Kitabı oku: «Der Klosterjaeger», sayfa 20
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Am Morgen, noch vor Tag, hatte Haymo die Jagdhütte verlassen, um die Grenzen seines Bergreviers zu umwandern. Nahe den Funtensee-Tauern traf er mit dem Jäger Renot zusammen, der am Grünsee hauste. Unter den steilen Wänden saßen sie eine Stunde lang beisammen: das jubelnde Glück neben der Schwermut.
„Hast du meine Gundi nie gesehen?“ fragte Renot.
Haymo schüttelte den Kopf.
„Zwei Jahr lang bin ich ihr schon um den Weg gegangen. Und da war’s in der letzten Mondzeit, da komm ich einmal hinauf zum Funtensee und hör auf den Halden das Almvieh läuten. Denk ich mir: jetzt muß ich doch schauen, was für eine Sennerin der Bauer geschickt hat. Ich geh auf das Hüttl zu, und wie ich hineinschau, steht die Gundi vor mir. Vor lauter Seligkeit hab ich einen Luftsprung getan, daß ich mir an der Tür das Hirnkastl angeschlagen hab. Und, du – ein Sommer ist das jetzt! Jeder Tag eine Freud, die vom Himmel fallt. Gelt, das hast du doch auch schon gespürt: es gibt nichts Lieberes auf der Welt, als wenn zwei junge Leut zusammenhalten mit Herz und Hand. Und auslassen tu ich nimmer. Bis der Frühling kommt, wird Hochzeit gehalten. Und Kindstauf gleich dazu! Juhuuu!“
Von allen Wänden klang das Echo des hallenden Jauchzers.
Lachend schaute Renot in Haymos Gesicht. Da verstummte sein Lachen, und erschrocken fragte er: „Bub, was ist dir denn?“
Haymo sprang auf und schüttelte den Kopf; er konnte nicht sprechen.
„So red doch, Bub, was hast du?“
Wortlos nickte Haymo einen Gruß und ging seiner Wege.
Renot sah ihm betroffen nach. „Mir scheint, dem ist die Lieb überzwerch gelaufen.“
Als Haymo zum Saum des Lärchenwaldes kam, hörte er den am Fuß der Felswand hinsteigenden Jäger singen:
„Der Winter ist zergangen,
In Bluh steht alle Heid,
Da kam zu mir gegangen
Gar süße Augenweid,
Mir war das Herzl froh,
Zum Schätzl sprach ich so:
Gelt, du bist mein? Nein, ich bin dein:
Der Streit, der muß wohl allweil sein!
Jo ho!
Jo ho!
So blank allsam ein Härmelein33
Sind ihre nackten Ärmelein.
Mein Schätzl, das ist fein und schmal,
Gar wohl geschaffen überall.
Jo ho!
Jo ho!
Mein Herzl, das ist froh!“
Lang war die jubelnde Stimme schon verhallt, und immer noch klang es wie quälender Spott an Haymos Ohr: „Jo ho, jo ho! Mein Herzl, das ist froh!“
Er hatte die Landtaler Wand erreicht, über deren schroff bis zum See abfallende Felsen ein schmaler Wildsteig hinwegführte. Einzelne Steine lösten sich unter den Schuhen des Jägers und stürzten prasselnd in die Tiefe; mit heißen Augen sah Haymo ihnen nach; er konnte ihre sausenden Sprünge mit dem Blick verfolgen, bis sie nahe dem See auf dem schräg verlaufenden Griesbett liegen blieben.
„Da drunten findet jeder seine Ruh! Ein jeder!“
Nun löste er absichtlich Stein um Stein und lauschte, wie ihr Fall, der mit lautem Lärm begann, immer leiser und leiser wurde. Und jeder fallende Stein redete zu ihm: „So könntest du dein schreiendes Herzleid auch geschweigen. Wirf’s hinunter! Es tut keinen Laut nimmer, wenn es drunten liegt.“
Mit der Hand an einem Felszacken sich anhaltend, beugte er sich vor, daß sein ganzer Körper über dem Abhang schwebte. Die verwitterten Schrofen, die aus dem steilen Gewände ragten, waren anzusehen wie tausend steinerne Arme, die sich streckten nach ihm. Und in der gähnenden Tiefe lag der Obersee wie ein großes, rundes Auge; es blickte herauf zu ihm, und dieser Blick hatte Sprache: „Ich seh dich. Komm nur! Schau, ich warte.“
Immer weiter beugte Haymo sich vor, ein Frösteln überlief seine Glieder, seine Knie begannen zu zittern, an der Hand, die den Felszacken umklammert hielt, zuckten schon die Finger, als wollten sie sich öffnen.
Da tönten linde, schwebende Klänge durch die Luft empor. In der Bartholomäer Klause läutete die Glocke zur Frühmesse.
