gehst so leicht, und deine Kleider wiegen sich, wenn du gehst. Du bist so lieb, so lustig ... Ach – Mamachen – du gefällst mir so gut!«

Walborg lächelte resigniert. Ihre Augen hatten einen tiefen, feuchten Schimmer, ihre Brauen zogen sich im Leiden zusammen. – Zu denken, daß sie den sogenannten ewigen Moralgesetzen nach in diesem Augenblick hätte Reue empfinden müssen ... Was galt Reue gegen den totenstillen Gram der Erkenntnis, der unter ihrer Freude lag?

*

Sie drückte das Köpfchen ihres Kindes an ihre Brust, daß es ihr nicht mehr ins Gesicht zu sehen vermochte, und liebkoste sein Haar mit zarter, leichter Hand.

»Du Erni – jetzt laufen wir viel spazieren, was? Und legen uns ins Gras und erzählen uns Geschichten ...«

»Ach ja!« schrie der Junge begeistert. »Bist du nicht mehr immer so müde. Mamachen?«

»Nein, ich bin nicht mehr müde.«

»Mamachen –«

»Was denn, mein Junge?«

»Es ist auch ein Brief gekommen ...«

»Ja,« fragte Walborg zerstreut, »von wem denn?«

Der Knabe zögerte mit der Antwort. Er schmiegte sich an seine Mutter. Geheimnisvoll flüsterte er ihr ins Ohr: »Ich glaube, er ist von Papa.«

Walborg ließ ihren Sohn los. Sie wurde kalt und blaß vor Schrecken.

»Du irrst dich wohl, Kind«, antwortete sie still.

Was sollte er ihr schreiben?

Erni brachte den Brief herbei. »Sieh mal, das ist doch Papas Handschrift.«

»Ja – du hast recht.«

»Kommt er denn wieder?« fragte das Kind gespannt. »Lies doch schnell!«

»Erni, sei verständig,« sagte Walborg scharf, »Papa fragt jedenfalls nach Dingen, die dich nichts angehen. Und wiederkommen tut er nicht.«

Sie steckte den Brief in die Tasche. Der Kleine sah enttäuscht drein. Sie erhob sich und schickte das Kind hinaus.

Was wollte er?

– Was konnte er noch von ihr wollen?

Nachdem er sich zwei Jahre lang nicht um sie gekümmert ... Gerade heut –?

Sie riß das Kuvert auf und las. Ihre Brust spannte sich unter einem tiefen Atemzuge, ihre Nasenflügel bebten, ihre Wangen brannten. Mit einem innern Jauchzen der Verachtung warf sie das Schreiben auf den Tisch.

Er meldete ihr seinen Besuch in einer geschäftlichen Angelegenheit, fragte dringend und demütig, ob sie ihn empfangen würde.

Ja – sie wollte ihn schon empfangen ...

Und sie durfte ihm zeigen, daß seine Macht über sie gebrechen war ... Er kam wieder, nun er sie für immer verloren hatte ... Wie sie das genießen würde!

Sie hatte Friedrich nach seinem Wunsch ihre zusagende Antwort telegraphiert. Schwere, wirre Träume peinigten sie die ganze Nacht hindurch. Was in aller Welt konnte er von ihr wollen, fragte sie sich zornig in jeder Viertelstunde. Es war ganz seine Art – sie so unnötig zu quälen. Und das Wiedersehen würde Erni aufregen. Der Junge würde dann eine lange Weile immerfort von seinem Vater sprechen, und davor fürchtete sie sich. Sie mußte ihn entfernen – aber Friedrich würde jedenfalls seinen Sohn sehen wollen. Sie kam zu keinem Entschluß.

Abends ging sie noch eine halbe Stunde an die Luft. Die Sache erregte sie doch ein wenig, sagte sie sich – aber das war natürlich – ganz natürlich.

Als sie heimkam, gegen halb neun, öffnete die alte Dienerin ihr mit etwas verstörtem Gesicht die Tür.

