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Kitabı oku: «Hann Klüth: Roman», sayfa 8

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IV

Es war ein sehr einfaches, beinahe ärmliches Stübchen, in dem der Konsul Hollander an diesem Neujahrsmorgen seinem Hamburger Vertreter auf einem derben Holzstuhl gegenübersaß. Er selbst steckte noch in seinem weiten orientalischen Schlafrock, unter dem sich die weißen Unterhosenbänder lustig über ausgetretene grüne Pantoffeln herabschlängelten; auf dem Haupte trug er eine schwarzseidene Mütze, und von Zeit zu Zeit fuhr er sich verdrießlich über seine unrasierten, stoppeligen Wangen, als ob er sich heute ganz besonders unbehaglich fühle. Und doch hatte er nicht den geringsten Grund zu dieser üblen Laune. Befanden sich doch die Abrechnungen des jungen Herrn mit dem hübschen braunen Schnurrbart und der streng englischen Toilette in bester Ordnung. Und wenn auch die Reisespesen des Vertreters ungewöhnlich hoch waren – »Schockschwerenot – nobel, nobel,« murmelte der Konsul, während er heftiger seine Stoppeln rieb, so brachte er doch auf der anderen Seite Abschlüsse und Bestellungen für die Werft heim, wie sie der Chef schon so lange nicht mehr in Händen gehalten hatte.

»Sieh mal an! – Die asiatische Linie bestellt also doch den Sechstausend-Tonnen-Schraubendampfer? Hm – und die Holländische Heringskompanie zehn Fischerkutter!? Puh – schockschwerebrett.«

Dem Konsul träufelte das Auge. Er wischte es mit der Hand und sah wieder auf das Blatt. Aber die Bestätigungen der Abschlüsse blieben stehen; aufrecht, in der schönen, lateinischen Schrift Brunos verzeichnet.

»Merkwürdig.«

Und wieder blinzelte der Werftbesitzer über das Blatt fort auf seinen jungen Untergebenen, der ihm so frisch und adrett gegenübersaß, und wieder faßte ihn die Unbehaglichkeit so stark, daß er sich fast die Backe wund rieb.

»Akzeptable Preise,« murmelte er von neuem und spuckte aus. Dann warf er die Papiere auf den schmalen Klapptisch, der seinem Feldbett gegenüber an der Wand angebracht war, und fuhr seinen Angestellten mit voller Grobheit an.

Länger konnte er sich nicht mehr bändigen.

»Sagen Sie mal, wie machen Sie das eigentlich?«

»Wie ich das mache, Herr Konsul? Ich verstehe nicht recht.«

Um Brunos frische Lippen zuckte ein Lächeln. Hollander verzog die Stirn.

»Mir ist ganz ernsthaft zumute. Ich meine, wie alt sind Sie denn nun eigentlich mit der Wurzel?«

»Vierundzwanzig, Herr Konsul.«

»Nicht zu glauben – also ganze vierundzwanzig – So!? – Kuck mal an! Ja, hat sich denn im Ernst die Welt so verjüngt, oder sind Sie wirklich der Ausnahmemensch, für den Sie sich ja, wie ich Ihnen früher immer gesagt habe, heimlich halten?«

Bruno blieb ruhig sitzen, während der Konsul mit flatternden Hosenbändchen in der Stube auf und nieder schlurfte. Und doch färbten sich die Wangen des jungen Mannes glühend rot, seine Augen erhielten förmlich einen fieberischen Glanz, denn jetzt äußerte endlich, endlich, der grobe, massive Mann dort offen und ehrlich, was während Brunos langer Lehrzeit stets wie eine kalte Wolke zwischen ihnen gelagert hatte. Dieses stille, heimliche, lauernde Mißtrauen, das sich vergrößerte, je schneller und überraschender sich die spielende Tüchtigkeit des Lehrlings entfaltete, je mehr ihn die anderen Angestellten bewunderten und anstaunten. Aber warum? Warum? Das konnte sich Bruno, den es stets mit Gier, mit Unabwendbarkeit vorwärts gezogen, auch heute nicht entschleiern.

