Kitabı oku: «Tropenkoller», sayfa 2
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Als Timar erwachte, hatte er sich in dem heruntergerissenen Moskitonetz verheddert. Das Zimmer war sonnendurchflutet. Aber hier schien die Sonne alle Tage, es war kein freudiger Sonnenschein.
Auf seinem Bett sitzend, lauschte er den Geräuschen im Haus. Vier- oder fünfmal hatte er nachts in seinem unruhigen Schlaf ein Kommen und Gehen gehört, Flüstern und Wasser, das plätschernd in einen Steinkrug gegossen wurde.
Als der Arzt gekommen war, hatte die Wirtin Timar in sein Zimmer hinaufgeschickt und alle anderen aus dem Lokal gejagt.
»Wenn Sie mich brauchen …«, hatte er mit lächerlicher Inbrunst gestammelt.
»Ja. Gut. Aber jetzt legen Sie sich schlafen.«
War der Mann gestorben, wie er es angekündigt hatte? Jedenfalls wurde das Lokal ausgefegt. Als Timar seine Tür einen Spaltbreit öffnete, hörte er Adèles Stimme sagen:
»Gibt es keinen Käse mehr? In der Faktorei auch nicht? Dann mach eine Büchse grüne Bohnen auf. Warte! Zum Nachtisch gibt es Bananen und Aprikosen, von denen in der Reihe rechts. Hast du verstanden, du Hohlkopf?«
Sie hob die Stimme nicht. Sie hatte keine schlechte Laune. So sprach sie einfach mit den Schwarzen.
Als Timar einige Minuten später unrasiert hinunterkam, fand er sie an der Kasse, wo sie Bons ordnete, und das Lokal war schon sauber und aufgeräumt. Adèle sah proper und frisch aus. Ihr schwarzes Kleid war nicht zerknittert und ihre Frisur tadellos.
»Wie spät ist es?«, murmelte er verlegen.
»Kurz nach neun.«
Und um vier Uhr morgens war das mit dem Wirt passiert! Als er den Anfall bekommen hatte, war das Lokal dreckig und unaufgeräumt gewesen. Adèle war nicht schlafen gegangen, und nun hatte sie schon das Mittagessen bestimmt und sich Gedanken über Obst und Käse gemacht.
Und doch war sie blasser als sonst. Vor allem die dunklen Ringe unter den Augen veränderten ihr Aussehen. Gleichzeitig ahnte er, dass ihre Brüste unter dem Kleid auch jetzt wieder nackt waren, und er errötete.
»Geht es Ihrem Mann besser?«
Sie sah ihn erstaunt an, schien sich plötzlich zu erinnern, dass er erst seit vier Tagen in der Kolonie war.
»Er wird den Tag nicht überleben.«
»Wo ist er?«
Sie deutete zur Decke. Er wagte nicht zu fragen, ob der Sterbende allein war, aber sie erriet seinen Gedanken.
»Er redet schon wirres Zeug. Er merkt nichts mehr. Übrigens, hier ist ein Brief für Sie.«
Sie reichte ihm einen Umschlag über die Theke: ein kleines amtliches Schreiben, in dem Timar aufgefordert wurde, sich schnellstens auf dem Polizeikommissariat zu melden.
Eine Schwarze kam mit einem Korb Eier herein. Die Wirtin schüttelte den Kopf.
»Es wäre besser, Sie gingen hin, bevor es zu heiß wird.«
»Was, glauben Sie, wollen die …«
»Sie werden es ja sehen!«
Sie war nicht nervös. Auch das Lokal wirkte genauso wie an den anderen Vormittagen.
»Hinter der Mole, kurz vor dem Schiffsbüro, biegen Sie rechts ein … Vergessen Sie den Tropenhelm nicht!«
Er bildete es sich vielleicht nur ein, doch er hätte schwören mögen, dass sich die Schwarzen an diesem Morgen anders verhielten als sonst. Sicher, auf dem Markt ging es so laut und lebhaft zu wie immer, und die bunten Schurze schillerten in der Sonne. Aber plötzlich sah jemand in der Menge den Weißen mit einem düsteren Blick an, oder drei, vier Einheimische verstummten und wandten die Köpfe ab.
