Kitabı oku: «Die Geschichte von KISS»
Aus dem Englischen von Paul Fleischmann
Impressum
Die Autoren: Ken Sharp mit Paul Stanley und Gene Simmons
Deutsche Erstausgabe 2014
Titel der Originalausgabe:
„Nothin’ To Lose: The Making Of Kiss (1972–1975)“
© 2013 by Paul Stanley, Gene Simmons und Ken Sharp
ISBN: 978-0-06-213172-0
Published by arrangement with It Books, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.
All rights reserved.
Umschlagdesign © Christopher Truch
Foto Buchvorderseite © Len DeLessio
Foto Buchrückseite © Norman Seeff
Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com
Übersetzung: Paul Fleischmann
Lektorat: Rainer Schöttle
Korrektorat: Simone Blass
© 2014 by Hannibal
Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen
ISBN 978-3-85445-444-1
Auch als Hardcover erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-443-4
Hinweis für den Leser:
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Widmung
Für Bill Aucoin, Neil Bogart
und Sean Delaney –
ohne sie hätte es diese Geschichte vielleicht nie gegeben.
Inhalt
Einleitung
1: Schicksalhafte Begegnung
2: Erste Schritte
3: Irgendwo in Manhattan
4: Überlebensgroß
5: Nichts zu verlieren
6: Queens Boulevard
7: Auf ins Daisy
8: Lippenstift und Attitüden
Bildstrecke 1
9: Gotham City
10: Rock Steady steigt ein
11: Ganz oder gar nicht
12: Auf dem Weg nach Casablanca
13: Drei, zwei, eins, Zündung!
14: Große Erwartungen
15: Spitzt eure Lippen
16: Im hohen Norden
17: Im Radio
18: Kissin’ Time
19: Barbaren in schwarzem Leder
20: Immer auf Achse
21: Am Tiefpunkt
22: Schmutzige Geschäfte und die Trennung von Bugs Bunny
23: Grabenkämpfe
24: Die „Dartscheiben-Tour“
25: Gute Zeiten, schlechte Zeiten
26: Heavy Metal Masters
27: Hinter den Kulissen
Bildstrecke 2
28: Machtspiele
29: Mediales Getöse
30: Rockin’ in the USA
31: Die kritische Masse
32: Auf Biegen und Brechen
33: Schnappschüsse für die Ewigkeit
34: Auf dem Vormarsch
35: Die heißeste Band im Land
36: Am Ende des Regenbogens
Personenverzeichnis
Danksagungen
Einleitung
Ein Mensch wird nicht nur daran gemessen, wie hart er arbeitet, sondern auch daran, wie gross seine Träume sind …
„Bevor Großes entsteht, muss Chaos herrschen. Bevor eine herausragende Person etwas Großes beginnt, muss sie unter den vielen wie ein Narr wirken.“
I Ging
„Gehe nicht, wohin der Weg führen mag. Gehe stattdessen, wo kein Weg noch ist, und hinterlasse eine Spur.“
Ralph Waldo Emerson
Vor vierzig Jahren kreuzten sich die Wege von Paul Stanley, Gene Simmons, Ace Frehley und Peter Criss, und in einer stürmischen Mischung aus Aufbruchstimmung, übermäßigem Ehrgeiz und glücklicher Fügung ließen sie KISS entstehen. Gekleidet in mit Nieten übersätem schwarzem Leder, gestylt mit Lippenstift und Theaterschminke schufen sie jenen grollenden Sound – zu Texten, in denen viel von jugendlicher Angst, Frustration und Lust die Rede war –, der zum Soundtrack von mittlerweile mehreren Generationen von Fans wurde. KISS veränderten buchstäblich das Antlitz des Rock ’n’ Roll. Sie erfanden das Livekonzert mit Event-Charakter und definierten es als Experience. Ihr werdet es schon oft gehört haben: „Ihr wolltet das Beste, und ihr bekommt die allerbeste, heißeste Band im ganzen Land …“ Das war damals ihr Schlachtruf und blieb es bis heute. Während sie ihren eigenen Weg zum Status von Superstars beschritten und sich rings um sie herum die musikalischen Trends, die Mode und Geschmäcker stets veränderten, wurden KISS zur großartigen Verkörperung einer wahren amerikanischen Erfolgsstory, gebaut auf Herzblut, Schweiß und der ganzen Herrlichkeit des Rock and Roll.
