Kitabı oku: «Die kleine Fadette», sayfa 3
Sechstes Kapitel
So verging die ganze Woche. Sylvinet ging täglich hinaus, um seinen Bruder zu besuchen, und wenn er dann vom Zwillingshofe herübergekommen war, blieb dieser für ein paar Augenblicke bei ihm stehen. Landry fügte sich immer besser in seine Lage; Sylvinet aber wußte sich in die seinige gar nicht zu finden, und wie eine im Fegefeuer auf Erlösung harrende Seele begann er die Tage und Stunden der Trennung zu zählen.
Auf der ganzen Welt gab es niemanden als Landry, der ihn hätte zur Vernunft bringen können. Auch die Mutter wandte sich an diesen, daß er ihr helfen möchte, den Bruder zu beruhigen, denn mit der Betrübnis des armen Knaben wurde es von Tag zu Tag schlimmer. Er mochte sich an keinem Spiele mehr beteiligen, und arbeitete nur noch, wenn es ihm gradezu befohlen wurde. Seine kleine Schwester führte er wohl noch spazieren, aber fast ohne ein Wort dabei zu reden, oder ihr auf irgend eine andere Art die Zeit zu vertreiben; er gab nur darauf acht, daß sie nicht fallen oder auf eine andere Art zu Schaden kommen könne. Sobald man ihn nicht immer im Auge behielt, machte er sich davon und wußte sich so gut zu verbergen, daß man gar nicht wußte, wo man ihn suchen sollte. Alle Gräben, alle Furchen, alle Schluchten, wo er gewohnt gewesen war mit Landry zu spielen und zu plaudern, suchte er wieder auf. Er setzte sich auf die Baumwurzeln, auf denen sie miteinander gesessen hatten, und netzte sich die Füße in allen kleinen Bächen, in denen sie wie ein paar junge Enten miteinander herumgepascht waren; er freute sich, wenn er nur ein Stück Holz wieder auffand, welches Landry mit seinem Gartenmesser zugeschnitten hatte; oder irgend einen Kieselstein, den dieser als Schleuder oder zum Feuerschlagen benutzt hatte. Er sammelte sie alle, diese Kleinigkeiten und versteckte sie in einem hohlen Baume oder unter einer Holzschicht; von Zeit zu Zeit holte er sie dann wieder hervor, um sich an ihrem Anblick zu erlaben, als ob sie Gegenstände von großer Wichtigkeit gewesen wären. In Gedanken ging er alles wieder durch und zerbrach sich den Kopf, auch nur die geringsten Nebenumstände des vergangenen Glückes in seiner Erinnerung wieder heraufzubeschwören. Was für jeden anderen gar keinen Wert gehabt hätte, galt ihm noch über alles. Wie es in der Zukunft werden sollte, das kümmerte ihn gar nicht, denn er hatte nicht einmal den Mut an eine Reihenfolge solcher Tage zu denken, wie sie ihm jetzt auferlegt waren. Er lebte mit seinen Gedanken nur in der Vergangenheit und verzehrte sich in den endlosen Träumereien seiner Sehnsucht.
Es gab Zeiten, wo er sich einbildete seinen Zwillingsbruder leibhaftig vor sich zu sehen und zu hören. Dann plauderte er ganz allein vor sich hin, in der Meinung diesem zu antworten. Manchmal überraschte ihn auch der Schlaf, wo er sich gerade befand, und er träumte von ihm; wenn er dann aber erwachte und sich wieder allein fand, begann er bitterlich zu weinen, und er ließ seinen Thränen um so freieren Lauf, weil er hoffte durch die Ermüdung seinen Schmerz endlich gelindert zu fühlen.
Eines Tages, da er auf seinen Streifereien bis zu der Stelle gelangt war, wo das Schlagholz von Champeaux steht, fand er auf dem Bach, der zur Regenzeit aus dem Gehölz herausfließt, jetzt aber ganz ausgetrocknet war, eine jener kleinen Mühlen wieder auf, wie die Kinder sie in unserer Gegend so geschickt aus Hobelspänen zu machen verstehen, daß sie sich bei der Strömung drehen und sich manchmal lange auf der Oberfläche des Wassers erhalten, bis andere Kinder sie zerbrechen, oder der höhere Wasserstand sie mit fortreißt. Diese, welche Sylvinet wieder aufgefunden hatte, lag hier schon seit mehr als zwei Monaten, und da es eine einsame Stelle war, hatte niemand sie gesehen, noch etwas daran verderben können. Sylvinet erkannte sie sogleich als das Werk seines Zwillingsbruders; beim Anfertigen derselben hatten sie sich vorgenommen wieder hierher zu kommen, um darnach zu sehen. Sie hatten aber nicht weiter daran gedacht, und seitdem an anderen Orten viele andere Mühlen gemacht.