»Der Herr ist drin. Gerade seit ein paar Minuten ist er da. Ich traute mich doch nicht, ihn abzuweisen.«

»Ich erwartete seinen Besuch – aber erst morgen«, antwortete Walborg kühl. »Und Erni?«

»Schläft schon. Ich habe ihm gesagt, er sollte bloß den Jungen nicht wecken.«

»Das ist gut, Auguste.«

Walborg nahm Hut und Mäntelchen ab, trat vor den Spiegel und ordnete das Gelock über der Stirn.

Mochte er warten. Es war doch wundervoll angenehm, keine Angst mehr zu fühlen vor seiner bösen, ungeduldigen Laune. Sie lächelte spöttisch in sich hinein.

In ihrem Salon schaute sie suchend umher, erstaunt, Friedrich nicht zu erblicken. Die nur angelehnte Tür ihres Schlafzimmers öffnete sich. Den Kopf mit dem spitzen, blonden Bart ein wenig vorgestreckt, den weichen, braunen Hut in der Hand, trat Friedrich, auf den Zehen balancierend, heraus.

So hatte sie ihn unzählige Male aus der Tür kommen sehen, wenn er abends noch ausging und das schlummernde Kind nicht stören wollte.

»Er schläft ganz fest«, sagte der Mann leise mit gerührtem Lächeln. »Wie groß er geworden ist – gar kein kleines Kind mehr – schon ein richtiger Junge.«

Sie nickte mit dem Kopf, ohne ein Wort der Begrüßung finden zu können.

»Ich muß mich entschuldigen, hier eingedrungen zu sein während deiner Abwesenheit«, begann er befangen und kühler im Ton. »Aber ich ...ich konnte die Zeit nicht erwarten. Das war doch begreiflich.«

Sie blickte ihn an und bemerkte, daß er den Bart kürzer trug als früher. Beinahe hätte sie eine Äußerung darüber gemacht, als ihr einfiel, daß es sie gar nichts mehr anging, daß es ein fremder Mann sei, der dort aus ihrem Schlafzimmer und von ihrem Kinde kam.

Ein fremder Mann? Wie ähnlich Erni ihm war. Ganz derselbe Blick, mit dem er sie anschaute, mitleidig, freundlich und bittend. Wie erwachsen der Blick bei dem Kinde, wie kindlich er bei dem Manne wirkte. Und immer hatte Friedrich sie so angeschaut, wenn er etwas von ihr verlangte, was ihr furchtbar erschien ...

»Du bist gewiß erstaunt, mich hier zu sehen«, begann er wieder verlegen.

»Ja – was wünschest du von mir?« fragte sie kalt. Der Ton klang viel herber und feindseliger, als sie beabsichtigt hatte. Denn sie war ja doch auch von dem Haß gegen ihn befreit.

»Willst du dich nicht setzen?« fügte sie freundlicher hinzu.

Er nahm einen Stuhl und legte den Hut neben sich auf einen Tisch.

Sie stand noch eine Sekunde, wollte zum Sofa gehen, um ihm ferne zu sein, und setzte sich plötzlich auf ein Fauteuil, weil die Knie ihr einknickten und es ihr schwindlig wurde.

»Ja – da ist man nun wieder in den alten Räumen ... Wunderlich, – wunderlich ...«

Sie hob überrascht den Kopf. Ihr war, als erwache sie aus einem tiefen Schlaf, der ihr Bewußtsein noch halb umnebelte. Es war doch natürlich, daß er hier saß – zum Erstaunen war es nur gewesen, daß er gegangen und so lange fern geblieben.

»Ich komme nämlich, um eine Angelegenheit mit dir zu erledigen, die uns beiden gleich sehr am Herzen liegen muß«, begann er in seiner etwas pedantischen Weise, und dann lachte er unbehaglich.

»Wir sind am Ende doch verständige Menschen. Nun alle die unangenehmen Geschichten so lange hinter uns liegen, können wir ja auch wieder ganz gute Freunde werden.«

»Gewiß«, sagte sie höflich, weil sie sich aufs neue zu der Empfindung durchrang, daß sie von der Liebe und dem Haß zu ihm ja befreit sei.

