Kitabı oku: «Ketzer», sayfa 2
Um alle modernen Stimmungen und Urteile von vornherein auszuschließen, gehe ich von der Auffassung aus, welche die alte Kirche bereits im 2. Jahrhundert bezüglich der Ketzer und ihrer Lehren hegt, und prüfe sie auf ihre Haltbarkeit in der Hoffnung, bei solchem kritischen Verfahren einen Weg zum Ziel zu finden. Der kirchliche Standpunkt umfaßt etwa die folgenden Hauptgesichtspunkte:
1. Jesus offenbart die reine Lehre seinen Aposteln, teils vor seinem Tode, teils in den vierzig Tagen vor der Himmelfahrt.
2. Nach seinem endgültigen Scheiden teilen die Apostel die Welt unter sich und jeder bringt dem Lande, das ihm zugefallen, das unverfälschte Evangelium.
3. Auch nach dem Tode der Jünger breitet sich dieses weiter aus. Doch erwachsen ihm jetzt Hemmungen innerhalb der Christenheit selbst. Der Teufel kann es nicht lassen, Unkraut in das göttliche Weizenfeld zu säen; und er hat Erfolg damit. Von ihm verblendet geben gewisse Christen die echte Lehre preis. Die Entwicklung vollzieht sich in folgender Weise: Unglaube, Rechtglaube, Irrglaube. Dafür, daß man den Unglauben unmittelbar mit dem vertauschen könne, was die Kirche Falschglauben nennt, zeigt sich kaum irgendwo auch nur eine Ahnung. Nein, wo es Häresie gibt, muß zuvor Orthodoxie bestanden haben. ›Alle Ketzer‹, sagt etwa Origenes, ›kommen zuerst zur Gläubigkeit; später weichen sie dann von der Glaubensregel ab.‹…
4. Natürlich ist der rechte Glaube unüberwindlich. Trotz aller Bemühungen des Satans und seiner Werkzeuge drängt er Unglauben und Irrglauben zurück und greift siegreich immer weiter um sich. An dieser Überzeugung Kritik zu üben, ist der Wissenschaft nicht schwer gefallen. Sie weiß, daß mit Jesus noch nicht die Kirchenlehre da war; ebenso daß die Zwölf Apostel keineswegs die Rolle gespielt haben, die man ihnen aus Rücksicht auf die Reinheit und Offenbarungsmäßigkeit des Dogmas zuweist. Auch weigert sich eine Geschichtsbetrachtung, die diesen Namen verdient, hier die Gegensätze von Wahr und Unwahr, Böse und Gut in Anwendung zu bringen. Von der den Ketzern nachgesagten sittlichen Minderwertigkeit läßt sie sich nur schwer überzeugen … Dann jedoch kommt früher oder später ein Punkt, an dem die Kritik erlahmt. Allzu leicht … beugt sie sich der kirchlichen Meinung über das Früh und Spät, das Ursprünglich und Abhängig, das Wesentlich und Unwichtig für die Urgeschichte des Christentums. Ist mein Eindruck zutreffend, so geht die ganz überwiegend geteilte Auffassung auch heute dahin, daß schon für die Anfangszeit die Kirchenlehre – natürlich nur auf irgendeiner Stufe der Entwicklung – das Primäre darstellt, die Häresien dagegen irgendwie eine Abwandlung des Echten sind. Ich will nicht sagen, daß diese Anschauung falsch sein müsse, aber ich kann sie ebensowenig für selbstverständlich oder gar für bewiesen und sichergestellt ansehen. Vielmehr liegt hier ein Problem vor, um das man sich mühen muß.«71
Bauers Methode wurzelt ganz im Historismus, der von einer Autonomisierung des historischen Bewusstseins72 geprägt ist. Sie setzt die Gültigkeit historischer Fakten voraus und scheut sich nicht, wissenschaftliche Erkenntnisse mit kirchlichen Behauptungen kritisch zu konfrontieren.73 Bauer ist demnach ebenfalls Vertreter einer profanen Kirchengeschichtsschreibung,74 deren Aktualität und Fruchtbarkeit im Folgenden zu erweisen sein wird.