Heute sind KISS viel mehr als eine erfolgreiche Rockband. Sie sind Teil der amerikanischen Popkultur und stehen in einer Reihe mit Legenden wie Elvis Presley, James Dean und Marilyn Monroe. Nicht nur die Mitglieder von KISS sind Ikonen, nein, KISS an sich ist eine Marke mit höchstem Wiedererkennungswert. Ihr Warenangebot, das inklusive KISS-Sarg und Flipperautomaten über dreitausend offiziell angebotene Produkte umfasst, hat der Band im Lauf der letzten 35 Jahre über 500 Millionen US-Dollar an Merchandising-Verdienst und Lizenzgebühren eingebracht. Überall zwischen Tokio, dem Roten Platz in Moskau und New York City werden KISS universell als überlebensgroße Musikgestalten angesehen – was angesichts ihrer bescheidenen Anfangstage wohl niemand vermutet hätte.
Am 30. Januar 1973 gaben KISS ihr erstes Konzert in einem verwahrlosten Rattenloch namens Coventry im New Yorker Stadtteil Queens. Der Eintritt kostete eine Handvoll Dollar, und die Band hatte Glück, dass überhaupt ein paar Leute auftauchten. Aber es war eben, ähnlich wie bei den Beatles der Cavern Club in Liverpool, diese enge, schäbige Location, die KISS ihre ersten Live-Auftritte ermöglichte. Mit trotzigem Selbstvertrauen ausgestattet, hatte die Band nie irgendwelche Zweifel daran, dass sie es schaffen würde. Und so spielten sie schon ihre frühen Gigs mit derselben Inbrunst, als würden sie auf der Bühne im ausverkauften Madison Square Garden stehen – wo sie tatsächlich innerhalb von nur vier turbulenten Jahren landen sollten. Wild entschlossen, den Durchbruch zu schaffen, koste es, was es wolle. KISS hatten große Visionen, und sie hatten den Schwung und den Ehrgeiz, diese Träume wahr werden zu lassen. Ihre Mission war simpel: Sie wollten die Welt erobern. Aber der Weg an die Spitze war ein steiniger. Sie wurden von Kritikern verrissen und galten bald als Staatsfeind Nummer eins für eine ganze Armee besorgter Eltern. Doch allen Widrigkeiten und Schikanen zum Trotz vollbrachten vier gewöhnliche Musiker das Unmögliche und wurden international bekannte Rockstars. Lange bevor KISS den Status von Megastars erreichten, die mehrere Abende hintereinander den New Yorker Madison Square Garden füllten und vor brechend vollen Stadien in Australien und Brasilien auftraten, brachte die Band in ihren Gründungstagen – in denen sie in Absteigen wie dem Coventry in Queens, dem Daisy in Amityville auf Long Island sowie dem Hotel Diplomat in New York City spielte – die Saat aus, die sie, als sie schließlich aufging, zu einer der populärsten und am längsten bestehenden Rock-’n’-Roll-Gruppen machen sollte.
Denkt einmal darüber nach. Die Chancen, ein großer Rockstar zu werden, stehen eine Million zu eins. Für eine Band, deren Mitglieder sich schminken und in die unglaublichsten Kostüme hüllen, sodass sie wie intergalaktische Aliens mit Gitarren aussehen, stehen die Chancen noch denkbar schlechter, und das lässt den sensationellen Aufstieg von KISS im Jahr 1975 erst recht wie ein Wunder erscheinen.
