Kitabı oku: «Fremde Richter», sayfa 2
Frühe Abwehr – zweite Runde
Als es in der zweiten Runde von 1974 um den nun beabsichtigten Beitritt zur EMRK ging, waren die «fremden Richter» wiederum sehr präsent, ja noch stärker als 1969. Der Bundesrat, der in seinem Bericht von 1968 gar nicht auf den Topos eingegangen war, hielt es jetzt für nötig, sich in seiner Botschaft von 1974 dazu zu äussern. Zum einen widersprach er explizit den Versuchen, «den alten Bündnisvertrag von 1291 heraufzubeschwören, der die Verpflichtung enthielt, nur heimische Richter anzuerkennen»; zum anderen betonte er, wie schon Masoni 1969, dass es um eine freiwillige Beteiligung an der Internationalisierung des Menschenrechtsschutzes gehe, was «keineswegs als Unterwerfung unter fremde Richter angesehen werden» könne.46
In dieser Runde äusserten sich Befürworter des EMRK-Beitritts sozusagen vorweg zur Berechtigung des Vorbehalts gegen «fremde Richter». Ständerat Raymond Broger (CVP/AI) ging gleich zu Beginn der Debatte auf diesen «Slogan» ein, um zu betonen, dass sich die heutigen Verhältnisse «sehr drastisch und wesentlich» von jenen um 1291 unterscheiden würden. «Unser Land ist nicht mehr ein weltabgelegenes Gebiet, in dem sich eine genossenschaftliche Freiheit gegenüber feudalistischer Bedrängnis halten konnte, sondern unser Land ist zwar noch ein Kleinstaat, aber ein solcher, der weltpolitisch eine eigentliche Handelsmacht bedeutet und zu überaus zahlreichen Ländern sehr intensive Beziehungen pflegt.»47
Broger mass den Strassburger Entscheiden allerdings einen zu unverbindlichen Charakter bei, wenn er sagte: «Im vorliegenden Fall kann von einem fremden Richter überhaupt nicht die Rede sein. Wir unterstellen uns auf eine beschränkte Zeit einer Pseudo-Jurisdiktion der Europäischen Kommission für Menschenrechte. Diese Kommission hat keine eigentliche richterliche Funktion. Sie beschränkt sich in Streitfällen auf die Feststellung von Tatsachen; sie strebt eine gütliche Einigung an und gibt allenfalls Empfehlungen an die Staaten ab, die ratifiziert haben, selbstverständlich Empfehlungen, die man freiwillig befolgt nach dem Grundsatz: pacta sunt servanda. […] Eine Einschränkung unserer Souveränität ist von dieser Seite her nach meiner Auffassung nicht im geringsten zu befürchten.»48
Berichterstatter Walter Renschler (SP/ZH) hielt später im anderen Rat zutreffend fest: «Ferner sind die Urteile des Gerichtshofes und die Entscheide des Ministerkomitees zwar verbindlich, aber sie haben keine kassatorische Wirkung, und sie sind nicht unmittelbar durchsetzbar.»49
Das für den konservativen Ständeherrn Broger bemerkenswerte Votum wurde in ähnlicher Weise sekundiert durch Ständerat Mathias Eggenberger (SP/SG), der ebenfalls den «wesentlichen» Unterschied von damals und heute betonte: «Jene Richter sollten uns von aussen, von einer fremden Rechtsauffassung her, aufgezwungen werden; wir entscheiden völlig autonom und frei über den Beitritt zur Konvention und damit auch zur Anerkennung des europäischen Gerichtshofes.»50 Schliesslich verstärkte Bundesrat Pierre Graber (SP/NE) indirekt das Bild der «fremden Richter», indem er den Beitrittsgegnern vorwarf, sich unter dem Banner der Ablehnung der «fremden Richter» versammelt zu haben («ses adversaires se rangeant sous la bannière de l’opposition aux juges étrangers»).51