Haymo richtete sich erblassend auf und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wie um einen bösen Traum zu verscheuchen. Aufatmend bekreuzte er sich und stieg mit ungestümer Eile über die Wand hinweg. Es schien ihm erst wieder wohl zu sein, als er den Bergwald erreichte, um dessen Wipfel der erste Glanz der steigenden Sonne schimmerte.
Schon aus weiter Ferne hörte er das Gebrüll des Almviehs.
„Was die Rinder nur haben mögen?“ fragte er sich. Vielleicht missen sie die Sennerin, meinte er. Sie wird wohl tags zuvor hinuntergegangen sein in das Klosterdorf, um dem heiligen Umgang beizuwohnen. Aber das hätte sie doch dem Hüter sagen müssen. Wohl an die hundert mal hatte Haymo am vergangenen Tag, bald im Gewänd, bald auf den Almen, bald im Bergwald den Hüter schreien hören: „Zenzaaah! Hoidoooh!“
Als Haymo die Alm erreichte, sah er die Kühe unruhig um die stille Hütte traben, brüllend und mit den Schweifen schlagend. Ihre Euter strotzten. Und die Tiere litten Schmerzen; sie hatten das Milchbrennen. Langsam kamen dem Jäger, da er sich der Hütte näherte, die Kühe entgegen, streckten keuchend die Köpfe, und eine Blessin fuhr ihm mit der rauhen Zunge über die Hand. Er kraute ihr die Stirn, und mit läutender Glocke lief sie ihm nach bis zur Hütte. Er trat in die Tür. Die Hütte war leer. „Zenza!“ rief er. Keine Antwort kam. Er lehnte das Griesbeil an die Wand, legte die Armbrust ab und setzte sich auf den Herdrand. In der Asche lagen noch glimmende Kohlen; er stöberte sie zu einem Häuflein zusammen, legte Späne darüber und blies in die Glut. Eine Flamme züngelte über das Holz, die Späne knisterten und krachten, und als das Feuer wuchs, legte Haymo, in träumende Gedanken versunken, Scheit um Scheit in die Flammen.
Er hörte nicht mehr das Brüllen und Läuten der Kühe – Immer summte es in seinen Ohren: „Jo ho, jo ho! Mein Herzl, das ist froh!“
Weit drüben, in der Sennhütte am Funtensee, flammte jetzt wohl auch ein Feuer auf dem Herd, und Renot saß bei seiner Gundi und hielt sie umschlungen und zog sie an seine Brust und lachte: „So blank allsam ein Härmelein, sind deine weißen Ärmelein – “
Haymo schlug die Hände vor die Augen, als möchte er das Bild verscheuchen, das mit seinem jauchzenden Glück ihn quälte und verhöhnte, ihn und sein brennendes Leid, seine dürstende Sehnsucht.
Ganz in sich verloren saß er und hörte nicht, wie draußen die Kühe läutend zusammendrängten nach einer Stelle; er merkte nicht, daß ihr lautes Brüllen jäh verstummte; er hörte die raschen Schritte nicht, die sich der Hütte näherten; es war ihm nur, als hätte sich plötzlich die Tür verfinstert. Mit müden Augen blickte er auf. Und da traf es ihn wie ein Blitz. Er schnellte in die Höhe, streckte mit ersticktem Laut die Arme und stand wieder wie versteinert. War es Wirklichkeit oder nur ein Traum? War sie es wahrhaftig, die vor ihm unter der Türe stand, über und über mit Staub bedeckt, im weißen Rock, dessen zerfetzter Saum über die Knöchel der nackten, vom Gestrüpp zerkratzten Füße hing, ein weißes Mäntelchen um die schmalen Schultern, die gelösten Haare um den Hals geknotet, mit erschöpften Zügen, aber mit lachendem Mund und leuchtenden Augen?
Jetzt rührte sie die Lippen. „Haymo!“ stammelte sie.
„Gittli!“ schrie er. Und sie flogen einander entgegen, hingen Mund an Mund und hielten sich mit zitternden Armen umschlungen, fest, als wollten sie sich nimmer lassen.
„Haymo!“
„Gittli!“
Das war alles, was sie sprachen zwischen Küssen und Küssen.
Und als wäre das Glück über sie hergefallen, so groß und so erdrückend, daß sie es nicht mehr zu tragen vermochten auf ihren schwachen Schultern, so sanken sie auf den Herdrand nieder. Und da streichelte Gittli Haymos Gesicht mit beiden Händen und lispelte: „Gelt? Jetzt tust du mir nimmer sterben?“
„Sterben? Vor Freud!“ Was er weiter noch stammeln wollte, erstickte wieder in einem heißen dürstenden Kuß.