Die KISS-Saga ist alles andere als eine klassische Blitzerfolgsstory. Ihre Geschichte handelt von Kampf, Zähigkeit und Willenskraft, von Widerstandsfähigkeit, unerbittlicher Arbeitsmoral und von dem unbedingten Ehrgeiz, Ziele in die Tat umzusetzen. Ihr Erfolg ist eine nachhaltige Verkörperung des Amerikanischen Traums. In Rekordzeit schafften KISS das Unglaubliche. Obwohl sie von Kritikern als Eintagsfliege verunglimpft und von vielen als ein Witz angesehen wurden, machte die Band unermüdlich weiter, unbeirrbar in dem Glauben, dass der Status kolossaler Rockstars nur auf sie wartete. In weniger als drei kurzen Jahren ließen sie Auftritte vor weniger als zehn zahlenden Zuschauern in dubiosen Clubs in Queens weit hinter sich und spielten in ausverkauften Stadien überall in Amerika. Ihr viertes Album, KISS Alive!, welches das Versprechen, das sie mit ihren ersten drei Studioplatten gegeben hatten, halten sollte, verkaufte sich über vier Millionen Mal. Die phänomenale Single-Auskoppelung, eine Live-Version von „Rock and Roll All Nite“, wurde ein Smash-Hit und markierte einen bedeutenden Meilenstein in ihrer Karriere. Tag für Tag wuchs das Fußvolk des KISS-Heeres, und die Band zementierte ihren hart verdienten Ruf als eine der am härtesten schuftenden und erfolgreichsten Gruppen des Genres.
Um einen Einblick in die künstlerische Welt eines Musikers zu erhalten, müssen wir seine Ursprünge, seinen Werdegang und sein Umfeld unter die Lupe nehmen – denken wir etwa an den kometenhaften Aufstieg des ehemaligen Fernfahrers aus Memphis namens Elvis Presley oder an die prägenden Jahre der Beatles in Hamburg, wo sie ihr Repertoire verfeinerten und erweiterten.
Genauso verhält es sich mit KISS. Ihre Geschichte erzählt von vier Einzelpersonen, die beinahe nichts gemeinsam hatten und feurigen Hardrock mit stylisher Pose vermengten, wofür sie als unerhört, lächerlich und albern gebrandmarkt wurden. Doch trotz ihrer Fehler und Entgleisungen, trotz ihrer verpassten Möglichkeiten und Fehltritte erklommen sie schließlich den Olymp als weltweite Superstars.
Wir haben mit der Band gesprochen, ihrem Manager Bill Aucoin, ihren Produzenten, Tontechnikern, der Road-Crew, Clubbesitzern, Bands, mit denen sie tourten, Konzertveranstaltern, Booking-Agents, Kostüm- und Bühnendesignern, PR-Leuten, Fotografen, Art-Designern, Musikautoren und Vertretern von Plattenfirmen, Radiostationen, Management, Marketing und Plattenhandel, die die Band auf ihrem kometenhaften Aufstieg begleiteten. Dies ist ihre bemerkenswerte Geschichte.
Als die Siebzigerjahre begannen, lösten sich die Beatles auf. Der Nachhall des albtraumhaften Altamont Music Festivals, bei dem dreihunderttausend Fans Zeugen wurden, wie der Konzertbesucher Meredith Hunter von durchgeknallten Hell’s Angels während des Auftritts der Rolling Stones erstochen wurde, markierte gleichzeitig den Zapfenstreich für die Ära von „Love and Peace“ und den Anfang eines härteren, kompromissloseren Jahrzehnts. Richard Nixon zog ins Weiße Haus ein. Die Frauenbewegung schwappte durchs Land mit Gloria Steinem an vorderster Front. Die Sitcom All in the Family – eine bissige TV-Serie, die gesellschaftliche Sitten, verkörpert durch den ebenso großmäuligen wie bigotten Patriarchen Archie Bunker, aufs Korn nahm – war der Quotenrenner schlechthin.
Die Musik hatte eine lange Entwicklung durchgemacht seit der unschuldigen Pop-Überschwänglichkeit der Beatles, dem Protest-Folk eines Bob Dylan und den LSD-schwangeren Acid-Rock-Eskapaden von Jefferson Airplane, Quicksilver Messenger Service, Moby Grape und Grateful Dead. Angeführt von englischen Bands wie Yes, Genesis, King Crimson und Emerson, Lake & Palmer war Progressive Rock der letzte Schrei und stand für virtuose Instrumentierung und vertrackt strukturierte Songs. Die sonnigen Gefilde Südkaliforniens waren das Epizentrum für die Bewegung der Singer/Songwriter. Der bahnbrechende Multiplatin-Erfolg von Carole Kings Album Tapestry öffnete sanften Troubadouren mit akustischen Gitarren wie etwa James Taylor, Cat Stevens, Joni Mitchell, Jackson Brown, Jim Croce und Harry Chapin die Türen.