Die Übernahme seines Ansatzes bedeutet nicht, dass ich mit den Einzelergebnissen seiner Arbeit stets übereinstimme. So waren am Ende des 2. Jh.s die ketzerischen Lehren bzw. das, was die offizielle Kirche als häretisch ansah, nicht unbedingt identisch mit dem, was gewisse Kreise ein Jahrhundert zuvor als ketzerisch betrachteten.75
Auch sind diejenigen Gruppen, die am Ende des 2. und am Ende des 1. Jh.s Ketzerhüte verteilten, in ihrer Theologie nicht automatisch miteinander gleichzusetzen. Wohl aber bedeutet Bauers Fragestellung, die ausgehend vom Ende des 2. Jh.s für die frühe Zeit die Ausdrücke »Ketzerei« und »Rechtgläubigkeit« zunächst rein formal gebraucht, einen fruchtbaren Gesichtspunkt, um der Vielfalt von »Christentümern« in den ersten beiden Jahrhunderten und ihrer Kämpfe untereinander gewahr zu werden. »Rechtgläubigkeit« bezeichnet dann, für die frühe Zeit gebraucht, nur den Anspruch, den rechten Glauben zu besitzen, der ihn anderen, die davon abweichen, abspricht und sie sogleich der Ketzerei bezichtigt. Ferner ist offenbar in manchen Gebieten das, was später als ketzerisch galt, der »Rechtgläubigkeit« vorangegangen.
Diese Erkenntnis Bauers bewährt sich besonders hinsichtlich der ältesten judenchristlichen Gemeinde Jerusalems, deren Nachfahren zu Ketzern erklärt wurden. Sie dürfte aber auch für andere christliche Gruppen zutreffen.
Schließlich stellt sich im Anschluss an Bauers Werk die Aufgabe, darzustellen, wie sich trotz oder gerade wegen der Pluralität christlicher Gruppen in der Frühzeit später eine »rechtgläubige« katholische Kirche mit festen Formen und Institutionen entwickeln konnte, von der die »Ketzerei« endgültig ausgeschieden wurde. Da jedoch seit der Publikation seines Werkes in der zweiten Auflage (1964) der gesamte Handschriftenfund von Nag Hammadi zugänglich ist76, ferner die sog. ntl. Apokryphen mehr beachtet werden77 und überhaupt das 2. Jh. verstärkt das Interesse der Forschung gefunden hat78, ist eine neue Rekonstruktion frühchristlicher Ursprünge sinnvoll, dies um so mehr, als die Herausbildung dessen, was als Neues Testament bekannt ist, in diesem 2. Jh. erfolgte.79 M. a. W., in dieser Zeit – nicht schon im 1. Jh. – schälte sich die grund-legende Entscheidung über die Zusammensetzung der heiligen Schrift der katholischen Christen und über ihre »richtige« Auslegung heraus, die einschneidende Konsequenzen für nichtkatholische Gruppen hatte. Pointiert gesagt: In der Zeit von der ersten christlichen Generation bis zum Ende des 2. Jh.s fielen wichtigere Entscheidungen für die gesamte Christenheit als vom Ende des 2. Jh.s bis heute.
Zum Aufbau des vorliegenden Buches
Das nun folgende Kapitel beschäftigt sich mit zwei ketzerbestreitenden Werken aus dem Ende des 2. bzw. dem Anfang des 3. Jh.s, den fünf Büchern »Gegen die Häresien« des Bischofs Irenäus von Lyon und der »Prozesseinrede gegen die Häretiker« aus der Feder Tertullians von Karthago. Beide Werke haben wesentlich zur »Widerlegung« der von der katholischen Kirche ausgeschiedenen Ketzereien beigetragen und mit ihrem Geschichtsbild, dass angeblich allseits die Orthodoxie der Ketzerei voranging, christliche Theologie fast 2000 Jahre lang zur Selbsttäuschung verleitet und die kritische Forschung davon abgehalten, die christlichen Ursprünge, so wie sie wirklich waren, zu rekonstruieren. Indem ich die Arbeitsweise dieser beiden einflussreichen Ketzerbestreiter genau untersuche und ihre Grenzen aufzeige, will ich ein Stück des Schleiers lüften, der nach wie vor über den ersten beiden christlichen Jahrhunderten liegt.
In Kapitel 3 geht es um die Jerusalemer Judenchristen der ersten beiden Jahrhunderte. Die Überschrift lautet: »Wie aus Ketzerbestreitern Ketzer wurden oder: Die Jerusalemer Judenchristen in den ersten beiden Jahrhunderten«. Sie orientiert sich daran, dass der älteste sichtbare Kampf gegen Andersdenkende von den ersten Christen in Jerusalem ausging. Sie waren es, die faktisch den Begriff der Ketzerei in die Kirche gegen Paulus eingeführt haben, während sich dieser durch eine relativ große Offenheit gegenüber andersdenkenden Christen auszeichnete. »Die noch in den Anfängen stehende Verfestigung der Gedankenbildung im Verein mit der apostolischen Weitherzigkeit, die allen alles werden kann, um alle zu gewinnen, lassen ihn eine Duldsamkeit entfalten, die kaum einen Ketzer kennt.«80
Über die Apostel vor sich schreibt Paulus: »Ob nun ich oder jene, so predigen wir, und so seid ihr zum Glauben gekommen«. (1Kor 15,11).