Auch im Nationalrat kam die erste Erwähnung der «fremden Richter» von einem Befürworter des Beitritts zur Konvention. Nationalrat Claudius Alder (LdU/BL): «Der Beitritt bedeutet daher sicher keine rechtsstaatliche Revolution, sondern ist gewissermassen eine Selbstverständlichkeit. Die Bedeutung der Konvention für unseren Rechtsalltag darf daher auch nicht überschätzt werden. Die bösen Töne vom fremden Recht und den fremden Richtern, die uns mit der Konvention aufoktroyiert würden, können wir uns nur mit totaler Unkenntnis jener, die sie verbreiten, erklären, oder aber, diese Variante unterstelle ich lieber nicht, mit einem bewussten Störmanöver gegen unseren Rechtsstaat. Wir dürfen uns von diesen Tönen nicht beeindrucken lassen.»52
Diese Störtruppe hatte ihr Lager vor allem im Nationalrat. Und da taten sich insbesondere wiederum James Schwarzenbach (Rep./ZH) und zusätzlich Werner Reich (NA/ZH) hervor. Schwarzenbach erklärte in gespielter Tiefstapelei, sich zu entsinnen, «einmal gehört zu haben», der eidgenössische Bund sei entstanden, weil er keine «fremden Richter» und keine fremde Einmischung dulden wollte. Er übernahm aus der Debatte von 1969 wörtlich Hofers Formulierung, dass die Figur des «fremden Richters» in uns «tiefe Schichten des historischen Bewusstseins» aufwühle. Konkreter störten ihn aber die Individualbeschwerde und die «neuerliche Beschneidung unserer garantierten Souveränität». Im Weiteren war er der Meinung, ein Gang nach Strassburg, den er als «Gang nach Canossa» bezeichnete, würde sich erübrigen, wenn man selbst gute Richter habe: «Wenn wir uns aus Gründen der Wahrung unserer verbrieften Rechte nicht fremden Richtern unterstellen wollen, dann haben wir dafür besorgt zu sein, dass unsere Richter auch wirklich gute Richter sind und dem Staatsbürger garantieren, was ihm die Menschenrechtskonvention verspricht.»53 Und Nationalrat Reich lehnte den EGMR ab, weil er fremd und supranational sei und ihm mehr Rechte zuerkannt würden als dem eigenen Bundesgericht.54
Auf das Votum Reich eingehend, bemerkte Walter Renschler (SP/ZH) in seiner Eigenschaft als Berichterstatter: «[Es ist] völlig falsch, immer wieder mit dem emotionsgeladenen Schlagwort vom ‹fremden Richter› zu kommen. Darum geht es nun hier wirklich nicht; dieser Vergleich mit dem ‹fremden Richter› ist unzutreffend. Im Gegensatz zu den fremden Richtern zur Zeit der alten Eidgenossenschaft ersetzt die Europäische Menschenrechtskonvention unsere Rechtsordnung nicht durch fremdes Recht.»
Wie zu erwarten, wurden die wenigen Verurteilungen, die der Schweiz durch Entscheide des EGMR widerfuhren, von der politischen Rechten genutzt, um gegen die «Unterwerfung unter Strassburg» zu protestieren. 1987 reagierte die aus der Ablehnung der UNO-Mitgliedschaft von 1986 hervorgegangene AUNS auf das Strassburger Urteil im Fall F. zu einem Heiratsverbot mit dem Kommentar: «Es sind die fremden Richter in Strassburg, die bei uns sagen, was Rechtens ist.»55 1988 führte eine weitere Verurteilung der Schweiz durch «Strassburg» wegen ungenügender gerichtlicher Beurteilung einer Beschwerde gegen eine Busse von 130 Franken im Kanton Waadt (Fall Belilos) zu einer erneuten Belebung des Bilds der «fremden Richter».