In England nahm eine musikalische Revolution langsam Form an. Angeführt von David Bowie, Slade, T. Rex sowie Mott the Hoople explodierte ein neues Genre namens Glam Rock, ein wahres Pulverfass von unverblümter Symbolik, androgyner Sexualität und futuristischem Songwriting. In den Staaten hingegen war eine rotzige Proto-Punk-Bewegung in vollem Schwange. Bands wie die New York Dolls, MC5 und Iggy & the Stooges führten diese Angriffswelle an, warfen musikalische Granaten und nahmen ihre Hörerschaft mit einem Arsenal an rüpelhafter Anarchie, roher Rebellion und genüsslichem Exzess unter Sperrfeuer. Alice Cooper machte Anleihen bei der reichen Tradition des Pariser Grand-Guignol-Theaters und fand so seine eigene Nische im Rock-’n’-Roll-Kosmos – und trieb dabei die konservative Mittelschicht gekonnt vor sich her. Seine Musik war wie geschaffen für Außenseiter, ein Überlebensmittel für eine im Brachland jugendlicher Einöde gestrandeter, entwurzelter Teenager, das geschickt Horror-Spektakel mit pulsierenden Hymnen über Rebellion, Frustration und Entfremdung kombinierte.
Inmitten dieser hochgradig schizophrenen Musiklandschaft probte sich eine unlängst gegründete Band namens KISS in einem schäbigen Loft in Downtown Manhattan sieben Tage die Woche den Arsch ab. Angetrieben von unbeirrbarer Hingabe und dem Glauben an sich selbst hatten sie große Erwartungen und noch größere Träume. Verbissen versuchten sie, ihre Vision, eines Tages ihre Gesichter neben Allzeitgrößen wie den Beatles, den Rolling Stones und The Who in den Granit des Mount Rushmore des Rock ’n’ Roll eingemeißelt zu sehen, Wirklichkeit werden zu lassen.
Aber lasst uns noch ein paar Jahre weiter zurückreisen, in ihre Frühzeit, lange bevor sie den Thron der Rock-Unsterblichkeit bestiegen.
1: Schicksalhafte Begegnung
Wir schreiben das Jahr 1970. Nachdem sie ihre Bands aufgelöst hatten, sinnierten der achtzehnjährige Stanley Eisen (später bekannt als Paul Stanley) und der einundzwanzigjährige Gene Klein (der spätere Gene Simmons) über ihre nächsten musikalischen Unternehmungen nach. In der Wohnung von Stephen Coronel in Washington Heights, einem Viertel von Manhattan, griff das Schicksal ein und ließ die beiden einander zum ersten Mal über den Weg laufen.
GENE SIMMONS: Stephen Coronel war mein bester Freund. Wir gingen zusammen zur Schule und spielten gemeinsam in ein paar Bands wie Long Island Sounds, Love Bag und Cathedral.
STEVE CORONEL (FREUND UND EHEM. BANDKOLLEGE VON PAUL UND GENE): 1970 traf ich mich mit Gene in Brooke Ostranders Apartment in New Jersey und besprach mit ihm, eine Band zusammenzustellen. Wir brauchten einen Leadsänger: einen Typen, der singen und spielen könnte. Ich versuchte, mir jemanden einfallen zu lassen, auf den dies zuträfe.
PAUL STANLEY: Ich war mit Stephen in einer Band namens Tree gewesen. Das waren ich, Stephen als Leadgitarrist, Marty Cohen am Bass und Stan Singer an den Drums.
GENE SIMMONS: Ich sah sie in einem Underground-Club in der Nähe von Harlem, und der Rhythmusgitarrist, ein Typ namens Stanley Eisen, hatte es mir angetan. Er sang „Whole Lotta Love“ und „All Right Now“; es klang sehr überzeugend. Er hatte die richtige Haltung auf der Bühne, sah gut aus und sang mit einer hohen Stimme wie Robert Plant.