Sylvinet war also sehr erfreut sie wieder zu finden, und trug sie etwas weiter hinauf, wohin das Wasser des Baches sich zurückgezogen hatte. Dort wollte er sehen, wie sie sich drehte und dabei an das Vergnügen denken, welches Landry gehabt hatte, als er ihr den ersten Anstoß gab. Dann ließ er sie an der Stelle, wohin er sie getragen und freute sich schon darauf, wenn er am nächsten Sonntag mit Landry wiederkommen würde, um ihm zu zeigen, wie ihre so fest und gut gefügte Mühle sich erhalten habe.
Aber er konnte es sich nicht versagen, schon am folgenden Tage allein dahin zurückzukehren. Das Wasser des Baches war ganz getrübt, und die Ufer desselben zerstampft durch die Füße der Ochsen, welche dort zur Tränke geführt waren, und die man am Morgen zwischen das Schlagholz auf die Weide getrieben hatte. Er trat etwas näher hinzu und sah, daß die Tiere auf seine Mühle getreten und sie so zerstampft hatten, daß nur noch wenig davon zu sehen war. Das Herz wurde ihm schwer darüber, und er bildete sich ein, daß an diesem Tage seinem Bruder irgend ein Unglück zustoßen müsse, und er lief bis nach la Priche, um sich zu überzeugen, daß ihm nichts Schlimmes widerfahren sei. Hier aber begnügte er sich damit, seinen Bruder von weitem zu betrachten, und zwar so, daß er selbst nicht gesehen werden konnte. Er hatte nämlich bemerkt, das es Landry nicht angenehm war, wenn er unter tags kam, weil dieser fürchtete, daß solch eine Störung bei der Arbeit seinen Herrn verdrießen könne. Da er sich geschämt haben würde zu gestehen, von welchen Gedanken gedrängt er herbei geeilt war, kehrte er ohne ein Wort zu verlieren, wieder um; er sprach Überhaupt mit niemanden darüber; erst sehr lange Zeit nachher that er dies.
Da seine Gesichtsfarbe blaß wurde, weil er wenig schlief und so zu sagen fast gar nichts aß, wurde seine Mutter sehr betrübt, und sie wußte nicht mehr, was sie thun sollte, um ihn zu trösten. Sie versuchte es, ihn mit sich zu nehmen, wenn sie in den Marktflecken ging, oder sie redete ihm zu, seinen Vater oder seinen Onkel zu begleiten, wenn diese zu den Viehmärkten gingen. Aber er nahm an nichts einen Anteil, und nichts konnte ihn mehr erfreuen. Ohne ihn etwas merken zu lassen, machte sich deshalb Vater Barbeau auf den Weg und versuchte es, den Vater Caillaud zu bereden die Zwillinge beide in seinen Dienst zu nehmen. Dieser aber gab ihm eine Antwort, die er selbst als begründet anerkennen mußte.