Zenza stand in der Tür, mit geballten Fäusten und kalkweißem Gesicht. Sie konnte den Anblick dieses taumelnden Glückes nicht ertragen. Heiser auflachend wandte sie sich ab, rannte wie eine Wahnsinnige hinaus über das Almfeld, schlug die Fäuste an ihre Stirn und schrie: „Gibt’s auf der Welt noch einen Narren, wie ich einer bin! Erschlagen hätt ich sie sollen heut in der Nacht! Ins Wasser werfen! Und ich selber hab sie hergeholt. So ein Narr! So ein Narr, wie ich einer bin!“
Unter einer einsam stehenden Fichte warf sie sich auf die Erde nieder, grub die Nägel in den Rasen und schluchzte.
Dann sprang sie wieder auf. „Da heroben bleib ich keine Stund nimmer!“ Ihr heißer Blick spähte über das Almfeld, während sie mit gellender Stimme schrie: „Jörgi! Jörgi!“ Der Ruf verhallte, keine Antwort ließ sich hören. Eine Weile wartete sie. Und wiederholte den Ruf. Alles blieb still. Nur die Kühe trabten ihr brüllend entgegen. „Meinthalben! Mag alles hin sein, das Vieh und alles! Ich bleib und ich bleib nimmer.“
Sie ging dem Steige zu. Die Kühe zogen ihr nach. Mit Steinwürfen trieb sie das Vieh zurück. An der Stelle, wo der Pfad sich in den Wald verlor, blieb sie stehen und blickte, zornig auflachend, noch einmal zurück nach der Hütte. „So ein Narr, wie ich einer bin!“ Immer wieder lachte sie, während sie dem talwärts ziehenden Pfade folgte.
Über eine Stunde war sie schon gewandert, als sie, schwer ermüdet, auf einen Steinblock sank. Die zwei durchwachten und durchwanderten Nächte hatten ihre Kraft erschöpft. Sie schluchzte und lachte, immer eins ums andere. Lang ertrug sie das ruhige Sitzen nicht. Während sie weiterlief, raffte sie einen dürren Stecken auf und zerschlug mit zornigem Hieb jeden grünen Zweig, der über den Pfad hereinhing.
Schon hatte sie den tieferen Bergwald erreicht. Da hörte sie eine rufende Stimme, halb erstickt vom dumpfen Rauschen des nahen Wildbachs.
„Zenza! Zenza! Hoidoooh!“
Es war ein wild kreischender, angstvoller Ruf.
Lauschend blieb sie stehen. Da klang es wieder, ein wenig näher schon:
„Zenza! Zenza! Hoidoooh!“
„Mir scheint, er sucht mich? Der Täpp!“ knirschte sie zwischen den Zähnen. Und weil der Ruf nun abermals erklang, flammte eine dunkle Röte über Zenzas Gesicht, und ihre Fäuste ballten sich. „Der! Der ist schuld an allem! Hätt er den Jäger in Fried gelassen, so wär der Haymo nit zu mir gekommen, ich hätt mich nit scheuen und schämen müssen vor ihm, er hätt nit geredet mit mir, sein Herzleid hätt mir nit die Seel umgedreht im Leib, ich wär nit hinein auf Salzburg und müßt jetzt nit einen Zorn in mir haben, daß ich mich selber zerreißen könnt. Der! Der ist schuld an allem!“ So schrie es in ihr; alles, was Jörgi verbrochen hatte, stand ihr vor Augen, wie mit Geißelschlägen ihren Zorn schürend; nur an eines dachte sie nicht: an jene Stunde, in der sie beim Ostertanz den von allen Verachteten, ihn und sich selbst verhöhnend, hervorgezerrt hatte aus seinem dunklen Winkel.
Nun sah sie ihn um die Wendung des Pfades biegen, in keuchendem Lauf, mit brennendem Gesicht, mit verstört umherspähenden Augen. Und zwischen ihr und ihm lag das breite Bett des mit reißenden Wassern steil abstürzenden Wildbaches.
„Zenzaaah – “ Der Laut erstickte. Jörgi hatte die Sennerin erblickt. Mit jauchzendem Geschrei, mit Stammeln und Schluchzen kam er gerannt, stieß das lange Griesbeil in das Wasserbett, warf sich hinüber mit hohem Schwung, brach in die Knie, raffte sich auf, und den Stock beiseite schleudernd, umschlang er Zenza mit beiden Armen.
Zornig aufkreischend, schlug sie ihm die Fäuste in das von Schweiß überronnene Gesicht. Und als er die Hände sinken ließ, gab sie ihm einen Stoß vor die Brust, daß er rückwärts taumelte und niedersank, mit dem halben Körper in das Wasser klatschend. Er wollte sich aufraffen. Eine Sturzwelle packte ihn, er drehte und überschlug sich, verschwand im Wasser und tauchte halb wieder auf.