STEVE CORONEL: Mir fiel Stan ein, als ich überlegte, wer für diese neue Band infrage kam. Ich sagte zu Gene: „Ich mach dich mal mit diesem Typen namens Stan bekannt.“ Ich rief ihn an und sagte: „Gene und ich wollen uns mit dir treffen.“ Das war im Spätsommer 1970 – im August, glaube ich –, und ich arrangierte ein abendliches Treffen in meiner Wohnung in Washington Heights, in meinem Wohnzimmer. Alle Wände hatte ich mit glänzend schwarzer Farbe ausgemalt. Für 1970 sah das ziemlich funky aus.
NEAL TEEMAN (PAUL STANLEYS FREUND UND BANDKOLLEGE BEI UNCLE JOE): Stellt Euch Ozzy Osbourne in voller Blüte vor. So sah Gene aus. Er kam echt heftig rüber und trug einen schwarzen Mantel, den er nie auszog.
GENE SIMMONS: Ich wohnte in South Fallsburg [New York]. Ich war groß und kräftig gebaut. Damals hatte ich einen Bart, trug Overalls und wog um die zwei Zentner. Ich war nicht unbedingt fett, nur einfach ziemlich groß.
STEVE CORONEL: Ich erinnere mich noch daran, wie Gene und ich eines Tages auf Stan Eisen warteten. Mit beiden hatte ich schon in Bands gespielt, wusste aber nicht, wie sie miteinander auskommen würden. Als ich die Tür öffnete, stand Stan da und wartete darauf, hereingebeten zu werden. Er sagte „Hi!“ und sah an mir vorbei in Richtung Gene, der gegen einen Heizkörper gelehnt am Fenster stand. Ich hatte meine rote ’64er Gibson ES 330 hervorgeholt. Gene lehnte sich dann gegen das Bett, das sich etwa einen Dreiviertelmeter über dem Boden befand, weil ich es auf zwei Marshall-Boxen gestellt hatte. Stan war sehr höflich. Er kam ins Zimmer und ging ums Bett herum, um Gene kennenzulernen.
GENE SIMMONS: Stephen sagte: „Gene, das ist Stanley Eisen; er schreibt auch Songs.“ Ich hatte gedacht, ich wäre der Einzige auf der Welt, der Songs schrieb. Ich war so von mir überzeugt, weil ich mir selbst Gitarre und Bass beigebracht hatte und sogar eigene Songs schrieb, dass ich dachte, ich wäre der erste Mensch, der dies jemals vollbracht hätte.
STEVE CORONEL: Sie lächelten, gaben sich die Hand und begannen sich darüber zu unterhalten, dass sie einander schon bei Auftritten ihrer jeweiligen Bands gesehen hatten. Ich stand dabei, blickte von einem zum anderen und moderierte quasi, um die Sache voranzutreiben. Stan mochte The Move und Gene die Beatles. Ich wartete ab, wie der von mir empfohlene Stanley auf Gene wirkte.
GENE SIMMONS: Ich sagte zu ihm: „Zeig mir, was du drauf hast.“ Ich glaube, das hat ihm nicht gefallen. Er hielt mich wohl für arrogant.
STEVE CORONEL: Stan schnappte sich eine Gitarre und spielte ein paar seiner Songs und einen von The Move, den wir überhaupt nicht kannten. Einer seiner eigenen Songs, „Sunday Driver“, war sehr von The Move beeinflusst. Der klang ziemlich gut.
GENE SIMMONS: Ich mochte „Sunday Driver“ und war hingerissen, wie gut er konstruiert und wie toll die Melodie war. Der Text klang auf seine Art irgendwie britisch, wie „Eight Days a Week“ oder „A Hard Day’s Night“. Außerdem gefiel mir seine Stimme.
STEVE CORONEL: Stans Songs waren vollständig ausgearbeitet, und er sang sie mit Selbstvertrauen, genau so wie Gene ein paar Jahre vorher, als er Seth Dogramajian einen seiner Songs präsentierte. Ich erinnere mich, wie ich zu Gene rübersah; er hatte seine Arme vor der Brust verschränkt und hörte zu, den Kopf zur Seite geneigt. Ich fand Stans Lieder ziemlich gut. Genes Songs waren sehr an Pop und Fantasy orientiert. Seine Melodien waren alle in Dur und irgendwie eklektisch. Gene dachte dabei nicht an bluesigen Hardrock-Gesang. Die meisten Bluesrock-Leadsänger gingen anders an ihre Musik heran als Gene damals, und so war Stanley Eisen für Gene und mich eine ziemliche Offenbarung.