Es war der Innerschweizer Ständerat Hans Danioth (CVP/ UR), der darin die Souveränität nicht nur des Landes, sondern auch der Kantone beeinträchtigt sah und darum am 6. Juni 1988 ein Postulat einreichte und sogar eine vorsorgliche Kündigung der EMRK anregte. In seiner Begründung ging der Urner Ständeherr davon aus, dass die eigene Ordnung nur schon deswegen Schutz verdiene, weil es die eigene ist. Auf Verbesserung bedachte Rechtsharmonisierung tat er ohne Überprüfung ihrer Berechtigung und Wünschbarkeit als «Nivellierung» ab: «Im ersten Bundesbrief haben die Eidgenossen geschworen, keine fremden Richter anzuerkennen. Es blieb uns fortschrittlichen Nachfahren des 20. Jahrhunderts vorbehalten, diesen weisen Grundsatz über Bord zu werfen. Wir sind drauf und dran, durch eine argwürdige Rechtsprechung seitens eines ausserhalb unseres Landes agierenden Gerichtes die traditionell gewachsene und im Rahmen von Verfassung und Gesetz weiterentwickelte innere Ordnung unseres Justizwesens zugunsten einer nivellierenden Einheitstheorie, welche auf unser Land keine Rücksicht nimmt, preisgeben zu müssen.»56
Ständeratskollege René Rhinow (FDP/BL), Ordinarius für Staatsrecht der Universität Basel, widersprach dem aus Uri erhobenen Anspruch auf kantonale Souveränität und verwies auf die garantierten Grundrechte in der für die ganze Schweiz geltenden Bundesverfassung. Zu den «fremden Richtern» bemerkte er: «Es wird mit Strassburg nicht Macht eines arroganten Herrschers über ein unterjochtes Volk ausgeübt. Wir Schweizer haben personell Anteil am Richteramt wie jeder andere Signatarstaat der Konvention.»57 Das wiederum wollte Parteikollege Ernst Rüesch (FDP/SG) nicht unkommentiert stehen lassen. Der Einfluss der Schweiz sei in Strassburg trotz der Vertretung «ausserordentlich» gering; eine grosse Mehrheit ausländischer Richter würde über die Schweiz richten.58
Bemerkenswert war und ist, dass Zeitungen, die eigentlich dafür disponiert waren, sich zur Vox populi zu machen, dieses Intermezzo nicht publizistisch auswerteten.59 Die «Weltwoche» stellte denn auch fest, dass der «Proteststurm von nationalistischer Seite» beinahe ausgeblieben und Danioth mit seiner Polemik gegen die EMRK ein «einsamer Rufer in der Wüste» geblieben sei.60
Der Topos der «fremden Richter» gehörte, auch ohne in akuten Kontroversen als schlagendes Argument benötigt zu werden, zu den Grundelementen des helvetischen Diskurses. Der Historiker und frühere Bundesrat Georges-André Chevallaz verkündete im Kontext des 700-Jahr-Jubiläums von 1991, bezogen auf die Formel von 1291, «l’hostilité au prince de dehors et au juge étranger» bilde neben Republikanismus und Föderalismus die dritte Konstante des schweizerischen Zusammenhalts.61 Doch erst im Kampf gegen den Beitritt zum EWR erhielt der Topos der «fremden Richter» die Bedeutung eines gängigen Schlagworts.
Wer die Formel der «fremden Richter» aufgeladen hat
Im Kampf gegen den Beitritt zum EWR erlangte der Topos der «fremden Richter» eine hohe Bedeutung, beziehungsweise: Sie wurde ihm gegeben. Die ursprüngliche Bedeutung, wie im vorangegangenen Kapitel umschrieben, spielte dabei überhaupt keine Rolle. Die «fremden Richter» wurden zur Chiffre für auswärtige Einwirkung unterschiedlicher Art, von Regulierungen durch «Brüssel» bis zur «Überschwemmung» des Landes durch fremde Arbeitskräfte und zum Lastwagentransit.
