Kitabı oku: «LUME - Wo das Licht den Schnee berührt», sayfa 2
Mein Herz macht einen Satz, als ich das Mädchen meiner Träume ausmache. Dieses Mal, nachdem ich sie nochmal aus der Nähe gesehen hatte, erkenne ich sie sofort und ohne Verwechslungen. Ihre langen braunen Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und sie trägt eine schwarz-weiße Sportkleidung.
Offenbar spielen sie jetzt Völkerball. Es haben sich zwei Teams auf dem Platz gebildet und die hintere Reihe wird jeweils von einem anderen Mädchen bewacht. Die junge Frau meiner Träume steht mit dem Rücken zu mir und starrt wie gebannt auf das Mädchen vor ihr, das bereits erfolgreich den Ball ergattert hat.
Melissa „Ich krieg ihn, ich krieg ihn!“, Celina, das blonde Mädchen vor mir, ist gerade damit beschäftigt, eifrig nach dem Ball zu springen und hätte mich deswegen beinahe umgerannt. Gut, dass sie in meinem Team ist, dann habe ich vor ihr wenigstens nichts zu befürchten. Außer eben, dass sie mich umläuft.
Zack!
Cool! Ich habe, ohne es zu bemerken, den Ball gefangen! Na warte, jetzt hole ich uns eine der Feindinnen in den Seitenkasten!
Gedacht, getan. Ich habe ein Mädchen, das gerade unaufmerksam war, abgeschossen. Ihr Blick war die ganze Zeit auf die großen Fenster hinter uns gerichtet. Als sie meinen Schlag spürte, protestierte sie zum Glück auch nicht, sondern ging gleich in ihren neuen Bereich auf dem Spielfeld. Ich rechne fest damit, dass sie sich dafür bei mir rächen wird. Also muss ich jetzt besondere Vorsicht walten lassen.
Lukas Ein Handy klingelt. Die Melodie ist die wohl größte Hymne von Queen. Da mein Smartphone eher Phil Collinsspielt, bin ich schon beruhigt, dass es nicht meins ist. Es ist sogar das von Herrn Hofer. Sein Musikgeschmack gefällt mir.
„Entschuldigt mich bitte“, er nimmt den Anruf an und verlässt augenblicklich das Klassenzimmer.
Das war das Stichwort für die Jungs unserer Klasse. Oder besser gesagt, all jene, die so denken wie Markus. Also alle, bis auf mich.
Sie beenden vorzeitig das Abschreiben von der Tafel, reißen die Fenster auf und setzen sich im angeberischen Stil auf das Fensterbrett. Sie beobachten die Mädels draußen und pfeifen den Mädchen nach, als ihnen eine davon den Hintern entgegenstreckt und mit ihm wackelt, als würde sie ihre tolle Figur zur Schau stellen wollen.
Ich verdrehe die Augen und linse unsicher hinter Markus‘ Rücken hervor, ob ich sie sehen kann.
Und tatsächlich: Ich erkenne sie, aber sie sieht mich nicht. Zum Glück! Schließlich will ich nicht, dass sie mich auch als Vollidioten abstempelt, so wie die Hampelmänner da neben mir.
Melissa „Schwing die Hüften, Süße!“, brüllt einer der Jungs von oben und meint damit die große Blondine Clarissa, die ihren Körper aufreizend zur Schau stellt. Was für eine Tussi!
Ich habe einen richtigen Schrecken bekommen, als plötzlich die Fenster aufgerissen worden sind. Warum machen die das? Sollten sie nicht lieber im Unterricht aufpassen?
Insgeheim suche ich die neugierigen Jungs nach ihm ab, aber ich kann ihn nirgends entdecken. Was mich natürlich etwas enttäuscht.
Zack!