Glühend rot überzog es seine Wangen, mit zitternder Stimme und lächelndem Munde sagte er: »Herr Konsul, Sie sagen mir das in der ersten Stunde meiner Heimkehr von dem Posten, auf den Sie mich selbst gestellt. Ich muß also annehmen, daß ich niemals Ihre volle Zufriedenheit besessen habe und sie auch heute noch nicht besitze.«

Der Konsul blieb stehen, zupfte abgewandt an seinem Bett herum, klappte mit den Pantoffeln und schlug endlich ungeduldig auf das Kopfkissen. – »I was, Zufriedenheit,« knurrte er barsch heraus. »Was brauchen Sie sich aus meiner Zufriedenheit zu machen? – Sie leisten ja das Ihrige. – Das ist es eben. – Na, ich muß mir mal Luft machen, Sie nehmen mir das nicht übel, oder, wenn Sie's tun, dann kann ich mir auch nicht helfen. – Also kurz und gut, Sie leisten genug, verstehen Sie, ich meine, was den Erfolg betrifft; diese beiden Abschlüsse zum Beispiel hier, besonders der aus Holland, an dem haben andere Angestellte von mir durchaus vergebens herumgedoktert; aber Sie? – Sie kommen einfach und haben so eine Art, den Leuten Geschichten vorzuerzählen, die Vorsichtigsten so zu blenden, daß – «

Bruno klopfte das Herz. Was er da von seinem Charakter vernahm, erschreckte ihn unwillkürlich: »Herr Konsul,« unterbrach er stockend, »Sie wollen mir doch nicht vorwerfen, daß ich Ihre Kunden durch lügenhafte Berichte täusche?« Seine Rechte schloß sich dabei krampfhaft um die Ledermappe.

»I bewahre, fällt mir gar nicht ein,« fuhr der Werftbesitzer fort, während er wieder auf das Kissen schlug – »Lügen!? – I wo, so dumm werden Sie doch nicht sein. Nein, aber Sie besitzen so eine Einbildungsgabe, so eine – na, wie drück' ich mich aus? – solch eine Kraft in Ihren Schilderungen, daß Sie einen ordentlich zwingen, alles das zu sehen, was Sie sich selbst dabei vorgestellt haben.«

»Und das wäre etwas so Schlimmes?« brachte Bruno staunend hervor.

Er wollte die Achsel zucken. Aber er vermochte es nicht. Immer enger und drückender legte sich ihm die Unruhe ums Herz, ein leises Frösteln überlief ihn. Er konnte sich durchaus nicht mehr zwingen, alles das kindisch zu finden, was der verbitterte Mann dort vorbrachte.

»Schlimmes?« wiederholte Hollander ärgerlich, wandte sich nach ihm um und ließ sich schwerfällig vor dem jungen Mann auf den Holzstuhl nieder. »Ja, das weiß ich auch nicht. – Es ist vielleicht nur der Anfang. Ich will Ihnen, lieber Klüth, mal ganz reinen Wein einschenken. Während Ihrer ganzen Lehrzeit hab' ich Sie beobachtet. Das wissen Sie. Und da frage ich Sie: Haben Sie jemals ordentlich gearbeitet? – Nein! War auch nicht nötig. Ihnen ist alles angeflogen. Warenkenntnisse, technische Erfahrung, Handelsrecht, Sprachen und so weiter! Alles so im Handumdrehen! Von einem Posten zum anderen sind Sie aufgerückt. So im Flug – wenn auch heimlich gegen meinen Willen. – Aber ich konnte nicht recht was Stichhaltiges dagegen einwenden. Und nun kommen Sie nach der Hamburger Vertretung, die auch gut ausgefallen ist – sehr gut sogar, in mein Geschäft zurück, und wenn mich nicht alles trügt, dann haben Sie es jetzt auf die Prokura abgesehen. Sie möchten also jetzt mein Vertreter werden, dessen Unterschrift gilt wie die meinige. – Nicht wahr, Sie wollen jetzt auch unterzeichnen: >Johann Christian Hollander<? Sagen Sie mal aufrichtig, Klüth – ist es nicht so?«