Nationalrat Christoph Blocher (SVP/ZH) nutzte seine vierte Albisgüetli-Rede vom 24. Januar 1992 zur Eröffnung seines Kampfs gegen den EWR-Beitritt und setzte dabei die später gebetsmühlenartig wiederholte Formel ein: «Haben wir 700 Jahre lang gegen ‹fremde Richter› gekämpft, haben wir uns 700 Jahre lang für eigene Richter eingesetzt, um jetzt plötzlich unsere Freiheit nicht nur gegen fremde Richter, sondern auch gegen fremdes Recht einzutauschen? So viel Verlust an Souveränität, an demokratischen Rechten, so viel Verlust an Selbstbestimmung lassen wir uns nicht gefallen!»62 Wie dargelegt, war die Inanspruchnahme eines 700-jährigen Widerstands falsch, Blocher knüpfte, was naheliegend war, an die im Vorjahr mit grossem Aufwand zelebrierten 700-Jahr-Feierlichkeiten an.63
Die «fremden Richter» waren – auch bei Blocher – bloss eine historische Figur fremder Mächte, die später in der nationalrätlichen EWR-Debatte auch als «neuzeitliche Vögte» mit Namen wie Delors, Mitterand und Kohl versehen wurden.64 Zutreffend interpretierte der deutsche Politikwissenschaftler Ralf Langejürgen, der eines der besten Bücher zur schweizerischen Europapolitik um 1990 verfasst hat, die «fremden Richter» als Teil eines breit angelegten «Widerstandsmythos», der einerseits mit dem Griff nach dem 13. Jahrhundert eine historische Kontinuitätslinie konstruierte, andererseits damit aber auch eine Parole zur Abwehr aktueller Überflutung insbesondere durch Arbeitslose zur Verfügung stellte.65
Nicht bemerkt hat Langejürgen jedoch: Der Aufruf zum Widerstand knüpfte an einen weiteren Topos an, und zwar an die gängige Losung von «Anpassung oder Widerstand» aus der Zeit der Bedrohung durch NS-Deutschland.66 Mit der Betonung des belasteten Worts der Anpassung konnte eine kooperative Haltung dem Projekt der Europäischen Gemeinschaft (EG) gegenüber diskreditiert werden. Blocher beschwor die Anpassung in der Rede vom Januar 1992 gleich zu Beginn und gleich mehrmals als Gefahr und betonte, dass sie nicht neu, sondern eben eine Wiederholung sei: «Ein weiteres Mal in der Geschichte unseres Landes ist überall von ‹Anpassung› die Rede. Anpassung sei das Gebot der Stunde. Anpassen müsse man sich an die Zeit und Umstände.»67 Anpassen woran? Bezeichnenderweise präsentierte Blocher die folgende Reihe negativer Gegebenheiten: anpassen an veränderte Drogensitten, an die stetig steigende Kriminalität, an missliche Asylpolitik – und vor allem an Europa beziehungsweise an die EG!
Entgegen der Gepflogenheit, Abstimmungskampagnen erst nach der Beratung der Vorlage durch das Parlament zu lancieren, hatte Blocher die Kampagne bereits im Januar 1992 eröffnet. Der Vertrag war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht abgeschlossen; dies sollte erst am 2. Mai 1992 der Fall sein. Die weitere Entwicklung stärkte Blochers Position. Der geplante EWR wurde zu einem Modell einseitiger Anpassung, weil der EuGH den Efta-Mitgliedern im EWR kein Ko-Entscheidungsrecht in strittigen Fragen des Europarechts zugestand und auf einer alleinigen Auslegung beharrte (Stichwort: Autonomie des Unionsrechts). Jacques Delors, Präsident der EU-Kommission, hatte bereits im Januar 1990 in seiner Jahresrede vor dem Europäischen Parlament dazu erklärt: «La codécision ne peut en effet résulter que de l’adhésion pleine et entière et donc de l’acceptation de l’ensemble du contrat de mariage.»68 Auf Antrag der Kommission wurde dies vom EuGH am 14. Dezember 1991 entschieden und am 14. April 1992 nochmals bestätigt.