NEAL TEEMAN: Dann spielte Gene ein paar Songs. Als er sang, schrie er so laut, als wollte er, dass das ganze Haus ihn hören konnte [lacht].
PAUL STANLEY: Er spielte einen seiner Songs und, ganz ehrlich, ich war nicht sehr beeindruckt. Gene hatte eine sanfte, melodische Stimme, die sich im Laufe der Jahre veränderte. Anfangs war sie viel näher an Paul McCartney, und der wäre er auch gern gewesen. Paul war sein Idol.
STEVE CORONEL: Gene spielte „Stanley the Parrot“ und was er sonst noch so hatte, aber das war alles nicht so toll.
GENE SIMMONS: Paul war nicht gerade beeindruckt von meinen Songs. Sie waren völlig chaotisch.
STEVE CORONEL: Ich hielt Stanleys Zeug für viel besser. Das galt auch für den Gesang. Als Stanley aufhörte zu spielen, sagte Gene ganz nonchalant: „Yeah, das war ganz gut.“ Er war so angepisst, dass es ihm schwerfiel, sich zusammenzureißen. Er bewunderte ihn zähneknirschend, denn Stan war wirklich gut. Ab da begann ihm Genes Benehmen zu missfallen. Gene kann ein bisschen streitlustig werden, wenn er jemanden ausquetscht.
PAUL STANLEY: Der Eindruck, den ich von Gene hatte, gründete vor allem auf seiner Persönlichkeit, und die gefiel mir nicht besonders.
GENE SIMMONS: Paul mochte mich gar nicht. Er hielt mich für arrogant, so auf die Art: „Was denkst du eigentlich, wer du bist?“ Ich konnte es einfach nicht begreifen, dass jemand außer mir die Eier hatte, sich hinzustellen und zu sagen: „Oh, ich schreibe auch Songs.“ Ich war nicht wirklich unfreundlich, aber ich hatte so viel Selbstvertrauen, dass es mich gegenüber anderen Leuten abstumpfen ließ. Meine Selbstwahrnehmung hatte auch damit zu tun, dass ich ein Einzelkind war. Ich kam aus einem anderen Land, wuchs ohne Brüder und Schwestern auf, die mir den Rücken gestärkt hätten. Meine Mutter hat die Nazi-KZs im Zweiten Weltkrieg überlebt. Mein Vater verließ uns schon früh. Ich hatte keinerlei moralische Unterstützung, und meine Mom arbeitete von früh bis spät. Das soll keine Entschuldigung sein. Du lernst mit der Zeit, dass du es nur zu was bringen kannst, wenn du dich zusammenreißt und hart arbeitest.
PAUL STANLEY: Freundschaften, die über sehr lange Zeit bestehen, beginnen manchmal damit, dass man erst einmal eine echt starke Aversion gegen den jeweils anderen empfindet. Wir verstanden uns einfach nicht, aber eigentlich war mir das auch egal. Ich schlief deswegen nicht schlecht oder so.
STEVE CORONEL: Als Stan gegangen war, diskutierten wir alles. Es lag für mich auf der Hand, dass Gene gegenüber Stan so einige Vorbehalte hatte, aber ich fand, dass die Kritikpunkte, die er vorbrachte, größtenteils unbegründet waren. Für mich lief eigentlich alles darauf hinaus, dass Stan eine Bedrohung für Genes Selbstverständnis als Musiker darstellte.
NEAL TEEMAN: Ich erinnere mich, dass ich nach diesem Treffen mit Paul im Auto nach Hause gefahren bin, und er sagte: „Wow, wer zum Geier glaubt er eigentlich, dass er ist?“ Er war wirklich angewidert von ihm. Paul war mit einem guten Gefühl zu diesem Treffen gegangen, und Gene benahm sich, als wäre es ein Wettbewerb, so in der Art: „Ich kann dich schlagen.“ Ich glaube, das störte Paul.