„Jesus, Maria! Jörgi!“ schrie Zenza. Sie stürzte dem steilen Ufer zu; es gelang ihr, die eine Hand des Versinkenden zu erfassen, mit der anderen haschte er nach ihrem Rock und klammerte sich an. Brausend schlugen die Wellen über ihn her und drückten ihn nieder. In schreiender Todesangst wollte Zenza von seinen Händen sich losreißen. Während sie kämpfte mit dem ganzen Aufgebot ihrer müden Kraft, wich der brüchige Grund unter ihren Füßen, und sie stürzte vornüber mit dem Gesicht in den Wildbach.
Welle rauschte über Welle, eine warf sich auf die andere, mit drängender Eile und zorniger Wucht. Aus allem Rauschen hörte man das Rollen der Steine, die der Wildbach auf seinem Grunde trieb. Über steile Gehänge warf er sich hinunter, tobte zwischen verwaschenem Gestein hindurch, hinweg über gebrochene Bäume, und verschwand in einer Schlucht, so eng und tief, daß der Himmel in der Höhe nur noch schimmerte als ein dünner, blauer Streif, während auf dem Grunde der Schlucht alles grau war, ohne Farbe, einzig weiß nur das schäumende Wasser. Dünne Quellen rieselten in die Schlucht hinunter, und die frei fallenden Tropfen leuchteten ein wenig, als möchte jeder von ihnen ein Stäubchen Sonne aus dem hellen Tag mit hinunterstehlen in die Finsternis.
Brausend schoß der Wildbach aus der dunklen Schlucht wieder hervor in ein breites Bett, umschleiert von Wasserstaub, jede Welle bedeckt mit flockigem Schaum. Die Uferwände senkten und erweiterten sich. Blühende Büsche neigten sich über den Rand der Felsen und griffen wie mit hundert kleinen Fingern in den blauen Himmel. Buntfarbiges Moos und üppiges Flechtwerk spann sich um alles Gestein, an dem der Wildbach vorüberrauschte, und die tanzenden Wellen spielten mit dem niederhängenden Gezweig, bis sie breit und ruhig hinausflossen in den stillen, sonnigen See.
Von Bartholomä einher kam langsam ein plumper Nachen geschwommen, beladen mit kleinen Blöcken von Ahorn- und Zirbenholz. Ein alter Mann führte das Ruder. Im Bug des Schiffes saß Ulei, der Bildschnitzer. Er hatte sich neuen Vorrat für seine Werkstätte geholt. In der Hand hielt er ein Klötzchen Holz und bosselte daran mit einem kurzen Messer. Gewandt und sicher führte er jeden Schnitt, und immer deutlicher trat aus dem Holz ein weiblicher Kopf hervor.
Da sagte der Alte: „Ulei? Was liegt denn da drüben im Wasser?“
„Wo, Vater?“
„Wo der Wildbach auslauft.“
Ulei deckte die Hand über die Augen.
„Wohl, jetzt seh ich es auch.“
„Es schaut sich an, als tät ein Gewand im Wasser liegen.“
„Vielleicht hat einer was verloren. Geh, Vater, fahr hinüber!“ Ulei steckte das halb vollendete Schnitzwerk mit dem Messer in die Tasche und erhob sich.
Der Alte drehte den Kahn und steuerte dem Ufer zu.
„Mein Gott, Vater,“ stammelte Ulei, „da hat’s ein Unglück gegeben! Das ist ein Weiberleut. Du lieber Herrgott! Was muß da geschehen sein?“
Sie kamen näher. Von den Wellen des Wildbaches seitwärts getrieben, lag die Leiche auf seichtem Grund, überdeckt von durchsichtigem Wasser, auf dem das Kleid und die bleichen Hände schwammen.
Uleis Augen wurden starr und sein Gesicht erblaßte; er sprang aus dem Nachen und riß den leblosen Körper empor. „Vater, schau nur, schau! Die Zenza!“ Die Worte erstarben ihm. Wie versteinert blickte er auf die Entseelte nieder, deren Haupt mit triefendem Haar, mit geschlossenen Augen und blutlosen Lippen in den Nacken hing. Aus dem Mieder und unter den zerrissenen Zöpfen sickerte Blut in dünnen Tropfen hervor. Das Gesicht war unentstellt; jeden Zug von Trotz und Wildheit hatte der Tod verwandelt in stillen Frieden.
Taumelnd watete Ulei an das Ufer, bei jedem Schritte keuchend unter seiner Last.