»Vorausgesetzt,« so ungefähr sprach der alte Caillaud, »ich würde sie eine Zeitlang alle beide in meinen Dienst nehmen, so könnte dies doch nicht von Dauer sein, denn wo man mit einem Diener genug hat, würde es für Leute unseres Schlages nicht gut thun, deren zwei in den Dienst zu nehmen. Wenn das Jahr herum wäre, würdet ihr immerhin wieder genötigt sein, für den einen eurer Zwillinge irgend einen anderen Dienst zu suchen. Und seht ihr denn nicht ein, daß Sylvinet nicht mehr so viel träumen würde, wenn er in einem Dienst wäre, wo er zur Arbeit gezwungen wäre? Dann würde er es machen wie der andere, der sich tapfer in sein Schicksal gefunden hat. Früher oder später muß es doch so kommen. Ihr werdet ihn vielleicht nicht grade an den Ort hin verdingen können, wie ihr wohl möchtet, und wenn diese beiden Buben noch weiter voneinander entfernt werden, so daß sie sich nur noch jede Woche, oder jeden Monat einmal sehen können, so ist es immer besser sie schon beizeiten daran zu gewöhnen, daß sie nicht immer zusammenhocken können. Seid also vernünftig, lieber Nachbar, und macht nicht so viele Umstände mit den Einbildungen eines Kindes, das von eurer Frau und von euren anderen Kindern etwas zu viel verhätschelt und verzogen wurde. Das Schlimmste ist überwunden, und glaubt nur, daß er sich in das Übrige schon finden wird, sobald ihr nur nicht nachgebt.«
Vater Barbeau ließ sich belehren, und er sah ein, das Sylvinets Sehnsucht nach seinem Zwillingsbruder nur immer mehr zunehmen werde, je häufiger er ihn sehen würde. Er nahm sich deshalb vor am nächsten Johannistag für Sylvinet einen Dienst zu suchen. Er hoffte, daß dieser, wenn er Landry immer weniger sehen würde, sich schließlich daran gewöhnen werde, wie alle anderen zu leben, und sich nicht mehr von einem Gefühl bewältigen zu lassen, das in ein krankhaftes Verlangen zu entarten drohte.
Aber vor der Mutter Barbeau durfte noch nicht von diesem Plane geredet werden, denn schon bei der ersten Andeutung davon, weinte sie sich halbtot. Sie meinte, Sylvinet könne daran zu Grunde gehen, und der Vater Barbeau wußte sich wirklich nicht mehr zu helfen.
Landry, der von seinem Vater, seinem Herrn und auch von seiner Mutter zu Rate gezogen wurde, unterließ nicht, seinem armen Bruder zuzureden. Sylvinet wußte gegen seine Vorstellungen durchaus nichts einzuwenden, versprach auch alles, konnte sich aber nicht überwinden. Es kam bei seinem Schmerz noch etwas anderes in Betracht, wovon er aber nichts verlauten ließ, weil er auch gar nicht gewußt hätte, wie er es vorbringen sollte. Dies war nämlich, daß im Innersten seines Herzens in Bezug auf Landry eine ebenso heftige wie sonderbare Eifersucht zu keimen begann. Er fühlte sich befriedigt, ja mehr als je zuvor, wenn er sah, wie Landry bei jedermann in Ansehen stand, wie er von seiner Dienstherrschaft so freundschaftlich behandelt wurde, als ob er ein Kind des Hauses sei. Wenn ihn dies nun auf der einen Seite erfreute, so betrübte und kränkte es ihn auf der anderen, sobald er zu bemerken glaubte, daß Landry diese freundschaftlichen Beziehungen zu sehr erwidere. Er konnte es nicht leiden, wenn Landry auf ein Wort des Vaters Caillaud, wie unbestimmt und gelassen es geäußert sein mochte, dem Wunsch desselben zu willfahren, rasch davoneilte, Vater, Mutter und Bruder in solchen Augenblicken bei Seite lassend. Landry war also viel besorgter seiner Dienstpflicht etwas zu vergehen, als er die Anhänglichkeit der Seinigen zu schätzen wußte, und viel pünktlicher im Gehorsam, als Sylvinet dazu im Stande gewesen sein würde, wenn es sich darum gehandelt hätte, einige Augenblicke länger mit jemandem zu verweilen, der ihm mit so treuer Liebe ergeben war.
Der arme Bursche setzte sich jetzt eine neue Grille in den Kopf, an die er zuvor nicht gedacht hatte, nämlich die: daß die Liebe und Freundschaft, die er für seinen Bruder empfand, nicht erwidert würden, und daß dies auch immer so gewesen sein müsse, nur er selbst habe es nicht eingesehen. Freilich war es auch möglich, daß die Liebe seines Zwillingsbruders erst seit einiger Zeit für ihn erkaltet war, weil er am fremden Ort Personen gefunden hatte, die ihm besser gefielen und passender erschienen.
Siebentes Kapitel.
