Kitabı oku: «Die stählerne Mauer»
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3. März 1915.
Es gibt Bilder, die sich dem in Erregung schauenden Auge so glühend einprägen, daß sie, wenn man die Lider schließt, immer wieder aus der Nacht heraustreten und in roten Linien die geschaute Wirklichkeit nachzeichnen. Ein solcher Nervenreiz, der auf der Netzhaut nicht mehr erlöschen will, ist für mich das Vernichtungsbild des Forts Boussois bei Maubeuge geworden.
Vor Wochen schilderte ich die Ruine, in die das Fort Les Ayvelles durch die deutschen Haubitzen verwandelt wurde. Dieses Bild der Zerstörung schien mir keiner Übertreibung mehr fähig. Aber was ich damals gesehen habe, verhält sich zum Untergangsbilde von Boussois wie ein Häuflein Glasscherben zum Trümmerfelde eines Bergsturzes.
Wenn ich an Maubeuge denke und die Augen schließe, erwachen zuerst die sinnlos durcheinandergewirrten Linien eines von einer Mörsergranate erzeugten Explosionsschachtes, der durch den hohen Erdwall trichterförmig hinunterstürzt in ein Festungsgewölbe und durch die darunterliegende Kasematte sich noch abwärts bohrt bis in den Keller. Der Schacht windet sich zickzackähnlich hin und her, als hätte ihn ein Blitzstrahl von der Dicke eines vielhundertjährigen Baumes ausgebrannt. Und wenn auch die Sonne eben hineinscheint in den weitausladenden Erdtrichter, so ist doch drunten in der Tiefe noch immer die schwarze Finsternis.
Ich bin über steile Felswände unserer Berge hinweg gestiegen und habe auf das winzige Spielzeug der Talwälder über tausend Meter tiefe Abstürze hinuntergeschaut, ohne daß ich ein Gefühl des Schwindels empfinden lernte. Aber hier, im zerstörten Fort Boussois, am Rande dieses nur zwölf oder vierzehn Meter tiefen Kamins, den der brüllende Kriegsteufel durch drei Stockwerke einer mit Soldaten vollgepfropften Festungskaserne hinunterschlug bis in das Kellerdunkel – hier befiel mich ein Schwindel des Grauens. Hier lernte ich verstehen, was mir immer unglaublich schien, wenn ich es erzählen hörte: daß eine solche Festung, gebaut, um einer Welt zu trotzen, sich nach einer Beschießung von wenigen Stunden ergab, und daß die noch Lebenden der Besatzung wie Wahnsinnige aus dem Tor herausrannten oder getaumelt kamen wie nach Atem Ringende, wie Erstickende. Der grauenvolle Anblick dieses Schachtes erläuterte mir auch ein Bild, das ich am folgenden Tage zu sehen bekam: das Bild des Krüppelsaales im Spital der französischen Schwerverwundeten zu Avesnes.
Ich wollte diesen Saal betreten. Aber nach dem ersten Schritt über die Schwelle mußte ich stehen bleiben – etwas Fürchterliches hatte mir an den Hals gegriffen. Gegen achtzig Betten. Und jedes Bett hatte seinen uniformierten Gast. Ein Gewirre bunter Farben. Infanteristen, Kanoniere und Reiter, Spahis und Turkos, Europäer und Afrikaner – aber unter ihnen kein einziger mehr, der ein ganzer Mensch war. Der eine ohne Beine, der andere ohne Arme, ein dritter mit halbem Gesicht. Einarmige und Einfüßige, mit Krücken und mit Stelzbeinen, mit umgeknickten Ärmeln und mit aufgebogenen Hosenschäften, mit Armstummeln, die keine Hand mehr hatten, und mit Beinstümpfen, die ohne Fuß waren. Bleiche Gesichter und braune und schwarze, Knaben und Männer. So saßen oder lagen sie auf ihren Betten, keiner bewegte sich, alle waren unbeweglich, stumm, mit trauervollen oder stumpf gewordenen Augen. Und dennoch schien es mir, als spräche aus allen Gesichtern eine heiße Erwartung, eine ungeduldige Sehnsucht. Bei ihnen war ein junger französischer Arzt, dessen ruhiges Benehmen und mildes Wesen mir sehr gefiel. Er sagte mir, daß diese achtzig reisefertig wären seit vier Tagen, und der Zug, der sie durch Deutschland nach Genf bringen sollte, stünde seit vier Tagen zur Abfahrt bereit; aber die Einwilligung der französischen Regierung zum Austausch der Kriegsuntauglichen käme nicht, noch immer nicht. »Das Warten wird ihnen schwerer mit jeder Stunde.«