Mist! Ich spüre den Ball an mir abprallen und ich bin nicht mehr in der Lage, ihn zu fangen, bevor er den Boden erreicht. Ich war Vorletzte. Jetzt muss ich wohl zum Freigeist wechseln. Ich wollte lieber die Letzte sein, die übrig bleibt, aber insgeheim bin ich froh, jetzt auf der anderen Seite zu stehen. Schließlich muss ich nun keine Angst mehr haben, abgeschmissen zu werden, und ich kann die Jungs uns gegenüber beobachten. Sie gieren gerade so nach unseren weiblichen Körpern. Wie ekelhaft! Tief in meinem Inneren bin ich allerdings froh, ihn doch nicht unter den wahnsinnigen Spannern zu entdecken.
„Das sind übrigens die Jungs aus der W13!“, klärt mich Eva Maria auf, die neben mir steht und auch Mitglied meines Teams ist. Jetzt bin ich noch erleichterter, dass ich ihn nicht sehe.
Lukas „Ach wie süß! Du versteckst dich ja voll!“, sagt Markus entzückt, als er mein Spähen hinter seinem Rücken bemerkt.
„Ja, aber bitte sag nichts!“, flehe ich ihn an.
„Hey Lukas, wir sind doch Freunde. Das würde ich nie tun.“
„Danke.“
„Nicht dafür.“ Er holt Luft. „Deine Kleine wurde aber gerade abgeschmissen und gehört jetzt zum Freigeistteam.“
Ich spähe erneut hinter seinem Rücken hervor. Er hat recht. Unsere Jungs am Fenster haben sie bestimmt erfolgreich abgelenkt.
Ich traue mich näher an die Fensterscheibe heran, um sie mir aus der Ferne genauer ansehen zu können. Sie hat eine normale Figur und wirkt auf mich sehr athletisch, obwohl sie nicht zu den dünnen Püppchen gehört. Ihr Zopf ist lang, fast bis zur Hüfte. Ihr Lächeln ist unverkennbar und sehr bezaubernd. Zumindest habe ich es so in Erinnerung. Sie könnte es wirklich sein, meine Auserwählte. Die optischen Kriterien passen auf jeden Fall. Jetzt muss ich nur noch ihre inneren Werte kennenlernen.
3. Kapitel
Melissa Zu Hause angekommen, lasse ich meine Schultasche in die Ecke meines Zimmers plumpsen. Ich bin müde und möchte am liebsten schlafen oder ein Buch lesen, aber trotz des Nachmittagsunterrichts haben wir den ersten Hausaufgabenberg bekommen.
Ich bin aufgeregt wegen morgen. Die Lehrer wollen uns in den komplexen Bereich der Praktika einweihen. Ich bin ja schon sehr gespannt, wie das alles ablaufen wird und vor allem, wo es mich hin verschlägt.
Lukas Schultasche in die Ecke, ein kurzes „Hallo“ an meine einsame Drei-Zimmer-Wohnung, und schon bin ich im Keller an meinem Schlagzeug.
Mein Onkel, der gleichzeitig auch mein Vermieter ist, hat mir sein Instrument geliehen. Es steht im Keller, damit ich den Nachbarn mit meinem lauten scheppernden Krach nicht auf die Nerven gehe.
Meine Eltern lieben mich zwar, haben aber beschlossen, dass ich – wie sie – selbstständig heranwachsen soll. Also wohne ich in einer Wohnung meines Onkels, zu einer ziemlich günstigen Monatsmiete, seit etwa zwei Jahren. Damals hieß es: „Lukas, ab deinem 18. Geburtstag wirst du dein eigenes Leben leben, denn da haben wir auch angefangen, uns zu einem erwachsenen Menschen zu entwickeln.“
Ich weiß nur leider nicht, ob es tatsächlich an der Lebenseinstellung meiner Eltern liegt oder mein Vater insgeheim immer noch sauer ist, dass ich seine Firma nicht übernehmen will. Und das auch noch als einziger Sohn! Aber Finanzberatung ist einfach nicht die Leiter, die ich in meiner Karrierelaufbahn erklimmen will. Das habe ich damals gespürt, als ich meine Ausbildung bei ihm begonnen habe. Dieser Berufsweg ist einfach nicht meine Welt. Es hat mich einiges an Kraft und Zeit gekostet, es meinem Vater so einfach wie möglich beizubringen, dass ich einen anderen Weg einschlagen möchte. Er hat es inzwischen ganz gut verkraftet, aber unsere Beziehung ist seitdem nicht mehr so wie vorher. Zudem ist er trotzdem noch etwas eingeschnappt, dass er mit mir nicht mehr vor anderen als sein „Sohn und Nachfolger seines selbst aufgebauten Imperiums“ prahlen kann.