Landry selbst hatte gar keine Ahnung von der Eifersucht seines Bruders, denn derartige Empfindungen waren seinem Wesen durchaus fremd, und so lange er lebte, war er noch nie auf irgend etwas eifersüchtig gewesen. Wenn Sylvinet kam, ihn in la Priche zu besuchen, nahm Landry ihn mit und zeigte ihm, um ihn zu zerstreuen, die großen Ochsen, die schönen Kühe, den Schafstall und die reichen Ernten auf dem Anwesen des Vaters Caillaud. Landry schätzte und würdigte das alles, nicht aus Neid, sondern weil er Geschmack fand an der ländlichen Arbeit und an der Viehzucht, und weil er einen offnen Sinn hatte für das Schöne und Nützliche, was alle diese Dinge mit sich brachten. Er hatte seine Freude daran, wenn die junge Stute, die er auf die Wiese führte, recht sauber, wohl genährt und glänzend war. Er konnte es nicht leiden, wenn auch nur die unbedeutendste Arbeit in oberflächlicher Weise verrichtet wurde, noch daß irgend etwas, das gedeihlich und nutzbringend werden konnte, vernachlässigt und verachtet wurde, als ob es nicht auch zu den Gaben des lieben Gottes gehört hätte. Sylvinet betrachtete alle diese Dinge mit gleichgültigen Augen und wunderte sich, wie sein Bruder so großen Anteil daran nehmen konnte. So fand er überall wieder einen Grund zum Argwohn und sprach zu Landry:
»Du bist ja ganz vernarrt in diese großen Ochsen; du denkst wohl gar nicht mehr an unsere kleinen Stiere, die so feurig und doch so sanft und folgsam mit uns beiden waren. Von dir ließen sie sich noch williger anschirren als von unserem Vater. Du hast mich auch noch nicht einmal nach unserer Kuh gefragt, die doch so gute Milch giebt, und die mich jetzt immer so betrübt ansieht, wenn ich ihr das Futter bringe; es ist grade, als ob sie es verstände, daß ich nur ganz allein bin, und als ob sie mich fragen wollte, wo denn der andere Zwilling sei.«
»Sie ist ein gutes Tier, das ist wahr,« sagte Landry; »aber betrachte einmal diese hier! gleich wird sie gemolken und in deinem ganzen Leben hast du noch nicht eine so reichliche Milch gesehen.«
»Das mag sein,« erwiderte Sylvinet; »aber daß die Milch und der Rahm ebensogut wären, wie die von unserer braunen, da wette ich doch, daß dies nicht der Fall ist, denn die Futterkräuter vom Zwillingshofe sind besser, als die hier wachsen.«
»Den Teufel auch!« fuhr Landry auf, »ich möchte doch wohl überzeugt sein, daß unser Vater gern tauschen würde, wenn man ihm die schönen Heuernten, die Vater Caillaud von seinen Wiesen heimführt, für seinen Binsenwuchs an den Ufern des Baches böte!«
»Bah!« hob Sylvinet wieder an und zuckte mit den Achseln, »es giebt in dem Schilfgrunde viel schönere Bäume, als alle die eurigen sind, und was das Heu betrifft, wenn es auch spärlicher wächst, so ist es doch sein, und wenn es eingefahren wird, verbreitet es den ganzen Weg entlang einen Duft wie Balsam.«
So stritten sie um nichts und wieder nichts, denn Landry wußte recht gut, daß es kein schöneres Anwesen giebt als das, was man selbst besitzt; und Sylvinet dachte bei allen seinen Behauptungen im Grunde nicht mehr an das väterliche Besitztum, als an irgend ein anderes, indem er das Anwesen in la Priche herabsetzte. Aber aus allen diesen Wortfechtereien ging es klar hervor: daß der eine der beiden Brüder sich damit begnügte, zu arbeiten und zu leben, einerlei wo und wie dies geschah; und daß der andere gar nicht begreifen konnte, wie es nur möglich sei, daß sein Bruder fern von ihm, auch nur einen Augenblick des Behagens und der Ruhe genießen könne.
Wenn Landry ihn in den Garten seines Herrn führte und zufällig einmal das trauliche Gespräch mit ihm unterbrach, um von einem Pfropfreis einen abgestorbenen Zweig abzuschneiden, oder um ein Unkraut auszureißen, das dem Wachstum der Gemüse hinderlich war, ärgerte sich Sylvinet, daß sein Bruder stets an Ordnung und fremden Dienst denken konnte, statt wie er es that, mit gespannter Aufmerksamkeit auf das geringste Wort seines Bruders zu horchen. Er hütete sich aber wohl etwas davon merken zu lassen, denn er schämte sich, daß er so leicht zu ärgern war; aber, wenn der Augenblick der Trennung kam, pflegte er wiederholt zu sagen: »Nun, für heute hast du wohl genug an mir gehabt; vielleicht gar zu viel, daß dir die Zeit darüber lang geworden ist.«
Landry konnte diese Vorwürfe nicht verstehen; sie waren ihm peinlich, und er begriff nicht, warum sein Bruder sich in solchen Anspielungen erging; dieser aber wollte und konnte sich nicht weiter darüber erklären.