Schweigend hatte ich dieses martervolle Bild betrachtet, schweigend die Worte des Arztes angehört. Meine Gedanken sahen den Jammer, der diese Sehnsüchtigen in ihrer Heimat erwartet. Und aus meiner Kehle preßten sich die Worte heraus: »Das wird keine schöne Reise!« Erst sah mich der Arzt ein bißchen verwundert an – als hätte ich so mangelhaft Französisch gesprochen, daß er mich nicht verstehen konnte. Dann nickte er ernst und sagte: »Sie haben recht! Keine schöne Reise, das!«
Als ich aus dem kühlen stillen Saal hinausgetreten war in die Sonne, blieb ich stehen, schloß die Augen – und sah wieder den Granatentrichter des vernichteten Forts von Boussois. Man versteht das Bild des französischen Krüppelsaals von Avesnes, wenn man das erschütternde Vernichtungsgemälde von Maubeuge gesehen hat. Wie viele Stummgewordene, wie viele Beine und Arme und formlose Menschenreste mögen unter diesen Bergen von Trümmern noch begraben liegen? Sie bleiben, wo sie sind; es geht ihnen wie den Kanonen des Panzerturms. Ihm hat eine deutsche Granate die aus Stahl und Eisenbeton erbaute Decke zerdrückt, als wär's nur die Schale einer Krachmandel gewesen! Im Innern des Turmes ist das viele Eisenwerk der Geschützmaschinerie zu so irrsinnig verschnörkelten Klammern und Polypenformen ineinander gepreßt, daß man die zwei eingequetschten Kanonen nicht mehr herauszubringen vermochte; sie liegen und hängen noch immer da und strecken aus dem konfusen Stahlknäuel ihre schon mit Rost und Grünspan behangenen Mündungen heraus, gleich den aufgerissenen Mäulern verschmachteter Riesenfische. Und wohin man sonst noch blickt, alles ist ein Gewirr von Eisenfetzen und Mauerbrocken, von Schutt und Trümmern, von unbegreiflich zerrissenen Erdformen. Und alles ist öd und menschenleer, alles trostlos ineinandergeschmolzen zur schauerlichen Todesmaske eines Unterganges, der keine Auferstehung mehr erleben wird. Noch kommende Jahrhunderte werden sagen: »So wirkten die deutschen Waffen!«
Solche Waffen besaßen wir und erhoben sie nie und lebten mit allen Völkern in redlichem Frieden. Nun, da fremde Eifersucht auf die Blüte des deutschen Lebens uns zwang zu diesem Kriege, nun sollen unsere Feinde auch die gigantische Gewalt der deutschen Waffen verkosten an ihrem Gut und Blut! Die Zerstörungsbilder, die ich sehe, erfüllen mich mit Grauen und Schreck. Aber ich bin ohne Mitleid. Warum ließ man uns nicht in Ruhe?
Übrigens, bei Maubeuge ist auch eine Trümmerstätte zu sehen, die nicht von der Wirkung deutscher Waffen herrührt: das Schuttfeld der Munitionsmagazine, deren Sprengung durch die Engländer veranlaßt wurde, als die Franzosen das weiße Fähnchen aufziehen mußten. Frankreichs zärtliche Verbündete benahmen sich da nicht sonderlich rücksichtsvoll gegen die französische Bevölkerung. Englische Offiziere ließen die gewaltige Sprengung vornehmen, ohne die Einwohnerschaft des umliegenden Stadtteils vorher zu verständigen. Viele Häuser wurden unter dem Luftdruck der Explosion zu Ruinen ineinandergerüttelt; und Steintrümmer, so groß wie erratische Blöcke, flogen als Zermalmungsgeschosse durch die Hausmauern und durch alle Stockwerke der von Menschen, von Frauen und Kindern bewohnten Gebäude.