»Soll ich nicht die Lampe ...«

»Ach nein – es bleibt ja jetzt so lange hell.«

»Ich würde dir eine Zigarre ..., aber ich habe keine im Haus ...«

»Es macht nichts. Ich kann mich nur kurz aufhalten. Und ich rauche auch fast gar nicht mehr.«

Dies berichtete er ihr ganz in seinem alten vertraulichen Ton, dem Ton, der sie immer wieder in die Täuschung eingewiegt hatte, er liebe sie doch noch, ohne es selbst zu wissen.

Jetzt tat es ihr plötzlich weh, daß irgendein anderer Einfluß erreicht, was sie so oft und vergebens versucht hatte: ihm das unmäßige Rauchen abzugewöhnen.

»Du siehst übrigens gut aus«, bemerkte er. »Ganz frisch und verjüngt!«

»Du auch, Friedrich.«

»Es ist mir lieb, wenn du das findest«, rief er lebhaft.

»Warum sollte es mich nicht freuen?« fragte sie heiter.

»Ja – es gibt nichts Besseres, als auseinander zu gehen, wenn man seiner gegenseitig überdrüssig geworden ist.« Und er streckte sich behaglich in seinem Stuhl.

»Da hast du wohl recht«, antwortete sie träumend.

»Siehst du? Ich wußte ja, daß du schließlich auch zu der Erkenntnis kommen mußtest. Du bist doch im Grunde eine gescheute und großdenkende Frau, wenn nur das unglückselige weibliche Gemüt dir keine Streiche spielt.«

Sie dachte, während er sprach, sie müsse ihn einmal genau betrachten. Neugierig fragte sie sich, wie er ihr wohl erscheinen würde, nun er ihr nicht mehr als ein Feind, sondern als ein gleichgültiger Mensch gegenübersaß. – Sie sah die gekrümmte rote Narbe an seinem linken Auge, die sie so oft im Scherz geküßt hatte. Und die eingedrückten Schläfen, die Furche, die auf dem schmalen, nervösen, geistreichen Männergesicht von der Nase bis zum Munde herunterlief, die seinen, witternden Nüstern, der spitze, blonde Bart um das vorgestreckte Kinn, der sich beim Sprechen ein wenig auf und nieder bewegte. »Man kommt schließlich auch dahin, das weibliche Gemüt zu überwinden«, sagte sie und wußte dabei, daß sie irgend etwas ganz anderes hatte sagen wollen.

Aber es freute ihn augenscheinlich, daß sie gerade dies aussprach.

Er beugte sich zu ihr und antwortete herzlich:

»So ist's recht. Dann werden wir uns schnell verstehen.«

Sie sprach nicht, sondern blickte in Gedanken versunken vor sich nieder.

»Ja – ja ...«

Eine Pause.

»Es geht mir gut, Walborg. Denk' nur, ich habe die Absicht, mich wieder zu verheiraten ... –Ja – ja ... so ist das Leben …« –

*

»Ich habe nun eine Bitte an dich. Fahre nicht gleich auf und schrei' nicht nein, sondern höre mich ruhig an ...

Sie schrie ja gar nicht. Sie saß ganz still. Sie hätte nicht einen Finger rühren können vor Schrecken.

*

Verheiraten ...? Er wollte sich verheiraten ... Nicht eine Geliebte – eine Ehefrau ... Ihr Mann – Ja freilich – sie waren geschieden – das hatte sie vergessen. Und sie ... Jetzt fiel ihr alles wieder ein ... Und doch, doch so eine fürchterliche Enttäuschung? Hatte sie denn trotz allem, was geschehen war, immer noch die wahnsinnige Hoffnung festgehalten, Friedrich könne zu ihr zurückkehren? Hatte sie es nicht im verborgenen Grunde ihres Gefühls vor einer Stunde noch gehofft? – Das war ja grauenhaft ... Nein – nein – es konnte ihr vollständig gleichgültig sein, daß Friedrich sich wieder verheiraten wollte. Im Gegenteil, sie mußte es freudig begrüßen. Sie war um so freier. Es war ja nun wirklich alles aus zwischen ihnen beiden ... Ihr äußeres Ohr hörte dabei immer, was Friedrich weitersprach.