„So ein Unglück!“ jammerte der Alte. „Das arme Ding! So ein junges, lebfreudiges Mädel! Ulei, bleib bei ihr! Ich fahr davon und lauf ins Ort hinein.“ Er hatte schon den Kahn gewendet und trieb ihn mit hastigen Ruderschlägen über den See.
Ulei war auf einen Steinblock niedergesunken. Mit beiden Armen preßte er den entseelten Körper an seine Brust, als könnte er die Kälte des Todes noch verscheuchen durch die Wärme seines eigenen Lebens.
Von Kind auf war sie ihm lieb gewesen. Immer gingen ihre Wege an ihm vorüber. Sein Herz geduldete sich und hoffte. Wenn er in seiner Werkstatt bei der Arbeit saß, stand es immer vor ihm wie ein Traum, der sich einst noch erfüllen müßte: daß er sie umschlungen hielte und dürfte sie herzen und küssen.
Jetzt hatte sein Traum sich erfüllt. Nun lag sie in seinen Armen. Scheu neigte er das Gesicht und drückte seine Lippen auf ihren kalten Mund. Sie duldete seinen Kuß und wehrte sich nicht.
„Du mein Schatzl!“ Seine Hand zitterte, als er das blutige Haar von dieser blassen Stirne strich. „Und wenn ich hundert Jahr alt werd, ich bleib dein treuer Bub! Gelt ja!“
Auf blumigem Rasen legte er sie nieder, ordnete ihr Haar und schob ihr seine Joppe als Kissen unter den Kopf. Einen Zweig mit blühenden Alpenrosen, den er von der nahen Felswand holte, legte er in ihre Hände.
Auf den Knien sprach er ein Gebet. Dann setzte er sich neben der Toten auf die Erde und zog aus seiner Tasche das hölzerne Köpfchen und das Messer hervor. Vor jedem Schnitt, den er führte, hing er mit langem Blick an dem stillen, weißen Gesicht.
Zwei Stunden vergingen. Dann kam ein Schiff mit Leuten; unter ihnen der Eggebauer. Als er mit schlotternden Knien an das Ufer stieg, mußten ihn zwei Männer stützen.
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„Wo nur die Zenza bleibt?“
So fragten sie immer wieder, wenn sie für kurze Weile aus ihrem wortlos träumenden Glück erwachten.
„Wo nur die Zenza bleibt?“
Sie traten vor die Hütte und riefen Zenzas Namen über das Almfeld und gegen den Bergwald. Alles blieb still.
„Wirst sehen, sie kommt nit. Und ich mein’, ich weiß warum!“ flüsterte Haymo.
Gittli sah ihn fragend an; dann schüttelte sie den Kopf. „Sie wird halt müd gewesen sein und hat sich an einem stillen Platzl schlafen gelegt.“
„Meinst du?“ sagte er. „Aber gelt, du wirst auch selber müd sein?“
„Nit ein lützel! Ich mein’ völlig, ich hätt tausend Jahr lang geschlafen und wär mit einmal aufgewacht, und derweil ist alles anders geworden, und ich selber bin eine andere!“
„Was? Eine andere bist du? So, schön, jetzt hab ich gar zwei Schätzlen. Ich weiß nur nit, welches ich lieber hab: dasselbig, das du gewesen, oder dasselbig, das du geworden bist.“ So scherzte Haymo und wollte sie umfangen. Sie schlüpfte in die Hütte und wehrte ihn ab, als er folgen wollte. Er mußte sich auf die Bank setzen und warten. Und bevor sie ihn nicht riefe, dürfe er beileib nicht kommen.
Er saß kein Vaterunser lang, da fragte er schon: „Darf ich noch allweil nit hinein?“
„Jesus! Untersteh dich!“ hörte er sie erschrocken stammeln.
Nun wartete er geduldig, sah mit leuchtenden Augen hinauf ins Blau und lauschte jedem leisen Geräusch, das sich in der Hütte vernehmen ließ.
Jetzt trat sie kichernd aus der Tür. Er machte zuerst große Augen, dann schlug er mit glückseligem Lachen die Hände ineinander. Gittli stimmte in sein Lachen ein. „Ich hab ein lützel in der Zenza ihrer Truh gekramt. Meinst, sie wird harb sein? Gelt nein? Sie hat ja selber allweil über das dumme Häs gescholten. Was sagst du, wie ich ausschau!“ Sie hob die Arme und drehte sich. Er wollte kaum aus dem Lachen kommen. Gittli sah aber auch gar zu drollig aus. Das weiße, bis an den Hals geschlossene Hemd und der kurze Rock hätten ihr leidlich gepaßt. In dem schwarzen Mieder aber hätte ihr schlankes Persönchen noch ein zweites mal Platz gefunden, und jeder Fuß stak in dem plumpen Schuh wie ein Spatz im Hühnerkorb. „Was sagst du, wie ich ausschau?“
„Aber lieb! So lieb!“ Er haschte sie mit beiden Armen und zog sie auf die Bank. „Da hast du einen gescheiten Einfall gehabt. Ich hab mich ehnder schier nit getraut, daß ich dich anrühr.“
Wie sehr ihm jetzt der Mut gewachsen war, das fühlte sie aus dem ungestümen Kuß, mit dem er ihre stammelnden Lippen schloß.