Voller Vorfreude betrete ich meinen Musikraum im gemütlichen Keller des Hochhauses. Es ist so entspannend, nach der Schule ein paar gute Songs zu spielen, um wieder runter zu kommen, und sich den angestauten Stress des Alltages von der Seele zu spielen.
Ich habe vor, an „In The Air Tonight“ von Phil Collins weiter zu üben. Das Lied habe ich auch als Klingelton auf meinem Handy. Es gibt für mich keinen besseren Song.
Ich überlasse meinen Drums das Reden und spiele zum Aufwärmen frei aus dem Herzen heraus. Ich verliere mich ganz in der Musik. Mit jedem Schlag, den ich auf dem Instrument ausübe, spüre ich die Kraft durch meine Adern fließen. Es fühlt sich an, als wäre ich eins mit den Klängen, die ich erzeuge. Das ist die ideale Ablenkung für mein Bewerbungsgespräch morgen.
Melissa Der Donnerstag vergeht ohne besondere Vorkommnisse. Wir erfahren alles über unser Praktikum: Auf was sollen wir achten? Was sind unsere Aufgaben? Wir bekommen sogar schon das Berichtsheft, in dem wir unsere Tätigkeiten im Unternehmen protokollieren und jede Woche, als Nachweis für unsere erbrachten Leistungen, unseren Chef oder Chefin unterschreiben lassen müssen. In drei Wochen wird uns ein Betrieb zugeteilt. Um die richtige Wahl treffen zu können, müssen wir einen Fragebogen für die Lehrer ausfüllen. Es betrifft den gewünschten Ort des Praktikums sowie die persönlichen Interessen.
Bei „Wo“ schreibe ich: Flussberg, Eisenthal und Umgebung. In Flussberg steht unsere Schule, in Eisenthal wohne ich.
Bei „Interessen“ schreibe ich: Tiere, Bücher, Musik, Kunst und Betriebswirtschaft.
Ich bin gespannt, welches Praktikum für mich ausgewählt wird. Ich bin da völlig offen für Neues und lasse mich überraschen. Bei dem Gedanken daran, für insgesamt neun Wochen pro Halbjahr nicht hier zu sein, zieht sich bei mir der Magen zusammen. Das bedeutet, dass ich den niedlichen fremden Jungen für insgesamt 18 Wochen nicht sehen werde.
Lukas Jetzt ist es soweit: Es ist Freitagnachmittag und die Schule für diese Woche ist abgeschlossen. Leider habe ich das neue Mädchen heute nicht gesehen. Weder in der Früh, noch in den Pausen oder bei der Bushaltestelle.
Dafür stehe ich jetzt vor unserer örtlichen Buchhandlung. Es ist 15:00 Uhr und mein Vorstellungsgespräch startet jeden Moment. Bin ich aufgeregt? Nein. Okay, vielleicht ein wenig.
Die Schiebetür öffnet sich automatisch und ich schreite in das Geschäft. Sofort huscht mir der vertraue Ladenduft in die Nase und die Dame an der Kasse winkt mir erfreut zu. „Herr Mayer?“
Ich bin überrascht, dass sie mich gleich erkannt hat. „Ja?“
„Gehen Sie einfach hoch in den ersten Stock. Sie werden bereits erwartet.“
„Danke“, ich schlucke mehrfach einen Kloß im Hals hinunter. Ich darf das auf gar keinen Fall vermasseln! Buchhändler zu werden, ist schon mein Traumberuf seit Kindheitstagen. Die Tortur mit der 13. Klasse mache ich eigentlich nur, um mir alle Türen offenzuhalten. Schließlich ist diese freiwillig und ich kann sie abbrechen. Und man weiß ja nie, wie das Leben so läuft.