Wenn der arme Bursche schon auf die geringsten Dinge, die Landry beschäftigten, eifersüchtig war, wie viel mehr war er dies auf die Personen, denen Landry eine Anhänglichkeit bewies. Er konnte es nicht vertragen, daß dieser mit den anderen Burschen in la Priche in freundlichem Verkehr stand; und wenn er sah, daß er sich mit der kleinen Solange befaßte, sie liebkoste, oder mit ihr spielte, hielt er ihm vor, daß er seine kleine Schwester Nanette vergesse, die, nach seiner Meinung, doch tausendmal zierlicher, hübscher und liebenswürdiger sei, als jenes garstige kleine Ding.
Da es nun einmal in der Natur der Eifersucht liegt, niemals gerecht sein zu können, schien es ihm wiederum, daß Landry sich, wenn er auf den Zwillingshof kam, viel zu viel mit seiner kleinen Schwester beschäftigte. Sylvinet warf ihm vor, nur für sie Auge und Ohr zu haben, und daß er selbst ihm langweilig und gleichgültig sei.
Endlich wurde er in seiner Freundschaft so anspruchsvoll und geriet in eine so traurige Verstimmung, daß Landry darunter zu leiden begann, und weder Glück noch Freude darin finden konnte zu häufig mit seinem Bruder zusammen zu sein. Es ermüdete ihn etwas, immer wieder denselben Vorwurf hören zu müssen, daß er sich so gut in sein Schicksal gefunden habe, und er hätte auf den Gedanken kommen können, Sylvinet würde sich weniger unglücklich gefühlt haben, wenn er seinen Bruder eben so untröstlich gesehen hätte, wie er es selbst war. Landry gelangte zu der Erkenntnis, und wollte dies auch seinem Bruder begreiflich machen, daß Liebe und Freundschaft, wenn sie in ein Übermaß ausarten, sogar vom Übel werden können. Sylvinet wollte dies durchaus nicht einsehen, und betrachtete es sogar als eine große Härte von Seiten seines Bruders, daß er ihm nur so etwas sagen könne. Von dieser Auffassung ließ er sich so beherrschen, daß er mit seinem Bruder zu grollen begann, und Wochen vorüber gehen ließ, ohne einen Besuch in la Priche zu machen, obgleich er sich vor Sehnsucht darnach verzehrte. Dennoch versagte er sich die Befriedigung derselben und setzte seinen Stolz in eine Enthaltsamkeit, in der er ihn gar nicht hätte suchen sollen.
Es kam sogar so weit, daß Sylvinet, wie ein Wort das andere giebt, und aus einer Kränkung die andere erwächst, alles, was Landry Verständiges und Wohlmeinendes ihm sagte, um ihm den Kopf wieder zurecht zu setzten, stets nur noch übler aufnahm. Schließlich wurde der Arme so erfüllt von Verdruß und Groll, daß es Augenblicke gab, in denen er sich einbildete seinen Bruder, diesen Gegenstand seiner leidenschaftlichen Liebe, zu hassen; ja, er verließ sogar an einem Sonntage das Haus, nur um nicht mit seinem Bruder zusammen zu treffen, der auch nicht ein einzigesmal verfehlt hatte, sich an diesem Tage einzufinden.