Der Entscheid vom Dezember 1991 zog den Schweizern, die erwarteten, dass für den EWR ein gemeinsames EG/Efta-Gericht geschaffen würde, den Boden unter den Füssen weg. Der EG-freundliche Brüsseler Korrespondent Jörg Thalmann meinte, die «fremden Richter» würden «fremden». Er zeigte zwar Verständnis dafür, dass die EG eine einheitliche Rechtsprechung als «Kitt» für den Zusammenhalt brauche, und er erblicke in ihr (anders als die später gepflegten Bilder vom Monster) ein noch junges und schwaches Gebilde. Die EG müsse aber nicht nur sich selbst dienen, sie müsse heute weit über ihre Grenzen hinaus eine Ordnung gestalten und darum in den Aussenbeziehungen auch Kompromisse eingehen und ein «besonderes Nahverhältnis» aufbauen.69
Die auf schweizerischer Seite erwartete Gleichstellung der Partner im EWR-Vertrag und ein entsprechendes Mitentscheidungsrecht in strittigen Auslegungsfragen erwiesen sich als Illusion. Auf Delors’ Erklärung vom Januar 1990 gemünzt, erlaubte sich der schweizerische Aussenminister Wochen später in der Presse die wenig diplomatische Bemerkung, man sei es in der Schweiz nicht gewohnt, mit Leuten zu tun zu haben, die alle Jahre ihre Meinung änderten.70 Was blieb, war die Aussicht, in einem «Gemischten Ausschuss» bei geplanten EU-Gesetzen, die auch den EWR betrafen, im sogenannten «Decision Shaping» seine Meinung abzugeben. Ob die ernüchternde Erfahrung in der Öffentlichkeit zu einer Reaktivierung der «fremden Richter» führte, muss offenbleiben. Jedenfalls hätte die EWR-Mitgliedschaft bei strittiger Auslegung des betroffenen EU-Rechts die «Auslieferung» der Schweiz an das fremde Gericht bedeutet.
Die Bundesräte Adolf Ogi und Arnold Koller in der EWR-Debatte vom 20. November 1992 im Bundesbriefarchiv, vor dem Wandbild des Rütlischwurs. Die Abwehr gegen aussen war mit der Ablehnung auch der eigenen Regierung verknüpft.
Insofern als man dem Parlament eine meinungsbildende Funktion zuschreiben möchte, muss man sagen, dass es in diesem Fall spät, ja zu spät agierte. Ausgangspunkt der Beratungen war die bundesrätliche Botschaft vom Mai 1992. Darin musste der Bundesrat darlegen, dass der EuGH die Auslegungshoheit vor «nationalen Richtern» habe, er hütete sich aber, auf den Topos der «fremden Richter» einzugehen.71
Dieser Topos umfasste weit mehr als einzig die Richterfrage. An ihm haftete die ganze Gründungsgeschichte. Ein rechtsnationaler Volksvertreter vermisste in der bundesrätlichen Botschaft nicht die Ablehnung der «fremden Richter», ihm fehlte anderes, und das wollte Hans Steffen (SD/ZH) in seinem Votum nachtragen. Er erklärte, sich «einige Gedanken» zu Fragen gemacht zu haben, die in der Botschaft des Bundesrates nicht abgehandelt seien, und begann davon zu reden, dass er als Primarschüler in der Heimatkunde die Erzählung vom Schmied von Göschenen (von Robert Schedler, 1920) gelesen habe, der um 1240 den stiebenden Steg durch die Schöllenenschlucht gebaut habe, und dass es einen Kampf zwischen den drei Alten Orten und dem dynamischen Hause Habsburg um die Herrschaft über den Gotthardweg gegeben habe.72
Indirekte Stärkung des Richtertopos
In den parlamentarischen Beratungen von August/September 1992 wurden die «fremden Richter» trotz der Zurückhaltung des Bundesrates in den Argumentationen recht häufig verwendet. Es muss aber betont werden, dass dies nicht nur bei den Gegnern des EWR-Beitritts der Fall war. Die systematische Durchsicht sämtlicher Voten in beiden Kammern zeigt nämlich, dass gleich viele Befürworter wie Gegner die Formel von den «fremden Richtern» in den Mund nahmen und damit den Topos stärkten.73