Melissa Ich habe ihn heute nur ganz kurz gesehen. Beim Nachhauseweg. Er ist auch zur Bushaltestelle gegangen. Nur mit dem Unterschied, dass er in den Stadtbus gestiegen ist, nicht in den Linienbus nach Eisenthal.
Vielleicht wohnt er ja in Flussberg oder hatte noch Besorgungen fürs Wochenende zu machen? Ich würde ihn gerne näher kennenlernen, aber ich traue mich nicht. Ich bin viel zu schüchtern. Vor allem, wenn er so gut aussieht. Er hat bestimmt schon längst eine Freundin. Außerdem, was will er schon von mir? Dem kleinen Mädchen mit null Erfahrung?
Ich habe extra meine Kapuze hochgezogen, denn meine braunen Haare sind vereinzelt mit natürlich roten Strähnchen durchzogen und dadurch sehr markant. Er hätte mich so bestimmt schnell wiedererkannt. Das wollte ich nicht. Meine Absicht war, ihn einfach nur heimlich zu beobachten, um mir selbst über meine Gefühle klar zu werden.
Je mehr ich nach meinem Empfinden für ihn forsche, desto sicherer bin ich mir, dass er mehr sein könnte, als nur ein Junge aus der 13. Klasse. Er ist ... Es fühlt sich fast an, als wäre eine Art magisches Band zwischen uns. Ich hatte fast den Eindruck, als würde er nach mir suchen, als er sich beim Warten auf den Bus nach allen Richtungen umgedreht hat. Und wir haben den gleichen Kleidungsstil! Seine Lederjacke ist wundervoll und meiner sehr ähnlich.
Am liebsten möchte ich ihn umarmen und nie wieder loslassen, aber das geht frühestens wieder am Montag, falls ich es schaffe, über meinen eigenen Schatten zu springen, der sich so krampfhaft an mir festhält.
Lukas Das Bewerbungsgespräch verlief gut. Sie haben mir die üblichen Fragen gestellt, mit denen ich schon gerechnet hatte:
Wie stellen Sie sich Ihre Stelle hier vor?
Warum wollen Sie im Buchhandel arbeiten?
Welche Qualifikationen bringen Sie mit?
Wie stellen Sie sich Ihren Berufsalltag vor?
Sie haben mich auch nach meinen Interessen befragt. Von meiner Leidenschaft fürs Schlagzeug waren alle sichtlich beeindruckt. Ich könne doch bei der Betriebsfeier spielen. Natürlich schlage ich so einen Vorschlag bei einem Vorstellungsgespräch nicht aus, aber mir ist schon etwas mulmig beim Gedanken daran, vor einem größeren Publikum zu spielen. Wäre mein Lampenfieber nicht, wäre vielleicht auch eine Karriere als Rockstar gar nicht so schlecht für mich.
Danach gab es noch einen Wissenstest. Das Thema: Geschichte. Offenbar wollten sie sichergehen, dass ich mich auch wirklich für das interessiere, was ich vorgebe.
Jetzt sitze ich im Hause meiner Eltern am Esstisch und unterhalte mich mit ihnen über den Schulstart und mein eben erlebtes Bewerbungsgespräch. Das neue Mädchen lasse ich weg. Ich rede mit ihnen ungern über Liebesthemen. Meine Mutter steigert sich sonst wieder in etwas rein, was noch überhaupt nicht sicher ist.