Angesichts von Widersachern zeigt er sich versöhnlich und bemerkt:
(15) »Einige zwar predigen Christus auch aus Neid und Streit, einige aber auch mit guter Absicht;
(16) die(se) aus Liebe, weil sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums bestimmt bin;
(17) die (anderen) aber verkündigen Christus aus Selbstsucht, nicht aufrichtig, in der Meinung, meine Fesseln zu verunglimpfen.
(18) Was tut’s? Nur dass auf jede Weise, sei es zum Schein oder wahrhaftig, Christus verkündigt wird, und darüber freue ich mich.«. (Phil 1,15 – 18a)
Selbst die Auferstehungsleugner in Korinth (1Kor 15,12) versucht Paulus zu überzeugen, ohne sie aus der Gemeinde auszuschließen. Nur bei einem Verstoß wie dem sexuellen Verkehr zwischen Stiefsohn und Stiefmutter (1Kor 5,1 ff) und gegenüber judenchristlichen Widersachern, die in seine heidenchristlichen Gemeinden eingedrungen waren, wird Paulus rabiat. Im letzten Fall spricht er ein konditionales Verdammungsurteil (Gal 1,8 f.; vgl. Phil 3,2) als Reaktion81 auf seine eigene Verketzerung hin aus, und im ersten wird »die Übergabe an den Satan« durch die ausdrückliche Aussage der Rettung im Endgericht eingeschränkt.82 Paulus als dem einzigen Ketzer der ältesten Zeit ist daher Kapitel 4 dieses Buches gewidmet.
Die übrigen Kapitelüberschriften ergeben sich daraus, was zum Ketzertum als Gesichtspunkt der Darstellung gesagt wurde, fast wie von selbst. Kapitel 5 stellt die sachlich in zwei Flügel gespaltenen Pauluserben dar, die sich beide ausdrücklich auf den Apostel beriefen, unter Benutzung seines Namens Briefe verfassten bzw. fälschten und von denen der eine Flügel den anderen verketzerte.
Kapitel 6 wendet sich aus sachlichen Gründen im unmittelbaren Anschluss daran Markion zu, dem großen Reformator des 2. Jh.s, der den ersten ntl. Kanon, bestehend aus LkEv und Paulusbriefen (beide jeweils in ihrem »ursprünglichen« Inhalt), zusammenstellte, aber bald als Erstgeborener des Satans verketzert wurde. Kapitel 7 handelt von den chronologisch vor Markion liegenden Ketzereien im johanneischen Schrifttum, wobei die durch einen Glücksfall im 2Joh und 3Joh dokumentierte Spaltung des johanneischen Kreises besondere Aufmerksamkeit erfährt.
Nachdem so an konkreten Personen und Situationen Schlaglichter auf die »Ketzereien« im Urchristentum geworfen worden sind und ihre Geschichte nacherzählt worden ist, wendet sich Kapitel 8 der Frage der Entstehung des apostolischen Glaubensbekenntnisses und Kapitel 9 dem Problem der Ausbildung des ntl. Kanons zu. Damit ist wieder der historische Ausgangspunkt des Buches, der katholische Standort des Irenäus und Tertullians, erreicht und ein Beitrag zur Entstehung der katholischen Kirche geleistet. Von dort richtet sich in Kapitel 10 der Blick zurück auf die Anfänge, Jesus von Nazareth, um das Verhältnis seiner Lehre, seiner Taten und seiner Hoffnungen zu dem, was nach ihm kam, zu klären.