»Also das Mädchen ist wirklich ein reizendes Geschöpf. Voll Humor und Lustigkeit. Gerade was ich brauche. Das glücklichste Gegengewicht. Diese unverwüstliche gute Laune! – Weißt du, Walborg – mir ist in letzter Zeit ganz klar geworden, was uns getrennt hat. Wir machten beide fortwährend zuviel Ansprüche aneinander. Das hält auf die Dauer kein Mensch aus. Das erbittert und geht einem auf die Nerven. Ich habe da auch manches Unrecht an dir begangen. Aus der Entfernung lernt man gerechter urteilen. Ich verlangte ein Wesen von dir, das dir die Natur doch nun einmal nicht gegeben hat.«

»Vielleicht wenn ich glücklicher gewesen wäre«, sagte sie mit großer Selbstüberwindung. »Es waren doch Fähigkeiten zur Lebensfreude da. Ich fühlte nur vom ersten Tage an, daß irgend etwas in mir dich irritierte. Schon in der Brautzeit. Und das machte mich unsicher ...«

»Das hätte eine andere Frau eben den Mann nicht merken lassen«, belehrte er sie überlegen. »Ich bin gar nicht so schwer zu behandeln, und auch im Grunde nicht schwer zu gewinnen. Man muß es nur auf die rechte Weise anfangen. Du warst nie harmlos unbefangen – nie ...«

Walborg blieb stumm.

Sie lauschte dumpf gespannt, mit kaltem, starrem Entsetzen nach innen: Wie ein Gefühl, das sie abgestorben glaubte, sich wieder meldete. Während er redete, kam und ging es ruckweise, dann als beginne er behutsam ein Messer in ihre Brust zu bohren, anfangs nur ein taubes, wehes Empfinden ... und plötzlich der rasende Schmerz – –

Er lachte mit einemmal laut und ärgerlich. »Warum reden wir nur über die alten abgetanen Geschichten. Kaum bin ich mit dir zusammen, fängt's schon wieder an!«

Er sprang auf und ging im Zimmer umher. Bei seinem Wandern nahm er eine Vase vom Schreibtisch und betrachtete sie.

»Schade – gekittet. War so ein hübsches Ding! Man sollte Sachen, die zerbrochen sind, wegtun.«

Walborg dachte an den Morgen, als er sie zur Überraschung auf den Frühstückstisch gestellt hatte – die ganze Stube war voll Sonnenschein gewesen – und er so lieb –. Die Erinnerung an einen der wenigen warmglücklichen Tage in ihrem Verhältnis – und sie hätte sie wegtun sollen ...

»Erni hat sie an die Erde geworfen«, murmelte sie entschuldigend. »Er weinte so, daß ich ihn nicht strafen konnte ...«

Friedrich schüttelte den Kopf und stellte das Glasgefäß gleichgültig beiseite.

»Ist er immer noch so zart und empfindsam? Erni meine ich?«

»Ja, sehr.«

»Er hat doch eine trübe Kindheit – der arme, kleine Mensch.«

»Ich kann's nicht ändern«, antwortete sie hart.

»Ich weiß – ich weiß«, sagte er traurig und sehr sanft. »Ich mache dir keinen Vorwurf. Aber er ist doch auch mein Sohn, und sein Wohl liegt mir am Herzen.«

Ihre Lippen öffneten sich und schlossen sich wieder.

»Überhaupt fehlt mir der Junge grausam«, rief er ungeduldig.

»Eigentlich könntest du ihn mir für eine Weile mitgeben. Die Eltern meiner Braut – ja – wir sind einig ... es ist nur noch nicht veröffentlicht. Sie möchte den Jungen gern erst kennen lernen. Ja – also – sie hat mir selbst den Vorschlag gemacht. Sie haben da so ein Häuschen gekauft – sehr nett, im Grünen – unter uns gesagt: sie wollen es uns später überlassen, ich freue mich sehr darauf ... – Ich habe ihr viel von Erni erzählt, sie ist ein so gutes Herz, hat ihn schon lieb. Sie wird reizend mit ihm sein. Wir bummeln im Wald – sie erzählt ihm Geschichten, das kann sie so hübsch. Ich sage das nur, um dir ein Bild zu geben. Der Junge muß durchaus einmal in eine heitere, vergnügte Umgebung. – Es ist ja ein großes Verlangen und fordert Selbstüberwindung von dir. Darüber bin ich mir ganz klar. Ich möchte dich nur überzeugen ...«

»Daß er bei dir besser aufgehoben ist als bei mir.«

»Wie hämisch nun wieder.«

»Ich wollte nicht hämisch sein.«

»Nun dann nicht. Verzeih.«

Ein mattes, blödes Lächeln zog ihren Mund schief, daß er anzusehen war wie der Mund einer sehr alten, häßlichen, boshaften Frau.