An die Trümmerberge dieses großen Massengrabes mußte ich denken, als ich gestern im Lazarett zu Lille die ersten Engländer sah, denen ich auf meiner Frontreise begegnete. Dank der deutschen Pflege, die sie genossen, erfreuten sie sich schon wieder eines sehr gesunden Aussehens. Von ihnen erregten zwei meine kulturelle Aufmerksamkeit. Während die halbgenesenen Franzosen sich dienstwillig mit ihren noch leidenden Kameraden beschäftigten, überwacht von einem jungen französischen Arzte, der sehr höflich war und einen netten Eindruck machte, saßen die beiden Engländer abgesondert und teilnahmslos auf den besten Plätzen beim warmen Ofen. Der eine las – vermutlich einen von Englands schmachtenden Romanen –, der andere rauchte und spuckte. Als mein Führer die beiden ansprach, benahmen sie sich sehr mißlaunig und ungezogen. Das war nicht der Stolz eines Feindes, es war nur Mangel an guter Sitte, nur Flegelei. – Möglich, daß es meinem Urteil an gerechter Objektivität gebrach; denn während ich die zwei kratzborstigen Sprößlinge des britischen Leuen betrachtete, empfand ich selbst auf meiner Schattenseite ein Gefühl, als hätte sich zwischen meinem Nacken und der tiefer liegenden Gegend jedes kleinste Härchen gesträubt, das ich da hinten zu besitzen scheine. Dieser unangenehme Aufbäumungsreiz beschwichtigte sich erst, als ich den Söhnen des »zivilisierten Albions« den deutschen Rücken zudrehte und wieder leidende Menschen sah.
Unter den Lazarettpfleglingen befanden sich auch vier Indier, die gerade jetzt, nach dem unerquicklichen Nachgeschmack des Englischen, in mir ein erhöhtes Interesse wachriefen, das stark mit Vorurteil und Mißtrauen gesprenkelt war. Man pflegt doch zu sagen: »Wie der Herr, so seine Knechte!« Aber da kam eine seltsame Überraschung.
Der erste, den ich sah – er war schon außer Bett, trug aber noch den Kopfverband, die deutsche Kugel hatte ihm den Backenknochen durchbohrt und war hinter dem Ohr wieder herausgeflogen –, dieser erste war einer von jenen »wilden, grausamen, tigergleichen, riesenhaft gewachsenen« Gurkhas, von denen die französischen Zeitungen verkündeten, daß sie uns Deutsche so unbarmherzig in der Luft zerreißen würden, wie es der Teufel mit den armen Seelen macht. Gallischer Hoffnungstraum! Geträumt von einem Enkel des Tartarin von Tarascon! Denn der tatsächliche Gurkha, der da lächelnd vor mir stand, war ein kleines, gutmütig-freundliches, knabenhaft-zierliches Männlein, in Farbe und Gestalt eine Mischung von Japaner und Negerchen; er hörte die Fragen, die der Dolmetsch Dr. Walter an ihn richtete, aufmerksam an, beantwortete sie gern und hatte in den Augen stets eine Schimmersprache, die zu sagen schien: »Seid mir gut, ich denke nichts Böses.« Sein Kamerad, auch schon außer Bett, war ein arischer Mohammedaner aus dem Himalajagebiet, gut gewachsen, grobknochig, mit heiterem Breitgesicht, von so schwacher asiatischer Couleur, daß er bei uns in Tegernsee oder Lenggries hinter der Zither oder bei der Schmarrenpfanne sitzen könnte.
Der dritte Indier, wieder so ein »wilder blutdürstiger Gurkha«, lag noch an einer schweren Verwundung durch Bombensplitter; er ließ nur das abgezehrte Gesicht und die braunen Finger mit den weißen Nägeln aus der Bettdecke herausgucken; in der Hagerkeit seines Kopfes und im ekstatischen Blick der nußbraunen Augen, die, obwohl der Mann ohne Fieber war, einen fast überirdischen Glanz hatten, glich er einem indischen Büßer; er sprach demütig, hatte eine suchende Angst in der ruhelosen heißen Fackel seines Blickes; und wenn er sich für die freundlichen Zusicherungen des Missionars bedankte, war in der rudernden Geste seiner mit den Spitzen aneinandergelegten Finger immer der Ausdruck einer inbrünstigen Bitte.
Von seinem Bette gingen wir zu einem Sikh hinüber, der nach lebensgefährlicher Malaria zu genesen begann. Ein wundervoller Rassekopf mit blauschwarzem Vollbart, die Stirne mit dem sorgfältig geknoteten Kriegertuch umwunden. Der Mann schien den Dolmetsch zu lieben; als wir an das Bett traten, glänzte eine schöne, fast zärtliche Freude in den Augen des Indiers. Er hatte geglaubt, in der Fremde sterben zu müssen, ferne von seiner Heimat, und wußte nun, daß er leben und die Ufer des heiligen Stromes wiedersehen würde. Der neu erwachende Lebensglaube erhöhte noch die angeborene Vornehmheit, die aus jedem Wortklang und aus jeder Geste dieses Sikhs herausredete. Sikh – der Laut bedeutet nicht einen Volksstamm, er bedeutet: Schüler, Anhänger einer religiösen Überzeugung, in der sich Mohammedanismus mit überwiegendem Buddhismus vermischt. Ehe wir gingen, hielt der glanzäugige Krieger lange meine Hand umschlossen und nickte mir herzlich zu. Und jener lächelnde, gutmütige Himalajasohn, der einem Tegernseer ähnelte, begleitete uns bis zum Tor des Lazaretts.