Landry fühlte sich durch dieses kindische Gebahren sehr gekränkt. Er war ein Freund des Vergnügens, und liebte selbst die laute Lustbarkeit, weil er sich mit jedem Tage kräftiger und freier fühlte. Bei allen Spielen bewährte er den geschmeidigsten Körper und das geübteste Auge. Es war also ein kleines Opfer, das er seinem Bruder brachte, wenn er jeden Sonntag der lustigen Gesellschaft der Burschen von la Priche entsagte, um den ganzen Tag auf dem Zwillingshofe zu verbringen; zumal, da er Sylvinet gar nicht dazu bringen konnte auf dem Dorfplatze von la Cosse mitzuspielen, oder mit anderen einen gemeinsamen Spaziergang zu machen. Der arme Knabe, der an Körper und Geist vielmehr Kind geblieben war, als sein Bruder, und der nur von dem Gedanken beseelt war, diesen einzig und allein zu lieben, und von ihm ebenso wieder geliebt zu werden, wollte, daß er ganz allein mit ihm ihre Orte wieder aufsuchen sollte, wie er sich ausdrückte, das heißt also: die Winkel und Verstecke, wo sie ihre Spiele getrieben hatten, denen sie jetzt entwachsen waren. Wie zum Beispiel: kleine Schubkarren von Weidengerten zu machen, oder Mühlen aus Hobelspänen, oder Schlingen, um kleine Vögel darin zu fangen; oder sogar Häuschen aus Kieselsteinen aufzubauen, und mit Feldern zu umgeben, so groß wie ein Taschentuch, welche die Kinder sich das Ansehen geben zu bebauen, indem sie im kleinen nachahmen, was sie die erwachsenen Landleute thun sehen, wie: Säen, Eggen, Mähen und das Einführen von Ernten. So lehren die Kinder sich unter einander in einer Stunde alle die verschiedenen Arbeiten des Ackerbaues und der Ernte, wie sie auf den Feldern im Verlaufe eines Jahres verrichtet werden.
Diese Unterhaltungen waren nicht mehr nach Landrys Geschmack, welcher jetzt selbst die Sache im großen betrieb, wenn auch als Gehülfe, und der es vorzog ein großes mit sechs Ochsen bespanntes Fuhrwerk zu leiten, als die aus Zweigen gefertigten Wägelchen an den Schwanz seines Hundes zu befestigen. Er hätte viel lieber mit den kräftigen Burschen des Ortes sich im Ringen geübt, oder Kegel geschoben, da er die Geschicklichkeit erlangt hatte auf dreißig Schritt Entfernung den besten Wurf zu thun. Wenn Sylvinet sich bewegen ließ ihn an solche Orte der Lustbarkeit zu begleiten, setzte er sich, statt mit zu spielen, ohne ein Wort zu reden, in einen Winkel, wo er sich langweilte und sich abhärmte, wenn er sah, wie Landry durch das Vergnügen am Spiel in Feuer geriet.
Endlich hatte Landry in la Priche sogar tanzen gelernt und obgleich ihm die Lust dazu erst spät gekommen war, weil Sylvinet nie Geschmack daran finden wollte, tanzte er doch schon eben so gut wie die anderen Burschen, die sich von Kindesbeinen an damit befaßt hatten. Er galt in la Priche für den besten Ouadrillentänzer, und wenn er auch noch kein Vergnügen daran fand, die Mädchen zu küssen, wie dies bei jedem Tanz der Brauch ist, so war er doch dazu bereit, ihnen diesen Kuß zu geben, weil er dadurch das Ansehen erhielt aus dem Knabenalter herausgetreten zu sein. Es wäre ihm sogar lieb gewesen, wenn sich die Mädchen gegen seinen Kuß etwas gesträubt hätten, weil sie dies den erwachsenen Burschen gegenüber zu thun pflegten. Aber das fiel ihnen gar nicht ein; selbst die größten nahmen ihn lachend beim Kragen, um sich küssen zu lassen, was ihn übrigens etwas verdroß.
Ein einzigesmal hatte Sylvinet ihn tanzen sehen, und hatte dabei den größten Verdruß empfunden. Als er sah, wie Landry eine der Töchter des Vater Caillaud küßte, geriet er so in Zorn, daß er vor Eifersucht weinte und den Brauch gradezu unanständig und unchristlich fand.
So oft also Landry sein Vergnügen aus Freundschaft für seinen Bruder opferte, verbrachte er den Sonntag in wenig unterhaltender Weise. Dennoch verfehlte er nie sich zur bestimmten Zeit auf dem Zwillingshofe einzufinden, in der Meinung Sylvinet werde ihm dafür erkenntlich sein, und der Gedanke seinen Bruder zufrieden gestellt zu haben, ließ ihn gern ein wenig Langeweile verschmerzen.
Als er nun aber eines Tages erfuhr, daß sein Bruder, der ihm im Laufe der Woche eine kleine Zänkerei angezettelt hatte, aus dem Hause fortgegangen war, um sich nicht mit ihm zu versöhnen, empfand er dies als eine tiefe Kränkung. Zum erstenmale, seitdem er das Elternhaus verlassen hatte, ging er an einen einsamen Ort, im Verborgenen seine heißen Thränen zu vergießen, denn er hatte sich stets geschämt seinen Kummer vor seinen Eltern blicken zu lassen; auch fürchtete er den ihrigen, den sie vielleicht haben mochten, dadurch zu vermehren.