Während Nationalrat Walter Frey (SVP/ZH) sich damit begnügte, die Souveränität der Schweiz zu verteidigen, kam die erste Erwähnung der «fremden Richter» wiederum aus dem Lager der EWR-Beitrittsbefürworter. Nationalrat Peter Vollmer (SP/BE) erklärte gleich zu Beginn der Debatte als Sprecher seiner Fraktion: «Es ist nicht wahr, dass wir formal Souveränitätsrechte abgeben. Wir schliessen einen Vertrag im Wissen um alle formalen Konsequenzen. Es wird kein supranationales Organ geschaffen. Es wird keine fremden Richter geben, welche über unsere Köpfe hinweg entscheiden können.»74
Wenig später gesellte sich – ebenfalls von der dem EWR zustimmenden Seite – Nationalrätin Verena Grendelmeier (LdU/ ZH) hinzu. Für ihre Fraktion versicherte sie: «Der Sonderfall ist vorbei. Der EWR ist eine Chance. Er ist kein Staatsvertrag, sondern er ist ein Wirtschaftsvertrag. Souveränität, Neutralität, unsere Volksrechte sind dabei nicht berührt. Wir haben keine fremden Richter im Land, wie das immer wieder böswillig unterstellt wird, sondern wir haben die Chance, einen Schritt auf eine zukünftige neue europäische Welt hin zu machen.» Den Ängsten vor Fremdbestimmung hielt sie entgegen: «Kein anderes Land hat eine so lange Tradition und Geschichte, sich selber von unten nach oben zu organisieren, wie die Schweiz: von der Gemeinde zum Stand, vom Stand zum Bund und jetzt noch einmal einen Schritt weiter, vorerst nur in einer ersten Etappe.»75
An der Reaktion von Nationalrat Flavio Maspoli (Lega/TI) kann man sehen, wie die Bekämpfung des Slogans von den «fremden Richtern» diesen auch belebte. In der Aufzählung von befürchteten Negativwirkungen eines EWR-Beitritts («mehr Steuern, mehr Arbeitslosigkeit, wesentlich höhere Hypothekarzinssätze, den Verlust unserer Autonomie, den Verlust der direkten Demokratie») nannte er mit explizitem Bezug auf die Vorrednerin «die Einführung fremder Richter – ob es Ihnen gefällt oder nicht, Frau Grendelmeier, so ist es; und dazu kommt die Einführung von Gesetzen, die wir ohne Kommentar und ohne unser Zutun werden annehmen müssen».76
Nachdem Nationalrat Vollmer als Erster die «fremden Richter» ins Spiel gebracht hatte, griff Nationalrat René Moser (Autopartei/AG) ebenfalls zu diesem Topos, aber ohne staatsrechtlich zu argumentieren. Auf den Vorwurf, die EG wolle die Alpenkolonie Schweiz bis zum letzten Tropfen ausmelken, liess er, Blochers Vorgabe vom Januar 1992 beinahe wörtlich kopierend, die bekannte Widerstandsparole erklingen: «Seit über 700 Jahren haben wir gegen fremde Richter gekämpft, unsere Freiheit und Eigenständigkeit verteidigt und dank unserer Neutralität unsere Guten Dienste in der ganzen Welt erfolgreich angeboten. Jetzt soll dies auf einmal nichts mehr wert sein. War alles falsch, was wir bis heute gemacht haben?»77
Die «fremden Richter» gehörten vor allem zum Diskurs der deutschschweizerischen Parlamentarier. Nur ein Votum der frankophonen Ratsherren nahm darauf Bezug, und da die Romands weitestgehend den EWR bejahten, in diesem Fall ebenfalls, um den Richtereinwand nicht gelten zu lassen. Nationalrat Michel Béguelin (SP/VD) sah sich wegen der mehrfachen Erwähnung veranlasst, auf die «berühmte Formel» kurz einzugehen: «[…] à propos de l’intransigeance de la Communauté à l’égard de la Suisse, nous prétendons, nous Suisses, selon la célèbre formule citée ici à plusieurs reprises, rejeter les juges étrangers dans nos vallées». Man müsse aber Verständnis haben, wenn auch die EG sich nicht über schweizerische «codécision» ihr eigenes Recht auslegen lassen wolle.78