Joseph Timar beschleunigte den Schritt, obwohl ihm der Schweiß herunterrann. Er verlief sich und landete vor der Villa des Gouverneurs, musste umkehren und sah schließlich am Ende eines schlechten Weges eine Baracke, an der ein Schild hing:
Polizeikommissariat
Die Schrift war mit weißer Farbe ungeschickt aufgemalt, die beiden »s« von Kommissariat standen verkehrt herum. Schwarze in Polizeiuniform saßen mit nackten Füßen auf den Stufen der Veranda. Irgendwo in dem dämmrigen Haus klapperte eine Schreibmaschine.
»Ich möchte zum Kommissar.«
»Dein Papier …«
Timar zog seine Vorladung heraus, wartete, auf der Veranda stehend, und wurde dann in ein Büro gerufen. Die Jalousien waren heruntergelassen.
»Setzen Sie sich. Sie sind Joseph Timar?«
Im Halbdunkel konnte er einen Mann mit rotem Gesicht, hervorquellenden Augen und starken Tränensäcken ausmachen.
»Wann sind Sie in Libreville angekommen? Setzen Sie sich.«
»Mit dem Schiff am Mittwoch.«
»Sie sind nicht zufällig mit dem Departementsrat Timar verwandt?«
»Das ist mein Onkel.«
Mit einem Ruck erhob sich der Kommissar, schob seinen Stuhl zurück, streckte ihm eine schlaffe Hand hin und wiederholte in einem ganz anderen Ton:
»Setzen Sie sich doch. Wohnt er immer noch in Cognac? Ich bin fünf Jahre lang Inspektor in dieser Stadt gewesen.«
Timar war erleichtert. Denn zunächst hatte er in diesem dunklen, kümmerlich ausgestatteten Zimmer eine Anwandlung von Zorn oder Entmutigung empfunden. Es gab insgesamt fünfhundert Weiße in Libreville. Leute, die ein hartes, manchmal gefährliches Leben auf sich nahmen, nur damit man in Frankreich begeistert von der Erschließung der Kolonien sprechen konnte.
Und kaum war er gelandet, wurde er von einem Polizeikommissar vorgeladen und rüde wie ein unerwünschtes Element behandelt!
»Ein bedeutender Mann, Ihr Onkel! Er könnte jeden Tag Senator werden. Aber was wollen Sie denn hier?«
Nun war es am Kommissar, verwundert zu sein, so ehrlich verwundert, dass es Timar wiederum beunruhigte.
»Ich habe einen Vertrag mit der Sacova unterschrieben.«
»Geht denn der Direktor fort?«
»Nein, nein. Ich soll den Posten am Fluss übernehmen, aber …«
Jetzt war es kein Erstaunen mehr, es war betrübte Verblüffung.
»Weiß Ihr Onkel davon?«
»Er hat mir diese Stellung verschafft. Einer seiner Freunde ist Vertreter von …«
Timar saß immer noch. Der Kommissar ging um ihn herum und betrachtete ihn interessiert. Manchmal fiel ein Lichtstrahl auf ihn und ließ erkennen, dass seine Oberlippe gespalten war und sein Gesicht sowie die gesamte Erscheinung männlicher waren, als es zunächst ausgesehen hatte.
»Das ist ja eine merkwürdige Idee. Nun, wir werden noch darüber sprechen. Kannten Sie die Renauds, bevor Sie herkamen?«
»Die Renauds?«
»Die Besitzer des Hôtel Central … Übrigens, ist er noch nicht tot?«
»Es sieht so aus, dass er den Vormittag nicht überleben wird.«
»So etwas! Und …«
Timar wusste plötzlich, was ihn trotz der Herzlichkeit des Beamten störte. Während der Kommissar in dem Büro auf und ab ging, blickte er ihn nämlich fast auf die gleiche Art an wie Adèle. Eine Mischung aus Erstaunen, Neugier und sogar einer leisen Zärtlichkeit.
»Trinken Sie einen Whisky?«
Ohne die Antwort abzuwarten, befahl er einem der Boys auf der Veranda, welchen zu holen.