»Siehst du, liebe Walborg,« sagte der Mann ernst, »so ein Gesicht sollte der Junge nicht zu sehen bekommen. Das ist ihm nicht gut. Er verkümmert einfach in dieser giftigen Atmosphäre.«

Sie schlug ihm nicht mit der Faust ins Gesicht – sie wies ihm nicht die Tür ...

Sie fühlte nur, wie seine Stimme mit uralter, bekannter Melodie den tödlichen Zauber wieder übte – wie er durch seine Gegenwart, durch seine Person ihre ganze Kraft betäubte. Willenlos saß sie vor ihm und hielt ihm ihre zitternde Seele entgegen, daß er sie marterte, so viel er begehrte.

Er blieb neben ihr stehen, legte seine Hand auf die ihre und blickte sie mit seinen eindringlichen, blauen Augen verlangend an. »– Schickst du mir den Jungen morgen früh an die Bahn? Es ist, wie gesagt, nur ein Versuch.«

»Ein Versuch?« lallte sie mit schwerer Zunge und starren Lippen, »du willst ihn behalten.«

»Ich denke nicht daran, dir das Kind fortzunehmen. Nun – nun – das wird sich ja finden. Jedenfalls kannst du ihn immer sehen, wenn du magst.«

»Nein – ich gebe ihn nicht her«, wollte sie schreien, aber sie konnte nicht, denn sie mußte ihre ganze Lebenskraft aufwenden, um nicht in ein wildes Weinen auszubrechen.

»Jetzt soll der Junge sich ja nur ein wenig zerstreuen ... Lebe wohl, Walborg. Ich hole ihn mir lieber selbst, morgen, nicht wahr? – – Antworte mir doch nur ein Wort?«

Sie nickte geistesabwesend mit dem Kopfe, wie ein Mensch auf der Folterbank auch das Unglaublichste zugibt.

»Dank dir, Walborg. Es ist mir ein rechter Trost, dich so beruhigt und vernünftig gefunden zu haben.«

Der Mann nahm eilig seinen Hut, während er einen mitleidigen Blick über die Frau warf. Er sah, wie etwas in den Zügen ihres Gesichts wühlte, das ihn erinnerte und erschreckte – dem er zu entfliehen wünschte.

Er wollte ihr die Hand reichen, sie riß die ihre jäh zurück. Friedrich zuckte ein wenig die Achseln und ging schnell hinaus.

Walborg fiel schlaff in sich zusammen und starrte in die nächtliche Dämmerung, die grau und fahl das Zimmer zu füllen begann.

– – Es war umsonst gewesen – alles umsonst. Sie war nicht vor ihm gerettet – sie mußte die Qual weiter tragen, ihr Leben lang. –

Graue Stunden

Es hatte den ganzen Tag geregnet. Helene trat ans Fenster und blickte hinaus. Noch immer rann die graue Flut vom Himmel nieder. Noch immer das leise Picken der Tropfen an den Fensterscheiben. Noch immer das eintönige Rieseln und Rauschen. Noch immer das Stöhnen des Windes im Ofenrohr.

Helene hatte genäht und dann einen kurzen Brief geschrieben. Nun war es sechs Uhr, und die Dämmerung kam schon geschlichen. Wie Nebel auf der See die stillgleitenden Schiffe einhüllt, sank Traurigkeit über die Frau. Eine trübe Melancholie – von den schmutzigen, naßglänzenden Straßen, von den kahlen, triefenden Baumzweigen, die sich vor ihren Augen wie in Schmerzen wanden, aus der schweren feuchten Luft schien sie durch die mit Dunst und Gerinnsel bedeckten Fensterscheiben zu ihr einzudringen.