Bruno sprang auf. Er fühlte, daß er an sich halten müßte, daß nur kalte, geschäftliche Nüchternheit hier zum Ziele führen könnte, allein die verletzende Art des Mannes, sein unverhohlenes Mißtrauen, das den Jüngeren all die langen Jahre hindurch immer und immer wieder aus diesen grauen Augen umlauert hatte, das ließ ihn jetzt alle Mäßigung vergessen. Was hatte er auch zu fürchten? Was sich vorzuwerfen? Waren nicht alle seine Gedanken stets auf den Vorteil dieses alten Sonderlings und seines Geschäftes gerichtet gewesen?

Mit vollem Feuer, mit blitzenden Augen sprang er auf, und lauter und kräftiger, als wohl je ein Angestellter dem alten Hollander eine Antwort zu erteilen gewagt, rief er mit heißer, zorniger Stimme: »Ja, Herr Konsul, da wir nun einmal so weit halten, so sind mir die möglichen Folgen auch gleichgültig. Jetzt sollen Sie es wenigstens erfahren. Ja, die besten Jahre meiner Entwicklung haben Sie mir verbittert. Sie allein. – Nie ein Wort der Anerkennung, immer dieses Herumspähen, als hätte ich keinen anderen Gedanken, als gelegentlich einmal Ihre Kasse auszuplündern – «

»Klüth,« rief der Alte dazwischen, doch der andere achtete nicht darauf.

»Ich kann Ihnen nur sagen: daß ich darüber nicht wirklich schlecht, nachlässig und ein Duckmäuser geworden« – hier erhob sich die Stimme des Heimgekehrten höher, und er trat heftig einen Schritt auf den Werftbesitzer zu, der unbeweglich, mit vorgebeugtem Haupt vor ihm verharrte, »daß ich darüber nicht wirklich ein Duckmäuser geworden, wahrhaftig, das habe ich einzig und allein meiner von Ihnen so geschmähten guten Laune zu verdanken. Sie aber, Sie haben alles getan, um diese Fröhlichkeit zu unterdrücken. Oder glauben Sie, es wäre mir leicht gefallen, wenn Sie mich die ganze Zeit über, die ich in Ihrem Hause lebte, wie einen lästigen Freiesser in meinem Stübchen im Hinterhaus sitzen ließen, während die meisten meiner Kollegen zu den großen und kleinen Festlichkeiten in Ihrer Familie hinzugezogen wurden? Wie oft hab' ich Tanzmusik gehört und hab' allein gesessen. Das hat mich heiße Tränen gekostet. Heute können Sie es erfahren. Das vergaß ich Ihnen nicht, Herr Konsul.«

Die Stimme des Aufgeregten zitterte, seine Brust hob und senkte sich, und der Prinzipal konnte wahrnehmen, wie Tränen in seinen Augen aufstiegen.

Der Alte knurrte etwas, das wie »Dummheiten« klang, doch man sah, daß er noch mehr hören wollte. Eine Weile herrschte Ruhe in dem kleinen Raum. Beide musterten sich. Endlich hob der Werftbesitzer schief das Ohr, plinkerte mit den Augen und fragte scharf und halb spöttisch: »Na, und was nun weiter?«

»Was weiter? – Oh, mir bleibt nur die Frage: ob Sie mir jetzt den Grund angeben wollen, warum Sie mir den Prokuristenposten, der mir gebührt, vorenthalten? Oder ob es nicht überhaupt besser wäre, wenn wir diesem unleidlichen Verhältnis lieber gleich ein Ende bereiteten?«

Der Konsul zog die Augenbrauen in die Höhe: »Sie wollen gehn?«

»Ja.«

»Hm!«

Er wandte sich, zog mit den schlängelnden Hosenbändchen zum Fenster und kehrte ihm dort den Rücken. Leise trommelte er an die Scheiben. Nicht lange, dann hörte er hinter sich ein seltsames Geräusch, ein tiefes Atmen, ein Schlucken, schließlich ein gewaltsam gebändigtes Schluchzen. Überrascht kehrte sich Hollander zu seinem Besuch zurück. Doch wenn er die aufflammende Natur seines Lehrlings, die ebenso leicht zu unmäßigen Ausbrüchen der Freude, wie zu wild hervorbrechenden Klagen neigte, nicht von früher gekannt hätte, so würde er nur an den bebenden Lippen Brunos erraten haben, was durch die Seele des jungen Mannes stürmte.