»Natürlich wissen Sie von dem, was in dieser Nacht passiert ist, auch nicht mehr als die anderen …«
Timar errötete, was der Kommissar bemerkte. Timar wurde noch röter, und sein Gegenüber nahm die Whiskyflasche aus den Händen des Boys und füllte die Gläser, wobei er keuchte wie jemand, dem die Hitze den Atem nahm.
»Sie wissen, dass man einen Schwarzen zweihundert Meter vom Hotel entfernt niedergeknallt hat. Ich komme eben vom Gouverneur. Es ist eine schmutzige Geschichte, eine sehr schmutzige Geschichte!«
Im Nebenzimmer klapperte immer noch die Schreibmaschine, und da die Tür halb offen stand, sah Timar, dass der Sekretär ein Schwarzer war.
»Auf Ihr Wohl! Sie können es noch nicht verstehen. Aber in den nächsten Tagen werden Sie allmählich begreifen. Ich habe Sie kommen lassen, um Sie wie die anderen zu vernehmen. Alle werden mir das Gleiche sagen, nämlich dass sie nichts wissen. Eine Zigarette? Nein? Sie müssen einmal bei uns zu Mittag essen. Ich stelle Sie dann meiner Frau vor. Sie kommt aus Calvados, aber auch sie kennt Ihren Onkel in Cognac.«
Timar entspannte sich. Er empfand das Halbdunkel, das ihm zuerst unangenehm gewesen war, mit der Zeit als wohltuend. Auch der Whisky trug dazu bei, ihn wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Außerdem blickte ihn der Kommissar, der wohl ausreichend beobachtet hatte, nicht mehr unverwandt an. Timar wagte es, eine Frage zu stellen.
»Was sind das für Leute, die Renauds, von denen Sie eben gesprochen haben?«
»Hat man Ihnen nichts erzählt? Vor fünfzehn Jahren ist Eugène Renaud aus Frankreich ausgewiesen worden. Mädchenhandel, aber vermutlich auch einige andere Vergehen. Es gibt mehrere solche Fälle in Libreville.«
»Und seine Frau?«
»Sie ist wirklich seine Frau, richtig mit ihm verheiratet. Das war sie schon damals. Sie arbeiteten vor allem im Ternes-Viertel. Trinken Sie Ihr Glas aus!«
Timar leerte das Glas drei-, vielleicht viermal. Der Kommissar trank ebenso viel und wurde schließlich sehr redselig. Hätte der Staatsanwalt nicht angerufen und ihn dringend sprechen wollen, hätte das Gespräch noch viel länger gedauert.
Als Timar ins Freie trat, strahlte die Sonne senkrecht auf ihn herunter, und es war so drückend, dass er nach hundert Metern Angst bekam. Sein Nacken brannte. Er vertrug den Whisky nicht, und er musste an Eugène Renauds blutigen Urin und an andere Geschichten denken, die er eben gehört hatte.
Vor allem aber dachte er an Adèle. Als er selbst erst sieben Jahre alt gewesen war, hatte sie schon Renaud geholfen, Mädchen für Südamerika zu beschaffen. Sie war Renaud nach Gabun gefolgt, zu einer Zeit, als an der Küste nur Holzhütten standen. Sie hatten sich im Wald niedergelassen, als einzige Weiße weit und breit, hatten Bäume gefällt und die Stämme den Fluss hinuntertreiben lassen.
Einfältige Bilder drängten sich vor Timars inneres Auge, Illustrationen aus Büchern von Jules Vernes, unter die sich hier und da ein wenig Wirklichkeit mischte. Er folgte dem weiten Weg aus roter Erde, der am Meer entlangführte, und sah, wie sich die Kokospalmen vom Himmel und von dem bleiernen Grau der Wasseroberfläche abhoben. Keine einzige Welle, nur ein leichtes Kräuseln war am Flutsaum zu sehen. Halb nackte Männer mit buntem Lendenschurz standen um die Pirogen der Fischer herum, die gerade zurückgekommen waren.
Der Fluss war dort hinten, kaum einen Kilometer entfernt, am Ende der Bucht. Allerdings hatte es zu Adèles und Eugènes Pionierzeit in all dem Grün noch nicht die roten Dächer der Faktoreien und der Büros des Gouverneurspalais gegeben.