PAUL STANLEY: Ich mochte ihn nicht, und ich sagte zu Steve, dass ich kein Interesse daran hätte, zusammen mit ihm zu spielen. Aber dann begannen wir damit, unsere Probleme auszuräumen, und mit der Zeit findest du heraus, wer die andere Person tatsächlich ist. Wenn sich zwei Steine lange genug aneinander reiben, schleifen sie sich schließlich glatt, und alle Kanten werden abgetragen. Um mit jemandem zu arbeiten und eine lange Beziehung zu pflegen, so wie mit einem Bruder, muss man wissen, wo man die Grenzen zieht.
STEVE CORONEL: Paul und Gene sprachen ein paar Tage später miteinander und kamen zu dem Ergebnis, dass es genug Platz für beide in einer gemeinsamen Gruppe gäbe. Weder Gene noch ich spielten viel außerhalb eines kleinen Zirkels von einer Handvoll Musiker, und keiner von denen schrieb Songs. Die Begegnung mit Stan war daher etwas Neues für uns. Gene musste akzeptieren, dass es außer ihm noch jemanden gab, der schreiben, spielen und singen konnte. Bis dahin hatte sich Gene, gleich nach den Beatles vielleicht, als die talentierteste Person unter der Sonne gefühlt. Wir riefen Stan an und fragten, ob er sich noch einmal mit uns treffen würde, zusammen mit Brooke Ostrander, einem Keyboarder, den Gene kannte, um zu quatschen und gemeinsam zu jammen. Wir trafen uns in Brookes Wohnung in New Jersey und verstanden uns prima. Stan freute sich, wieder in einer Band zu sein und jemanden zu haben, der im Wechsel mit ihm die zweite Stimme singen würde. Gene gefiel die Zusammenarbeit mit Stan, und er zeigte keine Anzeichen von Ego-Problemen mehr. Letztendlich konnten sie gut zusammenarbeiten, weil beide mit großem Ernst bei der Sache waren. Ihre musikalischen Fähigkeiten ergänzten sich. Einer konnte die Leadstimme übernehmen, während der andere die zweite Stimme beisteuerte, und sie konnten sich dabei abwechseln. Sie feilten an diesem Wechselspiel im Loft in der Canal Street. Wir trieben auch viele Späße. Das gehörte einfach zur Entwicklung ihrer Beziehung; wir haben sehr viel gelacht. Ihr origineller Sinn für Humor entwickelte sich langsam. Das ist es ja gerade, warum es solchen Spaß macht, in einer Band zu spielen: die Freude am kreativen Arbeiten sowie das Herumprobieren. Du gehst die Straße runter und du weißt, dass du zu einem engmaschigen Team gehörst. Und dann waren da noch der gemeinsame Background – aufgewachsen in Queens, jüdische Herkunft – und außerdem die gemeinsamen musikalischen Vorlieben.
GENE SIMMONS: Paul und ich bevorzugten dieselbe Ästhetik, teilten dieselben Ideale und hatten die gleiche Arbeitsmoral, aber ansonsten waren wir verschieden wie Tag und Nacht. Wir sind wie die zwei Seiten derselben Münze. Als wir begannen, miteinander zu arbeiten, erkannte ich ihn als ein wichtiges Puzzlestück an. Paul glaubte daran, dass er es schaffen würde, und das gefiel mir.
PAUL STANLEY: Für uns beide war der Erfolg wichtiger als alles andere. Gene war schlau und ehrgeizig und bereit, hart zu arbeiten, um etwas zu erreichen, anstelle nur darüber zu reden. Intelligenz und Tatendrang bringen einen weiter als reines Können ohne Orientierungssinn. Er war auch offen für Anweisungen und Input, und er war sehr talentiert. Zwei, die zusammenarbeiten, nicht nur als Einzelpersonen nebeneinander her, multiplizieren ihre Talente exponentiell und leisten so viel mehr. Es ist viel, viel schwerer, gewisse Ziele in die Tat umzusetzen, wenn man allein ist. Als Team gewinnt man das Spiel.
Stephen Coronel, der Mann, der Gene Simmons und Paul Stanley miteinander bekannt machte. Americana Hotel, New York City, 1979 Ken Sharp