Melissa Ich sitze in meinem Zimmer. Mein Handy liegt neben mir, in den Händen halte ich ein Buch: eine Liebesgeschichte. Irgendwie ist mir momentan total nach Lovestorys zu Mute. Vielleicht, weil sich gerade selbst eine Liebesgeschichte bei mir abzuspielen scheint. Wer weiß das schon?
Auf jeden Fall weiß ich, dass mir mein Lesestoff langsam ausgeht. Ich habe schon fast alle Bücher gelesen, die sich im Laufe der Zeit in meinem Bücherregal so angesammelt haben. Ich sortiere sie je nach Lust und Laune neu. Aktuell sind sie nicht nach Autor, sondern nach Farben eingeordnet. Die Farbtöne des Regenbogens lassen mein Zimmer so freundlicher und heller erstrahlen, aber ich glaube dennoch, dass ich sie bald wieder neu sortieren werde. Mit neuem Lesestoff! Ich muss unbedingt in den Buchladen in Flussberg und mir neue Bücher kaufen.
Meine Mutter ruft mich. Zeit zum Abendessen!
Ich sprinte nach unten ins Esszimmer und rieche bereits den Duft meines Lieblingsessens. „Schnitzel mit Pommes?“, frage ich aufgeregt in die Runde.
„Richtig!“, ruft meine Mutter als Antwort.
Voller Freude setze ich mich an den Tisch und genieße mit meinen Eltern und meiner kleinen Schwester Clara das Abendessen. Es ist Sonntag. Folglich bin ich ziemlich aufgeregt wegen morgen.
„Melissa, warum zappelst du denn so?“, fragt mein Vater.
„Zapple ich?“
Clara nickt aufmerksam. „Ganz doll!“, ruft sie.
Ich schaue hilfesuchend zu meiner Mutter. „Alles in Ordnung, Schatz?“
Ich nicke. „Ja, ich bin nur aufgeregt.“
Meine Mutter lächelt. Ich glaube, sie ahnt warum. „Willst du uns davon erzählen?“, fragt sie mich neugierig.
Ich schüttle mit dem Kopf. „Noch nicht. Erst, wenn es was zu erzählen gibt“, antworte ich und beiße von einem Pommes ab.
4. Kapitel
Lukas Montag. Klassenzimmer. Aufregung. Zum einen, weil ich heute schon sicher eine Info von der Buchhandlung bekomme, bezüglich meiner Bewerbung, zum anderen, weil mir das neue Mädchen mal wieder im Kopf umher spukt. Ich möchte so gern ihren Namen erfahren! Vielleicht klappt es ja heute in der Pause?
Melissa „Lass uns nach draußen auf den Platz gehen!“, schlägt Eva Maria vor, nachdem wir erfolgreich beim Pausenverkauf eingekauft haben.
„Okay, gern“, antworte ich und wir bahnen uns einen Weg nach draußen, an den Elft- und Zwölftklässlern vorbei. Auf einer freien Bank genießen wir schließlich die Sicht auf den Pausenhof.
„Ich bin schon so gespannt auf unser Praktikum!“, sagt Eva Maria aufgeregt.
„Ja, mir geht’s auch so“, während ich das sage, scheint mein Blick unbewusst über den Platz zu schweben, immer auf der Suche nach ihm.
„Du denkst an ihn, stimmt’s?“
„Ehrlich gesagt, ja. Er hat es mir irgendwie angetan“, sage ich ertappt.
Eva Maria kichert. „Das war kaum zu übersehen, aber ich fresse meine Hefte auf, wenn er nicht auch so über dich denkt. Das war ja ein wahnsinniger Moment, als ihr euch vor seinem Klassenzimmer in die Augen gesehen habt! Da kann man ja richtig neidisch werden.“
Der Gong ertönt und mein Herz hüpft vor Freude. Ab jetzt ist es möglich, dass er jeden Moment aus der Tür tritt.
„Danke für deine Aufmunterung“, sage ich zu meiner Begleiterin. Eva Maria ist super, eine richtige Freundin.