Sie trug damals sicher Stiefel und einen Patronengürtel und bestimmt kein Kleid aus schwarzer Seide auf ihrer nackten Haut. Während er weiterging, suchte er Schatten, aber dort war es genauso heiß wie in der Sonne. Es war die Luft, die alles versengte, selbst die Kleider waren so heiß, dass man sie kaum anfassen konnte. Und früher hatte es weder Ziegelmauern noch Eis zum Kühlen der Getränke gegeben.
Nach acht Jahren waren Adèle und Renaud trotz des Einreiseverbots mit sechshunderttausend Franc nach Frankreich zurückgekehrt und hatten das Geld in wenigen Monaten ausgegeben, verjubelt, wie der Kommissar sagte.
Wofür? Was für ein Leben hatten sie geführt? An welchen Orten hätte der halbwüchsige Timar ihnen begegnen können?
Sie waren wiedergekommen. Sie waren wieder in den Wald gezogen. Der Mann war zweimal an Hämaturie erkrankt, und Adèle hatte ihn gepflegt.
Erst vor drei Jahren hatten sie das Central gekauft.
Und eines Morgens hatte Timar diese Frau auf dem schweißnassen Bett in den Armen gehalten.
Er wagte nicht, seinen Tropenhelm abzunehmen und sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Es war Mittag, und er ging allein, mutterseelenallein, die glühend heiße Straße entlang.
Der Kommissar hatte ihm noch andere Geschichten erzählt, ohne sich zu empören, nur wenn er fand, dass die Leute übertrieben, hatte er ärgerlich gebrummt.
So war es bei dem Pflanzer, der vor einem Monat seinen Koch an den Füßen über einer Wasserschüssel aufgehängt hatte, weil er glaubte, dass dieser ihn vergiften wollte. Hin und wieder lockerte er den Strick, und der Kopf tauchte in die Schüssel. Schließlich hatte er eine gute Viertelstunde lang vergessen, den Schwarzen wieder hochzuziehen, und er war tot.
Der Prozess lief. Der Völkerbund hatte sich eingeschaltet. Und schon war wieder ein Eingeborener ermordet worden!
»Man wird sie nicht davonkommen lassen«, hatte der Kommissar erklärt.
»Wen?«
»Die Mörder.«
»Und in den anderen Fällen?«
»Fast immer findet sich eine Lösung.«
Was hatte Adèle während des Festes nachts draußen gemacht? Und warum hatte sie Thomas ein paar Stunden zuvor ins Gesicht geschlagen? Timar hatte nichts gesagt. Er würde auch nicht darüber sprechen. Aber hatte niemand sonst sie von draußen hereinkommen sehen?
Wieder verlief er sich und musste umkehren. Schließlich betrat er das Hotel, wo an diesem Mittag das Klappern der Bestecke nicht wie üblich von Stimmengemurmel begleitet wurde. Alle blickten ihn an. Er bemerkte, dass Adèle nicht da war, und setzte sich an seinen Tisch.
Der Boy war neu und noch sehr jung. Jemand zupfte Timar am Ärmel, und als er sich umwandte, erkannte er einen der Holzfäller, den Kräftigsten unter ihnen, der aussah wie ein Metzger.
»Das war’s!«
»Was?«
Er wies zur Decke.
»Er ist gerade gestorben. Übrigens, was hat er Ihnen gesagt?«
Das ging ihm alles zu schnell, besonders an diesem betäubend heißen Mittag. Vergeblich bemühte sich Timar, seine Gedanken zu ordnen, und merkte, wie lächerlich seine Frage war:
»Wer?«
»Der Kommissar! Er hat Sie als Ersten vorgeladen, weil er sich dachte, ein Neuer lässt sich leichter grillen. Heute Nachmittag oder morgen sind wir an der Reihe.«
Niemand hörte auf zu essen, aber die Blicke aller waren auf Timar gerichtet, der nicht wusste, was er sagen sollte, weil er immerzu an den Toten dort oben denken musste, bei dem Adèle sicherlich wachte, und an die Geschichten des Kommissars.