Helene seufzte ungeduldig. Sie hatte gehofft, der Regen werde aufhören, daß sie noch ein wenig ausgehen könne. Sie war ja nicht unbescheiden gewesen und hatte gleich auf Sonnenschein und blauen Himmel gerechnet. Nur ein wenig ausruhende Stille in der Natur.

Es lag ihr so schwer auf der Brust ...

Und jetzt rauschte es wieder heftiger, das feine Rieseln wurde ein hartes Klatschen, große Blasen tanzten auf den braunen Lachen über dem Pflaster.

Ein Wagen fuhr vorüber. Sein Leder blinkte vor Nässe – wie häßlich bespritzt es war, – wie trübselig die Mähnen der Pferde niederhingen, – wie demütig in sein Schicksal ergeben der alte Droschkenkutscher mit dem Wachstuchhut, von dem kleine Bäche ihm in den Kragen liefen, sich in seinen großen Mantel hineinduckte.

Ach Gott – so ein dummes, armes Leben – Tag und Nacht da auf seinem Bocke zu sitzen und nur zur Abwechselung den müden, lahmen Gaul durch die Straßen treiben ... Jämmerlich ...

Helene wartete – wußte nicht, was sie wollte, und überlegte, warum sie sich durchaus in das abscheuliche Wetter hinauswagen müsse.

Sie konnte ja auch daheimbleiben. Es wäre viel verständiger gewesen.

Sie hatte nur so eine klägliche Sehnsucht nach Menschen ... Sie, die sonst stolz darauf war, die Einsamkeit zu lieben und sich selbst genug zu sein. Nur irgend eine Zerstreuung – ein törichtes Geschwätz, das ihr über die Stunden weghalf, in denen sie den Tag nicht mehr ertragen konnte.

Es kam immer so über sie um diese Zeit. Ja, ja ... auch im goldensten Frühlingslicht – da eigentlich erst recht. Eine wunderliche Ungeduld ... Sehnsucht und Verzagen – Überdruß und Begehren – Langeweile oder Lebensfieber ... Sie wußte nicht.

Gewöhnlich wartete sie nicht, bis das Gefühl ein Schmerz geworden, sondern rannte fort, sobald sie es nur von weitem kommen ahnte.

Rannte? ... Natürlich rannte sie nicht, sondern ging still und gesittet, einen Besuch oder eine Besorgung zu machen. Aber eine Flucht war es doch.

Zu wem könnte sie jetzt z. B. gehen? Zu der Professor Berthold? Guten Tee fand sie dort wenigstens. Auch Geschwätz. Wie der Gedanke daran sie degoutierte. Diese geistreichen Disputationen über »Fragen« –: über die Frauenfrage, die soziale Frage, die Ehefrage, die Übervölkerungsfrage ... Als überböte man sich, Leitern hinaufzuklettern, einer immer höher und kühner als der andere – aber die Leitern führten gar nirgends hin, sondern ragten nur so in die Luft hinein – – das war auch wert, sich darum eine Lungenentzündung zu holen! Allerdings – dann hätte ja alles auf einmal ein Ende.

Warum fürchtete sie sich also davor? Ach – sie würde wahrscheinlich keine Lungenentzündung bekommen, sondern einen albernen Schnupfen, der sie nur noch ein wenig müder und mißvergnügter machen würde, als sie sich ohnehin schon fühlte.

Ob Rudolf jetzt wohl eine ähnliche Stimmung zu leiden hatte? Der Gedanke machte sie lachen. In seinem Anwaltsbureau, mit dem schwierigen, verantwortungsvollen Prozeß im Kopf und auf dem Gewissen – der hatte gerade Zeit zu aussichtslosen Melancholien! Wie grundverschieden doch das innere Leben vom Manne und von der Frau bleibt – auch wenn sie noch so glücklich verheiratet sind.

Helene ging in das Zimmer zurück, nahm den eben geschriebenen Brief, blickte zerstreut auf die Adresse und warf ihn mit einer gleichgiltigen Bewegung wieder auf den Tisch.