Kapitel 2:
Irenäus von Lyon und Tertullian von Karthago, die wichtigsten Ketzerbestreiter der christlichen Frühzeit
I. Irenäus 1
Irenäus stammt aus Kleinasien; hier erblickte er vor 142 n. Chr. das Licht der Welt. In seiner Jugend war er Hörer des Bischofs Polykarp von Smyrna (Izmir). Später wurde er Presbyter in Lugdunum (Lyon), überbrachte im Jahr 177 n. Chr. ein den Montanismus betreffendes Schreiben seiner Gemeinde nach Rom und folgte nach 178 n. Chr. Pothinus als Bischof von Lyon nach. Zwei seiner Schriften sind in Übersetzung erhalten, das Anfang des letzten Jh.s entdeckte Alterswerk »Aufweis der apostolischen Verkündigung«2 (in armenischer Sprache) und eine aus dem Ende des 4. Jh.s stammende lateinische Version seines fünfbändigen Ketzerwerkes »Entlarvung und Widerlegung der fälschlich so genannten Gnosis«. (= Haer)3, dessen griechisches Original sich an zahlreichen Stellen wiedergewinnen lässt4, da spätere Ketzerbestreiter wie Hippolyt von Rom5, Epiphanius von Salamis6 und Theodoret von Kyros7 ebenso wie der Kirchenhistoriker Euseb von Cäsarea8 daraus umfangreiche wörtliche Zitate mitteilen.
Zur Anlage von Irenäus’ Werk »Gegen die Häresien«
Das erste Buch will die Lehren der Ketzer ans Licht ziehen und enthält viel wertvolles Traditionsmaterial. Im zweiten Buch setzt sich Irenäus zum Ziel, »in langen Hauptstücken ihre ganze Lehre zu widerlegen«. (Vorrede 2) und handelt beispielsweise von Gott, dem Schöpfer (II 1 – 13), unter gleichzeitiger Abweisung anderslautender gnostischer Lehren. Das dritte Buch setzt neu zur Widerlegung der Ketzer auf der Grundlage der überlieferten Schriften der Kirche ein und bespricht zunächst die vier Evangelien (III 1) und die Lehre der Apostel (III 12 ff), wobei dazwischen immer wieder thematische Exkurse eingeschoben werden (z. B. III 8 über Mt 6,24; III 10: Lk und Mk über den Gott des Alten Testaments). Das vierte Buch wendet sich den Reden Jesu zu und das fünfte hauptsächlich den Briefen des Paulus mit einem Ausblick auf die neue Erde bzw. das Ende der Welt (V 28 – 36). In den Vorreden zu den fünf Büchern und in einzelnen Überleitungen und Rückblicken verknüpft Irenäus seine Aussagen miteinander. Doch bleibt das Ganze relativ unübersichtlich. Man gewinnt den Eindruck, dass der Bischof sehr viel vorgeformtes Material übernommen hat, z. B. auch atl. Auslegungen seitens seiner Vorgänger.
Das Interesse des Irenäus
Irenäus’ Theologie ist die eines Kirchenmannes. Er führt seinen antiketzerischen Kampf einerseits zur Verteidigung des Schöpfergottes und andererseits zum Schutz der einfachen Kirchenchristen. Einige Proben, in denen der Bischof selbst spricht, mögen das verdeutlichen.
»Es gibt Leute, die geben die Wahrheit aus der Hand und bringen falsche Lehren auf und ›endlose Genealogien, die nur Streitfragen mit sich bringen‹, wie der Apostel sagt, ›statt der Erbauung Gottes zu dienen, die sich im Glauben verwirklicht‹ (1Tim 1,4). Mit listig eingeübter Überredungskunst verführen sie die Ahnungslosen in ihren Vorstellungen und fangen sie ein, indem sie leichtfertig mit dem Herrenwort umgehen und das, was richtig gesagt ist, falsch ausdeuten. Viele stürzen sie dadurch ins Verderben, dass sie sie unter Vortäuschung besonderer Erkenntnis vom Schöpfer und Ordner des Alls abbringen, als ob sie ein höheres und größeres Wesen vorzeigen könnten als den Gott, der Himmel und Erde und alles darin gemacht hat (Ex 20,11; Ps 146,6: LXX 145,6; Apg 4,24; 14,15). Auf gewinnende Art bringen sie die Arglosen durch trickreiche Reden dazu, sich auf die Suche zu machen; auf gar nicht gewinnende Art aber richten sie sie zugrunde, indem sie ihr Denken zu Blasphemie und Frevel gegen den Weltschöpfer machen, so dass sie nicht mehr in der Lage sind, Falsch und Wahr voneinander zu unterscheiden.«. (Haer I, Vorrede 1)9
»Denn solcherart ist bloß das Geschäft von Lügnern, Verführern und Heuchlern, wie es die Valentinianer sind. An die Menge nämlich richten sie mit Rücksicht auf die, welche von der Kirche kommen, und die sie auch gemeine Ekklesiastiker nennen, Vorträge, um die Einfältigeren einzufangen und anzulocken, indem sie immer aufs neue unseren Vortrag nachahmen, und beklagen sich dann über uns, dass wir uns ohne Grund von ihrer Gemeinschaft zurückhielten, da sie doch Ähnliches lehrten wie wir, und dass wir sie Häretiker nennen, obwohl sie dasselbe lehrten und dieselbe Lehre hätten«. (Haer III 15,2).10
Irenäus sieht also die ihm als bischöflichem Hirten anvertraute Herde durch ketzerische Agitation in seiner eigenen Gemeinde bedroht und besteht auf rigoroser Trennung, weil die Ketzer trotz gegenteiliger Beteuerung etwas ganz anderes als die Kirche lehrten.