»Meinen Sie, er weiß etwas?«
»Schwer zu sagen. Ich habe erklärt, dass ich nichts gesehen habe.«
»Aha! Gut.«
Das rechnete man ihm also an. Man betrachtete ihn jetzt wohlwollender. Also wussten diese Leute, dass er etwas wusste? Wussten sie also auch etwas?
Timar errötete, aß eine Wurstscheibe und hörte sich zu seinem eigenen Erstaunen sagen:
»Hat er sehr gelitten?«
Dann merkte er, dass er diese Frage nicht hätte stellen dürfen, dass der Todeskampf schrecklich gewesen sein musste.
»Dumm, dass es gleich nach der Affäre mit dem Erhängten passiert ist«, sagte der einäugige Holzfäller.
Sie hatten auch daran gedacht. Alle hatten daran gedacht. Letztendlich hielten sie sich alle an die Spielregeln, und sie alle sahen Timar neugierig und misstrauisch an, weil er an dem Spiel nicht beteiligt war.
Oben im Zimmer hörte man Schritte. Eine Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Jemand kam die Treppe herunter.
Adèle Renaud durchquerte das totenstille Lokal, ging zur Theke und nahm den Telefonhörer ab.
Sie sah aus wie immer, eingeschlossen die Brüste, die sich deutlich unter der Seide des Kleides abzeichneten. Die Feststellung war kindisch, trotzdem war es das, was Timar am meisten störte, als gehörte es zur Trauer, Unterwäsche zu tragen.
»Hallo! … Die Fünfundzwanzig, ja … Hallo! … Ist Oskar nicht da? … Ja, ich bin es … Sobald er zurückkommt, sagen Sie ihm bitte, dass es vorbei ist und er kommen und das Nötige erledigen soll … Der Arzt will nicht, dass die Leiche länger als bis morgen Mittag hierbleibt … Nein, danke … es ist alles in Ordnung.«
Nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, stützte sie sich eine Weile mit den Ellenbogen auf die Bar, das Kinn in den Händen, und blickte starr vor sich hin. Dann sagte sie, ohne sich dem Boy richtig zuzuwenden:
»Na los, wann räumst du endlich den Tisch dort hinten ab?«
Sie öffnete eine Schublade, schloss sie wieder, wollte schon hinausgehen, besann sich dann aber eines anderen und lehnte sich wieder an die Bar, das Kinn in die gefalteten Hände gestützt. Am Tisch der Holzfäller rief jemand:
»Wird er morgen beerdigt?«
»Ja. Der Doktor behauptet, es sei nicht ratsam, ihn länger hierzubehalten.«
»Wenn Sie Hilfe brauchen …«
»Danke! Es ist schon alles vorbereitet. Der Sarg wird bald gebracht.«
Dabei sah sie Timar an. Er spürte ihren Blick und wagte nicht, die Augen zu heben.
»Waren Sie beim Kommissar, Monsieur Timar? War er sehr unangenehm?«
»Nein … Ich … Er kennt meinen Onkel, der Departementsrat ist, und er …«
Er verstummte, denn wieder spürte er um sich herum diese spöttische, aber durchaus respektvolle Neugier, die ihn verwirrte. Gleichzeitig sah er eine Sekunde lang über Adèles geschwungene Lippen ein gerührtes Lächeln huschen.
»Ich habe Sie umquartiert, denn es gibt kein anderes Zimmer, in das ich die Leiche heute Nacht legen kann.«
Sie drehte sich zu den aufgereihten Flaschen um, wählte einen Calvados, schenkte sich ein und trank mit vor Abscheu verzogenen Mundwinkeln. Dann fragte sie mit sachlicher Stimme:
»Was hat man mit dem Schwarzen gemacht?«
»Man hat ihn ins Hospital gebracht. Dort soll heute Nachmittag die Autopsie vorgenommen werden. Die Kugel scheint zwischen den Schulterblättern wieder ausgetreten zu sein und wurde noch nicht gefunden.«
Diese letzten Worte waren mit Absicht gesagt worden. Achselzuckend schob sich der Holzfäller eine dottergelbe Aprikosenhälfte in den Mund und fuhr fort:
»Ein schwarzer Polizist ist am Tatort, um zu verhindern, dass jemand die Kugel mitnimmt, wenn er sie findet. Nun ja, falls man sie findet! Wer spielt eine Partie Billard mit mir?«
Er stand auf und wischte sich den Mund mit seiner Serviette ab. Als niemand ein Wort sagte, murmelte er nach kurzem Zögern:
»Vielleicht spielen wir heute lieber kein Billard. Bring mir einen Calvados, Adèle.«
Und er lehnte sich ihr gegenüber an die Theke, während die anderen weiteraßen. Timar war das Blut in die Wangen gestiegen. Achtlos stopfte er das Essen in sich hinein und zuckte jedes Mal wütend zusammen, wenn eine dicke Fliege vorbeiflog, die sich ihn zum Mittelpunkt ihrer Flugübungen auserkoren hatte.