– Auch eine Freundschaft, von der man sich einmal unendlich viel Schönes versprach – nun hatte man sich schon längst nichts mehr zu sagen. Es hatte keinen Sinn, sich überhaupt noch zu schreiben, sie nahm auch immer ihre kleinsten Briefbogen.

Wie viel Überflüssiges man auf die Weise mit sich schleppte – Dinge, Verhältnisse, die einem anhingen, ohne daß man es doch wollte. – –

Lag es an ihr, daß ihr alles Erleben so zerrann, wie Sand, der einem Kinde zwischen den Fingern hindurch läuft, weil es nicht gelernt hat, was Festhalten ist?

Warum sollte sie festhalten, was ihr nicht wertvoll erschien? Warum das bißchen Kraft vergeuden, um gewaltsam abzuschütteln, was ja doch endlich von selbst sich löste?

Hu – da schlug ein gewaltiger Schauer gegen die Glasscheiben. Wie das Wetter draußen plötzlich leidenschaftlich werden konnte: als bräche aus den Wolken ein zorniges Schluchzen hervor – und dann rannen die Tränen wieder gelassener in müder Wehmut eine lange Weile, bis der Wind und der Regen aufs neue lautere Klage begannen. Sonderbar – als fühle die Natur auch hin und wieder das Bedürfnis, alle Lebensfreudigkeit aufzugeben und sich einem haltlosen, geheimnisvollen Kummer zu überlassen. Helene träumte hinaus. Sie fröstelte. Ihre Hände wurden kalt. Und es erschien ihr mehr und mehr, sie habe ein Recht, eine zwingende Pflicht, traurig zu sein.

Ja – und dabei hielt man sie für eine Frau, die auf der Höhe des Daseins stand.

Eine glückliche Frau ...

Sie glaubte das ja auch von sich selbst.

Sie hielt Unglück nicht nur für einen Schicksalsschlag – es kam ihr blamabel vor, niedrig und gemein.

Oft und oft hatte sie sich gesagt, daß sie auch die Kraft haben wollte, glücklich zu sein, wenn ihr Mann sein Vermögen verlor, wenn Krankheit und Not sie prüfen würden.

Und sie begann ihrer Seele verständig zuzureden, wie man einem verdrossenen Kinde zuspricht. Sie erzählte sich von ihrem lieben, guten Mann, von ihren Sommerreisen, von Musik und Blumen und Bildern ...

– Was hatte es nur auf sich mit dieser Traurigkeit, die im Hintergrunde von allem lauerte, mit diesem trostlosen Widerwillen gegen die ganze Welt?

Vielleicht war es körperlich? Vielleicht ... Wenn es einen besonderen Grund hätte?

Sie hielt den Atem an vor plötzlichem Schreck, vor jäher Freude. Aber – nein ... dann ... Unsinn! Es konnte ja nicht sein. Sie war ja kindisch.

Wer weiß wie oft – als Kind schon, als junges Mädchen war sie so lebensmüde gewesen.

Und das war es hauptsächlich – so offenbarte ihr jetzt plötzlich eine aus ihrem tiefsten Seelenleben emporquellende Stimme, – weshalb sie die Hoffnung hegte, durch die Liebe von diesem heimlichen Schmerz befreit zu werden. Alles andere kam erst in zweiter Linie.

Sie fühlte deutlich, wie es wieder dieselbe Hoffnung war, aus der hervor sie sich so heftig ein Kind wünschte. Und ihr wurde klar, daß ihr dann nur eine neue, die letzte und ödeste Enttäuschung bevorstand: die Erfahrung, daß auch das Mutterglück sie nicht ausfüllen und befriedigen würde.

Keine Rettung – keine auf dieser Erde.

War es ein Wunder, daß die Menschen sich ein Jenseits schufen und in unbestimmten Träumen eines Kommenden sich trösteten?