Auch in der kleinen Kammer wollten zwei den EWR befürwortende Ständeräte die Befürchtungen vor «fremden Richtern» zerstreuen. Luregn Mathias Cavelty (CVP/GR) erklärte als Berichterstatter: «Immerhin ist sicher, dass es im EWR zu keiner Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen auf die EG kommt und dass wir keinem fremden Recht und keinem fremden Richter unterworfen werden.»79 Und Oswald Ziegler (CVP/UR): «Ich will mich nur wirtschaftlich binden, wohl wissend, dass damit in etwa auch politische Bindung verbunden ist. Das ist gewährleistet, nachdem staatliche Unabhängigkeit, Föderalismus und Neutralität in ihrem Grundgehalt unangetastet bleiben und fremde Richter bei uns nichts zu sagen haben.»80
Bundesrat Arnold Koller (CVP/AI) ging im Ständerat ebenfalls auf diese Bedenken ein: «Wir haben in meinem Zuständigkeitsbereich Antworten zu geben auf Ängste, der EWR führe zu einem Abbau der Demokratie, des Föderalismus, zur Unterwerfung unter fremde Richter und unter fremdes Recht. […] Dem EWR-Vertrag wird sodann auch pauschal vorgeworfen, wir würden uns fremdem Recht und fremden Richtern und damit auch fremden Gerichten unterstellen. Sie wissen, die Ablehnung des fremden Richters hat in unserem Land geradezu mythologische Bedeutung. Aber glücklicherweise erreichte unsere Verhandlungsdelegation in einer schwierigen Schlussphase, dass wir heute wirklich mit gutem Grund sagen können, dass wir uns mit diesem EWR-Vertrag in keiner Weise einem fremden Richter unterstellen. Ich bin mir dabei aber bewusst, dass das Misstrauen gegen den fremden Richter noch tiefere Wurzeln hat. In unserer durch Jahrhunderte gewachsenen Demokratie hat die politische Ausmarchung der Konflikte immer Vorrang gegenüber der rechtlichen Streiterledigung gehabt. Die Gerichtsgewalt konnte sich eigentlich nie voll ebenbürtig neben den politischen Gewalten in unserem Land etablieren […].»81
Schon zuvor hatte Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz (FDP/VD) im Nationalrat in ähnlicher Weise bestehende Befürchtungen zu zerstreuen versucht: «Dans le contrôle juridictionnel du futur Espace économique, les tribunaux suisses appliqueront le droit de l’Espace, comme le droit fédéral, et le spectre des juges étrangers est ainsi parfaitement dissipé. Les juges communautaires ne se saisiront que des litiges où une entreprise suisse violerait des règles de la Communauté, à l’intérieur de celle-ci.»82
Nicht in der Gruppe derjenigen, welche die «fremden Richter» nutzten, um die Ablehnung des EWR-Vertrags zu begründen, figurierte der SVP-Fraktionssprecher: Nationalrat Theo Fischer (SVP/AG) machte einen «zu starken Verlust an Souveränitätsrechten» und zusätzlichen Regulierungen im Wirtschaftsbereich geltend und argumentierte ansonsten auffallend defensiv. «Dieses Nein bedeutet nicht ein Nein zu Europa, es bedeutet auch kein Nein zur Solidarität der Schweiz mit den übrigen europäischen Staaten, ein friedliches und demokratisches Europa in West und Ost aufzubauen. Dieses Nein ist auch kein Ja zu einer isolationistischen Politik der Schweiz, die mitten in Europa liegt und die, wie wohl kein anderes Land, stark in dieses Europa integriert ist.»83 Mit Ausnahme von Jean-Pierre Bonny (FDP/BE), der erklärte, dass fremde Gesetzgeber «ebenso schlimm wie fremde Richter» seien, 84 kamen alle anderen Voten dazu von der äussersten Rechten: Neben dem bereits zitierten René Moser (AG) von der Autopartei kämpfte auch Nationalrat Markus Ruf (BE) von den Schweizer Demokraten mit einem Bezug auf die alteidgenössische Sagenwelt gegen den EWR an und wollte die direktdemokratischen Rechte gewahrt wissen: «Statt dessen hätten wir uns generell dem Diktat der Brüsseler EG-Vögte und neuen fremden Richtern zu beugen.»85 Nationalrat Hans Steffen (ZH), ebenfalls von den Schweizer Demokraten, sagte von den eigenen Richtern, die sich nach dem EWR-Recht richten müssten: «Weil sie dann fremdbestimmt handeln, sind es für mich fremde Richter.»86