Lukas Mit zitternden Händen und bebenden Füßen betreten Markus und ich den Innenhof. Ich fühle mich auf eine merkwürdige Art beobachtet. Es ist, als spüre ich ihre Anwesenheit. Als wäre in meinem Körper ein Kompass, dessen Magnetfeld auf sie ausgelegt ist und ich nur in die Richtung der Nadel blicken muss, um sie zu finden.
Melissa Ich halte die Luft an. Alles in mir kribbelt. Ich habe das Gefühl, als könne ich seine Anwesenheit wahrnehmen. Klar und deutlich. Was Eva Maria mir gerade erzählt, blende ich aus. Ich starre nur auf die Tür in der Ferne und sehe, wie er ins Freie tritt. In Zeitlupe. Er dreht seinen Kopf in meine Richtung und sieht mir direkt in die Augen.
Lukas Ich wusste es! Da vorne sitzt sie. Ihre Augen funkeln mir entgegen, wie der glänzendste Diamant, der je geschliffen wurde. Es sind gerade nur ein paar Meter, die uns voneinander trennen. Nur ein paar Schritte, die ich zurücklegen müsste, um sie anzusprechen. Doch trotz allem wirkt sie auf mich so weit entfernt, wie noch nie.
Melissa Durch seinen direkten Blick in meine Augen fühlt es sich für mich an, als wäre ich jetzt erst richtig aufgewacht. Als hätte ich all die Jahre vor seinem Auftauchen geschlafen und mein Leben davor nur geträumt.
Lukas Am liebsten möchte ich zu ihr gehen, aber eine innere Stimme hindert mich daran. Es fühlt sich an, als wäre jemand von uns noch nicht bereit. Ich weiß nicht, ob es an mir oder an ihr liegt.
Vielleicht auch an Markus neben mir, der mich, während er an seiner Semmel kaut, von der Tür wegzerrt. „Kann es sein, dass ‚Vor der Tür stehen bleiben‘ seit neuestem zu deinen Hobbys zählt?“, fragt er mich belustigt.
Ich nicke einfach nur, unfähig, auch nur einen Ton rauszubringen. Meine Aufmerksamkeit ist noch immer auf sie gerichtet. Als wäre ich wie besessen von ihr. Es macht mir schlagartig Angst und ich unterbreche widerstrebend unseren Blickkontakt.
Melissa Ich fühle mich, als würde ich schweben. In der Luft! Tanzen auf den Wolken! Alles scheint plötzlich so einfach zu sein, alle Sorgen sind passé. Meine Lippen formen unbewusst ein Lächeln.
Doch statt eins zurückzubekommen, bricht er schlagartig unseren Blickkontakt ab. Jetzt fühle ich mich sofort anders. Merkwürdig leer, als hätte ich ein Loch in meiner Brust. Meine Magennerven ziehen sich zusammen und ohne Vorwarnung überkommt mich ein Gefühl des Hungers.
„Du hast ja deine Brote noch nicht angerührt!“, bemerkt Eva Maria.
Ich nicke.
„Alles in Ordnung?“
Ich nicke erneut.
Lukas Mein Handy vibriert. Es ist eine lang gezogene Vibration. Die typische Meldung meines Telefons, für eingegangene E-Mails. Mein Herz macht einen Satz. Das könnte die Buchhandlung sein! Vor lauter Aufregung überhöre ich den ersten Gongschlag, der das Pausenende der Elfer und Zwölfer ankündigt. Ich ignoriere die Schülermassen, die neben mir ins Innere des Schulgebäudes zurückkehren und entsperre stattdessen mein Handy, tippe auf das E-Mail-Symbol und sehe eine neue Nachricht von der Buchhandlung „Bücherwürmer“ mit dem Betreff „AW: AW: Meine Bewerbung als Aushilfe“. Mein Herz hämmert in meiner Brust, als wolle es so schnell wie möglich aus meinem Körper fliehen.