Denn äußerlich stand die feine Gestalt unverändert da, nur die braunen Augen flammten noch, wie vorher, vor innerer Erregung.

Wieder verzog der Alte die Stirn. Dann ging er langsam auf seinen Besuch zu, und wie in fernen Gedanken nahm er den Jüngeren an einem Rockknopf, an dem er ihn während des Folgenden energisch hin und her zupfte: »Na, nun wollen wir's gut sein lassen, Klüth, nun beruhigen Sie sich man vorläufig, Sie – verstehen Sie?« – Und während er ihn noch energischer bewegte, fuhr er brummig fort: »Daß Sie heute mal ausnahmsweise nicht lauter Zucker und Sirup von sich gegeben, daß Sie mir sogar ordentlich Grobheiten ins Gesicht geworfen haben, na, nehmens mir nicht übel, junger Herr, das hat mir bis jetzt am allerbesten von Ihnen gefallen! – Wahrhaftig! – Vielleicht, na, hm – bloß das Pistol auf die Brust setzen kann ich nun mal nicht leiden. Nun passen Sie auf. Ich sag' Ihnen die Prokura nicht ab – nur Zeit zum Überlegen will ich haben. Verstanden? Das muß ich. Zwingen lasse ich mich nicht.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, schritt er wieder an das Fenster, um von neuem an die gefrorenen Scheiben zu pochen. Er schien mit sich zu kämpfen, dann fiel es noch so über seine Lippen, seine Tochter Dina würde heute abend ein paar Bekannte zum Tee bei sich sehen, und daß es ihn, den Konsul, freuen würde, wenn Bruno sich dazu einstellen möchte. Fräulein Dewitz und das kleine Ding, wie heißt sie noch? —

»Line.«

Jawohl, die wären auch da. Auch der ältere Bruder von Bruno, der Predigtamtskandidat.

»Na, kommen Sie nun?« fuhr der Werftbesitzer plötzlich auf, als sein Angestellter noch immer schwieg.

Da bewegte sich der Angeredete und fragte mit fester Stimme, wann er das Definitive über seine Stellung hören würde.

Diese Zähigkeit, dieses kaufmännische Festhalten schienen dem Konsul zu imponieren. Mehrmals nickte er nachsinnend mit dem Kopf, dann schlurfte er auf Bruno zu und klopfte ihm eifrig auf den Arm: »Na gut – sehr schön – sich nicht durch Nebendinge aufhalten lassen – ganz richtig. In vierzehn Tagen bescheide ich Sie. Aber nun machen Sie auch, daß Sie fortkommen, Klüth, ich will nun doch in meine Büxen hinein! – Morjen, ja, ja, schon gut – hol' Sie der Deuwel, Adieu!«

V

Am Vormittag desselben Tages brachte der Diener des Konsuls die Teeeinladung an Fräulein Dewitz. Hinten auf der englischen Karte stand in der schönen, klaren Schrift Dina Hollanders geschrieben: »Fräulein Line kommt natürlich mit.«

»Hörst du, wie nett sie schreibt?« fragte Fräulein Dewitz wohlgefällig, als sie sich in der Küche die Brille abputzte. »Sie ist wirklich ein sehr wohlerzogenes Mädchen. Du mußt ein bißchen auf ihre Manieren aufpassen, denn in diesen Schweizer Pensionaten lernt man das auf das feinste. – Und nun bind' dir die Schürze um, mein Kinding, damit das schöne, blaue Kleid nicht fleckig wird.«