Die folgende Polemik gegen Markus, einem gnostisch-christlichen Lehrer aus der Mitte des 2. Jh.s, belegt anschaulich, wie der Kontakt zwischen »Ketzern« und »Gläubigen« zustande kam. Irenäus berichtet:
»Einer unserer Diakone in Asien hat ihn (sc. Markus) in sein Haus aufgenommen und erlebte folgendes Unglück. Seine Frau, die sehr schön war, wurde von diesem Magier an Geist und Leib verdorben und ist ihm lange Zeit nachgelaufen. Schließlich konnten die Brüder sie unter großer Mühe bekehren. Sie tat dann die ganze Zeit Buße und klagte und weinte über die Schande, die ihr der Magier angetan hatte«. (Haer I 13,5).
Diese Polemik mit ihren sexuellen Untertönen ist ebenso typisch wie ungerecht, beleuchtet aber gleichzeitig das Wirkungsfeld des von Irenäus angegriffenen Ketzerhauptes Markus.11
An der soeben zitierten Stelle setzt Irenäus seine Polemik fort, indem er wiederum die fast automatische Durchschlagskraft einer sexuellen Anklage nutzt:
»Auch einige seiner Schüler ziehen wie er durch die Gegend und haben schon viele Frauenzimmer betrogen und verdorben. Sie ernennen sich selbst zu Vollkommenen, als ob niemand sie an Größe der Erkenntnis erreichen könnte, wen du auch nennst. Kein Paulus, kein Petrus, kein anderer Apostel. Sie wollen mehr als alle wissen und haben die Größe der Erkenntnis der unsagbaren Kraft getrunken. Sie sind in der Höhe noch über aller Kraft. Deswegen haben sie auch die Freiheit, alles zu tun, ohne irgendwelche Angst wegen irgendetwas haben zu müssen … Mit solchen Reden und Praktiken haben sie auch hierzulande bei uns im Rhonegebiet viele Frauen getäuscht. Mit verbranntem Gewissen (vgl. 1Tim 4,2) tun die einen öffentlich Buße, die anderen genieren sich deshalb, ziehen sich still zurück und haben die Hoffnung auf das Leben bei Gott (vgl. Eph 4,18) aufgegeben, wobei manche nun ganz abgefallen sind, andere aber noch schwanken und erlebt haben, was das Sprichwort sagt, dass sie nämlich weder draußen noch drinnen sind.«. (Haer I 13,6 f.)
Als die Angegriffenen das und andere Ausführungen zu liturgischen Riten und Formeln der Erlösung (vgl. Haer I 21) lasen, haben sie heftig protestiert, wie Hippolyt ca. 20 Jahre später berichtet12:
»Der selige Presbyter Irenäus hat sich mit großem Freimut an ihre Widerlegung gemacht und hat diese Waschungen und Erlösungen (sc. ihres Lehrers Markus, wie z. B. die pneumatische Hochzeit und die Salbung der Sterbenden mit Olivenöl) auseinandergesetzt, indem er ihr Tun ausführlich schilderte. Da nun einige von ihnen das lasen, leugneten sie, derartige Lehren überkommen zu haben. Sie werden ja immer angeleitet zu leugnen.«. (Ref VI 42)13
Wesentlich ist die Erkenntnis, dass Irenäus und seine Nachfolger Polemiker größten Stils sind und ihre Gegner ungerecht behandeln. Irenäus’ Werk ist das typische »Beispiel einer unübersichtlichen und ermüdenden Ketzerbestreitung, die aus Mangel an geistiger Überlegenheit nach jedem Argument greift, mit dem sich die Gegner verunglimpfen, verdächtigen und karikieren lassen.«14