Melissa Wie blöd. Jetzt ist die Pause zu Ende und ich habe nicht mal eins meiner Brote gegessen. Widerstrebend stehen wir auf und gehen direkt ... auf ihn zu. Okay, vielleicht nicht ganz direkt, aber wir müssen durch die Tür in seiner unmittelbaren Nähe. Eva Maria ist ganz dicht bei mir. Ich werde mit jedem Schritt nervöser, so lange, bis ich unmittelbar neben ihm stehe, unfähig, meinen Blick von ihm abzuwenden. Es fühlt sich fast so an, wie letzte Woche vor seinem Klassenzimmer. Ich höre meinen Herzschlag in meinem Ohr pochen. Ob es ihm auch so ergeht?
Doch er sieht mich nicht an. Er starrt auf sein Handy. Der Junge neben redet aufgeregt auf ihn ein. „Und Lukas? Was schreiben sie?“
Lukas! Sein Name scheint Lukas zu sein!Sofort denke ich an meine Kinderbücher: „Jim Knopf und Lukas“. Die Helden meiner Kindheit.
Doch Lukas‘ Reaktion auf die Frage seines Freundes bekomme ich nicht mehr mit, denn wir sind schon im Inneren des Schulgebäudes. Meine Beine haben mich erbarmungslos weitergetragen, obwohl mein Verstand bei ihm stehengeblieben ist.
Lukas „Sie nehmen mich!“, rufe ich laut, ohne Rücksicht auf Verluste.
Markus klatscht in die Hände. „Na also! Jetzt musst du dir nur noch das Mädchen schnappen und dann ist alles gut.“
Ich starre ihn an. „Ist die Pause schon vorbei?“
„Jep.“
„Und sie?“
„Ist gerade an dir vorbei gegangen.“
Ich erstarre. „Hat sie mich angesehen?“
„Sie konnte ihren Blick nicht von dir abwenden.“
Ich habe das Gefühl, eingefroren zu sein. Starr. Unfähig, auch nur zu atmen. Ich hätte ihr jetzt wieder so nah wie schon einmal sein können. Doch mein Handy lenkte mich ab. Ich habe den Job!
Melissa „Vielleicht war die Nachricht wichtig, die er auf seinem Handy hatte, und er hat dich deswegen nicht bemerkt“, versucht Eva Maria mich zu beruhigen. Ich sitze auf meinem Platz, die Arme auf dem Tisch gekreuzt und meinen Kopf darauf thronend.
„Wenigstens kennst du jetzt schon mal seinen Vornamen und ich finde ihn mega schön“, ergänzt Eva Maria zur Aufmunterung.
„Ich auch“, antworte ich meiner Freundin und lächle.
„Hey, alles gut?“, fragt mich plötzlich eine Stimme von links.
Ich drehe meinen Kopf in die Richtung und sehe ein anderes Mädchen aus meiner Klasse. Sie war mir schon aufgefallen, weil sie immer alleine unterwegs war, schon seit Schulbeginn.
„Ja, alles gut“, antworte ich und setze mich zur Unterstreichung meiner Aussage wieder aufrecht hin.
„Supi“, antwortet sie. Ich glaube, sie heißt Helena.
Eva Maria und ich hatten am Mittwoch erfolgreich die einzige Dreiersitzgruppe des Klassenzimmers ergattert. Sie steht am besten Punkt innerhalb des Raumes: nicht zu weit vorne und nicht zu weit hinten. Den freien Stuhl neben Eva Maria, hat sie bisher immer für ihre Tasche benutzt. Sehr zur Freude ihres Rückens, da sie durch das viele Runterbücken zur Schultasche immer Schmerzen hatte.
„Ich habe gesehen, dass du immer alleine bist. Magst du dich vielleicht zu uns setzen?“, fragt Eva Maria die noch fremde Helena.
Die Angesprochene nickt. „Sehr gern, wenn ich darf. Ich bin übrigens Helena, Helena Schwarz“, stellt sich die Neue in unserem Gespann offiziell vor und setzt sich auf ihren neuen Platz.