Und während sich die Handarbeitslehrerin in der halbdunklen Ritze umsah, die »Küche« benannt wurde, weil auf einem sehr weißgescheuerten Tische ein Petroleumofen stand, leckte sie sich wieder befriedigt die Lippen und äußerte endlich halb fragend: »Sollen wir nicht die schönen Schnitzel bis morgen aufheben? Bei Hollanders gibt es immer so viel zu essen. – Und man sollte sich vorher den Magen nicht überladen. Was meinst du? – Ja, und was ich noch fragen wollte, was ziehst du dir denn an?«

»Oh,« entgegnete Line wegwerfend, »für wen sollte ich mich da wohl besonders fein machen?«

Die Lehrerin wiegte zweifelnd das Haupt. Allein sie widersprach nicht. Auch ihr war es immer ein heimliches und behagliches Gefühl, die guten Kleider recht lange geschont im Schrank zu wissen.

* * *

Zwischen drei und vier hielt das alte Fräulein im Alkoven ihr Mittagsschläfchen.

Dann herrschte sabbatliche Stille in den blankgescheuerten Räumen. Das Rouleau mit den blauen Bildern war herabgelassen, und hindurch strömte beruhigende Dämmerung. In dieser Stunde schlich Line stets auf Zehen umher, und man hörte nichts, als höchstens einmal das feine Läuten eines Schlittens, der vom Lande durch die Straße klingelte, dazwischen das ruhige Atmen der alten Dame.

Aber, weiß der Himmel, wieso ihr Schlummer heute immer wieder unterbrochen wurde. War es die Aussicht auf den Teeabend im vornehmen Hause des Konsuls, die sie erregte, oder raschelte und rauschte es wirklich so vernehmlich nebenan? Resigniert erhob sie sich nach einer Viertelstunde und öffnete die Tür zum Nebenzimmer.

Verdutzt blieb sie an der Schwelle.

Da bog sich Line vor dem alten Mahagonispiegel hin und her, neben dem sie ein Licht entzündet hatte, um ihre schlanke Gestalt in dem englischen, schwarzen Gewande, das knapp bis an den Hals schloß, besser betrachten zu können. Langsam strichen ihre Hände an der Taille herunter, dann ließ sie weich das Haupt nach hinten sinken. Ihre Brust dehnte sich, ihre Augen schlossen sich, es mußte ein wohliger Traum sein, der das junge Geschöpf entführte.

Fräulein Dewitz tastete nach ihrer Brille, aber sie fand sie nicht. Mein Gott, betrog sie denn der flackernde Lichtschein, oder vollführte Line wirklich dort solch merkwürdige Bewegungen? Der Kopf der alten Dame begann vor Erstaunen leicht zu zittern. »Mein Gott, Lining,« brachte sie endlich hervor, »was machst du denn da?«

Auf den Anruf ging ein unmerkliches Erschrecken durch die Glieder des Mädchens, dann wandte sie sich und um ihre Lippen spielte ihr kindliches, halb verlegenes Lächeln.

»O Tanting, ich wollt' ja nur einmal nachsehn, ob mir das Kleid nicht zu eng geworden. Du meintest doch selbst, daß es bei Hollanders heute so fein zugehn würde.«

»Ja, ja, das wohl.« Fräulein Dewitz schüttelte das Haupt und mußte wieder an die üppigen Bewegungen denken. »Ja, aber ein junges Mädchen sollte doch nicht so eitel sein, ich habe das nicht gern.«

Jetzt flog Line auf sie zu und schlug den Arm um sie: »Tanting, ich wollte dir doch nur einen Gefallen erweisen. Weißt du das nicht?«

»Mir?« Fräulein Dewitz sah ihrer Schutzbefohlenen in das schmale, lebhafte Gesichtchen und wurde versöhnt. Freilich, das war etwas anderes. »Na, denn geh hinaus, mein Kind,« entschied sie endlich, »und mach den Kaffee für uns beide. Nicht zu stark. Aber zuerst puste hier das Licht aus. Das wäre doch wirklich eine Verschwendung.«

* * *

In einem kleinen Stübchen in der Rakowerstraße bei der Drechslermeisterswitwe Wilhelmi wurde gleichfalls über die Einladung zum Konsul Hollander nachgedacht. Da stand der älteste Sohn der Klüths, der Predigtamtskandidat Paul, an dem Fenster und blickte auf die enge, krumme Gasse hinaus.