So saßen sie in der Sonne, bald still versunken in ihr zärtliches Glück, bald wieder in heiterem Geplauder. Kein Wort, das sie sprachen, kein Gedanke, den sie dachten, ging über den Augenblick hinaus. Sie fragten nicht, was vor diesem Tag gewesen, fragten nicht, was nach diesem Tage kommen sollte. Eine selige Stunde war ihnen vom Himmel gefallen, wie Sonnenschein nach Ungewitter, und sie freuten sich ihrer als zwei Glückliche, die zusammengehören, weil der liebe Herrgott sie füreinander geschaffen hat. Ihr Glück war so still zufrieden wie eine Blume, die in dem Augenblick, da ihr Kelch sich dem warmen Licht erschließt, doch auch nicht fragt, wer ihren Samen in die Erde legte, oder wer sie brechen wird in der nächsten Stunde. Sie blüht und freut sich.
Endlich löste Gittli sich aus den Armen des Jägers. Ihre Wangen glühten wie zwei Rosen. Mit zitternden Händen strich sie das Haar von den Schläfen zurück.
„Schau, Haymo, die Sonn steht über Mittag. Hast du denn keinen Hunger?“
Er schüttelte lachend den Kopf.
„Aber ich!“ sagte sie kleinlaut.
Erschrocken sprang er auf. „So komm doch, Schatzl, komm! Es wird in der Hütt wohl ein lützel was zu finden sein. Und die Zenza wird’s schon verlauben.“
„Was die aber lang ausbleibt! Völlig bangen tut’s mich, daß ich ihr ein Vergeltsgott sagen möcht. Aber gelt, wenn sie kommt, da müssen wir gut sein mit ihr. Sie hat’s verdient um uns.“
Haymo nickte. Dann traten sie in die Hütte. Mehl, Salz und Butter fand sich im Überfluß. Als aber Gittli auf dem Herd das Feuer schüren wollte, faßte Haymo ihre Hände. „Nein, Schatzl, heut darfst du nit schaffen, heut mußt du schon mir die Sorg lassen. Da wirst du schauen, was ich dir aufkoch! Und du,“ er hob sie mit beiden Armen empor und legte sie sanft auf das Heubett nieder, „du tust derweil ein lützel rasten! So, Schatzl! Gelt, da liegst du gut?“
Erst war sie ein wenig erschrocken, dann aber ließ sie ihn lächelnd gewähren, und als sie in das weiche, duftende Heu versank, schlang sie die Arme um seinen Hals und zog sein Gesicht an ihre heiße Wange. „Gelt, Haymo, wir zwei tun nimmer voneinander lassen?“
„Nimmer, Gittli, nimmer, nimmer!“
Eine Weile saß er auf dem Rand des Bettes. Schweigend hielten sie sich bei den Händen. Plötzlich sprang er auf. „Jetzt muß ich aber schaffen, sonst tust du mir am End noch verhungern, du Hascherl, du arms!“
Sie schob die gefalteten Hände unter die Wange, schmiegte sich tief in das duftende Heu, und während Haymo auf dem Herd das Feuer schürte, blickte sie unter halb gesunkenen Lidern hervor, mit dankbar zärtlichen Augen jede seiner Bewegungen verfolgend. Flüsternd strömten ihre tiefen Atemzüge über die leicht geöffneten Lippen. Ihr war so wohl! Sie hätte sich für das ganze Leben nichts anderes mehr gewünscht, als nur immer so liegen zu dürfen, so weich zu ruhen, mit dieser sanften Wärme im Herzen, mit diesem süßen Gefühl: daß treue Liebe ihre Ruh behüte, treue Liebe für sie sorge und schaffe.
Immer wieder nickte Haymo ihr lächelnd zu. Er ging auf den Zehen und suchte jedes Geräusch zu vermeiden, während er alles herbeitrug, was er zur Bereitung der Mahlzeit nötig hatte. Auf dem Herde knisterten die brennenden Späne, leis rauschten die züngelnden Flammen, durch die Lücken des Schindeldaches fielen einzelne Sonnenstrahlen gleich goldig schimmernden Fäden, und der dünne Rauch, der sich langsam zwischen dem berußten Sparrenwerk verzog, umspann alle Balken mit bläulichem Duft.