Für Irenäus ist »die fälschlich so genannte Gnosis« ein Sammelname einer Reihe untereinander geradezu entgegengesetzter Gruppen.15 So schreibt er in der Vorrede zu Haer II: In Buch I habe er zunächst die Erfindungen der Valentinianer (und hier besonders der Ptolemäer) als Lügenrede erwiesen. Die anderen Ketzer seien praktisch deren Vorfahren, und alle gingen auf Simon, den Magier, zurück. Indem Irenäus die Valentinianer angreift, meint er, zugleich die anderen zu treffen. Man vgl. ferner Haer II 31,1: »Nachdem also die Valentinianer widerlegt worden sind, ist auch die gesamte Menge der Ketzer zu Fall gebracht.«
In seinem ersten Buch hatte er offenbar ein älteres antiketzerisches Werk verarbeitet, das alle Häretiker von Simon Magus ableitet (vgl. Haer I 23,1: Simon, »von dem alle Ketzereien abstammen«). In dem von Irenäus benutzten Werk eines Vorgängers folgen auf Simon sein Schüler Menander, dann Saturnin, Basilides, Karpokrates, Kerinth, Ebioniten, Nikolaiten, Kerdon, Markion. Da der Apologet Justin um 150 n. Chr. in I Apol 26 auf ein nicht erhaltenes antiketzerisches Werk verweist und dort die Reihenfolge Simon – Menander – Markion erscheint, wird vielfach Justins verlorene Schrift für die Vorlage von Irenäus, Haer I 23 ff gehalten. Doch ist sogleich einschränkend zu bemerken, dass in keinem Fall die Ebioniten Teil einer antihäretischen Schrift Justins gewesen sein können, da die meisten von ihnen in den Augen des aus Palästina (Neapolis) gebürtigen Apologeten Justin noch keine Ketzer waren (Dial 46 f. – zu diesem Text s. unten S. 86 – 90). Außerdem dürften die Nikolaiten, von denen wir Apk 2,14 – 15 hören – sie aßen Götzenopferfleich und »trieben Unzucht« –, hinzugewachsen sein, da sie entgegen der »Überschrift« des vorirenäischen Ketzerwerkes nicht von Simon, sondern von Nikolaos abgeleitet werden: »Die Nikolaiten haben Nikolaos als ihren Lehrer (also nicht Simon, Vf.), einen von den Sieben, die von den Aposteln als die ersten Diakone eingesetzt wurden.«. (Haer I 26,3)
Der antiketzerische Abschnitt bei Irenäus, Haer I 23 – 28 ist so aufgebaut, dass die meisten Ketzer zumindest eine Einzelheit von dem vertreten, was Simon bereits gelehrt hat.16 Besonders auffällig sind die Übereinstimmungen zwischen Simon Magus (I 23,1 – 4) und den Basilidianern (I 24,3 – 7) sowie den Karpokratianern (I 25,1 – 6)17:
1 Schöpfung der Welt durch rebellische Engel (I 23,5; 24,1 f.; 25,3);
2 Fehlen eines einzelnen Schöpfers;
3 Unkenntnis des Urwesens durch die feindlichen Mächte (vgl. zusätzlich I 26,1);
4 Seelenwanderung;
5 Kriegsmotiv;
6 Scheinkreuzigung (vgl. zusätzlich I 26,1);
7 Propheten als Gesandte der Engel;
8 paulinisch-kyrenäische Gesetzeslehre;