Zehn andere Indier, schon völlig genesen, fanden wir an einem sonderbaren, von ihnen selbst gewählten Aufenthalt; in einer ehemaligen Unteroffizierswaschküche der Zitadelle von Lille. Sie hatten diesen Ort gewählt, weil sie hier in Einsamkeit leben konnten, weil der Herd und sein Waschkessel es ihnen ermöglichte, ihre Nahrung nach rituellen Vorschriften zu bereiten, und weil sie hier von allem geschieden waren, was ihnen nach den Satzungen ihres Glaubens als unrein gilt.
Auf dem Weg zur Zitadelle erfuhr ich manches über ihre Art, sich zu geben. Sie sind ehrlich in Werk und Wort. Alles Tatsächliche ist von ihnen zu erfragen; Urteile über die Vorgänge des Krieges und ihre innersten Meinungen sprechen sie nicht aus. Man mußte erraten, daß es ihr Wunsch ist: nach dem Friedensschlusse nicht mehr an die Engländer ausgeliefert zu werden. Heimweh in unserem Sinne scheinen sie nicht zu kennen; sie haben nur den Wunsch, noch einmal im Leben eine Wallfahrt zu ihrem Lieblingstempel machen zu dürfen.
Ein stubengroßer Raum, die Decke weiß getüncht, die Wände mit schwarzer Teerfarbe übermalt. Zehn kraftvolle Gestalten erhoben sich höflich und begrüßten uns. Alle waren gleichmäßig in das Graubraun der indischen Felduniform gekleidet, ein paar mit wollenen Mützen, andere mit dem turbanartigen Kopftuch des Kriegers, und einer mit einem deutschen Liebesgabenkopfschlauch, der, mit der Gesichtsöffnung über den Hinterkopf gestülpt, sehr wunderlich gerollt war und viel orientalischer aussah als die echten Kopfbedeckungen der anderen. Allen gemeinsam war der Feuerglanz der herrlichen, frauenhaften Augen und das weiße Elfenbeinblitzen des festen, tadellosen Gebisses in dem braunen, fast immer heiteren Gesicht – allen gemeinsam auch eine liebenswürdige, noble Gelassenheit, ein zutraulicher Frohsinn und der natürliche Adel einer alten Menschenrasse, an der keine Spuren von Degeneration, nur entwicklungsfähige Eigenschaften zu bemerken sind, die zum Glauben an einen Aufstieg dieses Volkes berechtigen. In ihrer äußeren Erscheinung waren sie sehr verschieden. Einer, von jenem mongolischen Typus, der auch Schönheit in unserem Sinne besitzt, hatte einen Jünglingskopf von so klassischem Oval und mit so streng gezeichnetem Schwarzbärtchen, daß ich immer an den Märchenprinzen Kalaf denken mußte. Ein zweiter erinnerte an jene delikaten persischen Miniaturen aus der Zeit, in der das Heldenbuch des Firdusi geschrieben wurde. Ein anderer, schon fünfzigjährig, mit einem kurzgestutzten schneeweißen Vollbart, der Sprößling einer alten Unteroffiziersfamilie der indischen Armee, war von derberem Volksschlag, dabei so ruhig, selbstbewußt und abgeklärt, daß man ihn als einen Bruder von Anzengrubers Steinklopferhans hätte nehmen können. Einer, mit phantastisch geformtem Schwarzbart und mit üppig gezopfter, aus dem Kriegertuch hervorquellender Haarfülle, hatte im Aussehen wirklich etwas Asiatisch-Wildes – und war dabei von allen der gutmütigste und freundlichste. Und einer, größer als ich, ein junger schlanker Sikh, war von geradezu verblüffender männlicher Schönheit – war, was man ein Fressen für einen Maler oder Bildhauer nennt – und gab sich so bescheiden, hatte eine so reizvoll verlegene Schüchternheit wie ein Mädchen mit zartbesaiteter Seele.