Immer tiefer sanken über Gittlis Augen die schwarzen Wimpern, und sacht, unmerklich flossen ihre Träume aus dem Wachen hinüber in einen tiefen Schlaf.
Haymo ließ die Arbeit ruhen; er wäre mit seinem Werk in einer Viertelstunde zu Ende gewesen, und dann hätte er Gittli wecken müssen. Doch er sah, wie wohl ihr der Schlummer tat. Leise trug er einen Holzpflock neben das Heubett, ließ sich nieder, schlang die Hände um die Knie, lehnte den Kopf an die Kante des Lagers und betrachtete das Gesicht der Schlummernden.
Sie lag und regte sich nicht; nur manchmal bewegte sie ein wenig die Lippen, als spräche sie im Traum; dann zuckten auch die Wimpern, die gleich dunklen Sicheln auf den sanft geröteten Wangen lagen; und bei jedem tieferen Atemzuge hob sich die junge Brust unter dem weißen Leinen. Haymo streckte die Arme – es war, als möchte er aufspringen, als möchte er sie aus dem Schlaf empor reißen an sein Herz. Doch scheu und leise duckte er sich wieder auf den Holzpflock nieder, um die Schlummernde nicht zu wecken.
Stille Stunden verrannen.
Als Haymo meinte, daß Gittli nun doch bald erwachen würde, ging er zum Herd. Sie sollte nicht warten müssen auf die Mahlzeit. Als die heiße Butter in der Pfanne zu zischen begann, bewegte sich Gittli, schlug die Augen auf, lächelte – und schlief wieder ein.
Haymo übte sein Küchenamt mit peinlichster Sorgfalt. Vor Aufregung, ob die Speise auch wohl geraten würde, zitterten ihm die Hände. Doch als er einmal kostete, schien er nicht unzufrieden mit seinem Werk. Und während er die Pfanne wieder über das Feuer setzte, begann er mit halblauter Stimme zu singen:
„Der Winter ist zergangen,
In Bluh steht alle Heid,
Da kam zu mir gegangen
Gar süße Augenweid.“
Immer lauter wurde sein Lied, bis es endete mit klingendem Jauchzen:
„Jo ho, jo ho,
Mein Herzl, das ist froh!“
Da brauchte er Gittli nicht mehr zu wecken; sie saß im Heu, lachte ihn an mit hellen Augen und streckte die Arme.
Als wär’ sie eine Feder, so schwang er sie in die Höhe und drehte sie im Kreis. Kichernd zappelte sie mit den Füßen. Aber auf die Erde kam sie nicht wieder; sie saß auf Haymos Schoß und wußte nicht, wie das gekommen war. Mit dem einen Arm hielt er sie an sich gedrückt, mit dem anderen zog er die Pfanne herbei. Und weil sich in der Hütte nur ein einziger Holzlöffel vorgefunden hatte, mußte Gittli dulden, daß Haymo ihr jeden Bissen zwischen die lachenden Lippen schob. Sie wehrte sich wohl, aber nur, weil ihr Sträuben das zärtliche Mahl verlängerte. Und wie sie jeden Bissen lobte! Haymo wurde stolz auf seine Kochkunst. „Ja, du,“ sagte sie, „das schmeckt einem! Weißt du, da drin,“ sie machte einen Deuter mit dem Kopf und meinte das Heim der Domfrauen in Salzburg, „da drin hab ich Sachen essen müssen, daß einem völlig hätt grausen mögen. Was die Herrenleut manchmal für einen Geschmack haben! Ich begreif das nit.“
Er lachte und hielt ihr den vollen Löffel hin.
„Halt! Der gehört wieder dir!“ schalt sie, denn sie wachte sorgsam darüber, daß die Teilung redlich vollzogen würde: erst sie einen Löffel, dann er einen Löffel – und dazu einen Kuß als Merkzeichen.
Als die Pfanne leer war, sagte sie erschrocken: „So, schön! Jetzt haben wir der Zenza gar nichts übrig lassen. Aber was sagst du! Jetzt ist die noch allweil nit da! Komm, wir müssen uns ein lützel umschauen nach ihr.“ Sie lief zur Tür hinaus und rief mit heller Stimme: „Zenza, Zenza!“ Ringsumher hörte sie nur das dumpfe Brüllen der Kühe und das ruhelose Gebimmel der Almglocken. Als Haymo zu ihr trat, sagte sie: „Wirst sehen, die hat sich im Wald verschlafen. Aber wart nur, ich find sie schon!“ Mit klappernden Schuhen lief sie gegen den Bergwald. Haymo haschte sie, und nun wanderten sie langsam, eins ans andere geschmiegt, dem Schatten der Bäume entgegen, den die sinkende Sonne schon dunkel und lang über das Almfeld warf. Als sie den Waldsaum erreichten, hatten sie schon wieder vergessen, was sie hierher geführt. Wo sie gingen, blühten mit dunklem Rot die Almrosen. Sie pflückten die schönsten der blühenden Zweige, und nach einer Weile prangte ein Strauß an Gittlis Mieder, ein anderer auf Haymos Kappe. Er legte den Arm um ihre Schulter, sie lehnte die Wange an seine Brust, und so wanderten sie dem Feuerpalfen zu, aus dessen verbranntem Rasen schon wieder die grünen Grasspitzen hervorlugten.