9 Libertinismus (vgl. zusätzlich I 26,3; 27,3 [?]; 28,2 – ferner I 6,3; 13,6 f; 31,2);
10 Magie und Idolatrie (vgl. außerdem I 13,5);
11 Gleichgestalt der Anhänger mit dem Meister.
Damit wird förmlich historisch »bewiesen«, dass sie wirklich von Simon abstammen. Trifft das zu, dann sind die fraglichen Lehren schon daraus als Ketzereien ersichtlich, dass eben jener Simon eine Abfuhr durch Petrus erhalten hat. Dies zeige unzweifelhaft der Bericht der kanonischen Apg (Kap. 8), den Irenäus selbst vor dem Ketzerkatalog ausschreibt (Haer I 23,1), freilich ohne die Bitte Simons an die Apostel zu erwähnen, sie mögen für ihn beten, Apg 8,24: »Bittet ihr den Herrn für mich, dass nichts von dem über mich komme, was ihr gesagt habt!«
Der Vf. der Apg war also gegenüber dem Erzhäretiker Simon noch milder als 100 Jahre später Irenäus. Der Grund dafür liegt vor allem in der verschiedenen kirchenhistorischen Lage. Irenäus setzt strikt die Trennung von Orthodoxie und Ketzerei voraus, beim Vf. der Apg ist die Lage noch nicht so verfestigt. Er führt einen begrenzten Dialog mit konkurrierenden synkretistischen Gruppen. Dies zeigt sich nicht nur an der Simon-Perikope (Apg 8), sondern auch an der relativ offenen Gestaltung der Abschnitte über Elymas (Apg 13,6 – 12) und die Söhne des Skeuas (Apg 19,13 – 17). Elymas’ Blindheit ist nur begrenzt (13,11), und die Söhne des Skeuas flohen nackt (19,16). Der Autor »vermag … die Kritik des Synkretismus durchzuführen, ohne dessen Repräsentanten schon prinzipiell preiszugeben.«18
Irenäus beschreibt mit einer technisch zu nennenden Terminologie die Abhängigkeit der verschiedenen Häretiker untereinander. Simon hat in Menander einen Nachfolger, Markion ist der Nachfolger des Kerdon. Alle referierten Gnostiker, die auch Simonianer genannt werden (Haer I 29,1), sind Schüler und Nachfolger Simons (Haer I 27,4). Im Vorwort zu Buch II heißt es: »Wir haben die Lehre ihres Stifters Simon und aller jener, die ihm nachfolgten, aufgezeigt.«
Norbert Brox hat aus dem Vorkommen dieser technischen Terminologie geschlossen, dass es bei den Gnostikern »eine feste Vorstellung … von Lehrtradition«19 gebe. Demgegenüber wird man umgekehrt damit rechnen müssen, dass diese Ausdrucksweise aus dem Kampf des Irenäus bzw. seiner Vorgänger gegen »die fälschlich so genannte Gnosis« zu begreifen ist. Man übertrug das eigene Traditionsprinzip auf die Gegner und führte ebenso wie die eigenen kirchlichen Lehren auch alle gnostischen Phänomene auf Personen in der apostolischen Zeit zurück. So fand man den Ursprung der gegnerischen Lehren in der Verkündigung des Apg 8 bezeugten Simon Magus, und der zeitgenössische Konflikt konnte in der normativen Zeit der Apostel als schon längst entschieden gelten, hatte doch der Apostelfürst Petrus jenen Simon abgewiesen.
Zur Theologie des Irenäus
Irenäus’ Theologie, die stark von seinem Kampf gegen Irrlehrer geprägt ist, lässt sich in folgenden Punkten zusammenfassen:
Erstens sind der Schöpfer der Welt und der Vater Jesu Christi ein und derselbe.
Zweitens fasst Christus das »All«, den »Menschen« mit allem, was hinzugehört, zusammen. Er »rekapituliert« es, greift die gesamte Unheilsgeschichte auf und macht sie damit ungültig. Auf diese Weise ist die letzte Einheit von Schöpfung und Erlösung gesichert.
Drittens haben die Bischöfe und kirchlichen Lehrer den Zusammenhang mit den Aposteln in gerader Folge bewahrt.
»Durch keine anderen wissen wir von dem Plan unserer Erlösung als durch jene, dank derer die Heilsbotschaft zu uns gelangte. Diese haben sie damals zunächst mündlich verkündet, danach aber überlieferten sie uns dieselben nach Gottes Willen in Schriften, die ›Fundament und Säule (1Tim 3,15) unseres Glaubens werden sollten«. (Haer III 1,1).
Viertens ist neben der Schrift auch die apostolische Verkündigung als »Regel der Wahrheit« Norm der Auslegung (vgl. Haer II 35,4), wobei der Kanonbegriff in einem dialektischen Verhältnis zum Schriftenkanon selbst steht. Theoretisch würde sogar gelten: »Hätten nämlich die Apostel nichts Schriftliches uns hinterlassen, dann müsste man eben der Ordnung der Tradition folgen, die sie den Vorstehern der Kirchen übergeben haben«. (Haer III 4,1).20
II. Tertullian 21