Wenn jemand ein Recht gehabt hätte eifersüchtig zu sein, so wäre dies viel eher Landry gewesen, als Sylvinet. Dieser war es ja, den die Mutter am meisten liebte, und sogar der Vater Barbeau, wenn er auch eine heimliche Vorliebe für Landry empfand, zeigte sich Sylvinet gegenüber doch gefälliger und nachsichtiger. Dieses arme Kind wurde als das weniger kräftige und weniger verständige, auch am meisten verzogen, und man fürchtete sogar ihn zu ärgern. Da er in der Familie blieb, war ihm das bessere Los zugefallen, während sein Bruder statt seiner das Elternhaus verlassen und die Bürde des Dienens auf sich genommen hatte.
Es war zum erstenmale, daß der gute Landry sich dies alles klar machte, und zu der Erkenntnis gelangte, daß sein Zwillingsbruder durchaus ungerecht sei. Bis dahin hatte sein gutes Herz ihn darüber getäuscht, daß er das Unrecht seines Bruders nicht einsehen konnte. Statt eine Klage gegen diesen zu erheben, hatte er sich vielmehr selbst beschuldigt, daß er auch gar zu gesund sei, und mit zu übermäßigem Eifer der Arbeit und dem Vergnügen nachgehe, und daß er sich nicht wie sein Bruder darauf verstehe, sanfte Reden zu führen, oder zarte Aufmerksamkeiten zu ersinnen. Diesesmal aber wußte er sich auch nicht der geringsten Kleinigkeit zu erinnern, womit er sich an der brüderlichen Liebe versündigt haben konnte. Ja, um an dem heutigen Tage nur kommen zu können, hatte er einer schönen Partie entsagen müssen, welche die Burschen von la Priche zum Krebsfang veranstalten wollten, und mit der sie schon die ganze Woche über beschäftigt gewesen waren. Sie hatten Landry sehr viel Vergnügen dabei in Aussicht gestellt, wenn er nur mit ihnen gehen wolle. Um seinen Bruder heute zu sehen, hatte er also einer großen Versuchung widerstehen müssen, und das will in diesem Alter viel sagen. Nachdem er sich tüchtig ausgeweint hatte und seine Thränen trocknete, hörte er ganz in seiner Nähe noch eine andere Person weinen, die dazwischen auch mit sich selbst sprach, wie dies die Frauen auf dem Lande häufig zu thun pflegen, wenn sie einen großen Kummer haben. Landry erkannte rasch, daß es seine Mutter war, und eilte zu ihr hin.
»Ach! mein Gott,« sagte sie schluchzend, »wie vielen Kummer mir dieses Kind bereitet! Ich werde noch darüber zu Grunde gehen, das ist gewiß.«
»Bin ich es, liebe Mutter, der dir so viele Sorgen macht?« rief Landry und fiel ihr um den Hals. »Wenn ich es bin, so strafe mich doch, aber höre auf zu weinen. Ich weiß nicht, wodurch ich dich betrübt haben könnte, aber das ist alles einerlei, ich bitte dich um Verzeihung.«
In diesem Augenblicke wurde es der Mutter klar, daß Landry keineswegs ein hartes Herz hatte, wie sie es oft geglaubt hatte. Sie schloß ihn gerührt in ihre Arme, und ohne selbst recht zu wissen, was sie that, so sehr war sie vom Schmerz ergriffen, sagte sie ihm, daß sie sich über Sylvinet beklage und nicht über ihn. Was ihn betreffe, so habe sie sich einige Male ungerechten Vorstellungen über ihn hingegeben, und dafür thue sie ihm jetzt Abbitte. Wie es ihr scheine, sei Sylvinet daran toll zu werden, und sie sei in der größten Unruhe darüber, weil er vor Tagesanbruch fortgegangen sei, ohne auch nur das Geringste genossen zu haben. Die Sonne neigte sich jetzt dem Untergange zu, und er war noch immer nicht zurück. Um Mittag war er in der Richtung des Flusses gesehen worden, und schließlich fürchtete die Mutter, er könne sich gar hinein gestürzt haben, um seinem Leben ein Ende zu machen.
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