„Hast du nit daherdenken müssen in der Sonnwendnacht?“ fragte er leis.
Sie nickte errötend. „Und wie ich eingeschlafen bin, da hab ich geträumt.“
„Was denn?“
„Daß du mir eine Scheib getrieben hättst!“
„Aber, Narrerl, du liebs! Das hab ich ja doch getan!“ lachte er. „Die allergrößte hab ich getrieben für mein kleines Schatzl. Und geflogen ist sie, als wär die Sonn heruntergefallen.“
Sie umschlangen und küßten sich, als fänden sich ihre Lippen zum erstenmal. Kein Wunder, daß sie dabei die näherkommenden Schritte zweier Männer und einen stammelnden Ruf überhörten, der vom Saum des Waldes herklang.
Nun standen sie aneinandergeschmiegt und blickten still hinunter in die gähnende Tiefe. Glatt und schwarzgrün lag der See zwischen seinen felsigen, schon von dunklen Schatten umwobenen Ufern.
„Schau, Haymo,“ lispelte Gittli, „siehst du das Schiffl im See?“
„Wo, Schatz?“
„Dort, wo der Wildbach auslauft wie ein weißes Band.“
„Wohl, jetzt seh ich es auch.“
„Das muß ein großes Schiff sein, es schaut sich schier an wie ein Scheit.“
„Wohl, ich mein’ auch, es müßten viel Leut drin sein. Schau nur, und hinter ihm kommt ein anderes!“
„Ein kleins, wie ein winziges Hölzl!“
Sie schauten den beiden kaum merklich gleitenden Schiffen nach, die hinter einem steil in den See abfallenden Waldrücken verschwanden.
„Geh, Haymo, komm,“ sagte Gittli tief aufatmend, „jetzt müssen wir die Zenza suchen. Mir tut schon völlig bangen.“
Sie wollten den Feuerpalfen verlassen. Als sie sich vom Absturz wandten, fuhr ihnen der jähe Schreck in alle Glieder; sie erblaßten und waren wie versteinert; nur ihre Hände suchten sich noch und schlossen sich fest ineinander.
Herr Heinrich und Desertus standen vor ihnen.
Eine Weile wurde kein Wort gesprochen. Ernst betrachtete Herr Heinrich das Paar, während Desertus, mit heißem Glanz in den Augen, nur Gittli zu sehen schien.
„Es schattet, Haymo, und ich finde dich hier?“ sagte Herr Heinrich ruhig. „Hast du meines Gewildes ganz vergessen? Und deiner Pflicht?“
„Herr!“ stammelte Haymo, während brennende Röte über seine Stirne flog. Kein zornig scheltendes Wort hätte ihn eingeschüchtert; aber diese freundliche Mahnung brachte ihn um den letzten Rest seiner Fassung. Mit ratlosem Blick suchte er Gittlis Augen. „Ich muß gehen. Ich muß.“
Da erwachte sie aus ihrer Erstarrung. Sie umschlang ihn mit beiden Armen, schmiegte den schlanken Leib an ihn, als möchte sie mit ihm in eins verwachsen, und drückte das bleiche Gesicht an seinen Hals: „Ich laß dich nimmer und ich laß dich nimmer!“
Verstört sah Haymo zu Herrn Heinrich auf. „Schauet, Herr! Wir haben uns lieb.“
„Und ich laß mich nimmer wegschaffen,“ fiel Gittli mit bebender Stimme ein, die fester klang von Wort zu Wort, „und ich laß mich nimmer wegreißen von ihm. Da darf kommen, wer mag. Ich laß mich nimmer wegreißen. Ich weiß nit, was man allweil von mir will? Ich hab doch keinem was getan, ich bin doch ein braves Leut, und keiner hat ein Recht an mich, als der einzig, den ich lieb hab.“ Sie hatte sich aufgerichtet, ihre Augen blitzten, eine wilde Entschlossenheit verschärfte ihre Züge. „Und eh ich mich wieder wegreißen laß, eh spring ich lieber da hinunter, wo’s am tiefsten ist. Komm, Haymo!“ Sie klammerte die zitternden Hände um seinen Arm und zerrte ihn gegen den Abgrund. „Komm! Da haben wir Ruh und bleiben beieinander!“