So viel zur Präsenz der «fremden Richter» in der parlamentarischen Beratung des EWR-Vertrags im August/September 1992. Wie die Presse vorher und danach mit dem gleichen Thema umging, lässt sich hier nicht umfassend darlegen. Es fehlen systematische Analysen.87 Wie war die EWR-Kampagne nach Blochers Startschuss vom Januar 1992 verlaufen? Die befürwortenden und ablehnenden Voten unterschieden sich alles in allem darin, dass die befürwortenden Stellungnahmen (und dazu gehörten auch diejenigen der Behörden) eher rational-wirtschaftlich, die ablehnenden dagegen eher emotional-politisch argumentierten. Letztere setzten unter anderem gewiss die «fremden Richter» ein, sie operierten aber nicht nur damit, sondern auch und häufiger mit abstrakten Begriffen wie Souveränität, Neutralität, direkte Demokratie.88 Die Nein-Kampagne der EWR-Gegner beschränkte sich in gewissen Inseraten auf lapidare Kurzversionen: «Wir wollen kein fremdes Recht und keine fremden Richter und keine fremden Behörden.»89
Ein zufällig herausgegriffenes Presseerzeugnis vom November 1992 zeigt, wie das Wochenmagazin «Cash» versuchte, aufklärend die im zitierten Inserat aufgeführten Kategorien von «Fremdheit» Punkt für Punkt sachlich zu umschreiben:
Fremde Richter
«Die für das Funktionieren des EWR zu schaffenden Behörden sind ganz auf Konsenssuche angelegt. Das wird der Normalfall bei möglichen Vertragskonflikten sein. Bei unüberbrückbaren Differenzen gibt der Europäische Gerichtshof (der EG) seine Auslegung der in Frage stehenden EG-Rechtstexte; die Streitbeilegung selbst aber obliegt dem paritätisch zusammengesetzten EWR-Ausschuss. Ist gar keine Einigung möglich, kann die sich geschädigt fühlende Partei zu Schutzmassnahmen greifen.»
Fremdes Recht
«Es gibt keine Rechtsbestimmung, die wir ohne unsere ausdrückliche Zustimmung (durch den EWR-Vertrag, durch die «Eurolex»-Vorlagen und durch spätere Gesetzesanpassungen) einhalten müssen. Für den (rein theoretischen) Fall einer absoluten Unvereinbarkeit von späteren EWR-Bestimmungen mit unseren Vorstellungen gibt es zwei Notausstiege: das «Opting-out» via die Efta und, als ultima ratio, die Vertragskündigung.»
Fremde Behörden
«Für das Funktionieren des EWR-Vertrags haben wir in erster Linie mit unseren eigenen Behörden, in zweiter Linie mit Efta-Behörden, an denen wir beteiligt sind, und in dritter Linie mit paritätischen EWR-Behörden zu tun. Sie sind keinesfalls ‹fremd›.»90
«Cash» nahm das Thema zwei Wochen später nochmals auf und ermahnte die Bürgerinnen und Bürger gleichsam in letzter Minute vor der schicksalhaften Abstimmung am 6. Dezember 1992, doch zwischen Ideologie und Sachverhalt zu unterscheiden. Es sei einleuchtend, dass die richterliche Interpretation der dem Vertrag zugrunde liegenden EG-Rechtsvorschrift von der dafür zuständigen Instanz vorgenommen würde, nämlich dem EuGH. Würde die Interpretation lokalen (oder nationalen) Gerichten überlassen, wäre es vorbei mit dem Vorteil des Binnenmarkts, nämlich der Rechtseinheitlichkeit. «Für die Interpretation des EG-Rechts braucht es also EG-Richter – sonst würden ja genau fremde Richter› über die Geschicke der Gemeinschaft entscheiden!»91
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