Draußen schwarzgraue Dämmerung, Schneegewimmel, kein Fußtritt hörbar, nur manchmal tickten härtere Flocken gegen die Scheiben, und vom Fluß stöhnte einmal ein Windzug herauf.

Hinter dem hageren Manne mit den verarbeiteten Zügen saß bei einer einfachen Stehlampe ein elfjähriger Junge am Tisch und schrieb mit kritzelnder Feder emsig aus einem Buch etwas ab. Das war einer der vielen Schüler des Theologen, deren Beaufsichtigung ihm das kärgliche Brot für seine Existenz gewährt hatte.

Jahraus, jahrein immer dasselbe. Es war kein Wunder, daß Paul nicht fröhlicher und umgänglicher bei dieser Lebensweise geworden.

An der Wand raschelte etwas an der Kuckucksuhr. Der hölzerne Vogel sprang heraus und rief seinen fröhlichen Ruf: Sechs Uhr.

Um neun war der junge Geistliche zum Konsul gebeten.

Paul verzog die Stirn.

War es nicht seltsam, daß er erst dort mit seinem zurückgekehrten Bruder zusammentreffen sollte? Daß es nicht Bruno, den einzigen, der ihm aus seiner Familie an Bildung nahestand, vorher allein, vertraulich und brüderlich zu ihm gezogen?

Immer schwärzer sank die Dunkelheit in das enge Gäßchen. Und tiefer und bohrender grübelte Paul in sich hinein. Ja, ja, das war gerade das Merkwürdige in seiner eigenen Natur. Ganz deutlich empfand er, wie fremd seinem Innersten eigentlich all die Mitglieder seiner Familie geworden, dieser lebhafte, phantastische Bruno, diese zierliche, unberechenbare Line, aus der er nicht klug wurde; ja selbst Hann, mit dessen Unbeholfenheit er nur ein heißes Mitleid fühlte, und dennoch – ja, das war es – etwas Tiefes, Zwingendes, Angeborenes trieb, nein, geißelte ihn dazu, in jeder Stunde und mit allen seinen Gedanken unaufhörlich an dieser Familie zu haften, sie zu beobachten, zu warnen, zu fördern, und immer wieder zu erscheinen, um ihre Angelegenheiten zu den seinen zu machen.

So hatte er in all den Jahren trotz seines Widerwillens gegen den grobkörnigen Siebenbrod jede Woche einen Abend in Moorluke bei der Mutter zugebracht, so war er während Brunos Lehrzeit fast täglich mit dem Jüngeren zusammengetroffen, und auch in der blanklackierten guten Stube von Fräulein Dewitz hatte er sich – ein von der Lehrerin besonders geschätzter Gast – häufig eingestellt.

Seine Gedanken irrten weiter.

Warum Bruno wohl nicht kam? – Ob er in der reichen Handelsstadt sich nun völlig dem flotten, eleganten Leben hingegeben, das Paul stets mit Mißbehagen an dem Jüngeren bekämpft hatte? Vielleicht war es dem Heimgekehrten überhaupt peinlich, sich den ewigen Vorhaltungen seines ernsteren Bruders auszusetzen?

Oh, wenn das möglich wäre? – Paul biß sich auf die Lippen, während er immer finsterer in die graue, wirbelnde Dunkelheit starrte – nein, es war vielleicht doch unrecht von ihm, daß er sich nicht gleich aufmachte, um zu ergründen, was aus dem Jüngeren geworden. Er wollte – —

Hinter ihm stockte das Kritzeln der Feder.

Der kleine Quartaner, der bis dahin öfter sehnsüchtige Blicke auf die Wanduhr geworfen, stützte schwermütig den Kopf auf, dann bezeichnete er mit dem Finger eine Stelle in seinem Buche und fragte endlich: »Herr Klüth, ist Semiramis masculinum oder femininum?«

Paul fuhr auf.