Die Indier standen mit verschränkten Armen oder saßen mit gekreuzten Beinen um das sehr heiße Herdchen herum, an dessen glühenden Kohlen sie Obst und Kartoffeln brieten. Der Dolmetsch stellte mich ihnen – (jetzt dürfen meine Leser nicht lachen!) – als einen »Weisen meiner Heimat«, als einen Brahmanen des deutschen Volkes vor. Gleich nahm einer von den Indiern, auch ein Brahmane, die charakteristische Buddhastellung ein, erhob den Zeigefinger der linken Hand und überreichte mir, seinem fremdländischen Kastenbruder, mit würdevoller Freundlichkeit als Gastgeschenk eine deutsche Liebesgabenzigarre. Ich bot zum Gegengeschenk mein Zigarrenetui herum. Rauchend saßen wir um den schwelenden Herd, der mich schwitzen machte, und der Dolmetsch begann die Unterhaltung. Als ich das Alter des fünfzigjährigen Weißbartes erfahren hatte – ich glaubte jünger auszusehen als er –, ließ ich ihn fragen, für wie alt er mich hielte. Er betrachtete mich aufmerksam und sagte: »Gegen dich bin ich ein Jüngling, du bist zehn Jahre älter als ich.« Da das letztere stimmte, konnte ich gegen das erstere nichts einwenden.
Bei dem Verhör, das nach ihrer Einbringung mit ihnen vorgenommen worden war, hatten sie übereinstimmend ausgesagt: sie wären eingeschifft worden, ohne den Zweck und das Ziel der Reise zu kennen; während der Fahrt erfuhren sie, man hätte sie in Ägypten nötig; dann hieß es, die Reise ginge nach Malta; und im Mittelländischen Meer sagte man ihnen, daß England von den Deutschen in hinterlistiger und treuloser Weise mit Krieg überfallen worden wäre, und daß sie als redliche Söhne Indiens der Mutter Britannia tapfer beispringen müßten. Und jeder müsse sich hüten, lebendig in die Hände der Deutschen zu geraten, denn die Deutschen martern die gefangenen Feinde, zwingen sie, Schweinefleisch und andere unreine Dinge zu essen, stechen ihnen die Adern auf und schneiden ihnen die Hälse ab. Um sich vor solchem Schicksal zu bewahren, hatten sie gekämpft bis zum Versagen ihrer Kräfte, mit Messer und Zähnen. Die Wahrheit, die sie bei der sorgfältigen Pflege der deutschen Ärzte erkannten, hatte in ihnen ein frohes Staunen geweckt, hatte sie heiter, zutraulich und vertrauensvoll gemacht. Ich ließ sie fragen, wie sie jetzt über die Mutter Britannia dächten? Die Indier schwiegen. Unter allen guten und liebenswürdigen Zügen, die ich an ihnen beobachtet hatte, gefiel mir dieses vornehme Schweigen am besten. Dann sagte der schöne junge Sikh, mit einer heißen Erregung im braunen Gesicht: »Wir haben den Fahneneid geschworen.«
Beim Abschied reichte mir jeder freundlich die Hand. Und was ich in der Waschküche der Zitadelle von Lille erlebt hatte, gab mir zu denken. Läßt sich von den zehn Männern, die ich da kennen lernte, ein Schluß auf die menschlichen Werte der Millionen ihrer Brüder ziehen, so sind die Indier ein Volk, dem eine bessere, eine freie Zukunft kommen wird und kommen muß.
Als ich von der stillen Zitadelle dem Lärm der Stadt entgegenwanderte, hörte ich aus der nördlichen Ferne den Donner englischer Geschütze. Das war ein Geräusch von unanzweifelbarem Wahrheitscharakter. Man muß gerechterweise zugeben: wenn die Engländer ihre Kanonen reden lassen, lügen sie nicht! Vielleicht kommt das von der Tatsache, daß sie in großen Quantitäten neutrales Pulver beziehen.
An einem der nächsten Tage werde ich bei Hollebeke und Ypern ihre Stellungen sehen. Und heute erfuhr ich noch, daß der englische General einer indischen Brigade, als von deutschen Flugzeugen die Verkündigung des Heiligen Krieges herabgeflattert war, an die mohammedanischen Indier seiner Truppe einen Tagesbefehl des Inhalts erließ: »Es gibt keinen Heiligen Krieg. Die Deutschen sind Betrüger und Lügner. Ihr werdet mit Verachtung auf sie herabsehen, wie der Kluge auf den Dummen!«
Ob dieser wahrheitsliebende General nicht eine Nachblüte des edlen Sir John Falstaff ist, der in England nach glaubwürdigem Zeugnis viele, viele Kinder seines Geistes hinterließ?