Es war schwül. Draußen regte sich kein Lüftchen. Selbst das mit einem leichten Kräuseln anlandende Meer war nicht zu hören.
Nur aus der Küche hinter der Durchreiche drang hin und wieder das Klappern von Tellern. Der stellvertretende Direktor der Bank, ein hochgewachsener junger Mann, der seine Mahlzeiten im Hotel einnahm und dessen Gebaren denen Timars nicht unähnlich war, ging als Erster hinaus, nachdem er seinen Tropenhelm aufgesetzt und sich eine Zigarette angezündet hatte.
Bald darauf würden sich auch die anderen erheben. Einige würden vorher an der Theke noch einen Schnaps trinken. Jedenfalls würden, sobald die Zeiger der Wanduhr auf zwei vorrückten, Timar und Adèle allein im Lokal sein.
Timar überlegte, ob er so lange bleiben sollte. Die vier Whisky vom Vormittag hatten ihn müde gemacht. Sein Kopf war leer und tat ihm weh, aber er traute sich nicht, sich in einem anderen Zimmer schlafen zu legen, während man den Toten in das seine brachte.
Jemand fragte, ein Glas Schnaps in der Hand:
»Können wir ihn noch mal sehen, bevor der Sarg geschlossen wird?«
»Ich glaube nicht. Um fünf Uhr wird alles vorbei sein.«
»Armer Kerl!«
Der, der das gesagt hatte, war im gleichen Alter wie der Wirt. Es gab sogar Jüngere, die schon ihren zweiten Anfall hinter sich hatten. Mehrere, hatte der Kommissar zu Timar gesagt, wären schon ein- oder zweimal mit einem Vermögen nach Frankreich zurückgekehrt und hätten es dort in weniger als einem Jahr ausgegeben. Als der Einäugige, der einen Goldzahn hatte, einmal in Bordeaux war, wo gerade in der Oper eine Galavorstellung stattfand, hatte er sämtliche Taxis der Stadt gemietet, nur um die Zuschauer und Zuschauerinnen bei heftigem Regen in großer Toilette nach Hause gehen zu sehen. Heute, aufgrund der Krankheit, schlug er sich mit einem alten Lieferwagen durch, erledigte bescheidene Transporte und besorgte die Müllabfuhr.
Die Glocke einer Faktorei schlug halb zwei. Im Lokal waren nur noch vier Personen, kurz darauf drei anwesend. Timar, der immer noch an seinem Tisch saß, blickte zu Boden.
Dann leerte der letzte Gast sein Glas und nahm seinen Tropenhelm vom Garderobenständer, während Timars Herz schneller zu schlagen begann und er sich beklommen fragte, was er oder sie wohl sagen würden.
Die Schritte entfernten sich. Mühsam hob er den Kopf. Er hatte beschlossen, sich auch einen Schnaps zu bestellen, auf die Gefahr hin, für den Rest des Tages unbrauchbar zu sein.
Doch in dem Augenblick, in dem er den Beschluss fasste, seufzte Adèle wie jemand, der sich ohne Energie an die Arbeit macht. Er hörte, wie sie die Kasse schloss. Dann ging sie hinaus, ohne ihm etwas zu sagen, ohne ihn anzusehen. In der Durchreiche sah er sie noch einen Augenblick in der Küche, wo sie mit leiser Stimme Anweisungen gab. Schließlich ging sie die Treppe hinauf, und ihre Schritte hallten über Timars Kopf.
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