»Was? – Was? – Ob die Königin Semiramis – ?«

»Ja, denn im Ostermann steht, Semiramis lebte völlig als ein Mann, und da dachte ich – «

»Semiramis ist eine Frau,« schnitt der Lehrer, dem der Sinn für Humor abging, kurz ab und stellte sich wieder an das Fenster. Allein, die Kette der Gedanken war gerissen. Wilder stäubte der Schnee durch die Straße, deutlicher stöhnte der Wind um die Ecke, und mißtönend kreischte die Feder, die der Quartaner nun – beruhigt über das Geschlecht der Semiramis – wieder emsig über das Papier führte.

Da wurde kurz an die Tür geklopft.

»Herein!«

Und auf der Schwelle stand ein junger Herr in elegantem Pelz und Zylinder.

Paul erkannte ihn nicht. Er wollte auf den Fremden zugehen und nach dessen Begehr fragen, als eine wohlbekannte Stimme an sein Ohr schlug.

»Na, Jünging, wie geht's?«

»Bruno? Du?«

»Ich, Herr Pastor.«

Das klang so jugendlich, so frisch, daß in Pauls sorgendes Herz für einen Augenblick helle Freude einzog. Ohne seine schwere Eckigkeit, ja, mit einer Hast, die er sonst nicht kannte, stürmte er auf den Heimgekehrten zu, als wolle er ihn in die Arme schließen. Doch unmittelbar vor dem feinen Pelzwerk mußte ihn sein starrer Sinn anders belehren. Nur nach der Hand des Bruders griff er, aber hastig, ungestüm, beinahe sehnsüchtig, und es wurde ihm ordentlich warm, als der andere sie mit voller Lebhaftigkeit schüttelte.

»Bruno,« brachte er stammelnd hervor, »lieber Bruder!«

»Ja, ja, altes Haus,« lachte der andere, »jetzt freu' dich mal.«

»Ja, ich freue mich, – ich freue mich.«

Er sah im Moment nicht mehr die elegante Hülle des Jüngeren, die ihn anfangs befremdet hatte, er erkannte nur die gesunden, ihm so lieben Züge des Bruders und zog ihn weiter ins Zimmer.

Der Ankömmling blickte sich verwundert um. Die Kahlheit des Raumes, der Tabaksgeruch und die derben Möbel schienen ihm wenig zu gefallen.

»Wohnst du noch immer so häßlich?« fragte er ein wenig mitleidig, während er dem Theologen gutmütig die Wange streichelte.

Der andere entzog sich der Liebkosung. Dergleichen schien ihm vor seinem Schüler unpassend.

»Häßlich?« fragte er. – »Es ist doch hier alles recht bequem?«

»Na ja, dagegen will ich nichts einwenden,« lenkte Bruno ein und setzte sich auf den Stuhl am Fenster. Ohne den Zylinder abzunehmen, zeichnete er mit seinem Ebenholzstock ungeduldig auf dem Estrich herum. Es sah ganz aus, als wolle er nur wenige Minuten bleiben.

Paul blickte ihn bekümmert an: »Willst du denn nicht ablegen?«

»Natürlich – gewiß – bloß ich dachte – « er deutete auf den Quartaner, der die Ohren spitzte.

»Oh, ich kann ja auch gehen,« stimmte der Pennäler sehr vergnügt zu und begann seine Hefte zusammenzuraffen. Jedoch eine solche Versäumnis widersprach Pauls Pflichtgefühl. Mit ernster Miene bedeutete er seinen Bruder, daß der Schüler unmittelbar vor der Versetzung stehe und daß das tägliche Pensum nicht unterbrochen werden dürfte. Bruno möchte eine kurze Weile entschuldigen. Dann beugten sich Lehrer und Knabe gemeinsam über den Ostermann, und lächelnd vernahm der junge Kaufmann ihr erregtes Murmeln; längst entwöhnte lateinische Brocken schlugen an sein Ohr, und erst als die Thronstreitigkeiten der Semiramis gänzlich entschieden waren und der Kuckuck »sieben« schrie, da durfte Walter Müller nach Hause eilen.