Oder sie erkünstelten sich seltsame Freuden: legten Briefmarkensammlungen an oder schrieben Dramen, lernten Radfahren, machten Bergtouren, – oder sie arbeiteten fieberhaft für irgend etwas, von dem sie doch selbst wußten, daß es nicht viel Zweck hatte. Und wieder andere legten Feuer an die Häuser ihrer Nachbarn – wenn sie zufällig die Macht besaßen, verwüsteten sie auch die Welt durch Kriege und Schlachten ... – und die Frau ihr gegenüber im ersten Stock räumte unaufhörlich ihre Möbel um und schalt mit ihrem Dienstmädchen. Es war im Grunde alles ein und dasselbe: ein fortwährendes Fliehen, ein ängstlicher, banger Kampf gegen das Eine – Unaussprechliche – Unbegreifliche, das allen Menschen auflauerte, und von dem doch niemand wußte, was es war, woher es kam und wohin es trieb.

Und endlich überwältigt es uns doch – alle – alle ...

Oder sind wir es, die da siegen?

Wer will das sagen.

Ist der Tod ein Sieg oder ein Unterliegen ...?

Helene schloß die Augen und versuchte sich das Verschwimmen und Vergehen jeder Empfindung vorzustellen – die große Stille.

Langsam und schwer rannen ihr die Tränen aus den geschlossenen Wimpern, glitten an ihren Wangen nieder und tropften lautlos auf ihr Kleid.

Der Regen rann über die Scheiben, als pochten Geisterfinger eintönig gegen das trübe Glas. Der Wind stöhnte, wie er über die Stadt und die weiten Felder fuhr. Und ihre Seele seufzte in einer verborgenen, tonlosen, eingeschlossenen Welt.

*

O, wie allein – wie allein sie war ...

Nur einen Menschen! Einen Menschen zum Liebhaben! Wenn Rudolf jetzt nur kommen wollte – sie in die Arme nehmen, in unendlichem Verstehen ...

– – Und käme er wirklich – was konnte er ihr helfen? Sie blieb ja doch allein – und er blieb auch allein. Immer war da ein Rest, in dem sie sich nicht verstanden – ein weites Gebiet, zu dem er den Eintritt nicht fand. Und oft war es ihr, als spiele sich hier ihr ganzes, wahres, eigentliches Leben ab.

Liebesstunden ... Ein Aneinanderpressen von Herz an Herz, von Mund an Mund – ein wildes schmerzliches Versuchen, eins zu werden ... Und dann alles wieder wie vorher. Und keines wußte, wie das andere dachte – fühlte – empfand – wie es tief, tief in ihm aussah.

Man redete miteinander. Man schonte sich nur. So fremd – so fremd ... zum wahnsinnig werden fremd.

– Darum war Ehe so etwas Aufreibendes: ein fruchtloser Versuch, das Unerreichbare zu greifen, das Unmögliche zu verwirklichen.

Sonderbar, daß es Zeiten gab, wo sie trotzdem ganz fröhlich war.

Aber dann regnete es auch nicht so unaufhörlich.

Es half nichts.

Sie wollte ankämpfen. Und so holte sie ihren Mantel, ihren Hut, zog ihre Gummischuhe an und beschloß zu Walborg zu gehen.

Das war ein erlösender Einfall. Warum war er ihr nicht schon früher gekommen?

Walborg – die war eine von den Vorsichtigen. Die wußte, was es mit den Tücken und Bosheiten des Schicksals auf sich hatte, die glaubte nicht mehr an Freundschaft – beteuerte keinem, daß sie ihn brauche.

Sie verlangte auch von niemand, daß er glücklich sein sollte, wenn er keine Lust dazu hatte.

Das war so angenehm. Sie war so gelassen.

Mit ihren ruhigen Händen würde sie ihr den nassen Mantel abnehmen. Und die Lampe würde schon brennen. Und sie saßen auf dem kleinen Sofa und redeten leise mit einander: wie wunderlich doch alles sei und wie närrisch die Menschen, wie verworren und nutzlos ihr Tun. Und Helene dachte daran, wie Walborg den Ausspruch ihrer alten Waschfrau über das Leben zu zitieren pflegte: »so alles in allem kann die Geschichte mich nicht gefallen« – ein Ausspruch, über den sie einmal sehr gelacht hatten und der stets etwas Erheiterndes für sie behielt, weil er alles, wofür sie die feinsten und delikatesten Worte suchten, so kurz und bündig zusammenfaßte.

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