Tertullian war nach dem Zeugnis des Hieronymus (vir. ill. 53) Presbyter in Karthago. Doch ist die Richtigkeit dieser Notiz zweifelhaft. Sein Geburts- und Todesjahr sind unbekannt und kaum annähernd zu bestimmen. Allerdings geben einige Schriften Hinweise auf ihre Entstehungszeit und erlauben daher, Tertullians schriftstellerische Tätigkeit etwa auf die Jahre 196 – 220 zu begrenzen sowie die Schriften zeitlich zu ordnen. Montanist22 ist er spätestens 207 geworden. Konflikte mit der Kirche und besonders dem römischen Bischof waren fast vorprogrammiert, doch fanden seine Schriften aus sämtlichen Lebensperioden damals eine interessierte Leserschaft, so dass sie sich in großer Zahl bis in die Neuzeit hinein erhalten haben. Wann, wo und warum er zum Christentum übergetreten ist, wissen wir nicht; nur dass er früher Heide war, ist von ihm selbst bezeugt.23
Tertullians antiketzerischer Kampf. Sein Charakter
In der Schrift »Prozesseinrede gegen die Häretiker«. (De praescriptione haereticorum) übertrug der juristisch gebildete Römer Tertullian das juristische Prozessmittel, dem Gegner durch Einrede die Rechtsfähigkeit zu bestreiten, in den theologischen Bereich. »Er versteht darunter die Geltendmachung des formellen Rechts, vor der sachlichen Erörterung die Bedingung des Streites festzusetzen.«24 Demnach ist die Schrift das rechtmäßige Eigentum der Kirche. Die Ketzer sind gar nicht befugt, sie zu gebrauchen; ihnen muss man von vornherein die Rechtsfähigkeit absprechen, weil die katholische Kirche unmittelbar von den Aposteln sowohl ihre Lehre als auch die Heilige Schrift zu einem Zeitpunkt empfangen hat, da es die Ketzer noch gar nicht gab. Tertullian schreibt hier:
»Wenn sie Häretiker sind, so können sie keine Christen sein, da sie die Lehren, welchen sie nach eigener Wahl anhangen und weshalb sie sich den Namen Häretiker gefallen lassen müssen, nicht von Christus erhalten haben. Als Nichtchristen erlangen sie daher keinerlei Eigentumsrecht an den christlichen Schriften. Man könnte sie mit Recht fragen: Wer seid ihr denn eigentlich? Wann und woher seid ihr gekommen? Was macht ihr auf meinem Grund und Boden, da ihr nicht zu den Meinigen gehört? Mit welchem Recht, Markion, fällst du denn eigentlich meinen Wald? Wer erlaubt dir, Valentin, meine Quellen anders zu leiten? Wer gibt dir, Apelles, die Macht, meine Grenzen zu verrücken? Das Besitztum gehört mir! Wie könnt ihr übrigen hier nach eurem Gutdünken säen und weiden? Mein ist das Besitztum, ich besitze es von jeher, ich habe es zuerst besessen, ich habe sichere Übertragungstitel von den ersten Eigentümern selbst, denen die Sache gehört hat. Ich bin Erbe der Apostel«. (Praescr 37).
Den heutigen Leser beschleicht bei solchen Sätzen das Gefühl, dass jemand um jeden Preis Recht behalten will, wobei der Zweck die Mittel heiligt und Sachlichkeit nicht angestrebt wird. Hier redet der juristisch geschulte Christ Tertullian, der den Prozess zu gewinnen strebt, dem aber die Wahrheit irgendwie abhanden gekommen ist, weil er sie fest zu besitzen meint. Ein Suchen nach der Wahrheit kommt für ihn nicht mehr in Frage, und jene Sucherreligiosität25 der Ketzer, die sich z. B. auf Jesu Wort Mt 7,7/Lk 11,9 (»Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan«) stützten, war ihm ein Gräuel. Er schreibt:
»Ich möchte es ein für allemal gesagt haben: Niemand sucht, als wer etwas nicht hat oder es verloren hat. Jene Alte (sc. im Evangelium) hatte eine von ihren zehn Drachmen verloren (Lk 15,8 f); deshalb suchte sie; sobald sie sie aber gefunden hatte, hörte sie auf zu suchen. Der Nachbar hatte kein Brot (Lk 11,5 – 8); deshalb pochte er; sobald ihm aber aufgemacht und es ihm gegeben war, hörte er auf zu pochen. Die Witwe begehrte vom Richter, angehört zu werden (Lk 18,1 – 8), weil sie keinen Zutritt erhalten hatte; sobald sie aber Gehör erlangt hatte, drang sie nicht länger in ihn. Folglich gibt es ein Ende für das Suchen, Klopfen und Bitten«. (Praescr 11).
»Seit Jesus Christus bedürfen wir des Forschens nicht mehr, auch nicht des Untersuchens, seitdem das Evangelium verkündet wurde. Wenn wir glauben, so wünschen wir über das Glauben hinaus weiter nichts mehr. Denn das ist das erste, was wir glauben: es gebe nichts mehr, was wir über den Glauben hinaus noch zu glauben haben«. (Praescr 7).
Kein Wunder, dass Tertullian zufolge beim Streit mit den Ketzern weiter nichts herauskommt, »als dass man sich den Magen verdirbt oder Kopfschmerzen bekommt«. (Praescr 16).