Er verbeugte sich feierlich vor Pauls Bruder, bevor er sich rückwärts aus der Tür zurückzog.

»Gottlob!« atmete Bruno auf, der sich inzwischen seines Pelzes entledigt hatte und sich nun leicht in eine Ecke des Sofas warf. »Gottlob, daß wir diese Pennälerjahre hinter uns haben.«

»Du bist also jetzt zufriedener?« forschte der Theologe, der sich dem Heimgekehrten gegenüber auf einem Stuhl niedergelassen und jetzt die Lampe beiseite schob, um den Anblick des lange Entbehrten voll zu genießen.

»Zufriedener? Gewiß. Was waren das aber auch für magere Jahre, Paul. Denk' bloß mal nach – wenn wir einen Braten zu Hause rochen, das war ja schon ein Festtag.«

»Hm – daran erinnere ich mich kaum.«

»Ja du – und dann bei dem alten Hollander das Gedrücktsein, diese schreckliche Abhängigkeit, nein, gottlob, etwas weiter haben wir es doch gebracht.« —

Dabei streichelte er beinahe liebkosend das Fell des Pelzes, der neben ihm auf der Sofalehne ruhte. Dann strich er sich das Haar zurück und fuhr lebhaft fort: »Paß mal auf – jetzt kommen wir auch einmal an die Reihe.«

»Wieso? Was heißt das, Bruno?«

»Menschenskind, mach' doch nicht solch erstauntes Gesicht – rauchst du?«

Dabei bot er ihm ein feines, schmales Silberetui.

Aber der Kandidat verneinte. Er rauche nur Pfeife.

»Fi!« Bruno verzog die Nase. – »Sieh, das hier sind russische Zigaretten. Die haben das feinste Aroma. So! – Riech' mal bloß, Kerlchen – diese blauen Wolken! Fein! – Was? Ja, und was ich sagen wollte – weshalb sollen wir jetzt nicht mal in die Höhe kommen? Das ist doch ein bekannter Prozeß, die Oberen sterben ab, und die Unteren drängen sich an ihre Stelle.«

Als er das sagte, breitete er die Arme aus, so daß sich seine Brust hob, und die ganze Gestalt reckte sich.

Der Theologe stützte den Kopf in beide Hände und sah den Jüngeren immer forschender an. Noch konnte er sich durchaus nicht in das Wesen des andern hineindenken.

»Erzähl' mir, wie du in Hamburg gelebt hast,« bat er.

Das tat der junge Kaufmann.

Und während er sich immer eine Zigarette nach der anderen entzündete, und während er große Wolken blies, die er dann mit der flachen Hand zerteilte, begann er sich an der eigenen Schilderung zu erwärmen.

Da zog es an dem ängstlich aufhorchenden Bruder in bunten, schillernden Bildern vorüber, das Leben und Walten der großen Stadt, das Getriebe der Börse, die Schiffahrt, die nervenspannende Tätigkeit bei Spekulationen und überseeischen Geschäften, und alles, alles klang aus in den einen Jubelruf, daß der Erzähler jetzt selbst bereits ein Einkommen habe, daß es aber größer werden müßte, und immer größer, und wie er dann seine Familie heben wolle, alle, alle – und daß Geld eine Macht sei, ein Zauberstab, der beleben und töten könne.

»Oh, du sollst mal sehn – du sollst mal sehn.«

Da saß er wieder – ja, es war derselbe, der mit dem fieberhaft erregten Kinde auf der Ruinenmauer gehockt und ihm all seine tollen Worte ins Ohr geflüstert, die wie klirrende Goldstücke geklungen.

Und der Ältere blickte auf ihn hin, schweigend, erschrocken, seine Augen vergrößerten sich immer mehr, und er wußte selbst nicht, warum ihm das Herz so drohend und schmerzlich gegen die Brust zu hämmern begann.

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Litres'teki yayın tarihi:
11 ağustos 2017
Hacim:
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